Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 17

Оглавление

Das silberne Band des Westcreek schlängelte sich durch die Rio Blanco Prärie im oberen Colorado. Ein leichter Wind, der von den Bergen kam, kräuselte die Wellen des Flusses und bog das kniehohe Büffelgras.

Der Rancher reckte seinen bärenhaften Schädel und blickte über das weite Land. Drüben in der Talsenke stand ein Teil seiner gewaltigen Herde. Hinter den Hills waren die Boys bei den anderen Tieren. Viertausend Rinder und neunzehn Reiter – das hatte John Walker auf seiner Weide stehen. Und diese Weide war ein Land ohne Zäune, ein Land, das zu umreiten man länger als einen vollen Tag benötigte.

Hier oben auf dem windigen Hügel standen sieben große festgefügte Holzbauten, die den Stürmen der Zeiten, Indianerangriffen, Überfällen weißer Banden und den beiden großen Tornados getrotzt hatten, die im Lauf eines Vierteljahrhunderts gegen ihre Wände anstürmten.

Die Walker Ranch suchte ihresgleichen im Umkreis von dreihundert Meilen. Die Herde stand gesund da und das Gras war nirgends besser als drüben an den Hängen der Silver Hills, die zu Walkers Land gehörten. Überall zogen sich die kleinen perlenden Creeks durch das Land und sorgten für das Leben in der Weide.

Und doch stand in dem wetterbraunen Gesicht des etwa sechzig-jährigen Mannes eine steile Falte, die sich bis hinauf zu dem silbergrauen Haaransatz zog. Um die Mundwinkel des Ranchers zogen sich zwei tiefe Kerben.

Er hatte alles bekommen, was er sich vom Leben gewünscht hatte, der Mann aus Kenntucky, der vor fast drei Jahrzehnten mit seiner Frau Hazel hierher nach Colorado gekommen war, um ein neues Leben aufzubauen. Der Herrgott hatte ihm seine Wünsche ausnahmslos erfüllt.

Sogar einen Jungen hatte er ihm geschenkt.

Aber mit diesem Geschenk schien der Herr dort oben über den gelbroten Wolken am blauen Coloradohimmel seinen Zins für all das andere gefordert zu haben, das er dem Kentucky Man gegeben hatte.

Der heute fünfundzwanzigjährige Jerry hatte dafür gesorgt, daß dem Rancher der Wermutstropfen im Lebensbecher nicht erspart blieb.

Jerry war mittelgroß, von kräftiger Statur, hatte flachsblondes Haar und ein Gesicht, das den Vater nicht

verleugnen konnte. Gutgeschnitten, kantig und herrisch. Ein echter Walker.

Vielleicht habe ich mir allen Kummer, den ich durch ihn erleiden muß, selbst zuzuschreiben, sagte sich der Alte, als er jetzt nach Westen blickte, wo in der Ferne eine Staubwolke aufstieg.

John Walker hatte plötzlich eine große Schweißperle auf der Stirn stehen. Er wußte, daß die da kamen, um ihn zu holen.

Jerry hatte einen Mann erschossen!

Nachdem er fünfundzwanzig Jahre lang hatte tun und lassen dürfen, was er wollte, nachdem der Vater und auch die Mutter ihm in seiner Jugend jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, nachdem er schon mit sechs ein Pferd, mit neun eine Winchester und mit dreizehn einen Lohn wie ein richtiger Cowboy bekommen hatte, hatte es ja eigentlich gar nicht anders kommen können.

Mit sechzehn hatte er hinter der Scheune den rothaarigen Cowboy Coele Neverman angeschossen, im Streit, Neverman war gegangen, wortlos und ohne Groll, weil er den Boß schätzte und nicht daran dachte, ihm Ärger zu machen.

Mit siebzehn hatte der junge Walker drüben in Hickory einem Büffeljäger in Websters Bar die linke Hand zerschossen, obgleich der Mann selbst keinen Revolver hatte und angetrunken war. Auch damals hatte der Alte noch alles abbiegen und mit einer Geldsumme aus der Welt schaffen können.

Aber diesmal war nichts mehr zu machen; einen Toten konnte der Rancher nicht mehr lebendig machen.

Es war der 9. Mai des Jahres 1881 gewesen.

In Hickory, an den Westhängen der Grand Hogburk Hills, war nach dem langen Winter ein strahlender Frühling eingezogen.

Mike Jenkins, der den Gold Dollar Saloon schon seit Jahren schließen wollte, weil er angeblich nichts einbrachte, hatte an diesem Tag nichts zu jammern.

Der junge Jerry Walker hatte dafür gesorgt, als er nach einem Kartenspiel den Sohn des schwedischen Emigranten Ole Anderson auf dem Vorbau der Schenke nach kurzem Wortwechsel mit seinem fünfundvierziger Revolver niederschoß.

Die große Kugel war dem sechs Fuß langen Schweden in den Hals gedrungen und hatte ihm keine volle Minute mehr vergönnt. Er war tot, noch ehe der bleichgesichtige, dünne Doc Bregart bei ihm ankam.

Es waren drei Männer auf der Straße, die die Szene beobachtet hatten: Jeff Hendriks, der zweiunddreißigjährige Helfer des Blacksmith Simbals. Der neunzehnjährige Eddie Babitt, der in Hillmers Mietstall arbeitete. Und der siebenunvierzigjährige Cliff Benton, der draußen vor der Stadt eine Schafsfarm hatte und deshalb nirgends sonderlich gut angesehen war.

Nat Danwood, der drüben aus Websters Bar gekommen war, sah nur, wie Anderson fiel. Er rannte sofort los, um den Sheriff zu holen.

Ohne Hast war Jerry Walker vom Vorbau hinuntergestiegen und hatte sich in den Sattel seines Weißfuchses gezogen. Dann war er nach Osten aus der Stadt geritten.

Vierunddreißig Meilen trennten die Stadt von der Walker Ranch. Eine Strecke, die stark anstieg und nur von einem guten Pferd in vier Stunden bezwungen werden konnte.

Jerry Walker hatte das beste Pferd, das es im ganzen County gab.

Es war nur wenige Minuten nach drei, als er in den Ranchhof ritt.

Die Cowboys, die nicht auf der Weide und den beiden Vorcamps waren, arbeiteten in den großen Corrals, in der Scheune und in den Ställen.

Niemand hatte den jungen Walker kommen sehen.

Nur der Rancher selbst. Er sah, wie Jerry hinter dem Wohnhaus herumritt und, einer Gewohnheit aus der Kinderzeit folgend, gleich vom Sattel durchs Fenster in sein Zimmer jumpte.

