Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 21

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Clint Harper hatte ein Gesicht, das aus graubraunem Felsstein gehauen zu sein schien. Hart sprang die kurze Nase daraus hervor, kantig waren Kinn, Stirn und Wangenknochen. Der Mund war nur ein Strich, und das eine Auge saß in einer weit zurückliegenden Höhle und war pulvergrau.

Die rechte Augenhöhle war leer.

Mißfarben und strähnig war sein Haar unter dem verschwitzten und zerfransten Melbahut.

Das Hemd mußte irgendwann einmal grau gewesen sein und auch Knöpfe gehabt haben.

Fast bis unter die Achselhöhlen reichte dem vierschrötigen Mann die Hose, die viel zu weit war und von halbzerfetzten Hosenträgern gehalten wurde.

Ein verwaschen-blaues Halstuch war zur Seite geknotet und verstärkte noch das wilde Aussehen des unrasierten etwa vierzigjährigen Mannes.

Tief über seinem rechten Oberschenkel hing in einem abgewetzten Halfter ein schwerer fünfundvierziger Revolver am Waffengurt.

Die Hose lief unten über schmutzige, hochhackige, mit rostigen Spuren bewehrte Stiefel aus.

Der Mann sah aus wie das zerklüftete Felsland um ihn und war wie der graubraune Boden unter seinen Stiefeln.

Clint stand mitten auf dem Hof einer zerfallen und verwahrlost wirkenden Ranch.

Drüben vor dem Corral hockten vier Männer nebeneinander, die eine frappante Ähnlichkeit mit Clint hatten – nur daß sie nicht einäugig waren.

Joe Harper, Charly Harper, Mac Harper und Gregg, der jüngste der Familie.

Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß Mac der Vater der vier Männer war.

Er sah nicht anders aus als sie – auch nicht älter. Er war unrasiert, hager, hatte scharfe schiefergraue Augen und ein wildes Gesicht. Seine Bewegungen waren hölzern und eckig wie die seiner Söhne. Und wenn er so unter ihnen saß, hätte man gegen jeden Fremden hundert Bucks setzen können: Er wäre nie imstande gewesen, den Vater herauszufinden.

Clint, der zweitälteste machte eine weit ausholende Handbewegung zum Corral hinüber.

»Ein Wagen kommt!« krächzte er.

Die vier anderen standen auf, und ihre Köpfe flogen herum.

»Yeah…«, kommentierte Mac die neue Situation. »Clint hat recht.«

Die vier verließen den Baumstamm, der offensichtlich als Daueraufenthalt und meistbenutzter Platz im Tagesablauf der Harpers eine große Rolle spielte, und stampften in den Hof.

Da standen sie nebeneinander wie eine Mauer und blickten dem Gefährt entgegen, das sich da dem torlosen Eingang zum Ranchhof näherte.

Plötzlich wurden die Augen zumindest der Harpers Söhne groß und rund wie Zwanzigdollarstücke.

Oben neben dem Mann auf dem Kutschbock saß eine Frau.

Eine hübsche junge Frau!

Sie trug einen Biedermeierhut aus himmelblauem Stoff, ein blaues Kleid und einen Umhang aus der gleichen Farbe. Ihr Gesicht war vom Wind, der über die Pineridge Plains wehte, gerötet. Und ihre wasserblauen Augen warfen etwas von ihrem Glanz in die düsteren Herzen der Harpers.

Der Mann auf dem Kutschbock mochte vielleicht dreißig oder nur wenig älter sein. Er war groß, breitschultrig, hatte ein gebräuntes Gesicht und helle Augen, die zu seinem strohblonden Haar paßten. Sein Anzug war aus festem grauen Stoff. Zwischen den Knien hielt er ein altes Sharps-Gewehr.

Der Wagen hielt direkt vor der Mauer, die die Harpers mit ihren Körpern bildeten.

Der Mann auf dem Kutschbock tippte an den Hutrand.

Die Harpers gaben den Gruß sehr träge und mit mißtrauischen Blicken zurück.

»Mein Name ist Thomas. Ich bin von Ihrem Nachbarn Josuah zu Ihnen geschickt worden, Mr. Harper.« Seine Augen suchten die Gesichter der fünf Männer ab, vermochten aber den »Mr. Harper« nicht zu entdecken.

Deshalb sprach der Trader alle an, indem er stets von einem zum anderen guckte.

»Mr. Josuah meinte, daß Sie vielleicht auch ein paar neue Feldgeräte brauchten…«

»So, Mr. Josuah meinte das…«, krächzte Clint.

»Ja«, gab Thomas unsicher zurück, während ihm die Mienen der fünf Männer ein immer größer werdendes Unbehagen einflößten.

»Mr. Josuah!« brüllte Clint plötzlich los. »Dieser feiste alte Dummkopf hat es gerade nötig, uns an die Arbeit treiben zu wollen. Dieser verdammte Faulenzer und Betrüger, der anderen Leuten die Frauen wegschnappt, der schon zweimal verheiratet ist, wenn unsereiner noch nicht einmal die erste Frau gefunden hat! Dieser armselige Schlucker wagt es, uns einen Harkenkrämer auf den Hals zu schicken!«

Er war immer lauter geworden und belferte schließlich mit sich überschlagender Stimme, wobei sein Schädel dunkelrot anlief.

Thomas sah ihn erschrocken an.

»Sie müssen verzeihen, Mr. Harper.« Er glaubte, nun mit Recht annehmen zu können, daß der sich so lautstark äußernde Mann der Vater Harper sei. »Es tut mir sehr leid, aber ich bin ein Handelsmann und will Geräte verkaufen, nichts weiter. Wenn Ihr Nachbar Ihnen etwa einen Streich spielen wollte, so habe ich nicht das mindeste damit zu tun.« Er wollte die Zügelleine hochnehmen, um das Pferd herumzulenken.

Da sprang Clint vor und packte den Gaul vorn am Halfter. »Wir bestimmen, wann du unseren Hof verläßt, den du ohne zu fragen betreten hast. Trader! Verstanden?«

Da erhob sich plötzlich das Mädchen, stieg vom Wagen und ging auf Clint zu.

»Lassen Sie den Zügel los!«

Die Hand Clints rutschte von dem Lederriemen, so verdutzt war er.

Die Frau stieg wieder auf.

»Fahr los, Bred!«

Thomas wendete den Wagen und rollte aus dem Hof.

Da riß Clint den Colt aus dem Halfter und schoß.

Es war unfaßlich – aber er schoß.

Bred Thomas bekam einen Stoß und rutschte vom Kutschbock in den Staub des Ranchhofes.

Steif und reglos saß die Frau auf dem Wagen.

Die Harpers setzten sich in Bewegung.

Charly blickte auf den Mann am Boden. »So geht’s allen, die glauben, mit den Harpers tun zu können, was sie wollen.«

»Yeah«, entgegnete Joe düster.

Gregg und Clint schwiegen.

Der Alte hob den Kopf und sah die Frau an.

»Laden Sie ihn auf und verschwinden Sie, Miß!«

Aber Elisabeth Thomas war nicht in der Lage, sich auch nur zu bewegen.

Da packten die Harpers den Niedergeschossenen und warfen ihn hinten auf den Wagen.

Zwei Faustschläge und mehrere Schüsse brachten den Braunen in Trab.

Der Wagen rollte nach Osten davon.

Mac, Joe, Charly und Gregg gingen wieder zum Corral und setzten sich auf den Baumstamm.

Clint blieb mitten im Hof stehen und lud die verschossenen Patronen nach.

Aus dem Wohnhaus kam eine alte schwarzhäutige Frau.

»Essen!« rief sie heiser.

Clint stieß einen schrillen Pfiff durch die breite Zahnlücke, die zwischen seinen Schneidezähnen klaff-te.

Ein kalbsgroßer zottiger Hund trollte sich heran, und drüben am Corral standen die vier anderen Harpers auf und gingen zum Haus hinüber.

Wortlos hockten sie um den grobgezimmerten Tisch und warteten auf die Suppe, die die Negerin auftischte.

»Dünn«, krächzte Charly.

»Halt’s Maul!« zischte der Vater ihn an.

Clint löffelte bereits die ersten Fuhren in sich hinein.

Nach dem Essen gingen sie hinaus und standen auf dem Vorbau.

»Josuah! Dieser verfluchte Skunk!« stieß Clint hervor.

Mac stocherte in seinen Zähnen herum.

Joe nickte. »Man sollte ihm die Bude über dem Schädel anzünden.«

»Yeah.«

»Richtig!«

»Am besten gleich heute!«

»All right!«

*

In dieser Nacht brannte das

Ranchhaus des Briten Kirk Joshua nieder. Er selbst entkam den Flammen, vermochte aber nichts mehr von seiner persönlichen Habe zu retten und war froh, daß wenigstens die beiden Scheunen und der Stall stehengeblieben waren und seine Pfer-de über den Corralzaun gesprungen und so der Höllenglut, die schon in die Pferch schlug, entkommen konnten.

Daß die Scheunen und die Stallungen unversehrt geblieben waren, verdankte der Rancher nur dem Ostwind, der in dieser Nacht scharf über die Plains strich und die Lohe des brennenden Hauses nur zum Corral hinübertrug.

Gegen Morgen waren die Pferde wieder auf dem Hof – und der Rancher hockte mit gesenktem Kopf auf dem Brunnenrand.

Zum siebtenmal war ihm sein Haus niedergebrannt worden.

Er hatte die Täter nicht gesehen – aber er kannte sie trotzdem.

»Die Harpers!«

Die schmalgesichtige, verhärmte Frau, die neben ihm stand, schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht glauben, Kirk.«

»Doch, doch, Jenny. Es gibt auf fünfhundert Meilen im Umkreis keinen Menschen wie die Harpers, keinen Banditen, der in fünf Jahren immer wieder das gleiche tut, außer ihnen!«

*

Die Harpers waren von der Weide gekommen. Sie hatten nach ihrem Vieh gesehen und bei dieser Gelegenheit dafür gesorgt, daß ungebrannte Tiere angrenzender Ranches wie zufällig unter ihre Herde kamen.

Sie ritten von Westen her auf die Ranch zu. Da sie nicht eingezäunt war, konnte man sie von allen Richtungen erreichen. Und von dieser Möglichkeit machten die Harpers seit eh und je Gebrauch.

Sie hatten seit dreißig Jahren ihren einzigen Nachbarn Billie Cramer geschädigt; aber der hatte sich nicht um sie gekümmert und war vor vier Jahren gestorben.

Vor fünf Jahren war Kirk Josuah hierhergekommen. Er war ihr nächstes Opfer gewesen, hatte nicht den Gleichmut des deutschen Auswanderers Cramer und ärgerte sich über die Harpers ein Magenleiden an.

Clint bog als erster in den Hof und hielt sein Pferd an.

Vor dem Ranchhaus stand ein Grauschimmel.

Die anderen vier Harpers hielten ebenfalls ihre Tiere an und blickten auf den Grauschimmel.

Gregg rieb sich das Kinn. »Der Sheriff ist da!«

»Was du nicht sagst!« knurrte Clint und setzte seinen Braunen in Bewegung.

Die anderen folgten ihm.

In breiter Front nahmen sie vor dem Wohnhaus Aufstellung. Sie warteten.

Dann kam er heraus. Er war etwas über fünfzig, hatte kurzgeschorenes Grauhaar und ein scharfgeschnittenes schmales Gesicht, das von zahllosen Falten zersägt war. Hart und grünlich blitzten die Augen, und der Mund war breit und dünnlippig.

Jonny McLean hatte eine gerade, aufrechte Haltung und einen festen, sicheren Gang. Er blieb oben auf der Veranda vor der Treppe stehen und blickte auf die Harpers.

»Was willst du hier?« fragte Clint schnarrend.

McLean blickte ihn an. »Ihr müßt mit in die Stadt kommen«, entgegnete er rauh.

»In die Stadt?« forschte der alte Harper verstört.

»Yeah!«

»Bist du verrückt?«

»Nein, Harper. Du oder einer deiner Söhne hat hier auf dem Hof den Trader Thomas vom Wagen heruntergeschossen.«

Die Harpers blickten schweigend auf den Sheriff.

Und plötzlich zog Clint den Revolver, stieß ihn vor und schoß.

Der Mann mit dem Stern schien einen unsichtbaren Stoß vor die Brust bekommen zu haben, torkelte zurück und rutschte am hölzernen Hausgiebel in sich zusammen.

Er saß da, hart an die Wand gelehnt, die Hände auf den Boden gestützt, und starrte die Harpers an.

Er wollte etwas sagen, aber seine Lippen vermochten sich kaum noch zu bewegen.

Da stürzte die Negerin aus dem Haus, starrte die Harpers ganz entgeistert an, warf die Fäuste hoch und schrie:

»Ihr verdammtes Gesindel! Ihr habt ihn umgebracht, den Sheriff! Ihr…«

»Halt’s Maul, Alte!« kläffte Joe.

Charly zog seinen Revolver. »Verschwinde im Haus, alte Hexe, sonst sitzt du gleich neben ihm.«

In diesem Augenblick starb Jonny McLean.

Sein Kopf sank tief auf die Brust, und langsam fiel er zur Seite.

»Er ist tot«, jammerte die Negerin, »tot…«

Heulend rannte sie ins Haus zurück.

Stumm verharrten die Harpers auf ihren Pferden.

»Schafft ihn weg!« zischte Clint, während er langsam auf den Weg zuschritt, der zur Stadt führte.

*

Die Harpers verscharrten den Körper des Ermordeten und ritten dann in die Stadt.

Clint hielt vorm Nugget Saloon, und auch Joe stieg vom Pferd.

Die anderen warteten draußen.

Als die beiden nach einer Viertelstunde wieder herauskamen, wußten sie, daß sie einen Fehler gemacht hatten:

Der Trader Thomas war nicht tot. Er lag drüben bei Doc Clahety mit durchschossener Lunge.

Der Salooner, den Joe geschickt und unauffällig ausgefragt hatte, meinte: »Er wird wohl durchkommen.«

Wo die Frau sei, hatte Clint gefragt.

»Welche Frau?«

Joe trat dem Bruder derb gegen das Schienbein. »Du hast doch eben gesagt, daß eine Frau bei ihm ist, alte Mülltonne!«

»Ich…, ach, so, ja, die Frau wohnt drüben im Grand Hotel. Eine schöne Frau, bildschön, wirklich…«

Wer den Trader angeschossen hatte, wußte der Salooner nicht.

Aber der Sheriff hatte es gewußt.

Und wem hatte die Frau es sonst noch erzählt?

Die Banditenfamilie suchte Corners Bar auf, eine scheußlich verräucherte Kneipe, die schlauchartig eng und ziemlich lang war.

Sie tranken und rauchten und ließen sich bei Einbruch der Dunkelheit jeder ein großes Steak bringen.

Dann gingen sie.

Charly Gregg und der Alte blieben bei den Pferden, die sie in den Eingang des leerstehenden Hofes zogen.

Clint und Joe näherten sich dem Grand Hotel.

Da es noch früh am Abend war, brannte in dem eingeschossigen Bau mit dem hochtrabenden Namen fast noch überall Licht.

Die beiden Männer machten sich keine Mühe; sie traten durch das Hoftor von hinten an das Haus heran und konnten in die Zimmer sehen.

Joe stieß seinen älteren Bruder sofort an und deutete auf den Raum, der dem Hoftor direkt gegenüberlag.

»Da ist sie.«

Die Frau stand vor dem Schrank und hatte das Gesicht in die Hände gelegt.

Die beiden Outlaws überlegten einen Moment, dann meinte Joe, der offensichtlich der Raffinierteste der Familie war:

»Du bleibst hier vor ihrem Fenster. Aber im Dunkeln, unter dem Sims, damit dich niemand von der Straße hinten sehen kann.«

»Und du?«

»Ich gehe zu ihr.«

Damit war die Beratung der beiden Verbrecher schon zu Ende.

Während Clint unter das Fenstersims trat und sich an die Wand stellte, ging Joe ins Haus.

Die hintere Tür war um diese Zeit noch nicht verschlossen; wer rechnete denn auch jetzt mit einem Eindringling?

Joe Harper ging, ohne sich in acht zu nehmen, zur Zimmertür der Frau, öffnete sie und stand, mit dem Colt in der Linken, im Raum.

Entgeistert starrte Liz Thomas den Banditen an.

»Was – wollen – Sie?« stammelte sie.

Hart trat der Tramp an sie heran.

»Wem haben Sie von dem Schuß auf unserem Hof erzählt?«

»Dem Sheriff…«, stammelte die Frau.

»Wem noch?«

»Niemandem!«

Der Verbrecher drückte ihr den Revolver auf den Leib.

»Du lügst, Dirne, deshalb wirst du jetzt sterben.«

»Ich schwöre es…«

Joe nahm den Colt weg und schob ihn ins Halfter. Seine grauen Augen waren gefühllos und kalt.

»Geben Sie genau acht, Miß! Ihr Mann ist nicht tot. Sie haben also keinen Grund, sich mit uns anzulegen! – Wenn Sie jetzt auch nur den Mund aufmachen, um unseren Namen auszusprechen, war es das letzte, was Sie getan haben. Und Ihr Mann…«

»Er ist mein Bruder!«

»Einerlei – er stirbt mit. Ob Sie jetzt reden oder später.«

Die Frau schluckte.

Hart und rücksichtslos warf der Outlaw die Tür hinter sich ins Schloß.

Liz Thomas warf sich aufs Bett und schluchzte verzweifelt. Sie hatte namenlose Angst. Das Schreckliche, was sie auf dem Hof der Harpers erlebt hatte, stieg jetzt wieder in ihr auf und schien ihr die Kehle zuschnüren zu wollen.

*

Am Abend des darauffolgenden Tages hörte die Frau, daß der Sheriff verschwunden wäre.

Als er auch nach drei weiteren Tagen nicht zurückkam, wußte Liz Thomas als einziger Mensch in Clarence, daß er nie mehr in die Stadt zurückkehren würde.

Die Harpers hatten ihn getötet.

Sie waren Sheriffsmörder.

Liz ging zum Arzt, um nach dem Befinden ihres Bruders zu fragen.

Es hatte sich etwas gebessert.

Liz saß auf dem Rand seines Lagers. Mit rotgeränderten Augen sah sie ihn an.

Bred erschrak.

»He, ist – mit mir was nicht in Ordnung? Hat mich der Doc vielleicht nur belogen?« Der junge Mann wurde plötzlich aschfahl.

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Nein – du bist bald wieder gesund, Bred. Aber wir müssen weg von hier. Heute noch. Heute nacht.«

»Aber…«

»Bitte!«

»Der Doc…«

»Der Doc steckt nicht in unserer Haut. Wir fragen ihn nicht. Ich hole dich um Mitternacht ab. Der Wagen steht dann hinterm Hoftor.«

»Liz – ich verstehe dich zwar nicht, aber ich will tun, was du sagst. Du hast es bisher immer richtig gemacht.«

»Wir müssen weg!«

»Wohin?«

»Ich weiß es nicht. Nach Osten. Wir fahren nach Osten, so weit uns der Braune zieht.«

Sie ging zur Tür, blieb da aber noch einmal stehen und kam zurück.

»Ich komme früher, Bred, um halb elf. Die anderthalb Stunden brauchen wir. Um so länger währt für uns die Nacht, die Dunkelheit…«

*

Wie zwei Diebe schlichen sich die Thomasgeschwister aus der nächtlichen Stadt.

Bred hatte für den Arzt Geld und einen Zettel hingelegt:

Wir wollen nicht länger bleiben. Um uns den Abschied von Menschen zu ersparen, die es gut mit uns meinen, fahren wir in der Nacht…

Ungesehen kamen sie durch die Mainstreet.

Als sie die letzten Häuser erreichten, kam von Osten her ein Reiter auf sie zu.

Bred lag hinten unter der Plane.

Lizzy zog den Überhang des Wagendaches tiefer und senkte den Kopf.

Der Reiter kam näher – und ritt vorbei.

Es war der Sohn eines Brunnenbauers, der auf einer Farm siebzig Meilen östlich von Clarence nach Wasser gebohrt hatte.

Er sah zwar den Wagen, blickte aber nicht hinüber, da er mit seinen Gedanken noch immer bei der Arbeit war, die er draußen auf der Wegger-Farm verrichtet hatte.

Als sie die letzten Häuser hinter sich hatten, trieb Lizzy Thomas das Pferd zu größter Eile an.

Der leichte Wagen rollte über die staubige Fahrstraße nach Osten.

Weit spannte sich der samtschwarze, von zahllosen Sternen bedeckte Nachthimmel Dakotas über das Land.

Als im Osten der Morgen graute, hatte der Braune ein so gewaltiges Stück geschafft, daß die Frau den Wagen vom Wege ab in eine Baumgruppe lenken konnte, wo sie auf dem eisernen Dreibein den Kaffee aufbrühte, den Bruder versorgte und dann selbst neben ihm auf dem Wagen in einen bleiernen Schlaf versank.

Drei Tage später hatten die Thomasgeschwister eine unglaubliche Strecke zwischen sich und Clarence gebracht.

Und das war ihr Glück!

*

Die fünf Harpers kamen an diesem Abend in die Stadt.

Sie hatten Tage verstreichen lassen, aber sie hatten ohne Sorge gewartet.

Selbst wenn die Frau gesprochen hätte, wer hätte die Harpers angreifen wollen?

Sie kamen am Abend, weil Leute, die tagsüber arbeiteten, nur abends Zeit hatten. Jedenfalls, wenn es sich um die ganze Crew, um die volle Besatzung der Ranch handelte.

Zwar arbeiteten die Harpers nicht, aber sie hielten sich unbewußt an diesen Brauch.

Wieder suchten Joe und Clint den Nugget Saloon auf. Die »Zeitung« der Stadt; hier erfuhr man alles, was es zu erfahren gab, kostenlos, unauffällig und genau.

Der Wirt war sogar stolz auf diese Tatsache.

Die beiden Outlaws lehnten sich über das Thekenblech und starrten in ihre Gläser.

Der Salooner stützte die Hände auf die Kante des Schanktisches und sah die beiden neugierig an.

»Na, Boys, was Neues?«

»Nichts«, knurrte Joe.

Clint krächzte. »Und hier…?«

Der Wirt zog die Schultern hoch.

»Viel Neues gibt es nicht. Jake Lowell hat seine Frau wieder einmal schwarz und blau geschlagen. Er war natürlich betrunken – wie immer. Aber die alte Schlampe säuft ja auch. – Und die Bifferts haben schon wieder Nachwuchs gekriegt. Kennt ihr doch, sie wohnen oben neben der City Hall; der Mann arbeitet in Websters Sägemühle. Vermehren sich wie die Präriehasen. Verrückt müßte ich ja wohl sein, wenn ich mir so einen Stall voller Kinder an den Hals hängte.«

Clint fuhr sich ungeduldig durch den Kragen.

»Sonst noch was?«

Der Salooner, der gewohnt war, daß sich die Weideleute das Neueste bei ihm »abholten«, nickte.

»Yeah – noch was!«

Die beiden Verbrecher blickten auf.

Der Wirt grinste. »Jonny McLean ist immer noch nicht zurückgekehrt.«

Die beiden starrten wieder in ihre Gläser.

»Yeah«, meinte der Wirt, »wer weiß, vielleicht hatte er die Schnauze voll in diesem Drecksnest. Könnte ich ihm nicht verdenken. Vor einem Jahr haben sie ihn unten an der City Hall nachts niedergeknüppelt, im Herbst ist er vor seinem eigenen Laden überfallen und halbtot geschlagen worden. Im Mai hat Mike Goerny ihn angeschossen. Anfang Juli ist er daußen in der Savanne überfallen worden und lag zwei Tage halbtot drüben bei Doc…«

Die beiden blickten unverwandt in ihre Gläser.

Sie wußten ja, wo er lag. Es war also keine interessante Neuigkeit, die der Salooner ihnen da »verkaufte«.

Clint schob sich eine lange dünne Strohhalmzigarre zwischen seine Zahnlücke.

»Hier tut sich auch nichts.«

»Wenig – und doch genug.«

Die beiden zahlten.

Als sie fast schon an der Tür waren, rief der Wirt ihnen nach.

»Da war doch neulich die kleine Lady mit ihrem Bruder…«

Wie angenagelt standen die beiden Outlaws vor den bastgeflochtenen Schwingarmen der Tür.

»Bildhübsches Weib!«

Der Wirt vom Nugget Saloon schnalzte mit der Zunge.

Da wirbelte Clint Harper herum, in seinen Augen blitzte es auf.

