Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 15

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Asphaltgrau spannte sich der Himmel über die Savanne. Es war früher Morgen, fünf Uhr.

John Elliot trat aus dem Blockhaus und reckte seine Glieder. Fern im Südwesten konnte er die Desert Hills erkennen, hinter denen die große Salzwüste lag. Hier oben auf dem Plateau wehte ein scharfer Wind und bog die Gräser.

Elliot wischte sich durchs Gesicht und ging mit schleppenden Schritten zum Brunnen hinüber.

Während er die zwanzig Yards vom Haus zu dem ummauerten Wasserloch durchmaß, dachte er das, was er jeden Morgen dachte: Es ist ein scheußliches Land, dieses Nevada.

John Elliot war unzufrieden – trotz seiner neunzehn Jahre. Sein Leben als Cowboy gefiel ihm nicht, obgleich er es sich selbst ausgesucht hatte. Er war drüben in Loroy auf die Welt gekommen, in einer Stadt, die sich für John nur darin von anderen Städten des Westens unterschied, daß sie noch kleiner, noch armseliger und noch langweiliger war.

Die Mutter, eine sehr fleißige gute Frau, hatte in der Mainstreet von Loroy eine Wäscherei. Sie war nicht mehr die jüngste, und Jonny, ihr einziges Kind, hätte ihr helfen können, hätte alles haben können, aber er wollte es nicht. Er verabscheute das Stadtleben, die Arbeit in dem von tausend Gerüchen erfüllten Dampf der Waschstube – er hatte Cowboy werden wollen.

Drei Jahre war Elliot nun schon auf der Ranch. Seit einem Jahr hockte er hier auf dem Vorwerk, einer Weidestation, die der sparsame Miller immer nur mit einem Mann besetzt hielt.

Damned! Wie der Bursche dieses fade langweilige Leben haßte.

Damals hatte man von Dodge City erzählt, von dem wilden Leben in der alten Treibherdenstadt, von den Kämpfen – und dann war es plötzlich sehr still um den Namen Dodge City geworden. Wyatt Earp hatte mit eisernem Besen in der Stadt aufgeräumt.

Wyatt Earp! Welch ein Mann. Jonny hatte das undeutliche Bild des Marshals aus der Zeitung geschnitten, damals, als er von den Revolverkämpfen in Dodge gelesen hatte.

Aber diese Zeit war vergangen. Ein neues Land, eine neue Stadt, machten seit zwei Jahren von sich Reden, zogen den Schwerpunkt der ›gefährlichen Westernwelt‹ auf sich.

Das Land Arizona und die Stadt Tombstone!

Elliot träumte von diesem Namen. Eines Tages würde er seinen Braunen satteln und nach Arizona reiten.

Man braucht nur den richtigen Anstoß, den Mut zu dem Ritt, sagte John sich immer wieder.

Als er sich über den Brunnenrand beugte, sog er den frischen Duft des Wassers tief ein. Dann spülte er sich das kühle Naß über Gesicht und Nacken.

Noch triefte das Wasser von seinem Schädel, als er in der zitternden Oberfläche des Brunnens einen zweiten Kopf sah.

Für einen Augenblick war John Elliot steif vor Schreck. Dann, als sich der Wasserspiegel glättete, erkannte er das Gesicht Raine Porters.

Elliot richtete sich auf. »He, du hast wohl auch nichts Gescheiteres im Kopf, he?«

Der Cowboy grinste seinen Kameraden an.

»Was denn, wenn du hier rumplantschst, kannst du ja auch eine Horde von Shoshones nicht hören, die dir ins Genick springt.«

Elliot wischte sich das Wasser ab. »Was willst du hier, Raine?«

»Du sollst auf die Ranch kommen.«

»Weshalb? Wer hat das gesagt?«

»Jim.«

Elliot warf das schmutzige Handtuch auf die Bank neben der Blockhaustür.

»Was ist los?«

Porter zog die Schultern hoch. »Keine Ahnung.« Dann ging er auf sein Pferd zu und löste die Sattelgurte.

Elliots Gesicht hatte sich verfinstert. Wie er dies alles haßte! Wie er es verabscheute, daß ihn der Rancher einfach hin und her schieben konnte wie einen morschen Weidepfahl!

Ohne Hast machte er sich fertig, holte den Gaul von der Koppel, sattelte ihn auf und ritt grußlos davon.

Elliot erreichte die Ranch am späten Nachmittag.

Kläffend sprang ihm der große graue Hund des Ranchers entgegen. Elliot trieb ihn mit einem Fußtritt zur Seite.

Drüben am Sägebock standen Jeff Haggar und Olde Henderson und quälten sich mit einem mannsdicken Baumstamm ab. Links an der Pferdetränke plantschte der sechsjährige Ray Miller, der jüngste Sohn des Ranchers, herum. Jenny, die fünfzehnjährige Tochter Millers, nach der sich die ganze Crew bereits den Kopf verrenkte, hing hinten zwischen der Scheune und dem Mannschaftshaus Wäsche auf.

Mit verschlossenem, mürrischem Gesicht ritt der Cowboy an die Veranda heran, rutschte aus dem Sattel und warf die Zügelleinen über den Querholm.

»He, Jonny!«

Elliot blickte sich um.

Drüben in der Tür des Geräteschuppens stand der Vormann.

Langsam ging der Cowboy auf ihn zu. »Sie haben mich rufen lassen, Jim?«

Der Vormann nickte. »Yeah – das heißt, der Boß will mit Ihnen sprechen.«

»Mit mir?«

»Ja, gehen Sie hinüber, er ist im Corral irgendwo bei den Pferden.«

John Elliot stakste auf die Pferch zu, in der die Pferde standen. Er sah die massige Gestalt des Ranchers drüben an den Boden gebeugt, um das Fußgelenk eines Falben zu untersuchen. Neben ihm stand Harry, der auch Cowboy auf der Ranch war.

Elliot schob sich zwischen den Pferden hindurch.

Der Rancher sah ihn nicht. Harry machte ihn auf John aufmerksam.

Da erhob sich Miller und strich sich eine widerborstige Strähne seines grauen Haares aus der wetterbraunen Stirn. »Jonny, da sind Sie ja.«

Elliot legte den Kopf ein wenig auf die Seite und lauschte dem sonderbaren Klang in der Stimme des Viehzüchters nach. He, da stimmte doch etwas nicht! Der Boß war sonst keineswegs so weich.

»Sie haben mich rufen lassen, Mister Miller?«

»Yeah – eh, kommen Sie mit, wir gehen rüber ins Haus und werden einen Whisky zusammen trinken.«

Da schluckte der Cowboy Jonny Elliot. Damned, jetzt war er überzeugt, daß tatsächlich etwas faul war. Bisher hatte der Boß noch nie einen Drink mit ihm genommen.

Sie gingen hinüber ins Ranchhaus.

Miller warf seinen Hut auf einen Wandhaken, ging zum Schrank und holte den Kentucky Dry heraus mit zwei Gläsern.

Nachdem sie getrunken hatten, meinte er: »Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal zu Hause, Jonny?«

Elliot stellte das Glas mit einem harten Ruck auf den Tisch. Er glaubte verstanden zu haben.

»Hat meine Mutter Ihnen geschrieben? Damned, ich habe ihr erst im vergangenen Jahr einen Brief geschickt, worin ich sie bat, mich zufrieden zu lassen. Ich habe schließlich keine Zeit. Und…«

Da stellte auch der Rancher sein Glas mit einem harten Ruck auf den Tisch. Rauh erklärte er: »Sie werden keinen Grund mehr haben, Elliot, sich über Ihre Mutter zu beklagen. Sie ist tot.«

Wie versteinert stand der Bursche da. Nichts in seinem Gesicht verriet, was er jetzt dachte und empfand.

Miller nahm die beiden Gläser und stellte sie auf das Schrankbrett.

»Sie können sofort reiten«, sagte er rauh.

»Reiten?«

»Yeah.«

»Wohin?« knurrte der Cowboy.

Da warf der Rancher seinen massigen Schädel herum. »Wohin? – Well, Elliot, wenn Sie das nicht wissen, dann weiß ich es auch nicht.«

John Elliot setzte seinen Hut auf und wandte sich um. Mit starrem Gesichtsausdruck verließ er das Ranchhaus. Als er sich in den Sattel setzen wollte, sah er plötzlich die Augen Jim Honolkas vor sich. Es waren harte graue Weidereiteraugen.

»Wo wollen Sie hin, Jonny?«

Der Cowboy schwieg. Zwischen seine Brauen hatte sich eine steile Falte gegraben.

Da meinte der Vormann: »Wann sind Sie zurück?«

Auch darauf schwieg Elliot.

Da schob sich Honolka den verschwitzten Hut aus der Stirn.

»Sie können sich Zeit lassen, Jonny. Und…, es tut uns allen sehr leid.« Dann griff er in die Hemdtasche und nahm ein Bündel Geldscheine heraus, das er dem Reiter hinhielt.

Jonny schob es achtlos in die Tasche.

Das war dem Vormann denn doch zuviel.

»He, Boy, wenn Sie Ihre Kröten schon nicht nachzählen, so wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie wissen, daß wir bei den Boys gesammelt haben, um einen anständigen Sarg für Ihre Mutter auf die Beine zu bringen. Der Boß hat die Hälfte allein dazugegeben.«

In den Mundwinkeln des Cowboys zuckte es, dann nahm er die Zügelleinen hoch und trabte grußlos aus dem Hof.

Mit gespreizten Beinen und in die Hüfte gestemmten Armen stand der Vormann da und sah ihm nach. »Verdammter Kanacke!«

Wußte der Junge denn nicht, wie wenig die Cowboys verdienten, und wie schwer es ihnen gefallen sein mußte, von ihrem kargen Lohn auch noch einige Dollars pro Mann für den Sarg der Mutter ihres Kameraden zu stiften?

Oben in der Tür erschien der Rancher. »Was machen die neuen Hacken, Jim?« fragte er heiser.

Honolka, der seinen Boß genau kannte, knurrte:

»Die werden heute abend fertig sein, Boß. – Und der da«, er deutete mit dem Kinn hinter dem Reiter her, »der kommt nicht wieder.«

*

John Elliot war nach Norden geritten. In Cabre hielt er vor dem Railway-Saloon an und rutschte aus dem Sattel.

Auf dem Vorbau stand ein großer schlaksiger Mensch mit vorgebeug-

ter Haltung, in ledernem Zeug und Schlapphut mit zerfranster Krempe.

Sein Gesicht war ledern und von scharfen Falten zerschnitten. Dreißig war er vielleicht, höchstens fünfunddreißig, doch sah er bedeutend älter aus.

Es war der Wildpferdjäger Jack An-drew. Ein wenig angenehmer Bursche, der alle Vierteljahr in der Stadt auftauchte, um seine Mustangs an den Mann zu bringen, der dann sein Geld anschließend an den Wirt der Eisenbahnschenke brachte, an die blonde Jenny Clingford und an Kartenhaie, die gerissener waren als er.

Bei eben diesem Punkt war der Wildpferdjäger jetzt angelangt, und wie stets war er dann schlechter Laune.

»He, Cowpuncher«, krächzte er und verstellte dem Weidereiter den Weg. »Wie sieht’s aus, kannst du einen armen Horsecatcher nicht zu einem kleinen Drink einladen?«

Elliot sah ihn aus seinen kalten schiefergrauen Augen an, schob ihn dann mit der Linken beiseite und ging auf die mit Glaspapier beklebte Tür der Kneipe zu.

Da wurde er von hinten gepackt und herumgerissen. Er blickte in das scharfe Gesicht des Pferdejägers.

»Ich hatte dich etwas gefragt, Cowpuncher. Ich habe es gar nicht gern, wenn ich nicht wenigstens eine Antwort kriege.«

Die Antwort bekam er sofort. Jonny Elliot hieb ihm die rechte Faust an den Schädel, daß er um seine eigene Achse gewirbelt wurde und zurück gegen einen der dünnen Vorbaupfeiler taumelte.

Rasend schnell spielte sich dann alles Weitere ab.

Andrews Gesicht war wutverzerrt. Seine Rechte riß den Colt aus dem Halfter und stieß ihn vor.

Der Cowboy John Elliot drückte um den Bruchteil einer Sekunde früher ab. Er hatte gar nicht gewußt, daß er so schnell war.

Als habe ihn ein Keulenschlag getroffen, so brach der Wildpferdjäger in sich zusammen. Stumm und reglos lag er auf den Vorbauplanken. Mit harten Augen blickte der Cowboy auf ihn nieder.

Drüben aus dem Sheriffs Office sprang der breitschultrige Ernest Formby und stürmte heran. Er hatte den Revolver in der Hand.

»Ist er tot?«

»Yeah.«

»Damned! Mann, Sie haben ihn erschossen!«

Da trat aus der Kneipe ein untersetzter Mann mit einem breiten Bullbeißergesicht. Er trug einen gelben Melbahut, ein gelbes Halstuch, ein gelbliches Hemd und eine gelbliche Weste. Auch Hose und Stiefel waren gelblich. Sogar sein Gesicht und seine Augen schienen eine gelbliche Tönung zu haben.

»Augenblick, Sheriff. Es war Notwehr.«

Der Gesetzesmann blickte den ›Gelben‹ an.

»Haben Sie das beobachtet, Philby?«

»Mister Philby, wenn ich bitten darf. – Yeah, ich stand gerade am Fenster und sah, wie der Horsecatcher ihn angriff. Es war einwandfreie Notwehr, Sheriff.«

»Well, wenn Sie es bezeugen können.«

»Ich kann es bezeugen«, erklärte Philby.

Der Gesetzesmann musterte ihn noch einen Augenblick, dann bückte er sich, um den Toten aufzuheben.

»Vielleicht hilft mir einer von Ihnen, Andrew hinüberzutragen ins Totenhaus.«

Philby lehnte die Aufforderung mit einem häßlichen Grinsen ab, und der Cowboy wandte sich einfach um und ging wortlos in die Schenke.

Philby folgte ihm. An der Theke holte er ihn ein und lehnte sich neben ihn.

Elliot beachtete ihn nicht.

Philby stützte sich mit den Ellbogen auf die Thekenkante auf und sagte: »War ein guter Schuß, Mister.«

Der Cowboy antwortete nicht darauf. Statt dessen gab er dem Keeper einen Wink und bestellte einen Whisky.

Im Schädel des Cowboys John Elliot herrschte ein seltsames Durcheinander. Er hatte soeben einen Menschen erschossen, eine Tatsache, die nicht recht in den Vordergrund seines Denkens zu rücken vermochte.

Der Wildpferdjäger Jack Andrew war der erste Mensch, dessen Leben John Elliot ausgelöscht hatte. Vernichtet, mit einem einzigen Schuß. Das Geschehen tat ihm nicht etwa leid – andererseits war er auch nicht froh darüber oder stolz darauf.

Elliot warf ein Geldstück auf die Theke und ging hinaus.

Da trat Philby ihm in den Weg. Während er die Zähne fletschte, erklärte er feixend: »Hallo, Mister, ohne mein Dazwischentreten hingen Sie jetzt höchstwahrscheinlich an einem schönen luftigen Ast.«

Er wies mit dem Daumen über die Schulter. »Hören Sie sich das da draußen an. Das sind wenigstens zwei Dutzend Männer. Die haben sich inzwischen hier eingefunden. Jack An-drew haben sie alle gekannt. Niemand aber kennt Sie. Wäre neugierig, was Sie den Leuten erzählen wollten, wenn Ole Philby nicht dazugekommen wäre.«

Da wandte der Cowboy dem anderen das Gesicht zu und sagte mit heiserer Stimme: »Ich habe Sie nicht um Ihre Hilfe gebeten, Mister Philby, also haben Sie jetzt auch kein Recht, Dank von mir zu fordern.«

»Dank? Aber Mister, wer fordert denn das?«

»Was wollen Sie denn?«

Philby hakte die Daumen hinter den Waffengurt. »Vielleicht hatte ich die Absicht, Ihnen einen Job anzubieten.«

»Ich suche keinen Job.«

»Er wird gut bezahlt.«

»Trotzdem…«

Philby lächelte wieder sein süffisantes Lächeln.

»Ich bin Ole Philby. Wenn Sie länger in der Gegend wären, hätten Sie schon von mir gehört.«

»Es ist mir völlig einerlei, wer Sie sind, Mister. Lassen Sie mich zufrieden.«

»Schade. Sie hätten sich mein Angebot wenigstens anhören sollen.«

Da mischte sich der Salooner ein.

»Yeah, Stranger, Mister Philby hat recht. Ihm gehört das große Sägewerk am Ende der Stadt. Wenn einer einen Job zu vergeben hat, dann er. Und ich höre immer wieder, daß man bei Philby gut verdient.«

Elliot starrte verbissen vor sich hin. Nein, er hatte weiß Gott nicht die Absicht, in einer Sägemühle zu arbeiten. Aber wenn es von hier nach Tomb-

stone hinunter über sechshundert Meilen waren, dann brauchte er Geld. Mehr Geld, als er besaß.

Daß knapp vierzig Meilen von hier eine alte Frau seinetwegen an Kummer gestorben war, hatte er fast vergessen. Aber die Arbeit in einer Sägemühle war weit schlimmer als das Weidereiterhandwerk.

»Ich werde es mir überlegen.«

Ole Philby strich sich schmunzelnd über den Schnurrbart.

»Na also, Sie kommen noch zur Vernunft. Ich wußte es ja. Mit den jungen Kälbern muß man nur Geduld haben.«

Aus den Augen Elliots schoß ein Blitz.

»Wenn Sie irgend etwas mit mir vorhaben, dann drücken Sie sich klarer aus. Ich liebe kein Gerede um den heißen Brei herum.«

Philby blickte amüsiert in das Gesicht des Cowboys.

»Sie gefallen mir, Mann. Wie heißen Sie?«

»Elliot«, kam es mürrisch zurück.

»Nur Elliot?«

»John Elliot.«

»Well, Jonny«, meinte Philby und reichte dem Weidereiter die Hand. »Ich bin ein alter Fuchs. Ich habe sofort erkannt, auf welchem Trail Sie reiten…«

»Auf welchem Trail reite ich denn?«

»Sie suchen irgend etwas. Da dachte ich mir, der Junge sucht einen Job. Auf jeden Fall braucht er einen Job. Einen guten Job.«

Eine Stunde später saßen sie im Büro der Sägemühle.

Der Betrieb hatte schon Feierabend gemacht. Und es war still in dem zweigeschossigen hohen Haus. So still, daß der Cowboy sich darüber wunderte.

Elliot, der kein Freund vom langen Herumreden war, meinte: »Raus mit der Sprache, Philby. Um was für einen Job handelt es sich. Was springt dabei heraus?«

Philby ließ sich auf der Tischkante vor dem Cowboy nieder.

»Sie brauchen doch Geld, Jonny.«

»Natürlich, wer braucht kein Geld?«

»Der Job, den ich Ihnen zu bieten habe, bringt Ihnen mehr Bucks ein, als Sie ein ganzes Jahr auf der Weide gemacht haben, Junge.«

Elliot schickte ihm einen mißtrauischen Blick zu.

Da meinte Philby: »Ich habe Sie tatsächlich beobachtet, vorhin vorm Railway-Saloon. Sie haben eine verdammt schnelle Hand, Elliot. Viel zu schnell für einen Cowboy.«

»Was wollen Sie eigentlich, Philby?«

Der Sägewerkbesitzer ließ sich jetzt in einem Sessel nieder. »Well, ich will mit offenen Karten spielen, Elliot. Aber vorher möchte ich Ihnen noch sagen, daß Sie keine Chance haben werden, irgendwelches Kapital aus dem zu schlagen, was ich Ihnen jetzt sage – wenn Sie nicht mitmachen wollen.«

Mitmachen wollen? Jetzt fiel auch in dem etwas primitiven Hirn des Cowboys die Klappe. Aber er schwieg.

»Es ist eine verdammt mühselige Geschichte, Holz an den Mann zu bringen. Erst muß man es kaufen, und dann verarbeiten, und dann muß man wieder jemanden suchen, der es kauft. Das ist ziemlich anstrengend, Elliot. Ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Es gibt eine Möglichkeit, die Geschichte erheblich zu beschleunigen.

Vierunddreißig Meilen von hier gibt es eine andere Sägemühle. Der Mann ist eines Tages auf den dummen Gedanken gekommen, die fertigen Bretter in die Städte zu liefern. Auch hierher liefert er. Sie müssen zugeben, daß das unfair ist, weil er mir das Geschäft kaputt macht.«

»Unfair?« knurrte der Cowboy. »Weshalb denn? Er kann seine Bretter doch verkaufen, wo er will. Und wenn Ihr Holz gut ist, werden Sie höchstwahrscheinlich hier in der Stadt genug finden, die es kaufen.«

Philby kniff ein Auge zu.

»Sie sehen das nicht richtig, Junge. McPherson verkauft die Bretter zu einem erheblich niedrigeren Preis, wie ich sie verkaufen kann.«

Das war eine Lüge. Die Sache lag ganz einfach so, daß der Holzhändler Ole Philby gar nicht daran dachte, ernsthaft zu arbeiten.

Er hatte im Gegenteil nicht mehr und nicht weniger vor, als einen Überfall auf den Brettertransport. Und dieser junge Bursche sollte ihm dabei helfen.

Als der Cowboy erfuhr, was Philby also tatsächlich von ihm wollte, nahm er seinen Hut und ging zur Tür.

»Tut mir leid, Mister Philby. Das ist kein Job für mich. Ich habe keine Erfahrung darin. Und dreihundert Bucks, die Sie mir dafür geboten haben, entsprechen keineswegs einem Jahresverdienst eines Cowboys.«

Damit wollte er zur Tür.

Das knackende Geräusch eines Revolverhahns ließ ihn stehenbleiben.

Ganz langsam wandte er sich um.

Ole Philby hatte sich erhoben und hielt in der Rechten einen gespannten Colt vom Modell Peacemaker.

»Nicht so hitzig, Junge. Ich sagte dir doch, daß du keine Chance haben würdest, Kapital aus der Gechichte zu schlagen. Das ist eben dein Risiko.«

»Was soll das heißen, Philby?«

»Daß ich dich jetzt über den Haufen schießen werde, Cowboy, und dem Sheriff dann die betrübliche Mitteilung machen muß, daß du hier einen Überfall auf mich starten wolltest. Ich habe also dann in reiner Notwehr gehandelt. Wie du vorhin vor der Schenke.«

»Sie sind ein ganz verdammter Erpresser, Philby«, keuchte der Bursche. »Sie verlangen von mir, daß ich die zwei Fuhrleute niederschieße, damit Sie in den Besitz einer Doppelladung Bretter kommen.

Sie können mir nichts vormachen. Ich weiß ziemlich genau, was Holz wert ist und kostet. Die beiden großen Wagenladungen bringen Ihnen mehrere tausend Bucks ein. Und mich wollen Sie mit schäbigen dreihundert Dollar abspeisen? Obendrein verlangen Sie von mir einen zweifachen Mord.«

»Aber, aber, Jonny«, suchte der Sägewerkbesitzer einzulenken. »Wer wird denn gleich solche Ausdrücke benutzen.«

»Ich bin kein Mörder!« schrie der Weidereiter. Und plötzlich hatte auch er seinen Revolver in der Hand.

Philby war so verblüfft, daß er stutzte.

Dann lachte er röhrend los. »Du bist gut, Junge. Ich habe es ja gesagt, daß du gut bist.«

»Nehmen Sie den Revolver herunter«, zischte der Cowboy.

Philby zog die linke Schulter hoch.

»Well, aber das wird dir auch nicht viel nützen, Boy. Ich werde nämlich zu dem Sheriff gehen und sagen, daß ich etwas richtigzustellen hätte.«

Elliot wurde blaß. »Was haben Sie richtigzustellen?«

»Sehen Sie, Elliot, ich könnte dem Sheriff sagen, daß ich vorher mit An-drew gepokert habe und mich über ihn geärgert hätte. Er war ein ziemlich übler Falschspieler. Das weiß jeder in der Stadt.«

Philby hatte seinen Revolver längst weggeschoben.

Und jetzt ließ auch Elliot die Waffe sinken. »Sie haben genau gesehen, daß der Mann zuerst zum Revolver gegriffen hat. Ich wollte ihn ganz gewiß nicht erschießen, aber er hat mich dazu gezwungen.«

Philby ließ sich wieder in seinen Sessel nieder. »Ich finde, du machst zuviel große Worte, Cowboy. Dreihundert Bucks sind eine schöne Stange Geld.«

Elliot schob den Revolver ins Halfter zurück. »Es hat keinen Zweck, Philby. Die Sache gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht.«

Philby grinste. »Muß ein ziemlich unangenehmes Gefühl sein, wenn man den hanfenen Strick um seinen Hals gelegt und zugezogen bekommt. Das macht ein paarmal knacks, knacks. Dann kommt der große Todeskampf.«

John Elliot wirbelte herum. Er hatte den Revolver in der vorgestreckten Faust.

»Du hast dich verrechnet, Philby. Und zwar ganz gewaltig. Ich habe den Pferdejäger nicht ermordet. Aber dich, dich werde ich jetzt niederschießen. Und ich werde mir nichts dabei denken, denn ich weiß ja, daß ich nur das Leben eines Banditen ausgelöscht und damit gleichzeitig das Leben zweier braver Fuhrleute gerettet habe.«

Philby fletschte wieder sein gelbes Gebiß. Völlig ruhig sagte er:

»Auch das ist kein Ausweg für dich, Elliot. Der Salooner weiß, daß du mit mir zusammen die Schenke verlassen hast. Das reicht vollkommen aus. Wenn du hinzunimmst, daß der Sheriff und vor allem die Leute in der Stadt deinen Todesschuß auf den Wildpferdjäger nicht vergessen haben, kannst du dir leicht ausrechnen, was dir blüht. Du bist geliefert, John Elliot.«

Krachend fiel die Tür hinter dem Cowboy ins Schloß.

Philby lauschte seinen Schritten nach. Dann erhob er sich, nahm seinen Hut vom Wandhaken und folgte ihm.

Nur wenige Yards vorm Sheriffs Office überholte er den Weidereiter. John Elliot starrte entgeistert auf Philbys breiten Rücken.

Elliot rannte los, packte Philby an der Schulter und riß ihn herum. »Bleib stehen!« keuchte er.

Im fahlen Dämmerlicht schimmerten die Augen des Sägewerkbesitzers noch gelblicher. »Du bist also bereit, Jonny?«

Der Bursche nickte mit gesenktem Kopf.

Dann gingen sie zurück zum Sägewerk.

*

Es war in der Morgenfrühe des darauffolgenden Tages. Die Sommersonne zeichnete ein flammendes Orangerot über den Horizont, vor dem sich die Konturen der Toano Mountains scharf abzeichneten.

Die Reiter hatten den Weg ins Go-shute Valley eingeschlagen.

Zu Elliots größter Verwunderung hatten sich kurz vorm Abritt im Hof des Sägewerks noch zwei weitere Männer eingefunden. Joe Marlowe und Ed Perkins.

Obgleich Elliot wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen und fast überhaupt keine Menschenkenntnis besaß – daß diese beiden Männer Desperados waren, sah er sofort.

Philby ritt voran. Elliot mußte ihm folgen, da die beiden anderen keinen Zweifel daran gelassen hatten, daß sie den Schluß bilden würden.

Der Cowboy blickte über das Land nach Norden. Irgendwo da oben lag Loroy, die kleine braune Stadt, in der seine Mutter jetzt im Totenhaus lag.

Für den Bruchteil eines Augenblicks krampfte sich das Herz des Burschen zusammen bei diesem Gedanken. Weshalb war er nicht nach Loroy geritten?

Jetzt ritt er statt dessen bei Aufgang der Sonne mit einer Verbrecherbande ins Goshute Valley, in dem sein eigener Vater vor fünfzehn Jahren noch Wildpferde gefangen und mit den Shoshones gekämpft hatte. Wie irrsinnig diese Welt doch war.

Es gab keine Shoshones mehr, jedenfalls hatten sie sich seit Jahren hier im County nicht mehr sehen lassen. Und Wildpferde, die gab es vielleicht noch, aber auch nur vereinzelt. Wer von ihrer Jagd leben wollte, der kroch ständig am Rande des Hungertodes dahin.

All dies wußte der Cowboy John Elliot.

Elliot ritt jetzt nur eine viertel Pferdelänge hinter Philby. Er warf einen raschen Seitenblick auf dessen hartes, verkniffenes Gesicht. Da hatte ihn dieser Bandit doch in die Zange genommen, aus der er keinen Ausweg mehr gefunden hatte.

Er hatte ja rausgewollt aus seiner geordneten Welt, aus seinem langweiligen Dasein eines Nevada Cowboys, der ein paar Rinder auf einer dürren Weide zu bewachen hatte. Er hatte ja das heiße Leben und damit auch die Gefahr gesucht. Viel schneller als er es sich gewünscht hatte, war er mitten in dieses Leben hereingekommen.

Philby hatte ihm genaueste Anweisungen gegeben, was er bei dem Überfall zu tun hatte. Elliot hatte nur schweigend zu allem genickt.

Und erst in der Nacht, als er mit sich allein in einer winzigen Dachkammer der Sägemühle war, die Philby gemei-nerweise von außen zugesperrt hatte – da war ihm klargeworden, daß der gerissene Philby ihm so gut wie alles aufgehalst hatte. Er selbst würde in sicherer Deckung stecken. Von den beiden anderen war gar nicht die Rede gewesen. Und der Cowboy war sich, als er sie zu Gesicht bekommen hatte, sofort darüber im klaren gewesen, daß auch sie ihre Haut in Sicherheit bringen würden, wenn es soweit war.

Philby hatte ihm, da er kein eigenes Gewehr besaß, eine Spencer Rifle vom Kaliber 45 gegeben. Es ist ein ausgezeichnetes Gewehr, hatte er erklärt. Siebenschüssig, aus dem Jahre 68, da baute man doch erstklassige Waffen…

John Elliot senkte den Blick und starrte auf den Kolben des Schießeisens, das an dem Lederschuh rechts vor seinem Bein hin und her baumelte.

Philby wandte plötzlich den Kopf zu ihm herum. »Jetzt sind es noch drei Meilen, Jonny…«

Elliot starrte auf seinen Sattelknauf.

Philby lachte blechern. »Mach dir nichts draus, Jonny. Es muß eben sein. Und es geht ja vorbei. Was kann dir schon passieren? Du bist ein großartiger Schütze. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Den Gunman, der mit der Flinte den vorderen Wagen begleitet, holst du mit der Spencer vom Bock. Den anderen läßt du sitzen, den Driver, bis er nahe genug ist.