Der Vater hatte das schweißnasse Pferd gesehen und ging sofort in das Zimmer seines Sohnes, das wie sein eigenes zu ebener Erde lag.

»Was ist passiert, Jerry?« fragte er heiser.

Er sah, wie der Bursche in aller Ruhe seine Sachen zusammenpackte und sein Geld zählte.

»Ich habe Ole Anderson erschossen.«

Yeah, das hatte er gesagt. So, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt.

Der Rancher hatte den Atem angehalten und glaubte, sein Herz müsse stehenbleiben.

»Was – was hast du?« brach es endlich heiser von seinen Lippen.

»Ich habe es dir doch gesagt: Ich habe Ole Anderson erschossen.«

Der Alte kam zwei Schritte näher und senkte seinen mächtigen Löwenschädel.

»Du hast Ole Anderson – du hast ihn erschossen?«

»Yeah!« gab der Bursche rauh zurück, während er unbekümmert weiter seine Sachen zusammenpackte.

»Du hast ihn im Gunfight – getötet, Jerry?«

»Im Gunfight! Wie man es nimmt. Er hat mich beleidigt, da sind wir vor die Tür gegangen, und ich habe diesen käsegesichtigen Dreckskerl aus den schmutzigen Stiefeln geknallt.«

»Geknallt…?« stammelte der alte Mann. »Und er, hatte er auch eine Waffe in der Hand?«

»Ich weiß es nicht!«

»Willst du damit sagen, daß du nicht weißt, ober er überhaupt eine Waffe bei sich hatte?«

»Yeah!« Jerry warf den Kopf hoch und in seinen gelblichen, etwas zu weit auseinanderstehenden Augen blitzte es wild auf. »Yeah, das will ich damit sagen. Was kümmert es mich, ob dieser Dreckskerl eine Waffe bei sich hatte oder nicht? Er hat mich beleidigt!«

John Walker richtete sich auf und sog die Luft tief in seinen mächtigen Brustkorb ein.

»Wo – war es?«

»In der Mainstreet. Vor Mike Jenkins’s Gold Dollar Saloon.«

»Und – waren – waren Zeugen zugegen?«

Jerry Walker hatte sich ein frisches Hemd angezogen und sein Kleiderbündel zusammengeschnürt. »Hör zu, Dad, ich weiß nicht, ob Zeugen dabei waren. Es ist mir auch völlig einerlei. Ich habe Ole ausgeblasen, und damit ist die Sache für mich erledigt, verstehst du?«

»Aber sie werden dich doch suchen! Sie werden dir folgen. Du weißt genau, daß du mehr Feinde als sonst was in der Stadt hast. Seit du Florence Campbell so gekränkt hast…«

»Auch das ist mir einerlei, Dad!«

Plötzlich hatte der Alte einen großen Armeerevolver in seiner behaarten braunen Faust.

Jerry hielt verblüfft inne und starrte auf die Waffe, deren Mündung auf ihn gerichtet war.

Der Bursche hob langsam den Kopf und blickte in die harten grauen Augen des Ranchers.

»Was soll das…?« preßte er mit belegter Stimme durch die Zähne.

»Was das soll? Das kannst du dir doch wohl selbst ausrechnen.«

»Du willst mich niederknallen?«

»Nein, aber ich werde dich daran hindern, zu fliehen.«

In die Augen des Jungen trat ein lauernder Zug.

»Fliehen? Wer will denn fliehen?«

»Du willst nicht fliehen?«

»Nein, wozu denn? Ich werde für das, was ich getan habe, einstehen.«

»So?« Der Rancher senkte den Colt. »Well, wenn es so ist, dann ist es gut. Es ist deine Sache, was du getan hast. Du bist alt genug und mußt es selbst wissen. Ich gehe jetzt hinaus und werde nachsehen, ob Cirby schon zu sehen ist.«

»Das ist er ganz bestimmt noch nicht.«

Der Rancher sagte leise: »Yeah, denn dein Pferd sah sehr strapaziert aus!«

»Ich bin eben scharf geritten.«

»Ich will hoffen…«

»Was?«

»Daß du nichts weiter beabsichtigst.«

Jerry schlug eine kurze schrille Lache an.

Da ging der Viehzüchter hinaus.

Im Hof war niemand zu sehen.

Drüben aus dem Geräteschuppen kamen die Hammerschläge, mit denen der kleine Jonny Brown einen neuen Hackenstiel bearbeitete.

Irvin Leclerc und James Kennedy arbeiteten ziemlich geräuschvoll oben in der Scheune.

Drüben vom Corral her kam das klatschende Geräusch der neuen Gatterlatten, die der alte Havelock mit dem Mestizen Pawel ablud.

Der Rancher trat bis an den Rand des Vorbaues und blickte nach Westen.

Noch war nichts auf der Prärie zu sehen. Und das Land war von den ersten zehn Sonnentagen schon ziemlich staubig geworden. Wenn also ein Reiter herankam, dann zog er immer eine Staubfahne, die weit eher als er selbst zu sehen war.

Pawel, der Indianer, wie sie ihn nannten, vermochte eine solche Staubfahne schon auf eine so unglaublich weite Entfernung hin zu sehen, daß man noch in aller Ruhe ein Mittagsmahl hätte verzehren können, ehe der Reiter die Ranch erreicht hatte.

John Walker hatte das Dach der kleinen Scheune links im Blickfeld, deshalb stieg er von der Veranda des Wohnhauses herunter und überquerte mit schwerem, müdem Schritt den Hof.

Am Küchenfenster stand seine Frau und sah ihm nach.

Wie alt er doch geworden war, dachte sie, und vermochte das schmerzliche Gefühl in der Brust bei seinem Anblick nicht zurückzuhalten. Ja, er war alt und grau geworden. Eigentlich schon zu früh.

Mrs. Hazel Walker wußte, daß ihr Sohn Jerry ein groß Teil Schuld daran trug, daß der Rancher so früh gealtert war.

Wie oft war der Mann nachts aufgestanden und hatte sein Pferd gesattelt, um den Sohn suchen zu gehen. Wie manche Winternacht hatte er wachend vorn im Eckzimmer am Fenster gesessen!

Und dann zogen wieder die Bilder vergangener, glücklicher Tage am geistigen Auge der Frau vorbei. Sie sah den Tag, an dem sie John Walker den Jungen geschenkt hatte, noch wie heute vor sich.

Ganz stolz war er gewesen, wie ein König hatte er den Neugeborenen auf seine Arme genommen und hochgehoben.