»Du sagst ›war‹?«

»Ja.« Der Wirt rieb sich die Hände. »Wollt ihr nicht noch einen Kleinen mit auf den Weg nehmen? Oder wärmt ihr beide euch hier nur auf, um anschließend mit der gesamten Familie bei Eddy Corner den Kanal vollzuschlauchen? Bei mir ist es euch wohl zu still, he? Weil ihr Schafsköpfe seid und nichts von Vornehmheit versteht! Der Höllenlärm bei Corner bringt einen vernünftigen Menschen doch um. Und außerdem kassiert der liebe Eddy ganz schön, wenn seine Gäste erst mal warm geworden sind.«

»Du hast ein ziemlich großes Maul, Ric!«

Der Wirt fauchte:

»Stimmt es vielleicht nicht? Dabei habe ich erst vor zwei Jahren extra das teure Orchestrion gekauft. Habe mehr Transportkosten bezahlt, als der ganze Klimperkasten wert ist – und kein Mensch hat einen Cent dafür übrig.«

Clint Harper war einfältig oder aber rigoros genug, zu fragen:

»Was war mit der Frau…?«

»Sie ist verschwunden. Vor drei Tagen schon.«

»Was…?«

»Yeah.«

»Und der Mann, er war doch verwundet, hast du erzählt.

»Er ist auch verschwunden.«

Die beiden Harpers blickten drein, als sei ihnen die Suppe versalzen worden.

»Es scheint eine neue Krankheit in Clarence zu sein, spurlos zu verschwinden…«, meinte der Salooner feixend.

*

Die Harpers standen auf der Straße und starrten nach Osten.

»Sie ist verschwunden«, stieß Clint rostig hervor.

»Und das schon vor drei Tagen!« fügte Joe hinzu.

»Wir müssen ihr sofort folgen. Sie kann mit dem Wagen doch unmöglich schnell vom Fleck kommen.«

»Sie können schon in Budale oder in Florencetown sein. Es hat keinen Zweck!«

»Wir müssen sie finden!« krächzte Clint.

»Nein«, sagte Joe rauh. »Im Gegenteil: Jetzt sind wir es, die verschwinden müssen.«

Er hatte es ganz ruhig gesagt, so, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt.

»Verschwinden«, krächzte Charly, »bist du verrückt? Wo sollen wir denn hin? Und vor allem, weshalb?«

»Wohin ist einerlei! Weshalb? Weil die Frau jedem Sheriff erzählt haben kann, was sie weiß.«

Das leuchtete dem anderen ein.

Der Alte klopfte seine zernagte Maiskolbenpfeife aus und knurrte ärgerlich:

»Wir müssen also verschwinden. Das ist das Ende. Fünfunddreißig Jahre habe ich hier in diesem Land gewohnt, habe mich mit den verfluchten Pineridges herumgeschlagen, habe die Jeffersons abgeschlagen und die anderen, die mich dann noch bekämpfen wollten, der Reihe nach unter die Erde gebracht. Und jetzt kann ich fliehen, von meinem eigenen Grund und Boden.«

Joe hatte eine Idee.

»Nein, wenn wir fliehen, schöpfen sie Verdacht und folgen uns. Das wird anders gemacht.«

Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern und erklärte den anderen seinen Plan.

Dann stampften sie auf Eddy Corners vernebelte Whiskykate zu.

Sie postierten sich vor der Theke, nahmen ihren Drink, und plötzlich hob Joe den Kopf.

»Müssen wir denn unbedingt alle mitkommen, Vater?«

Der Alte blickte nicht auf.

»Yeah.«

»Aber das ist doch ein Wahnsinn, mit dem ganzen Verein diesen endlosen Trail abzurollen.«

Ady Corner, der sonst ein ziemlich träger Bursche war, spitzte nun doch die Ohren.

»Wo soll’s denn hingehen?«

Joe winkte ab. »Eine Verrücktheit ist das.«

Clint stieß ihm seinen Ellenbogen derb in die Seite.

»Wenn Vater sagt, daß wir alle mitmüssen, reiten wir eben alle mit, und damit Schluß!«

Der Wirt bohrte eine halbe Stunde, bis er aus den Harpers das Ziel und den Grund der Reise erfahren hatte, das heißt, das Ziel erfuhr er nur insoweit, als man ihm gesagt hatte, daß es noch hinter dem Shenandoah-Tal liege, das Nest, das sie aufsuchen müßten.

»Das sind ja fast tausend Meilen!« meinte der Wirt entsetzt.

Da hob der alte Harper den Kopf und fauchte den Wirt an.

»Es ist mein Bruder!« Und während er wieder den Kopf senkte und ins Glas stierte, fuhr er fort: »Wir reiten hin, und wenn es zehntausend Meilen wären.«

»Die sind es ja«, meinte Joe respektlos. »Und schließlich müssen wir ja auch wieder zurück.«

Raffiniert, was der junge Harper da ausgebrütet hatte: Der Bruder des Alten wäre gestorben, und deshalb müßten sie hin.

Und die Negerin? Die blieb auf der Ranch.

Die Harpers waren ihrer sicher, denn die alte Frau hätte niemals gewagt, auch nur ein Sterbenswörtchen von dem Verbrechen zu verraten.

»Hätten wir die Ranch nicht lieber verkaufen sollen?« fragte Charly, als sie wieder draußen bei den Pferden waren.

Joe winkte ab. »Auf keinen Fall. Damit hätten wir uns sofort verraten. Die Leute wüßten dann, daß wir nicht wiederkommen wollen.«

»Du willst sie also schießen lassen, die Ranch?«

»Halt’s Maul!« unterbrach Clint seinen jüngsten Bruder. »Wenn gekämpft wird, entscheide ich, wenn gedacht wird, entscheidet Joe.«

Kämpfen nannte er es, wenn er den Revolver zog, der Sheriffsmörder von den Pineridge Plains.

Joe rieb sich das Kinn. »Die Ranch ist nichts wert. Die Hütten sind ohnehin halb zerfallen. Die Pferde, die im Corral waren, haben wir bei uns…«

»Und die Rinder?« begehrte der Alte auf.

Da lachten seine vier prächtigen Söhne wild auf.

»Die gehören uns ohnehin nicht, Dad. Deine alte Herde haben wir schon vor Jahren verkauft, und was auf der Weide steht, ist entweder ungebranntes oder glattes Vieh, das aber mühelos von jedem Besitzer herausgekannt wird.«

Joe Harper schob sich den Hut aus der Stirn.

»Trotzdem, Vater hat recht. Wir können die Rinder nicht zurücklassen, denn das ist das erste, worüber die anderen stolpern.«

»Sollen wir sie etwa mitnehmen?«

Joe schüttelte den Kopf.

»Wir werden sie verkaufen.«

»Verkaufen?«

»Yeah, und zwar sofort.«

Die fünf Harpers machten sich auf den Weg zu Clark Fenner, dem Vieh-agenten, der unten am Teich wohn-

te.

Fenner war ein kleiner, dickleibiger Mensch mit hochrotem, massigem Schädel und whiskyrauher Stimme.

Er kam im grünen Morgenrock an die Tür und musterte die späten Besucher mit mißtrauischen Blicken.

Als er erfuhr, was die Harpers wollten, schüttelte er zunächst den Kopf.

Fenner kannte alle Herden der umliegenden Ranches. Und die der Harpers war nicht sehr viel wert.

»Wenn ich zurückkomme, kaufe ich dir eine neue Herde ab«, sagte Mac Harper.

»Es ist ein Notfall«, warf Joe ein.

Eine halbe Stunde später war der Kauf getätigt, und jeder der beiden Partner war insgeheim überzeugt, den anderen gehörig übers Ohr gehauen zu haben.

Der betrügerische Viehhändler Fenner jedoch hatte ein schlechtes Geschäft gemacht und sich zu früh gefreut: Fast die Hälfte der Herde würden ihm die Leute abnehmen, die einen Monat nach dem Wegzug der Harpers endlich den Mut gefunden hatten, sich auf deren Weide nach ihren Rindern umzusehen.

*

Die Banditen indes dachten nicht daran, nach Shenandoah zu reiten.

Sie waren nach Süden geritten.

Nach Nebraska.

Als sie hundertfünfzig Meilen hinter sich hatten und mitten auf dem Hochplateau von Tryon waren, machten sie den ersten längeren Aufenthalt.

Drei Meilen vor der Stadt hatten sie sich in einer verlassenen Blockhütte niedergelassen.

»Wir müssen vorsichtig sein«, mahnte Joe. »Auf keinen Fall dürfen wir alle zusammen irgendwo auftauchen. Ich schätze, daß Richter Henning sofort unsere Steckbriefe losgelassen hat, als das Weib ihm von uns erzählt hat. Aber in diesen Steckbriefen wird immer von fünf Harpers die Rede sein. Und das ist auch der Grund, weshalb wir von der Ranch weg in zwei Gruppen geritten sind.«

Clint stützte seine Rechte auf seinen Revolver und knurrte:

»Wir haben keine Angst, Joe.«

Die anderen Brüder stimmten ihm zu.

Aber der gerissene Joe kläffte: »Angst habt ihr nicht, aber hohle Köpfe!«

»Wir sind zu fünft«, meinte Charly und schob seinen Revolver nach vorn.

Joe war klug genug, sich mit den Worten an Clint zu wenden:

»Vielleicht machst du deinem Bruder klar, daß wir hier nicht mehr in Dakota sind, daß das Land hier dichter besiedelt ist und alle fünfzig Meilen ein Sheriff hockt.«

Clint, auf diese Weise angesprochen, fühlte sich geschmeichelt, da der anerkannte Klügste der Familie bei ihm offensichtlich auch Klugheit voraussetzte.

»Joe hat recht«, belferte er. »Und wer anderer Ansicht ist, hat mit mir zu tun.«

Sie hockten in der Hütte, an den Wänden verteilt, und stierten dösig vor sich hin.

»Wollen wir etwa ewig hier in dieser Bude bleiben?« wollte Mac schließlich wissen.

Joe ging an die Tür. »Nein, natürlich nicht, aber wir müssen uns schließlich ausruhen, und vor allem haben die Gäule eine Pause nötig. Heute nacht reiten wir weiter.«

»Wohin?«

»Nach Süden.«

*

Bei Einbruch der Dunkelheit zogen sich die Harpers in die Sättel und ritten auf die Stadt zu.

In Tyron brannten nur noch wenige Lichter, als die fünf Outlaws in die Mainstreet kamen.

Joe hielt sein Pferd an.

»Wir müssen noch am Tage getrennt reiten.«

»Verflucht noch mal«, fauchte der Alte. »Das ist doch alles Unsinn, kein Mensch ist hinter uns her. Die Frau wird sich gehütet haben, etwas zu erzählen.«

Er nahm die Zügel auf und ritt trotzdem weiter.

Clint folgte ihm.

»Da drüben die Schenke ist noch auf, Dad. Wie steht’s mit einem Drink?«

»Mir brennt die Kehle schon eine Woche lang. Wird Zeit, daß ich mir endlich eine Flasche zu Gemüte führe.«

Die Harpers stiegen vor dem Silver-Saloon von ihren Tieren, und vier von ihnen betraten die Schenke.

Der mißtrauische Joe blieb draußen.

Während schon nach wenigen Minuten der Lärm der anderen aus dem Schankraum drang, sah sich Joe draußen etwas um. Er schob sich ei-ne Zigarette zwischen die Lippen und streunte auf den Vorbauten entlang.

Plötzlich stutzte er. Aus einem Fenster fiel der Lichtschein quer über den Vorbau.

Und drin am Schreibtisch saß ein Mann mit einem Stern.

Aber das war es nicht, was den Banditen aufgehalten hatte.

Links auf einem breiten Pfeiler war ein Plakat angebracht worden, das von dem Lichtschein aus dem Sheriffs Office erleuchtet wurde.

WANTED!

THE HARPER BROTHERS!

Da stand es groß und deutlich in schweren schwarzen Lettern.

Die Harpers wurden gesucht!

Joe nahm das Plakat von dem Pfeiler ab, faltete es zusammen und schob es in die Tasche.

Dann ging er zum Saloon.

Die Schenke war leer, bis auf die Harpers. Joe trat an die Theke, wo der Vater und die Brüder laut redend bei ihren Gläsern standen.

»Wir müssen jetzt weiter«, mahnte Joe.

»Nichts da«, zeterte der Alte gallig. »Ich bin lange genug geritten! Wenn ihr die Sechzig erst einmal auf dem Buckel habt, bleibt ihr daheim.«

Auch die anderen waren nicht zu bewegen, die Schenke zu verlassen.

Da lehnte sich Joe mit dem Rücken gegen die Theke und nahm so, daß es der Salooner nicht sehen konnte, das Fahndungsblatt vor die Brust.

Clint und Charly blickten entgeistert auf. Dann sah es auch Gregg. Der stieß den Vater an.

Mit glasigen Augen fixierte der alte Bandit das Plakat. Und urplötzlich war er stocknüchtern.

»Weg damit, Mensch!«

Joe faltete es zusammen und schob es in die Tasche.

»Salooner, zahlen!« rief Mac Harper.

Charly, Gregg und Clint gingen langsam hinaus.

Joe blieb noch neben dem Vater stehen.

»Sie sollten den Leuten nicht so oft einen Drink gönnen, Boß«, sagte er mit todernster Miene. »Wenn wir in Billock sind, werden die Kerle übermütig. Und wir haben da die Herde zu übernehmen…«

Billock lag weit im Osten.

Der Alte verstand und nickte.

»Sie haben recht, Oliver…«

*

Sie zogen weiter nach Süden.

Die Tatsache, daß ein Steckbrief hinter ihnen her war, hatten sie längst verdaut, so scharf sie sich im ersten Augenblick angepackt fühlten.

Jetzt ritten sie nur noch nachts und in einem Abstand von einer Meile.

Voran Joe und der Alte. Dann Clint, Charly und Gregg.

Vierunddreißig Meilen südöstlich von Tyron geschah es.

Es war früh am Morgen. Die Banditen waren die ganze Nacht durchgeritten, als sie in die breite Mainstreet der kleinen Ansiedlung Hun-kace kamen.

»Wir sollten das Kaff umreiten«, hatte der ewig mißtrauische Joe gemeint.

Aber Mac Harper hatte nichts davon gehalten. »Wozu solche verrückten Umwege auch noch in der Nacht?«

Außerdem waren die drei anderen schon bis auf vierhundert Yards herangekommen.

Mac und Joe ritten mitten auf der Straße.

Plötzlich hörten sie das unverkennbare scharfe, harte Knacken eines Revolverhahns.

Der alte Harper riß seinen Colt aus dem Halfter und schoß sofort in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

Aber in seinen Schuß hinein fiel der des anderen.

Mac Harper zuckte zusammen und rutschte aus dem Sattel.

Dann brach auch der Mann auf dem Vorbau zusammen.

Joe riß seinen Wallach herum und jagte in voller Karriere zurück.

Die anderen hörten ihn kommen und nahmen seitlich vom Weg Aufstellung.

»Weg, nach Süden! Sie haben ihn erwischt!«

»Wen?« fragte Clint, obgleich diese Frage doch völlig überflüssig war.

In wilder Hast ritten sie nach Süden davon über die Moonlight Hills zu den Niederungen des Callory

Creek hinunter.

Sie wußten nicht, wer der Mann auf dem Vorbau war.

Sie wußten nicht, weshalb er geschossen hatte.

Sie wußten nicht, ob der Vater tot war.

Sie waren völlig ahnungslos. Aber ohne Aufenthalt sprengten sie wie vom Satan gejagt über die Prärie der fernen Grenze von Kansas entgegen.

Erst am späten Vormittag machten sie Rast in einer Bodensenke.

Gregg und Charly mußten oben am Muldenrand Wache halten.

Joe hockte mit bleichem Gesicht am Boden.

Clint stand unschlüssig vor ihm. »War er tot…?«

»Wer?«

»Der andere natürlich.«

»Ich weiß es nicht.«

Kein Wort, keine Frage weiter.

Der alte Mann war schon für sie verloren.

Bis Joe plötzlich zusammenzuckte und sich mit der Rechten vor die Stirn schlug.

»Das Geld…!«

Clint schluckte. »Welches Geld?«

»Dad hatte doch alles in seinen Satteltaschen. Mensch, wir haben nicht einen Dollar mehr!«

»Zurück!« brüllte Clint Harper wie von Sinnen. »Wir müssen sofort zurück!«

Joe packte ihn am Bein, riß den Davonstürmenden zurück und zerrte ihn zu sich nieder.

»Willst du mit ihm sterben?«

Der Himmel hatte sich schwefelgelb bezogen, und die Luft war stickig schwül.

»Mit ihm?« keuchte Clint.

»Yeah – er ist vielleicht noch nicht tot. Aber daß er ein Harper ist, werden sie sofort wissen, wenn sie in sein Gesicht sehen. Wenn es der Kerl auf dem Vorbau nicht schon gewußt hat.«

»Aber wir haben doch keinen Dollar mehr…«

»Na und? Besser keinen Dollar in der Tasche als einen rauhen Hanfstrick um den Hals.«

Mit dieser makabren Weisheit legte sich Joe Harper zurück und faltete die Hände unterm Kopf.

Gregg kam herunter zu den Brüdern.

Clint giftete ihn an. »Was fällt dir ein? Habe ich dir nicht gesagt, daß du oben bleiben sollst?«

»Yeah, aber ich bin müde!«

»Wir haben keine Zeit, müde zu sein!«

»Aber Joe…«

»Joe denkt nach!« schrie Clint.

Langsam trottete Gregg an den Rand der Senke zurück, um das Land nach Norden hin scharf im Auge zu behalten, wie es ihm Clint aufgetragen hatte.

Jetzt waren sie völlig abgebrannt – und deshalb dreifach gefährlich, die Harper Brothers.

Waren sie bisher nur auf der Flucht gewesen, so sah das jetzt anders aus: Sie mußten leben. Sie mußten sich Nahrungsmittel und dergleichen beschaffen.

Mit dem Bewußtsein der plötzlichen Not hatte sich die Gemütsverfassung der vier Banditen plötzlich geändert. Die Tramps wußten jetzt, daß sie um ihr elendes Dasein kämpfen mußten.

In Jefferson City brachen sie einen Store auf.

In Moable zertrümmerten sie die Scheibe eines Gunsmith und beschafften sich Munition.

Um die so auffällig scharf nach Süden führende Spur zu verwischen, schlug Joe vor, einmal nach Westen zu reiten.

Fünfzig, sechzig Meilen.

Das taten sie.

Aber auch dort fanden sie in Jenkins Town ihren Steckbrief vor dem Marshals Office.

Sie ritten weiter nach Südwesten und dann wieder nach Süden.

*

Am sechzehnten September überschritten sie die Grenze von Kansas.

Vier Meilen ritten sie noch zusammen Richtung Süden, dann trennten sie sich.

Joe und Gregg hielten nach Südwesten, und Clint ritt mit Charly südöstlich davon.

»Am Arkansas treffen wir uns bei Garden City!«

Welche Macht zog sie in den Bannkreis des großen Gesetzesmannes Wyatt Earp?

Ahnten die Verbrecher nicht, wohin sie sich da begaben?

Sie ritten zum Arkansas.

*

Es war eine Nachtstunde, als zwei von ihnen am westlichen Stadtrand von Garden City eintrafen.

Joe und Gregg waren schon am Vormittag eingetroffen. Sie hatten sich in der Stadt umgesehen, das Sheriffs Office kurz gemustert, in Budways Bar einen Drink genommen, den sie mit dem Geld bezahlten, das sie oben in Nebraska bei dem Storeeinbruch erbeutet hatten – dann waren sie an den Rand der Stadt zurückgekehrt.

Es herrschte eine ganz seltsam laue Luft hier unten an den Ufern des Flusses.

Joe lag im hohen Büffelgras und lauschte in die Dunkelheit.

Gregg ging auf und ab.

»Setz dich endlich hin!« knurrte ihn der Bruder an.

Stunde um Stunde verging.

Gegen zwei Uhr endlich ließ sich auch Gregg im Gras nieder.

Als Joe aufwachte, glaubte er, einen Alptraum zu haben. Er riß die Augen auf und starrte den Mann an, der da auf einen Tupfschimmel vor ihm hielt. Er war ein großer Mann mit schwarzem Hut, blauen Augen, weißem Hemd, schwarzer Weste und enganliegender Levishose. Links auf seiner Brust blinkte in der Morgensonne der Stern des Gesetzes.

Joe war so entgeistert, daß er nicht imstande war, ein Wort hervorzubringen. Auch vermochte er nicht den Blick von dem Reiter zu wenden.

Gregg schlief noch laut schnarchend.

»Ziemlich ungemütlicher Platz hier, Boys«, meinte der Sheriff mit einer seltsam eindringlichen sonoren Stimme.

Joe Harper rieb sich mit dem Handrücken über die Augen und erhob sich langsam.

Damned, was sollte er entgegnen?

Wer kampiert schon am Rand einer Stadt?

Der Sheriff hatte seinen forschenden Blick von Joe Harper genommen und richtete ihn auf dessen Bruder.

Jetzt hatte Joe Gelegenheit, das Gesicht des Sternträgers eingehender zu mustern. Es war ein ernstes gutgeschnittenes und braungebranntes Männergesicht.

Joe kratzte sich den Schädel.

»Waren ziemlich müde, als wir hier ankamen, und wenn man sich in einer Stadt nicht auskennt, ist es ziemlich dumm, nachts jemanden um ein Quartier herauszuklopfen.«

By gosh! Er spürte selbst die Unsinnigkeit seiner Worte und hoffte, daß der Sheriff sie nicht beachten würde.

Wie wäre dem Banditen wohl zumute gewesen, wenn er gewußt hätte, daß der Mann auf dem Tupfenschimmel niemand anders als der berühmte Marshal Wyatt Earp war?

Der Missourier nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Rechten durch sein dichtes dunkles Haar, dann warf er noch einen kurzen forschenden Blick über die beiden Tramps und ritt nach Osten davon.

Obgleich Joe Harper nicht wußte, mit wem er es da zu tun hatte, fiel ihm doch ein Stein vom Herzen, als er weiterritt. Er glaubte, dessen Blick noch zu spüren.

Da kam oben aus der Hütte ein alter Mann. Er war barhäuptig, hatte einen weißen Stoppelbart und ein aufgedunsenes Gesicht. Ganz sicher hatte er in dem Hemd, das er jetzt trug, auch geschlafen, und möglicherweise war auch die Hose nicht von seinem Leib gekommen.

Er kam heran, riß seinen zahnlosen Mund auf und quäkte:

»Wißt ihr, wer das war?«

Gregg schreckte durch den Laut hoch.

Joe zog den Waffengurt enger und winkte ab.

»Interessiert uns nicht.«

Der Alte feixte. »Hoffentlich interessiert der sich nicht für euch.«

Die Banditen hatten plötzlich steile Falten zwischen den Brauen.

»Was soll das heißen?« krächzte Gregg.

»Nichts, was soll es schon heißen«, lachte der Alte meckernd.

Da sprang Gregg mit zwei Sprüngen auf ihn zu, packte ihn am Hemd und riß ihn zu sich heran.

»Mach das Maul auf, alter Sauerampfer.«

Und was der zweiundsiebzigjährige John Perkins dann sagte, traf die Banditen wie Keulenschläge.

»Ich meine nur, weil es doch schließlich Wyatt Earp ist…«

Gregg ließ von dem Alten ab und wich zurück.

Joe hatte den Kopf hochgerissen und starrte den Alten fassungslos an.

»Wyatt Earp!?« brach es heiser aus der Kehle Gregg Harpers.

»Yeah«, nickte der Alte und blickte verwundert auf die plötzlich so deprimierten Männer. Dann wandte er sich um und rannte humpelnd zu seinem Haus zurück.

Die beiden Verbrecher blickten einander an.

»Hast du das gehört?« stieß Gregg heiser hervor.

»Ich bin doch nicht taub.«

Gregg blickte hinter dem Reiter her, der längst hinter einer Wegbiegung der Mainstreet verschwunden war.

»Glaubst du das?«

Joe rieb sich den Schädel. »Ich weiß es nicht. Ich habe den Kerl schließlich noch nie gesehen.«

»Hältst du es denn überhaupt für möglich?«

»Doch, ja. Wenn ich bedenke, wie er mich angesehen hat, uns angesehen hat, dann wird mir jetzt noch richtig heiß.«

»Glaubst du, daß er uns erkannt hat?«

Joe lachte bitter auf. »Wenn er uns erkannt hätte, Gregg, dann stünden wir jetzt nicht mehr hier.«

Der Bursche wandte sich um und blickte den Fluß hinunter.

»Ich glaube das alles nicht.«

»Was?«

»Was sie sich von ihm erzählen.«

Joe Harper zog die Schultern hoch und blickte mit gerunzelter Stirn und schmalen Augen dahin, wo der Reiter verschwunden war.