Die Gäule werden durch den Schuß zusammenschrecken und dann höchstwahrscheinlich nach vorn ausbrechen. Es ist fast ausgeschlossen, daß sie versuchen werden, in der engen Passage zu wenden. Sie kommen also praktisch an dir vorbei. Dann erst holst du den Driver mit einem sicheren Revolverschuß herunter. Es ist zwar ein Vierergespann, aber sehr schnell werden die Gäule nicht durch die gewundene Enge kommen, schon deshalb nicht, weil der geizige Schotte noch einen zweiten Wagen hinten angehangen hat…«

Da warf Elliot plötzlich den Kopf hoch.

»Und woher wissen Sie das alles, Philby?«

»Tja, siehst du, Junge, das ist mein Geheimnis, und es bleibt bei mir am besten aufgehoben.«

Immer höher ging es ins Tal hinein. Rechts und links traten die Hügelkämme näher an den kaum befahrenen Weg heran.

Und dann hob Philby auf einmal den Arm.

»Wir sind da«, rief er ungeniert so laut, daß man es mühelos auf fünfzig Yards hin hören konnte. Er mußte sich seiner Sache absolut sicher fühlen.

Elliot wurde von ihm hinter einen halbhohen Stein postiert. Das Pferd nahm er mit. Perkins und Marlowe dirigierte er ein Stück zurück, ebenfalls auf der linken Wegseite.

Einen Fehler machte der Bandit. Weder ihm selbst noch einem seiner ›Leute‹ kam der Gedanke, daß es unumgänglich war, auch auf die andere Seite des Passes einen Mann zu postieren. Ole Philby war sich seiner Sache zu sicher.

In dem Augenblick, als John Elliot, der zwangsweise gedungene Heckenschütze, sich hinter dem Felsstein niederkauerte, schaukelte das Gefährt mit der Holzlast noch in einer Entfernung von zwei Meilen das Valley hinunter.

Die Zeit kroch im Schneckentempo dahin.

Und plötzlich drang das Rumpeln an das Ohr des Weidemannes.

Er spannte die Rechte fester um die Spencer und kauerte sich tiefer hinter den Stein.

»Der Tanz geht gleich los!« hörte er aus etwa zwanzig Yards Entfernung die Stimme Ole Philbys. Dann vernahm er, daß sich hastige Schritte entfernten.

Philby brachte sich also außer Schußweite. »Gauner!« zischte der Bursche unten am Weg.

Hell and devils! Wie hatte es dahin kommen können? Vorgestern noch war er der Weidereiter John Elliot. Ein Mann, dem niemand etwas anhaben konnte. Und nun lag er hier und lauerte auf ein Holzfuhrwerk, bereit zu morden.

Irrsinn! Alles Irrsinn! Eine namenlose Wut auf Ole Philby überkam ihn.

Das Fuhrwerk mußte jeden Augenblick die Passage zwischen den Steinen erreichen.

Da sprang Elliot plötzlich hoch und lief um den Stein herum.

»Bist du verrückt?« hörte er es oben vom Hügelkamm zischen.

»Nein, Philby – ich werde es nicht tun! Ich kann es nicht. Es ist doch Irrsinn! Ich…«

Da pfiff eine Kugel an seinem Schädel vorbei.

Elliot ließ sich hinter den Stein fallen, aber so, daß er dem Weg den Rücken zudrehte.

Aus drei Waffen wurde ihm glühendes Blei zugeschickt.

Und der Driver Kid Lumbace, den der alte McPherson mit dem Holz nach Cobre gesandt hatte, stemmte seine großen Füße sofort mit aller Gewalt gegen das Stiefelbrett und riß die Zügelleinen zurück.

Die vier Füchse standen sofort.

Sein Begleiter sah ihn entgeistert an. »Was ist los?«

»Da vorn wird geschossen! Bist du vielleicht taub, Boy? Dann taugst du nicht für den Job.«

Der Driver schlang die Zügel um den Bremshebel und sprang vom Wagen.

Der Gunman folgte seinem Beispiel mit bleichem Gesicht und zitternden Beinen. Als sie hinter dem Wagen kauerten, keuchte er: »Ist das… ein Überfall?«

Der Driver rieb sich mit dem rechten Handrücken das Kinn. »Eine Hochzeit wird da vorn jedenfalls nicht gefeiert, soviel steht fest.«

Elliot kauerte hinter seinem Stein und spannte die Hände um die Spencer.

»Du bist ja wahnsinnig, Philby!« schrie er.

»Das werde ich dir zeigen!« brüllte der Sägewerkbesitzer zu ihm hinunter. »Wir machen jetzt Schalenholz aus dir, Boy! Wir sind zu dritt, du hast nichts zu bestellen.«

»Die Leute McPhersons werden…«

Da sprang Philby hoch und zielte mit seiner Sharpsflinte.

Hart klatschte das Geschoß auf der Steinkante dicht über dem Schädel des Cowboys auf.

Philby kalkulierte richtig, wenn er sich sagte, daß die McPhersons-Leute sich hüten würden, in die Schießerei einzugreifen.

»Wir werden den Kleinen in die Zange nehmen, Junge!« bellte Philby seinen Gehilfen Perkins und Marlowe zu. »Vorwärts, Joe, du rutscht da links den Hang hinunter. Und du, Ed, schiebst dich hier links dem Weg entgegen.«

Elliots Lage war jetzt höllisch geworden. Wenn Marlowe noch drei oder vier Yards weiter vorwärtskroch, als er sich schon vorgewagt hatte, mußte er den Platz hinter dem Stein mit seinem Revolver bestreichen können.

Und Perkins drang Stück um Stück weiter vor, um in seinen Rücken zu kommen.

»Yeah, Elliot, jetzt hast du verspielt«, höhnte der Sägewerkbesitzer frohlockend, »jetzt ist es gleich vorbei. Mach dir nichts draus, Boy, wenn du zur Hölle fährst. Du taugst nichts für diese Le…«

Marlowe hatte zwei Schüsse abgegeben.

Hart preßte sich Elliot gegen den Stein. Er wußte, daß die nächste Kugel ihn treffen mußte.

Sie kam von Perkins und traf ihn. Aber es war nur eine heiße Schramme links auf der Wange.

John Elliot hätte aufschreien mögen vor Verzweiflung.

Da röhrte drüben von der gegen-überliegenden Hügelkuppe her eine Winchester auf.

Ole Philby schrie auf. Die Sharps-flinte wurde ihm aus der Hand geschleudert.

»Joe«, schrie er, »drüben auf dem Kamm ein Mann! Holt ihn runter. Hundert Bucks, dem, der ihn auslöscht!«

Aber Joe Perkins kam nicht dazu, sich diese Bucks zu verdienen. Ein zweiter Schuß aus der Winchester riß ihm den Revolverarm hoch. Heiser flog der Schrei von seinen Lippen.

Philby stand wie erstarrt da und blickte auf den Mann hinüber, der drüben auf dem sandigen Hügelkamm stand.

Es war ein großer, breitschultriger, schmalhüftiger Mensch mit wetterbraunem Gesicht und hellen Augen. Schwarz sah das Haar unter der Krempe des dunklen Hutes hervor.

Er trug eine dunkle Hose, eine dunkle Weste und ein graues Kattunhemd, das oben am Hals von einer schwarzen Samtschleife zusammengehalten wurde.

Er hatte die Winchester noch immer im Anschlag.

Ed Marlowe hing völlig ungedeckt für den Fremden am Hügelhang.

Da kreischte Philby.

»Schieß doch endlich, Ed, du dreckiger Feigling!«

Aber Edward Marlowe schoß nicht.

»Laß deinen Revolver fallen, Brother!« rief der Fremde Marlowe mit einer harten, metallischen Stimme zu.

Marlowe öffnete die Hand, und der Colt fiel auf den Boden.

John Elliot lehnte noch in der verkrampften Haltung, in der ihn Perkins Kugel getroffen hatte, am Stein und starrte zu dem Mann hinauf, der in allerletzter, wirklich allerletzter Minute eingegriffen hatte.

Langsam kam der Mann näher.

»Vorwärts, Elliot, kommen Sie zu sich, Mister!« forderte ihn der Fremde auf. »Nehmen Sie die Waffen der Gentlemen an sich…«

Philby, Perkins und Marlowe rührten sich angesichts der drohend auf sie gerichteten Winchester des Fremden nicht.

Mit staksigen steifen Schritten war der Cowboy erst auf Perkins zugegangen und hatte dessen Waffen an sich genommen. Dann holte er Marlowes Revolver. Schließlich ging er mit finsterem Gesicht auf Ole Philby zu. Er riß ihm den Revolver aus dem Halfter, nahm ihn hoch und ließ ihn krachend auf den Schädel des Sägewerkmannes niedersausen.

»He, Elliot, wer hat davon etwas gesagt?« rief ihm der Fremde verweisend zu.

Elliot starrte auf den gefällten Gegner nieder. Dann wandte er sich hastig um.

»Dazu braucht mir niemand etwas zu sagen«, entgegnete er trotzig. »Dieser Mann wollte mich zum Doppelmörder machen. Er hatte mich erpreßt. Ich werde ihn an den Galgen bringen, ich werde…«

Der Fremde hatte Perkins bereits an den Händen gefesselt.

Marlowe wollte die Gelegenheit nutzen und davonstürmen. Da fauchte ein Revolverschuß hinter ihm her und riß ihm einen Absatz auf.

Langsam wandte sich der Bandit um. Er sah in der Linken des Fremden einen großen Revolver, aus dessen Mündung sich noch der Rauchfaden zog.

»Komm zurück, Amigo, sonst geht’s dir so wie deinem Absatz.«

Marlowe kam zurück.

Und der Fremde fesselte auch ihn.

Sie wurden alle drei auf ihre Gäule gebunden.

Philby war inzwischen wieder zu sich gekommen. Mit haßerfüllten Augen sah er den Fremden an.

»Was fällt Ihnen ein? Wie kommen Sie dazu, sich hier in unsere Angelegenheiten zu mischen, Mann? Ich verspreche Ihnen, daß Sie dafür den Kopf in den Dreck stecken werden…«

»Nimm das Maul nicht so voll, Gelbgesicht, sonst gibt’s Ärger«, entgegnete der Fremde kühl. Dann sah er Elliot an. »Sie werden die Halunken in die Stadt zum Sheriff bringen. Ich komme gleich nach; ich will nur die Leute mit dem Fuhrwerk informieren.«

Kid Lumbace hatte seinen Platz hinter dem Wagen längst verlassen und kauerte direkt vorn an der Wegenge, von wo aus er die Szene beobachtet hatte.

Er kam jetzt aus seinem Versteck heraus und meinte: »Nicht nötig, Mister. Wir sind im Bilde. Und was den Abtransport dieser Männer betrifft, dafür werden wir mit sorgen. Der Mann, den Sie da gestellt haben, ist ein Bursche, auf den wir schon lange scharf sind. Ole Philby hat eine Sägerei in Cobre – und eine Menge Dreck am Stecken.«

»All right!«

Der Fremde stieg den Hügel hinauf, holte drüben hinter einem Gebüsch einen Rapphengst hervor, zog sich in den Sattel und ritt nach Südosten davon.

Niemand folgte ihm, niemand fragte ihn nach dem Namen.

Und niemand hatte ein Wort des Dankes für ihn gehabt: Weder die beiden Fuhrleute noch John Elliot, den er doch aus einer geradezu mörderischen Situation gerettet hatte.

Wieder einmal – wie so oft – hatte das rätselhafte Schicksal den Marshal Earp aus Dodge City genau zu dem Augenblick an einen Ort geführt, in dem Hilfe am dringendsten war. Unerkannt ritt er davon.

*

Philby wurde zu sieben Jahren Zwangsarbeit im Camp II des Straflagers Sescattewa, oben in Colorado, verurteilt. Marlowe und Perkins bekamen je drei Jahre Straflager.

Elliot hatte nicht auf die Verhandlung gewartet. Nachdem er seinen Widersacher im Jail wußte, hatte er das Protokoll des Sheriffs unterschrieben und war weitergeritten. Seinem fernen Ziel entgegen.

Er ritt an der großen Salzwüste entlang, an den berüchtigten Gold Hill vorbei hinunter in die Utahstadt Callao.

Das war eine langgezogene Stadt mit fünfhundert Einwohnern, sieben Saloons, zwei Mietställen und mehreren Geschäften. Im Generalstore war gleichzeitig das Post Office untergebracht.

Callao war seit einigen Jahren eine berüchtigte Spielerstadt. Es wimmelte von Abenteurern aus aller Herren Länder.

Elliot sah sich mit großen Augen nach allen Seiten um.

Vor einem schmalbrüstigen Boardinghouse hielt er an, rutschte aus dem Sattel und band seinen Braunen an der Halfterstange an.

»Yeah«, meinte der bebrillte Mann, der ihm an der Tür entgegenkam, auf seine Frage nach einem Quartier. »Sie können ein Zimmer haben, Mister, aber es wird bei uns vorher bezahlt.«

»Wieviel?«

»Zwei Dollar.«

Elliot wich einen Schritt zurück. »Zwei Dollar? Mann, sind Sie wahnsinnig? Zwei Dollar für eine Nacht? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«

Es war dem Boardinghouser aber ernst.

Und Elliot nahm seinen Gaul am Zügel und trottete weiter.

Als er nach einer halben Stunde zurückkam, hatte er alle anderen Quartiershäuser durch. Die nahmen drei Dollar pro Nacht.

Knurrend betrat der Cowboy wieder das Haus des bebrillten Alten.

»Well, ich werde die Bude also mieten für eine Nacht.«

Der andere feixte. »Da haben Sie Pech, Junge, das Zimmer ist bereits vergeben.«

Elliot zog die Brauen zusammen.

»Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen, Mensch!«

»Keineswegs, Boy. Und reden Sie gefälligst nicht so laut mit mir, sonst muß ich Sie auf die Straße werfen lassen.«

Blitzschnell schoß Elliots Faust vor und krallte sich in die Westenaufschläge des Alten.

»So redest du nicht mit mir, Grandpa! Ich bin John Elliot! Merk dir das!« Damit stieß er ihn hart zurück und gegen das Rezeptionspult und warf die Haustür donnernd hinter sich ins Schloß.

Er hatte noch nicht die zweite Vorbaustufe erreicht, als die Tür des Boardinghouses aufgerissen wurde.

Elliot wirbelte herum, in seiner Rechten blinkte der Revolver.

Und oben stand ein junger Mensch mit wächsernem Gesicht. Er hatte ein Gewehr in der Linken.

»Nimm die Knarre runter, Boy«, zischte Elliot heiser, »sonst gibt’s Ärger.«

Der Bursche in der Tür ließ das Gewehr fallen und hob die Hände.

»Sind Sie gemütskrank, Cowboy?« hörte Elliot da hinter sich eine rostige Stimme.

Er fuhr herum. Mitten auf der Straße stand ein untersetzter schwerer Mann mit eisgrauen Augen und kantigem Stierschädel. Er trug ein blaues Hemd, eine graue Hose und eine graue Weste, auf deren linker Seite ein silberner Fünfzack blitzte.

Langsam schob John Elliot seinen Revolver ins Halfter zurück.

Der Sheriff stemmte seine prankenartigen Fäuste in die Hüften.

»Sie müssen bedeutend ruhiger werden, Cowboy«, meinte er bärbeißig und wandte sich ab, um mit stampfenden Schritten auf eine Schenke zuzugehen, aus der plötzlich ein wüster Lärm drang.

Es war etwas los in Callao; und John Elliot war diesem Leben ganz sicher nicht gewachsen.

Er nahm seinen Gaul und trottete in einen Mietstall. Ein vierzehnjähriger Junge nahm das Pferd in Empfang und rümpfte seine Nase, als er kein Trinkgeld bekam.

Elliot aß in Lewtons-Speisehaus und machte dann einen Rundgang durch sämtliche Schenken.

In einem großspurig angelegten Spiel-Room stieß ihn ein hochgewachsener Mann plötzlich an.

Elliots Hand lag sofort auf dem Revolverkolben.

Aber er sah in ein freundlich grinsendes pockennarbiges Gesicht, aus dem zwei bernsteinfarbene Augen listig hervorblickten.

»Ich würde mich hier nicht niederlassen, Boy. Dafür verdienst du deine Bucks zu sauer.«

»Was geht es Sie an, wo ich mich niederlasse? Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Dreck.«

»Ich hatte schon recht, Junge, du hättest bei deinen Kühen bleiben sollen«, kam es rostig aus der Kehle des Pockennarbigen.

Flammende Zornesröte überflutete das Gesicht des Cowboys. »Was bildest du dir ein, Mensch?«

Er hatte es laut gesagt, mit der Absicht, diese Bemerkung möge dem Pockennarbigen Ärger in der Bar eintragen. Aber nichts dergleichen ge-schah. Nur still wurde es im Schankraum rund um die Spieltische.

Elliot, der immer noch nicht begriffen hatte, knurrte: »Menschen gibt’s, einfach verrückt. Ich bin hergekommen, weil ich pokern will. Und da meint dieser Bursche da, das wär hier nichts für mich.«

Der Pockennarbige hatte plötzlich wieder ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel sitzen. »Well, Cowboy, du sollst deinen Willen haben. Komm, wir werden ein Spielchen machen.«

»Verzichte, Mann, mit solchen Leuten spiele ich nicht. Ich werde mir einen Partner aussuchen, der mir…«

»Du wirst hier außer mir niemanden finden, Boy, der mit dir pokern will.«

Elliot sah sich um – und sah in stumpfe ausdruckslose Spielergesichter, die sich nacheinander von ihm abwandten.

Als sein Blick wieder auf den Pockennarbigen fiel, zog der die Schultern langsam hoch.

»Tut mir leid, Boy, der Laden gehört mir.«

Elliot schluckte. Er wollte nicht mehr spielen. Aber er hatte auch nicht den Nerv, dies dem Casinoowner zu sagen.

Also ließ er sich an einen rasch geräumten Tisch schleppen und spielte.

In anderthalb Stunden hatte er alles bis auf fünf Dollar verspielt.

Da stand Anderson auf, strich seinen Gewinn ein und meinte kalt: »Du hast noch fünf Dollar, Junge. Gib es auf. Du wirst die letzten Bucks bitter nötig brauchen.«

Da sprang Elliot hoch. Rasende Wut brannte lichterloh in ihm. Er starrte in das kalte Pokergesicht Andersons und schrie: »Verdammter Falschspieler!« Dann stieß er den Tisch um.

Drei Minuten später lag er groggy geschlagen vor Andersons Männern auf dem Vorbau. Er blickte hoch und sah in die kalten Augen des Salooners.

»Ich hatte dich gewarnt, Cowboy. Leute wie dich können wir hier nicht brauchen. Dich nicht – und deine paar Kröten nicht. Du kannst nicht spielen. Sieh zu, daß du verschwindest!«

Ächzend richtete der Bursche sich an einem Vorbaupfeiler auf.

»Sie elender Kerl«, keuchte er. »Wenn ich wieder auf den Beinen bin, werde ich Ihren Laden zertrümmern, das schwöre ich Ihnen.«

Anderson antwortete kalt: »Ich will dir etwas sagen, Cowboy. Ich habe im Crystal Palace in Tombstone gespielt – und lebe noch. Ich wette, daß du nicht weißt, was das bedeutet.«

Elliot hatte nur das Wort Tombstone gehört. Und dann grub sich der andere Begriff in sein Hirn: Crystal Palace!

Crystal Palace! Was war das…?

Die Frage stand deutlich in seinem Gesicht zu lesen.

Und Cole Anderson meinte: »Ich wußte, daß es dir nichts sagt, Cowpuncher. Aber du sollst es wissen, auch wenn dich dein Weg nie da hinunterführen wird. Der Crystal Palace ist die heißeste Schenke des Westens, die mörderischste Spielhölle, die du dir denken kannst. Da verkehren nur Grand Gamblers vom Schlage Doc Hollidays. Daß du da nicht atmen kannst als kleiner Fisch, ist klar. Aber Cole Anderson hat da geatmet – und nicht einmal schlecht…«

Cole Anderson hatte gelogen, jedenfalls mit der einen Hälfte der Behauptung. Er war zwar in Tombstone gewesen und hatte auch einige der großen Asse gesehen.

Er war auch im Crystal Palace – aber nur ein einziges Mal. Mit zweihundert Bucks hatte er ihn betreten. Als er hinauskam, hatte er noch zwölf Bucks in der Tasche und war froh, daß er heil auf die Straße gekommen war. So heiß war die Luft in dem berühmten Spielsaloon gewesen.

Wenn die Aufschneiderei Andersons auch nicht den Eindruck hervorgerufen hatte, der beabsichtigt war, so hinterließ sie in dem Nevada Cowboy doch den heißen Gedanken an zwei Worte, die sich unauslöschlich in seine Seele graben sollten.

Crystal Palace.

Fünf Dollar hatte John Elliot noch in der Tasche. Fünf armselige Bucks, mit denen er übel zugerichtet auf der Vorbaukante eines muffigen Clothing-shops saß.

Da trat ein bärtiger Mann auf ihn zu.

»He, Cowboy, du hast deinen Gaul bei mir untergestellt. Das kostet zwei Dollar.«

Elliot warf den Kopf hoch. »Zwei Dollar? Mann, ich will doch keine Woche hierbleiben.«

»Eine Nacht kostet zwei Dollar«, erklärte der Mietstallowner.

Elliot wischte sich durchs Gesicht. »Zwei Dollar für eine Nacht!« Heavens, so also machen sie hier ihr Geld.

»All right, ich hole den Gaul wieder ab.«

»Wann?«

»Gleich.«

»Das kostet dann einen Dollar.«

Elliot stand auf. »Ich hole meinen Gaul und zahle keinen Cent, denn er hat weder eine Nacht noch eine halbe Nacht bei Ihnen gestanden.«

»Da haben Sie Pech, Freund«, meinte der Mietstallowner. »Ich muß hinter dem Geld her sein, schließlich kostet das Leben hier viel. Ich…«

Elliot riß sich zusammen und schob den Mann zur Seite.

Dann stampfte er über die Straße auf den Mietstall zu.

Der Junge saß grinsend neben der Stalltür. »Für zwanzig Cents hätte ich ein paar Tips für Sie, Mister.«

Elliot grinste müde. Dann holte er sein Pferd aus dem Stall, sattelte es auf, und als er die Hofmitte erreichte und einmal aufsah, erblickte er an dem Tor zur Straße drei Männer.

Der Mietstallowner stand oben an seiner Haustür.

Nur noch fünf Yards trennten Elliot vom Tor, als einer der Männer auf ihn zukam.

»Warte, Cowpuncher, du hast den Mietzins noch nicht bezahlt.«

»Aus dem Weg!« zischte Elliot ihn an.

Da hieb der Mann ihm die Faust mitten ins Gesicht.

Der Cowboy wankte zurück.

Kaltäugig stand der andere vor ihm.

»Mach die Sache doch kurz, zwei Dollar werden verlangt. Wir sind zu dritt, wie du siehst.«

John Elliot hatte den Schlag abgeschüttelt. Damned, er hatte sich bis zu diesem Tag für einen bärenstarken Burschen gehalten – und er war es auch. Aber in der Schenke waren sie von allen Seiten auf ihn eingestürmt. Und noch steckten die Prügel, die er da bezogen hatte, in seinen Knochen.

Trotzdem – er war starrsinnig und gedachte nicht nachzugeben. Mit kur-zem Blick maß er den Mann.

»Ich habe nicht verstanden, Mister«, sagte er gedehnt.

Die anderen beiden lachten. Der Schläger stürmte heran.

Elliot ließ ihn kommen, crouchte den pfeifenden Schwinger ab und hieb dem Gegner einen krachenden Haken gegen die Kinnlade.

Der Mann knickte in die Knie ein.

Sofort aber waren die beiden anderen da.

Den ersten empfing Elliot mit einem Fußtritt, der ihn bis auf die Straße warf – und dem zweiten hämmerte er eine Doublette in die kurzen Rippen.

Da knackte ein Revolverhahn.

Elliot sah sich um. Oben auf der Treppe stand der Miestallowner und hatte den Colt gezogen.

»So wirst du hier nichts, Fremder.«

Und im gleichen Augenblick erhielt der Cowboy von hinten einen knackenden Schlag über den Hut.

Der erste Schläger war hochgekommen, hatte sich unbemerkt an den Weidemann herangemacht und ihn mit einer Holzspeiche niedergeschlagen.

Als Elliot zu sich kam, lag er in einer Ecke des Mietstallhofes und stierte dösig vor sich hin.

Sofort tastete er nach seinem Schädel.

Sein zweiter Griff galt dem Fünfdollarstück. Es war verschwunden.

Statt dessen fand er drei einzelne Dollarstücke in seiner Tasche.

Elliot quetschte einen Fluch durch die Zähne und raffte sich hoch.

Er sah sich um. Wo war sein Gaul?

Oben in der Haustür stand der Mietstallowner.

»Alles klar, Mister. Der Gaul kann bis morgen früh sieben Uhr hier stehen bleiben. Weshalb nicht gleich so vernünftig?« Damit wandte er sich um und ging ins Haus.

Elliot sah zum Stall hinüber.

Da hockte der Junge immer noch auf dem Hauklotz, und als der Cowboy an ihm vorbeiging, hörte er den Kleinen sagen: »Für die zwanzig Cents hätten Sie sich eine Menge Ärger ersparen können.«

Elliot blieb stehen. Ohne sich umzuwenden, sagte er: »Weißt du ein billiges Quartier?«

Der Junge schwieg.

Da zischte der Weidereiter: »Bist du taub geworden?«

»Nein, Mister – aber ich koste jetzt fünfzig Cents!«

Elliot starrte entgeistert auf ihn nieder. Zounds! Was war das für eine Stadt, in der sogar die Schuljungen Halsabschneider waren!

Er verließ den Mietstallhof, in dem ihm so übel mitgespielt worden war, und trat auf die Mainstreet hinaus.

Drüben an einem Vorbaupfeiler lehnte Cole Anderson und kaute an seiner Zigarre herum. Neben ihm, auf der anderen Seite des Dachpfeilers, lehnte der Sheriff.

Elliot wandte sich ab und stampfte auf eine Quergasse zu.

Anderson rief ihm nach: »Ich an deiner Stelle wäre auf meine Kuhweide zurückgeritten, Amigo. Callao ist ein kleines Tombstone. Aber das sagt dir ja auch nichts.«

Diese Worte hätten ein Wink des Schicksals für den Cowboy John Elliot sein sollen. Aber er begriff sie nicht. Knurrend stampfte er weiter.

Als er die Gasse hundert Yards durchmessen hatte, sah er links vor einer Tür das Schild Boardinghouse in die Straße ragen.

Heavens, das hatte er vorhin bei seiner Rundreise völlig übersehen.

Er stieg dir morschen Holzstufen hinauf und schob die schauerlich quietschende Tür auf.

Eine Frau kam ihm entgegen. Sie war viellleicht zwei- oder dreiundzwanzig, vollbusig und rotwangig. In wilden vollen Locken fiel ihr Haar um ihr frisches Gesicht. Hellblau und hübsch geformt waren ihre Augen.

Elliot stand einen Augenblick verblüfft da, verwundert, eine solche ›Perle‹ inmitten dieser Stadt zu finden.

Dann stotterte er: »Ich suche ein Quartier, Miß!«

Judy Hambar zog die Schultern hoch. »Das Haus ist besetzt.«

Sie wollte an ihm vorbei durch die Hoftür hinausgehen.

Der Bursche hatte plötzlich das Gefühl, daß da seine letzte Chance schwand. Rasch umspannte er den Unterarm der Frau.

»Miß – ich – ich bin todmüde. Vorn in einem Saloon und im Mietstall haben sie mich ziemlich übel zugerichtet…«

»Das ist nichts Besonderes in Callao, Mister. Wußten Sie das etwa nicht?«

»Nein.«

Wieder zog sie die Schultern hoch und versuchte sich freizumachen.

Elliot spannte seine Finger so heftig um den Arm, daß Judy einen leichten Schmerzensschrei nicht zurückhalten konnte.

»Miß – ich bin mit einer Dachkammer, mit einem Strohplatz zufrieden. Bei dem Wetter kann man ja nicht draußen…« Er stockte und sah plötzlich ihre blauen Augen im Halbdunkel des Flurs ganz nahe vor sich.

»Das Haus gehört nicht mir, Mister, aber – kommen Sie mit. Vielleicht finden wir etwas.«

Sie brachte ihn über den Hof in den gegenüberliegenden Scheunenbau.

»Da führt eine Stiege hinauf, hinter den Futterkästen, sehen Sie? Oben sind zwei Kammern. Sie sind nicht gesäubert. Ich komme nicht dazu. Wenn wir viel Betrieb haben, schlafen da die Knechte…«

Sie standen in der offenen Scheunentür. John Elliot blickte in die blauen Augen des Mädchens. »Thanks!« Plötzlich zog er sie an sich.

Eine Ohrfeige brannte auf seiner linken Wange.

»Verschwinden Sie!«

»He, dreckiger Tramp!« schrillte da eine rauhe Männerstimme über den Hof.

Und gleich darauf sah der unselige Elliot einen hünenhaften bärtigen Mann von vielleicht fünfzig Jahren über den Hof gerannt kommen.

»Hell and devils!« fluchte der Bursche – und zog seinen Colt.

»Stop, Mister. Ich habe – ich habe mich bereits zweimal in dieser verdammten Stadt herumschlagen müssen. Ich bin es leid. Bleiben Sie da stehen!«

»Was haben Sie ihr getan?« Zornfunkelnd blickte der Hüne ihn an.

»Nichts!« stammelte das Mädchen.

»Sei still! Du lügst!« brüllte der Mann.

»Ihre Tochter sagt die Wahrheit«, erklärte Elliot rauh.

»Meine Tochter?« Der Mann wurde dunkelrot im Gesicht. »Sie ist nicht meine Tochter.«

»Ihre Frau…?« stammelte der Bursche.

»Nein«, sagte das Mädchen trotzig, »ich bin auch nicht seine Frau. Ich weiß überhaupt nicht, weshalb er sich so aufkrempelt. Ich bin nur eine Küchenhilfe hier. Nichts weiter.«

Jetzt begriff der Bursche John Elliot. »Well, Mister. Dann ist sie eben Ihre Freundin. Das geht mich nichts an.«

Der Boardinghouseowner sah sich um. Drüben im Küchenfenster war in diesem Augenblick der grauhaarige Kopf einer rundlichen Frau aufgetaucht.