»Du bist mein Prinz«, hatte er gesagt. »Und ich will alles tun, damit du es einmal besser haben wirst, als ich es hatte.«

Der junge Walker hatte seinen Eltern die große Liebe, die sie an ihn gewendet hatten, schlecht, bitter schlecht belohnt.

Denn wenn der Rancher sein Pferd nachts aus dem Corral geholt hatte und den Sohn suchen ging, hatte auch die Frau gewacht. Mit brennenden Augen und einer Decke um die Schultern hatte sie am Fenster gesessen und in die Nacht hinausgelauscht. Wenn ihr Mann dann wieder zurückkam, hatte sie sich rasch wieder hingelegt, weil er nicht wollte, daß sie mitwachte, und weil sie ihm ihre Sorgen nicht zeigen durfte. Auch sie hatte diese Sorge um den mißratenen Sohn zerfressen, an ihrer Lebenskraft und Gesundheit genagt. Schon bald hatte ihr das Herz zu schaffen gemacht. Aber sie war still gewesen, all die Jahre hindurch. Um des Mannes willen.

*

John Walker schritt auf das Ranchtor zu.

Er blieb erst stehen, als er wußte, daß er von den Häusern, die den weiten Ranchhof säumten, nicht mehr gesehen werden konnte.

Da verharrte er, beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete den westlichen Horizont.

Plötzlich zuckte er zusammen. Scharfer Hufschlag drang an sein Ohr.

Er kam von der Ranch.

Und dann sah John Walker den Reiter, der von der Rückseite des Wohnhauses aus davonsprengte.

Er floh!

Sein Sohn Jerry floh vor dem Gesetz, gegen das er sich vergangen hatte.

Mit einem dumpfen Schmerz krampfte sich das Herz des alten Mannes zusammen. Wie taub stand er da und starrte vor sich hin.

Es war die furchtbarste Stunde seines Lebens.

Aber er ging nicht zurück ins Haus. Er blieb auf seinem Posten und beobachtete weiter den Horizont im Westen.

Und da – wie ein winziger gelber Punkt stieg plötzlich hinter dem abfallenden Plateau eine Staubfahne auf, die sich wie ein hastendes Gespenst über die Savanne fortbewegte.

»Cirby.« Tonlos waren die beiden Silben von den Lippen des Ranchers gekommen.

Ganz langsam und mit seltsam hölzernen Bewegungen wandte er sich um und ging aufs Haus zu.

Die Frau sah ihn kommen – und wischte sich mit einem Schürzenzipfel durch die Augen.

Lieber Himmel! Wie alt war er doch wirklich geworden. Hatte sie vorhin, als er zum Tor ging, noch geglaubt, sie bilde es sich ein, so war es jetzt zur Gewißheit für sie geworden, als sie ihn kommen sah. Vornübergebeugt, mit hängenden Schultern und schleppendem Schritt, eingefallenem Gesicht und mit gesenktem Blick.

*

Sie konnte ja nicht ahnen, daß er zwischen diesen beiden Gängen ein furchtbares Erlebnis gehabt hatte…

Dann sah die Frau etwas Seltsames: Ihr Mann hatte sich hinter der Scheunenecke auf den schmalen Vorbau gestellt und sah sich nach dem Tor um, als erwarte er jemanden, den er überraschen wolle.

Die Minuten krochen dahin. In äußerster Anspannung stand die Frau hinter der Gardine und blickte zu ihrem Mann hinüber, dessen merkwürdiges Gebaren ihr um so sonderbarer vorkam, als weit und breit niemand zu sehen war.

Da! Ein Reiter preschte durchs Hoftor. Er hielt auf die Scheune zu, sprang vom Pferd und warf die Zügelleine über den Querholm.

Es war Dick Cirby, der Sheriff von Hickory.

Er schob seinen Revolver nach vorn über den rechten Oberschenkel und ging mit schweren Schritten vorwärts.

Jetzt hatte er die Ecke der Scheune erreicht. Und im nächsten Augenblick glaubte die Frau drüben in der Küche des Ranchhauses, das Herz müsse ihr stehenblieben.

Ihr Mann hatte plötzlich einen Revolver in der Faust, nahm ihn hoch und riß ihn mit aller Kraft auf den Schädel des Sheriffs nieder.

Der Getroffene schwankte noch einen Schritt vorwärts und sackte dann in die Knie. Ohne noch einen Laut von sich geben zu können, rutschte er auf den harten lehmgestampften Boden des Ranchhofes.

Walker wandte sich um, löste die Zügelleinen des Braunen, mit dem der Sheriff gekommen war, und jagte das Tier mit einem Hieb auf die Hinterhand davon.

Hazel Walker hatte die Linke auf ihr Herz gepreßt. Mit ungläubigen Augen sah sie zu, wie ihr Mann den Niedergeschlagenen hinter die kleine Scheune zerrte.

Sie konnte ja nicht wissen, daß Walker so zugeschlagen hatte, daß der Gesetzesmann nur betäubt, nicht aber lebensgefährlich verletzt oder gar getötet werden konnte.

Walker lief hinüber ins Haus.

Er ging in die Küche. Und als er den zuckenden Rücken seiner Frau sah, wußte er, daß sie ihn beobachtet hatte. Stumm stand er in der Tür und starrte mit gläsernem Blick vor sich hin.

Hazel Walker wandte sich um und sah ihn an.

»John…«, stammelte sie. »Du mußt – es mir – du mußt es mir erklären.«

Der Mann hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt und sah an seiner Frau vorbei. Er konnte nichts erklären. Was hätte er ihr auch erklären sollen?

Ein trockenes Schluchzen erschütterte die Brust und schließlich den ganzen Körper der unglücklichen Frau.

Plötzlich glaubte sie verstanden zu haben. Sie glaubte wenigstens, zu ahnen, daß es mit Jerry zusammenhing.

»John – es war wegen ihm, nicht wahr?«

Nur unmerklich bewegte sich der massige Schädel des Ranchers.

»Sag mir doch, was los ist, du mußt es mir sagen!«

Aber der Viehzüchter brachte es nicht über sich. Er senkte den Kopf und starrte auf seine staubigen Stiefelspitzen.

»John…!«

Der Rancher sog die Luft tief ein und wandte sich langsam um.

Mit schleppendem Schritt ging er wieder zur Scheune hinüber, wo der Niedergeschlagene eben zu sich gekommen war, am Boden saß und benommen um sich stierte.

Sheriff Cirby sah die schweren Stiefel vor sich und blickte an dem Mann, der da stand, hinauf.

»Mr. Walker?«

Der Rancher sah ihn verschlossen an.

Cirby nahm den Hut ab und rieb sich den Schädel. »Ich – ich glaube, ich bin vom Gaul gestürzt, he? Oder…?«

Der Rancher schwieg auch dazu.