Es vergingen einige Minuten, bis Gregg meinte:

»Er sah doch nach nichts aus.«

»Idiot«, knurrte Joe. »Erstens hast du ihn überhaupt nicht gesehen, erst als er hundertfünfzig Yards weg war, und zweitens spielt das überhaupt keine Rolle. Ich habe in den Prima Hills einmal Colorado Bill gesehen, der sah auch nach nichts aus, und Clint war mit Vater einmal in Abilene, wo sie Bill Hickok gesehen haben. Clint sagte: Der sieht aus wie eine Frau. – Und doch war er ein gefährlicher Bursche.«

Gregg deutete mit dem Kinn in die Mainstreet.

»Und der da, wie sah der aus?«

Joe zog wieder die Schultern hoch.

»Ich kann es nicht sagen. Überhaupt – ich könnte ihn nicht einmal beschreiben. Ich glaube, er war sehr groß und hatte dunkles Haar. Sein Hut war schwarz und auch seine Hose. Sogar seine Weste. Alles an ihm war schwarz.«

Gregg setzte sich wieder.

»Und jetzt?«

»Was jetzt?«

»Was willst du tun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber wenn er uns erkannt hat…?«

»Damned, ich habe dir doch schon einmal gesagt, daß wir dann nicht mehr hier stünden.«

Nach einer halben Stunde verließen sie ihren Platz und gingen in die Mainstreet.

Fast in ihrer Mitte fanden sie auf einem großen Fenster einen Stern.

»Da drin muß er sein«, meinte Joe.

Sie stiegen auf den Vorbau, und Joe zischte dem Bruder zu.

»Was willst du tun?«

»Eigentlich nichts. Ich möchte ihn nur noch einmal sehen.«

Damit trat er auf das Office zu und öffnete die Tür. In dem kleinen Raum stand ein Mann vor einem Pult und addierte Zahlen.

Zu seiner Verblüffung stellte Joe fest, daß der Mann jetzt nicht sonderlich groß aussah und eine bedeutend plumpere Figur aufwies als vorhin, da er im Sattel saß.

Da wandte sich der Mann um – und Joe Harper blickte in ein Gesicht, das er noch nie gesehen hatte.

In ein ziemlich ausdrucksloses Dutzendgesicht.

Auch dieser Mann trug einen Stern.

»Yeah?« fragte er ziemlich ungnädig.

»Ich suche Wyatt Earp«, sagte der Bandit etwas vorschnell.

»Da sind Sie hier falsch, Mister. Hier ist Garden City. Bis Dodge sind es noch ein paar Meilen!«

Dodge!

Joe hätte sich ohrfeigen können. Natürlich, Wyatt Earp war doch in Dodge City. Das wußte doch jedes Kind.

Und als er wieder auf der Straße stand, nagte der Argwohn wieder an ihm.

Weshalb hat er denn vor uns gehalten und uns so forschend angesehen?

Und dann hatte der gerissene Harper eine ungeheuerliche Idee: Er wandte sich um, betrat wieder das Office, und Gregg, der neben der offenen Tür stand, hörte den Bruder zu seinem größten Entsetzen fragen:

»Ich hätte mich gern nach den Harpers erkundigt.«

»Nach wem?«

»Ach, das sind Banditen aus Dakota.«

Der Sheriff winkte ab. »Von Dakota kommen noch keine Steckbriefe nach Kansas.«

Der Verbrecher nickte und ging hinaus. Er trat an den Rand des Vorbaus und sog die frische Morgenluft tief in seine Lungen.

Gregg zischte ihm zu. »Bist du plötzlich wahnsinnig geworden? Wie konntest du ihn nach den Harpers fragen!«

»Weil ich das wissen mußte, was ich jetzt weiß: nämlich, daß keine Steckbriefe von Dakota nach Kansas geschickt werden. Immerhin ist diese Tatsache ziemlich bedeutsam für uns.«

Da ertönte plötzlich die Stimme des Sheriffs hinter ihnen.

»Um was ging es denn?«

Gregg zuckte zusammen, und so unscheinbar dieses Zucken auch war, einem Mann wie Wyatt Earp wäre es nicht entgangen.

Joe wandte sich um.

»Ach, nichts von Bedeutung.«

»Faselt doch keinen Unsinn«, rief der Sheriff ärgerlich. »Ich kenne euch Burschen doch…«

Gregg spürte einen glühenden Stich in seiner Brust.

»Ihr dürft mich nicht für so dumm halten«, knurrte der Sheriff. »Es ist doch schließlich immer dasselbe. Ihr seid ja nicht die einzigen, die nur deswegen an den Arkansas kommen, weil sie ihn sehen wollen.«

»Wen?« entfuhr es Gregg.

»Stellt euch doch nicht so albern an, ihr wolltet Wyatt Earp sehen, das ist es.«

Der eifersüchtige Gesetzesmann von Garden City warf die Tür des Bureaus krachend hinter sich ins Schloß.

*

Die beiden Harpers verbrachten den Tag teils am Fluß und teils in den Schenken der Stadt.

Und als sich nach Einbruch der Dunkelheit die beiden anderen noch nicht eingefunden hatten, suchte Joe Harper sich mit dem Gedanken abzufinden, daß sie gestellt worden waren.

Bis zum Morgengrauen blieben sie am Fluß vor der Stadt und warteten.

Dann knurrte Joe: »Hol die Pferde vom Wasser, wir reiten.«

»Wohin?« brummte Gregg.

»Ich weiß es noch nicht.«

Vor Jonny Billers Bar hielt er an. »Komm zurück, wir werden noch ein paar Stunden warten.«

Aber um neun Uhr wurde der Verkehr auf der Straße so lebhaft, daß die beiden Banditen vorzogen, ihren Posten zu verlassen.

»Wir fallen auf, wenn wir noch länger hierbleiben«, erklärte Joe.

Gregg schwieg und trottete neben dem Bruder her.

Sie führten die Pferde hinter sich her in die Mainstreet.

Aus Liptons Bar erklang schon Orchestrionmusik.

Joe fühlte sich von der zweiten fast ganz durchwachten Nacht wie zerschlagen. Er band sein Pferd am Zügelholm fest und deutete auf die Schenke.

»Wir werden noch einen Drink nehmen.«

»All right.«

Sie standen an der Theke und tranken. Drei halbvolle Whiskygläser in einem leeren Magen sorgten für Kopfnebel, und Gregg, der Salooner, ein bulliger Bursche von fünfundvierzig Jahren, forderte ihn auf, leiser zu sein.

Aber der Bandit hatte keine rechte Kontrolle mehr über das, was er tat. Er packte eine Flasche und schleuderte sie in den großen Thekenspiegel.

Sofort griff der Salooner nach ihm.

Aber Joe stieß Lipton zurück.

»Hände weg!«

Der junge Schwellenleger von der Railway kam hinzu und packte Joe an der Schulter.

»Hör zu, Junge, du bist hier in Garden City…«

»Thanks«, knurrte Joe und riß urplötzlich einen Haken hoch, der den Mann von den Beinen riß.

An einem Fenstertisch hatten drei Männer gesessen, die sich zu dieser frühen Stunde schon zu einer Pokerpartie gefunden hatten. Als sie den Schwellenleger stürzen sahen, sprangen sie auf und stürmten auf die beiden Männer zu.

Die Harpers waren harte Schläger, aber gegen vier konnten sie sich doch nicht allzulange halten, vor allem da sie noch den Wirt gegen sich hatten.

Gläser klirrten, Flaschen zersprangen, ein Bild fiel von der Wand, und ein großer Aschenbecher landete, nachdem er eine geschlossene Fensterscheibe passiert hatte, auf dem Vorbau.

Da flog vorn die Pendeltür auf. Clint Harper stand da.

»He, Charly, schnell. Sie sind hier und unterhalten sich gerade mit ein paar Einheimischen.«

Gegen die vier Harpers aufzukommen, war offenbar ausgeschlossen. Selbst noch zwei Männer, die aus dem Hof hereinkamen, vermochten das Blatt nicht zu wenden.

Die vier Verbrecher zerlegten den ganzen Saloon in Einzelteile.

Dann kam der Sheriff. Als er Joe und Gregg sah, nickte er und fauchte:

»Tramps! Habe ich mir’s doch schon gedacht. Vorwärts, ins Jail mit euch.«

Clint baute seine herkulische Gestalt vor dem Gesetzesmann auf.

»Hören Sie, Sheriff, die Leute sind Freunde von uns. Wenn sie hier angepöbelt werden, müssen sie sich schließlich ihrer Haut wehren.«

Der Sheriff wich einen halben Schritt zurück.

Da zeterte der Salooner: »Und wer ersetzt mir den Schaden?«

Clint schob einen der Pokerspieler, der gerade wieder hochkommen wollte, mit dem Schädel wie eine Billardkugel gegen das harte Thekenbrett.

»Hör zu, Schnapspanscher. Die Jungens da hatten eine ganze Menge Dollars auf dem Pokertisch liegen, schlage vor, daß du sie einsammelst. Und hier…«

Zu Joes und Greggs Verwunderung schleuderte er einen Beutel mit Geld auf die Theke.

Damit war der Vorfall in Liptons Schenke beendet.

Clint, der offensichtlich schon irgendwo etwas getrunken hatte, legte seinen affenartig langen Arm um die Schultern des Sheriffs und meinte vertraulich:

»Wir sind Pelztierjäger, Sheriff, gerade Jungs, verstehen Sie, aber wir mögen es nicht, wenn uns die Leute in der Stadt für dumm verkaufen wollen. Jim und Erny sind die besten Kerle der Welt, und als ich mit meinem Freund Kid hereinkam, sah ich, wie die Burschen da auf die beiden losstürmten…«

Wenn Clint etwas getrunken hatte, war er nicht zu halten.

Der Sheriff gab auf.

Und die Harpers nahmen, noch auf sein Anraten hin, Quartier in Jimmy Lougs Boardinghouse.

Sie waren alle vier so todmüde, daß sie sofort einschliefen.

*

Gegen Abend krochen sie wie Ratten aus ihren Löchern und fanden sich in Clints Zimmer ein.

Clint und Charly hatten auf dem Wege hierher in der kleinen Stadt Hunter eine Bank beraubt und konnten unerkannt entkommen. Aber die Beute war nicht allzu groß gewesen.

Joe stand am Fenster und blickte auf die Straße, während die anderen wild durcheinanderredeten.

Plötzlich sagte er: »Wir werden nach Dodge City reiten.«

Die Brüder, denen er gleich am Morgen von der Begegnung am Fluß berichtet hatte, starrten ihn an, als sei er plötzlich verrückt geworden.

»Nach Dodge City…?« stieß Charly hervor.

Clint faßte sich an den Schädel. »Sag mal, das ist doch nicht etwa dein Ernst?«

Gregg sank auf einen Stuhl nieder und verzog das Gesicht.

»Du hast wohl schlecht geschlafen.«

Aber Joe Harper hatte weder schlecht geschlafen noch war er verrückt.

»Wir werden nach Dodge City reiten, Boys…«

Gregg sprang auf. »Da ist doch Wyatt Earp!«

»Eben!«

»Ohne mich!« bellte Clint, der Sheriffsmörder. »Joe, rede doch keinen Irrsinn zusammen. Was willst du denn ausgerechnet in Dodge City?«

»Da ist Betrieb – und Geld.«

»Und Wyatt Earp!« brüllte Clint.

Joe mahnte ihn zur Ruhe. »Richtig, Wyatt Earp ist auch da.«

»Aber, Mann!« Der lange Clint schlug sich ein paarmal mit seiner riesigen Hand vor die Stirn, daß ein normaler Mensch schon eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen hätte.

»Mensch, das ist doch der schärfste Wolf, den es im ganzen Westen gibt. Der riecht doch einen faulen Knochen selbst, wenn er drei Yards unter der Erde liegt.«

Genauso tief hatten die Harpers den Sheriff von Clarence verscharrt, aber im Augenblick dachte keiner von ihnen daran.

Joe feixte. »Soll er ruhig. Er hat vor uns gestanden und mit mir gesprochen. Bin ich ein fauler Knochen?«

»Mensch, du kennst ihn nicht. Jimmy Gordon hat mir von ihm erzählt. Der läßt sich manchmal Zeit, um einen ins Garn laufen zu lassen. Ich werde den Teufel tun, ausgerechnet in die Stadt dieses Burschen zu gehen. Außerdem, ist da nicht auch Doc Holliday?«

»Richtig.«

»Hell and fire! Denkst du denn, daß wir lebensmüde sind? Ich bin weiß Gott ein schneller Schütze – und ich habe nicht die Absicht, mich mit Doc Holliday in derselben Stadt aufzuhalten. Der Halunke taucht doch immer genau da auf, wo ihn niemand vermutet.«

»Jimmy Gordon sagt das«, höhnte Joe.

Clint fauchte mit hochrotem Schädel:

»Dann geh allein. Wir sind doch nicht krank. Lauf in die Höhle des Löwen. Ich reite mit den anderen weiter! Los, Boys.«

Aber an der Tür blieb er stehen, weil er feststellen mußte, daß die Boys nicht daran dachten, mit ihm zu kommen.

Im Gegenteil: Gregg und Charly hatten ihre Blicke auf Joe haften, auf dem Bruder mit Kopf.

»Weshalb willst du in diese Stadt?« fragte Charly ruhig.

»Weil es wahrscheinlich im ganzen Westen keine Stadt gibt, wo wir sicherer sind, als gerade dort.«

»Und weshalb?« bemühte sich Gregg, ruhig zu fragen.

»Wenn ihr nur für fünf Cents Verstand in euren Schädeln hättet, könntet ihr euch die Antwort selbst geben: Niemals wird uns jemand ausgerechnet in Dodge City suchen…«

Es hatte den Anschein, daß dieser Gedanke gar nicht dumm war. Aber es hatte auch nur den Anschein. Denn die Nähe Wyatt Earps war noch keinem Verbrecher gut bekommen.

Das hätten sich die Harpers sagen müssen.

Clint warf die schon von ihm geöffnete Tür wieder zu und ließ sich auf sein Bett fallen.

»Und was wollt ihr da, wenn ich fragen darf, he?«

»Leben.«

»Und wovon? Etwa vom Spiel? Beispielsweise mit Doc Holliday?«

Mit einem Ruck setzte er sich.

»Ich will euch etwas sagen: Joe ist verrückt…«

Aber da entwickelte Joe ihnen seinen neuen Plan. Es war ein Plan, der so ungeheuerlich war, daß es selbst den hartgesottenen Harper Brothers den Atem verschlug.

»Er ist mir vorm Einschlafen gekommen. Urplötzlich. Und ich schwöre euch, daß ich ihn in die Tat umsetzen werde. Und wenn so etwas jemals gelingen sollte, dann nur uns, den Harper Brothers…«

Joe Daniel Harper hatte den verwegenen Plan, zusammen mit seinen Brüdern den berühmten Dodger Marshal festzunehmen und zu entführen. Da jedermann im Land um den hohen Wert des Gesetzesmannes wußte, wollten die Banditen von den Dodgern, von der Regierung und von den Freunden des bekannten Marshals ein Lösegeld erpressen.

Ein wahnwitziger Gedanke!

Vier Dakota Men wollten den Marshal Earp entführen!

Ganz Amerika würde davon sprechen.

Und dieser Gedanke faszinierte sogar den primitiven Clint.

»Wenn es so ist, Joe, bin ich mit dabei. Den Brocken kann ich euch Strolchen nicht allein überlassen.«

Joe entwickelte den Brüdern dann seinen Plan im einzelnen.

»Wir könnten ihn nicht auf dem Pferd aus der Stadt bringen – das ist nur mit einem Wagen zu machen.«

»Und woher willst du den nehmen?«

»Aus einem Wagenabstellplatz.«

Charly zog die Schultern hoch.

»Stell dir das nicht zu leicht vor, Joe. Dodge City ist nicht Clarence und auch nicht Mobley oder Jenkins-town. Ich könnte mir vorstellen, daß ein Bursche wie dieser Earp den Laden sauber in Ordnung hat. Dad erzählte mir vor Jahren einmal, daß Wyatt Earp eine ganze Kolonne von Deputies um sich versammelt hätte.«

»Märchen!« wehrte Joe ab.

Und niemand war von der Erwähnung des Vaters irgendwie berührt.

Man beriet weiter.

Vor allem entschieden sich die

Outlaws dafür, noch heute loszureiten.

»Es ist nicht weit nach Dodge City«, erklärte Joe. »Wir werden bei Einbruch der Dunkelheit losreiten. Und damit ja nicht in einen der scharfen Augenwinkel des großen Wyatt Earp vier Männer kommen, die ihn möglicherweise an einen einmal irgendwo gelesenen Steckbrief erinnern, reiten wir wieder getrennt. Clint und Charly kommen wieder nach.«

»Und wo treffen wir uns?«

»Vor dem Long Branch Saloon«, entgegnete Joe.

»Long Branch Saloon?« Gregg kratzte sich unterm Hut. »Mensch, das riecht aber schon stark und brenzlig nach Holliday.«

»Glaubst du, daß er nachts um elf da vor der Tür steht und nach uns Ausschau hält?«

»Wohl kaum, aber – ich weiß nicht, die ganze Geschichte scheint mir doch ziemlich gefährlich zu sein. Wie willst du den Marshal denn in den Wagen kriegen? Der Kerl schießt doch wie der Teufel. Außerdem soll er bärenstark sein. Und vor allem – Doc Holliday ist in der Nähe!«

»Ihr redet zuviel!« entschied Joe. »Wir brauchen Geld, und das ist ein einmaliger Weg zu einer enormen Summe Dollars.«

Plötzlich hatte der sonst so gehirnschwache Clint eine gar nicht einmal so dumme Frage.

»Und wie wollen wir an das Lösegeld kommen? Willst du es vielleicht mit dem Revolver bei Doc Holliday kassieren, he?«

Joe Harper erklärte weiter:

»Nein, Clint, das wäre ein sicherer und schneller Weg auf den berühmten Boot Hill von Dodge. Wir werden den Marshal von der Stadt wegbringen und dann einen Brief in die Stadt schicken. An den Mayor oder an den Bürgerrat. Wir werden den Fettwänsten mitteilen, daß wir ihren Parade-Sheriff im Sack haben und ihn gegen klingende Münze eintauschen würden.«

»Und das Geld – wo sollen die anderen es hinbringen?«

»An einen Ort, weit vor der Stadt, auf eine Anhöhe, die man weithin im Auge hat.«

Das leuchtete den anderen Out-laws wieder ein.

»Aber ein Marshal…?« fragte Clint heiser.

Joe grinste diabolisch. »Der wird natürlich an einem noch sicheren Ort für die nächste Lösegeld-Forderung bereitgehalten.«

Charly stieß einen heiseren Jubelschrei aus.

Auch Gregg brüllte los.

»Merkt ihr was?« fragte Joe selbstgefällig. »He, Clint! Dem geht die Lampe nicht auf. Mann, der Marshal ist für uns ein Dauerdruckmittel. Wir werden immer und immer wieder Geld durch ihn bekommen und haben ausgesorgt.«

»Und wo willst du ihn so lange lassen? Ganz davon abgesehen, daß du ihn wie einen Puma einsperren mußt, darf ihn nie jemals ein Mensch zu Gesicht bekommen. Hier ist er doch

auf mehrere hundert Meilen im Umkreis so bekannt wie ein bunter Hund.«

»Einsperren?« Das diabolische Lächeln rutschte aus dem häßlichen Gesicht Joe Harpers und machte einem zynischen Zug Platz. »Du hast doch ein Spatzengehirn, Clint. Ich werde ihn weder einsperren, noch werde ich Sorge haben, daß ihn jemand zu Gesicht bekommt.«

»Du willst ihn also…« Clint schluckte. »Du willst ihn also auslöschen?«

»Natürlich!« Joe ging durch das Zimmer, hatte die Hände auf den Rücken gelegt und den Kopf gesenkt.

Ein Banditen-Napoleon!

»Er wird umgelegt. Selbstverständlich. Allerdings nicht gleich, weil ich erst feststellen muß, ob sie auch zahlen, wenn sie nicht überzeugt sind, daß er lebt…«

»Was wolltest du dann machen?«

»Dann würde ich einen weiteren Mann aus seiner Umgebung einfischen und ihn mit verbundenen Augen zu unserem Camp bringen, wo ich ihm den Marshal zeigen würde. Dann…«

»Großartig!« grölte Clint.

»Das ist ein Coup!« krächzte Charly.

Und Gregg nickte mehrmals hintereinander.

Yeah, sie konnten stolz sein auf ihren denkenden Bruder, die Harpers…

*

Nach Einbruch der Dunkelheit brachen sie auf.

Joe und Gregg zuerst, Clint und Charly ein paar Minuten später.

Es war nicht weit hinüber nach Dodge. Knapp fünfzig Meilen.

In Cimarron hatten sie schon mehr als die Hälfte hinter sich. Da sie scharf ritten, trafen sie, wie von Joe vorausberechnet, gegen elf am westlichen Stadtrand ein.

Verwundert musterten die beiden voranreitenden Tramps das seltsame Straßenschild der Hauptstraße: Die Dodger Frontstreet war nur auf der nördlichen Seite mit Häusern bestanden.

Die Südseite bildeten die Bahn, ein paar Depots – und an der Ecke zur Arkansas Bridge Street, das Marshals Office und das anschließende Jail.

»Sieht das merkwürdig hier aus«, krächzte Gregg und sah sich beklommen um.

Joes Augen flogen über die hellerleuchtete Häuserfront zur Linken.

Da war ja fast ein Saloon neben dem anderen! So viele Schenken hatten die beiden Dakota Men in ihrem Leben noch nicht nebeneinander gesehen.

»Heavens, wer will diese Ka-

schemmen denn alle besuchen?« fragte Gregg.

Joe zog die Schultern hoch.

»Keine Ahnung. Vielleicht sind die Leute hier alle durstig und machen abends eine Wanderung durch die einzelnen Bars.«

Dröhnendes Gehämmer von Musikkästen, die jaulend, da zu dicht aufeinanderstehend, ihre unrhythmischen Melodien in die Nacht hinaus stampften, girrendes Frauenlachen, vermischt mit brüllendem Gegröle aus rauhen Männerkehlen, Gläsergeklirr, Schreien, Fluchen und Pfeifen – alles vereinigte sich zu dem Song of Dodge, wie der Gambler Holliday es einmal genannt hatte.

Diese nicht einmal sehr große Stadt hatte etwas besonderes. Ganz zweifellos strahlte sie irgendwie magische Anziehungskraft auf die Menschen dieses Landes aus. Und der Hinweis einiger Historiker, das sei nur auf die Viehtrecks und die Verladestation zurückzuführen gewesen, muß mit der Bemerkung abgewiesen werden, daß es in den siebziger Jahren viele sogenannte Trail-Endstationen gab, auch am Arkansas. Aber keine blühte auf wie Doge City.

Nie wieder sollte die alte Treibherdenstadt diesen Glanz erleben, diesen Zustrom von Menschen, und nie wieder würde die Luft in ihren Straßen, die nach Rinder, Leder, Durham-Tabak, Pferden und Pulverrauch roch (so Doc Holliday!) ein Geruchsgemisch von ähnlich suggestiver Anziehungskraft auf die Menschen haben.

Vorm Marshals Office brannte ein Windlicht.

Joe sah es sofort – und sah auf der Fensterscheibe auch den großen Fünfzack, eingerahmt in ein Wappen, das er an der Brust des Marshals gesehen hatte.

Gregg starrte auf das im leichten Abendwind hin und her schaukelnde Licht und auf das große milchige Fenster mit dem Stern. »Was er wohl so früh in Garden City gewollt haben mag?«

Auch Joe hatte schon darüber nachgedacht.

»Keine Ahnung. Was ein richtiger Wolf ist, der streunt durch die Gegend. Vielleicht war er hinter irgendeinem armen Burschen her, der eine Kugel zu schnell abgegeben oder ein Messer zu rasch auf die Reise geschickt hatte. Diese Schufte sind immer hinter einem her.«

»Vielleicht wird er eines Tages auch hinter uns her sein, Joe.«

Der »denkende« Harper schüttelte den Kopf.

»Das werden wir nicht riskieren, Boy. Er wird keine Zeit mehr dazu haben. Jetzt, in dieser Stunde, sind die Männer in die Stadt eingeritten, die ihn auslöschen werden. Die ihn mit einem einzigen Messerstich oder einer Kugel vernichten werden.«

Er warf den Kopf ins Genick und sog die Dunstwolkenschleier, die aus dem Billuk Saloon strömten, tief und voller Behagen ein.

»Riechst du was, Gregg?«

Der Bursche mußte seinen Blick gewaltsam von dem Marshals Office losreißen.