»Mike! Was machst du wieder drüben an der Scheune? Komm sofort her! – Judy, du nichtsnutzige Schlampe, habe ich dir nicht gesagt, daß du im Hühnerstall nachsehen sollst, wie es mit Eiern aussieht?«

»Wir sprechen uns noch«, zischte der Mann dem Cowboy zu.

»Verschwinden Sie, sonst bricht er Ihnen sämtliche Knochen«, raunte das Mädchen ihm zu.

Elliot ging quer über den Hof und rief der Frau am Küchenfenster zu:

»Ihr Mann sagte mir, daß die Zimmer vorn im Haus alle besetzt seien. Aber für einen halben Dollar könnte ich in einer der Scheunenkammern übernachten.«

»So, sagte er das?« entgegnete die Frau.

»Das Mädchen sollte mir die Kammer zeigen.«

Die Frau nickte. »Well«, entgegnete sie mit keifender Stimme. »Aber mein Mann hat sich im Preis geirrt. Die Kammer kostet fünfundsiebzig Cents pro Nacht.«

Elliot nickte langsam. »All right, Madam.«

Dann wandte er sich um und ging wieder auf die Scheune zu.

Der Wirt sah ihn wütend an.

»Wir sprechen uns noch«, knurrte er noch einmal, als Elliot an ihm vorüberging.

Judy stand schon auf der Stiege.

Als sie oben in einer der Kammern standen, meinte das Mädchen: »Sie können nicht bleiben, Mister. Der Boß ist ein gewalttätiger Mensch. Sie wären nicht der erste, den er meinethalben verprügelt.«

Es war ihm gleichgültig…

Elliot war wie ein Stein auf das Lager gefallen und eingeschlafen.

Ganz leise quietschte das Scheunentor. Dumpfe Schritte kamen über den hartgestampften Lehmboden zur Stiege.

Der Schläfer hörte das Knarren der Stufen nicht. Auch nicht die Schritte auf dem kleinen Gang. Erst als seine Tür aufgerissen wurde, fuhr John Elliot aus bleiernem Schlaf hoch.

»So, Bursche«, kam es rollend von der Tür. »Ich hatte dir versprochen, noch mit dir zu sprechen. Hier bin ich.«

Der Cowboy riß sich hoch und stand sofort neben seinem Bett.

»Was wollen Sie?« keuchte er schlaftrunken.

»Ich hatte dir gesagt, daß du verschwinden sollst«, röhrte der Boardinghouse-Inhaber. »Und da du offenbar schwer hören kannst, werde ich dir jetzt Beine machen.«

Seine riesigen Hände spannten sich schon um Elliots Hals. »Du bist hinter Judy her, stimmt’s?«

»Unsinn!« keuchte der Cowboy. »Lassen Sie mich sofort los!«

Der Hüne schleppte ihn aus der Kammer in den Flur bis in die Stiege.

»Verdammter dreckiger Tramp. Verschwinde!«

Noch enger zogen sich seine Finger um Elliots Hals.

Da riß der Weidemann mit der letzten Kraft der Verzweiflung einen rechten Uppercut hoch, der genau die Kinnspitze seines Gegners traf.

Jess Simmons, der Boardinghouse-Besitzer, ließ sofort von seinem Gegner ab, warf die Hände in die Luft und kippte über die Absatzspitzen zurück, genau die Stiege hinunter. Er stürzte sieben Yards tief und schlug so unglücklich mit dem Schädel auf, daß er tot liegenblieb.

Der Bursche lauschte in die Scheune hinunter.

»He, Mister. Auf diesen Trick falle ich nicht herein. Ich werde jetzt meinen Revolver holen, und dann können wir weiterreden.«

Aber er holte seinen Revolver nicht. Er blieb oben an der Stiege stehen.

Nicht der mindeste Laut drang vom Scheunenboden zu ihm herauf. Eine sonderbare Beklemmung ergriff ihn.

»Mister…!«

»He, Mister!«

Plötzlich hastete der Cowboy, durch eine furchtbare Ahnung getrieben, die knarrende Stiege hinunter und riß unten sofort ein Zündholz an.

Links neben der Leiter lag der Körper Jess Simmons!

Elliot bückte sich mit dem Zündholz und ließ den flackernden Lichtschein über das Gesicht des reglosen Mannes huschen.

Dann wich er zurück und starrte entgeistert auf die offenstehenden, glasigen Augen seines Gegners.

»Er ist tot«, kam es tonlos von seinen Lippen.

Ganz steif stand der Bursche da. Das Zündholz war längst verloschen, hatte seine Finger angesengt und war seiner Hand dann entglitten. Tiefes, lähmendes Dunkel umgab ihn.

Plötzlich hastete er los, rannte hinauf in seine Kammer, nahm Hemd, Stiefel und Jacke, Waffengurt und Hut und floh.

Er kam ungesehen aus dem Haus, schlich durch die Gasse zur Mainstreet und kletterte über das Tor des Mietstalles.

Als er sein Pferd aus dem Stall geholt hatte und den Torriegel aufschob, tauchte plötzlich neben ihm die Gestalt des Mietstallowners auf.

»Was wird das denn, Cowboy? Du willst dich doch nicht wie ein Dieb in der Nacht davonschleichen? Ich habe doch gleich gewußt, daß du ein dreckiger Tramp bist.«

John Elliot reagierte blitzartig. Er hatte den Colt aus dem Halfter gerissen und hieb den schweren Lauf dem anderen über den Schädel. Mit einem röchelnden Laut brach der Mann zusammen.

John Elliot zog sich in den Sattel und ritt davon.

Es war eine Stunde nach Mitternacht, als er die Stadt verließ. Es war die zweite Stadt, die er berührt hatte, und der zweite Tote, den er zurückließ.

*

Er war durch das Whitevalley an den Hängen der Houserange entlang nach Süden geritten.

Endlich am Sevierlake fand er klares, sauberes Wasser für sich und den völlig erschöpften Braunen.

Er schleppte sich in ein Ufergebüsch und sank ermattet auf den feuchten Boden nieder. Zwei Tage und zwei Nächte war er geritten, ohne etwas zu essen.

Er mußte in einen ohnmachtsähnlichen Erschöpfungsschlaf gefallen sein, als er plötzlich durch ein sonderbares Geräusch hochgeschreckt wurde.

Kaum acht Yards vor ihm auf einem Uferstein saß ein großer Berghahn. Elliot sah fassungslos zu dem Tier hinüber. Wie jeder Cowboy wußte er, daß ein Berghahn den köstlichsten Braten abgab, den man sich denken konnte.

Elliot zog den Revolver und stieß ihn nach vorn. Aber die Mündung schwankte hin und her.

Heavens! Wenn er den Vogel fehlte! Wenn er ihn mit dem ersten Schuß nicht traf, war das Tier mit zwei Flügelschlägen aus der Reichweite des Revolvers.

Wie ein Indianer richtete Elliot sich auf und zog die Spencerbüchse aus dem Scabbard.

Zounds! Das Durchladen würde Lärm machen und den Vogel aufscheuchen.

Elliot zitterte, aber immerhin lag der Gewehrlauf ruhiger als der Revolver in seiner Hand.

Er hielt die Mündung zwei Fingerbreit über dem Berghahn, da er damit rechnete, daß das Tier von dem Durchladegeräusch hochgescheucht würde.

Dann riß er den Bügel durch.

Und viel schneller, als Elliot vermutet hatte, stieg der Berghahn hoch.

Der Schuß brüllte auf. Noch einer, noch einer und noch einer. Der Berghahn hatte schon beachtlich an Höhe gewonnen, als er plötzlich im Steilflug einen Stoß bekam und in immer enger werdenden Spiralen in Ufernähe aufs Wasser niedertrudelte.

John Elliot rannte keineswegs los. Er hatte dem donnernden Geräusch der Schüsse nachgelauscht. Viermal hatte er geschossen. Doch er hätte schwören mögen, daß er fünf Schüsse gehört hatte.

Er ließ das Gewehr los und rannte vorwärts.

Der erlegte Berghahn wurde aus dem Wasser gefischt und ans Ufer gebracht. Mit dem Messer nahm der Cowboy die Kugel aus dem Tierkörper.

Er starrte entgeistert auf das verformte Bleistück in seiner Hand. Es war eine Winchesterkugel!

Elliot ließ den Vogel fallen, schwang auf und nahm das Gewehr an sich. Dann verließ er das Gebüsch und rannte die Uferböschung hinauf.

Als er einen Blick über den Böschungsrand geworfen hatte, hielt er wie versteinert inne.

Kaum zwanzig Yards entfernt von ihm drüben am Rand der Fahrstraße saß ein Mann. Und neben ihm stand ein Pferd.

Es war ein Mann, den der Cowboy John Elliot genau kannte – ohne daß er allerdings seinen Namen wußte. Es war der Fremde aus dem Goshutevalley. In seiner linken Armbeuge hielt er eine Winchester.

Der Cowboy brauchte eine volle Minute, bis er das Bild verdaut hatte. Dann stieg er über den Böschungsrand und kam auf den Fahrweg zu.

»Hallo!« Elliot tippte an den Rand seines Hutes.

Der Missourier sah auf, tippte ebenfalls an den Rand seines Hutes und erwiderte den Gruß.

Elliot deutete auf das Gewehr. »Sie haben auf den Berghahn geschossen…«

»Yeah«, erwidert der Dodger Marshal gelassen. »Es wurde höchste Zeit. Sie hatten dem Tier einen Flügel durchschossen, und nachdem Sie schon vier Kugeln an die fliehende Beute verschwendet hatten, habe ich mir eben erlaubt, Ihnen mit einer Kugel beizustehen.«

Elliot knurrte. »Wo kommen Sie eigentlich so plötzlich her?«

Der Marshal lachte leise in sich hinein.

»Die gleiche Frage könnte ich Ihnen stellen, Cowboy.«

Elliot stemmte den Kolben des Spencergewehres hart auf den Boden auf.

»Ich finde, daß Sie ein ziemlich merkwürdiger Bursche sind.«

»Aha«, meinte Wyatt ruhig und blickte dem tiefblauen Rauch seiner Zigarre nach. »Wenn ich ehrlich sein soll, Cowboy, so könnte ich auch diesmal das Gleiche von Ihnen behaupten.«

Elliot brummte: »Wo kommen Sie her?«

»Aus Nevada, wie Sie.«

»Das ist auch eine Antwort«, entgegnete Elliot mürrisch.

Da stand der Marschal auf und zog sich in den Sattel seines Rapphengstes.

»So long, Cowboy. Und lassen Sie sich den Hahn gut schmecken.«

John Elliot kam nicht auf den Gedanken, den Fremden zu bitten, an der Mahlzeit teilzunehmen. Schließlich war er es doch gewesen, der das Tier erlegt hatte. Mit harten Augen blickte der Cowboy hinter dem Davonreitenden her.

*

New Harmony lag etwa zweiunddreißig Meilen nördlich von der Grenze Arizonas.

Es war eine kleine Stadt mit einem Dutzend Häuser und einer Menge streunender Hunde.

John Elliot ritt gegen Abend in die Mainstreet von New Harmony ein.

Links an einer Straßenecke war eine große Schenke, aus der wüster Lärm, vermischt mit hämmernder Orchestrionmusik drang.

Der Cowboy rutschte aus dem Sattel und führte das Pferd an eine Tränke, die aus einem halbierten ausgehöhlten Baumstamm bestand.

Da spie oben vom Vorbau herunter ein Mann einen Priem auf den Stiefel des Weidereiters.

Elliot wandte den Kopf.

Aber er war zu müde, um etwas zu sagen. Viel zu müde und zu schlapp.

Gestern morgen hatte er das letzte Stück des gebratenen Berghahns am Fuße des Ironmountains verzehrt.

Er war am Ende. Er mußte in dieser Stadt zu Geld kommen. In seiner Tasche waren noch drei Dollar. Das erzwungene Wechselgeld des Mietstallbesitzers von Callao.

Er schlang die Zügelleine um den Querholm, tauchte die Hände in das Wasser der Tränke und wischte sich das Naß durchs Gesicht. Dann betrat er den Vorbau.

Fast dreihundert Meilen lagen hinter ihm. Er war so schlapp, daß er sich mit der Linken an der Hauswand stützen mußte.

Der Mann, der ihm auf den Stiefel gespuckt hatte, wandte sich um, stieß seinen Nachbarn an und meinte: »Sieh dir den Vogel an, Billy.«

Elliot hatte die Schankhaustür an der Ecke erreicht und warf einen Blick über ihre hölzernen Schwingarme.

Der große Raum war brechend angefüllt mit Menschen. Zwischen den zwei großen Kerosinlampen hing eine gewaltige Tabakwolke. Links in der Fensterecke wurde gespielt.

Elliot biß die Zähne knirschend aufeinander. Der Spieltisch war von einem Dutzend Neugieriger belagert. Nie und nimmer kam er da ran. Aber er mußte an den Spieltisch kommen. Er mußte versuchen, ein paar Bucks zu gewinnen.

Er griff mit der Linken in die Tasche und nahm die drei Dollarstücke heraus.

Damned, das reichte gerade zu einem anständigen Essen. Und vorn aus der Küchentür drang Bratendunst. Und als jetzt die Tür ganz aufgestoßen wurde und eine dralle blaugeschürzte Frau drei Riesenportionen mit Steak und Bohnen durch die Tischreihen balancierte, lief dem schmachtenden Nevadamann das Wasser im Mund zusammen.

Aber da hörte er drüben am Spieltisch das Klingen von Münzen. Mit einem entschlossenen Ruck wandte er sich zur Seite und schob sich zwischen die Männer an den Spieltisch.

Sie spielten den One Dollarrund. Eine simple Faroart, bei der immer nur ein Dollar gesetzt wurde.

Vier Männer saßen an dem mit grünem Filz bezogenen Tisch.

Die beiden, die mit dem Rücken zum Fenster saßen, waren Männer in den Vierzigern, breitschultrig, bärtig und schweigsam. Rechts saß ein Mann Ende Zwanzig mit hagerem Gesicht. Seine kalten Augen verrieten dem Cowboy, daß da ein professioneller Gambler saß. Längs saß ein großer Bursche, dessen Gesichtszüge den Kreolen verrieten.

Stumm und verbissen nahm das Spiel seinen Fortgang. Elliot hatte gehört, daß solche Spiele bis zu zehn Stunden dauern konnten – wenn die Partner gleichstarke Nerven hatten.

Und diese vier machten ganz den Eindruck, daß sie einander das Wasser reichen konnten.

Aber dann machte der Kreole doch einen Fehler, den der Gambler sofort geschickt ausnutzte, und die Partie fand ein überraschend schnelles Ende.

Die Dollartürme vor dem Gambler hatten sich verdoppelt.

John Elliots Knie zitterten. Ich muß mich setzen, brannte es plötzlich in seinem Hirn, sonst falle ich um.

Er tat, als müsse er sich bücken, als sei etwas an seinem Stiefel oder an seinen Sporen. Mit der Linken stützte er sich auf den Boden auf und schloß die Augen für einen Moment.

Als er sie wieder öffnete, sah er etwas Merkwürdiges. Der Kreole hatte seine linke Hand am Stiefelschaft, wo er eine Karte herauszog, die er blitzschnell in seine Manschette verschwinden ließ.

John Elliot war plötzlich hellwach geworden.

Das Spiel nahm seinen Fortgang.

Elliot beobachtete die Männer um den Tisch herum. Er suchte den Kompagnon des Peon und fand ihn schnell in einem kleinen, ebenfalls dunkelgesichtigen Menschen.

Es gelang dem Cowboy, sich unbemerkt in den Rücken dieses Mannes zu schieben.

Und dann ging alles sehr schnell. Mit der Linken riß Elliot dem Partner des Kreolen den Revolver aus dem Halfter, stieß die Männer mit der Rechten derb zur Seite und richtete mit der Rechten den Colt auf den Falschspieler.

»Keine Bewegung, Mister.«

Die Luft um den Spieltisch schien plötzlich gefroren zu sein.

Entgeistert starrte der Kreole ihn an.

Ohne den Falschspieler aus den Augen zu lassen, forderte Elliot den Gambler auf: »Stehen Sie auf, Mister und sehen Sie in der linken Manschette des Kreolen nach. Da werden Sie etwas sehr Interessantes finden.«

Die eisige Kälte, die der Berufsspieler bis jetzt gezeigt hatte, verlor sich augenblicklich. Mit einem wahren Tigersprung hechtete der Mann über den Tisch und spannte seine Finger um den linken Unterarm des Kreolen.

Angesichts des auf ihn gerichteten Revolvers sah der Falschspieler keine Chance mehr.

Die Männer stürzten über ihn her, rissen ihn zu Boden. Er bekam Tritte, Schläge und Stöße und wurde schließlich von der mächtigen Faust eines untersetzten Mannes hochgerissen und gegen die Wand geschleudert.

Der Untersetzte hatte einen Revolver in der Rechten und einen Stern auf der Brust.

»Ich habe längst gewußt, daß du dreckige Pfoten hast, Larry«, sagte der Sheriff, »und daß Tonio dein Partner ist, überrascht mich auch nicht…«

John Elliot hatte sich den Platz am Spieltisch erkämpft.

Und mehr als das. Aus dem einen Dollar, den er gesetzt hatte, waren im Laufe einer Stunde dreizehn geworden, und nach einer weiteren Stunde waren es siebzehn.

Dann hatte sich der Berufsspieler Jonas Hillay gefangen und schlug gnadenlos zu.

Elliot verlor alles.

Er setzte seinen vorletzten Dollar, verlor auch ihn und warf den letzten Dollar auf den Tisch.

Zum zweitenmal an diesem Abend erspähte das scharfe Auge des Weidereiters etwas, was die Männer in der Hufeisenbar nicht gesehen hatten. Eine blitzschnelle Volte Hillays mit der Rechten, und eine Spielkarte war verschwunden.

John Elliots letzter Dollar lag bei den drei anderen auf der Tischmitte.

Da stand der Cowboy ganz ruhig auf und zog seinen Revolver.

»Tut mir leid, Mister, aber auch Sie spielen falsch.« Er hatte es ganz ruhig gesagt. Ohne Hast und sogar ohne Drohung.

Zu spät vernahm er das zischende Geräusch hinter sich. Es gelang ihm nur noch, seinen Kopf um drei oder vier Inches zur Seite zu drehen, was ihn höchstwahrscheinlich vor dem sicheren Tod bewahrte. Denn der Hieb mit der Eisenstange, den einer der Männer, der bisher mit völlig unbeteiligtem Gesicht dabeigestanden hatte, nach seinem Hinterkopf geführt hatte, hätte ihm unweigerlich die Schädeldecke zertrümmert. So streifte er nur den Kopf, schien das Ohr abtrennen zu wollen und fuhr knackend zwischen Hals und Schulter.

Elliot brach in das rechte Knie. Sein Arm war wie gelähmt.

Dann nahm er den Revolver in die Linke und riß sich herum.

Hart krachte die Waffe auf die linke Kniescheibe des Schlägers. Der Mann schrie gellend auf.

Und John Elliot war sofort wieder auf den Beinen. Er stieß die heranstürzenden Männer auseinander und drang auf Hillay zu.

In seiner Verwirrung hatte der Berufsspieler vergessen, die Karte aus der Manschette zu nehmen.

Wie ein Stier hatte der Cowboy sich zu ihm durchgeboxt, hieb ihm den Revolverkolben auf den Unterarm, packte das Gelenk und zerrte es hoch. Dann hatte er die Karte in der Hand.

»Hier, Leute, Kreuz As. Der Mann ist ein Betrüger!«

Aber diesmal gab es keinen Sheriff.

Der professionelle Gambler Jonas Hillay hatte ein ganzes Quintett von Helfern bei sich. Den Mann mit der Eisenstange hatte Elliot ausgeschaltet, aber dafür drangen die vier anderen Helfer des Gamblers auf ihn ein.

John Elliot war zu schwach, zu ausgemergelt und zu gehandicapt, durch den schweren Schlag auf die Schulter, als daß er auch nur die Spur einer Chance gegen die vier ›Kartenritter‹ gehabt hätte.

Schwerste Faustschläge warfen ihn hin und her, schleuderten ihn gegen ein Fenster, so daß er schwerbespickt zurücktaumelte, in einen Fußtritt lief und von einem weiteren Schlag in die Knie geworfen wurde.

»Verdammter Tramp!« brüllte der Gambler. »Hat der Hund alles verloren und bezichtigt mich des Falschpiels. Macht ihn fertig, Boys.«

Wieder droschen die vier Rowdies auf den unseligen Nevadamann ein.

Der Cowboy John Elliot war ganz sicher nicht aus einem weichen Holz geschnitzt. Aber unter den prasselnden Hieben knickte er doch in sich zusammen.

Instinktiv hob er noch die Hände über den Schädel und suchte sich einem der Angreifer nach vorn in die Schienbeine zu werfen, als er ganz plötzlich und unerwartet Luft bekam.

Ein Fremder hatte draußen Halt gemacht, den Tumult gehört und war an die Saloontür gekommen. Mit einem raschen Blick übersah er die Szene und handelte augenblicklich.

Wie von Titanenfäusten gepackt flogen zwei der Gambler Boys zur Seite. Der dritte, der den neuen Gegner anspringen wollte, fiel unter einem harten Handkantenschlag, und den vierten warf ein langer Jab so hart neben das Fenster, daß er mit dem zertrümmerten Rahmen hinaus auf den Vorbau stürzte.

Völlig verdutzt sah Jonas Hillay seine Helfer plötzlich am Boden liegen. Da zuckte seine Rechte zur Westentasche, krallte den Lauf seines Derringers und riß die Waffe heraus.

Aber gedankenschnell flog in die linke Hand des Fremden ein großer Revolver, der von der Hüfte des Mannes her aufbrüllte.

Die Kugel stieß Hillay den Derringer aus der Hand.

Und der Gambler Boy, den der Fremde vorhin zur Seite geworfen hatte, und der jetzt halb hinter ihm plötzlich wie ein Gespenst hochfederte, bekam den sechskantigen Lauf des schweren Revolvers vor die Stirn.

Und dann hatte der Fremde auch in der Rechten noch einen Revolver.

»Steh auf, Cowboy. Es gibt Arbeit für dich.«

Elliot, der wie durch einen Schleier hindurch nur die Beine der Männer gesehen hatte, hob langsam den Kopf und riß die Augen weit auf.

Heavens! Das konnte doch nicht wahr sein. Wie durch Nebelschwaden sah er die hochgewachsene Gestalt des Fremden aus dem Goshute Valley vor sich…

Wie von Zauberhand gezogen kam er wieder auf die Beine.

»Sie?« stammelte er.

Wyatt Earp sah ihn nicht an. Er behielt Hillay und die anderen im Auge.

»Nimm den Boys die Eisen weg, Cowboy.«

Elliot kam dieser Aufforderung nach, und als er die Waffen der Banditen eingesammelt hatte, gebot der Marshal ihm: »Und jetzt nimmst du dem Spieler den Cloverleaf aus der linken Jackentasche.«

Die Männer im Saloon waren blaß vor Verwunderung, als Elliot dem Gambler tatsächlich einen Revolver des von dem Fremden bezeichneten Fabrikats aus der Jacke zog.

Wyatt Earp rief dem Salooner zu: »Holen Sie den Sheriff!«

In diesem Augenblick richtete sich der Mann, der durch das Fenster gestürzt war, auf. Er war gerade aus seiner Benommenheit zu sich gekommen und hatte das Wort ›Sheriff‹ gehört.

Der Missourier richtete den Bunt-line Special auf ihn, ohne die anderen aus den Augen zu lassen.

»Bleib ganz ruhig stehen, Amigo, sonst brauchst du einen Sarg.«

Der Salooner rannte hinaus. Und wenige Minuten später kam er mit dem Sheriff zurück.

Hillay und seine Helfershelfer wurden dahin gebracht, wo schon der Kreole mit seinem Partner saß.

Wyatt Earp hatte die Schenke verlassen. Er machte sein Pferd in dem Augenblick vom Zügelholm los, als Elliot aus der Schenke kam.

»Wo wollen Sie eigentlich hin, Mister?« rief er dem Marshal zu.

»Siehst du, Cowboy, das wollte ich dich auch schon lange fragen.«

»Ich will nach Arizona.«

»Dann einen guten Ritt, Amigo. Und wenn ich dir einen Rat geben darf, bleib aus den Spielsaloons weg. Da paßt du nicht hin. Drüben hinter der Grenze beginnt ein schönes Land. Es ist bestes Weidegras, das sich bis hinunter an die Hurrikane Hills zieht. Gleich am Antilope Creek ist Frank Wheelers Ranch. Er kann sicher noch einen guten Cowboy gebrauchen. Vor allem einen Mann, der was von Pferden versteht. Und Leute aus Nevada verstehen ja etwas von Pferden.«

John Elliot sah den Fremden an, der ihn fast um Haupteslänge überragte.

»Yeah«, sagte er nur, »kann sein.«

Wyatt Earp zog sich in den Sattel.

»So long, Cowboy. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Und vergessen Sie es nicht: Wheelers Ranch am Antilope Creek.«

*

Elliot ritt noch am gleichen Abend, nachdem er sich gestärkt und Proviant eingekauft hatte, weiter.

Am nächsten Spätnachmittag leuchteten am südöstlichen Horizont die Zinnen der Vermillon Cliffs über die Savanne.

Das Landschaftsbild änderte sich mehr und mehr. Buschgruppen tauchten auf, Hügelzüge, kleine Bergkuppen, Täler und Waldungen belebten das Bild.

Und plötzlich tauchte aus einer Talsenke ein Reitertrupp vor ihm auf. Sieben Männer.

Je näher sie kamen, desto unbehaglicher wurde Elliot zumute. Es waren hartgesichtige Burschen mit staubigen Hüten und Anzügen.

Voran ritt ein kleiner spitzgesichtiger Mensch mit Luchsaugen und Knebelbart. Er hatte einen breitrandigen Quäkerhut auf, trug einen schwarzen langschößigen Rock und eine gestreifte Hose. Er hatte sogar ein weißes Hemd und eine grünseidene Krawatte an.

Der Trupp hielt vor dem einzelnen Reiter an. Der Zwickelbart legte den Kopf auf die Seite und grinste.

»Hallo, Mister, wo kommen wir denn her?«

Elliot hatte die steile Falte zwischen den Brauen stehen.

»Aus Nevada – und ihr?«

»Aus Arizona. – Tja, ich glaube, wir wollen es kurz machen, Mister. Wieviel willst du freiwillig geben?«

»Geben?« Die Falte in der Stirn des Cowboys vertiefte sich noch. »Was soll ich geben?«

»Du bist köstlich, Junge! Hihi! Er fragt, was er geben soll? Ist er nicht ein Goldstück, Jeff?«

Jeff Criddy saß etwas schief im Sattel, rechts hinter seinem Boß. Er hatte ein vierkantiges böses Hundegesicht.

Plötzlich änderte sich der Ton des Kinnbärtigen. »Sag ihm, was er geben soll, Jeff!«

Criddy richtete sich auf und lehnte sich nach vorn. Während er beide Hände aufs Sattelhorn stützte, sagte er mit näselnder Stimme: »Pro Mann zwanzig, pro Gaul fünf.«

»Macht fünfundzwanzig«, meinte der Boß. »Und so billig willst du ihn ziehen lassen, Jeff? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Der Junge sieht gesund aus und ist noch jung. Er wird die paar Bucks leichter wieder anschaffen als ein Knabe wie ich mit

fünfzig Lenzen auf dem Buckel. Sagen wir also fünfunddreißig.«

John Elliot hatte kein Wort begriffen.

»Na, Boy, wie steht’s damit?«

Da hatte der Junge aus Nevada, der ausgezogen war, seine schnelle Revolverhand im goldenen Teil des Westens zu erproben, plötzlich seinen Colt in der Hand.

»Tut mir leid, Alter, aber ich kapiere dich nicht. Solltest du aber Verlangen danach haben, eine oder auch mehrere Stücke glühenden Bleis in deinen mageren Rippen zu verspüren, so sprich dich ruhig deutlicher aus.«

Verdutzt starrten die Männer auf den Revolver in der Hand des Cowboys. Sie dachten in diesem Augenblick alle das gleiche: Offensichtlich ist der Boß da an den Falschen geraten.

Aber der ziegenbärtige Grenzgeldjäger Hoster Flavius dachte nicht daran, seinen Beruf so rasch zu wechseln.

»Siehst du, Junge, das gefällt mir«, meinte er, »du hast eine rasche Auffassungsgabe. Das ist eine Menge wert. Aber nicht genug. Siehst du, ich habe noch sechs Boys hinter mir. Well, du kannst vielleicht einen oder vielleicht sogar zwei von ihnen aus dem Sattel bringen, aber dann haben sie dich doch. Sie sind ja zu sechs.«

Sich selbst ließ der gerissene Mann ganz aus dem Spiel.

Aber so schaffte er den Weidemann aus Nevada nicht, der auf seinem Ritt nach Süden schon zwei Tote hinter sich gelassen hatte.

»Das ist eine schlechte Rechnung, Alter. Du bist der erste, den ich aus dem Sattel hebe. Und um ganz sicher zu gehen, werde ich gleich zwei Kugeln für dich opfern. Ich habe einen ziemlich schnellen Finger. Jeff ist der zweite, und dann werde ich… Na, ich will den dritten und vierten Mann noch nicht bezeichnen. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ich etwas für einen Banditentrupp übrig habe.«

»Banditen?« verwahrte sich Flavius. »Sie sehen das erheblich falsch, Mister. Wir sind doch keine Banditen.«

»So, was seid ihr denn?«

»Wir bewachen die Grenze. Und jeder, der hinübergeht, hat eine Art Grenzgeld zu zahlen. Haben Sie noch nichts davon gehört?«

»Nein – und ich möchte es auch keinem Grenzgeldkassierer raten, mir noch einmal etwas davon zu erzählen.«

Flavius versucht es von der anderen Seite her. »Für einen Weidereiter sind Sie aber verdammt schnell mit dem Colt zur Hand, Junge.«

»Meine Sache.«

Flavius legte den Kopf auf die Seite.

»Suchen Sie vielleicht einen einträglichen Job, Mister?«

»Bei Ihnen etwa?«

»Was gibt es da zu feixen, Mister? Bin ich Ihnen vielleicht nicht gut genug?«

Jetzt mußte der Cowboy denn doch lachen.