Da hielt Cirby inne und sah den Rancher von unten herauf forschend an.

»He, ich bin niedergeschlagen wor…« Er sprang auf und stand schwankend auf seinen Beinen. Ein mittelgroßer, magerer Graukopf mit zähem Ledergesicht und hellen Augen.

»Jerry! Wo ist er?«

»Ich weiß es nicht, Sheriff«, entgegnete der Alte. »Er ist weggeritten.«

»Weggeritten!« stieß Cirby rauh hervor. Er war immer noch benommen. Aber plötzlich dachte er an sein Pferd. »Ich muß ihm nach, Rancher…«

»Und weshalb?« suchte Walker ihn aufzuhalten.

»Das werden Sie noch früh genug erfahren!« Cirby rannte um die Scheunenecke und blieb wie angenagelt stehen.

Sein Pferd war verschwunden.

»Verdammt…!«

Er wandte sich um und sah in das harte, wie zu Eis gefrorene Gesicht des Viehzüchters.

»Vielleicht sagen Sie mir doch, weshalb sie hinter Jerry her sind.«

Er hatte »Jerry« gesagt; weil er nicht den Ausdruck »mein Sohn« über die Lippen zu bringen vermochte.

Cirby, der seinen Hut wieder aufgesetzt hatte, riß ihn sich vom Schädel und rieb sich die schmerzende Stelle, wo ihn Walkers Revolver getroffen hatte.

»Well, ich werde es Ihnen sagen, Rancher, und diesmal ist es bitter für Sie. Jerry hat einen Mann erschossen.«

Das Gesicht des Viehzüchters blieb unbewegt.

Cirby sah ihn fassungslos an.

»Er hat einen Mann getötet, Mr. Walker, verstehen Sie denn nicht? Er hat ihn niedergeschossen. Der andere hatte keinen Revolver im Halfter. Jerry hat ihn…«

»… ermordet!« vollendete der Rancher eisig.

Cirby hatte den Kopf vorgestreckt und die Augen aufgerissen. »Yeah«, sagte er mit belegter Stimme. »Yeah, Rancher. Er hat ihn ermordet.«

»Haben Sie es gesehen?«

Cirby blickte erstaunt auf.

»Ich? Nein, aber andere haben es gesehen.«

»Wer?« fragte der Rancher, und es schien, daß er es ohne jede Erregung gefragt hatte.

»Wer…? Warten Sie: Der alte Danwood war es. Yeah, er kam ins Office gerannt und schrie: ›Sheriff, Jerry Walker hat Ole Anderson erschossen!‹«

»Ole Anderson«, wiederholte der Rancher leise.

Cirby sah ihn von der Seite an. Wie mußte dem Alten zumute sein! Jeder im County wußte, daß er ein rechtschaffener und braver Mann war; jeder wußte aber auch, daß er seinen Sohn über alles geliebt hatte.

Damals, vor Jahren, als Jerry eine schwärende Wunde am Bein hatte, von einem Sturz vom Pferd war sie zurückgeblieben, da trommelte der Rancher die Ärzte aus der ganzen Umgebung herbei. Und als die auch nicht zu helfen vermochten, fuhr er mit seinem Jungen nach Denver hinunter ins Spital. Jede Woche ritt er über die Berge den weiten Weg nach Denver hinüber. Mitten im Winter, bei Eis und Schnee. Einmal tobte sogar ein Blizzard, als sie den Rancher unverdrossen durch Hickory ostwärts reiten sahen.

An diese Zeit mußte der Sheriff denken. Daran und an manches andere. Wie furchtbar mußte es diesen Mann getroffen haben.

Aber Dick Cirby war nicht gekommen, weil er den Vater eines Mörders bedauern wollte. Er hatte seine Pflicht zu erfüllen.

Während er seinen Hut in den Händen drehte und völlig zerknüllte, sagte er:

»Ich brauche ein neues Pferd, Mr. Walker. Jerry hat mich gesehen, mir hier aufgelautert, mich niedergeschlagen und mein Pferd verjagt.«

»Können Sie das beweisen?« fragte der Rancher rauh.

»Beweisen?« fragte der Sheriff verblüfft. Nein, das konnte er natürlich nicht. Aber wie sollte es anders gewesen sein? Jerry mußte ihn hier aufgelauert haben, um ihn niederzuschlagen.

»Ich brauche ein Pferd, um einem Mörder zu folgen, Mr. Walker«, sagte er dumpf, wobei er jedoch den Blick des Viehzüchters vermied.

»Ich habe keine Pferde zu verschenken, Sheriff.«

»Zu verschenken? Wer will es denn geschenkt haben?«

»Können Sie es bezahlen?«

Cirby schluckte vor Zorn.

»Nein, jetzt nicht. Aber wenn ich wiederkomme…«

»Wiederkomme«, wiederholte Walker gedehnt. »Wer weiß denn, ob Sie wiederkommen?«

Cirby riß die Augen sperrangelweit auf. Er brauchte lange, bis er den tieferen Sinn der Worte des Ranchers begriff.

Walker wandte sich um und sagte über die Schulter: »Kommen Sie, wir suchen einen Gaul für Sie im Corral.«

Es war nicht das beste Pferd, auf dem der Sheriff eine Viertelstunde später davonritt. Aber er hatte es sich selbst ausgesucht. Und John Walker hatte ihn getrost in den Corral führen können, denn die Gäule, die da gerade standen, waren alle nicht viel wert. Keines der Tiere wäre je imstande gewesen, den Weißfuchs oder den Grauschimmel, den Jerry aus dem Stall geholt hatte, einzuholen.

John Walker stand in der Mitte des Hofes und erwiderte nicht den Gruß des Sheriffs, der mit einer hilflosen Geste an seinen Hutrand getippt hatte.

Langsam wandte sich der alte Mann um und ging zurück ins Haus.

Im Korridor sah er seine Frau. Er ging an ihr vorbei, wortlos und mit gesenktem Kopf.

Als er die Treppe zum Obergeschoß erreichte hatte, hörte er das leise unterdrückte Schluchzen von der Küchentür her.

John Walker stand oben in dem Zimmer, in dem er seine Geldkiste stehen hatte. Er öffnete sie, steckte mehrere Bündel mit Geldscheinen in seine Taschen und ging mit schwerem dumpfem Schritt wieder hinunter.

Wieder trat die Frau in den Flur. Sie sah, daß er seinen schwarzen Melbahut aufgesetzt hatte und seine Jacke vom Haken nahm.

Als er schließlich an der Tür die Windchester aus dem Gewehrständer nahm, lief sie ihm nach.