»Damned, ich gäbe was drum, Joe, wenn wir schon wieder weg wären. Die Stadt – ist mir unheimlich.«

»Da!« Joe stieß ihn an. »Mach die Augen auf. Da siehst du die berühmteste Schenke des ganzen Westens.«

Neben einem größeren Haus war ein kleiner Saloon, der allerdings einen sauberen Eindruck machte. Vorn links auf der großen Scheibe stand mit gewaltigen roten Lettern:

LONG BRANCH SALOON

Gregg hatte den Kopf gewandt, und seine Lippen murmelten fast andächtig: »Long Branch Saloon!«

Dann fiel ihm der Löwe ein, der ja in dieser Höhle sitzen sollte.

»Zounds! Doc Holliday! Er sitzt da drin! Und hier ist es hell wie in einem Zimmer! Jedes Fenster dieser verdammten Straße scheint erleuchtet zu sein. Komm, wir verziehen uns da hinüber an den dunklen Bau hinter den Schienen.«

Der andere schüttelte den Kopf.

»Ich denke nicht daran. Da kann es gefährlich sein. Hier nicht. Du hast die falsche Betrachtungsweise, Boy. Da drüben wohnt Wyatt Earp – und hier Doc Holliday. Wir sitzen mitten drin. Sicher wie in Abrahams Schoß. Was kann uns hier passieren?«

Er rutschte aus dem Sattel und band sein Pferd an dem großen vierkantigen Zügelholm der Schenke

an.

Gregg folgte ihm und blickte mit weiten Augen durch das Fenster in den Saloon.

Da schien alles sehr ruhig vor sich zu gehen, obgleich der Schankraum zum Brechen voll war.

Joe holte sein Rauchzeug aus der Tasche und drehte sich in aller Gemütsruhe eine Zigarette, so als stünde er daheim an einem Weidenzaunpfahl.

Als das Zündholz aufflammte, zuckte Gregg zusammen.

»Du hast schlechte Nerven, Boy. Vielleicht hätten wir dich doch auf die Schule in Quincy schicken sollen, wo man Reverend oder Lawyer wird. Gar nicht schlecht. Vielleicht können wir eines Tages sogar einen Anwalt brauchen…«

Er war von einem euphorischen Berauschtsein erfaßt, der Bandit Joe Daniel Harper. Nun war er in Dodge, mitten in dem Dodge des berühmten Sheriffs Earp! Er stand vor dem Spielsaloon, in dem der große Gambler Holliday seine Karten mischte, wählte und auf den grünen Samt warf. Und er, der Desperado Joe Daniel Harper, war mit einem Vorsatz in die Stadt gekommen, den kein anderer Mann vor ihm gehabt hatte.

Es waren viele Männer nach Dodge gekommen, um mit dem Marshal »abzurechnen«, andere waren nur deshalb gekommen, weil sie sehen wollten, wie schnell er tatsächlich zog – aber alle waren sie geschlagen worden.

Und das war das Besondere an Joe Harper. Er war gekommen, weil er den großen Wyatt Earp aus seiner eigenen Stadt entführen wollte!

»Wollen wir tatsächlich hier in der Festbeleuchtung auf Clint und Charly warten?«

»Natürlich. Das heißt, zumindest unsere Pferde lassen wir hier, denn hier stehen sie sicher.«

Langsam gingen sie dann die Straße wieder zurück, schlenderten über die überdachten Stepwalks, die sich von einem Haus zum anderen zogen, bis sie fast das Ende der Frontstreet erreicht hatten.

»Santa Fé soll größer sein«, sagte Joe, der sich immer noch nicht von seinem berauschten Gefühl hatte lösen können.

»Ich wollte, ich wäre oben auf dem Pineridge Plains«, krächzte der andere. Dann blickte er über die Straße, die am Fluß entlang nach Westen führte.

Hufschlag mehrerer Pferde war zu hören.

»Das sind sie«, stieß Gregg aufgeregt hervor.

»Unsinn«, knurrte Joe. »Sie können noch nicht hier sein. Ich habe Clint gesagt, daß er sich Zeit lassen soll. Wenn er gegen halb zwölf da ist, ist es in Ordnung.«

Es war ein Reitertrupp, der von Nordwesten über die Prärie auf die Fahrstraße zuritt. Cowboys von einer nahegelegenen Farm, die in der Stadt noch einen Drink nehmen wollten.

Als Gregg sich umwandte, sah er den Bruder schon ein ganzes Stück von sich entfernt einen Weg zu einem kleinen Hügel hinaufsteigen.

»Joe, wo willst du hin?«

Aber der wandte sich nicht um. Er wollte auf den Hügel, um von seiner flachen Kuppe aus die Stadt zu betrachten. Die Frontstreet mit ihren vielen Lichtern, die schimmernden Bahngleise, den Fluß. Aber als er den Hang erklettert hatte, hielt er inne und blickte mit engen Augen auf die Kreuze und Steine, die da über die ganze Hügelkuppe verbreitet vor ihm lagen.

Der Boot Hill!

Der berüchtigte Stiefelhügel von Dodge City!

Gregg war dem Bruder gefolgt, blieb zwei Schritte hinter ihm stehen und sah entgeistert auf das düstere Bild.

»Der Graveyard«, brach es heiser von den Lippen des Burschen. »Auch das noch!«

Er wandte sich schaudernd ab. Und plötzlich erinnerte sich der jüngste der Harpers daran, daß Jonny Triggere, der damals auf der Harper Ranch gearbeitet hatte, vom Dodger Boot Hill erzählt hatte. Er hatte von Steve Loughan erzählt und von dem Mörder Calaghan, die hier liegen sollten. Vor allem aber von dem Mörder Milt Rice.

Damned, hatte Wyatt Earp sie nicht hierhergebracht?

In diesem Augenblick spürten die beiden Harper Brothers beide das düstere Omen; aber sie begriffen es nicht.

Joe nicht, weil er zu sehr von dem Gedanken an den bevorstehenden Coup geblendet war, und Gregg nicht, weil er zu jung war.

Sie standen nebeneinander und blickten auf den im Sternenlicht flimmernden Arkansas River.

Joe stieß den Bruder an.

»Ich glaube, jetzt kommen sie.«

Ja, es war der Hufschlag zweier Pferde. Die beiden Tramps liefen zur Fahrstraße hinunter.

Joe hatte sich nicht geirrt. Es waren Clint und Charly.

»Wie sieht’s aus?« fragte Clint.

»Fürchterlich«, sagte Gregg. »Eine scheußliche Stadt. Reite ein paar Schritte weiter, dann siehst du eine Straße, wie du noch nie eine gesehen hast. Saloon an Saloon, Spielhölle an Spielhölle, Dancingroom an Dan-

cingroom.«

Clint trieb seinen Gaul vorwärts. Als er in die Frontstreet sehen konnte, hielt er inne.

»Heavens! Das viele Licht! Und – damned, wo ist denn die andere Straßenseite?«

»Die ist in den Fluß gerutscht«, spöttelte Joe.

Charly stieg ab. »Wo habt ihr eure Pferde?«

»Vorm Long Beach Saloon«, erklärte Joe.

Jetzt rutschte auch Clint aus dem Sattel.

»Habt ihr ihn schon gesehen?«

»Wen?«

Clint fletschte die Zähne, dann nahm er seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie umständlich.

»Wen schon, Wyatt Earp natürlich.«

»Glücklicherweise noch nicht«, sagte Gregg.

Joe knurrte. »Laßt euch von diesem Feigling nicht irre machen. Wenn es ihm nicht paßt, was wir vorhaben, dann soll er verschwinden.«

Clint meinte: »Ein bißchen mulmig ist die Sache ja, aber ich bin selbstverständlich dabei.«

»Ich auch«, krächzte Charly.

»Was heißt mulmig?« meinte Joe. »Es wird der große Coup. Ganz Kansas wird davon sprechen. Und wenn der Marshal nicht mehr zurückkommt, wird es Hunderte und Tausende von Leuten geben, die aufatmen. Männer wie wir, die frei sein wollen.«

»Du hast recht«, brummte Clint. »Etwas Besseres, als Wyatt Earp verschwinden zu lassen, können wir überhaupt nicht tun. Ich hasse sie alle, die Burschen, die mit dem Stern herumlaufen. Und da er der schlimmste ist, hasse ich ihn am meisten.«

»Wie geht’s jetzt weiter?« mischte sich Charly ein.

»Nur Ruhe«, mahnte Joe. »Ich habe schon einen Wagenplatz gefunden. Wir beide, Clint, werden ihn gleich einmal aufsuchen und eine geeignete Karre mitgehen lassen. Gregg bleibt auf der Straße, und Charly postiert sich vor der Wohntür des Hauses.«

Clint schob seinen Bruder beiseite.

»Du hast jetzt genug gedacht, Joe. Wenn gehandelt wird, bin ich an der Reihe. Es wird also jetzt folgendes geschehen: Ich gehe mit Joe in den Hof und werde einen Wagen beschaffen, der leise auf die Straße geschoben wird. Charly postiert sich an der Haustür, die in den Hof führt, und Gregg hält sich auf dem Vorbau neben dem Tor auf.«

Joe feixte, denn der Bruder hatte mit etwas anderen Worten genau das gleiche gesagt.

Die beiden Pferde von Clint und Charly wurden bei der Billuk Bar angebunden. Dann deutete Joe auf die verhältnismäßig schmale Einfahrt eines Wagenabstellplaztes, der dem Besitzer ganz sicher einen schönen Gewinn einbrachte, denn durchfahrende Trader und was sonst durch die Stadt zog und sich eine Nacht aufzuhalten gedachte – alles stellte die Wagen lieber in einen Hof als draußen auf die Straße. Daß der Wagen dort keineswegs sicherer stand, wußten die Leute nicht, allein der Gedanke, das Gefährt in einem Hof zu wissen, schien irgendwie beruhigend zu sein.

Die vier Outlaws waren auf ihren Posten.

Clint hatte einen mittelschweren Schooner gefunden, der eine Deichselbespannung für vier Pferde hatte.

Draußen war in diesem Augenblick die Luft gerade rein, aber da passierte es bei Charly: Die Haustür zum Hof wurde plötzlich geöffnet, und ein junger Mann trat pfeifend heraus.

Knackend sauste der schwere Revolver Charly Harpers auf seinen Schädel nieder.

Mit einem röchelnden Laut sank der Bursche in sich zusammen.

Charly packte ihn, lud ihn sich über die Schulter und brachte ihn zu Clint hinüber.

Da ließ er ihn auf den Boden nieder.

»Tot?« fragte der älteste der Harper Brothers.

Charly zog die Schultern hoch.

Clint nahm die Riemen aus der Tasche, die er in genügender Zahl für diese Zwecke bei sich trug, und fesselte den Stallknecht. Ein starker Knebel hinderte ihn daran, einen Laut von sich zu geben.

»Was soll mit ihm geschehen?«

»Ich werde ihn hinten irgendwo im Stall verstecken.«

Gregg, der bisher auf der Straße gestanden hatte, war in den Corral gekommen. Seine Hände umspannten den Unterarm Clints.

»Wo willst du mit ihm hin?«

Da zischte Clint den Bruder an:

»Verdammt noch mal, was machst du hier? Sieh zu, daß du auf deinen Posten kommst, sonst kannst du dich auch gleich neben ihn in den Stall legen.«

Mit einem blitzschnellen Griff hatte Gregg dem Bruder das Messer aus dem Gurt gezogen.

Clint, der den ohnmächtigen Peon schon aufgehoben hatte, ließ ihn rücksichtslos wieder fallen und wandte sich brüsk an den Bruder: »Was soll das?«

Bebend stieß Gregg hervor: »Du brauchst kein Messer, um den Jungen in den Stall zu bringen.«

Da holte Clint aus, und der Faustschlag traf Gregg wie ein Hammer am Jochbein. Er schwankte zur Seite und knickte in das linke Knie ein, federte aber sofort wieder hoch, senkte den Kopf nach vorn und rannte in dieser Haltung auf den Bruder zu.

Clint, der auf diesen Angriff nicht vorbereitet war, fraß diesen Stoß voll in seiner ganzen Wucht. Schwer nach Atem ringend, hängte er sich an den Wagen.

Joe trat dazwischen. »Was ist das hier für ein Lärm? Seid ihr verrückt geworden?«

Clint prustete: »Diese Memme hat mir das Messer weggenommen. Sage ihm sofort, daß er es mir wiedergeben soll.«

»Er will den Burschen auslöschen, Joe. Und das ist völlig überflüssig. Wenn hier in Dodge City einer stirbt, haben wir die ganze Meute am Hals, und wenn sie uns bis an die Küste folgen sollten. Ich kenne dieses Gesindel.«

Es blieb dabei, Gregg behielt das Messer und ging sofort mit Clint in den Stall, wo sie den Gefesselten hinter die Säcke in der Futterkammer legten.

Von jetzt an ging es »planmäßig« weiter. Die vier Verbrecher schoben den Wagen auf die Straße und spannten dort, wo der Schlagschatten tief und schwarz war, ihre Pferde an die Deichsel.

Clint hatte das Innere des Wagens untersucht. Da war Platz genug für alle und vor allem für den Mann, den sie mitzunehmen gedachten.

Alles war bereit. Clint führte den Wagen auf Joes Anweisung hinüber auf die andere Straßenseite. Kurz vor der Bridgestreet hielt er an.

»Gregg«, zischte er. »Du bleibst hier bei den Pferden.«

Sie huschten nicht davon, die drei Tramps, sondern gingen ruhig und gelassen, so, als gehörten sie hierher, und alles schien in Ordnung.

An der Ecke der Brückenstraße blieb Charly stehen. Joe betrat den Vorbau, und Clint ging unten auf der Straße ein Stück weiter.

Joe Harper ging so dicht an der Scheibe vorbei, daß er einen guten Blick ins Office hatte.

Aber drinnen war niemand zu sehen.

Dann standen die drei hinten beim Depot beieinander und berieten.

»Das ist schlecht hier«, schnarrte Joe. »Wir müssen hinüber zu den Kneipen und können uns da mit dem Rücken zum Licht auf einen Verandabalken lehnen.«

Mit gemischten Gefühlen begleiteten Clint und Charly ihren »denkenden« Bruder auf die andere Straßenseite.

Joe hatte den Nerv, direkt vor dem Long Branch Saloon stehenzubleiben.

Der Bursche drüben bei den Pferden spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken rann.

Auch Charly fühlte sich nicht allzu wohl in seiner Haut und wußte eigentlich nicht recht, warum.

Well, da drüben stand der gestohlene Wagen, aber er stand nicht mehr im Licht, und kein Mensch, selbst der Besitzer würde in der Finsternis nicht gesehen haben, daß es sein Wagen war, weil ein Gefährt ja dem anderen so sehr glich.

Die Geduld der drei Outlaws wurde auf eine harte Probe gestellt.

Eine halbe Stunde verging.

Aus den Schenken kamen und gingen Männer, und der Vorbau war eigentlich immer belegt.

Plötzlich öffnete sich auch die Tür des Long Branch Saloons.

Charly zog vor Erregung die Unterlippe zwischen die Zähne.

Joe blieb ganz steif an dem Verandabalken stehen.

Und Clinton Harper wandte sich um.

Geblendet von dem Licht, das aus der offenen Schauhaustür drang, sah er die von Tabakschwaden und Licht-reflexen gespenstisch umwebte Gestalt eines Mannes.

Er war groß, schlank und trotz der Blendung sah Clint, daß der Mann einen guten Anzug trug.

So wenig der Tramp einen klaren Blick in das Gesicht des anderen werfen konnte, so sehr deutlich sah der den Einäugigen vor sich.

Nein, Clinton Harper wußte nicht, daß der Mann, der da nur drei Yards vor ihm stand, Doc Holliday war.

Die zwei anderen wußten auch nicht, wer sich in ihrem Rücken befand.

Aber irgendwie lastete auf den drei Verbrechern ein ganz seltsamer Druck; eine unerklärliche Beklemmung hatte von ihnen Besitz ergriffen.

Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen. Der Georgier hatte die verbrauchte Luft aus den Lungen ausgestoßen und ein-, zweimal tief Atem geholt. Dann schlug die Tür wieder hinter ihm zu.

Joe wandte sich um, starrte auf die Tür und sah dann Clinton an.

»Mensch, mach den Mund zu.«

Charly richtete sich langsam auf, nahm sein Rauchzeug aus der Tasche und drehte sich mit nicht ganz ruhigen Fingern eine Zigarette. Wie lange sollen wir hier noch stehen, dachte er. Wer weiß, ob der Marshal überhaupt auf die Straße kommt? Und immer wieder waren Leute auf den Stepwalks.

Wer weiß, vielleicht ist Joes ganzer Plan falsch! Mit diesen Gedanken quälte sich Charly Harper, als er plötzlich von Joe so derb angestoßen wurde, daß das braune Papierchen mit den Durrhamfasern seinen Fingern entglitt.

»Da drüben«, zischte Joe.

Die Köpfe der Brüder fuhren hoch.

Drüben, im tanzenden Schein des Windlichts, stand ein Mann.

Groß, breitschultrig und schmalhüftig. Er trug einen schwarzen Hut, ein weißes Hemd, eine schwarze Weste und eine schwarze Hose.

Links auf seiner Brust blinkte der silberne Fünfzack.

»Das ist er«, krächzte Joe tonlos.

Fasziniert starrten die drei Verbrecher auf den Mann mit dem Stern.

Der setzte sich in Bewegung, trat auf die Treppe zu und schritt die Stufen langsam hinunter zur Straße.

Als er drei Yards zurückgelegt hatte, zuckte Charly zusammen wie unter einem Peitschenschlag.

»Der kommt auf uns zu!« brach es rostig aus seiner Kehle.

»Still«, zischte Joe.

Der Sternträger blickte nach links.

»Jetzt muß er Gregg sehen«, flüsterte Charly.

Als der Sternträger die Straßenmitte erreicht hatte, meinte Joe: »Das ist er!«

Er kam auf sie zu und bestieg langsam den Vorbau.

Charly, der ihm am nächsten stand, glaubte, man müßte sein Herz rasend hämmern hören.

Aber keiner der drei Banditen rührte sich.

Der Gesetzesmann warf einen Blick in den Long Branch Saloon, ging weiter, sah in die nächsten Schenken, ohne hineinzugehen, und überquerte dann die Straße langsam in Richtung auf das Depot.

Da stieß der Einäugige sich von dem Verandabalken ab und stieg von den Stepwalks hinunter. Als er glaubte, daß Gregg ihn sehen konnte, winkte er ihm.

Das Fuhrwerk setzte sich sofort in Bewegung.

Charly war weiter über die Vorbauten gegangen, um dem Sternträger auf jeden Fall die Straße nach Osten abzuschneiden.

Joe Harper aber blieb kaltblütig direkt auf seiner Fährte.

Hämmernd und stampfend drangen Melodiefetzen aus den Schenken auf die nächtliche Mainstreet.

Clint war schräg über die Straße gegangen und befand sich jetzt dicht neben dem herankommenden Wagen.

Joe blieb bei den Schienen stehen und sah, daß der Mann mit dem Stern auf den großen dunklen Bau (das Santa Fé Depot) zuging.

Auf der Höhe des Alhambra verließ Charly jetzt die Vorbauten.

Der Mann mit dem Stern war eingekreist. Auf eine unheimliche Weise hatte sich der lächerlich primitiv anmutende Plan des Banditen Joe Daniel Harper genauso erfüllt, wie der es sich vorgestellt hatte. Es war nichts als Zufall gewesen, verrückter, launischer Zufall.

Der Wagen hatte jetzt das Depot fast erreicht, und die Männer waren alle bei ihm zusammengekommen.

Der Mann mit dem Stern wollte die Straße wieder überqueren, und zwar kurz hinter dem Gefährt.

Der Einäugige, der rechts neben dem Wagen ging, grüßte noch brummig. Der Sternträger antwortete freundlich.

Joe konnte er in diesem Augenblick nicht sehen, weil der neben dem linken Hinterrad herging.

Der Wagen hatte passiert.

Da schnellte Joe Harper herum und hieb seinen Revolverkolben auf den Hinterkopf des Gesetzesmannes.

Blitzschnell waren Clint und Charly Harper da. Der Überwältigte wurde gefesselt und geknebelt und in den Wagen gezerrt.

Im gleichen Tempo trotteten die Pferde mit dem Schooner weiter.

Der unglaubliche Coup der Harper Brothers war geglückt, und zwar nicht etwa durch die Klugheit ihres »denkenden« Familienmitglieds Joe, sondern durch eine Fülle aufeinandertreffender Zufälle.

Joe hätte einen Freudenschrei ausstoßen mögen, aber er beherrschte sich.

Ganz dicht nebeneinandergedrängt hockten die drei im Wagen.

Clint hatte seine Hände auf dem Rücken des Entführten.

Gregg war auf den Kutschbock gesprungen.

So rollte der vierspännige Schooner unbemerkt durch die Frontstreet aus der nächtlichen Stadt hinaus.

*

Sie hatten fast schon eine Meile auf der Uferstraße nach Osten hin zurückgelegt, als Clint krächzte:

»He, hoffentlich ist er das auch!«

»Darauf kannst du dich verlassen!« gab Joe zurück.

»Trotzdem«, fand Charly, »werde ich mal ein Streichholz anzünden.«

»Noch nicht!« knurrte Clint. »Wer weiß, wer hier auf der Straße reitet. Wir wollen noch ein paar Meilen weiter.«

»Nein.« Es war Joe, der es gesagt hatte.

»Weshalb nicht?«

»Weil der Wagen wieder in die Stadt zurück muß.«

»Was redest du da?«

»Yeah, der Wagen muß wieder in den Hof zurück. Denn wenn der Bursche morgen früh im Stallhaus hinten gefunden wird, darf auf dem Platz kein Wagen fehlen. Denn das wäre genau das, was die Hunde sofort auf unsere Spur hetzen würde.«

»Aber das hat doch niemand gesehen!« meinte Charly.

»Wie willst du das wissen? Auf den Stepwalks befanden sich ständig Leute. Natürlich haben sie sich in dem Augenblick nicht für uns interessiert, aber wenn bekannt wird, daß aus dem Wagenabstellplatz ein

Schooner gestohlen wurde, werden sich vielleicht plötzlich einige Beobachter melden. Nein, der Wagen muß zurück, und zwar gleich.«

»Aber der Mann – was soll mit ihm werden?«

»Du nimmst ihn aufs Pferd, Charly. Du bist der leichteste von uns und hast einen starken Klepper.«

In dem Burschen stieg Unbehagen aus.

»Der leichteste von uns ist Gregg, das wißt ihr genau. Aber ihr wißt auch, daß er Angst vor dem Marshal hat. Aber ich! – Ich soll ihn aufs Pferd nehmen, diesen gefährlichen Burschen. Ihr Feiglinge! Weshalb nimmt Clint ihn nicht auf den Gaul oder Joe, he?«

Joe gab ihm einen Stoß mit dem Ellbogen, daß er aus seiner Hockstellung kippte und an der Bordwand des Wagens entlangrutschte.

»Du hältst das Maul, Charlyboy! Hier tut jeder, was seine Pflicht ist. Clint und ich bringen den Karren zurück.«

Clint zuckte zusammen.

»Ich?«

»Wer sonst?« krächzte Joe. »Wir beide sind die kräftigsten. Gregg und Charly reiten langsam zweihundert Yards nördlich von der Straße weiter.«

Charly knirschte: »Verdammt, ich hätte ihn gern mal gesehen.«

Joe riß ein Zündholz an.

Der Gefangene lag zusammengeschnürt wie ein Paket mit dem Gesicht gegen die Bordwand des Wagens.

Clint und Charly zerrten ihn herum.

Dabei war das Zündholz schon verloschen.

»Augenblick«, sagte Joe, sah hinten aus dem Wagen, und da er weit und breit niemanden sehen konnte, riß er noch ein zweites Zündholz

an.

Der winzige Lichtschein huschte über das Gesicht des Gefangenen.

»Er ist es!«

Joe hatte es fast geschrien. Ein unendlicher Triumph stieg in dem Verbrecher auf.

»Damned, Boys, das ist seit der Festnahme Cochises der berühmteste Gefangene, der je in diesem Land gemacht wurde.«

Der Gefesselte hatte die Augen geschlossen. Er rührte sich nicht.

Als das Zündholz erloschen war und als winziger Glutpunkt zwischen den Fingern Joes erstarb, starrte Clint dahin, wo er gerade noch das Gesicht des Gefangenen gesehen hatte.

»Damned«, keuchte er. »Charly wird ihn doch nicht erschlagen haben?«

»Den erschlägst du nicht so rasch«, beruhigte ihn Joe.

Der Wagen rumpelte noch eine Weile weiter, dann gab Joe das Zeichen anzuhalten.

Rasch wurden die beiden Pferde ausgeschirrt, die Gregg und Charly brauchten, der Gefangene zu Charly aufs Pferd gehoben und der Wagen gewendet.

Wieder trennten sich die vier Banditen.