»Sie sind ein Bandit, Mister – daran ist nichts zu deuteln. Und jetzt gebe ich Ihnen einen Rat. Sehen Sie zu, daß Sie mit Ihrem Verein möglichst schnell aus meiner Nähe kommen. Ich bin ein verdammt ungemütlicher Bursche. Sie sehen es schon daran, daß ich allein reite…«

»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, suchte Flavius Zeit zu gewinnen. »Aber ich glaube, daß ich Ihnen helfen könnte, Mister.«

»Ach, machen Sie doch Schluß mit Ihrem Song. Da gibt es ganz andere Leute, die einem wirklich helfen.«

»So, wie sehen die denn aus?«

»Jedenfalls anders als Sie, Mister. Ich habe einen Mann auf meinem Ritt dreimal getroffen. Und jedesmal, wenn er aufkreuzte, saß ich irgendwie in der Tinte. Und immer hat er mich rausgehauen.«

»Komischer Heiliger.«

»Yeah, und jetzt möchte ich weiter, Mister.«

Flavius fuhr sich mit dem Mittelfinger durch den Hemdkragen.

»Leider ist das nicht zu machen, Mister. Es ist unser Beruf, das Grenzgeld zu kassieren, und davon können wir nicht so ohne weiteres ab…«

Hoster Flavius unterbrach sich selbst. Ein polterndes dröhnendes Geräusch ließ ihn hochschrecken. Er sah sich um und sah, was auch die anderen sahen: Vor einer wahren Staubfontäne her rollte die Overland heran.

»Verdammt!« stieß Flavius durch die Zähne. »Well, dann ein andermal, Mister.«

Er hob den Arm, und die wilde Schar stob davon.

John Elliot wußte nicht, welchem Geschick er da entgangen war. So leutselig und gar humorvoll dieser Hoster Flavius sich auch gegeben hatte, so gefährlich und rücksichtslos war er. Der Cowboy Elliot wäre nicht der erste Reiter gewesen, den er aus dem Sattel geschossen hätte…

Elliot sah sich um. Die Kutsche kam heran.

Der Driver riß die Zügel zurück.

Eine Staubwolke stieg hoch und hüllte alles auf zehn bis fünfzehn Yards hin ein. Als sie sich gesenkt hatte, hörte der Nevadamann die krächzende Stimme des Overlandkutschers.

»He, Mister, da haben Sie Glück gehabt. Die Burschen, die da drüben davonpreschen, sind nicht zu verachten. Ich wette, daß es Hoster Flavius und seine Halunken waren. Grenzgeldjäger, Banditen, Mörder!«

Elliot hatte seinen Revolver ins Halfter geschoben. Leider begriff er nicht, wie gefährlich die Grenzgeldjäger wirklich waren.

»Bleiben Sie lieber bis Short Creek neben dem Wagen!«

So kam der Cowboy ungeschoren über die Grenze nach Arizona. In Short Creek setzte er seinen Ritt allein weiter fort.

Längst schon hatte er den Rat seines Retters vergessen, die Wheeler Ranch aufzusuchen, als er plötzlich an einem rostigen Weidezaun ein Schild mit der von Wind und Wetter halbverwaschenen Aufschrift: WHEELER RANCH entdeckte.

Er hielt an und sah über die Weide. Es war besseres Land als jenes, aus dem er gekommen war. Das Gras stand höher und saftiger. Hier konnte eine dreimal so große Herde, wie der Nevada Rancher Jeff Miller sie besaß, leben.

John Elliot hatte sich aufs Sattelhorn gestützt und sah über das nach Süden hin ansteigende Land. Dunkelblau und wolkenlos spannte sich der Himmel über die Weide. Die Luft roch nach den Gräsern.

Elliot nahm seinen Braunen herum und ritt ein Stück zurück. Dann nahm er einen Anlauf, zog die Zügel hoch, warf sich nach vorn, und fast elegant stieg der Braune über das Hindernis, das der Weidezaun bot.

Es war früher Morgen gewesen, als er den Weidezaun der Wheeler Ranch überquert hatte. Und erst am späten Nachmittag gewahrte er von Westen her eine Wagenspur, die nach Südosten führte.

Der Cowboy folgte ihr und sah nach anderthalbstündigem Ritt am Hori-zont die Bauten einer Ranch auftauchen.

Langsam trabte der Braune des Nevadamannes darauf zu. Erst als Elliot näher kam, sah er, daß die Ranch von einem starken Pfahlzaun umgeben war.

Das Tor stand offen.

Als Elliot es passierte, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen ein Mann vor ihm mit einem Gewehr, das er in unmißverständlicher Geste nach vorn hielt.

»Was wollen Sie?«

»Ich möchte mit dem Rancher sprechen.«

»Was?«

Elliot rutschte aus dem Sattel und musterte den anderen.

»He, Sie haben eine merkwürdige Art, Leute auszufragen. Aber ich bin nicht kleinlich. Mein Name ist Elliot, John Elliot. Ich suche einen Job.«

»Als…?«

»Als Cowboy. Was gibt’s denn sonst noch für einen Job auf einer Ranch?«

»Da gibt’s eine ganze Menge, Stranger. Zum Beispiel Koch, Peon, Gunman – oder Vormann.«

»Ist das bei euch kein Cowboy?«

»Doch, aber er ist tot. Und da hätte es ja sein können, daß Sie wegen dieses Jobs nachfragen wollen. Sollten Sie das jedoch beabsichtigen, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie erstes zu jung sind, und zweitens haben sich bereits zwei Männer um den Job bemüht.«

»Und – ist er noch frei?«

Der Mann zog die Schultern hoch. »Ich glaube schon. Aber das kann in jeder Sekunde entschieden sein.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter auf einen Schuppen, aus dem merkwürdige Laute zu hören waren.

Elliot ließ seine Zügelleinen fallen und ging auf den Schuppen zu, zog die nur angelehnte Tür weiter auf und sah sich zwei prügelnden Männern gegenüber.

Die Schlacht wogte hin und her. Elliot wandte sich wieder um.

»Was haben die denn?«

»Es sind zwei Boys aus unserer Crew. Sie haben beide die gleiche Chance beim Boß – und um dem Zustand abzuhelfen, haben sie einmütig beschlossen, die Sache unter sich friedlich abzumachen.«

Elliot ging auf die beiden zu und rief: »He, auseinander, ihr Idioten!«

Die beiden raufenden Weidemänner hielten inne und sahen aus ihren erhitzten, schweißnassen Gesichtern verblüfft auf den Fremden.

Der eine, ein untersetzter, stiernackiger Bursche mit eingeschlagener Sattelnase und hartem Kinn, knurrte: »Was will der Bursche denn? Verrückt geworden, Kleiner, was?«

Elliot ging auf ihn zu. Der Schlag saß genau am Kinn des Cowboys Henderson. Der Mann schwankte zurück.

Dann rannte er mit einem Wutschrei vorwärts. Aber er war zu plump für den drahtigen, zähen Elliot. Der zweite Schlag riß ihn von den Beinen.

»He, Küken, jetzt gibt’s Kleinholz!« rief der andere, ein langer knorriger Bursche mit weizenblondem Haar. Er stürmte auf den Nevadamann zu, und Elliot hatte vier Schläge nötig, ehe er ihn zu Boden brachte.

Elliot wandte sich um und sah den Türwächter an. »Rufe den Boß!«

»Nicht nötig«, kam da eine dröhnende Stimme aus dem Hintergrund des düsteren Schuppens, »bin schon hier.«

Elliot wartete, bis der Mann herangekommen war.

Er war klein, schmalgliedrig und hatte ein scharfes Gesicht mit hellen Augen.

»Sie sind…«

»Sam Wheeler.«

»Mein Name ist Elliot, ich bin…«

»Der neue Vormann, ich weiß«, unterbrach ihn der Rancher.

Noch einmal hatte das Schicksal dem Nevadamann die Hand geboten. Aber diese Chance verstand John Elliot nicht zu nutzen.

Nicht, daß er für den Posten ungeeignet gewesen wäre – aber er zankte sich zuviel herum. Es war ohnehin schwer für die Crew, die durchweg aus Dreißig- bis Vierzigjährigen bestand, sich mit einem so jungen Vormann abzufinden.

Ganze vier Monate blieb Elliot auf der Wheeler Ranch, dann erklärte er dem Rancher eines Tages nach einem neuerlichen Streit mit dem stiernackigen Ric Gennan, daß er gehen wolle.

Wheeler zog die schmalen Schultern hoch.

»Es sollte mir leid tun, Jonny. Sie sind ein tüchtiger Bursche. Aber wenn Sie nicht bleiben wollen… Well, Sie sind natürlich noch höllisch jung, und…«

Schon zwei Tage später trottete Elliots Brauner dem Grand Canyon entgegen.

Am Abend des nächsten Tages lag die Teufelsschlucht, wie die Indianer diese gigantische Felsspalte nennen, in ihrer ganzen majestätischen Schönheit vor ihm.

Aber der Nevadamann hatte keine Augen für das Naturpanorama. Er ritt einen Saumweg hinunter, und als der Pfad sehr schmal wurde und der solche Passagen absolut unbewohnte Wallach scheute, hieb der Cowboy dem Tier ärgerlich die Sporen in die Weichen.

Das Tier erschrak und stieg auf der Hinterhand hoch. Das geschah so plötzlich, daß Elliot aus dem Sattel geschleudert wurde.

Er stürzte über den Rand des Pfades und stieß einen gellenden Hilfeschrei aus, als er über das fast lotrecht abfallende Gestein in die Tiefe stürzte.

Die nur daumendicke Astgabel einer Sandsteintamariske bremste seinen Sturz ab, fing den Körper auf, und der Mann klammerte sich verzweifelt in dem Gestrüpp fest. Als er einen Blick nach unten riskierte, sah er in schwindelnder Tiefe ein gelbliches Wasser fließen, dessen Rauschen sich an den Felswänden brach.

Und drüben, vielleicht zweitausend Fuß entfernt, stieg ebenfalls eine Felswand in den Himmel, die die diesseitige noch weit überragte.

Der Nevadacowboy John Elliot war in die Teufelsschlucht gestürzt. Er hing an einer fast senkrecht in die Tiefe stürzenden Felswand des Grand Canyon zwischen Himmel und Erde an den Ästen einer Steintamariske, die unter der Last seines Gewichtes jeden Augenblick brechen konnte.

Eine beklemmende Einsamkeit gähnte ihm aus der rauschenden Schlucht entgegen.

Ich bin verloren, hämmerte es in seinem Schädel.

»Hi-i-il-f-e…!« Schrill und dröhnend hallte der Schrei durch die Schlucht, brach sich an den Steinwänden der roten Felsbastionen und fiel in hundertfachem Echo zurück.

John Elliot hatte sich aufgegeben.

*

Er hatte ein Gesicht, das aussah, als sei es aus dem roten Felsstein des Grand Canyons gemeißelt. Seine Augen waren dunkel, und scharfe Falten hatten sein Antlitz gezeichnet. In seinem blauschwarzen Haar, das bis zu seinen Schultern reichte, flimmerten schon zahlreiche Silberfäden.

Der Meskalero Apache Ore Batica hatte mehr als sechs Jahrzehnte auf seinen Schultern. In seiner Jugend war er drüben in Colorado gewesen, wo er in den Felsenbergen allein nach Wild gejagt hatte. Und später, als er von dem Verzweiflungskampf seiner roten Brüder gegen die Weißen gehört hatte, war er zurück in seine Heimat gekommen, um unter dem Befehl des großen Häuptlings Cochise in den Heiligen Kampf zu gehen.

Dieser Kampf war eigentlich nie recht entschieden worden. Der große Cochise hatte es immer wieder verstanden, das Vernichtungswerk der weißen Männer durch einen Friedensvertrag aufzuhalten.

Ore Batica war darüber alt geworden. Er hatte sich nicht mit seinen Stammesgenossen ins Reservat sperren lassen, sondern war allein weitergezogen und jagte nun schon seit vielen Jahren hier oben am Grand Canyon.

Er saß auf einer vorspringenden

Felsnase an einem abschüssigen Pfad, den seine Urväter einmal in den Fels geschlagen haben mußten, und lauschte in die Teufelsschlucht hinunter.

Da! Kam da nicht durch das Rauschen und Toben des Colorado River ein anderer Ton zu ihm herauf?

Es gehörte schon das scharfe Ohr des geübten Jägers, das Ohr eines Apachen dazu, den Schrei aus so weiter Entfernung noch zu hören.

Ore Batica erhob sich sofort und stieg mit seinen geschickten Füßen den Saumpfad hinauf, kletterte an einer Steilwand hoch, die jeder weiße Jäger für unersteigbar halten würde, hangelte sich an einer gefährlich vorspringenden Felsnase entlang, setzte im federnden Sprung über eine mehrere Yards breite Kluft und landete sicher drüben auf dem anderen Saumpfad.

Wieder drang der Schrei an sein Ohr.

Der Apache wußte jetzt, wo der Laut hergekommen war, wo er den Menschen zu suchen hatte.

Nach geradezu waghalsigen Kletterpartien entdeckten seine scharfen Augen ihn in dem vorspringenden Gestein, in einer winzigen Felsspitze an die Tamariske gekrallt.

Der Indianer hielt inne. Für einen Augenblick dachte er: Es ist ein weißer Mann. Und er ist verloren. Niemals kann ich die Kluft, die mich von seinem Felsen trennt, überspringen. Und wenn ich hinaufsteige aufs Plateau, muß ich viele Meilen laufen, um den Taleinschnitt, zu dem die Kluft sich später weitet, umgehen zu können. Bis dahin ist es Nacht. Und er ist abgestürzt.

Wieder gellte der Schrei des weißen Mannes durch den Grand Canyon.

Ore Batica blickte verzweifelt an seinem eigenen Hang hinunter und stellte fest, daß etwas sechzig, siebzig Yards unter ihm ein terrassenförmiger Vorsprung war, von dem aus er vielleicht den Sprung hinüber wagen könnte.

Plötzlich hatte John Elliot den Mann im Gestein entdeckt. Ein Indianer, zuckte es in seinem Hirn.

Da hob der Rote den Arm.

Er hat mich gesehen! »Hiiilfe!« Heiser und wild entrang sich noch einmal der gellende Notschrei seiner Kehle.

Der Indianer winkte mit der Hand und nickte.

Der Hoffnungsfunke entfachte einen wahren Glutstrom in der Brust des Verunglückten. Als er dann aber sah, was der Rote da drüben vorhatte, lähmte ihn eisiges Entsetzen.

Ore Batica, eng an den Fels gepreßt, rutschte mehrmals die Steilwand hinunter, fing sich aber immer wieder ab und landete schließlich auf dem Podest, von wo aus er die Kluft überspringen wollte. Als er jetzt vorn an dem Rand des Gesteins stand und hin-überblickte auf den Felsen, von dem er durch die Kluft getrennt war, sah er, daß der Abstand doch zu groß war, um drüben die kleine Felsnase, die er sich als Ziel ausgesucht hatte, erreichen zu können.

Weiter unten aber sprang ein Felsstück wie ein gegen den Himmel gerichteter Finger vor, und Ore Batica maß schon die Entfernung dahin.

Es war sehr weit. Aber wenn er einen Anlauf nahm und berechnete, daß es ein Sturzflug werden konnte, würde er es vielleicht schaffen.

Vielleicht!

Der Indianer überlegte nicht lange. Er ging zurück, bis er den Felsen im Rücken spürte, und nahm dann einen Anlauf.

Jetzt erst löste sich das Entsetzen des Cowboys. »Nein…! Wahnsinn…!«

Aber da flog der schlanke Körper des Roten nach zwei federnden Sätzen schon mit weit vorgesteckten Armen vom Felspodest über die Tiefe der Kluft.

John Elliot hatte die Augen geschlossen.

Als er sie wieder öffnete, sah er den Indianer nicht mehr.

Nur das Rauschen des Flusses stieg zu ihm herauf, das immer mehr anschwoll, bis es dem Verunglückten fast die Besinnung raubte.

Dann hörte er plötzlich ein Geräusch unter sich. Ein Tier? Ein Raubvogel vielleicht?

Er hielt den Atem an und starrte in die Tiefe. Da, er glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, schob sich über die rissige Kante eines vorspringenden Steinstückes eine braunrote Hand. Eine Menschenhand!

Die Hand hatte sich in den Stein gekrallt, schien wie leblos zu verharren und bewegte sich dann plötzlich, sprang weiter, und eine zweite Hand folgte ihr.

Dann tauchte der schwarzblaue Schopf auf, in dem die Silberfäden blinkten.

Für einen Augenblick hob der Indianer das Gesicht.

John Elliot sah in seine dunklen Augen. Und dann beobachtete er, wie der rote Mann sich an dem Fels links im Klimmzug hinaufzog.

Niemals hätte es der Cowboy für möglich gehalten, daß ein Mensch sich an dieser steilen Wand hinaufbewegen könnte. Mit bebenden Gliedern beobachtete er den lebensgefährlichen Kletterakt des Indianers.

Jetzt befand Ore Batica sich noch etwa fünfzehn Yards schräg unter dem Weißen. Er stieg steil hoch und bekam die Felsrinne, die er angestrebt hatte, genau vor sich. Dann endlich war er auf gleicher Höhe mit Elliot, nur etwa neun Yards von ihm entfernt.

Der Weiße starrte mit weit offenen Augen zu ihm hinüber. Was hatte der Rote vor? Wollte er ihn nur verhöhnen? Wollte dieser Felsenmensch ihm nur zeigen, wie er sich hier bewegen konnte?

Das Gesicht des Indianers blieb ausdruckslos.

Und plötzlich schwirrte eine Lassoschlinge durch die Luft, verfing sich in dem Geäst der Tamariske und ließ das Gesträuch erzittern.

»Der weiße Mann muß das Seil dicht am Stein um die Astgabel schlingen.«

Elliot tat es sofort.

»Und jetzt wird sich der weiße Mann an das Seil hängen und immer eine Hand vor die andere nehmen. Mit den Füßen stößt er sich dabei immer vom Felsen wieder ab.«

»Aber das Seil! Wenn es hier von der Astgabel losreißt?«

»Der weiße Mann wird immer nur eine Hand von dem Seil lösen und sich mit der anderen festhalten. Selbst wenn das Seil drüben reißt, hier halte ich es fest, und der weiße Mann hängt immer noch am Seil.«

Der Schweiß stand Elliot in dicken Perlen auf der Stirn, als er am Seil über der Felswand hing. Es dauerte lange, ehe er es wagte, eine Faust zu lösen.

»Der weiße Mann muß schneller die Griffe wechseln«, mahnte ihn der Indianer. Und dann forderte er ihn auf, nicht in die Tiefe zu schauen.

Plötzlich, als Elliot etwa die Hälfte der Distanz hinter sich hatte, wurde die Tamariske drüben mitsamt ihrer Wurzel aus dem Spalt gerissen.

Gellend drang der Schrei des Mannes durch die Kluft, in die er gerutscht war und in deren Kamin er nun baumelte.

»Festhalten!« schrie der Apache.

Elliot hatte die Zähne aufeinandergepreßt. Er spürte nicht den brennenden Schmerz, den ihm die Schürfwunden an Gesicht und Händen verursachten.

Griff um Griff zerrte der Rote das schwere Gewicht zu sich hinauf.

Elliot hatte die Augen geschlossen. Immer wieder wurde er gegen das Gestein geschleudert.

»Die Füße gegen den Stein!« mahnte der Indianer.

Endlich, nach bangen Augenblicken, hatte Ore Batica den Verunglückten am Handgelenk gepackt und zerrte ihn zu sich auf den Sims.

Zu Tode erschöpft sank der Cowboy gegen den kühlen Fels und rang nach Atem.

Aufrecht stand der Indianer vor ihm.

Als Elliot die Augen öffnete, blickte er den Alten an.

»Und wie – kommen wir hier

weg?«

Das war alles, was er zu sagen hatte. Das Wort ›Danke‹ schien er überhaupt nicht zu kennen.

Der Apache blickte in den Kamin hinauf.

»Wir müssen hier hinaussteigen. Oben ist ein Saumpfad.«

Das war leichter gesagt, als der Cowboy es durchführen konnte. Ohne die Hilfe des Roten hätte er es sicher nicht geschafft.

Als sie schließlich den Pfad erreichten, ließ sich Elliot nieder und kurbelte sich eine Zigarette. Dem Indianer etwas Tabak anzubieten, fiel ihm nicht ein.

Als die Zigarette brannte, sah Elliot sich verblüfft um.

»He, Rothaut, wo steckst du?«

Der Indianer war auf seinen Mokassins lautlos davongegangen.

Elliot erhob sich, schnipste die Zigarette in die Tiefe und stampfte den Weg hinauf.

Da stand sein Wallach mit zitternden Flanken und schnaubenden Nüstern.

»Blödes Biest«, knurrte der Cowboy. »Da hätte ich mir wegen dir beinahe den Hals gebrochen…«

Er wollte den Weg zurückgehen. Da sah er plötzlich den Apachen über sich auf einem vorspringenden Stein sitzen.

»Der weiße Mann kann auf diesem Pfad bleiben, aber er darf nicht in den Sattel steigen.«

Elliot nickte und tippte an seinen Hutrand. Erst jetzt merkte er, daß er seinen Hut noch hatte. Ein Glück, daß der alte Filz so fest saß, sonst wäre er bei dem Sturz ganz sicher verlorengegangen.

Auch jetzt, nachdem Elliot sich wieder einigermaßen gefangen hatte, fand er zu keinem Wort des Dankes für seinen Retter. Der saß mit blutenden Händen und aufgeschlagenen Knien auf dem Stein und sah schweigend zu ihm hinunter.

Anderthalb Tage brauchte Elliot, bis er die Teufelsschlucht überwunden hatte. Als er nämlich unten die Schluchtsohle erreicht hatte, sah er sich den reißenden Wassern des Colorado River hilflos gegenüber. Aber diesmal gab es keinen Indianer, der ihm eine Furt wies. Er mußte sie sich selber suchen. Und dazu brauchte er ziemlich lange. Drüben stieg er dann durch eine Seitenschlucht und mußte wieder zurückkehren, da sie keinen Ausgang hatte. Endlich fand er wieder einen Saumpfad, der ihn hinauf aufs große Plateau brachte.

Coconino Plateau nannte es sich. Und schon am Abend des nächsten

Tages wußte er, daß es die einsamste Hochebene dieser Erde war. Er traf keinen Menschen, keine Ansiedlung. Mehr und mehr schwand die Vegetation.

Elliots Vorräte waren aufgezehrt, die Wasserflasche leer – und nirgends war ein Creek oder auch nur ein Rinnsal zu sehen.

Dazu kam die Hitze, die fast urplötzlich hinter dem Laguna Lake eingesetzt hatte und den Reiter mit ihren brennenden, sengenden Glutschwaden auf seinem Ritt begleitete.

Der Weg nach Tombstone schien durch die Hölle zu führen. Elliot war oft nahe daran gewesen, umzukehren, aber wenn er an den Grand Canyon dachte, gab er den Gedanken an die Umkehr wieder auf.

Auf der Höhe von Flagstaff – er wußte allerdings nicht, daß er nur dreißig Meilen westlich dieser Stadt ritt – brach er zusammen. Er rutschte völlig benommen von der Sonnenglut aus dem Sattel und blieb in dem struppigen Gras liegen.

Als er wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, glaubte er zu träumen. Er sah in die dunkelblauen Augen einer Frau.

Wasser rann an seinem Kinn herunter auf seine brennende Brust.

Hinter der Frau stand ein Wagen, ein flacher Highlander, vor dem ein Rappe stand.

Elliot schloß die Augen.

Da goß die Frau ihm Wasser über Stirn, Mund und Hals.

Elliot öffnete die Augen wieder.

Die Frau hatte ein ernstes Gesicht. Es war sicher einmal vor einem Jahrzehnt oder länger schön gewesen. Jetzt trug es die harten Runen einer schweren Zeit.

»Kommen Sie, ich helfe Ihnen zum Wagen.«

Sie stützte ihn, richtete ihn hoch und schleppte ihn mit der Kraft eines Mannes zu dem Highlander.

Jetzt sah Elliot erst seinen Braunen. Er lag hinter dem Wagen im Schatten am Boden.

»Ist er…«

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Er ist wohlauf. Nur noch sehr erschöpft. Und da hat er sich eben im Schatten niedergelassen.«

Der Highlander setzte sich in Bewegung.

John Elliot lag auf der Ladefläche, mit dem Kopf unter dem Fahrersitz, so hatte er wenigstens etwas Schatten.

Müde trottete der Braune hinter dem Fahrzeug her.

Mattie Jenkins hatte siebzehn Meilen westlich von Flagstaff eine Farm. Nicht sehr groß, aber gesund und sauber schien hier alles zu sein.

Ein Neger und eine rundliche Negerin waren mit Küchenarbeiten beschäftigt, als der Wagen in den Hof einrollte.

Die beiden sprangen erschrocken auf, als sie den Mann hinten auf dem Wagen sahen.

»Wir bringen ihn in die Stube«, bestimmte die Frau.

Und jetzt erst sah der Cowboy, daß sie Hosen trug, Texasstiefel und sogar einen Waffengurt, an dem ein achtunddreißiger Revolver baumelte.

Unterm Kutschbock zog sie ein Nogalesgewehr hervor, stellte es in den Flur und sorgte dafür, daß der Fremde versorgt wurde.

Nach vierundzwanzig Stunden war der Nevadamann wieder auf den Beinen.

Er stand früh auf, ging in den Hof, reckte sich und sah die Frau aus einem Corral kommen, in dem drei Pferde standen.

Yeah, sie war auch jetzt noch schön. Vielleicht ein wenig zu ernst. Langsam kam sie auf ihn zu. Sie war fast so groß wie er.

»Wie geht’s Ihnen?«

»Thanks, Madam…«

»Sie hätten noch liegen bleiben sollen. Wenn man vor Erschöpfung aus dem Sattel rutscht und im Steppengras liegenbleibt, hat man schon einen ordentlichen Stoß bekommen, den man auskurieren sollte.«

Elliot winkte ab. Er sagte, daß er ein harter Bursche sei, Weidereiter aus Nevada. Aber was er auch sagte, er vermochte die Frau mit nichts zu beeindrucken.

Sie ging aufs Haus zu und ließ sich einen Augenblick auf der Bank nieder.

Elliot sah an ihren Händen blutige Risse. In der Schürzentasche steckte ein Hammer.

»Sie haben im Coral gearbeitet?« fragte er, nur um etwas zu sagen.

Sie nickte. »Yeah, einige Bretter haben sich gelöst.«

Elliot empfand ein gewisses Unbehagen in ihrer Nähe. War es der Ernst, den sie ausstrahlte, diese unübersehbare Spur von Bitterkeit?

Die Frau blickte über den Hof. Und dann stand sie wieder auf und holte irgendein Arbeitsgerät aus einem Schuppen, mit dem sie hinter dem Wohnhaus verschwand.

John Elliot sah ihr nach.

Da stand plötzlich der Neger neben ihm. Er strich sich mit seiner Rechten durch das weiße Haar und meinte: »Es freut uns, Master, daß es Ihnen bessergeht.«

Elliot deutete über seine Schulter und fragte: »Sie lebt allein?«

Der Schwarze nickte.

»Yeah. Ihr Mann ist oben bei Gettysburg gefallen. Und der Junge starb am Fieber.«

So war das also. Nein, kein Platz für den Cowboy John Elliot. Er liebte die Düsternis und Bitterkeit nicht.

Am nächsten Tag ritt er weiter.

Die Frau hatte ihm Proviant für mehrere Tage und eine zweite Wasserflasche mitgegeben.

Die beiden Farbigen standen am Tor und winkten ihm nach.

Die Frau ließ sich nicht sehen.

Wie hätte der junge Cowboy John Elliot auch wissen können, da sie oben in ihrer Kammer am Fenster saß und mit tränennassen Augen durch die Gardinen zu ihm hinuntersah…, weil er Eric so glich. Ihrem Mann, den sie nach anderthalbjähriger Ehe schon hatte hergeben müssen.

Von Prescott aus hielt sich John Elliot jetzt nach Südosten. Neun Meilen hinter der Stadt begegnete er einem einzelnen Reiter.

Es war ein eisgrauer alter Mann mit vertrocknetem Gesicht und ausgemergeltem Körper. Seine Kleidung war direkt abenteuerlich, bunt, mit zahllosen Flicken besetzt und sicher fast ein halbes Jahrhundert alt.

»Tombstone?« In den Augen des Greises blitzte es auf. »Yeah, ich kenne es. Wer kennt es nicht? Eine schöne Stadt. Viel los da unten. Tja, also, da müssen Sie nach Südosten reiten. Noch schärfer auf dieser Route. Nach Phoenix, und von dort nach Tucson. Von dort hinüber ins Cochise County…«

Der angegebene Weg war schon richtig. Aber Worte sind schneller als Hufe…

In der kleinen Stadt Glendale, dicht vor Phoenix, merkte John Elliot es zum ersten Mal. Schweiß stand auf seiner Stirn, seine Augen brannten, und in seinen Oberschenkeln wühlte ein merkwürdiger Schmerz.

Er war krank.

Aber er hatte kein Geld, einen Doc aufzusuchen. Und umkehren? Nein, der Weg war zu weit.

Er kam noch genau sechsundzwanzig Meilen vorwärts. Knapp eine halbe Meile vor Chandler fiel er ohnmächtig vom Pferd.

Owen Georges fand ihn, der Sohn eines Salooners, der in Phoenix gewesen war und neuen Whisky geholt hatte.

Wieder – wie vor kurzem – wurde John Elliot auf die Ladefläche eines Wagens geschoben und davongefahren. Der braune Wallach trottete mit hängendem Kopf hinter dem Wagen her.

Owen brachte den Mann nach Hause.

Der Salooner, ein bärtiger, dickleibiger Mann mit mürrischem Gesicht, musterte den Fremden unwillig.

»He, wer weiß, was er hat! Wie kannst du ihn zu uns ins Haus bringen?«

»Noch ist er ja im Hof«, meinte der Junge. »Ich werde den Doc suchen.«

Doc Billroy hatte ein verkniffenes Gesicht, trug einen gelben Gehrock und einen schwarzen, zerschlissenen Zylinder. Seine knollige Nasenspitze war blaurot.

Er war ein Gewohnheitstrinker. Er saß im Halleluja Saloon und pokerte trotz seiner sieben Glas Brandy und vier Glas Whisky noch bemerkenswert scharf.