»John! Wo willst du hin?«

»Ich muß ihm nach – versteh mich doch…«

*

Es regnete.

Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet; es goß wie aus Kübeln. Von den Vorbaudächern rann es in silberweißen dicken Fäden herab. Und unten am Straßenrand hatte sich schon eine dunkle Rille von mehreren Inches Tiefe gebildet.

Die Straße sah trübselig und öde aus. Überall standen die großen Lachen und spiegelten den verhangenen Himmel wider. Sulphur war eine der graubraunen Bergstädte, am Ende des großen Rio Blanco Plateaus gelegen, an einem Osthang, wo der Wind den Regen hart und erbarmungslos gegen die Häuser trieb.

Von Westen her kam ein Reiter in die Mainstreet. Das Pferd stampfte durch die nasse Erde.

Es war ein mittelgroßer Mann, der da im Sattel saß. Sein Gesicht war gebräunt, gutgeschnitten und regennaß. Sehr wach sahen die gelblichen, etwas zu weit auseinanderstehenden Augen zu den Häusern hinüber, suchten das schmutzige Dunkel der Vorbauten zu durchdringen, um durch den Regenschleier hindurch etwas erkennen zu können.

Jerry Walker, der Mörder, hatte so viele Meilen zwischen sich und seinen Verfolger gebracht, daß er glaubte, sich hier eine Rast gönnen zu können.

An einer Ecke entdeckte er einen Saloon. Obgleich es noch Nachmittag war, brannten im Schankraum schon die Lichter.

Walker lenkte seinen Grauen an den Querholm und rutschte steif aus dem Sattel. Er warf die Zügelleinen mit einer schwerfälligen Bewegung über die Halfterstange und stieg auf den Vorbau.

Die Nässe triefte nur so von ihm herunter.

Der Mann trat an eines der Fenster heran, warf einen Blick durch die beschlagenen Scheiben und ging dann auf den Eingang zu.

Die Tür der Schenke war mit buntem Papier beklebt, wie es in Colorado und in vielen anderen Staaten der kälteren Zonen üblich war.

Durch ein winziges Loch konnte Walker in den Schankraum blicken. Er war voll besetzt. An der langen schmalen Theke drängten sich die Männer. Unter den drei Kerosinlampen lag eine weißlich-blaue Tabakwolke.

Walker wischte sich den Regen aus dem Gesicht und öffnete die Tür.

Das wilde unrhythmische Hämmern eines verstimmten Pianos, das er durch das Rauschen des Regens vor der Tür gar nicht gehört hatte, schlug ihm entgegen.

Walker schloß einen Moment die Augen, um das Regenwasser daraus zu vertreiben.

Dann blickte er zur Theke hinüber.

Das erste, was er sah, war ein fünf-zackiger Stern aus gestanztem Silberblech.

Walker wischte sich noch einmal durch die Augen, um festzustellen, ob er auch nicht etwa träumte. Nein, der Stern blieb. Und auch der Mann, an dessen Brust er befestigt war.

Aber der Mann lehnte mit dem Rücken gegen die Theke und starrte zu den Tischen hinüber. Für die Tür hatte er keinen Blick.

Es war ein junger Mann, fünfunddreißig vielleicht, mit frischem rotem Gesicht und hellen Augen.

Jerry Walker ging zur Theke. Er quetschte sich sogar genau in die winzige Lücke, die zwischen dem Sheriff und einem anderen Mann an der Bordwand der Theke klaffte.

»Einen Fire Point!« rief er dem Keeper zu.

Auch der schwitzende knorrige Salooner sah nicht auf; er war zu beschäftigt.

Und obgleich der rote Feuerpunkt, den der Fremde da bestellt hatte, nicht gerade ein Getränk war, das wie die anderen Sachen, Whisky und Brandy und Bier, laufend bestellt wurden, griff er mit einer mechanischen Geste hinter sich, angelte sich die dickglasige kleine vierkantige Flasche heran und goß ein kleines Glas bis zur Hälfte mit der rubinroten Flüssigkeit voll.

Jerry Walker blickte einen Moment auf den funkelnden Spiegel, in dem ihm sein eigenes Gesicht winzig klein entgegenzitterte.

Sein Gesicht, in einem blutroten Siegel!

Und dann bemerkte er, daß der Mann neben ihm den Kopf gewandt hatte, der Mann mit dem Stern.

»He, Mister, gibt’s da was Besonderes zu sehen in dem Glas?«

Walker hob den Kopf und sah dem Sheriff ins Gesicht.

»Ich weiß nicht. Sie müssen sich einen Fire Point bestellen, vielleicht sehen Sie es dann auch.«

Joe Watson, der Sheriff von Sulphur, lachte und bleckte dabei sein großes weißes Gebiß.

»All right, Jeff, gib mir auch einen Roten!«

Als der Gesetzesmann sein Getränk hatte, hob er es an und starrte hinein.

»He, ich sehe nichts weiter als mein dämliches Gesicht.«

»Das ist verdammt wenig«, meinte Walker und kippte seinen Drink hinunter.

Watson schoß ihm einen schnellen Blick zu und leerte dann auch sein Glas.

»Wo kommen Sie her?«

»Aus Tulsatown.«

»Ah, aus der Ecke. Da haben Sie ja einen ordentlichen Ritt hinter sich, Mann. Schon ein Quartier gefunden?«

»Nein.«

»Verstehe, erst einen Blick in den roten Fire Point werfen, das ist wichtiger.« Watson lachte breit. »Hm, ich glaube, Jonny Carol hier hat noch ein Zimmer. Stimmt’s, Jonny?«

Der Salooner warf den Kopf hoch, während er zwei Flaschen von der Theke wegräume. »Was gibt’s, Sheriff?«

»Ich sagte, Sie haben doch noch ein Zimmer frei?«

Der Salooner richtete seinen Blick nur für den Bruchteil einer Sekunde auf Jerry Walker.

»Nein – alles besetzt.«

Watson wandte sich um und sah Carol an. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Carol. Sie haben da oben drei Zimmer. Wer wohnt denn da drin?«

»Sie sind besetzt«, entgegnete der Wirt knurrend, wandte sich ab und führte die Whiskyflasche blitzschnell über fünf nebeneinanderstehende Gläser.

Watson wandte sich wieder um, stützte sich auf die Ellbogen und starrte grimmig zu den Spieltischen hinüber.

Als er hörte, daß der Mann aus Tulsatown ein Geldstück aufs Thekenblech warf, sagte er:

»Gehen Sie hinüber zum Black-smith und sagen Sie, der Sheriff schickt Sie.«

»Und glauben Sie, daß er für einen klitschnassen Mann noch ein Zimmer hat?«

»Todsicher.«

Walker stampfte hinaus.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fuhr Watson herum und packte den Arm des Keepers.