Gregg und Charly ritten mit ihrem Gefangenen weiter, während die beiden anderen auf dem Kutschbock des Wagens saßen und der wieder näherrückenden Stadt mit wenig angenehmen Gefühlen entgegenblickten.

Clint lenkte den Wagen direkt in den Hof, während Joe neben der Tür wachte.

Die Pferde wurden ausgespannt. Clint machte es so geräuschvoll, daß Joe einen Stein aufhob und zu ihm hinüberwarf.

»Idiot!« zischte er.

Endlich war die Arbeit getan.

Die beiden führten ihre Gäule aus dem Hof und ritten langsam nach Westen aus der Stadt. Als sie die letzten Häuser hinter sich hatten, bogen sie nach Norden ab.

»Siehst du den Hügel da drüben?«

Clint wandte den Kopf. »Was ist damit?«

»Das ist der Boot Hill von Dodge!«

Clint hätte dem Bruder am liebsten seine Antwort mit den Fäusten gegeben, aber der lenkte nach Nord-osten hinüber zum Nordrand der Stadt, blieb im Trab und erreichte etwa dort, wo sie den Wagen gewendet hatten, wieder die Fahrstraße nach Osten.

Sie ritten fünf Meilen, Clint direkt auf der Straße, und Joe hielt sich etwa fünfzig bis achtzig Yards nördlich davon.

»Damned!« knurrte Clint vor sich hin. »Die Hunde sollten doch langsam reiten.«

Endlich hörte er Joe einen Pfiff ausstoßen.

Die beiden anderen waren vor ihnen.

Clint verließ die Straße und folgte Joe.

»Alles in Ordnung?« fragte Gregg mit bebendem Unterkiefer.

»Yeah – und bei euch?«

»Alles klar. Der Bursche rührt sich nicht.«

»Vielleicht hast du ihn doch er…«

»Unsinn. Er lebt, das weiß ich. Er atmet nämlich, und das kann ein Toter ja wohl beim besten Willen nicht.«

Nach neun Meilen ließ Clint anhalten.

»Wir machen eine kurze Rast. Ich habe Durst. All die vielen Schenken der Stadt, der Geruch von Whisky und Bier – ich habe höllischen Durst.«

Sie tranken aus ihren Campflaschen, und dann ging es weiter.

Joe sah jetzt ein, daß er einen Fehler gemacht hatte. Oder besser: Von den vielen Fehlern, die er gemacht hatte, wurde ihm jetzt einer deutlich. Er hätte vorher das Gebäude auskundschaften müssen. Wo sollten sie jetzt bleiben?

Hier, mitten in der Prärie?

Ausgeschlossen, das Land war flach hier in der Flußniederung, und Berge schienen sich erst fern im Norden aus der Ebene zu erheben.

Die Yellow Hills im Nordosten sahen sie nicht, die Nacht war zu düster, der Himmel wolkenverhangen und nur von wenigen blitzenden Sternen erhellt.

Drei Bäche hatten sie schon durchquert – plötzlich tauchte das silberne Band eines größeren Creeks vor ihnen auf.

Clint trieb sein Pferd hinein – und rutschte ab.

»Damned!« schrie er und vermochte sich nur mit Mühe am Ufer zurückzubringen.

Triefendnaß stand er da und starrte auf seinen Gaul, der wild schnaubend am Ufer hochstieg.

»Was jetzt, Mr. Joe?«

Joe entgegnete: »Wir reiten hier am Ufer nach Norden.«

»Und wie lange?«

»Bis ich eine Furt entdeckt habe.«

Die Furt fand er schon nach einer halben Meile.

Dann ging’s weiter nach Osten.

Clint hielt eine halbe Stunde später an und deutete auf einen hellen sandigen Streifen, der von Norden herunterzukommen schien.

»Ein Weg!«

Joe hatte sofort festgestellt, daß es eine regelrechte Overlandstraße war.

»Wir reiten ein Stück darauf nach Norden.«

Es wurde drei Uhr.

Gegen vier entdeckte Clint, der wie meistens voranritt, ein Haus.

»By gosh! Da brennt noch Licht!«

»Eine Pferdewechselstation«, stieß Joe hervor, der ihm dicht auf folgte.

»Und?«

»Wir werden hierbleiben«, entschied der »denkende« Harper.

»Auf der Station?« krächzte Charly. »Mit dem Gefangenen?«

»Yeah.«

»Bist du noch gescheit? Der Stationsmeister kennt den Marshal todsicher und wird alles tun, ihn loszuwerden.«

»Er wird sich hüten, und außerdem werden wir ihn energisch daran hindern.«

Clint und Joe sprangen von den Gäulen und stießen die Tür auf.

Der vierundsechzigjährige Bill Norman schrak zusammen und starrte die Banditen aus großen, schreckgeweiteten Augen an.

»Hör gut zu, Alter«, begann Joe, während Clint den Colt auf den Alten richtete. »Wir haben einen Gefangenen, für den wir einen sicheren Platz brauchen. Hinter dem Stall ist eine Gerätekammer. Schließ sie auf!«

Zitternd nahm der Alte den Schlüssel und trottete dann den Banditen voran.

Charly ließ den Gefangenen zu Clint hinunter, stieg dann ab und durchsuchte das Haus.

Der Gefesselte wurde in den Schuppen gebracht und auf die Bretter gelegt, die fast die Hälfte des Raumes ausfüllten und dazu dienten, die Gatternhölzer des Corrals, die von den Pferden immer wieder zerschlagen wurden, auszubessern.

»Gregg, du bleibst hier vor dem Schuppen!« befahl Clint.

»Weshalb ich?« krächzte der jüngste Harper.

»Weil ich es gesagt habe!«

Die anderen gingen ins Haus.

»Wir werden da auf dem Boden schlafen, Joe«, meinte Clint, »während Charly mit dem Alten eine lange Pokerpartie machen kann.«

»Wann kommt die nächste Overland?« wollte Joe wissen.

Der Alte rieb sich den Schädel. »In einer Viertelstunde.«

»Was? Und das sagst du uns erst jetzt, Mensch?«

Sofort brachten die Banditen ihre Pferde aus dem Corral in den Stall, ließen alles verschwinden, was ihnen gehörte, und verkrochen sich im Haus.

Clint blieb unten hinter der Tür zur Nebenkammer, Joe verschanzte sich im Vorraum hinter einem Schrank.

Und Charly stieg auf den Boden, wo er sich in die offene Luke legte und das Gewehr bereithielt.

»Denk daran«, mahnte Joe den Alten, »wenn du den Kreis verläßt, wirst du niedergeknallt. Hinten paßt unser Kleiner auf, vorn der Mann oben in der Luke, ich hier – und drinnen und zur anderen Seite des Hauses der Lange. Kein Wort, das uns mißtrauisch machen kann! Keine dumme Bewegung! Alles wie sonst auch! Sonst erlebst du den Morgen nicht mehr, Grandpa!«

Der »Grandpa« war entschieden an einem Weiterleben interessiert und verhielt sich ruhig, als die Overland kam. Zwar zitterten ihm die Beine, als der Beifahrer zum Brunnen ging und ihm zurief, den Eimer zu bringen, aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben, und rief zurück:

»Komm her, Jeff, und hol ihn dir, ich habe mir den Fuß verstaucht.«

Jeff holte sich den Eimer selbst. Dabei kam er so nahe an Joes Versteck, daß sein Leben nie ernstlicher in Gefahr war als in diesem Augenblick.

Der Driver knurrte: »Ein Halfter ist gerissen, Bill – du wirst mir ein neues geben müssen!«

Der Alte schrak zusammen. Das ganze Lederzeug war hinten im Geräteschuppen.

»All right«, stammelte er, »bleib hier, ich hole es dir.«

Damit lief er hinaus.

Jeff Candelar sah ihm mit engen Augen nach.

»He, der kann ja plötzlich mit seinem verstauchten Fuß laufen wie ein Apache!«

Der Stationshalter murmelte, als er zum Schuppen ging: »Ich muß ein neues Halfter holen und mache deshalb die Tür zum Geräteschuppen auf…«

Gregg hatte sich in den äußersten Winkel der Bude gepreßt. In beiden Händen hielt er die Revolver schußbereit.

In der Tür erschien der Alte.

Und dann tauchte plötzlich hinter ihm ein Schatten auf.

Candelar, der Beifahrer.

»He, Bill – ich denke, du hast dir den Fuß verstaucht. Ist was nicht in Ordnung?«

Der Alte stand steif vor Schreck da.

»Doch – ja, ja… Hier, los, nimm das Halfter! Verschwinde!«

Kopfschüttelnd zog der Beifahrer mit dem Halfter ab.

Der Alte mußte sich einen Augenblick gegen die Schuppentür lehnen, weil seine Beinen nachzugeben drohten.

Endlich rollte die Overland weiter.

Die Tramps kamen aus ihren Verstecken heraus.

Nur Gregg hockte in der Ecke des Geräteschuppens, die Colts in den vorgestreckten Fäusten.

»Angst, Kleiner?« hörte er da plötzlich die Stimme des gefesselten Mannes von den Brettern her.

Er schrak zusammen, als sei er von einem Bullpeitschenschlag getroffen worden.

»Wieso – können Sie sprechen?«

»Weil ich das dreckige Tuch ausgestoßen habe, Boy.«

Gregg vermochte sich aus seiner kauernden Stellung nicht zu erheben, so hatte ihn der Schock gelähmt.

»Aber – als der Mann hier war – weshalb haben Sie sich nicht gerührt?« brachte der Bursche fassungslos hervor.

»Weil ich dann riskiert hätte, daß du Nervenbündel den armen Teufel niedergeknallt hättest«, entgegnete der Gefangene ruhig.

Gregg brauchte Sekunden, um das zu verdauen. Hell an fire! Hatte der Mann harte Nerven – und Überlegung.

Yeah, das war wirklich der große Marshal Earp.

»Boy!«

Gregg zischte. »Was wollen Sie?«

»Du könntest mir einen Gefallen tun. Ich liege auf einem Brett, aus dem bestimmt fünf Nägel hochstehen. Zieh mich ein Stück weiter von der Wand.«

»Nein! Nein! Das ist ein Trick! Ich kenne Sie. Sie sind bekannt dafür, daß Sie tausend Tricks…«

»Feigling!« kam es ihm aus dem Dunkel entgegen.

Da zerrte sich der Bursche hoch, trat zu dem Gefangenen und hieb ihm die flache Hand ins Gesicht.

Ein verächtliches leises Lachen schlug ihm entgegen.

»Auch das kann nur ein Feigling tun, Boy.«

»Ich bin nicht Ihr Boy! Und das Lachen wird Ihnen schon vergehen, Marshal! Das schwöre ich Ihnen!«

Die Tür flog auf, und Joe stand in ihrem Rahmen. Er starrte in das für ihn im Augenblick undurchdringliche Dunkel und rief:

»Gregg?«

»Ja…«

»Was war los?«

»Nichts…«

»Ich habe doch ein Geräusch gehört?«

Gregg krächzte. »Du träumst.«

»Hat er sich gerührt?«

»Nein.«

Joe nickte und schob die Tür wieder hinter sich zu.

Gregg lauschte seinen Schritten nach. Dann wandte er den Kopf zur Seite:

»Und weshalb haben Sie jetzt auch geschwiegen?«

»Weil der Bursche dir die Ohrfeige sonst ziemlich rauh zurückgegeben hätte«, entgegnete der Gefangene.

»Joe? Er ist mein Bruder.«

»Eben. Und daß er Feiglinge nicht leiden kann, weißt du so gut wie ich.«

»Mr. Earp!« knurrte der Bursche. »Sie sind unser Gefangener…«

»Denk dir, Gregg, das ist mir schon aufgefallen.«

»Der Spott wird Ihnen noch vergehen! Und wenn Ihre Freunde gezahlt haben, ist es aus mit Ihnen!«

Gregg zog sich wieder in den Hintergrund des Schuppens zurück, weil er Schritte auf dem Hof vernommen hatte. Es war Clint, der einen Rundgang machte und die Gäule anschließend aus dem Stall holte und in den Corral brachte.

Eine halbe Stunde verging.

Da erhob sich Gregg, tastete sich zu dem Gefangenen vor und zerrte ihn ein Stück von der Wand weg.

»Thanks, Boy. Ich werde es mir für die Abrechnung vormerken.«

»Es gibt keine Abrechnung mehr, Earp«, entgegnete der Bandit zischend. »Joe und Clint haben Ihren Tod beschlossen. Und was meine Brüder beschlossen haben, ändert niemand mehr.«

*

Kurz vor elf kam ein Reiter in voller Karriere in die Frontstreet. Die vielen Lichter aus den Saloons und Spielhöllen interessierten ihn nicht im mindesten. Er hielt direkt auf das Marshals Office zu und brachte sein Pferd in einer Wolke von Staub zum Stehen.

Es war genau sieben Minuten bevor Gregg und Joe Harper in die Stadt einritten, um ihren »großen Coup« zu starten.

Der Reiter warf sich aus dem Sattel, setzte mit einem einzigen Satz über die Vorbaustufen und stürmte auf das Office zu.

Es war zwar erhellt – schien aber leer zu sein.

Da wurde die Tür zum Nebenraum einen Spaltbreit geöffnet.

Das bullige Gesicht des Chief Deputys William Bat Masterson kam zum Vorschein.

»Bat! Wo ist der Marshal?«

»Nicht da. Was gibt’s?«

»Rustler sind auf meiner Weide. Wenistens sechs Kerle! Sie sind dabei, das Vieh abzutreiben. Meine beiden Jungen und ich können sie nicht aufhalten…«

»Right, ich komme, Miller.«

Masterson ging in den daran anschließenden Raum und trat an die Pritsche, auf der ein hochgewachsener breitschultriger Mann schlief, der Wyatt Earp zum Verwechseln ähnlich sah.

»Morg!«

Ja, es war Morgan Earp, Wyatts jüngster Bruder, der zu Besuch nach Dodge gekommen war und wie immer bei solchen Gelegenheiten dem Bruder bei der Arbeit half.

»Ich muß auf die Miller-Ranch, Morg. Tilgman ist unten am Flußcamp, wo sich die Boys an den Haaren haben. Potts ist zu Hause, weil er achtundvierzig Stunden hintereinander in den Corral Staub geschluckt hat, und Kid…«

»Schon gut!« Morgan fuhr sich durchs Haar, erhob sich, zog sich an und winkte Masterson zu, der aus der Hintertür in den Hof stürzte, um sein Pferd aufzusatteln.

Kurz darauf sprengte er mit dem alten Miller aus der Stadt.

Morgan warf, noch schlaftrunken, einen Blick auf die Uhr und ging dann in den Hof, um die Stallaterne zu löschen, das Tor zu schließen und die beiden Sättel aufzuheben, die der Chief Deputy seines Bruders in der Hast vom Balken gestoßen hatte.

Dann ging er die Brückenstraße hinunter an Blacks Mietstall vorbei zum Kornspeicher der Henderson Company.

Als er zurückkam, waren die beiden Harpers schon in der Stadt, sie waren schon auf dem Boot Hill und warteten jetzt auf Clint und Charly.

Eine Frau trat ins Office.

»Marshal – bitte, Sie müssen sofort kommen. Zwei betrunkene Büffeljäger sind in unserem Hof und schlagen alles kurz und klein. Mein Mann ist im Krieg gefallen, Sie wissen ja – und meine beiden Jungen sind noch in der Schule und…« Die Frau trat näher. »O Gott!« Sie schlug die Hand vor den Mund.

»Jetzt hätte ich geschworen, daß Sie der Marshal sind…«

»Ich bin sein Bruder, Morgan.«

»Ja – stimmt ja. Ich habe Sie schon gesehen, Mr. Morgan…«

Morg ging mit ihr, transportierte die beiden Angetrunkenen aus dem Hof, und als er von diesem Gang zurückkam, waren die Harpers eben damit beschäftigt, den Wagen zweihundertfünfzig Yards weiter westlich aus dem Hof zu schieben.

Morgan Earp war hundemüde. Er war am späten Nachmittag von Santa Fé herübergekommen. Ein Dreihundertmeilenritt, der selbst einen geübten Reiter anstrengte.

Er legte sich auf Wyatts Pritsche in der Nische vorn im Office und nickte sofort ein.

Aber irgendein Geräusch schreckte ihn bald wieder hoch. Er stand auf und ging hinaus. Todmüde verließ er den Vorbau und ging zum Long Branch Saloon hinüber.

Und alles, was danach geschah, wäre einem ausgeruhten, wachen Morgan Earp nie passiert…

*

Gegen zwei Uhr kam von Süden durch die Brückenstraße ein Reiter. Er saß nach Cowboyart im Sattel und stieß vom Sattel aus die Hoftür des Marshals Office auf.

Die Stallampe flackerte blakend und warf einen geisterhaften Schein auf das markante Gesicht des Mannes.

Wyatt Earp war zurückgekommen; er hatte einen Mann gejagt, der in der Chestnutstreet eine Frau niedergeschlagen und völlig ausgeraubt hatte. Eine Frau von sechzig Jahren. Aber sie hatte das Gesicht des Mannes gesehen, ehe sie umsank, und es dem Marshal beschreiben können.

Es war ein kleiner breit gebauter Mann mit blätternarbigem Gesicht und dunklen Augen. Über seinem rechten Auge war eine blutrote Narbe.

Wyatt hatte sich sofort mit seinem jüngsten Deputy, Kid, aufgemacht und nach dem Banditen gefahndet.

Die Spuren wiesen nach Westen.

Aber schon in Garden City verloren sie sich.

Er mußte also über den Fluß gegangen sein.

Am Ausgang von Garden City war der Missourier den beiden Harpers begegnet, ohne natürlich zu ahnen, welche Rolle die beiden Verbrecher noch zu spielen gedachten. Allein sein auf Banditen geeichter Spürsinn hatte sich sofort gemeldet. Aber die beiden hatten nichts ausgefressen, und es lag kein Grund vor, sie festzusetzen. Außerdem war er hinter Jim Barring her. Den Namen hatte er am Abend vorher von einem Schmied erfahren.

»Yeah, Marshal, der Bursche war hier. Ich kenne ihn. Er heißt Barring und streicht wie ein Kojote durch die Gegend…«

Am späten Abend hatte Wyatt Earp ihn siebzehn Meilen südlich vom Fluß in einer Schenke der Ortschaft Vascolin gefunden, die aus fünf ganzen Häusern bestand.

Barring sah den Marshal – und zog sofort den Colt.

Das war sein Pech. Mit zerschossener Hand landete er im Jail des Sheriffs von Vascolin.

»Ich lasse ihn morgen abholen«, hatte Wyatt Earp gesagt und sich sofort auf den Heimritt gemacht.

Jetzt brachte er seinen Tupfschimmel in den Stall und sah nach seinem Rappenhengst, der in der ersten Box stand. Und wie immer, wenn er allein im Stall bei seinen Tieren stand, überkam ihn für einen Augenblick der wehmütig stimmende Gedanke an seinen unvergleichlichen Schwarzfalben, den ihm niemand anders als der große Bandenboß Ike Clanton unten in Flaminias zusammengeschossen hatte.

Er verließ den Stall, durchquerte den kleinen Hof und trat durch die Hintertür ins Haus.

Als er seinen Hut auf den Wandhaken geworfen hatte, steckte er sich eine Zigarre an und wollte kurz nach dem Bruder sehen, über dessen Besuch er sich so gefreut hatte.

He! Wo war er denn?

Morgan war wie Wyatt kein Freund von Alkohol und auch kein Mensch, der nicht vom Pokertisch wegzubringen war. Zudem mußte er doch zum Umfallen müde sein.

Der Missourier sah sich in dem verwaisten Office um.

Nichts.

Auf dem Tisch lag Bat Mastersons erloschene holländische Ritmesterzigarre.

Wyatt nahm seinen Hut und verließ das Office durch die Hoftür.

Ein sonderbares Gefühl hatte ihn beim Anblick der leeren Pritsche in dem kleinen Raum erfaßt.

Ein Gefühl, das er genau kannte und das ihn nie getrogen hatte.

Es ist etwas passiert!

Wo ist Morg?

Er suchte ihn in der Frontstreet, blickte kurz unten in den eleganten Spielsalon des Dodge House Hotels, wo die hübsche Francis Durriage an der Theke stand – die, wie Wyatt wohl wußte, dem Bruder nicht eben mißfiel.

Die junge Frau sah zur Tür und wurde flammendrot, als sie den Mann erkannte, der hereinkam.

Wyatt Earp! Ihr heimlicher Schwarm. Gab es doch für sie, nirgends im County und überhaupt nirgendwo im Westen einen Mann wie ihn!

Aber er machte sich nichts aus ihr. Ginger Priestley, ihre Freundin, hatte ihr erzählt, daß der Marshal mehr Interesse an Jenny Bonames, der Tochter eines großen Ranchers im Süden der Stadt hätte. Und dann hieß es seit einiger Zeit, daß die schöne Nellie Cashman unten im fernen Tombstone sein Herz erobert hätte.

Francis Durriage nahm die Hände von den beiden Gläsern, die sie gerade hatte wegstellen wollen, wischte sie rasch an der Schürze ab und kam dem Missourier entgegen.

»Mr. Earp…!« Sie sah ihn aus großen bernsteinfarbenen Augen an.

Der Marshal blickte über sie hinweg und durchforschte den Raum.

»Morgan war nicht hier?«

Die Enttäuschung färbte das Gesicht der hübschen Frau augenblicklich einen Ton blasser. Sie senkte den Kopf.

»Morg? Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«

Wie hatte sie auch hoffen können, daß er ihretwegen gekommen war! Morg war ja heute gekommen…

Wyatt entschuldigte sich und ging wieder.

Er suchte anderthalb Stunden, immer wieder blickte er zwischendurch ins Office.

Aber Morgan blieb verschwunden.

Er blieb die ganze Nacht verschwunden.

Gegen sechs stand Wyatt auf, wusch sich im Hof am Brunnen und stieß in der Tür mit Bat Masterson zusammen.

»Hallo, Boß…«

»Hallo, Bat!«

»Morg schläft noch?«

Wyatt schüttelte den Kopf und nahm das blaue Handtuch von seiner muskulösen Schulter.

»Nein, er ist überhaupt nicht da. Ich dachte, Sie wüßten vielleicht, wo er steckt?«

»Ich…? Nicht da? Damned! Ich wurde heute nacht von Tub Miller geholt, ein paar Boys waren dabei, seine Kühe zu sortieren. Wir haben sie mit ziemlich viel Mühe und teuren Patronen vertrieben. Als ich zurückkam, war hier alles dunkel…«

Als der Earp-Bruder gegen Mittag noch nicht im Office war, stand der Marshal an der Tür und sah mit düsterem Blick auf die Straße.

»Ich habe es sofort gewußt, als ich das leere Bett sah. Er ist verschleppt worden.«

»Verschleppt worden…?« stotterte Masterson. »Heavens! Wer sollte ein Interesse daran haben, ihn zu verschleppen?«

»Keine Ahnung.«

Drüben auf den Stepwalks kam vom Dodge House her ein großer schlanker Mann im elegant geschneiderten grauen Anzug. Er hatte einen federnden Schritt und hielt im Mundwinkel eine lange russische Zigaret-te.

Doc Holliday!

Wyatt öffnete die Tür.

Holliday wandte den Kopf.

Die beiden Männer gingen aufeinander zu und trafen sich in der Straßenmitte.

»Hallo, Marshal!«

»Hallo, Doc.«

»Was ist mit Morg los?«

Wyatt zog die Brauen zusammen.

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Weil Sie ihn bei Francis Durriage gesucht haben und weil Sie auch in die anderen Saloons geguckt haben – und weil Sie ein ziemlich saures Gesicht machen.«

Wyatt blickte die Straße hinunter nach Osten.

»Er ist verschwunden.«

Holliday rieb sich das Kinn.

»Ob es da nicht jemand auf Sie abgesehen hatte?«

»Das nehme ich auch an.«

Da kam unten aus dem Wagenabstellplatz ein grauhaariger Neger angerannt.

»Marshal! Marshal! Kommen! Joseph sein verschwunden! Vollkommen in Luft…«

Die beiden Männer kamen sofort mit.

Im Hof stand eine weinende Frau.

»Marshal, er ist weg. Verschwunden. Es gefiel ihm schon lange nicht mehr daheim. Seit sein Vater tot ist, wuchs ihm die Arbeit über den Kopf. Wir haben sieben Kinder im Haus, Joes Geschwister. Und er mußte sich halb totschuften… Er ist weg.«

Wyatt sah sich im Hof um.

»Kann er hier nirgends mehr sein?«

»Wo denn? Es fehlt doch jede Spur von ihm.«

»Im Haus?«

»Wir haben alles abgesucht.«

Doc Holliday bückte sich und hob etwas auf.

Einen Knopf. Er zeigte ihn der Frau. Es war ein heller lederbezogener Knopf.