Der junge Georges stieß ihn an. »He, Doc, Sie müssen zu uns kommen, wir haben einen Mann im Hof… Er schläft nicht, ist auch nicht betrunken, hat die Augen offen und kann doch nichts sagen.«

Doc Billroy hatte gerade eine Karte auf den grünen Tisch klatschen wollen, hielt aber mitten in der Bewegung inne und warf den Kopf zu dem Burschen herum.

»Sag das noch mal!«

Owen wiederholte seinen Bericht.

Der Doktor Billroy schien mit einem Schlag nüchtern geworden zu sein. Er warf die Karten auf den Tisch, vergaß jedoch in der Erregung keineswegs, sein Geld einzustecken, und rannte zur Tür.

Mit wehenden Rockschößen jagte er dem Saloonhof der Familie Georges zu. Dann stand er vor dem Wagen und blickte auf den Ohnmächtigen nieder.

Auf seinem vom Alkohol stark gezeichneten Gesicht standen schwere Schweißperlen.

»Das Fieber, das gelbe Fieber«, kam es bleischwer von seinen Lippen.

Die Umstehenden fuhren zurück.

»Das gelbe Fieber?« brüllte der Salooner. Dann warf er den Kopf zu seinem Sohn herum. »Er hat ihn gebracht, Doc! Er hat ihn angefaßt. Was ist jetzt mit Owen? Stirbt er auch?«

Der Doktor sah Owen an.

»Es gibt nur ein wirkliches Mittel«, und er nannte es gern: »Alkohol! Viel Alkohol. Nur er kann das Fieber vertreiben. Der Mann da allerdings ist verloren.«

»Schafft ihn weg!« brüllte der Sa-

looner. »Aus dem Hof mit ihm!«

Aber niemand getraute sich, den Nevadamann anzufassen.

Da kam hinten aus dem Anbau ein alter kahlköpfiger Mann mit nacktem Oberkörper, schwarzer Hose, und in der rechten Hand hielt er eine Axt.

Er hatte Holzklötze gespaltet.

»Yeah, Butch, dich brauche ich gerade!« rief der Salooner. »Bring den Mann da weg. Mit dem Wagen. Irgendwohin aus der Stadt raus. Und wenn du ihn abgeladen hast, scheuerst du unten am Creek den Wagen mit Ufersand.«

Der Alte reckte seine riesige Gestalt, nahm eine blaue Jacke von einem leeren Whiskyfaß und nahm das Pferd am Zügel. Draußen auf der Straße setzte er sich auf den Kutschbock.

Aber der Weg des Nevadamannes war noch nicht zu Ende.

Der Riese dachte gar nicht daran, ihn ›irgendwo abzuladen‹, im Gegenteil. Er fuhr aus der Stadt heraus auf eine kleine Farm zu, die seiner Schwester gehörte.

»Laurie!«

Die Frau erschien sofort auf dem Vorbau.

»Hier habe ich einen Burschen – er soll das gelbe Fieber haben.«

Die Frau kam an den Wagen.

Lange sah sie in das fahle Gesicht des Cowboys. Dann fragte sie: »Wer sagt, daß er das gelbe Fieber hat?«

»Der Doc.«

Sie nickte. »Yeah, vielleicht hat er recht. Aber auf jeden Fall werden wir dem Jungen erst mal eine ordentliche Portion Whisky einpumpen.«

In zwölf Tagen war John Elliot wieder gesund; seine robuste Natur hatte ihn auch das Gelbe Fieber überwinden lassen.

»Sie müssen noch ruhen«, meinte Laurie Walker.

Aber der Nevadamann wollte nicht mehr liegen. Er lief im Hof herum, machte sich an seinem Pferd zu schaffen und erklärte ein paar Tage darauf, daß er weiterreiten wolle.

»Sie müssen es selbst wissen, John«, sagte die Frau. »Ich weiß nicht, was Sie weitertreibt. Vielleicht ist es ja etwas Wichtiges, daß Sie schon wieder in den Sattel steigen müssen…«

Es war seine Unrast, die ihn nach Tombstone trieb. Immer noch hatte er fast zweihundert Meilen bis zu seinem Ziel zu reiten.

In Tucson waren seine sämtlichen Vorräte aufgebraucht, und er suchte einen Saloon auf, um ein paar Dollar zu machen.

Aus einem einzigen Dollar macht er zwanzig – in knapp drei Stunden.

Nun konnte er sich ein Hotelzimmer im Western-Hotel nehmen und schlief fast sechzehn Stunden ununterbrochen wie ein Bär.

Dann setzte er sich wieder in den Sattel.

Das Klima machte ihm am folgenden Tag jedoch höllisch zu schaffen. Arizona zeigte sich ihm mit seiner ganzen brutalen Glut, mit seinem heißen Sand, seinen staubtrockenen Dörfern und Wegen.

Kurz vor Mescal ritt er ins Cochise County ein. In den Landkreis, dem die regierung den Namen des großen Indianerfürsten gegeben hatte, in einer Art stummer Bitte um Vergebung.

Noch einundvierzig ganze Meilen trennten ihn von Tombstone. An einem Baum, draußen am Stadtrand von Mescal stand ein Schild, worauf es zu lesen stand.

Elliot reckte sich im Sattel auf und zog den Hut tiefer in die Stirn. Trotz der glühenden Vormittagshitze ritt er weiter.

Da standen sie plötzlich vor ihm, mitten auf dem Weg. Groß, stämmig, mit olivfarbenen Gesichtern und dunklen Augen. Sie trugen khakifarbene Hemden und blaue Hosen. Ihre Hüte waren breitrandig und erinnerten an die Sombrero der Mexikaner.

Das Bemerkenswerteste an ihnen jedoch war die Tatsache, daß sie in jeder ihrer Fäuste einen großen fünfundvierziger Revolver hielten.

Elliot hatte den Kopf gesenkt und war fast im Sattel eingeschlafen. Deshalb hatte er die beiden Gestalten auch nicht auftauchen sehen.

Und wie sahen sie aus!

Der eine hatte einen dünnen rötlichen Bart und wulstige Lippen. Der andere hatte eine flammendrote Narbe quer über die Nase.

»Steig ab, Amigo.«

Elliot fixierte die beiden aufmerksam. Dann nickte er. »Yeah, das kann ich tun, aber ich wäre euch dankbar, wenn ihr mir verraten wolltet, was das ganze soll.«

Der Rotbärtige feixte.

»Steig ab, Amigo.«

John Elliot war nicht der Mann, den man so leicht umwerfen konnte. Er hob das recht Bein bis über den Sattel, nahm aber dabei den Braunen scharf herum und fand so in der Deckung Gelegenheit, seinen Revolver zu ziehen.

Die beiden Tramps schossen sofort.

Elliot drückte dreimal ab.

Dann rutschte er aus dem Sattel und blieb hinter dem Pferd stehen. Erst jetzt merkte er, daß er getroffen war. Das heißt, als er die Revolverhand wieder hob, sah er, daß der Handrücken naß von Blut war. In seinem Ärmel klebte es feucht.

Heavens! hämmerte es in seinem Schädel. Wo hat es mich erwischt? Er glaubte, den Schmerz oben im Arm zu verspüren, und dann war er überzeugt, daß er oben in der Brust getroffen worden war.

War es ein gefährlicher Schuß? Vielleicht lebensgefährlich?

Dieser Gedanke trieb ihm den Angstschweiß aus allen Poren. Aber er wagte nicht, die Linke unter das Hemd zu schieben und nach der Wunde zu tasten.

Eine unbändige Wut erfaßte ihn. Er sprang hinter dem Pferd vor auf die Wegmitte – und blieb entgeistert stehen.

Nur noch einer der beiden Banditen stand auf seinen Füßen. Er krampfte die Linke um den rechten Unterarm. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der Revolver war seiner Hand entglitten. Neben ihm am Boden lag der Bursche mit dem roten Bart.

Ungläubig starrte der Nevadamann auf diese Szene.

Und wieder spürte er irgendwo oben in seinem Körper einen brennenden Schmerz. In rasender Wut stieß er den Revolver vor.

Da tat der Bandit, der noch stand, etwas Sonderbares. Er drehte sich um und wandte dem Cowboy den Rücken zu.

Vielleicht war das das einzige, womit er den Zorn Elliots zu bremsen vermochte. So hart und ledern der Bursche aus Loroy auch war, er vermochte doch nicht, einen Mann in den Rücken zu schießen.

»Dreh dich um!« schrie er geifernd vor Zorn und Schmerz.

Aber der Bandit rührte sich nicht. Reglos wie ein Baum stand er auf dem Fleck und hatte die Schultern etwas angezogen.

»Du sollst dich umdrehen!«

Auch dieser mit sich überschlagender Stimme gebrüllten Aufforderung leistete der Tramp keine Folge.

Elliot starrte auf das Blut an seinem Handrücken. Dann taumelte er ein paar Schritte nach vorn und sah auf den Mann am Boden.

Der blickte mit weit offenen Augen in den stahlblauen Arizonahimmel.

»Er ist tot! Tot ist er, dein Genosse!«

Elliot versetzte den Revolvern der beiden Banditen Fußtritte und ging dann um den Mann mit der Nasennarbe herum.

»Sieh mich an, Outlaw. Ich will deine Augen sehen, wenn du stirbst!«

Wieder wandte sich der andere langsam um.

Der brennende Schmerz erstickte die Wut des Cowboys. Er wankte zu seinem Pferd und zog sich in den Sattel. Den Revolver hatte er immer noch schußbereit in der Hand.

Er trieb sein Pferd an den Desperado heran. »Was wolltet ihr von mir?«

Der Bandit sah ihn nicht an. Heiser stieß er hervor: »Wir müssen jeden untersuchen, der ins County reitet…«

Elliot zog die Brauen zusammen. »Was müßt ihr?«

Der Bandit zog die Schultern hoch. »Der Boß will wissen, wer sich im County herumtreibt.«

»So, das muß der Boß wissen. Da muß er ja eine Menge Leute haben, wenn er alle Straßen, die ins County führen, belagern lassen will.«

»Yeah, das stimmt«, sagte der Bandit nur.

Elliot stieß den Revolver wieder nach vorn und ließ den Hahn knacken.

»Wer ist dein Boß, Bandit?«

»Dazu brauchen Sie mir nicht mit dem Colt zu drohen, Mister. Das sage ich Ihnen gern freiwillig. Denn im Cochise County gibt es nur einen Boß. Er heißt Ike Clanton.«

Ike Clanton!

Welch ein Name! Vor Jahren hatte John Elliot ihn zum erstenmal gehört. Die Cowboys hatten von ihm gesprochen. Durchreisende Händler erzählten von ihm. Und immer, wenn von großen Desperados gesprochen wurde, tauchte dieser Name auf.

Die Clanton Gang beherrschte das ganze Land. Er hatte es doch damals schon gewußt und wieder vergessen. Da versperrten die Leuten dieses berüchtigten Bandenführers tatsächlich die Wege, die nach Tombstone führten. So mächtig war dieser Mann also immer noch. Und hier bissen seine Männer für seinen Größenwahn in den Sand.

John Elliot trabte auf das Gebüsch rechts vom Weg zu, wo er die Pferde der beiden Gangster fand. Er koppelte die Zügel zusammen und nahm die Tiere mit.

Gegen Abend erreichte er St. David. Diese Stadt, die sich um ein altes Fort geschart hatte, war eine unbedeutende Ansiedlung, die ein Jahrhundert lang nichts Besonderes vorzuweisen hatte.

Sonderbarerweise stand vorm Stadteingang ein Schild, dessen Wegweiserpfeil um die Stadt herumführte und worauf zu lesen stand, daß es noch dreiundzwanzig Meilen bis Tombstone seien.

Die Mainstreet war sehr breit und von freistehenden, einzelnen Häusern gesäumt. In der Mitte der Stadt erhob sich die ehemalige Feste mit zwei halbverfallenen hölzernen Wehrgängen und einem Wachturm.

Wabernde Hitze lag in der Mainstreet. Der Sand war immer gelber und pulverfeiner geworden, je näher Elliot nach Süden gekommen war. Bei jedem Schritt des Braunen stieg eine Staubwolke hoch.

Und da der Cowboy ja noch die beiden Banditenpferde mit sich führte und jetzt im Schritt ritt, hatte er eine Menge Staub zu schlucken.

Er ritt an einigen Häusern vorbei und lenkte dann auf ein großes Gatter zu, das oben ein Schild ›Bakers Corral‹ trug.

Elliot übergab einem hochgeschossenen Burschen, der ihn fade angrinste, die Pferde.

»Gibt’s hier ein Boardinghouse?«

Der Peon grinste weiter und nickte.

Elliot verließ den Corral und trat auf die Straße.

Schräg gegenüber war ein Saloon. In riesigen Lettern stand über dem Bau auf einer Bretterholzfassade zu lesen, daß es sich um die ›Silvery Moon-Bar‹ handelte.

Elliot hielt darauf zu. Neben dem Perlschnürvorhang des Eingangs saßen zwei Männer in Schaukelstühlen. Sie hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen.

Der Cowboy betrat die Schenke und kniff die Augen zusammen. Er mußte sich von der Helligkeit der Straße erst an das Dämmerlicht gewöhnen, das hier im Schankraum herrschte.

Dann erkannte er hinter der Theke die fleischige Gestalt eines glatzköpfigen Mannes, der kaum mehr als dreißig Jahre sein konnte.

Elliot stampfte auf ihn zu. »Whisky«, sagte er nur.

Der Fleischkoloß angelte sich eine Flasche und ein Glas heran, goß ein und schob dem verstaubten und heruntergekommenen Fremden beides zu.

John Elliot hatte die Rechte um das Glas gespannt, als hinter ihm die Vorhänge leise klickend auseinandergeschlagen wurden. Ein Blick in den Thekenspiegel sagte dem Nevadamann, was sich da hinter ihm tat: Die beiden Männer, die auf dem Vorbau gesessen hatten, waren hereingekommen. Und noch ein dritter Mann; der hatte einen Stern links auf dem verschwitzten braunen Hemd – und einen Revolver in der rechten Hand.

»Heben Sie die Hände hoch, Stranger!«

John Elliot wandte sich langsam um. Er hatte das Glas noch in der Hand, musterte den Sheriff und seine beiden Paladine und trank dann seinen Whisky seelenruhig aus.

»Ein starkes Stück ist das, Sheriff«, krächzte der eine der beiden Männer. »Nehmen Sie den Burschen fest. Er ist ein Mörder!«

John Elliot stellte das Glas neben sich auf die Theke. Und jetzt, als er das Glas sinken ließ, sahen sie alle die dunkelrote Blutkruste.

Unendlich langsam sprangen die Lippen des Nevadamannes auseinander. »Sagen Sie das noch einmal, Mister.«

Der ›Mister‹ musterte den heruntergekommenen Stranger scharf. Dann schob er sich vorsichtig hinter den Gesetzesmann.

»Auf was warten Sie, Sheriff? Der Mann hat Brakleys und Felberts Gäule bei sich. Niemand nimmt Kid Felbert seinen Gaul weg, ohne ihn vorher getötet zu haben.«

Aus der Kehle des Cowboys brach eine heisere Lache. Er stieß sich von der Theke ab und machte ein paar schwere, stampfende Schritte auf die Dreiergruppe am Eingang zu.

»Nun sag nur noch, daß die beiden Wegelagerer, denen diese Gäule gehörten, deine Freunde sind, Fellow.«

Der ›Kläger‹ schob sich noch weiter hinter den bulligen Sheriff.

»Mister Blim, werden Sie endlich eingreifen? Sehen Sie nicht, daß der Tramp mich bedroht?«

Röhrend lachte der Nevadamann. Und jäh brach er die Lache ab. Er kam ganz dicht an den Sheriff heran und schob ihn mit der Linken zur Seite.

»Machen Sie etwas Platz, Mister Blim. Dieser Gentleman da will einen Gruß von mir an seinen Boß Ike Clanton überbringen.«

Die drei starrten ihn verblüfft an.

»Yeah, Sheriff, so ist es. Und ich habe das Gefühl, daß auch Sie sich diesem Gruß anschließen werden.«

Jonathan Blim hüstelte. »Ich weiß nicht, was Sie wollen, Mister. Jack Warner und Ed Plimbush behaupten, Sie hätten zwei Pferde gestohlen.«

»Hören Sie genau zu, Sheriff. Diese beiden Pferde gehören zwei Banditen, die mich kurz hinter Mescal überfielen.«

»Und Sie haben sie ermordet?« fragte der Sheriff dumm.

»Ermordet? Sie haben eine merkwürdige Art, die Dinge zu komplizieren, Sheriff. Die beiden Outlaws gehörten zur Clanton Gang. Das gaben sie selbst zu. Sie griffen mich mit ihren Revolvern an, und dann hatte einer das Pech, daß ich schneller war als er. Dem anderen schoß ich den Colt aus der Hand. Und ich habe das hier.«

Er hielt dem Sheriff seine blutverkrustete Rechte vors Gesicht. »Das wär’s, Mister Blim.« Langsam ging er an die Theke zurück und warf dem Keeper ein Geldstück zu. Dann wandte er sich um. »Noch Fragen, Sheriff?«

»Fragen? Nein, Mister.« Jonathan Blim hatte auf einmal seinen Colt vorgestreckt. »Aber ich mußt Sie leider bitten, mich ins Jail zu begleiten.«

Da fiel alle Entschlossenheit, alle Selbstsicherheit, den der Nevadamann noch eben so eisern erscheinen ließ, von Elliot ab.

»Ins Jail? Weshalb?«

»Sie sind von zwei Bürgern dieser Stadt des Doppelmordes verdächtigt worden. Das muß geklärt werden.«

Auf den Gesichtern der beiden anderen stand ein breites, höhnisches Grinsen.

Der eine von ihnen, der vorhin schon das Wort geführt hatte, meinte:

»Und wenn sie dir den Strick um den dreckigen Hals legen, Kuhtreiber, kannst du ja dem Teufel einen Gruß von Ike Clanton bestellen…«

Auf weichen Knien trat John Elliot seinen Weg zum Jail an.

Er mußte einen halben Schritt vor dem Sheriff hergehen und hatte plötzlich das sichere Gefühl, daß es so ziemlich sein letzter Weg sein würde.

Der Sheriff schob ihn in den düsteren Gang des Bohlenbaues, der als Gefängnis diente, riß mit der Linken eine Gittertür auf und stieß den Cowboy in ein dunkles Verlies.

»So, Junge, das ist deine letzte Station. Tut mir leid. Aber du taugst noch nicht für dieses Land.«

Elliot lehnte völlig niedergeschmettert an der Rückwand der Zelle.

Mister Blim zündete sich eine zernagte Pfeife an und meinte, während er das Zündholz auspustete: »Siehst du, Kleiner, so geht es allen, die sich hier aufspielen wollen. Das läuft hier in Arizona nicht.«

Da stieß sich Elliot mit einer gewaltsamen Willensanstrengung von der Wand ab und rannte gegen die Gittertür. »Sie meinen, es geht hier im County nicht, nicht in der Nähe von Tombstone, weil Ike Clanton es nicht will.«

Der Sheriff warf das verlöschte Zündholz auf den Boden, zog resigniert die Schultern hoch und wollte sich abwenden.

Da spannte der Gefangene seine Hände um die Trallen und rüttelte daran, daß sie in ihrem Gefüge an der Decke und im Boden ächzten.

»Was haben Sie da eben zugegeben, Sheriff Blim? Ist Ihnen das überhaupt klar? Sie haben zugegeben, daß Sie Angst vor Ike Clanton haben. Angst wie jeder in diesem County. Ich werde Ihnen etwas sagen. Ich bin aus Nevada hierhergekommen, weil ich Tombstone sehen wollte, den Crystal Palace, die großen Gambler wie Doc Holliday, Luke Short und Bat Masterson. Weil ich einmal einen wirklichen großen Sheriff sehen wollte, nämlich Wyatt Earp oder einen seiner Brüder…«

»Bat Masterson ist nicht in Tomb-stone«, entgegnete der Sheriff.

»Ach, das ist interessant.«

Da warf Blim den Kopf herum.

»Wissen Sie, was interessant ist, Boy? Daß Sie zugeben, aus Nevada hierhergeritten zu sein, um Tombstone zu sehen und die großen…«

Da spie der Cowboy vor dem Sheriff aus.

»Viel interessanter ist, daß Sie zu Clantons Bande gehören.«

Wie versteinert stand der Sheriff da. In seinem gelben Augen tanzten kleine dunkle Flecken, und auf seinen Wangen brannte es rot.

»Sei still, Cowboy«, stieß er endlich heiser hervor. »Ich habe dich hier eingelocht, weil zwei Bürger dieser Stadt…«

»Erbärmlicher Kerl!« zischte Elliot. »Lassen Sie mich hier raus, dann werde ich mit Ihnen kämpfen.«

»Kämpfen? Du kämst doch nicht weit, Junge, auch wenn du mich schlagen würdest. Sie holen dich, die Boys von Ike…«

Vor so viel Offenheit verschlug es dem Burschen fast die Sprache.

»Sie wollen also zulassen, Sheriff, daß mich diese Verbrecher hängen? Hängen wegen nichts. Ich habe mich gegen die beiden Strolche hinter Mescal nur meiner Haut gewehrt. Und auch sie haben zugegeben, zu den Clantons zu gehören. Damned, was ist das für ein Land, in dem eine Bande alles und jeden beherrscht! Sie tragen einen Stern und haben Angst vor Ike Clanton!«

Der Sheriff warf die Tür ins Schloß.

»Red nicht so laut, Junge. Es nutzt dir doch nichts. Du hast einen Fehler gemacht, der nicht wieder gutzumachen ist. Kein Mensch, der auch nur für fünf Cents Verstand in seinem Schädel hat, wird sich gegen die Clantons stellen.«

So also sah das aus! Der Hüter des Gesetzes hatte ganz unumwunden zugegeben, daß er ihn verurteilen müsse, nur weil er sich gegen Ike Clanton gestellt hatte.

»Tut mir leid, Cowboy«, sagte der Sheriff heiser in das Halbdunkel des Flures, »aber ich kann es nicht ändern. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und wenn ich nicht will, daß sie mich umbringen, muß ich mich nach der Decke strecken. Die Clantons sind eisenhart und unnachgiebig, wer sich gegen sie stellt, ist fertig im County.«

Und dann war Elliot hinter den eisernen Trallen allein. Zwar konnte er Blim am Schreibtisch des Office sehen, aber der Sheriff tat, als gäbe es seinen Gefangenen nicht.

Jetzt geht es also zu Ende, brannte es in seinem Hirn. Fast tausend Meilen war er geritten, um dahin zu kommen, wo nach seiner Meinung das Herz des Westens schlug.

Wenn es wenigstens noch Tomb-

stone gewesen wäre, wo er hätte sterben müssen, aber hier in diesem elenden winzigen St. David, in diesem dreckigen Nest, das kein Mensch kannte!

Zwei Stunden waren vergangen.

Elliot saß zusammengesunken auf der Pritsche, starrte düster vor sich hin.

Da wurde plötzlich die Tür des Jails aufgestoßen. Herein kam ein großer, breitschultriger Mann, der ein hartes, kantiges tiefbraunes Gesicht hatte. Sein Hemd mußte vor sehr langer Zeit einmal weiß gewesen sein. Jetzt jedenfalls hatte es eine graugrünliche Färbung. Das verblichene rote Halstuch vermochte diesen Eindruck auch nicht zu ändern. Die leichte braune boleroartige Weste war zerschlissen und so unansehnlich wie seine verstaubten Stiefel mit den schiefen Absätzen. Die großen Sternradsporen blinkten allerdings, wie auch die beiden Revolver, die er rechts und links tief über den Oberschenkeln in unten offenen Halftern trug.

John Elliot hatte den Mann fasziniert angesehen. Ganz zweifellos ging etwas Eigenartiges von ihm aus.

Sheriff Blim, der dösend hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte, fuhr erschrocken hoch.

»Sie…?« kam es ungewollt über seine Lippen.

»Yeah, ich«, erwiderte der Fremde mit einer rostigen Stimme. Dann deutete er mit seinem großen linken Daumen auf die Zelle.

»Wer ist das?«

»Ein Bandit, Mister Clanton…«

Als der Cowboy Elliot diesen Namen vernommen hatte, fuhr er federnd von seiner Pritsche hoch. Clanton? Hatte er richtig gehört? Gehörte dieser Mann etwa zu der Familie des großen Bandenführers Ike Clanton?

»Was verstehst du unter einem Banditen, Sheriff?« fragte Clanton.

»Well«, stotterte der Sheriff. »Er hat zwei Ihrer Freunde ermordet, Mister Clanton.«

»Hast du das gesehen?«

»Nein, aber Jonny Ray und Frank Donavon behaupten es.«

Der Mann wandte sich um, stieß die Tür mit dem Fuß auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte über die Straße: »Ray!«

Jonny Ray fuhr entgeistert hoch. »Der Boß«, stammelte er.

»Bist du Ray?«

»Yeah, Mister Clanton.«

»Ist der Penner da neben dir Donavon? Kommt rüber.«

Die beiden Burschen kamen im Eilschritt auf das Sheriffs Office zu.

»Ich bin Ike Clanton«, erklärte der Desperado, wobei er sich noch höher aufzurichten versuchte und damit fast den Türrahmen ausfüllte.

»Yeah, das wissen wir«, erklärte Donavon.

»Ihr habt gesehen, wie der Bursche da zwei meiner Leute umgebracht hat?«

»Nein, Mister Clanton. Aber er kam mit ihren Pferden hier an, und dann spielte er sich noch groß auf drüben in dem Saloon und meinte prahlerisch, wir sollten Ihnen einen schönen Gruß bestellen.«

Der Bandenführer lachte heiser: »Das reicht allerdings.«

John Elliot stand bewegungslos vor seiner Pritsche und stierte mit weit aufgerissenen Augen auf den breiten Rücken des Verbrechers.

Ike Clanton!

Das war also der berühmte Bandenführer, der das ganze County knechtete, vor dem sogar Leute krochen, die ihn überhaupt nicht kannten, dessen Name im ganzen Westen bekannt

war.

Der Outlaw wandte sich um.

»Die Sache ist also klar, Sheriff. Wenn dieser Tramp zwei Männer erschossen hat, kriegt er seinen Lohn.«

»Ganz klar, Mister Clanton«, beeilte sich der Sheriff zuzustimmen.

Ohne den Gefangenen eines Blickes zu würdigen, stampfte der Bandenführer hinaus und warf die Tür krachend hinter sich ins Schloß.

Es war Mitternacht.

Sheriff Blim war längst hinter seinem Tisch eingeschlafen. Der Cowboy Elliot hockte auf dem Rand seiner Pritsche und hatte den Kopf in die Hände gestützt.

Er dachte daran, daß der Bandit Isaac Clanton sein Todesurteil gesprochen hatte. Sheriff Blim hatte gesagt, daß morgen Richter Farner kommen werde. Und er hatte auch gesagt, daß es alles sehr schnell gehen würde.

Die Nacht war totenstill. Und die Stunden schlichen im Schneckentempo dahin. Der Gefangene fand keinen Schlaf.

Als im Osten der Morgen über den Horizont kroch, hockte der Mann aus Nevada immer noch verkrampft und in sich zusammengesunken auf seiner Pritsche.

Erst gegen sieben wachte der Sheriff auf. Er ging grußlos hinaus und schloß ab.

Sengende Hitze wurde schon von der Vormittagssonne in die Stadt geschleudert. Blim, der sich seit acht Uhr nicht mehr hatte sehen lassen, war so brutal gewesen, nicht nur die Tür zu verschließen, auch die winzige Fensterluke, die ohnehin stark vergittert war, hatte er verschlossen. Die Luft war stickig, heiß und schwer.

Etwa gegen elf Uhr wurde ein Schlüssel ins Türschloß geschoben, herumgedreht, und dann sprang die schwere Tür auf.

Sheriff Blim trat ein und sagte einem nachfolgenden Mann, der von geradezu gnomenhafter Größe war. »So, Euer Ehren, da drüben ist der Mann.«

Euer Ehren trug einen halbhohen Zylinderhut, einen schwarzen Gehrock, der völlig mit Flecken besät war, und eine ebensolche Hose. Das Hemd war dunkelweiß und mit der gleichen Sprenkelung besetzt. Die Schuhe des Männchens waren zerknittert, glanzlos und im Verhältnis zur Größe ihres Besitzers wahre Missouristeamer.

Euer Ehren hatte ein pergamentfarbenes Gesicht mit rissiger, großporiger Haut und scharfer Nase. Das Kinn war spitz; scharf, klein und unstet die rötlich schimmernden Augen.

»Steh auf, Bandit!« herrschte der Sheriff den Gefangenen an. »Hier ist Richter Farner!«

Elliot erhob sich langsam von seinem Lager und kam bis an die Gittertür.

Richter Farner blieb so weit vor den Gittern stehen, daß der Gefangene ihn nicht etwa mit einer plötzlich vorgeschobenen Faust erreichen konnte. Offenbar hatte er auf diesem Gebiet seine Erfahrungen sammeln müssen.

Mit zittriger Hand nahm er einen Zwicker aus der Westentasche und schob ihn auf die Nase, dann legte er den Kopf ins Genick und meinte mit einer näselnden, unangenehmen Stimme:

»Das ist also der Mörder? Well, morgen wird er baumeln.«

Damit wandte er sich ab und trippelte mit gichtigen Schritten hinaus.

Blim räusperte sich und sah hinter ihm her. Dann ging auch er.

Mittags brachte er eine dünne Suppe. Und abends Brot und lauwarmen Kaffee.

»Kann ich nicht wenigstens etwas Tabak und Papier für eine Zigarette haben?« fragte der Delinquent.

Blim knurrte: »Für Mörder gibt’s keinen Tabak!«

Damit warf er die Tür hinter sich

zu.

Und die Stunden krochen im Schneckentempo dahin.

Als die Nacht kam, stand der Gefangene mit weit offenen Augen an den Eisentrallen der Gittertür und starrte auf das winzige Fenster.

Ein Geräusch ließ ihn aufschrecken. War es ein großer Nager, der sich irgendwo am Holz zu schaffen machte?

Da, das Geräusch kam von der Tür zum Hof. Leise knirschte das Schloß. Dann ächzten die Angeln.

Ein matter Lichtschein fiel in den Raum. Gleich darauf wurde die Tür voll geöffnet, und Elliot sah in ihrem Rahmen die Silhouette eines hochgewachsenen Mannes, der sich kurz umsah und auf die Zelle zukam.