»He, was hast du gegen ihn? Ich weiß genau, daß kein Mensch bei dir gemietet hat.«

Mit finsterem Gesicht entgegnete der Wirt: »Der Bursche gefällt mir nicht.«

»Und nur weil er dir nicht gefällt, schickst du ihn wieder in diesen Regen hinaus?«

»Yeah, nur deshalb.« Carol drehte sich zur Seite und führte die Whiskyflasche wieder über drei nebeneinanderstehende Gläser.

»Komischer Heiliger«, brummte der Sheriff und zündete sich eine Zigarre an.

Walker hatte indessen seinen Gaul genommen und um mehrere Wasserlachen herum die Straße überquert.

Es wurde dunkler.

In der Schmiedewerkstatt schaukelte eine kleine Kerosinlampe, die wohl mehr der Orientierung diente, denn sie beleuchtete kaum ihre allernächste Umgebung; geschweige denn konnte der Meister bei ihr arbeiten.

Dennoch drang helles klingendes Hämmern bis auf die Straße.

Walker schob das Tor etwas weiter auf. »Hallo!«

Das Hämmern erstarb. »Ja…?«

»Mein Name ist – Wilkins. Der Sheriff schickt mich, er meinte, Sie hätten noch ein Zimmer zu vermieten.

Mit schlurfenden Schritten kam der Schmied ans Tor.

Es war ein vierschrötiger Mann mit rußigem Gesicht und kräftigem Bart. Er hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und in die Seiten gestemmt. Seine grüne Schürze war an mehreren Stellen von schwarzen Brandstellen durchlöchert.

»Zu vermieten?« entgegnete er. »Nein, zu vermieten haben wir nichts, Mister. Aber wenn Joe meint, daß Sie bei uns schlafen sollen, dann ist das all right.« Er wandte sich um und stampfte voran. »Kommen Sie, Mister…«

Er führte den geflohenen Mörder ins Haus, das gleich an die Werkstatt anschloß.

Auf sein Rufen kam eine Frau aus der Küche in den dunklen Korridor, riß ein Zündholz an und hielt es an den Docht einer Lampe. Dann wischte sie sich die Hände ab, als sie sah, daß ihr Mann nicht allein war.

»Jenny, Joe schickt diesen Mann her, er soll hier schlafen.«

Die Frau nickte.

»Es ist gut. Kommen Sie, Mister.« Sie ging mit der Lampe voran und führte Walker die Stiege hinauf ins Obergeschoß, wo sie ihm das kleine Zimmer zeigte.

»Hier. Hoffentlich sind Sie zufrieden?«

Walker nickte.

Der Schmied ging zurück, trat ans Werkstattor und griff nach dem Zügel des Pferdes.

»Komm, Alter, du sollst auch ins Trockene gebracht werden.«

Er führte den Gaul am Haus vorbei in den Stall.

Walker hatte oben vom Fenster aus beobachtet, wie der Schmied dicht an der Wand entlangging und das Pferd von der Straße führte.

Dann kam die Nacht. Auf schwarzen Sohlen ging sie durchs Tal und breitete ihren Mantel über das Bergland aus.

Es war schon nach neun, als der zweite Reiter von Westen her in die abfallende Mainstreet einritt.

Es war ein grauhaariger, schwerer Mann von hohem, kräftigem Wuchs und mit einem Schädel, der massig und halslos auf dem Rumpf saß. Er hielt genau wie Jerry Walker vor der Schenke, rutschte aus dem Sattel, sah sich aber im Gegensatz zu dem Burschen nach einer Stelle um, wo das Tier nicht von dem triefenden Regen erreicht wurde.

Dann stampfte auch er auf den Saloon zu. Da hatte sich noch nichts verändert. Der Fremde fand genau das gleiche Bild vor, das Jerry Walker vorgefunden hatte.

Die Theke war immer noch dicht belagert, und Joe Watson stützte sich immer noch auf seine Ellenbogen, um zu den Spieltischen hinüberzusehen.

Der regennasse Fremde kam an die Theke heran.

Watson nahm den Kopf zur Seite und musterte ihn kurz. Dann rutschte er ein wenig zur Seite, so daß an der Theke noch zwei Handbreit Platz entstanden.

Der Fremde nahm einen Whisky. Watson sah wieder zu den Spieltischen hinüber. So selten kam es schließlich nicht vor, daß ein Fremder in die Stadt kam.

»He, Sheriff, wo kann ich hier ein Quartier bekommen?« erkundigte sich der Fremde, nachdem er seinen Whisky getrunken hatte.

Watson warf einen hämischen Blick auf den Wirt. »Well, bei dem hier ist alles besetzt, wie er mir vorhin sagte. Aber wenn Sie nicht unbescheiden sind, können Sie es vielleicht mal schräg gegenüber bei Mutter Bird versuchen. Die hat manchmal auch einen Raum frei.«

Der Fremde wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und schob sich einen Zigarrenstummel zwischen die Zähne.

Watson reichte ihm Feuer.

»Sie kommen von weither?«

»Yeah, es geht. Oben vom West-creek.«

»Von Hickory?«

»Nicht ganz, ein paar Meilen davor.«

Watson nickte. Dann meinte er: »Wie kann man bei diesem Regen nur im Sattel sein.«

Der Fremde nahm einen Zug aus seinem feuchten Zigarrenstummel und entgegnete: »Haben Sie zufällig heute einen Mann gesehen, der einen grauen Hut trägt, ein graues Hemd, gelbes Halstuch, Lederjoppe, zwei Revolver…«

»Jung?«

»Yeah, fünfundzwanzig.«

Der Sheriff nickte. »Doch. Ist es ein Freund von Ihnen?«

»Ein Freund? Nein…«

»Well, ist mir auch einerlei. Ich weiß ja nicht, ob es der Mann ist, den ich vorhin hinüber zum Blacksmith geschickt habe.«

»Zum Blacksmith…?«

»Yeah. Da sollte er ein Quartier bekommen. Gleich gegenüber.«

Der Fremde warf ein Geldstück auf den Thekenrand, tippte an den nassen Melbahut und stampfte hinaus.

Da, wo er gestanden hatte, schimmerte eine große Wasserlache.

Jerry Walker hatte den Schritt des Pferdes gehört.

Er hatte das Fenster offenstehen, erhob sich und blickte hinaus.

»Damned!« preßte er heiser durch die Zähne. Dann zog er sich in Windeseile an und huschte die Treppe hinunter.