Die Frau schlug die Hände vor den Mund.

»Von seiner Jacke! Ich habe ihm den Knopf selbst angenäht, ich hatte ihn noch von dem Engländer, der hier mal seine Wagen stehen hatte, damals, als die Einwanderer hier durchzogen…«

Holliday blickte den Marshal an.

Wyatt sah auf den Knopf und ging quer durch den Hof.

Der Neger stand an der Stalltür. Als Wyatt auf ihn zukam, wich er zur Seite.

Holliday blieb mitten im Hof stehen.

»Haben Sie auch Pferde?«

Der Neger schüttelte den Kopf.

Nein, Massa, Doc. Nicht Pferde hier. Aber drüben bei Massa Black. Hier nur Wagen. Und Reparatur mit Wagen. Räder und Eisen, viel Arbeit.«

Holliday hatte die Hufspuren entdeckt.

»Hier kommen also keine Pferde in den Hof?«

»Nein.«

Da wurde die Stalltür aufgestoßen und der Marshal erschien. Er trug

ein zusammengeschnürtes schweres Bündel auf den Armen, bei dessen Anblick die Frau sofort einen schrillen Schrei austieß und sich an der Tür festhalten mußte.

Wyatt hatte den Burschen hinter den Säcken in der Futterkammer gefunden.

Als er von dem scheußlichen Knebel und den Verschnürungen befreit war, suchte er das ins Stocken geratene Blut durch Massage wieder in Gang zu bringen.

»Ich weiß nur, daß ein Mann hinter mir gewesen sein mußte, der mich niederschlug, als ich zwei Schritte aus der Tür getan hatte…«

Während die Frau, der Neger und eine lärmende Kinderschar den Vermißten umringten, wies der Gambler den Marshal auf die Hufspuren hin.

»Yeah, ich habe sie vorhin schon bemerkt. Ich weiß, daß hier keine Pferde sind, jedenfalls im allgemeinen nicht…«

*

Auf der Pferdewechselstation war es Tag geworden.

Der alte Bill hockte am Fenster und wagte nicht, sich zu rühren.

Einer der Banditen hielt sich vorn unter dem Vorbau auf, und zwar so, daß er sowohl ihn als auch die Straße im Auge hatte.

Die anderen schienen noch zu schlafen.

Gregg Harper kauerte im Hintergrund des Schuppens und starrte zu den Brettern hinüber, wo der Gefesselte lag.

Durch die Ritzen der Wände fiel das Licht des Tages herein, und alle Gegenstände waren deutlich zu erkennen.

Der Gefangene lag still da.

Gregg blickte auf sein glänzendes schwarzes Haar, auf seine dunkle Stirn, sein energisches Kinn, die breiten Schultern und die staubbedeckten Stiefel.

Er war froh, daß er dem Marshal nicht ins Gesicht zu sehen brauchte.

Das Geräusch von Schritten schreckte den Burschen auf.

Die Tür wurde aufgestoßen und knarrte in den Angeln.

Die wuchtige Gestalt des Einäugigen kam herein.

»Hallo, Marshal! Hoffe, Sie haben gut geschlafen!«

Gregg kam aus seiner Ecke und wollte an dem Bruder ins Freie.

Der stieß ihn jedoch zurück.

»Du bleibst hier. Bei einem so gefährlichen Kerl muß ständig ein Wächter sein.«

Da tauchte Joes Gesicht hinter Clints Rücken auf. Er sah sofort, daß der Gefangene keinen Knebel mehr zwischen den Zähnen hatte.

»Gregg, bist du verrückt!« schrie er. »Wo ist der Knebel?«

Dem Burschen hämmerte das Blut in den Schläfen.

»Den hatte er gestern schon nicht mehr, als der Alte mit der Overland hier war und das Halfter holte.«

»Was ist das?« kreischte Clint. Er packte den Bruder und versetzte ihm einen Fußtritt, der ihn in den Hintergrund der Hütte torkeln ließ. »Weißt du nicht, in welche Gefahr du uns da gebracht hast?«

Da meldete sich der Gefangene zum erstenmal: »Weshalb seid ihr alle so nervös, Boys?«

Clints Schädel fuhr herum. Es zuckte in seinem Gesicht, als er auf den Gefangenen blickte.

»Nervös?« belferte er. »Na, hören Sie, Sie werden doch wohl zugeben, daß es kein alltäglicher Coup ist, Wyatt Earp aus Dodge City zu entführen.«

Morgan fand also bestätigt, was er selbst längst vermutet hatte.

Die Banditen hatten ihn mit seinem Bruder Wyatt verwechselt.

»Darf ich fragen, was ihr von mir wollt?«

Da schob sich Joe an die Bretter heran. In seinem fahlen Gesicht stand wieder der diabolische Zug, der ihn so häßlich machte.

Er zog den linken Mundwinkel herunter, kratzte sich sein ewig stoppelbärtiges Kinn und versetzte:

»Von Ihnen? Nichts, Marshal, aber wir hoffen, daß Ihre Freunde so viel für Sie übrighaben, daß es für uns reicht.«

Jetzt hatte Morgan verstanden. Die Verbrecher glaubten, Wyatt Earp entführt zu haben, und wollten jetzt ein Lösegeld für ihn erpressen.

Ein tolldreistes Unterfangen.

»Und von wem wollt ihr das Geld haben?« erkundigte sich Morgan.

»Von der Stadt!« stieß Clint hervor, und stand jetzt neben seinen Brüdern vor dem Gefangenen.

Morgan lächelte undurchsichtig.

»Die Stadt wird keinen Cent für mich geben.«

»Das wird sich zeigen. Außerdem ist da noch Ihr reicher Freund Holliday.«

Morgan dachte trotz seiner Lage nicht ohne Freude daran, daß gerade der Spieler Holliday der Mann war, in dem sich die Tramps verrechnen würden.

Im übrigen hoffte er auf den Bruder, der seine Fährte schon irgendwie finden und ihn heraushauen würde.

Gregg starrte nur mit großen Augen in das braune Gesicht des Gefangenen.

»Ich habe immer gedacht, daß Wyatt Earp älter wäre.«

Womit du nicht Unrecht hast, dachte Morg.

»Er ist nicht alt, der Wolf«, krächzte Clint. »Sie redeten schon im Westen von ihm, als er kaum zwanzig war. Ich habe zum erstenmal von ihm gehört, als er Ben Tompson in Ellsworth stellte. Das sind wenigstens zehn Jahre her. Und dreißig ist der Bursche.«

Die Hand des Zyklopen schoß vor und riß dem Gefangenen den Stern von der Brust; er hielt ihn nahe vor das gesunde Auge.

»Der Stern des großen Wyatt Earp!«

Blitzschnell riß Joe ihm den metallischen Fünfzack aus der Hand.

Clint wirbelte herum. Er hatte die Fäuste geballt.

»Gib das Ding her!«

Da tauchte Charly in der Tür auf.

»Ein Reiter kommt.«

Die drei Banditen fuhren herum. Gregg zerrte seine Revolver aus den Halftern.

Sie rannten alle vier in den Hof.

Aber Joe behielt die Übersicht.

»Gregg, zurück in den Schuppen! Clint hinter die Hausecke drüben! Charly an die Vorbauecke!« Er selbst rannte dann durch die Hintertür ins Haus.

Von Süden her kam ein Reiter über die staubige Fahrstraße auf die Pferdewechselstation zu.

Es war ein älterer Mann mit hagerem Gesicht und hellen Augen. Er trug Weidereiterkleidung, hatte lederne Chapperals an, und an seinem Sattelknauf hing ein Lederlasso.

Es war Jonny Tucker, ein Cowboy von der Hellmers Ranch, der zuweilen hier vorbeikam, um die Weide abzureiten, die hier von der Fahrstraße durchschnitten wurde.

Joe stand hinter der Tür, den Revolver in der Hand.

»Du weißt Bescheid«, zischte er dem Stationshalter zu. »Ein schiefes Wort, und dein Trail in die Hölle beginnt.«

Der Cowboy war inzwischen an die Station herangekommen und machte Anstalten, abzusteigen.

Joe Harper stieß dem Stationshalter den Revolver in den Rücken.

»Sieh zu, daß der Bursche weiterkommt!«

Von diesem Augenblick an hatte der Hellmers Cowboy nur noch eine knappe Minute zu leben.

Der alte Bill lief auf den Vorbau.

»Steig nicht erst ab, Jonny. Ich habe heute keine Zeit zu einem Schwatz. Weil… weil…«

»He, stimmt was nicht, Bill?« Er ging auf den Vorbau zu.

Da stürzte ihm der Alte entgegen.

In diesem Augenblick sprang Charly Harper vor. Sein Revolver brüllte zweimal auf, und der tödlich getroffene Weidereiter fiel nach vorn mit dem Gesicht in den Staub der Stra-ße.

Entsetzt stand der alte Stationshalter da und starrte auf den Niedergeschossenen.

»Los, steh nicht da herum!« fauchte der Mörder ihn an. »Schaff ihn weg!«

Und als man am Nachmittag auf Hellmers Ranch auf den Cowboy Jonny Tucker wartete, lag er längst anderthalb Yards tief zwischen dem Corral und dem Stall der Pferdewechselstation unter der Erde.

Seine Mörder hatten leere Kisten über sein Grab gestapelt, so daß niemand etwas von der furchtbaren Tat bemerken konnte.

Gregg war bei dem Schuß an die halboffene Tür des Schuppens gerannt.

Unter Aufbietung aller Kräfte versuchte Morgan, sich aufzurichten.

»Was ist los?« rief er dem Burschen zu.

Gregg fuhr herum. Mit bleichem Gesicht starrte er den Gefangenen an.

»Es war ein Cowboy.«

»Es w a r…?«

Gregg schob seine beiden Revolver in die Halfter zurück.

»Ja«, antwortete er dumpf, »ich glaube, er hatte einen von ihnen entdeckt.«

Morgan zog mit einem Ruck die Knie an, schleuderte sich von den Brettern hoch, prallte gegen den jungen Banditen und landete auf dem hartgestampften Lehmboden.

Tödlich erschrocken war der Bursche zurückgewichen und starrte auf den Mann am Boden.

In dessen Augen wetterleuchtete es.

»Schneid mich los«, zischte Morgan. »Vorwärts! Ich verspreche dir, daß dir nichts geschehen wird.«

Gregg Harper stand bebend da.

»Nichts geschehen wird? Sie werden uns alle hängen lassen, alle. Clint hat einen Sheriff erschossen. In ganz Dakota und Nebraska, und sicher auch in anderen Staaten hängen die Plakate.«

»Und du?« Morgan sah den Burschen beschwörend an. »Hast du auch gemordet?«

Gregg schüttelte heftig den Kopf. Es würgte ihm in der Kehle.

»Nein«, stammelte er heiser. »Aber wenn ich nicht mitmache, schlagen sie mich tot. Und sie sagen, ich sei ein Feigling. Sie haben es ja gehört.«

Draußen waren die Stimmen der anderen zu hören. Und dann wurde ein Spaten knirschend in das Erdreich gestoßen.

»Die Schweine verscharren ihn«, stieß Morgan durch die Zähne. »Komm her, schneid mich los, Gregg.«

»Ich kann nicht…!« Schlotternd stand der Bursche neben der Tür.

»Elender Feigling!«

»Sie haben doch keine Chance, Marshal. Wenn Sie hier rauskämen, knallt Clint Sie nieder, ehe Sie zwei Schritte getan haben.«

»Schneid mich los, und gib mir einen Revolver.«

»Sie haben keine Chance gegen die drei, Mr. Earp. Clint schreckt vor nichts zurück. Und Joe und Charly auch nicht. Und es ist wahr, ich habe Angst! Ich bin – ein Feigling.«

»Schnell«, zischte Morgan. »Schneide die Stricke durch, Junge. Ich werde schon mit deinen Brüdern fertig.«

Gregg schüttelte den Kopf wie ein Fiebernder.

»Nein, Sie wollen Sie töten! Das geht nicht, das sind meine Brüder!«

Morgan, der sich etwas aufgerichtet hatte, preßte die Luft pfeifend aus den Lungen und ließ sich resignierend zurückfallen.

Und dann begann die nächste höllische Minute: der unselige Gregg Harper hatte sich zu spät entschlossen. Er zog das Messer, bückte sich und sägte an den Fußfesseln des Gefangenen herum.

Da verdunkelte ein riesiger Schatten die Tür.

Morgan stieß den Burschen sofort zur Seite, um ihn der drohenden Gefahr zu entziehen. Aber zu spät. Joe Harper hatte den Revolver in der Faust und schoß.

Die Kugel traf seinen Bruder in den Rücken.

»Verdammter Hund!« knirschte Morgan, zog die Beine mit einem gewaltigen Ruck an und schleuderte sich wie ein Geschoß gegen den Mann, der auf seinen eigenen Bruder gefeuert hatte.

Joe wurde zurückgestoßen und torkelte auf den Hof hinaus. Der Revolver war ihm entfallen.

Da aber warf sich Charly, der hinzugekommen war, auf ihn und entwand ihm die Waffe im letzten Augenblick.

Ächzend kauerte Gregg Harper neben der Tür am Boden.

Charly wandte sich nach Joe um.

»Du – hast ihn niedergeschossen?«

Joe preßte beide Hände auf den Leib, wo ihn die Stiefel des Gefangenen getroffen hatten und röhrte:

»Dieser verdammte Verräter wollte den Marshal losschneiden…«

Sie schafften den Schwerverwundeten vorn ins Haus.

Der Alte schlug die Hände zusammen, als er das bleiche Gesicht des Burschen sah.

»Mord und Totschlag«, stammelte er. »Jetzt bringen sie noch einander um!«

»Halt’s Maul!« brüllte Joe den Alten an.

»Aber der Junge stirbt doch!« rief der Alte.

Da riß Clint Harper einen linken Backhander herum, der den alten Mann wie der Huftritt eines Pferdes traf und von den Beinen riß.

Gregg lag in der kleinen Kammer auf dem Lager des Alten und starrte mit weitoffenen glasigen Augen gegen die primitiv zusammengezimmerte Decke.

Hier werde ich also sterben! hämmerte es in seinem Schädel. Niedergeschossen von meinen eigenen Brüdern.

Charly, Clint und Joe standen auf dem Vorbau.

»Dieser verdammte Feigling!« krächzte Joe und mußte immer noch eine Hand auf den schmerzenden Leib pressen. »Um ein Haar hätte ich vor Wut den Marshal erschossen.«

Clint warf den Kopf herum. »Er hat recht«, preßte er heiser durch das Gehege seiner gelben Zähne. »Wir sind nervös, verdammt nervös!«

Joe kauerte sich auf den Schaukelstuhl des Alten nieder und stöhnte: »Es muß einer in die Stadt reiten.«

Die beiden sahen ihn erschrocken an.

»Weshalb denn das?«

Joe erhob sich und ging gebückt ins Haus.

»Weil ich ihnen unseren Gruß schicken will und die Aufforderung, das Geld zu bringen.«

*

Es war dunkel geworden.

In der Frontstreet, die den ganzen Tag über geschlafen zu haben schien, erwachte das Leben.

Von Osten her trabte ein Reiter in die Stadt.

Charly Harper kam mit der Botschaft, die sein Bruder Joe für die Dodger aufgeschrieben hatte.

Der Verbrecher tat alles genauso, wie Joe es ihm aufgetragen hatte.

Kurz vor dem Sheriff Office stieg er ab, nahm den Zettel, zog ihn durch die Pferdetränke, huschte auf den Vorbau des Marshals Office, warf einen kurzen Blick in den Raum und preßte dann das nasse Stück Papier mitten auf die Scheibe.

Sofort warf er sich herum und blieb wie erstarrt stehen.

Etwa fünf Yards vor ihm am Vorbauende stand ein Mann, dessen Anblick den Verbrecher fast zur Salzsäule erstarren ließ.

Er war sehr groß, noch größer als der Gefangene draußen auf der Pferdewechselstation, noch breiter in den Schultern, hatte ein hart geschnittenes tiefbraunes Gesicht und blitzende Augen. Er trug die gleiche Kleidung, die der Gefangene der Harpers trug.

Links auf seiner Brust blinkte der silberne Fünfzack im Wappenkreis. Es war der gleiche Mann, den sie in der letzten Nacht aus Dodge City entführt hatten.

Und doch war er es nicht.

Charly spürte es genau.

Der Blick dieses Mannes strahlte etwas Lähmendes, Bannendes aus.

Aber nur drei Sekunden hatte der Bandit gebraucht, um seinen Schrecken zu überwinden, dann flog er blitzschnell zur Seite, zog den Colt und schoß im Fallen.

Der Mörder Charly Harper hatte es getan, obgleich er in dieser höllischen Minute geahnt hatte, wer der Mann war, der da vor ihm stand.

So schnell der Bandit auch gehandelt hatte – er war noch träge gegen die Reaktion gewesen, die sein Gegner entwickelte.

Gedankenschnell hatte sich Wyatt Earp mit einem Sidestep von der Stelle bewegt, und schon röhrte sein großer Buntline Special auf.

Die Kugel des Verbrechers verfehlte den Missourier um sieben Inches.

Das Geschoß des Marshals jedoch traf Charly Harper an der Schläfe.

Es war ein meisterlicher Schuß gewesen. Ein Streifschuß, der den Verbrecher schwer betäubte, nicht aber lebensgefährlich verletzt hatte.

Charly Harpers Weg war zu Ende. Er war dem von ihm so gefürchteten Wolf in die Fänge gelaufen.

Nur Sekunden nach dem Schuß erschien drüben auf dem Vorbau des Long Branch Saloons Doc Holliday. Er erfaßte die Szene drüben im gespenstischen Flackerschein des Windlichtes sofort und kam langsam über die Straße.

Wyatt Earp nahm dem Besinnungslosen die Waffen weg und ging dann zum Fenster, um den Zettel zu lösen.

Doc Holliday, der sich kurz über den Verbrecher gebeugt hatte, stand neben dem Marshal und las den Zettel mit.

Bürger von Dodge!

Wir haben Wyatt Earp in unserer Gewalt. Gegen fünftausend Dollar lassen wir ihn frei. Ein einzelner Mann wird dieses Geld übermorgen, Donnerstag mittag, auf die Hügelkuppe bringen, die unten eingezeichnet ist. Wenn ein Aufgebot kommt, stirbt der Marshal. Wir lassen nicht mit uns scherzen.

»Ohne Unterschrift«, sagte Holliday.

Bat Masterson, der eben um die Straßenecke gelaufen kam, blieb atemlos vor seinem Boß stehen.

Dann sah er den Mann am Boden.

»Holen Sie Doc Leclerc, Bat.«

Masterson nickte und verschwand, um nach wenigen Minuten mit dem Arzt zurückzukommen.

Charly Harper wurde verbunden und ins Jail gebracht. Er war längst zu sich gekommen und starrte aus blutunterlaufenen Augen vor sich hin.

Wyatt stand vor dem Gitter.

»Kennen wir einander nicht, Mann?«

Charly zog es vor, zu schweigen.

Wyatt überlegte. Die beiden Männer, die er gestern morgen am Westrand von Garden City gesehen hatte, glichen der Physiognomie dieses Mannes derart stark, daß er davon überzeugt war, hier einen Bruder dieser beiden Männer vor sich zu haben.

Sofort klopfte er auf den Busch.

»Wie geht’s deinen Brüdern?«

Charlys Kopf flog hoch – und sofort verzerrte sich sein Gesicht zu einer Fratze.

»Sie träumen wohl, Marshal.«

»Nimm den Rand nicht so voll, Mann, sonst geht es dir noch verdammt schlecht, ehe du zum Galgenhügel geführt wirst.«

»Zum…«

»Wo ist mein Bruder?«

Charly hatte den Irrtum, dem sie zum Opfer gefallen waren, längst begriffen. Der Mann, den sie draußen auf der Pferdewechselstation festhielten, war der Bruder des Marshals.

»Ich weiß es nicht«, log er. »Ich habe den Zettel gegen zehn Dollar mitgenommen. Ich bekam ihn zwischen Cimarron und den Bergen zugesteckt.«

»Cimarron liegt im Westen, Amigo, und die Berge im Norden. Du kamst aber von Osten.«

»Das muß ich wohl besser wissen, Marshal!« behauptete der Mörder frech. »Ich kam von Westen.«

Wyatt riß die Gittertür auf. Groß und drohend stand er vor dem Banditen.

»Wenn du jetzt noch einmal lügst, ohrfeige ich dich, bis du davon überzeugt bist, auf einem Kamel aus Süden gekommen zu sein.«

Der Verbrecher verkroch sich in den äußersten Winkel seiner Zelle.

»Einen verdammt rauhen Ton führen Sie hier, Earp.«

»Ich habe dich gefragt, wo mein Bruder ist!«

Bat Masterson kam vorn ins Office und winkte seinem Boß.

Der warf die Zellentür mit der Bemerkung: »Wir sprechen uns noch«, zu und ging den fliesenbelegten Gang zum Bureau.

»Bill will reiten, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»All right, wann kommt er?«

Masterson sah auf die Uhr. »Sein Dienst fängt in zehn Minuten an.«

Bill Tilghman, der Mann, der später einmal hier den Job seines jetzigen Chiefs einnehmen sollte, der nach Wyatt Earp einer der größten Gesetzesmänner werden sollte, fand sich pünktlich im Office ein.

»Bat hat mir die Geschichte schon erklärt, Boß«, sagte er sofort, und in seinen hellen Augen leuchtete es. »Das ist etwas für mich. Und Bat soll mich decken?«

»Ja. Ich fürchte, daß ich den Ritt auf den Savannenhügel nicht riskieren kann, da ich Morg sofort in Gefahr brächte, wenn die Halunken erfahren, daß sie den Falschen erwischt haben. Und wenn sie mich sehen, dann ist ihnen das sofort klar. Bat ist auch zu bekannt. Und am Ende schießen sie noch auf ihn. Sie sind noch ziemlich neu bei uns und verhältnismäßig unbekannt.«

»Ich reite gern, Marshal«, sagte Bill und richtete sich auf. Er war, wie seine Kameraden, von dem großen Boß, von dem berühmten Marshal so begeistert, daß er mit verhängten Zügeln für ihn durch die Hölle geritten wäre.

»Die Sache rollt folgendermaßen ab, Bill. Sie reiten geradewegs auf den Hügel zu. Und zwar so zeitig, daß Sie kurz vor Mittag seine Kuppe erreichen. Ich werde mit Masterson nachts reiten. Potts und Kid müssen in der Stadt bleiben. Es ist natürlich schade, daß wir nicht mehr Leute haben, aber es ist nicht zu ändern.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich mit«, kam es da von der Tür her.

Die beiden Sternträger drehten sich um und sahen den Georgier in der halboffenen Tür stehen.

In den Augenwinkeln des Missouriers stand ein stilles Lächeln.

»All right, Doc…«

Jetzt hatte der Marshal genug Leute. Wenn Holliday mitritt, war das so gut, als ob noch drei Leute mit auf dem Trail säßen.

»Wann geht’s los?« fragte der Spieler nur.

»Um drei.«

»Well, ich bin kurz vor drei mit dem Pferd am Office. So long.«

Die Tür schloß sich hinter ihm.

Tilghman sah seinen Boß an. »Ein merkwürdiger Mann. Ob er gerochen hat, daß Sie ihn brauchen?«

»Wahrscheinlich…«

*

Auf der Pferdewechselstation herrschte eine düstere Stimmung.

Hinten in dem kleinen Nebenraum lag Gregg Harper und stand auf seinem harten Lager Höllenqualen aus.

Trotz der Drohungen der beiden anderen Tramps hatte der alte Stationshalter ihm einen Verband angelegt und ihm zu trinken gebracht.

Als der Alte nach vorn in den großen Raum zurückkam, fragte Clint rauh: »Stirbt er?«

Der Alte zog die Schultern hoch.

Joe lehnte vorn auf dem Vorbau an einem Pfosten, hatte die Füße über-einandergeschlagen und kaute an seinem rechten Daumennagel herum.

Wo bleibt Charly?

Seit dem Morgengrauen hatte diese Frage die beiden Harpers unruhig gemacht.

Charly mußte längst zurück sein. Er hatte das beste Pferd mitbekommen, nur damit er rasch aus der Stadt verschwinden konnte.

»Ich hätte selbst reiten sollen«, murmelte Joe vor sich hin. Aber der Ritt in die Stadt war nicht gerade ein Spaziergang. Die Gefahr, daß Charly erkannt wurde, war groß, denn immerhin hatte er den Zettel ja am Marshal Office anzubringen.

Dazu gehörte schon eine Stange Mut und eine gehörige Portion Verwegenheit.

Joe hatte nicht reiten wollen, weil er Clint nicht mit Charly zurücklassen wollte. Er traute beiden nicht.