»He, Cowboy, stecken Sie da drin?«

Beim Klang dieser Stimme war Elliot zusammengezuckt. Die Ahnung, die ihn für einen Bruchteil einer Sekunde befallen hatte, als er die Silhouette des Fremden im Türrahmen sah, war zur Gewißheit geworden: Es war derselbe Fremde, der ihm schon dreimal auf seinem Ritt nach Tombstone begegnet war.

»Wie… sind Sie hier hereingekommen?«

Der Missourier wandte sich um und ging so, als bewegte er sich täglich hier im Office, durch den Raum auf den Wandhaken zu, an dem das große Schlüsselbund hing.

Eine Minute später öffnete sich die Gittertür und der Cowboy John Elliot war frei. Wyatt Earp nahm ihn am Arm und schob ihn zur Hintertür hinaus. Sie durchquerten den Hof, stiegen hinten über die Fenz, kamen in eine Nebengasse, und dann sah Elliot zwei gesattelte Pferde an einer Halfterstange stehen.

Der Fremde zog sich in den Sattel.

Elliot starrte zu ihm hinauf. Der Mann war ihm allmählich unheimlich geworden.

»Wie haben Sie mich gefunden, Mister?«

Der Marshal steckte sich eine Zigarre zwischen die Zähne und zündete sie an. Einen Augenblick huschte der Lichtschein des Streichholzes über sein markant geschnittenes Gesicht.

»Zufall, Cowboy. Ich kam gegen Abend durch die Stadt, hatte hier etwas zu besorgen und stellte mein Pferd im Corral ab. Da sah ich dann Ihren Braunen und dachte mir: Wenn der Cowboy nicht mal wieder in der Tinte steckt, dann will ich Moses heißen. Yeah, und dann erfuhr ich von einem Peon, was los war.«

»Und wie sind Sie ins Sheriffs Office gekommen?«

»Eigentlich ist das ja mein Berufsgeheimnis, Cowboy, aber ich will es Ihnen verraten: Sheriffs Bureaus haben eine merkwürdige Eigenart. Sie sind vorne gesichert wie ein Panzerschrank und hinten wie ein Hühnerstall. – Und nun halten Sie die Augen offen, und schießen Sie wirklich nur, wenn es gar nicht anders geht. Und auch dann genügt es meistens, wenn man die Leute verletzt. So long, Cowboy.«

Der Missourier nahm die Zügel auf und trabte durch die Gasse davon.

Elliot stand benommen auf dem Fleck und sah ihm nach. Er wollte etwas rufen, machte eine vage Handbewegung, aber dann ließ er die Hand wieder sinken.

Erst nach und nach drang in sein Bewußtsein ein: Ich bin frei!

Tief sog er die frische Nachtluft ein. Er schwankte fast, als er sich umwandte. Jetzt erst stellte er fest, daß es sein Pferd war, das da aufgesattelt neben ihm stand.

Irgendwo in der Ferne schlug ein Hund an. Ein Fensterladen quietschte.

Da kam Leben in die Gestalt des Nevadamannes. Er zog sich in den Sattel und trabte davon.

Als die Stadt hinter ihm lag, hielt er an und sah sich um. Da lag es, das unselige St. David, die Stadt, in der sie ihn hatten hängen wollen.

Jetzt gab er dem Wallach die Sporen und sprengte nach Südwesten davon.

Nach zwanzig Meilen etwa lenkte er den Braunen von der Fahrstraße ab auf eine Turmkakteengruppe zu, zwischen der er Rast machte.

Eine seltsame Müdigkeit hatte ihn ergriffen. Er wollte nicht einschlafen, aber der Körper forderte seinen Tribut für die zwei durchwachten Nächte. John Elliot fiel in einen bleiernen Schlaf, aus dem er erst erwachte, als ihm die flammendrote Morgensonne in die Augen stach.

Er sprang auf und sah sich nach allen Seiten um.

Fünf Yards neben ihm stand sein Wallach. Sonst war weit und breit kein Lebewesen zu entdecken.

Sand, Kakteen und verdorrte Sträucher. Eine trostlose Landschaft. Und darüber der ewig blaue, flimmernde Himmel Arizonas.

Und mitten durch diese Wüste grub sich eine Wagenspur, die die Fahrstraße nach Süden bildete. Der Weg nach Tombstone!

Dieser Gedanke gab John Elliot neue Spannkraft. Obgleich seine Kehle wie ausgetrocknet war und sein Magen vor Hunger knurrte, zog er sich sofort in den Sattel und ließ den Wallach weit ausgreifen.

Vergessen war alle Not, alle Sorgen, die ihn noch vor wenigen Stunden zermartert hatten. John Elliot dachte nur noch an Tombstone.

*

Es war gegen elf Uhr, als vor ihm am Horizont Häuser auftauchten.

Links vom Weg lag der Boot Hill.

Die morschen, halbverfallenen Holzkreuze und die schiefen grauweißen Grabsteine boten einen makabren Anblick. Welch trauriger düsterer Empfang! Aber der Cowboy John Elliot war am Ziel.

Auf dem Stamm einer morschen Silberpappel war ein verwittertes Schild angebracht: TOMBSTONE.

Sah er nicht die Trostlosigkeit dieser Stadt? Ihre Armseligkeit, die im braungelben Sand zu ersticken drohte? Als er in die Allen Street eintrat, hielt er einen Augenblick auf der Höhe des China Mary’s Hotel an und blickte die breite Straße hinunter.

Die Vorbauten, die hier fast alle Häuser hatten, waren leer. Links an der Ecke, auf der Veranda des Arizona Corral, saß ein alter Mann in einem Schaukelstuhl.

Elliot ritt auf den Mann zu. Mit einem eleganten Sprung war er aus dem Sattel, warf die Zügelleine über den Querholm und betrat den fast ebenerdigen Vorbau.

Grüßend tippte er an seinen Hut-rand und baute sich breitbeinig vor dem Alten auf. »Das ist hier Tomb-

stone, nicht wahr?«

Der Alte hob langsam den Kopf. »Yeah, leider.«

Aber auch diese Begrüßung vermochte den Enthusiasmus des Burschen nicht einzudämmen. Er stellte sich an den Rand des Vorbaues und blickte zwinkernd die Straße hinunter, die von den grellen Strahlenbündeln der Sonne in Brand geraten zu sein schien.

»Ich bin in Tombstone.« Er sagte es dreimal leise vor sich hin.

»Na, und?« fragte die quäkende, mürrische Greisenstimme des Alten im Schaukelstuhl.

»Ah, nichts, Alter.« Elliot stieg vom Vorbau, löste die Zügelleine und führte den Braunen die Straße hinauf.

Allen Street – da stand es auf einem Schild, das primitiv mit zwei Nägeln an einen Vorbaupfeiler genagelt worden war.

John Elliot ging weiter.

Gegenüber an der anderen Ecke links war Quon Kees Can-Can Restaurant. An der anderen Ecke lag Haffords Corner Saloon. Und da gegenüber wieder war die Kenan Looping Bar.

Hinter Haffords Corner Saloon lag das Cosmopolitan Hotel, daneben der Occidental Saloon, und daneben das Alhambra, dann Bob Heatchs Saloon – Schenke an Schenke. Alles Namen, die er schon gehört hatte.

Und plötzlich, an der Ecke zur fünften Straße, blieb er wie angewurzelt stehen. Er starrte mit weit offenen Augen auf ein eingeschossiges hölzernes Eckhaus, von dessen gelber Fassade in flammendroten Lettern der Name CRYSTAL PALACE herunterleuchtete.

»Der Crystal Palace«, murmelte er.

Er ließ seinen Gaul stehen und ging auf die Schenke zu. Sie sah genauso aus wie die anderen Schenken der Stadt, wie überhaupt alle Schenken in dem Westen. Vorn an der Ecke war der Eingang. Zwei lange hölzerne Schwingarme versperrten die Sicht in den Schankraum.

Der Cowboy John Elliot hätte es ohnehin nicht gewagt, einen Blick in das Innere des Saloons zu werfen, geschweige ihn zu betreten.

Er schritt statt dessen die ganze Front des Hauses bis in die fünfte Straße hin ab und blieb vor Uncle Meyers Pawn Shop (Leihhaus) stehen, wo er die ganze Länge der Schenke noch einmal mit dem Auge maß.

»Na, Mister, wollen Sie den Crystal Palace kaufen?« hörte er da hinter sich eine krächzende Stimme.

Er wandte sich um und sah einen kleinen Mann hinter sich stehen, der eine braune Hose trug, ein weißes Hemd und eine zitronengelbe Weste. Er mochte vielleicht fünfzig Jahre alt sein, hatte einen schweren Leib und ein gewaltiges Doppelkinn. Quer über seine Weste von Tasche zu Tasche spannte sich protzig eine goldene Uhrkette.

Er hatte nicht eben ein angenehmes Gesicht, der kleine Mann. Viel zu nahe bei der fleischigen langen Nase stand ein dunkles, unstetes Augenpaar, das von schwarzen Brauen überschattet wurde. Er hatte eine Stirnglatze, und das graue gekräuselte Haar wuchs kranzförmig um den Schädel. Im rechten Mundwinkel hing eine dicke helle Zigarre.

Dieser Mann war der Pfandleiher Joseph Meyer, der sich selbst gern Onkel Meyer nannte, was ja auch auf seinem Hause stand.

Elliot fühlte sich plötzlich stark. Er war ja am Ziel. Er hatte es geschafft. Ein spöttisches Lächeln stand um seine Lippen.

»Nein, Mister. Ich will ihn nicht kaufen. Ich habe ihn nur einmal angesehen.«

»Well, solange man sich so etwas nur ansieht, geht es immer noch, vor allem, wenn es von draußen geschieht.«

Elliot stand breitbeinig da. »Tja, Mister, wenn man alt ist, hat man vor vielen Dingen Angst, die man in meinen Jahren nicht scheut«, meinte er altklug.

»Hoffentlich kommen Sie noch in diese Jahre«, sagte Onkel Meyer nachdenklich.

»Ich möchte es gar nicht«, entgegnete der Bursche.

Der Pfandleiher nahm seine Zigarre aus dem Mund und erklärte geschäfts-tüchtig: »Trotzdem, es kann ja mal sein, daß es Ihnen schlechtgeht. Dann melden Sie sich nur bei mir. Für Ihren Sattel da und das Zaumzeug kriegen Sie immer ein paar Dollars bei mir.«

Weshalb sagte er nicht: Für Ihren Revolver? Diese Frage konnte sich der Cowboy Elliot selbst beantworten. Ein Mann ohne Revolver war in Tombstone kein Mann.

»Sagen Sie, Mister Meyer, wo finde ich hier ein gutes Quartier? Ich habe da ein paar gute Hotels gesehen…«

»No, Junge, das ist nichts für Sie. Da zahlen Sie sich tot. Gehen Sie die fünfte Straße hinunter, hier gleich über die Allen Street hinüber bis zur nächsten Ecke. Da ist das Russhouse. Wir nennen es Nelly Cashmans Hotel.«

Der Cowboy nickte. Auch davon glaubte er gehört zu haben.

»So long, Mister Meyer.«

Elliot zog sich in den Sattel und trabte davon.

An der Ecke der nächsten Straße sah er schon den großen, flachen Bau, der aus zwei langen, eingeschossigen Häusern bestand, deren Fronten durch eine Mauer verbunden waren, die den Hof abschloß.

Elliot rutschte vom Pferd, warf die Zügelleinen um den großen Querholm und ging auf den Eingang zu.

Eine schlanke, große dunkle Frau kam ihm in dem langen, nur wenig erhellten Korridor entgegen. Sie war schwarzhaarig, hatte das Haar zu einem Knoten hochgesteckt, hatte große dunkle Augen und ein ernstes, etwas blasses Gesicht. Nelly Cashman.

Elliot nahm seinen Hut ab. »Gibt’s hier noch ein Zimmer, Madam?«

Die junge Frau musterte ihn kurz und nickte dann. »Kommen Sie.«

Sie ging voran und führte ihn den Gang hinunter, durch eine Tür, die auf den Hof führte, und dann in den zweiten Bau.

Der Cowboy bekam ein Zimmer zur Toughnunstreet. Der Preis war mäßig. Elliot hatte es sich schlimmer vorgestellt.

Er warf sich auf das Bett, als die Frau gegangen war, und stieß einen tiefen Seufzer aus.

Dann stand er sofort wieder auf, um nach seinem Wallach zu sehen.

Der war verschwunden.

Elliot sah sich entgeistert um.

Da sah er in einem Fenster das Gesicht Nelly Cashmans; ein schwaches Lächeln spielte um ihren feinen Mund.

»Sie wollten das Tier doch nicht in der Sonne stehen lassen, Mister? Ich habe es in unseren Stall bringen lassen. Box sechzehn.«

Elliot sah sie an.

Damned, den Blick ihrer dunklen Augen spürte er noch, als das Fenster längst wieder heruntergelassen war.

Elliot hatte bis gegen sieben Uhr geschlafen, dann stand er auf, wusch sich im Hof und fragte einen Mann, der am Brunnenrand saß und ein Hemd auswrang, wo er einen Barber finden konnte.

»Sei nicht so bequem, Junge«, meinte der Mann verdrießlich, »geh los und sieh selbst nach. Es gibt in der Stadt nur Kneipen und Mietställe, dazwischen stecken die Schaumschläger. Du brauchst nur nach den schmalen kleinen Häusern zu sehen. Du kannst es sogar finden, wenn du die Augen schließt. Da, wo es nicht nach Mist und Gäulen riecht und nicht nach Whisky und Tabak, da wird ein Barber wohnen, der Seifengeruch und der Parfümduft werden es dir sagen.«

Elliot ging los.

Eine halbe Stunde später verließ er den kleinen Barber Shop Willie Bakers in der vierten Straße. Dann schlenderte er durch die Straßen.

Es war nicht sehr groß, dieses Tombstone. Der Cowboy hatte die paar Straßen bald durch und stand wieder in der sonnenheißen, immer noch gleißenden Allen Street.

Sheriffs Office.

Das Schild hing weit in die Straße hinaus, schräg gegenüber vom Cosmopolitan Hotel.

Elliot trat mit federndem Schritt auf den Vorbau und öffnete die Tür. Eine muffige dumpfe Luft schlug ihm entgegen.

Hinter einem großen Schreibtisch saß ein Mann, der bei Elliots Eintritt hastig und etwas erschrocken aufstand.

Es war ein mittelgroßer blasser Mann mit dunklen Augen und schwar-zem Kinnbart. Er hatte schwarzes Haar und weiße Hände. Links auf seiner grauen Weste heftete der sechszackige Blechstern.

»Was fällt Ihnen ein, hier so hereinzufallen?« rief der Sheriff krähend, wobei er sich Mühe gab, seiner Stimme einen festen sonoren Klang zu geben.

Elliot tippte an den Hutrand. »Sind Sie Wyatt Earp?« fragte er.

Der Mann mit dem Stern schien fast zu erschrecken.

»Wyatt Earp? Mann, sind Sie vielleicht geisteskrank? Wir sind hier in Tombstone und Gott sei Dank nicht in Dodge City. Hier bin ich Sheriff. Und mein Name ist Behan. Jonny Behan. Traurig genug, daß Sie das nicht wußten.«

Jedes seiner letzten Worte hatte Behan mit einem nervösen Klopfen auf der Tischplatte unterstrichen. Jetzt ließ er sich mit einem harten Ruck nieder.

»So, und nun sehen Sie zu, daß Sie weiterkommen. Wenn Sie zu Wyatt Earp wollen, haben Sie noch einige hundert Meilen vor sich. – Aber vielleicht wollen Sie ja auch zu seinem Bruder Virg, der hat zufällig hier in der Straße auch einen Laden aufgemacht.«

»Einen Laden?« fragte Elliot verblüfft.

»Sagen wir ein Office.«

»Ach…«

»Yeah, und nun lassen Sie mich zufrieden, Mann, Sie sehen doch, daß ich arbeite.«

Diese Arbeit bestand im Lesen einer Zeitung.

Elliot stand immer noch breitbeinig in der Tür. Er war dumm und ehrlich genug, zu erklären: »Hören Sie, Mister Behan, den Sheriff von Tombstone habe ich mir anders vorgestellt. By gosh!«

Damit verschwand er.

Ein paar Minuten später stand der Cowboy mit verwunderten Augen vor einem sehr sauberen kleinen Backsteinbau, an dem ein Schild mit der Aufschrift US Deputy Marshal V. Earp befestigt war.

Elliot klopfte an und trat ein.

Vorm Gewehrschrank stand ein großer breitschultriger Mann mit gewaltigem Seehundsbart und stieß Patronen in eine Winchester. Er trug ein graues Kattunhemd, eine schwarze Weste, schwarze Hose und schwarze Stiefel.

»Hallo, Marshal… Mein Name ist Elliot, John Elliot. Ich komme aus Nevada…«

Virgil Earp hatte dem Burschen nur einen kurzen Blick gewidmet, ohne sich aber in seiner Beschäftigung unterbrechen zu lassen.

»Na… und?«

»Hm, ich… ich wollte mich hier ein bißchen umsehen.«

»Yeah.«

Virgil riß den Ladebügel durch, nahm seinen Hut vom Wandhaken, seinen Waffengurt, und ging zur Tür.

»Wollen Sie weg?«

»Yeah.«

»Mit dem Gewehr?«

»Es sieht so aus, Junge.«

»Damned, dann ist also irgendwo was los?«

»Zounds, Sie scheinen mir ein ziemlich neugieriger Bursche zu sein.«

Virgil ging hinaus und stampfte

über den Vorbau auf den Crystal Pa-lace zu.

Da standen jetzt im Gegensatz zu heute vormittag eine Menge Pferde an den Halfterstangen.

Virgil Earp stieß die Pendeltüren auseinander, und gleich darauf hörte Elliot seine scharfe, schneidende Stimme bis auf die Straße.

Dann fiel ein Schuß.

Elliot rannte vorwärts. Die Hand über dem Coltgriff.

Aber da flogen die Schwingarme der Tür auseinander und mehrere wildaussehende Männer stolperten auf die Straße. Die letzten beiden flogen regelrecht durch die Tür.

Dann folgte ihnen der Gesetzesmann.

»So, Boys, und nun in die Sättel und ab! Und wenn ich noch mal einen von euch in der Stadt sehe, sperre ich ihn ein!«

Hinter dem Sternträger erschien ein dicker kurzer Mann mit weißer Saloonerschürze im Eingang und wischte sich durch sein erhitztes Gesicht.

»Thanks, Virg. Das war zur rechten Zeit. Ich hatte Billy auch zu Behan geschickt, aber der war wieder mal beschäftigt.« Der Wirt stieß eine rollende Lache aus. »Komm, wie nehmen einen Drink, Virg!«

Der Gesetzesmann lehnte ab. »Heute abend, wenn es dir recht ist. Ich habe nämlich noch etwas zu tun.«

»All right.«

Die Holzarme der Tür schlugen hinter dem breiten Rücken mit dem durchschwitzten Hemd des feisten Larry Olters zusammen.

Virgil wäre fast mit dem Cowboy

zusammengestoßen. Elliot hatte die Hand noch auf den Revolverkolben gestützt.

Virg sah ihn stirnrunzelnd an. »Was suchen Sie denn hier?«

»Ich…?«

»Hören Sie, Mister…«

»Elliot, John Elliot!«

»Hören Sie, Mister Elliot, wenn Sie nichts Wichtiges in der Stadt zu tun haben, dann gebe ich Ihnen einen guten Rat. Steigen Sie auf Ihren Gaul und reiten Sie schnell dahin, wo Sie hergekommen sind. Hier geht es nämlich ziemlich ungemütlich zu.«

Mit harten Schritten ging er davon und verschwand in seinem Office.

Minuten später kam er mit einem Schimmel aus seinem Hoftor heraus, schloß das Tor, zog sich in den Sattel und trabte nach Westen aus der Stadt.

Das war also Tombstone, der Crystal Palace und Virgil Earp!

Aber die Begeisterung, die den Jungen aus Nevada erfaßt hatte, wurde auch durch diese Tatsachen nicht ernüchtert.

Er wandte sich um und ging am Eingang des Crystal Palace vorbei, riskierte einen kurzen Blick und sah am Ende des Vorbaues in der fünften Straße wieder den feinen Pfandleiher stehen, der ihm grinsend entgegensah.

»Na, Cowboy, haben Sie schon Bucks nötig?«

Elliot antwortete nicht.

Da kam Uncle Meyer näher und meinte in plump vertraulichem Ton: »Wenn Sie spielen wollen, Mister – dann doch nicht im Crystal Palace. Das ist doch nichts für Leute Ihres Schlages…«

»Wieso?« herrschte ihn der Nevadamann zornig an. »Glauben Sie vielleicht, daß ich zu dreckig wäre, den Saloon zu betreten?«

»Das will ich ganz und gar nicht sagen. Sie haben ja eben gesehen, was für Gelichter sich da schon eingenistet hatte. Nein – ich meine nur, daß man ein echter Gambler sein muß, daß man Geld haben muß – und daß man eben ein Mann sein muß, der in den Crystal Palace paßt.«

Er war also kein Mann für den Crystal Palace! Das wurmte den Cowboy tief.

Da hörte er den Pfandleiher neben sich sagen: »Sie können doch in einer ganzen Reihe anderer Bars spielen, Mister. Zum Beispiel bei China Marys Hotel unten ist eine kleine Kneipe, wo zwei Spieltische stehen…«

Der Cowboy John Elliot spielte am Stadteingang neben dem China Marys Hotel in Severins Bar und gewann.

Er setzte die Hälfte, verlor, setzte den Rest und gewann wieder.

Dann kam plötzlich seine Strähne. Er gewann.

Auch am nächsten Abend und am übernächsten schien das Glück neben dem Cowboy aus Nevada zu stehen.

Da gab ihm abends, als er die Schenke verließ, ein Schwarzer einen Wink. »Sie können doch bei Barnim drüben spielen.«

Barnims Saloon war eine Klasse besser.

Elliot hatte einige Mühe, einen Platz zu bekommen.

Und dann wiederholte sich in dieser Schenke, was sich bei Severin ereignet hatte. Er gewann, verlor, und dann kam seine Strähne.

Nach fünf Tagen hatte der Nevada Cowboy Elliot dreihundert Bucks zusammengespielt. Er glaubte Tombstone schon erobert zu haben.

Immer und immer wieder schielte er zum Crystal Palace hinüber, in den nur schwarzgekleidete Gambler gingen, die sicher sein konnten, daß sie Leute waren, die in den Crystal Palace paßten.

Am nächsten Vormittag stand John Elliot plötzlich in dem kleinen, nach Knoblauch und schlechtem Tabak riechenden Laden des Pfandleihers.

Uncle Meyer sah ihn gar nicht verwundert an. »Du brauchst Bucks, Junge, nicht wahr?«

»Pech gehabt, Uncle Meyer. Ich habe Bucks. Eine ganze Menge sogar, und ich bin eigentlich nur gekommen, um Ihnen das zu sagen.«

»Sie sind ein merkwürdiger Bursche. Statt sich bei mir für den Tip zu bedanken, kommen Sie her und wollen prahlen. Ich wette, daß Sie eines Tages hier ankommen und völlig abgebrannt sind.«

»Das wird mir nicht passieren. Ich weiß, wann ich aufzuhören habe.«

»Yeah, jetzt, wo es um ein paar Dollars geht, da kann man das leicht sagen. Aber wenn es um Hunderte geht, Boy, da sieht dann plötzlich alles anders aus.«

Der Alte hatte so seine Erfahrungen.

Elliot wollte eigentlich doch etwas von ihm. »Ich habe bei Severin und bei Barnim gespielt«, begann er vorsichtig.

»Yeah, reicht Ihnen das nicht?«

»Nein«, erwiderte der Bursche trotzig.

Und nun zeigte Uncle Sam, daß er den weiteren Weg genau kannte. »Sie brauchen einen anderen Anzug. Wieviel haben Sie?«

»Dreihundert.«

»Das ist schlecht. Dafür kriegen Sie nichts Gescheites…«

»Für dreihundert Bucks kriege ich keinen Anzug?« entrüstete sich der Cowboy.

»Sicher, aber Tombstone ist teuer, sehr teuer, und außerdem brauchen Sie ja auch noch Geld zum Leben, für das Zimmer, fürs Essen.«

Der Pfandleiher beschaffte ihm einen dunkelgrauen Anzug, den angeblich ein Freund von ihm, ein Schneider, gemacht hatte.

John Elliot verstand nicht genug von diesen Dingen, als daß er hätte feststellen können, daß der Anzug keineswegs so funkelnagelneu war, wie Meyer behauptete.

Aber er paßte ihm, und er sah ganz passabel darin aus.

»Du mußt ein graues Hemd kaufen…«

Uncle Meyer hatte wieder eine Seele gefunden, die er ›betreuen‹ konnte. Von seinem Verdienst sprach er selten. Aber er sorgte immer dafür, daß es da nicht fehlte.

»Damned, jetzt siehst du aus wie ein richtiger Tombstoner«, meinte der Pfandleiher geschickt, der die Schwäche des Nevadamannes längst erkannt hatte. »Nun gehst du zu Bob Hatch, hast du mich verstanden, Jonny?«

Und ob Jonny verstanden hatte.

Er war dem Crystal Palace nähergerückt, ein Riesenstück. Er spielte nur noch etwa fünfzig oder sechzig Yards davon entfernt in Bob Hatchs Saloon.

Es war eine besser ›situierte‹ Schenke, sie bestand aus zwei Räumen. In dem einen wurde an der Bar getrunken und gespielt, im Nebenraum stand ein Billardtisch, der ständig belagert war.

John Elliot hatte es sehr schwer, sich hier durchzuboxen. Hier saß bereits die ›Elite‹ der Tombstoner und ließ so leicht keinen Fremden nach vorn.

Aber der Cowboy Elliot war so zäh und besessen, daß er auch hier vorwärtskam. Jedenfalls erst einmal an einen Tisch.

Er spielt – verlor, blieb sitzen und wartete auf seine Strähne, die nicht kommen wollte. Er verlor alles.

Und abends stand er bei dem alten Meyer und ließ sich auf einem Stoffballen nieder.

»Es ist alles widerlich, alles!« zischte er.

Meyer rieb sich die Hände. »Siehst du, Junge, du bist nicht klug. Wir Presbyterianer haben da einen guten Spruch. Nur wer klug und zäh ist, gewinnt.«

»Bin ich nicht zäh?«

»Well, aber nicht klug genug. Wer sich mit fünfzehn Dollars bei Hatch an den Spieltisch setzt, macht auf die Boys keinen Eindruck. Und wenn er erst dem Richtigen gegenübersitzt, hat der ihn schnell gerupft.«

Genauso war es Elliot ergangen. Der Sattler Hanc Villiers hatte ihn ausgenommen wie eine Gans.

Am nächsten Abend trat Elliot mit fünfzig Bucks in der Tasche den Weg zu Hatchs Saloon an.

Uncle Meyer hatte ihm mit den Böcken unter den Arm gegriffen – und ›Inpfandnahme‹ des Sattels natürlich, den Elliot in der Dunkelheit der vergangenen Nacht aus Cashmans Hotel zu ihm hatte schleppen müssen.

Er spielte frecher – und gewann.

Und dann spielte er sich an den Tisch des herkulisch gebauten Sattlers, der sein Spiel mit lauten Reden begleitete. Eine Unart, die beispielsweise im Crystal Palace unmöglich wäre, wie der Pfandleiher seinen ›Schützling‹ belehrt hatte.

Die Nerven John Elliots waren jedoch gesünder und noch unverbraucht. An diesem Abend gewann er.

Meyer wollte sein Geld noch nicht zurück.

»Im Gegenteil, Jonny, nimm noch hundert Bucks mit und lege im richtigen Augenblick alles neben dich auf den Tisch.«

Dazu hatte er nur seinen Wallach nach Einbruch der Dunkelheit abzugeben.

Er verlor an diesem Abend. Auch am nächsten. Er mußte sich Geld leihen.

Zweimal half Meyer, dann verhärtete sich sein Gesicht zu einer fremden Maske.

»Tut mir leid, Jonny, du mußt einsehen, daß ich auch nichts zu verschenken habe. Sieh zu, wie du die siebzig Dollar wieder einbringst, die du mir schuldest.«

»Aber Sie haben doch mein Pferd und den Sattel.«

»Du machst mir Spaß, Jonny. Die Sachen hast du doch längst verloren…«

»Geben Sie mir noch einen Goldfuchs, Uncle Meyer.«

»Einen Goldfuchs? Wo denkst du hin, Junge! Das sind zwanzig Dollar. Die müssen sauer bei mir verdient werden. Nichts da…«

Der Nevadamann hatte plötzlich einen Revolver in der Hand…

… und der Pfandleiher Schweiß-tropfen auf der Stirn.

»All right, ich gebe dir den Eagle zum letzten Mal. Vergiß es nicht. Und träume nicht, daß ich mich von dir erpressen lasse. Es ist Gutmütigkeit und Freundschaft, Jonny. Wenn du noch einmal so etwas machst, wie das mit dem Colt vorhin, gehe ich zu Virgil Earp!«

Mit dumpfen Schritten und schmerzendem Schädel entfernte sich der Bursche.

Er ging langsam am Crystal Palace vorbei.

An der Tür blieb er stehen. Nur einen Augenblick. Denn als er die eisige Atmosphäre an den Spieltischen gewahrte, schlenderte er weiter.

Hatchs Saloon war voll besetzt.

Villiers hatte wie immer eine Menge Neugieriger um seinen Tisch versammelt. Der ungeschlachte Mann hatte sich, wie er es allabendlich zu tun pflegte, wie ein Pfau herausgeputzt.

Als er Elliot sah, belferte er: »He, da kommt ja auch der Mastochse aus Nevada, den ich gestern ausgenommen habe. Was wollen Sie noch hier, Elliot? Mit Bettlern können wir nichts anfangen. Bob!« rief er dem Salooner zu, »sehen Sie zu, daß der Kerl rausgeworfen wird.«

Elliot trat an den Spieltisch.

Einige ältere Männer wichen zur Seite. Ein junger Bursche blieb frech vor ihm stehen.

»Geh zur Seite, Boy«, forderte Elliot ihn auf.

Der Junge warf den Kopf hoch. »Sie haben doch gehört, was Mister Villiers gesagt hat, Elliot…«

Knallhart saß der Faustschlag am Kinn des siebzehnjährigen Eddi Urban.