Im dunklen Flur schreckte ihn plötzlich die Stimme des Schmiedes auf. »Wollen Sie in den Hof?«

»Ich muß noch mal zu meinem Pferd.«

»Well, kommen Sie.«

Der Blacksmith führte ihn durch den Gang hinaus.

Als sie nebeneinander im Stall standen, meinte der bärbeißige Hufschmied: »Ich werde die Lampe anzünden, falls Sie noch etwas aus den Satteltaschen holen wollen.«

Walker schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Lampe.«

Der Schmied wandte ihm den Kopf zu. Und plötzlich fragte er leise: »Wollen Sie weg?«

Jerry starrte ihm in die schimmernden Augen. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ich… bin blind, wissen Sie. Da lauscht man mehr in die Welt und auch in sich hinein.«

»Was soll das heißen?«

»Als der Reiter kam, standen Sie auf. Und dann kamen Sie herunter.«

Jerry hatte die Brauen zusammengezogen und preßte dumpf hervor: »Yeah, ich muß weg.«

»All right.«

Der Schmied entfernte sich in das Dunkel des Stalles.

Da knackte der Revolverhahn hinter ihm. Der Alte blieb stehen.

Walker krächzte: »Wo wollen Sie hin?«

»Ihren Sattel holen.«

Der Mörder entspannte die Waffe wieder und wartete, bis der Schmied mit dem Sattel kam.

»Vielleicht erwarten Sie jetzt, daß ich Ihnen irgend etwas erzählen werde«, begann Walker.

Der Blacksmith schüttelte den Kopf.

»Nein, Mister, das erwarte ich nicht. Es ist ein schreckliches Land. Immer sind die Menschen auf der Flucht. Und immer folgen ihnen welche. Früher hatten wir Sorgen genug, den Indianern auszuweichen. Jetzt, nachdem das halbwegs vorbei ist, bekämpften die Weißen sich untereinander. Frieden – den gibt es in diesem Lande nicht.«

Der Mann vom Westcreek nahm sein Pferd am Zügel.

»Werden Sie jetzt dem Sheriff Bescheid sagen?«

»Weshalb?«

»Sie sind doch mit ihm bekannt…«

»Er ist mein Sohn.«

Jerry Walker schrak zusammen. Dann hatte er den Colt plötzlich wieder in der Hand.

Der Schmied stand in der halboffenen Stalltür.

»Schießen Sie nur, Mister, wenn Sie glauben, daß es Ihnen weiterhilft. Ich bin nicht sehr böse, wenn ich dieses finstere Jammertal verlassen muß. Seit mir vor sieben Jahren die Funken in die Augen gekommen sind, ist die Welt düster und tot für mich.«

Der Mörder schob sich an ihm vorbei und stieg im Hof in den Sattel.

Vielleicht war der alte Richard Watson jetzt nur deshalb dem Tode entgangen, weil ihm das Leben tatsächlich nichts mehr galt.

Jerry Walker sprengte aus dem

Tor und war auf der dunklen Main-street.

Drüben sah er das Pferd des anderen. Er führte seinen Weißfuchs über die Straße, schwang sich aus dem Sattel und zerschnitt dem Pferd des anderen die Sattelgurte. Dann sprengte er in die dräuende Regennacht davon.

Es klopfte an der Tür des Schmiedes.

Der alte Watson öffnete. »Ah, das ging schnell…«

»Guten Abend. Ich suche…«

»Er ist schon weg, Mister.«

John Walker wandte sich um und sah auf die Straße hinaus. »Thanks«, murmelte er und stampfte zu seinem Pferd hinüber. Als er nach dem Sattelknauf griff, rutschte er mitsamt dem schweren Sattel in den Schlamm.

Oben am Vorbaurand stand der Sheriff.

»He, was ist denn das…?« Er sprang auf die Straße und half dem Rancher auf. »Ihr Gurt war offen?«

»Nein, Sheriff, er war nicht offen. Haben Sie schon einmal einen Reiter gesehen, der absteigt und seinen Sattelgurt öffnet?«

»Eben nicht.«

»Also…«

Da sah der Sheriff es auch schon. »Damned, die Gurte sind beide zerschnitten!«

»Leider. Wo bekomme ich jetzt einen neuen Sattel her?«

»Warten Sie, der Sattler wohnt gleich hier ein paar Häuser weiter die Straße hinunter. Er arbeitet immer ziemlich lange.«

Gil Abraham war noch in seiner Werkstatt. Er verkaufte dem Rancher einen Sattel, ging mit ihm und dem Sheriff hinaus und half beim Aufschnallen.

Endlich fragte Watson: »Wollten Sie nicht mit dem sprechen, der beim Blacksmith ist?«

»Nein, nicht mehr nötig. Er hat schon mit mir gesprochen.«

Walker stieg auf und ritt davon.

Der Sheriff schob sich den Hut aus der Stirn und sah den Sattler an. »Verstehen Sie das?«

»Nein, aber es geht mich auch nichts an, Sheriff.«

Watson tippte an den Hutrand und ging hinüber auf die Schmiede zu.

Der Vater hantierte noch in der finsteren Werkstatt herum, als der Sohn eintrat.

»Der Mann, den ich geschickt habe…«

»… ist weg!« unterbrach ihn der Alte.

Der Sheriff griff sich in den Nacken und wischte sich einen Regentropfen weg, der sich über den Kragenrand gestohlen hatte.

»Er ist weg«, wiederholte er nur, dann schüttelte er den Kopf und ging wieder hinüber in die Schenke, lehnte sich mit den Ellbogen auf die Theke und sah zu den Spieltischen hinüber.

Die beiden Männer, die nach Sulphur gekommen waren und die die Stadt wieder verlassen hatten, vergaß er bald.

*

Neun Meilen ritt Jerry Walker noch hinunter ins Tal. Dann fand er eine Ansiedlung.

Gleich beim ersten Haus rutschte er vom Pferd und klopfte an.

Es dauerte lange, bis ein Mann einen der Fensterläden um einen Spalt öffnete. »He, was gibt’s?«

»Ich suche ein Quartier.«

»Das Boardinghouse ist kurz vorm Ortsausgang.«

Der Fensterladen quietschte und wurde wieder von innen verriegelt.

Der Flüchtling ritt weiter.

Als er das Boardinghouse erreicht hatte, blickte er an dessen düsterer, regenglänzender Fassade hinauf. Sollte er nicht lieber versuchen, weiterzureiten?

Aber nein, das war heller Wahnsinn. Er war naß bis auf die Haut, und der Weißfuchs war erschöpft.

Walker klopfte an die Tür.