Was hätten sie anstellen können?

Joe hatte es immerhin für möglich gehalten, daß sie den wertvollen Gefangenen und die Pferde mitnahmen – irgendwohin verschwanden, wo sie allein das Geschäft mit Dodge machen konnten. Die Hauptarbeit war ja nun getan, und aus dem Dunkel konnte man jetzt von überall mit den Lösegeldzahlern verhandeln.

Das Geschäft! Der große Coup!

Er lag dem Verbrecher Joe Harper zu sehr im Hirn. Vielleicht hätte er sonst doch umsichtiger gehandelt. Schon der ganze Entführungsplan war ein Irrsinn ohnegleichen. Daß er halbwegs geklappt hatte, war einem direkt unwahrscheinlichen Zufall zu danken gewesen.

Niemals wäre es den Harpers gelungen, Wyatt Earp auf diese plumpe Weise zu überlisten. Morgan aber war todmüde, daher nur mit der Hälfte seiner wachen Sinne dabei, und außerdem waren ihm die Geräusche und Gepflogenheiten auf der Dodger Frontstreet doch längst nicht so in Fleisch und Blut übergegangen wie etwa seinem Bruder Wyatt. Das Hin und Her der Tramps auf der Fahrbahn, das seltsame Anrollen des Wagens mitten auf der Straße, überhaupt, daß sich der Schooner drüben in der dunklen Hälfte der Straße vorwärtsbewegte, das wäre dem Marshal ganz sicher sofort aufgefallen.

Außerdem war es so gut wie ausgeschlossen, einen Mann, der ständig so auf der Hut war wie Wyatt Earp, so rasch zu fällen.

Wenn die Tramps an den wirklichen Marshal von Dodge geraten wären, hätte der ganze Harper-Spuk längst ein Ende gehabt. Wyatt Earp hätte sie mit blutigen Köpfen abgeschlagen und dann todsicher, wenn sie den Fight überlebt hätten, ins Jail gestopft.

Aber Joe Harper traf die seltene Stunde an, in der das Office unbesetzt oder doch nur mit einem todmüden, nur noch halbwachen Mann besetzt war.

Jetzt warteten sie auf Charly.

In Joe war auch jetzt Mißtrauen. Er hat sich davongemacht. Die Sache ist ihm zu heiß geworden. Vielleicht hat ihn auch die Angelegenheit mit Gregg im Genick gepackt.

Joe glaubte, alles erwogen und einkalkuliert zu haben.

Daß der aalglatte Charly von Wyatt Earp niedergestreckt worden sein könnte, auf diesen Gedanken konnte der Verbrecher ja nicht kommen.

Clint kam heraus und steckte sich eine krumme Selbstgedrehte zwischen seine gelben Zähne.

Dann lief er ums Haus herum, warf einen kurzen Blick in den Schuppen und kam an den Vorbau zurück.

Wie die Wölfe streunten die beiden übriggebliebenen Harpers umeinander.

Und wer weiß, wie die nächsten Stunden ausgesehen hätten, wenn Ric Coster nicht gewesen wäre.

Es war am frühen Nachmittag.

Die beiden Harper-Brothers standen auf dem Vorbau und starrten die Fahrstraße nach Südwesten hinunter.

Wie sie es seit Sonnenaufgang taten.

So kam es, daß sie die vier Reiter, die sich von Norden der Pferdewechselstation näherten, erst bemerkten, als sie fast schon auf dreihundert Yards herangekommen waren.

Joe hörte den Hufschlag zuerst. Er fuhr erschrocken herum und sah den Reitern entgegen.

»He…!«

Clint hatte den Laut richtig gedeutet und wandte sich ebenfalls um.

»Schnell weg hier!« zischte er.

Joe blieb stehen. »Zu spät.«

Mehr und mehr zeigte es sich, daß dieser Joe Daniel Harpers der härteste Brocken war, den man sich denken konnte. Härter sogar noch als sein Bruder Clinton, der wirklich schon ein Stück Felsstein zu sein schien.

»Wahnsinn, hier stehen zu bleiben!« knurrte Flint. »Es sind vier…«

»Hilft nichts, Mensch. Sie haben uns doch längst gesehen.«

Die vier kamen heran. Hoch wirbelte der Staub auf, als sie vor der Station ihre Pferde zügelten.

Der vorderste von ihnen saß auf einem Fuchs, es war ein kleiner Bursche mit verschlagenem Gesicht, viel zu eng beieinander stehenden Augen und kurzer spitzer Nase. Nur sein Kinn stach weit hervor.

Er trug sich wie ein Cowboy.

Auch die drei anderen Männer, die hinter ihm hielten, trugen Weidereitertracht. Es waren hartgesichtige, staubige Burschen mit verwegenen Augen und blanken Coltknäufen.

Banditen – Joe Harper sah es sofort.

Und Clints Gesicht hatte sich plötzlich auf eine sonderbare Art verändert, er starrte den Anführer aus weiten Augen an, wobei sein Mund sperrangelweit offenstand. Mit vorgeschobenem Kopf krächzte er zu Joes Verblüffung:

»He, ich lasse mich hängen, wenn das nicht Ric Coster ist!«

Der kleine Mann rutschte feixend aus dem Sattel.

»Hell and devils, Clint Harper! – Mensch, was krauchst du denn hier in Kansas herum – he?«

Die beiden blieben voreinander stehen, ohne sich die Hände zu reichen.

»Du kennst ihn?« forschte Joe mißtrauisch.

»Yeah, aus Weekfield!«

Das genügte Joe. Vor Jahren hatte Clint etwas ausgefressen und verschwand eine Zeitlang. Er zog hinüber nach Wyoming und wurde in Buster wegen Rinderdiebstahls festgenommen und für ein halbes Jahr nach Weekfield in die Steinbrüche des Straflagers geschickt.

Da also hatte er diesen Richard Coster, diesen Burschen mit dem Vogelkopf kennengelernt.

Das war für Joe Empfehlung genug.

Ric winkte seinen Leuten.

»Steigt ab, das sind Freunde von mir.«

Bei dem Ausdruck Freunde musterte er Joe forschend. »Dein Bruder?«

Clint nickte.

Die Costerbande machte sich auf dem Vorbau breit.

Clint stieß den Bruder an.

»In einer halben Stunde kommt die Overland.«

Joe nickte. Dann wandte er sich an Coster.

»Wir müssen jetzt verschwinden.«

»Weshalb?«

»Weil wir kein Interesse daran haben, gesehen zu werden.«

Coster nickte. Auch er habe kein Interesse, sich hier zur Schau zu stellen, und befahl seinen Leuten, die Pferde in den Stall zu bringen.

»Und da bleibt ihr auch, bis die Kutsche wieder weg ist.«

Er selbst ging ums Haus und hielt auf den Schuppen zu.

Wie Schatten huschten Clint und Joe Harper neben ihn.

Der Raubvogelmensch blieb stehen und sah Clint verdutzt an. »Was gibt’s?«

»Wo willst du hin?«

»Mich da hinten verkriechen.«

»Geht nicht.«

»Weshalb?«

»Unsere Sache.«

Coster warf einen Blick zum Stall hinüber und grinste schief.

»Liegt ihr da nicht etwas verkehrt, Boys?«

Joe wechselte einen raschen Blick mit Clint und antwortete dann: »Well, du sollst es wissen! Da liegt ein Gefangener von uns!«

»Ein Gefangener?«

»Yeah.«

»Na und? Was geht das mich an. Ich will da nur bleiben, bis die Overland vorbei ist.«

»Es ist aber kein – kein gewöhnlicher Gefangener.«

»Aha – etwa ein Weib?«

Die beiden Harpers schüttelten die Köpfe.

»Also ein Geldsack?«

»Auch nicht.«

»Laßt sehen!«

Er wollte weiter.

Aber Joe packte ihn am Arm.

»Es ist ein Scheriff«, sagte er leise.

Ric Costers Gesicht wurde urplötzlich noch spitzer.

»Ein Sheriff? Seid ihr denn wahnsinnig?«

»Nein. Wir brauchen Geld.«

»Aber träumt doch nicht, daß ihr von einem Sheriff Geld bekommen könnt. Das sind doch selbst arme Schlucker.«

»Kann sein. Aber vielleicht gibt es Leute, die für die Freilassung eines Sheriffs Geld ausspucken.«

Coster lachte blechern. »Ihr seid doch wirklich geisteskrank!«

»Ich meine für einen bekannten Sheriff«, fuhr Joe Harper lauernd fort.

Die grünen Augen des Vogelmenschen wurden schmal wie Schießscharten. »Spuck aus, Harper!«

»Ich sagte doch, er ist ein berühmter Mann!«

»Du sollst das Maul aufmachen!«

Clints Hand kroch zum Colt.

»Hör zu, Coster, damit wir uns nicht mißverstehen. Ich habe den Sheriff von Clarence erschossen, und meine drei Brüder haben andere Burschen aus dem Wege geräumt, um vorwärts zu kommen. Du wärst auch kein schwerer Stein…«

Coster warf einen schrägen Blick zum Stall hinüber.

Aber Joe fauchte.

»Ehe deine Boys hier sind, liegst du flach.«

»Trotzdem«, krächzte der zwergenhafte Verbrecher, »wüßte ich gern, wen ihr euch da eingepackt habt.«

Joe sagte verhalten: »Wyatt Earp!«

Wie von einer Cobra gebissen zuckte Coster zurück.

»Wyatt Earp!« zischte er. »Seid ihr des Teufels? – He, ihr habt mich zum besten, he! Das rollt bei mir nicht!« Er stiefelte rasch auf den Schuppen zu und riß die Tür auf.

Mit geweiteten Augen und völlig fassungslos blickte er auf den Mann am Boden.

»Hell and devils!« Er wirbelte herum und schlug die Schuppentür hinter sich zu.

»Na, hast du ihn schon einmal gesehen?«

»Yeah, zweimal. Flüchtig…«, keuchte der Bandit, »und ich war froh, daß er mich nicht ansah…«

Joe Harper hatte blitzschnell überlegt: Die vier sind im Augenblick doch nicht abzuschütteln, und da es in jedem Falle besser ist, sie für sich anstatt gegen sich zu haben, weiht man sie eben ein.

»Was später wird, findet sich auch noch.«

Dieses »Später« stand für Joe Harper bereits genau fest: Die vier würden nie einen Pfennig des Lösegeldes bekommen!

Die Costers machten alle Augen wie Zwanzigdollarstücke, als sie die Neuigkeit erfuhren.

Und keiner von den drei »Boys« war begierig darauf, in den Schuppen zu gehen und den Marshal anzusehen.

Sie hatten alle das Gefühl, einen gefährlichen grauen Bären, vor dem sie jahrelang gezittert hatten, in einem Käfig zu haben, von dessen Stabilität und Sicherheit sie nicht allzusehr überzeugt waren.

Man wurde sich schnell einig. Vor allem über die Teilung des Lösegeldes. Und Clint Harper schielte den Bruder böse an, weil der so großzügig über das Geld, das ja noch nicht einmal da war, verfügte.

Joe konnte ja leichten Herzens teilen, da er an sein »Später« dachte.

Sie ritten fast um die gleiche Zeit los wie die drei Männer aus Dodge.

Ric Coster hatte einen seiner Leute zur Bewachung des Alten und des Verwundeten zurückgelassen.

Joe Harper ritt mit Coster voran. Clint folgte, dann die beiden Costerboys Jonny Clay und Cass Brassat.

Sie verteilten sich im nördlichen Halbkreis um den Hügel, und zwar war Coster dafür, so weit zu bleiben, daß man auch mit dem schnellsten Pferd die Distanz nicht zu rasch durchmessen konnte.

Bei Tagesanbruch steckten sie in den Büschen auf ihren Posten, getrennt durch wenige hundert Yards jeweils.

Auch die Pferde waren versteckt.

Und wer aus dem Süden kam, mochte selbst mit dem schärfsten Fernglas nichts von den Banditen entdecken.

Stunde um Stunde verann.

Endlich, kurz vor zwölf, als die Sonne schon am Zenit stand, sichtete Joe Harper im Süden einen einzelnen Reiter, der auf den im Westen liegenden Hügel zuritt.

Auch die anderen sahen ihn und beobachteten ihn scharf.

Bill Tilghman ritt bis auf die Hügelkuppe, tat, als suche er mit den Augen die Gegend ab und legte dann etwas auf den Boden nieder, das er mit einem Stein beschwerte. Dann ritt er langsam zurück.

Die Banditen ließen sich Zeit. Mehrere Stunden. Coster hatte sie gewarnt: »Wenn Doc Holliday in der Stadt ist, dann könnt ihr sicher sein, daß er sich auf den Weg macht…«

Sie warteten, bis die Dämmerung hereinbrach.

Dann preschte Clint auf den Hügel los und fand unter dem Stein einen Zettel.

So schnell bringen wir das Geld nicht zusammen. Heute nacht kommt der Bote wieder. Wir wollen alles versuchen.

Joe Harper las den Zettel tief an die Erde gebeugt im Schatten eines Zündholzes.

»Es rollt jedenfalls«, meinte er, als er die erste Enttäuschung geschluckt hatte.

Ric Coster war auf dem Ritt zur Station ziemlich still.

Clint knurrte ihn an:

»He, du wolltest wohl gleich die Tausender sehen, was?«

»Nein, aber irgendwas gefällt mir an der Sache nicht.«

»Und was wäre das?«

»Ich werde den Gedanken an den höllischen Spieler nicht los. Wenn er in Dodge ist, dann rollt der Karren garantiert schief.«

»Weshalb denn?«

»Der Hund ist schlau wie ein Indianer. So leicht führt ihr den nicht hinters Licht. Ich glaube, daß wir das noch anders anpacken müssen, wenn wir nicht alle am Strick landen wollen.«

Was Coster schon mißfiel, war das Hinauszögern der Dodger. »Sie wollen Zeit gewinnen«, rätselte er, »vermute ich jedenfalls. Sie haben etwas vor.«

»Was denn?« fragte Joe, der immer noch von seinem großen Coup fasziniert war. Vor allem, da er den Marshal ja in seiner Hand hatte.

»Wir müssen noch geschickter vorgehen!« mahnte Coster.

Clint war damit einverstanden.

Joe meinte prahlerisch:

»Die Sache läuft, Coster. Verlaß dich drauf. Aber wir können gern beraten, ob sich noch sichere Wege finden lassen…«

Sichere Wege, wo Charly nicht zurückgekommen war.

Wo jeder wirklich denkende Mensch sich gesagt hätte: Die Sache kann so nicht gutgehen.

Die Harpers waren verblendet – und Ric Coster dachte trotz seines Mißtrauens und seiner Angst vor Holliday auch zu sehr an die Bucks, die auf den Hügel kommen würden.

Aber auch die größte Vorsicht hätte den Desperados nichts genutzt, denn sie hatten auf der Gegenseite ja nicht nur den gefürchteten Spieler, sondern auch Wyatt Earp selbst gegen sich.

Hätten sie das gewußt, würde ih-

re Zuversicht höchstwahrscheinlich blitzartig unter den Nullpunkt gesunken sein.

Aber sie fühlten sich stark. Im Schuppen lag der wertvolle Gefangene, dem der Stationshalter immer nur ein paar Brocken zu essen und ein paar Becher Wasser bringen durfte – und sie selbst waren sechs Männer. Das war schon eine starke Sache.

Clint dachte auf dem Ritt zur Station, als Costers Worte noch in seinen Ohren waren: Wir waren noch bis vor kurzem zu fünft. Und alle hießen sie Harper.

Jetzt heißen nur noch zwei Harper, und die vier anderen sind Fremde.

Gregg – den hatten sie längst abgeschrieben, obgleich er noch lebte.

Aber Clint war nicht tief genug veranlagt, als daß er solche Gedanken länger in sich hätte wirken lassen können; der bleierne Gedanke an das große Geld hatte ihn zu sehr überwältigt. Vor allem, da Joe und die anderen dauernd davon sprachen.

Der Blitz sollte mit fürchterlicher Wucht und viel schneller und krachender bei ihnen einschlagen, als sie es sich selbst in ihren schlimmsten Angstvorstellungen hätten träumen lassen.

Es war späte Nacht, als sie die Lichter der Station fern im Osten vor sich auftauchen sahen.

Joe und Ric ritten voran.

Clint, dem es nicht paßte, daß Coster ihn von der Seite des »denkenden« Bruders weggedrückt hatte, folgte ihnen. Wäre der Gedanke an das Geld nicht gewesen, hätte es längst Streit gegeben.

Der verschlagen dreinblickende Cass Brassat ritt mit dem blutjungen Schießertyp Jonny Clay hinter ihnen drein.

*

Wyatt Earp hatte seit dem Morgengrauen fern im Süden des Hügels in einer kleinen Bodenmulde, gegen Sicht von Norden und Osten von einem Gestrüpp gedeckt, gelegen und konnte sich mit seinem Chief Deputy Masterson durch Zeichen verständigen.

Tilghman schickte er pünktlich los.

Als der zurückkam, beuftragte Wyatt die beiden, nun wieder nach Dodge zurückzureiten.

Masterson schlich sich dichter zu dem Boß heran.

»Soll ich nicht bleiben?«

»Nein, Bat, wenn die Halunken gerissen sind, dann haben sie uns hier in die Prärie gelockt, um inzwischen in Dodge einzukaufen. Nichts da, ihr reitet zurück.«

Masterson nickte. Er sah ein, daß der Marshal recht hatte.

Wyatt blieb bis zum Einbruch der Dunkelheit in seinem Versteck, dann ritt er in weitem Bogen nach Nordwesten um den Hügel herum.

Es war fast ausgeschlossen oder hätte doch jedenfalls ein Zufall genannt werden müssen, daß sich in dieser Dunkelheit zwei Reiter auf eine Entfernung von zwölf Meilen an einem bestimmten Punkt getroffen hätten.

Aber die beiden Freunde standen nicht zum erstenmal vor einer solchen Situation. Oben in Montana hatten Wyatt Earp und Doc Holliday sich sogar inmitten der Volatta Mountains einmal in dunkler Winternacht verabredet und genau am vereinbarten Punkt getroffen. Unten in der Sandwüste von Texas hatten sie einander nicht verfehlt, obgleich der eine weit aus dem Süden und der andere von Oklahoma herunterkam. An den Salzseen Utahs hatten sie sich treffen wollen – und Wyatt Earp hatte nur einen halben Tag warten müssen, bis der Freund eintraf.

In dieser Nacht war es schwieriger, weil der Savannenhügel dazwischen lag und die Möglichkeit bestand, daß die Bande die Gegend durchstreifte.

Der Georgier war so scharf geritten, daß er um die Mittagszeit sechs Meilen nördlich des Hügels war.

Da das Land vor ihm übersichtlicher war, als er zu hoffen gewagt hatte, ritt er weiter südlich und prüfte ständig mit seinem Nelsonrohr den Horizont.

Eine Regennacht kündigte sich an.

Scharf und singend trieb der Wind die ersten schweren Tropfen vor sich her. In wilden aufgerissenen Fetzen flogen die Wolken über den Himmel.

Hin und wieder kam ein fahler bleicher Mond durch und schickte sein silbriges Licht auf die nächtliche Prärie.

Der Missourier war genau im Halbkreis geritten, und als er annehmen konnte, weit genug geritten zu sein, hielt er an, stieg ab und lauschte in die Nacht.

Das Singen des Windes machte ihm Sorge – aber plötzlich drang das piepende Geräusch eines Schwarzfedervogels an sein Ohr.

»Holliday!« entfuhr es ihm. Er lauschte schärfer hin, sprang dann in den Sattel und ritt dem Geräusch entgegen.

Nach mehreren hundert Yards hielt er an und ahmte die Laute des Savannenvogels selber nach.

Jetzt kam das Piepen ganz aus seiner Nähe.

Wyatt stieg ab.

»Doc!«

»Marshal!«

Drüben aus einem in der Dunkelheit fast schwarz erscheinenden Gebüsch kam der Schecke des Gamblers hervor.

Wyatt ritt dem Freund entgegen.

»Etwas gesehen?« fragte Holliday.

Der Missourier verneinte. »Leider nicht. Die Halunken sind offensichtlich doch gerissener, als ich dachte.«

Holliday zündete sich eine Zigarette an. Wyatt wunderte sich, daß der Doc das so unbekümmert tat – und ein Hoffnungsschimmer stieg in ihm auf.

»Oder sind sie vielleicht doch nicht so gerissen…?«

»Nein, das möchte ich nicht behaupten. Wir waren nur etwas dünn besetzt mit unserem Kreis, Marshal. Und die Tramps kamen aus Nord-osten. Genau zwischen mir und dem Hügel hindurch.«

»Sie haben sie gesehen?«

»Yeah, wenn auch aus sehr weiter Ferne.«

»Wie viele?«

»Ich habe fünf Reiter gezählt.«

»Fünf? – Und konnten Sie noch mehr erkennen?«

Holliday lachte leise in sich hinein.

»Die Halunken warteten, bis es dunkel wurde. Darin waren sie so klug wie wir. Aber eben doch nicht gerissen…«

Der Dodger Marshal war ein stiller Mann. Er konnte warten, obgleich er Angst um den Bruder hatte.

Holliday stieg auf und trieb sein Pferd an.

Wyatt blieb neben ihm.

Der Spieler kannte also die Richtung, in der der Banditentrupp davongeritten war.

»Sie haben auf die gelben Berge zugehalten.«

»Da müßten sie ja über die Straße – über die Overlandstraße.«

»Merken Sie etwas?«

»Glauben Sie etwa, daß die Bande sich bei Bill verschanzt hat, auf der Pferdewechselstation?«

»Das scheint mir sogar sicher, weil sie haargenau diese Route eingeschlagen haben. Wir könnten warten bis zum Morgen und dann ihrer Fährte folgen. Aber erstens hat sich das Gras dann fast wieder völlig aufgerichtet und zweitens…«

»… sehen sie uns kommen und könnten uns mit heißem Blei schon von weitem begrüßen«, unterbrach ihn der Marshal.

»Genau.«

Stumm trabten die beiden Freunde nebeneinander her.

»Es war ein weites Stück, zur Station hinüber.

Als endlich ihr Licht fern am Horizont auftauchte, hielten die beiden an.

»Wollen wir uns trennen?«

Holliday nickte. »Es ist besser.«

»Well, dann bleiben Sie links und ich reite rechts…«

Weiterer Worte bedurfte es nicht zwischen den beiden. Sie sprengten in die Dunkelheit davon, und jeder beschrieb wieder einen Halbkreis.

Diesmal allerdings war das Ziel durch den Schein einer Kerosinlampe deutlich markiert. –

Wyatt Earp ritt bis auf zweihundert Yards an die Station heran, hielt dann seinen Rapphengst an, den er für den nächtlichen Ritt absichtlich gewählt hatte, und stieg ab.

Das Tier konnte er unbesorgt hier stehen lassen.

Geduckt huschte er auf die drei Bauten und den großen Corral zu.

Es war kurz vor Mitternacht.

In wenigen Minuten würde in der jetzt noch so still daliegenden Pferdewechselstation bestimmt die Hölle los sein.

Der Marshal hatte sich bis auf sechzig Yards herangeschlichen, wich dann dem Lichtschein aus, der weit über die Straße fiel, und schlich den Hof an.

Er sah schon von weitem, daß nur zwei Pferde im Corral standen.

Hatten die Banditen die anderen Tiere versteckt?

Etwa in dem kleinen Stall?

Unmöglich war es nicht, da der Posthalter selbst ein Pferd haben mußte, das sicher im Stall stand und da höchstwahrscheinlich ein Posten zurückgeblieben war, als der Trupp zu dem Hügel unterwegs war, also insgesamt sechs Pferde wenigstens fehlten.

Der Stall war so klein, daß schon vier Pferde eng nebeneinander gestanden hätten.

Der Umstand machte dem Marshal Gedanken.

Vielleicht hatten sie berittene Posten ausgestellt, die im Kreis um die Station ritten. Die Indianer hätten das so gehalten, von denen Wyatt Earp vieles gelernt hatte. Aber diese Männer da waren keine Indianer. Es waren weiße Banditen, die zwar kaum weniger brutal als Rothäute, sicher aber nicht gerissener waren.

Trotzdem war höchste Vorsicht geboten.

Wyatt kam ungesehen in den Hof, huschte hinters Haus und sah an dem hellen Giebel das Fensterloch.

Die Läden waren nur angelehnt, da die rechte Lade oben aus der Angel gerissen war.

Auf Händen und Zehenspitzen schlich der Missourier an das Haus, blieb tief am Boden unter dem Fenster liegen und lauschte.

Aus dem Raum drang das schwere röchelnde Atmen eines Menschen, das immer wieder von tiefem Stöhnen erfüllt wurde.

Ein glühender Stich zuckte durch das Herz des Marshals.