Er wurde weggebracht.

Und in der Bar herrschte Stille.

Ohne Villiers aus den Augen zu lassen, stieß der Nevadamann den Spieler an, der dem Sattler gegenübersaß. »Aufstehen!«

Der Mann erhob sich rasch.

Elliot ließ sich nieder, drehte sich in aller Ruhe eine Zigarette und griff dann in seine mit Steinen prall gefüllte Tasche.

Klirrend fiel der Golddollar auf den Teller in der Tischmitte.

»Was soll das?« fauchte Villiers.

»Halts Maul, Sattler. Wirf deinen Einsatz!«

»Zwanzig Dollar? Wer fängt denn mit einem Eagle an? Ich bin doch nicht Doc Holliday! Bob, was soll das, ich bin doch nicht…«

»Wird’s bald!« knurrte Elliot.

Mit wutverzerrtem Gesicht griff Villiers in die Tasche. Auch er setzte einen Golddollar.

Als John Elliot sich nach anderthalb Stunden erhob, hatte er vierhundert-unddreißig Dollar gewonnen. Ein so heißes Spiel hatte es bei Bob Hatch noch nicht gegeben.

Elliot warf dem Keeper einen Adler zu und ging zur Tür.

Villiers starrte mit blutunterlaufenen Augen auf seinen breiten Rücken.

Und dann zog er den Colt und schrie: »Zieh, Dreckskerl!«

Elliot wirbelte herum und schoß sofort. Die Kugel traf Villiers wie ein Keulenschlag oben rechts im Arm.

Er hatte im gleichen Augenblick gefeuert. Eine dunkelrote Furche brannte auf der linken Wange des Cowboys.

Villiers sackte in die Knie.

Da stürmten drei Männer auf Elliot zu, und in einer halben Minute hatten se ihn niedergeknüppelt.

Vorn flog die Tür auf. Ein hochgewachsener Mann stand da und überflog mit seinen blitzenden Augen die Szene. Dann zog er seinen Revolver.

»Laßt ihn los!«

Die Männer fuhren beim Klang dieser Stimme auseinander.

»Wyatt Earp!« entfuhr es dem dicken Gilbert.

»Der Marshal!« schrie Jimmy Flim erschrocken.

John Elliot lag blutend am Boden, mit aufgerissenem Hemdkragen und zerschundenem Gesicht. Den Revolver hatte er noch in der Faust.

Wie aus weiter Ferne hatte er den Namen gehört, der da eben gerufen worden war.

Wyatt Earp!

Es dauerte lange, bis die beiden Worte klar in sein Bewußtsein vorgedrungen waren.

Langsam hob Elliot den Blick.

Rote Kreise tanzten vor seinen Augen.

Sie lösten sich mehr und mehr.

Rechts und links bildeten die Männer einen Halbkreis. Und in dessen Mitte stand er. Groß, breitschultrig und mit ernsten Augen.

Elliot starrte ihn an wie einen Geist. »Wyatt Earp?« kam es stockend über seine Lippen.

Dann schloß er die Augen und riß sie wieder auf.

Zounds, drüben kniete immer noch Hanc Villiers am Boden und preßte seine linke Hand um seinen rechten Oberarm.

»Stehen Sie auf!« forderte Wyatt Earp den Nevadamann auf.

Der erhob sich – und plötzlich stand ein Lachen in seinem verunstalteten Gesicht.

»Sie… Sie sind Wyatt Earp?«

Bob Hatch kam heran. »Die Boys haben ihm ziemlich zugesetzt, Marshal. Er ist ein bißchen durcheinander.«

»So«, versetzte Wyatt Earp, während er den großen Revolver mit einem märchenhaft schnellen und sicheren Handsalto im Halfter verschwinden ließ, »das glaube ich gar nicht mal. – Wie sieht’s aus, Elliot?«

Der Cowboy wischte sich durchs Gesicht. Dann sah er sich im Kreise um.

»Eigentlich ganz gut, Marshal. Oder ist einer der Gentlemen anderer Ansicht?«

Nein, angesichts des Marshals war keiner anderer Ansicht.

Wyatt Earp und John Elliot verließen die Bar.

Draußen auf dem Vorbau kam ihnen Doc Goodfellow mit seiner Landarzttasche schon entgegen. »Hallo, Marshal. Ein Glück, daß Sie da sind!« rief er dem Missourier im Vorbeilaufen zu.

John Elliot wischte sich wieder durchs Gesicht.

»Hell and devils! Sie also sind Wyatt Earp. Weshalb haben Sie mir nie ein Wort davon gesagt?«

»Weshalb sollte ich? Haben Sie sich mir vielleicht vorgestellt?«

Wyatt Earp steckte sich eine seiner geliebten schwarzen Zigarren an und fragte: »Wo wollen Sie eigentlich hin?«

»Ich wollte nach Tombstone, Mister Earp – und wie Sie sehen, da bin ich.«

»Ja«, meinte der Marshal, ohne auch nur mit einem Wort auf die Tatsache anzuspielen, daß der Cowboy John Elliot ohne seine Hilfe längst irgendwo in St. David unter der Erde liegen würde. »Da sind Sie nun. Und was wollen Sie hier? Sie haben sich ja herausgeputzt wie ein Salonlöwe.«

»Finden Sie…?« Elliot dachte an seinen Gläubiger. Dann sagte er rasch: »Sie könnten mir einen riesigen Gefallen tun, Mister Earp. Wo wir uns doch nun schon einmal so lange kennen. Ich muß zu einem Pfandleiher…«

»Zu Uncle Meyer?« fragte der Missourier stirnrunzelnd.

»Yeah. Ich schulde ihm ein paar Bucks. Können Sie nicht mitkommen, damit er hinterher nicht sagen kann, ich hätte ihm sein Geld nicht zurückgegeben.«

Der Cowboy Elliot war gerissener, als er zugegeben hätte. Er wollte den Marshal nur als Paradepferd und Druckmittel bei dem alten Meyer aufkreuzen lassen.

Der Missourier ahnte fast etwas Derartiges, mochte dem Burschen die Bitte aber doch nicht abschlagen.

Uncle Meyer verschlug es fast die Sprache, als er Wyatt Earp in seinen Shop eintreten sah.

»Allmächtiger!« entfuhr es ihm. »Der Marshal! Mister Earp!« Er rannte händeringend auf Wyatt zu. »Was hat er getan? Ich habe nichts damit zu tun, das schwöre ich Ihnen, gar nichts! Er ist ein Sattelstrolch, ein elender Herumtreiber. Ich hatte ihn schon gewarnt und aufgefordert, die Stadt zu verlassen.«

»Ah, Sie haben ihm nicht etwa Geld geborgt?«

»Geld? Wo käme ich denn hin, wenn ich jedem Tramp Geld borgen wollte, Marshal! Nein…«

Wyatt Earps Gesicht verfinsterte sich. »Holen Sie sein Pferd und seinen Sattel, Meyer! Aber rasch!«

»Was…?« stammelte der Pfandleiher. Dann nickte er schluckend und machte sich zur Tür. »Sofort, Marshal.«

John Elliot bekam sein Pferd und seinen Sattel zurück. Dann gab er dem Händler das Leihgeld zurück.

»Ich habe heute zufällig vierhun-dertunddreißig Bucks gewonnen, Uncle Meyer«, sagte Elliot höhnisch.

Als sie draußen waren, nahm Wyatt den Cowboy am Handgelenk. »Und jetzt hören Sie gut zu, John Elliot! Nehmen Sie Ihren Gaul und reiten Sie weg. Tombstone ist keine Stadt für Sie…«

»Diesen Rat hat mir Ihr Bruder Virgil auch schon gegeben.«

»Um so trauriger, daß Sie trotzdem nicht gescheit geworden sind. Sie sind kein Mann für Tombstone, Elliot. Dies ist keine Stadt für Sie. Sie gehören auf die Weide. Sie sind ein Cowboy. Was wollen Sie hier?«

In den Augen des Weidereiters blitzte und funkelte es.

»Well, ich werde nicht so antworten, wie ich antworten möchte, denn Sie sind Wyatt Earp. Und außerdem haben Sie mich ein paarmal aus der Tinte geholt. Aber soviel sage ich Ihnen doch, Marshal: Ich bleibe. Und niemand wird mich daran hindern. Auch Sie nicht, Mister Earp.«

»Sie sind zu unbesonnen, Elliot. Was wollen Sie hier?«

»Ich will ein echter Gambler werden!« sagte der Bursche pathetisch. In seinen Augen spiegelten sich die Lichter des Crystal Palace. »Ich will ein großer Gambler und Gunman werden, wie Doc Holliday. Ich will ein Mann werden, vor dem die Leute Respekt haben, weil er ein Kämpfer ist, weil er ein Revolverschütze ist – ein Mann wie Sie, Wyatt Earp.«

Tief sog der Marshal die Luft ein. Dann erwiderte er: »Well, kommen Sie mit.«

»Wohin?«

»Ich werde Ihnen etwas zeigen.«

Er führte ihn in den Hof des Crystal Palace, brachte ihn an eines der hell erleuchteten Fenster, von wo aus man einen ungestörten Blick in den Spielraum zur Allen Street hin hatte.

Vorn an dem großen Tisch unter der überdimensionalen Lampe saßen nur zwei Männer.

Der eine war breit und hartgesichtig, trug einen schwarzen Anzug – und schwitzte wie ein Schwellenleger in Texas.

Der andere war ebenfalls sehr groß, aber hager, sehnig und hatte ein markant geschnittenes, vornehmes Gesicht mit eisblauen kühlen Augen. Er saß völlig ruhig da.

Und die Einsätze waren Banknoten! Noten! John Elliot sah es genau.

Eine volle Stunde blieb der Missourier mit dem Nevada Cowboy an dem Fenster stehen. Mit Spannung verfolgte der Bursche das Spiel im Saloon. Es war ein eiskaltes Spiel, das um Hunderte, Tausende ging. Die Luft um die beiden Gambler schien mit Dynamit geladen zu sein.

Urplötzlich begann der Unterkiefer des einen zu zittern. Er sprang auf und packte den Coltknauf.

Aber in der Hand des anderen, der gelassen sitzengeblieben war, blinkte schon der Revolver. Ein großer, vernickelter Single Action-Revolver mit elfenbeinbeschlagenen Knäufen.

Der andere ließ sich langsam wieder nieder, nahm ein Taschentuch aus der Manschette und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken.

»Oh!« entfuhr es dem Cowboy. »Das war ja unheimlich! Hell and devils! Der Mann da links ist ja sagenhaft schnell! Wer ist das?«

Wyatt Earp wandte sich ab und sagte im Weitergehen: »Doc Holliday.«

»Doc… Holliday?«

Der Cowboy konnte den Blick nicht von dem berühmten Gambler reißen.

Wyatt Earp wartete am Tor. »Kommen Sie, Jonny.«

Er war noch richtig benommen von dem Erlebnis.

»Well, das war also Doc Holliday!« Er hatte es fast feierlich gesagt.

»Yeah, das war Doc Holliday, Cowboy. Und jetzt habe ich eine Frage an Sie: Träumen Sie, daß Sie einen Platz da drinnen in dieser mörderischen Schenke einnehmen können? Glauben Sie, daß Sie ein Mann sind wie er? Bilden Sie sich ein, daß Sie seine Nervenstärke besitzen? Daß Sie je ein so sicherer und gerissener Spieler werden könnten? Und – daß Sie je in der Lage sein würden, Ihren Colt so schnell aus dem Halfter zu bringen, wenn Sie dazu getrieben würden?«

»Aber – das kommt doch nicht oft vor«, stammelte der Bursche verlegen.

»Was denn? Daß einer der Partner den Colt zieht? Ich will Ihnen etwas sagen, Cowboy: Es kommt im Crystal Palace mindestens ebenso oft vor wie in allen anderen Spielsaloons. Nur daß es hier bedeutend gefährlicher ist, weil die Männer, die hier sitzen, alle schnell mit dem Colt sind. Es kommt nur darauf an, schneller zu sein. Nur dann geht es so lautlos ab, wie Sie es eben erlebt haben.

Irgendwann reißen an jedem Tag irgendeinem der Spieler die Nerven. Dann greift er zum Colt. Zumindest versucht er es. Und wenn der Partner dann nicht mithalten kann, ist es aus.«

Elliot hatte den Kopf auf die Brust gesenkt. Heiser preßte er durch die Kehle: »Well, Marshal. Ich weiß, daß ich nie ein Gambler wie Doc Holliday werden kann. Aber ich kann vielleicht ein Mann wie die anderen werden.«

»Dummkopf!« entfuhr es dem Marshal. »Ich habe dir nicht den besten gezeigt, damit du werden willst wie der schlechteste von ihnen. Niemand ist in dieser verdammten Stadt dem Tode näher als der, der am schlechtesten ist. Schlecht mit dem Colt und mit den Gedanken. Verstehst du das denn nicht?«

Elliot schüttelte starrsinnig den Kopf. »Ich will hierbleiben, Marshal«, sagte er und wagte es nicht mehr, den Missourier anzusehen. »Ich will hierbleiben. Ich muß einfach…«

*

Er blieb in Tombstone.

Sogar für immer. Aber das wußte er an diesem erstickend heißen Abend noch nicht.

Er hatte den Marshal seit Wochen nicht gesehen. Virgil Earp sollte nach Santa Fé geritten sein, hieß es in der Stadt, deshalb wohl war Wyatt hier aufgekreuzt.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam John Elliot am Marshal Office vorbei. Er blieb vor der offenen Tür stehen und blickte in den hellen Raum.

Wyatt Earp stand am Pult neben dem Fenster und ordnete Papiere.

»Hallo, Marshal!«

Die dunkelblauen Augen des Missouriers ruhten für einen Augenblick auf dem jungenhaften Gesicht des Nevadamannes.

»Hallo, Cowboy.«

»Kann ich reinkommen?«

»Sicher.«

Wyatt musterte ihn mit forschendem Blick. Allmächtiger, wie sah der Weidereiter aus Loroy aus. Was war aus ihm geworden!

Er trug einen Anzug aus schwarzem Tuchstoff, der ihn sicherlich eine schöne Säule von harten Dollars gekostet hatte. Sein Hemd war weiß und seine Krawatte schwarz. Auch sein Hut war schwarz. Der Habit stand ihm überhaupt nicht. Er sah darin aus wie ein Bauer, den man in einen Frack gepreßt hat – und der sich denkbar unwohl darin fühlt.

»Gefalle ich Ihnen?«

Wyatt zog den Mund zusammen und die rechte Schulter ein wenig hoch.

»Also nicht?«

»Wenn ich ehrlich sein soll, Cowboy, haben Sie mir unterwegs besser gefallen.«

Elliot ließ sich auf einen Hocker neben dem Schreibtisch nieder.

»Das ist ganz sicher Geschmacksache. Sie tragen doch auch diesen Anzug. Jedenfalls hier in der Stadt.«

»Sicher. Das gehört zu meinem Job.«

»Und zu meinem Job auch.«

»Well – aber trotzdem steht er Ihnen nicht. Der Job übrigens auch nicht.«

»He – haben Sie nicht gehört, daß ich bei Bon Hatch jetzt eine große Kanone geworden bin?«

»Yeah, solange es dauert. Außerdem sind Sie doch damit nicht zufrieden.

Und sehen Sie sich einmal an. Damals, als ich Sie zum ersten Mal sah, waren Sie ein frischer, gesunder, netter Bursche. Und heute – kaum ein paar Wochen später? Sie sehen krank und übernächtigt aus. Nacht für Nacht hocken Sie in den Bars herum bis ins Morgengrauen. Und wenn Sie das nicht tun, stehen Sie bei den aufgedonnerten Girls von Mary Wong…«

»Hallo, Sie sind ja bestens informiert!«

Elliot nahm aus einer silbernen Dose eine Fabrikzigarette, wie er es bei Doc Holliday gesehen hatte, riß ein Zündholz über den Daumennagel, brachte es aber nicht zur Zündung, hob dann den Schuh wie einst und strich es an der Sohle an.

»Tja«, meinte der Marshal, der diesem Vorgang gefolgt war, »so einfach ist das alles nicht.«

»Es lernt sich.«

»Ich weiß nicht. Es gibt ganz sicher Dinge, die man niemals lernen kann.«

»Ach, Sie wollen mich bloß aus Ihrer Stadt vertreiben.«

»Es ist nicht meine Sache, Cowboy. Und von vertreiben kann keine Rede sein. Ich habe es nur nicht gern, wenn junge harmlose Burschen zusammengeschossen werden, weil sie nicht luchsig und scharf genug für die Tramps sind, die hier im Gamblerfrack herumlaufen.«

»Schön gesagt, Mister Earp.« Elliot schlug die Beine übereinander und lächelte dünn.

»Zum Beispiel gestern sah ich Sie mit Joric Albertson sprechen…«

»Was paßt Ihnen daran nicht? Albertson pokert im Crystal Palace…«

»Eben.«

»Und ich werde einen Weg in den Crystal Palace finden, Marshal. Das schwöre ich Ihnen. Albertson mag ein undurchsichtiger Bursche sein…«

»Ein undurchsichtiger Bursche? Sie haben Humor, Cowboy – und sind schlecht informiert.«

Joric Albertson hat sieben Jahre in Fort Worth gesessen, wegen Totschlages. Er hat in Dallas einen Mann niedergeschossen, angeblich in Notwehr, in Lublin einen zweiten, in Geraldson einen dritten – die Kette ist sehr lang. In Fort Worth endlich packte das Gesetz zu. Denn es war keineswegs immer Notwehr gewesen. Albertson fordert seinen Gegner heraus. Er hat Spaß daran, sie zittern zu sehen. Er ist ein ganz gemeiner Killer…«

Elliot sprang auf. Mit hochrotem Gesicht schrie er: »Und weshalb gehen Sie nicht hinüber und nehmen ihn fest? Sperren ihn ein und bringen ihn an den Galgen?«

Wyatt Earp blieb ruhig, obgleich es in ihm gärte.

»Junger Freund, ich sagte Ihnen vorhin, daß Sie schlecht informiert sind. Joric Albertson ist wegen guter Führung aus dem Straflager entlassen worden. Aber ich wette mit Ihnen, daß er der gleiche Kerl geblieben ist, der er früher war. Er hat mir hier noch keinen Grund gegeben, gegen ihn vorzugehen. Sie können sich darauf verlassen, daß ich ihn soweit wie möglich im Auge behalten werde und daß ich sofort zuschlagen werde, wenn er gegen das Gesetz verstößt.

Was wollen Sie gegen einen solchen Burschen machen, Elliot? Solche Kreaturen sind doch keine Partner für Sie. Wozu müssen so junge Menschen das Schicksal immer und immer wieder versuchen?

»Albertson ist für mich nur eine Brücke«, sagte Elliot. »Ich werde über ihn Zugang zum Crystal Palace finden. Ich muß und will in den Crystal Palace kommen.

Mister Earp, verstehen Sie mich doch! Ich habe von Tombstone geträumt während vieler Jahre. Ich kannte Ihren Namen schon, als ich noch in die Schule ging. Damals waren Sie in Dodge angekommen und hatten dort mit Milt Rice aufgeräumt. Tombstone war mein Ziel. Und niemand als Sie selbst weiß besser, wie hart mein Ritt hierher gewesen ist. Im Grand Canyon bin ich in den roten Felsbastionen abgerutscht und nur durch ein Wunder gerettet worden…«

»Yeah, und das Wunder hatte blauschwarze Haare mit Silberfäden drin und lief auf bunten Mokassins durch den Canyon. Und wenn Sie nicht so ein elender Stoffel wären, hätten Sie sich bei dem Indianer bedankt.«

John Elliot fuhr zwei Schritte zurück. »Woher wissen Sie das?« stammelte er.

Wyatt winkte ab. »Ich kenne den alten Indianer seit Jahren und immer wenn ich den Grand Canyon passiere, suche ich ihn auf.«

Der Nevadamann fuhr sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe.

»Yeah, das wollte ich Sie überhaupt fragen, Marshal. Wie kam es eigentlich, daß wir einander so oft begegneten?«

»Beim erstenmal war es Zufall. Beim zweitenmal hörte ich Ihre Schüsse auf den Berghahn. Beim drittenmal hörte ich die Schlägerei in der Kneipe, wo draußen Ihr Pferd stand. Und beim viertenmal verriet mir auch wieder Ihr Wallach, daß Sie in der Nähe waren. Und da Sie mir ein arger Unglücksvogel zu sein schienen, habe ich mich ein wenig nach Ihnen umgesehen.«

Daß der Marshal auf dem gleichen Trail einen Mörder oben von Oregon her nach Süden verfolgt hatte und bei den Diamont Mountains schließlich gestellt hatte, daß er beim letzten Mal, als er Elliot in St. David heraushieb, wieder von einem anderen Ritt in die Augustin Plains oben in New Mexico zurückkam, davon sprach er nicht.

Elliot ging zur Tür und blickte auf die Straße hinaus. Tief sog er die Abendluft ein. In den Häusern wurden die Lichter angezündet.

»Eine herrliche Stadt, dieses Tombstone«, sagte der Bursche mit verklärten Augen.

Wyatt warf ihm einen raschen Blick zu, hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Er beschloß, nichts mehr zu sagen.

Was ging ihn schließlich der Bursche an? Wenn er mit Gewalt in die Hölle reiten wollte, so war das seine eigene Sache.

»So long, Marshal«, sagte Elliot. »Und denken Sie daran, ich werde im Crystal Palace spielen.«

Wyatt sah hinter ihm her. Sah, wie sich der schwarze Gehrock eng um seine breiten Schultern spannte. Sah, wie er die schwarzen Stiefeletten unsicher aufsetzte und sich bemühte, den derben harten Cowboyschritt hinter dem leichten federnden Gang des Gamblers zu verbergen.

Der Missourier blieb ruhig hinter seinem Pult stehen und spannte die Linke um den Federhalter, so hart, daß der Holzstab zerbrach.

Wyatt schleuderte die Reste in den Papierkorb. Dann nahm er seinen Hut vom Haken und schnallte seinen Waffengurt um. Er mußte in Websters Shop einen neuen Federhalter für Virgil kaufen.

Er hatte noch einen flüchtigen Blick durch das Hoffenster geworfen und wollte zur Tür, als er draußen den leichten, federnden Schritt eines Mannes hörte, der sich zu dieser Gangart weder zu bemühen noch zu verstellen brauchte.

Es war der Schritt Doc Hollidays.

Und gleich darauf stand er auch schon selbst im Türrahmen. »Hallo, Marshal!«

»Hallo, Doc.«

Der Georgier blieb in der Tür stehen und blickte über den Vorbau. »Sie hatten Besuch?«

»Yeah.«

Der Spieler kniff das linke Auge ein.

»Netter Bursche.«

Wyatt Earp nickte und schob die Unterlippe vor.

Da hörte er den Gambler sagen: »Schätze nur, daß er nicht lange machen wird.«

Wyatt trat auf den Vorbau hinaus, verschränkte die Arme und blickte in die andere Richtung.

»Wieso? Finden Sie, daß er schlecht aussieht?«

»Das auch«, entgegnete der Spieler ungerührt. »Aber er hat so merkwürdige Augen, die erinnern mich an die Augen der Kälber, die zum Schlachthaus geführt werden. Was will der Bursche von Joric Albertson? Will er etwa mit ihm spielen?«

»Höchstwahrscheinlich. Er träumt vom Crystal Palace. Will da sitzen wie Doc Holliday.«

Der Gambler lachte in sich hinein. »Gibt es so was auch?«

»Anscheinend ja.«

Holliday tippte an seinen Hutrand.

Und der Marshal, der hinter ihm her sah, wußte genau, was er jetzt dachte: Wie kann sich ein gesunder, junger Mensch Nacht für Nacht in den Spielsalon hocken?

*

Elliot hatte eine Zeitlang bei Hatch gesessen und den Spielen zugesehen.

Der Salooner war zu ihm gekommen und hatte ihn gefragt, ob er denn keine Lust hätte, mitzuspielen.

Nein, er hatte keine Lust.

Gegen elf verließ er die Schenke und ging in die fünfte Straße. Vorbei an den hellerleuchteten Fenstern des Crystal Palaces.

Dann ging er auf den Hof, an seinen Lieblingsplatz vor dem großen Fenster, von wo aus man den Spielsaal so ungestört übersehen konnte.

Plötzlich tippte ihm jemand auf die Schulter.

Tödlich erschrocken fuhr er herum und wollte den Colt hochreißen.

Er blickte in die Augen Doc Hollidays. Blitzschnell hatte der Spieler seine Linke auf die Colthand des Nevadamannes gepreßt.

»So ist das schon falsch, Mister. Sie müssen sich entweder gar nicht umdrehen, oder aber zur Seite werfen und schon während des Werfens ziehen, so daß Sie sofort schießen können, wenn Sie in Front sind.«

John Elliot schluckte.

»Ich habe nicht gewußt, daß Sie hier sind, Doc.«

Holliday zündete sich eine Zigarette an.

»Das ist ein hübscher, stiller Ort hier, wo einen niemand sucht und wo man die Hammel da drinnen in dem Pferch wie in einem Theater beobachten kann. Ich bin übrigens einer dieser Hammel, die man meistens da sehen kann…«

Elliot lachte gezwungen.

»Ein Freund von mir spielt drinnen.«

»Ich weiß – Sie meinen Joric Albertson. Daß er ein Freund von Ihnen ist, wußte ich allerdings nicht.«

Wieviel lieber hätte der kleine Cowboy Elliot den König aller Gambler und Gunmen seinen Freund genannt. Statt dessen mußte er diesen pockennarbigen widerlichen, entlassenen Sträfling und Totschläger seinen Freund nennen.

»Vielleicht werde ich einmal mit ihm spielen«, sagte er stockend, »da drinnen, an den grünen Tischen.«

»Finden Sie, daß das etwas Besonderes ist?«

»Yeah, Doc – etwas ganz Besonderes!«

»Well, kommen Sie!«

»Wohin…?« stammelte Elliot.

Aber der Georgier war schon auf das Tor zugegangen.

Mit raschen Schritten und klopfendem Herzen folgte Elliot ihm. Sie gingen über den Vorbau auf die Tür des Crystal Palaces zu.

In dem Augenblick, in dem Holliday die Schwingarme auseinanderstieß, glaubte der Cowboy aus Nevada, das Paradies öffne sich ihm. Langsam folgte er dem Spieler.

Herman Cramer, ein Gambler, der zuweilen im Hatch Saloon auftauchte und hier nur eine Randfigur abgab, schob sich dem Burschen, der einen etwas zu großen Abstand zu Holliday hatte entstehen lassen, in den Weg.

»He, was will denn der kleine Cowboy hier im Crystal Palace?« meinte er schnarrend.

Da stach ihm Hollidays klirrende Stimme in den Nacken: »Wo bleiben Sie, Elliot?«

Cramer wich zur Seite. Hell and devils! Doc Holliday also hatte den Cowboy mitgebracht. Das war natürlich etwas anderes. Wen der mitbrachte, der war hier schon so gut wie Stammgast.

Holliday steuerte zielgerade auf Joric Albertsons Tisch zu.

In die Stille, die um den Spieltisch des entlassenen Sträflings herrschte, sagte Doc Holliday:

»Mister Albertson, mein Freund Elliot hätte gern eine Partie mit Ihnen gemacht. Sie haben Ihr Spiel ja gerade beendet. – Jonny, setzen Sie sich hier hin. Der Gentleman da ist ganz sicher so liebenswürdig und macht Ihnen Platz.«

Es gab niemanden im Crystal Palace und auch sonst nirgends in dieser Stadt, der etwas gegen die Eiseskälte und absolute Bestimmtheit dieser Stimme hätte ausrichten wollen.

Der entlassene Sträfling nickte in erzwungener Freundlichkeit. Der ›Gentleman‹ war so nett, Platz zu machen. Und der Cowboy John Elliot setzte sich an den mit grünem Filztuch bezogenen Tisch.

Nur für einen Moment blickte er hinüber zu der gewaltigen Theke, über der an zwei schweren verzierten Eisenarmen je zwei große Kerosinlampen hingen und dessen Rückfront gebildet wurde, vor dem zwei Holzsäulen angebracht waren. Drei weißbeschürzte Männer eilten geschäftig hinter der Theke hin und her.

Doc Holliday wandte sich von dem Spieltisch ab und tauchte im Gedränge der Theke unter.

Wütend blickte Albertson den Cowboy an. Was fiel diesem Burschen ein, sich an Doc Holliday zu hängen? Er, Albertson, hatte nicht im Traum daran gedacht, den Burschen hier hereinzubringen, der nur ein kleiner Spieler war und kein Geld hatte. Well, er hatte mal privat irgendwo mit ihm pokern wollen, um ihm etwas abzuknöpfen, aber niemals hatte er die Absicht gehabt, diesen stinkigen Cowpuncher, wie er ihn bei sich selbst nannte, in den Crystal Palace zu bringen.

Damned, dem würde er es jetzt geben!

Sie spielten schon eine halbe Stunde mit wechselndem Erfolg, als Elliots Strähne kam. Er gewann und gewann.

Und ganz plötzlich, trotz bester Karten, verlor er. Und zwar derart rasch, daß seine Dollartürmchen zu schmilzen begannen wie der Schnee an der Sonne.

Albertson spielte falsch. Geschickt und lässig – aber falsch.

Und plötzlich stand der Nevadamann auf. »Sie spielen falsch, Albertson.«

Wie eine Feder flog der Revolver des ehemaligen Sträflings hoch. John Elliot hatte nicht die geringste Chance gegen diesen Schützen.

Ein Schuß fauchte von der Wand her an den Spieltisch – und Joric Albertsons Revolver wurde hochgewirbelt.

Doc Holliday hatte geschossen.

»Er hat recht, Albertson, Sie haben falsch gespielt!« erklärte der Gambler eisig.

Da warf sich Albertson urplötzlich herum und wollte Holliday mit einem Schuß seines zweiten Revolvers niederstrecken.

Er hatte Pech.

Die Kugel des Georgiers riß ihn zurück und warf ihn von den Beinen.

Totenstille herrschte in der Schenke.

Dann kam Wyatt Earp. Er warf Doc Holliday einen fragenden Blick zu.

Aber es gab nichts zu diskutieren. Die Männer erklärten einstimmig, wie es gewesen war. Joric Albertson hatte ohne Anruf schießen wollen.

Hollidays erster Schuß hatte ihn nicht einmal verletzt. Der zweite hatte ihm die angehobene rechte Hand im Gelenk zerschmettert; die Kugel war weiter in die rechte Brust gedrungen.

Der Falschspieler Joric Albertson würde nie wieder eine Karte anrühren.

Elliot stand steif wie eine Marionette da und sah auf den Marshal.

Der winkte ihm.

Als sie draußen waren, führte Wyatt Earp den Burschen in den Hof.

Entgeistert starrte der Cowboy auf den Georgier, der seelenruhig auf Joric Albertsons Platz saß und mit einem anderen Partner pokerte.

Elliot blickte entgeistert auf den Gambler, dann sah er den Marshal

an.

»Was hat er für Nerven!«

»Ich habe es Ihnen doch gesagt, und ohne diese Nerven kommen Sie da drin nicht aus. Ohne diese Nerven wären Sie jetzt ein toter Mann.«

Der Marshal wußte genau, daß Doc Holliday dem Burschen eine Lektion hatte erteilen wollen, schon, als er ihn mit in die Schenke nahm. Er kannte Albertson, diesen bösartigen Raubtiermenschen, und wußte, wie er reagieren würde.

Aber der Bursche aus Nevada verstand auch diese bittere Lehre nicht.

Am nächsten Vormittag tauchte er wieder im Marshals Office auf.

»Ich wollte Sie noch etwas fragen, Mister Earp.«

Wyatt sah von seiner Arbeit auf. »Bitte?«

»Weshalb haben Sie Ike Clanton neulich in St. David nicht einfach festgenommen?«

Wyatt zog die linke Braue tief in die Stirn.

»Erstens war er nicht mehr in der Stadt, Cowboy, und zweitens hatte ich keinen Grund, ihn festzunehmen.«

»Keinen Grund? Wozu brauchen Sie immer so viele Gründe? Sie sollten diesen Verbrecher einfach dingfest machen.«

»Sie stellen sich die Dinge alle zu leicht vor, Jonny. Ich kann nicht einfach einen Menschen festnehmen, von dem ich vermute, daß er gegen das Gesetz verstoßen hat. Ein Marshal hat seine festen Vorschriften, nach denen er sich zu richten hat. Es hat alles seine Ordnung, und ohne diese Ordnung gäbe es ein heilloses Durcheinander in diesem rauhen Land.«

»Aber jeder im County weiß, daß Ike Clanton ein Bandit ist, ein Bandenführer sogar…«

Wyatt unterbrach ihn rasch. »Seien Sie sehr vorsichtig mit dieser Behauptung, Boy. Das könnte Ihnen sonst wieder teuer zu stehen kommen. Ike Clanton ist der geschickteste Outlaw, den es gibt. Es ist bisher weder mir noch meinem Bruder gelungen, ihn auf heißer Tat zu ertappen. Well, jeder weiß, wer er ist. Aber niemals haben wir ihm etwas beweisen können. Das ist das Gesetz Amerikas, Jonny Elliot, und es wird es auch noch einige Jahrzehnte bleiben, schätze ich.«

»Aber dieser Desperado hat überall seine Leute stehen…«

»Das haben Rebellen auch, Boy. Haben Sie noch nie etwas von Freiheitshelden gehört? Drüben in Mexiko gibt es eine ganze Menge von dieser Sor-

te.

Isaac Clanton hat etwas von den Olivgesichtern gelernt: Er spielt hier so eine Art Freiheitsheld von Arizona. Daß er dahinter ganz eindeutige Verbrechen verbirgt, muß bewiesen werden. Und ich werde es beweisen.

Jedenfalls habe ich ihm untersagt, hier im Stadtgebiet seine Herden durchzutreiben. Ich habe ihm ferner untersagt, seine Kolonne hier in den Straßen aufmarschieren zu lassen.«

»Und…?« fragte Elliot gespannt.

»Zur Zeit geht es gut. Aber es wird nicht von Dauer sein. Die Ranch seines Vaters liegt nur etwas über zwanzig Meilen von hier entfernt. Er gehört hierhin, kennt hier jedermann, jeden Baum und jeden Strauch, hat überall Freunde und Menschen, die ihm irgendwie verpflichtet sind. Der Kampf gegen diesen Mann ist schwer.«

Das leuchtete dem Burschen wenigstens ein.

»Aber was soll daraus werden? Da muß doch eines Tages ein ganz großer Knall kommen.«

»Das fürchte ich auch«, entgegnete der Missourier, ohne zu ahnen, daß dieser ›große Knall‹ in der Mittagsstunde des 26. Oktober drüben in dem Wagenabstellplatz O.K.-Corral, an dem er hundertmal vorbeigegangen und geritten war, losplatzen würde…

Elliot rieb sich das Kinn.

»Sie wollen mich hier weghaben. Well, darf ich Ihnen mal etwas sagen, Marshal? Gehen Sie. Lassen Sie die Clantons rauben und schießen und morden, soviel sie wollen. Retten Sie Ihr Fell!«

Wyatt lächelte ihn an.

»Yeah, Boy, es ist schon etwas dran an dem, was Sie da sagen. – Aber leider geht es nicht. Wir tragen den Stern.«

»Aber Sie sind doch Marshal von Dodge!«

»Schon. Und hier ist mein Bruder Gesetzesmann…«

»Die Stadt hat doch noch einen Sheriff.«

»Yeah. Gut, daß Sie mich an ihn erinnern, ich hatte schon vergessen, daß es ihn gibt. Er ist übrigens auch ein Freund Ike Clantons.«

»Ach…?«

»Yeah.«

»Daß er ein Laumann ist, wußte ich schon am ersten Tag, als ich nach Tombstone kam. Aber daß er zu den Clantons gehört, ist mir neu.«

»Er wäre sonst nicht Sheriff hier, Boy.«

Elliot stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne aus. »So hängt das also zusammen!«

»Genauso.«

»Dann sollten Sie erst recht gehen, Marshal. Und Ihr Bruder mit. Denn durch diesen Sheriff bekommt die Bande ja noch einen Anstrich von Legalität oder so…«

»Yeah – Sie sind nicht einmal so dumm, Jonny. Jedenfalls, was die Sorgen anderer Leute betrifft. In Ihren eigenen Sachen sind Sie leider erheblich dickfälliger.«

»Vielleicht…«

»Bestimmt! Ich wollte Ihnen übrigens noch sagen, weshalb ich hier sein muß. Mein Bruder hat hier einen bösen, harten Stand, wie Sie ja nun festgestellt haben. Er hat keinen Helfer. Und die Bevölkerung pendelt schon aus Angst auf die Seite der Clantons hinüber. Das liegt doch auf der Hand.«

Elliot nickte.

Wieder lächelte der Marshal.

»Da mein Bruder aber auch ein Earp ist und eben nicht geht, muß ich ihm beistehen.

In Dodge habe ich Ruhe geschaffen. Ich habe Bat Masterson, Bill Tilghman und ein paar andere Männer dort, die den Laden inzwischen eisern hüten.

Hier wird Ordnung geschafft! Verlassen Sie sich drauf. Und wenn es noch so hart wird. Sehen Sie, dieses Arizona ist ein eigenartiges Land. Es ist von wilder Schönheit und glühender Hitze. Oben in den Canyons herrscht eisige Kälte, und hier leben wir mitten in einer richtigen Wüste. Nirgends in den Staaten haben sich die Indianer so lange halten können wie gerade hier…«

»Yeah, ich weiß, Cochise.«

»Richtig. Und deshalb müssen wir auch dem Gesetz noch etwas Spielraum geben. Es konnte sich hier offenbar nicht so schnell durchsetzen wie anderwärts…«

»Aber was ist das für ein irrsinniger Job, Mister Earp?«

»Es ist mein Job, Jonny. Ich habe ihn mir freiwillig gewählt. Und alles, was ich dafür tun muß, ist nichts weiter als meine Pflicht.«

Elliot ging langsam zur Tür.

»Ich beneide Sie nicht, Wyatt Earp. Früher habe ich von Ihnen geträumt. Aber heute weiß ich, daß Sie ein Mühlrad am Hals haben.«

»So schlimm ist es auch wieder nicht, Jonny. Es wäre mir übrigens bedeutend lieber, wenn Sie Ihren anderen Traum, den von Tombstone und vom Crystal Palace aufgeben würden. Es ist ganz sicher ein böser Traum.«

»Ich kann nicht, Marshal. Es ist mein Leben, wie das mit dem Stern Ihr Leben ist. Ich will ein großer Gambler und Gunman werden. Die Menschen sollen Achtung vor mir haben, weil ich gefährlich bin. Wie sie Achtung und Angst vor Ihnen und Doc Holliday haben!«

»He, Cowboy, Sie vergleichen da zwei Dinge miteinander, die nichts miteinander zu tun haben. Es ist ein Unterschied, ob ich den Stern genommen habe, oder ob sich ein braver Nevadacowboy entschließt, Revolvermann zu werden.«

John Elliot war schon an der Tür.

»Ich war gestern im Crystal Palace – mit Doc Holliday. Heute werde ich allein hineingehen. Ganz allein. Ich, John Elliot aus Loroy, der dreckige kleine Cowpuncher aus Nevada, werde am grünen Spieltisch des Crystal Palace sitzen und mit den Großen pokern!«

Wyatt sah mit plötzlich mißtrauischer, fast besorgter Miene in das Gesicht des neunzehnjährigen Weidereiters.

»Hören Sie, Jonny, ich habe einen Ritt zu machen, zu einer Farm in der Nähe. Da sind irgendwo Rinder gestohlen worden. Wollen Sie mich nicht begleiten?«

»No!« Elliot winkte ab. »Einmal ist es Ihnen gelungen, mich an Wheeler zu verkaufen. Ich mag nicht mehr. Ich hasse die Weide, ich hasse das Lasso und den Sattel. Ich hasse die Chapperals und alles, was nach Rindern stinkt…«

»Trotzdem, Cowboy. Ich würde mich freuen.«

Elliot wurde schwankend. Schließlich hatte ihm der Marshal auch manchen Gefallen getan. So sagte er zu.

Sie ritten zusammen aus der Stadt. Nebeneinander. Beide trugen sie offene graue Hemden, enge Levishosen, hochhackige Stiefel und kurze dünne Westen.

Der Marshal sah den Burschen an, als sie aus den Sandflächen auf eine Grasebene kamen.

»Na, Jonny – ist das nicht doch dein Leben hier? Sieh mal, drüben steht eine Herde…«

»Sie ist gut. Wie ist das möglich, bei diesem Futter?«

»Die Rinderart hier ist kernig und unempfindlich – und doch gut im Fleisch. Sie würde oben auf den grünen Weiden Colorados oder Wyomings eingehen…«

Sie kamen auf Holbers Farm.

Wyatt Earp wußte, daß Doc Goodfellow heute dort war. Die Frau war krank. Zufällig hatte der Marshal es am Abend vorher gehört, wie einer von Holbers Leuten den Arzt fragte, ob er am nächsten Tag nicht auf die Farm kommen könne.

Der Missourier hatte seinen Plan. Von Doc Holliday wußte er, daß Doc Goodfellow früher einmal Nervenarzt war, daß er jahrelang an der Ostküste in einer Heilanstalt gearbeitet hatte.

Aber der Plan des Marshals zerbrach an John Elliot. Kurz bevor sie in das Farmtor einritten, hielt der Cowboy sein Pferd an. Er starrte in den Hof.

Dann stieß er heiser hervor: »Nein, ich will nicht. Ich will nicht mehr mit Rindern zusammenkommen. Ich habe Sie durchschaut, Wyatt Earp! Sie wollten mich wieder mit meinem einstigen Leben in Verbindung bringen! Ich will aber nicht mehr! Ich bin Gambler.

Und damit Sie es wissen, jeden Morgen um sechs Uhr bin ich draußen im Sandloch, sieben Meilen südlich von der Stadt, und…«

»Ballere da herum«, antwortete der Missourier. »Das weiß ich längst, Jonny!«

Wyatt sah zu dem schwarzen zweirädrigen Wagen hinüber, der unweit vom Tor unter einem Wagendach stand. Das Pferd hatte sich gerade an der Tränke gelabt. Damit es seinen Platz nicht verlassen konnte, hatte der Doktor die Zügelleine fallen lassen und ein Bleigewicht daran geknotet.

Damned, weshalb kam er jetzt nicht zufällig heraus? Wyatt hätte ihm den Burschen vorstellen können. Vielleicht hätte der Arzt einen Rat gewußt.

John Elliot wandte das Pferd. »Ich reite bis an den Hügel dort, Marshal. Ich werde da warten, bis Sie kommen.«

Wyatt Earp ritt auf den Hof.

Nach wenigen Minuten kam er zurück. Doc Goodfellow kam auch mit. Er saß in seinem Wagen und unterhielt sich von dort aus mit dem Reiter.

»Das ist nicht so einfach festzustellen, Marshal. Und wenn – was soll das ändern? Glauben Sie etwa, daß der Bursche irgend etwas anderes machen würde…?«

Nein, das hatte der Missourier nicht gehofft. Er hatte nur gedacht, der Doc könne ihm vielleicht einen guten Tip geben. Und dann hatte er gehofft, das Wiedersehen mit der Weide, der Geruch der Prärie, die Rinder, die Pferde und der weite freie Himmel – all dies könnte vielleicht doch den jungen Menschen umstimmen, der doch aus dieser Welt kam, und in die andere, in die er sich hineindrängte, gar nicht paßte.

Doc Goodfellow unterhielt sich auch mit Elliot kurz. Als sie dann in Tombstone waren, schüttelte er nur unmerklich den Kopf, als er sich von Wyatt Earp verabschiedete.

Elliot sah ihm nach.

»Er – hat er vielleicht einen guten Job, Marshal?«

»Doch, Jonny, er hat einen guten Job. Die Leute brauchen ihn, weil er ihnen hilft.«

Elliot dachte darüber nach, dann fragte er: »Weshalb kann man eigentlich nichts gegen den Richter von St. David machen?«

Krause Gedanken huschten durch das Hirn des Cowboys, fand Wyatt Earp.

»Der Sheriff nannte mir erst einen anderen Richter – und dann kam er mit diesem Kerl.«

Der Marshal winkte ab. »Wer weiß, vielleicht war der Mann einmal Richter. Heute jedenfalls hat er nichts zu bestellen. Für St. David ist Richter Gordon aus Tombstone zuständig…«

Der Tag verging, und als der Abend kam, schlenderte der Bursche über die Gehsteige. Er kam am Marshals Office vorbei, und als er es leerstehen sah, wollte er weitergehen.

Er wollte. Aber er blieb doch stehen und fragte einen Jungen, der auf der Vorbaukante saß und mit seinen nackten Füßen im Sand wühlte: »Hast du den Marshal gesehen?«

Der Bengel schüttelte den Kopf.

Elliot trat einen Schritt ins Office.

Da hörte er von der anderen Straßenseite die schnarrende Stimme Jonny Behans, des anderen Mannes, der einen Stern in dieser Stadt trug.

»He, Mann, was suchen Sie da?«

Elliot fuhr herum. Dann brach er in eine schallende Lache aus.

»He, Mister Sheriff! Wenn Sie hier herumkrauchen, dann ist das ja ein Zeichen dafür, daß nichts los ist in Tombstone.«

Behan trat dicht an den Vorbaurand und warf den Kopf hoch wie ein Sperling, der sich aufpusten wollte. »Was soll das heißen, Mann?«

»Daß Sie der prächtigste Sheriff sind, den ich je gesehen habe, Mister Behan!«

Der Mann mit dem Stern wurde um einen Schein bleicher. Dann wandte er sich ab, denn mehrere Leute auf der Straße waren schon aufmerksam geworden.

Und wenn Jonny Behan etwas haßte, dann die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen. Er lebte lieber in zurückgezogener Stille und völlig allein.

Immer noch stand John Elliot auf dem Vorbau des Marshals Office. Er spürte, daß ihm irgend etwas fehlte. Die dunkle Nähe des Missouriers, die irgendeine Kraft auszuströmen schien.

Plötzlich glaubte er im Office ein Geräusch gehört zu haben.

Richtig, die Tür zum Hof war geöffnet worden. Elliot rannte wie ein Junge auf das Office zu und blieb in der Tür stehen, um dem Marshal seine Freude darüber nicht zeigen zu müssen, daß er endlich kam.

Eine hochgewachsene Gestalt erschien hinten im Türrahmen. Und als sich der Mann dann umdrehte, blickte der Cowboy in das Gesicht Virgil Earps.

»He, was gibt’s denn? – Ach, Sie

sind’s! Damned, ich dachte, Sie wären längst weg.«

»Nein«, erwiderte der Bursche enttäuscht.

»Na, und wie haben Sie sich herausgemacht«, versetzte der Gesetzesmann mit nicht zu überhörendem Spott. »Ein richtiger Gentleman ist er geworden, der kleine Cowboy aus Nevada.«

Mit gesenktem Kopf stand Elliot da, und wieder lag der harte, verschlossene Zug auf seinem Gesicht.

Virgil steckte sich eine Virginia an und bot auch dem Burschen eine an.

»Rauchen Sie, Boy, das wirkt. Da sieht man älter aus. Das heißt, gesund ist es natürlich nicht. Die Luft auf der Weide ist besser…«

Elliot biß sich auf die Unterlippe. Er hätte Virg gern gefragt, wo Wyatt war, aber er vermochte es doch nicht.

Was hätte es auch an allem geändert? Nichts. Wyatt Earp war doch auch dagegen, daß er sich hier aufhielt. Aber die Tatsache, daß man ihn kannte, daß man mit ihm sprechen konnte, hatte etwas so Beruhigendes an sich gehabt…

Jetzt erst, in diesem Augenblick, als er sich von der Tür des Offices abstieß, kam ihm dunkel zum Bewußtsein, daß dieser Wyatt Earp eigentlich der einzige Mensch in der Stadt war, den er kannte, der mit ihm sprach, ohne Geld von ihm zu wollen, der ihn als Menschen achtete.

Nellie Cashman? Sie war viel zu beschäftigt, als daß sie sich richtig um ihn hätte kümmern können.

Und Meyer? Der sah ihn überhaupt nicht mehr an, wenn er ihm auf der Straße begegnete.

Und die anderen alle wollten doch nur alle sein Geld. Wollten ihn beim Spiel über die Ohren hauen. Wenn man es genau überlegte, waren sie sogar alle seine Feinde.

Wo mochte der Marshal sein?

Gedankenverloren blickte der Bursche die Straße nach Westen hinunter. Wäre es nicht das beste gewesen, wenn er den Rat des Marshals befolgt hätte und weggeritten wäre?

Da sah er mehrere Reiter die Straße heraufkommen. Einen von ihnen erkannte er sofort: Joric Albertson.

Rechts neben ihm ritt ein fahlgesichtiger, mittelgroßer Mann mit seltsam farblosen Augen und hellem Haar. Er trug den schwarzen Habit des Gamb-lers und hatte den Waffengurt über den Rock geschnallt. Tief über beiden Oberschenkeln hingen die Revolver.

Links neben Albertson hing ein Riesenkerl im Sattel. Er hatte das Gesicht eines Schlägers, kleine, schräge, tiefsitzende Augen und vorstehende Jochbeinknochen. Auch er war in den Habit eines Gamblers gepreßt worden.

Hinter den dreien ritten noch zwei jüngere Männer, die einander wie ein Ei dem anderen glichen.

John Elliot blickte den Reitern mit finsterem Blick entgegen. Bildete er es sich nur ein, oder hielten sie tatsächlich auf ihn zu?

Vorsichtig schob er mit der Rechten den Rockschoß hinter dem Revolver zurück.

Da waren plötzlich Schritte hinter ihm; harte, sporenklirrende Schritte.

Albertson und seine Männer änderten sofort die Richtung auf die Straßenmitte zu.

Elliot wandte sich um und blickte in die Augen Wyatt Earps. »Marshal…!«

Der Missourier sah ihn ruhig an.

»Hallo, Cowboy. Wollten Sie Ihre Kollegen nicht begrüßen?«

»Kollegen?« knurrte der Bursche verärgert. »Sie wollen doch nicht behaupten, daß diese Strolche meine Kollegen sind?«

»Ich? Nein, aber Sie sagen mir doch immer wieder, daß Sie ein Gambler wären, der im Crystal Palace spielen will. Und das da sind Leute, die im Crystal Palace spielen.«

Elliot sah den Reitern düsteren Blickes nach.

»Verbrechergesichter«, knurrte er. »Einer wie der andere. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie im Crystal Palace gern gesehene Gäste sind.«

»Ganz sicher nicht, Cowboy«, versetzte der Marshal. »Aber solange sie sich nicht gegen das Gesetz stellen, kann man auch nichts gegen sie tun. Es sind gerissene Spieler, denen so leicht niemand etwas vormacht.«

»Auch der bullige Kerl da links?«

»Oh, das ist Abe Gray. Yeah, auch er ist ein Gambler, aber was ihm an geistigen Qualitäten fehlt, ersetzt er durch Muskelkraft und durch eine Reihe guter Freunde. Mirco Plicat zum Beispiel ist einer seiner Freunde…«

»Plicat?« unterbrach ihn der Cowboy. »Den Namen habe ich doch schon gehört.«

»Yeah, er ist nicht nur ein berüchtigter Spieler, sondern auch ein gefährlicher Revolvermann.«

»Ist es etwa der Bursche, der rechts von Albertson reitet?« fragte Elliot ahnungsvoll.

Wyatt nickte. »Yeah, Cowboy, es sind alles Kollegen, liebe Kollegen.«

Der Marshal tippte an den Hutrand und ging weiter.

Es war die letzte Warnung, die der Nevada Cowboy erhalten sollte.

Wyatt Earp war in der Tür des Offices stehengeblieben und warf einen Blick auf den Rücken des Burschen. Als er sah, daß Elliot sich in Bewegung setzte, hätte er ihm nachschreien mögen: Bleib hier, Cowboy! Bleib weg aus der Spielhölle da drüben. Hol deinen Gaul und reite zurück…

Eine alte Frau kam keuchend über den Vorbau heran. »Marshal! Meine Ziege ist wieder gestohlen worden.«

Der Missourier wischte sich mit seiner großen braunen Hand durchs Gesicht.

»Na, das ist ja scheußlich, Mrs. Plitterswyck. Ist sie nicht schon zweimal weggekommen?«

»Ja«, rief die Frau immer noch außer Atem.

»Und hatte sie sich nicht jedesmal in irgendeinem Corral verlaufen?«

»Ja, aber heute ist sie wirklich gestohlen worden. Sie müssen unbedingt mitkommen, Marshal.«

Mit Riesenschritten kam der Salooner der Alabama-Bar über die Straße gelaufen.

»Marshal, schnell, eine Schlägerei! Drei Mexikaner und Minenarbeiter! Sie demolieren uns den ganzen Laden.«

Wyatt schob sich den Hut etwas aus der Stirn. »Ist mein Bruder denn nicht…«

»Nein«, unterbrach ihn der junge Mann, »der ist schon am Rose Tree Saloon aufgehalten worden, da hat’s auch Krawall gegeben.«

»All right, ich komme…« Und sich an die alte Frau wendend, erklärte er: »Anschließend komme ich dann gleich zu Ihnen, Mrs. Plitterswyck.«

»Hach«, jammerte die Alte, »wenn Sie dann noch leben!«

*

John Elliot hatte eine Weile unschlüssig vorm Eingang des Crystal Palace gestanden, als plötzlich die Pendeltüren aufgestoßen wurden und Joric Albertson im Türrahmen erschien.

Mit verkniffenem Gesicht fixierte er den Burschen. »Na, Mister Elliot, wohl Angst, was? Angst, reinzukommen.«

Dem Cowboy stieg das Blut in die Schläfen.

»Nein, Mister Albertson, wovor sollte ich Angst haben?«

»Vielleicht vor mir?«

Joric hatte beobachtet, daß Wyatt Earp weggerufen worden war.

John Elliot ging langsam neben Albertson her. Er hatte ein seltsames Gefühl in der Brust.

Albertson ging etwas vornübergebeugt. Er trug den verletzten Arm in der Schlinge. Sein Gesicht war verkniffen und hart.

Elliot warf einen raschen Blick auf ihn und fragte: »Wie geht es Ihnen?«

»Ganz gut«, preßte Albertson heiser hervor, ohne seinen lodernden Zorn verbergen zu können.

»Die Kugel saß nicht tief und hat nicht viel Schaden angerichtet. Ich hatte Glück.« Er lächelte schnarrend. »Sie ist in meiner Tabaksdose sitzengeblieben.«

»Können Sie denn noch spielen?« forschte Elliot.

»Nein, ich spiele selbst nicht mehr, aber ich habe Kollegen. Die spielen für mich.«

Elliot hatte einen raschen Blick in den Spielsaloon geworfen und festgestellt, daß Doc Holliday nicht anwesend war.

»Kollegen?« wiederholte er. »Sie meinen Mirco Plicat und Gray.«

Albertson schoß ihm einen forschenden Blick zu. »Yeah, sie spielen meist gegenüber im Oriental Saloon. Aber heute sind sie hier. Ich habe Plicat schon von Ihnen erzählt. Er ist ganz scharf darauf, gegen Sie zu spielen.«

Gegen Sie! hatte er gesagt. Und damit fast schon alles verraten. Plicat und Gray waren also nur seinetwegen hierhergebracht worden.

Der Cowboy blieb einen Augenblick an der langen Theke stehen, setzte eine seiner blankgeputzen Stiefeletten auf die schimmernde Messingfußleiste und blickte auf die kleinen Vorhänge, die rechts und links vor die Seitenspiegel gezogen waren.

Da sah er für einen Augenblick in dem großen Spiegel sein Gesicht. Es sah erschreckend aus. Blaß, eingefallen, mit tiefen dunklen Schatten unter den Augen.

Da fühlte er sich am Arm gepackt. »Kommen Sie, Elliot. Die Gents warten schon.«

Plicat saß bereits am Tisch. Aber Gray stand hinter ihm, setzte sich aber sofort in Bewegung, um hinter dem Stuhl Platz zu nehmen, auf den Albertson den Cowboy schob.

Das Spiel begann. Wortlos und in größter Feindseligkeit.

Die große Uhr neben dem Flaschenschrank drüben an der Theke zeigte elf Uhr und siebzehn Minuten, als es geschah. Plicat sprang plötzlich auf.

»Sie spielen falsch, Elliot.«

Der Cowboy saß wie gelähmt da. Er spürte, daß ihn irgend jemand anfaßte. Dann fiel eine Spielkarte neben ihm zu Boden. Er blickte zur Seite und sah in das faunische Gesicht Albertsons.

»Das war ein Kreuz As, Cowboy. Es kam aus deinem Ärmel.«

John Elliot stand langsam auf. Er spürte, daß seine Beine zitterten und seine Hände schweißnaß waren.

»Falschspieler!« brüllte Plicat gellend.

Und als sich der Bursche dann noch nicht rührte, wurde er von dem bulligen Gray herumgerissen und mit einem Faustschlag gegen die Wand geschmettert. Zusammengekrümmt lehnte Elliot da und starrte die Männer an.

Albertson stieß seinen Stuhl zurück.

»Ich weiß noch mehr von dir, Dreckskerl. Du hast zwei Männer ermordet und solltest in St. David hängen. Weiß der Teufel, wie dir die Flucht gelungen ist.«

»Macht doch kurzen Prozeß mit ihm«, kam da plötzlich eine Stimme von der Theke her, die dem Burschen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Es war Ike Clanton. In seiner abgerissenen Cowboytracht stand er da. Hoch aufgerichtet, die Daumen in den Waffengurt gehakt, mit gepreizten Beinen.

Dieser Mann war sich seiner Macht bewußt. Wer außer ihm hätte es gewagt, sich in diesem Aufzug in den Crystal Palace zu begeben?

Elliot wollte sich aufrichten, als ihn die Faust Grays erneut traf.

Da riß der Nevadamann blitzschnell seinen Colt aus dem Halfter und hieb die Waffe dem Goliath ins Gesicht.

Aber in diese Bewegung hinein feuerte Plicat. Und Joric Albertson hatte ebenfalls geschossen.

Als sich der Pulverrauch verzogen hatte, herrschte eisiges Schweigen in der Schenke.

Wie angenagelt stand der Nevadamann an der mit schweren roten Blumenmustern und goldenen Säulen geschmückten Wand.

Da flogen vorn die hölzernen Schwingarme der Pendeltür auseinander. Wyatt Earp stand in dem Raum.

Drei Männer wichen zur Seite.

Aber Ike Clanton stellte sich mitten in den Weg. »Was wollen Sie, Wyatt? Hier ist alles in Ordnung.«

Der Marshal schob den Desperado mit der rechten Hand zur Seite und ging weiter.

John Elliot lehnte verkrümmt an der Wand und sah ihn mit glasigen Augen an. Dann rutschte er ganz langsam an der Wand hinunter.

Als Plicat den Marshal gesehen hatte, war sein Gesicht von einer fahlgrünen Blässe überzogen worden.

Und noch einmal brüllten Schüsse im Crystal Palace auf.

Der Mörder Mirco Plicat hatte die Nerven verloren. Er schoß auf den Marshal. Aber die Reaktion des Mannes aus Missouri war gedankenschnell gewesen. Er warf sich mit der Bewegung Plicats zur Seite, und im Fall brüllte der große Buntline Special auf.

Plicats Kugel hatte den Marshal verfehlt – und traf statt dessen Joric Albertson. Sie drang dem Banditen in die Herzspitze.

Plicats rechtes Ellbogengelenk war zerschmettert.

Der Marshal sah Plicat an. »Vorwärts, Boy, du kommst mit ins Jail. Richter Gordon wird das richtige Urteil für dich finden…«

Wyatt Earp sah sich um und blickte in die kalten gelblichen Augen Ike Clantons.

»Das waren doch auch deine Freunde, Ike, nicht wahr? Wie die Burschen drüben in St. David, die den Jungen schon hängen wollten. Ich warne dich, Ike.«

Der Bandenführer wandte sich um und ging mit harten Schritten auf die Tür zu.

Da trat Doc Holliday ein.

Der Desperado blieb stehen.

Wyatt Earp wechselte einen raschen Blick mit dem Georgier. Da ging Holliday langsam an dem Banditen vorbei zur Theke.

Virgil Earp stürmte herein.

»Ike! Verdammt noch mal!« brüllte er. »Was ist hier wieder los?«

Der Bandit sah den Sternträger spöttisch an.

»Du kommst zu spät, Virg. Das hat dein großer Bruder schon in Ordnung gebracht…«

Wyatt Earp Paket 2 – Western

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