Da drinnen lag Morg – er war verwundet.

Das Stöhnen wurde stärker und zerrte an den Nerven des Lauschers.

Hätte er geahnt, daß sein Bruder gleich hinter dem Stall in dem kleinen Geräteschuppen lag, wäre vielleicht vieles anders gekommen.

So aber hatte er keine Zeit mehr zu verlieren. Zu schrecklich war das Stöhnen des Verwundeten, sein Röcheln und Nach-Atem-Ringen!

Ric Coster hatte dafür gesorgt, daß Clint Harper dem Gefangenen einen neuen Knebel zwischen die Zähne steckte.

Morgan hatte in vielstündiger mühevoller Arbeit die Handfesseln über einen scharfen Stein im Boden fast durchgescheuert gehabt; der Einäugige hatte es bemerkt und grinsend eine neue doppelt starke Fesselung angelegt.

Wyatt öffnete die linke Lade ein wenig.

Jetzt hörte er auch die Stimmen vorn aus dem großen Raum.

Noch mit dem Kopf unter der Öffnung, zischte er:

»Morg?«

Nichts, nur das röchelnde Luftschnappen, das Ächzen und Stöhnen.

Mit einem Satz jumpte der Missourier über die Fensterbrüstung.

Der Schwerverwundete zuckte von seinem Lager hoch und stieß

einen lauten markerschütternden Schrei aus.

»Hil-fee!«

Im Nebenraum wurde es still.

Dann flog die Tür auf.

Die Gestalt Clint Harpers zeichnete sich gegen das Licht der Kerosinlampe ab.

»Halt’s Maul!« bellte er in den dunklen Raum.

»Hiil-fee!«

Wyatt stand im Eckwinkel hinter dem Schrank. Nur mit Mühe vermochte er seine breiten Schultern so einzuzwängen, daß der Mann vorn in der Tür sie nicht sah.

»Er – ist – da…!« schrie der Schwerverletzte mit sich überschlagender Stimme.

Und Wyatt Earp wußte jetzt, als der matte Lichtschein, der noch an der massigen Gestalt des Mannes in der Tür vorbei in den Raum und auf das Gesicht des Kranken fiel, daß es nicht Morg war, der da lag.

Das war der Bursche, der neben dem anderen vor Garden City zwischen dem Fluß und der Straße im Gras gelegen hatte!

»Clint – Hil-fe! Er – ist – da!«

»Du sollst dein Maul halten!« brüllte Clinton Harper den Unglücklichen an.

»Er – ist – da – hier im Zimmer! Clint – du mußt – mir helfen! Er steht da. – Ich – kann – will – nicht hinsehen! Aber – er steht da. In der Ecke! Clint, in der Ecke…«

Der Marshal hatte den Buntline Revolver schußbereit in der Linken und verhielt sich bewegungslos.

Ric Costers rostige Stimme drang aus dem Vorraum:

»Es ist das Fieber. Es geht mit ihm zu Ende.«

»Du hältst auch das Maul!«

Es war Joe Harper, der den vogelköpfigen Tramp anschnauzte.

Der blutjunge Schießer Jonny Clay lachte gackernd. »Spielen wir jetzt weiter oder nicht, verdammt noch mal?«

Clint drehte sich um.

Da raffte sich der unglückliche Gregg aus dem Bett und wollte dem Bruder nach.

»Clint…«

Der Sheriffmörder drehte sich um.

Wyatt, der mit einem Auge um die Schrankecke lugte, sah das scheußliche Profil des Verbrechers und sah auch, daß er zum Revolver griff.

Gregg lag auf den Knien – das Wrack eines Menschen. Mit ersterbender Stimme schrie er:

»Da – in der Ecke – da steht – er doch – und will mich holen – dich – uns alle!«

Da hob der rücksichtslose Clinton Harper den Colt.

Der Missourier hatte keine Sekunde mehr zu verlieren.

Er verließ mit einem weiten Schritt sein Versteck.

Breitbeinig und hochaufgerichtet stand er da – in jeder Faust einen Revolver.

Clinton Harper vermochte sich vor eisigem Schreck nicht zu rühren.

Aber hinter ihm die Männer sprangen auf.

Weil sie das harte Knacken zweier Revolverhähne gehört hatten – und von hinten sahen, daß Clint nur einen Colt in der Hand hielt.

Ric Coster warf sich gegen Clint und stieß ihn beiseite.

Jonny Clay federte nach vorn und schoß sofort. Es war ein vielfach geübter Trick der beiden – aber diesmal ging er tödlich aus.

Clays Kugel zischte so scharf an Wyatts rechter Wange vorbei, daß er den Luftzug verspürte.

Die Kugel, die der Buntline Special ausspie, stieß Jonny Clay zurück und schleuderte ihn durch die ganze Breite des Raumes, bis er hinten, einen Stuhl mit sich reißend, zu Boden stürzte.

Mit einem wilden Schrei war Brassat da.

Eine Fensterscheibe zersprang.

»Hier!« Klirrend kam es von der Fensterscheibe des großen Raumes.

Doc Hollidays Stimme!

Brassat wirbelte herum und schoß mit Joe Harper zusammen.

Aber das harte Stakkato der Sixguns des Georgiers kam schneller und schleuderte eine graue Nebelwolke von beißendem Pulver in den Raum.

Wyatt stürmte an die Tür.

Clint Harper warf sie mit einem Fußtritt ins Schloß.

»Doc!« brüllte der Marshal.

Und schon flogen die Augen der Tramps zu dem Fenster, dem sie fast deckungslos ausgesetzt waren.

Der Trick gelang. Wyatt wuchtete die Tür mit einem kräftigen Stoß wieder auf.

Mit drei Panthersprüngen entkam einer der Tramps durch die Tür.

Die beiden Dodger schickten ihm blitzschnell durch den langen sinkenden Pulverrauch zwei Kugeln nach.

Joe Harper war entkommen.

Clint Harper, Ric Coster und Cass Brassat kauerten hinter dem umgerissenen Tisch in Deckung gegen das eingeschlagene Seitenfenster.

»Doc Holliday«, keuchte Coster schweißnaß im Gesicht. »Ich habe es gewußt.«

Der schlaksige Jack Ohio, wie die Costers ihren vierten Mann nannten, hatte sich hinter dem Ofen verschanzt.

Neben den Füßen des Marshals lag der Verwundete. Er stöhnte und rang schwer nach Atem, so daß es dem Missourier trotz der dynamitgeladenen Situation in die Seele schnitt.

Er bückte sich rasch, packte den Burschen, hob ihn auf und wollte ihn zum Bett schleppen.

Das hatte Jack Ohio, der der Tür am nächsten stand, gedeckt gegen Hollidays Kugeln vom Fenster her, gehört. Er sprang vor und feuerte eine Kugel auf den Marshal.

Sie streifte Wyatts rechten Oberarm.

Und das sofort zurückgegebene Geschoß riß dem Banditen den Hut vom Schädel und zog ihm eine blutige Furche in den roten Schopf.

»Hölle!« fauchte der Bandit. »Der Hund ist scharf.«

Und der kleine Ric Coster zeigte jetzt, daß er ein Desperado von Format war.

Er bellte im höchsten Diskant:

»Doc! Wir wissen, daß du da bist – und mit einem der Earp-Brüder!«

»Mit Wyatt Earp, Brother!« gab der Spieler schneidend scharf zurück. »Ihr habt den falschen Vogel gefangen!«

Morg! hämmerte es in Wyatts Hirn.

Wo ist Morg?

Einer der Tramps, dieser Joe, war entkommen! Wenn er sich jetzt an Morg vergriff! Aus Rache…?

Er duckte sich hinter dem Bett des Verwundeten nieder.

»Hör genau zu, Boy«, flüsterte er dicht am Ohr des jetzt wie ohnmächtig Daliegenden. »Ich bin Wyatt Earp. Und du weißt es. Ich gebe dir eine Chance, wenn du mir sagst, wo ihr Morg verborgen habt!«

Der Bursche regte sich nicht.

»Well, dann wirst du mit ihnen hängen!«

Wie von einer Feder geschnellt, zuckte der jüngste Harper hoch.

»Nein!« schrie er. »Ich will nicht hängen! Charly hat mich niedergeschossen – weil – ich den Marshal – ich wollte ihn losschneiden…«

»Hört euch an, wie dieser Skunk lügt!« röhrte Clint von drinnen.

»Er sagt die Wahrheit!« rief Wyatt zurück. »Und ein Schurke wie du, der noch vor anderthalb Minuten den eigenen Bruder in die Hölle schicken wollte, hat ohnehin nur den Strick zu erwarten!«

Stille.

Dann keifte Clint: »Thanks, Marshal! Aber vorerst blasen wir dich aus! Joe macht das schon!«

»Du kommst ins Jail nach Dodge, Clint, wie dein prächtiger Bruder, der da schon auf dich wartet. Und dann marschiert ihr zusammen zum Galgen.«

Wieder herrschte einen Augenblick tiefe Stille.

Bis der Einäugige brüllte:

»Das träumst du, Blechsternträger! Aber vorher wirst du ausgeblasen wie dein Bruder.«

Die Lohe zuckte in dem Marshal hoch.

»Doc, es geht los!«

»All right, Marshal!«

Hämmernd wie dichtaufeinanderfolgende Stockschläge klatschten die Kugeln aus den beiden Revolvern des Gamblers in den Raum.

Wyatt Earp schnellte vorwärts.

Gedeckt von dem Feuerstrahl, den der Spieler durch das Fenster spie, hechtete der Marshal gegen Jack Ohio an, riß ihn zu Boden und zerrte ihn mit sich hinter die andere Seite des Schrankes in die Fensterecke.

»Doc! Aufpassen, Joe…!« schrie er, da der geflüchtete Bandit draußen den Spieler gefährdete.

Leise klickten die Patronen des Gamblers in die Trommellöcher.

Und schon pfiffen draußen Geschosse ans Haus, schlugen klatschend ins Holz.

Stille.

Coster schrie:

»Vorwärts! Joe, mach den Spieler fertig!«

Er, Clint und Cass Brassat sprangen hoch.

Wyatt hieb Jack Ohio einen knackenden Handkantenschlag zwischen Kopf und Schulter und schleuderte ihn den dreien entgegen.

Draußen peitschten die Geschosse wie wilde Hummeln hin und her.

Wyatt Earp hatte es mit den vier Banditen allein zu tun, denn Jack Ohio war offensichtlich hart im Nehmen und kam sofort wieder hoch.

Da, in dieser höllischen Minute geschah es!

Wie mit einem Donnerschlag zersprang vorn das große sechsteilige Fenster, und mit den Holz- und Scherbenstücken, die klirrend und prasselnd in den Raum stoben, flog geballt wie eine Riesenkugel, ein Mensch.

Wyatt hatte ihn sofort erkannt. Er hätte es auch dann, wenn er den Mann gar nicht gesehen hätte.

Luke Short!

Mit seinem Hat-Trick und einem ganz unnachahmlichen Kugelsprung durchs Fenster platzte er mitten in den Raum und fuhr wie der Teufel unter die Banditen.

»Hello, Boys! Onkel Luke ist da«, dröhnte die Stimme des texanischen Riesen. Und schon schleuderte ein krachender Linkshänder Cass Brassat zurück und riß den Tramp von den Beinen.

Jack Ohio, der sich kaum von seinem Schrecken erholt hatte, mußte einen linken Uppercut voll fressen, der so wuchtig war, daß er den Outlaw über die Absatzkanten nach hinten auf die Dielen warf.

Im gleichen Augenblick drang Wyatt Earp mit einem Jubelschrei auf die beiden gegen ihn anstürmenden Verbrecher ein.

Clinton Harper, der einen viel zu weit hergeholten Schwinger auf ihn losschickte, wurde von einem fürchterlichen linken Haken, der blitzschnell wie der Paukenschlag einer Raubkatze kam, auf der Herzspit-

ze getroffen und knickte dann in die Knie.

Im Abdrehen krachte ein rechter Backhander des Marshals gegen den Schädel des raubvogelgesichtigen Ric Coster.

Auch der fiel wie eine plötzlich fadenlos gewordene Marionette in sich zusammen.

Ein peitschender Schuß vom Fenster her zerschoß die Lampe.

»He, der Doc ist auf Draht!« brüllte der Texaner.

»Er hat gemerkt, daß hier schon aufgeräumt ist.«

Im Raum war es dunkel.

Das hinderte einen Draußenstehenden daran, in den Raum zu sehen, machte es aber auch den Männer in der Station unmöglich, zu beobachten, was die Banditen machten.

Wyatt Earp verließ sofort den großen Raum und stürmte durch das Schlafgemach zum hinteren Fenster.

Die Lade war wieder zugefallen, und der Marshal hob sie auseinander.

Dann sprang er hinaus, warf sich sofort hin, um augenblicklich wieder hochzuschnellen.

Diese Vorsicht sollte sich als nicht überflüssig erweisen: Von der rechten Hausecke her zuckten Mündungsfeuer auf. Zwei Kugeln pfiffen dicht über dem Missourier dahin.

Wyatt Earp warf sich herum und schoß zurück.

Vorn trat Luke Short die Tür auf.

»Doc, wenn’s jetzt draußen dunkel wird, bin ich das.«

Und dann heulten seine Revolver auf.

Joe Harper hatte keine Chance.

Obgleich in der Poststation noch fünf Kumpane steckten, er sogar im Freien war, gab es für ihn keine Möglichkeit mehr zu entkommen. Er hatte die drei größten Männer gegen sich, die der Wilde Westen überhaupt kannte, Revolverkämpfer von einem Format, das nie wieder ein anderer Mann erreichen sollte: Den Marshal Wyatt Earp, den Gambler Doc Holliday und den großen texanischen Abenteurer Luke Short.

Er stand drüben auf der Straße und hatte noch genau drei Patronen, die er eben aus den Gurtschlaufen gezogen und in die Revolvertrommel gesteckt hatte.

Der große Fight war jetzt schon zu Ende, aber er wußte es noch nicht. Vielleicht wollte Joe Daniel Harper es auch nicht wissen.

Wyatt Earp stand links an der Hausecke, Doc Holliday, der ihn schon mit einem Schuß am Oberschenkel verletzt hatte, stand auf der rechten Seite des Hauses, und irgendwo auf dem dunklen Vorbau mußte der riesige Texaner stehen.

»Yeah, Boy, nun sitzt du in der Mausefalle«, rief ihm der Hüne zu.

Clinton Harper, der Bandit aus Eisenholz, hatte die Wirkung des furchtbaren Schlages abgeschüttelt, torkelte zur Tür und stieß sie auf.

Sein Bruder Joe, der das Geräusch gehört hatte und an einen Angriff glaubte, stieß den Colt vor und schoß dann.

Von drei Kugeln getroffen, brach der einäugige Sheriffsmörder von den Pineridge Plains auf dem Vorbau der Pferdewechselstation, nur etwa anderthalb Yards vor Luke Short zusammen.

Wyatt Earp, der den dumpfen Aufschlag nach den Schüssen gehört hatte, und glaubte, der Riese sei getroffen, sprang vorwärts, obgleich er nicht wußte, ob der Verbrecher noch Kugeln im Revolver hatte, hechtete auf ihn zu und wuchtete zwei fürchterliche Haken in ihn hinein, die den Outlaw zu Boden schickten.

»Doc!« rief er. »Was ist mit Luke?«

Der Georgier war mit einem federnden Sprung von der Hauskante auf den Vorbau gekommen.

»Alles in Ordnung, Marshal«, rief der Texaner. »Der Halunke hat seinen eigenen Kameraden erwischt.«

Wyatt Earp bückte sich, packte den am Boden kauernden Tramp am Kragen und schleifte ihn zur Station.

Luke Short stieß die Tür auf.

»Kommt raus, Boys. Schätze, daß ihr an zwei Toten vorerst genug habt. Am Strick stirbt’s sich luftiger.«

Nacheinander kamen sie heraus.

Brassat, Jack Ohio und der kleine Coster. Wie geprügelte Hunde standen sie auf dem Vorbau.

Wyatt packte Brassat am Kragen und riß ihn zu sich heran.

»Wo habt ihr ihn?«

Der Bandit mit dem Raubvogelgesicht war dumm genug zu fragen: »Wen?«

Wyatt stieß ihn gegen die Hauswand zurück, daß er aufschrie vor Schmerz.

»Sag, wo er ist, Kerl, oder ich stampfe dich in den Boden.«

»Hinten im Geräteschuppen!« meldete sich Jack Ohio.

Wyatt sah, daß Doc Holliday und der Texaner ihre Revolver in Händen hatten.

Da rannte er los, ums Haus herum, am Stall vorbei und stieß die Tür des Schuppens auf.

»Morg! Bist du hier?«

Vorsichtshalber blieb er so neben der Tür stehen, daß er von einem etwaigen Gegner nicht überrascht werden konnte. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, daß der Bandit ihn in eine Falle geschickt hatte.

Aus der Hütte drang ein leises Ächzen.

Da riß Wyatt ein Zündholz an und warf es in den Raum.

Da vernahm er hinter sich rasche, schwere Schritte.

»Ich bin’s, Marshal!« rief der Texaner. »Ziemlich düsteres Loch«, meinte er, als er bei dem Missourier ankam.

»Das werden wir gleich haben.«

Mit einem Panthersatz sprang er an der Tür vorbei, tigerte um den Schuppen herum, und gleich darauf zerbarsten unter einem schweren Fußtritt mehrere Bretter an der Rückseite der Hütte.

»Sehen Sie so mehr, Wyatt?«

Der Missourier lag tief am Boden und vermochte jetzt tatsächlich den kleinen Raum zu überblicken. Rechts auf einem Bretterstapel lag ein zu einem Paket zusammengeschnürter Mensch.

Der Marshal packte ihn und schleppte ihn ins Freie.

Luke Short war sofort wieder da und half ihm die Stricke aufzuschneiden.

Wyatt nahm das Gesicht des Bruders in beide Hände.

»Morg, Boy, wie sieht’s aus?«

Morgan dehnte die Glieder und sog die frische Nachtluft tief in die Lungen.

»Thanks, alles in Ordnung, Wyatt.« Und mit einem schrägen Blick auf den Texaner meinte er: »Wo ist dir denn dieses Untier zugelaufen? Zuerst hörte ich das helle Singen von Hollidays Revolvern, und dann deinen Buntline Special. Da wußte ich, daß ihr hier ward. Und als dann plötzlich die Scheibe zerkrachte, daß es sich anhörte, als wenn die ganze Station zusammenfallen sollte, wußte ich auch, daß der Tex da war. – Hallo, Luke!«

Der Riese feixte, und man sah in der Dunkelheit seine großen weißen Zähne schimmern.

»Ich glaube, ich habe endlich etwas von Doc Holliday gelernt: im richtigen Augenblick da zu sein.«

»Ja«, meinte Morgan Earp, »nur daß es bei dem Doc bedeutend leiser geschieht.«

Der Texaner griff in seine Westentasche und angelte eine lange schwarze Virginia heraus.

»Verdammt, das Ding ist zerdrückt.«

Plötzlich fuhr der Riese herum und zog den Colt. Mit einem Seitenblick bemerkte er, daß der Marshal ihn schon gezogen hatte.

Vorn am Stalltor hatte sich etwas bewegt.

»Stehenbleiben!« rief Wyatt Earp.

Der Texaner sprang sofort auf die Stallwand zu und schob sich in den Türwinkel.

Der Revolverhahn des Missouriers knackte.

Ein Mann trat aus dem Stalltor, mit erhobenen Händen. Man sah es trotz der Dunkelheit.

Morgan, der noch am Boden kniete rief:

»Das ist der Stationsmaster, Wyatt!«

»Norman?« fragte Wyatt.

Jetzt hatte der Stationsmaster auch die Stimme des Marshals erkannt. »Ja, Mr. Earp, ich bin es.«

»Der hat nichts mit der Bande zu tun«, warf Morgan ein.

»Kann ich mir denken«, sagte Wyatt und ging auf den Alten zu.

»Er hat mich gepflegt, Wyatt, und obgleich immer einer der Banditen aufpaßte, zauberte er Fleischstücke in die Suppe. Er wußte sofort, was hier gespielt wurde.«

»Und ob«, meinte der Alte grinsend. »Das war ja mein einziger Trost während der ganzen Zeit: daß die Bande Sie für Wyatt Earp hielt und der Marshal auf jeden Fall kommen mußte.«

Die Männer gingen zum Vorbau, wo der Georgier noch die drei anderen in Schach hielt.

Der tote Bandit Clay wurde von seinen Kumpanen Brassat und Coster und unter Aufsicht von Luke Short jenseits der Straße begraben.

Als die Lampe brannte und der Stationsmaster den gefesselten Joe Harper sah, ballte er die Fäuste und knurrte:

»Das ist der größte Schurke von allen.« Dann wandte er den Kopf und blickte den Marshal an.

»Und der andere, den er nach Dodge geschickt hat?«

»Der sitzt im Jail«, antwortete Wyatt.

»Good. Dieses Scheusal hat Jonny Tucker erschossen, von der Hellmers Ranch.«

»Ich muß sagen, Mr. Norman«, meinte der Texaner, »daß Sie ziemlich merkwürdige Bekannte haben.«

Der Alte sah an dem Riesen empor und entgegnete:

»Doch, ja, das stimmt.«

Wyatt Earp hatte Doc Holliday zu dem Verwundeten in die kleine Kammer gebracht.

Luke Short, der inzwischen die Banditen der Reihe nach kunstgerecht gefesselt hatte, hielt die Lampe, und der Marshal hielt die Instrumententasche, als der einstige Bostoner Arzt dem jetzt besinnungslosen Burschen die Kugel herausschnitt.

Als Gregg Harper verbunden war, traten die Männer auf den Vorbau hinaus, um frische Luft zu schöpfen.

»Ich glaube, diese Bagage ist niemals auszurotten«, fand der Texa-

ner.

Morgan wandte sich an Holliday: »Hat er eine Chance?«

Der Spieler zündete sich eine Zigarette an, stieß den Rauch durch die Nase und schnippte das Zündholz in den Sand.

»Beim lieben Gott schon, ob er bei Wyatt Earp eine hat, weiß ich nicht.«

Gregg Harper wurde wieder gesund, und der gute Wille, den er in jener mörderischen Stunde im Geräteschuppen der Pferdewechselstation dem Gefangenen gegenüber gezeigt hatte, bewahrte ihn als einzigen vor dem harten Urteil, das Richter Jefferson über die Banditen sprach.

An den Galgen wurde keiner geschickt, aber der irdische Richter, der sie auf Lebzeiten in die grauen Steinbrüche von Sescattewa schickte, hatte ihnen damit gewiß keine Gnade erwiesen, denn eine furchtbarere Strafe konnte es für einen Verbrecher nicht geben.

Gregg Harper, den ein gnädiges Geschick von seinen Brüdern hatte abweisen lassen, der lieber ein Feigling als ein Gewaltverbrecher sein wollte, war gar nicht zur Verhandlung erschienen.

Wyatt Earp, der die großen Gangster haßte und mit tödlicher Energie verfolgte, drückte bei einem Gestrauchelten ein Auge zu und blieb bei diesem Vorsatz, obgleich er es einmal hatte bereuen müssen.

Der kleine Harper ritt zurück durch Nebraska hinauf nach South Dakota und war nicht wenig erstaunt, als er auf der Ranch seinen Vater traf.

Der Mann, der ihn da nachts angeschossen hatte, war nur ein Betrunkener gewesen.

Und deshalb hatten Clint und Joe ihren Vater auf der Straße liegengelassen.

Der tote Sheriff McLean wurde nicht mehr gesucht. Über seinem Grabhügel wuchs hohes, trockenes Savannengras.

Die beiden Harpers und die alte Negerin bewahrten ihr furchtbares Geheimnis für sich, arbeiteten auf der Ranch und schwiegen sich aus, wenn einmal ein Fremder nach den anderen Harper Brothers fragte, die in Shenandoah geblieben waren.

Und Morgan Earp, dem der junge Gregg den Mord des Bruders anvertraut hatte, wußte dieses Geheimnis auch für sich zu behalten.

Wieder einmal war es der jüngste Earp-Bruder gewesen, der dem Wahnwitz eines Verbrechers zum Opfer gefallen war; glücklicherweise hatten ihn sein Bruder Wyatt, Doc Holliday und der wie aufs Stichwort erschienene Texaner aus der Klemme gehauen.

Als die Harpers aus Dodge weg-

gebracht wurden auf den Trans-

port nach Colorado, stand der lan-

ge Tex neben dem Marshal an der Bahn.

»Wenn ich bedenke, daß ich eigentlich heute erst in Dodge sein wollte, muß ich sagen, daß ich mir’s für die Zukunft angewöhnen will, immer drei Tage früher zu kommen…«

Wyatt Earp Paket 2 – Western

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