Es dauerte nicht sehr lange, bis ein Lichtschein durchs Schlüsselloch und unter der Türritze hervorfiel. Dann wurde geöffnet.

Es war eine ältere Frau, die eine Nachthaube trug und ein Hemd, das bis auf den Boden ging. Sie trug eine kleine Petroleumlampe in der Linken.

»Ja…?« fragte sie verschlafen.

»Haben Sie noch ein Zimmer frei?«

»Ja. Bringen Sie das Pferd drüben zu Jenkins, wir haben keinen Stall. Ich lasse die Tür offen.«

Walker nickte und sah sich um.

Drüben brannte noch Licht.

Der Mietstallowner war eisgrau und gichtverkrümmt. Mit verzerrtem Lächeln stand er in der Tür und meinte:

»Das hab ich gern! Könnt ihr Brüder nicht am Tage kommen? Jetzt muß ich noch mit meinen lahmen Knochen durch die Nässe laufen.«

»Sagen Sie mir, wo ich das Pferd hinstellen soll, Sie brauchen doch nicht mitzukommen.«

»So seh’n Sie aus, Mann. Das habe ich einmal gemacht. Vor neun Jahren. Als ich am anderen Morgen aufstand, fehlten mir drei Pferde.«

Walker beobachtete, wie der Alte eine abgesägte Schrotflinte hinter der Tür hervornahm und sie durchlud.

»Vorwärts. Nehmen Sie die Lampe da vom Haken.«

Sie stiefelten durch den matschigen Hof.

Als der Weißfuchs untergebracht war, drückte Jerry dem Alten einen Eagle in die Hand.

»He, dafür können Sie einen Monat hier den Gaul logieren lassen.«

»Ich bleibe nur eine Nacht. Der Rest ist für Sie…, wenn Sie schweigen können.«

Der Mann bleib stehen. »Schweigen? Sie, das gefällt mir aber gar nicht. Ich habe nie schweigen können. Wenn man schon krank und verbogen ist, dann will man doch wenigstens reden können. Was glauben Sie, was meine Mary mit mir anfängt, wenn ich plötzlich den Mund nicht mehr aufmache.«

Walker blieb stehen. Er hatte den Revolver in der Faust.

Der Mietstallowner starrte auf die blinkende Waffe. »Was… soll das?« stammelte er.

Ein häßliches Lachen kam von den Lippen des Flüchtlings.

»Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, daß Sie jetzt eine Nacht lang schweigen müssen.«

Der Regen patschte und pitschte neben den beiden auf den aufgeweichten Boden.

»Well«, meinte der Mietstallowner endlich. »Sie sind weitergeritten. Sie haben sich nur nach dem Weg nach Silverlake erkundigt…«

Jerry Walker hatte die Straße überquert. Als er drüben auf dem Vorbau stand, wandte er den Kopf und blickte nach Westen hinunter.

Aber da war nichts als rauschender Regen und eine Doppelfront düsterer Häuserfassaden.

Er stieß die nur angelehnte Tür auf und trat an den Korridor. Als hinter ihm der Türriegel zuschlug, zuckte er zusammen und wirbelte herum.

Hinter ihm stand die Frau.

Der junge Walker starrte sie wütend an. »Sie haben auch eine Art, sich irgendwo aufzustellen!«

»Bitte?«

»Ach, nichts.« Er sah auf die Lampe, die die Frau vorn an die Treppe gestellt hatte. Eine große schwarze Katze hatte sich daneben gesetzt, offenbar, um etwas von der Wärme abzubekommen.

Der Mörder schlief tief und fest bis gegen fünf Uhr. Dann stand er auf und saß eine halbe Stunde später bereits wieder im Sattel.

In regennassen Kleidern ritt er einen ganzen Tag nach Osten hinüber. Mittags gönnte er sich unter dem Vordach einer verlassenen Blockhütte an einem Berghang eine kurze Rast. Er zündete ein Feuer an und kochte sich auf seinem eisernen Dreibein einen Kaffee. Das Brot, das er in der Satteltasche gehabt hatte, war aufgeweicht und hatte den Geschmack von Leder angenommen.

Mit verschlossenem Gesicht ritt der Mörder weiter.

Den ganzen Tag über war er auf keine Ansiedlung gestoßen. Das Bergland war einsam. Nur einmal gegen Mittag hatte er in der Ferne einen Reiter gesehen, der an einem Hang entlang nach Norden ritt.

Es war schon dunkel, als er noch immer im Sattel saß. Nirgends war ein Haus zu erblicken.

Da, gegen neun schimmerte von Südosten ein Lichtschein über das Bergplateau. Walker hielt darauf zu.

Ob das schon Sanfor ist? fragte er sich.

Allmählich tauchten die ersten Häuser auf. Walker hielt an und fragte einen Mann, der mit eingezogenem Kopf über die Straße lief.

»Wie heißt diese Stadt, Mister?«

»Sanfor.«

»Thanks!«

Also doch schon Sanfor. Ein hämisches Lächeln zuckte über das regennasse Gesicht des Verbrechers. So hatte er sie wohl alle abgeschüttelt. Denn wer würde die irrsinnige Strapaze, die er hinter sich hatte, noch auf sich nehmen?

Die Straße sah im triefenden Nachtregen aus wie jede andere Straße. Walker suchte ein Boardinghouse.

Da drüben war ein großes Schild: Hotel. Damned, dann eben in ein Hotel. Es war schließlich einerlei, wo er unterkroch. Jedenfalls mußte er aus den nassen Kleidern heraus.

Steif glitt er aus dem Sattel und stakste auf lahmen Beinen auf den Hoteleingang zu.

Geschlossen!

Er hämmerte gegen die Tür.

Im Nebenhaus kam eine Frau ans Fenster.

»Da ist geschlossen. Der Mann ist drüben im Saloon. Seine Frau ist heute morgen gestorben.«

Walker ging zu seinem Pferd und führte es weiter.

»An der Ecke der zweiten Querstraße ist noch ein Gasthaus!« rief die Frau ihm hinterher.

Es war ein Boardinghouse. Alt, windschief und düster. Auch hier war die Tür schon geschlossen.

Auf das Klopfen des Reiters kam ein alter Mann in dicken Filzstiefeln an die Tür. Er hatte eine Stallaterne in der Hand.

»Ich suche ein Quartier.«

Der Alte zog die Brauen in die kahle Stirn.

»Ja, kommen Sie rein. He, ist das da Ihr Gaul?«

»Ja. Haben Sie keinen Stall?«

»Nein, nebenan, bei Miller, da können Sie das Tier unterstellen. Ich lasse die Tür auf…«

Walker nahm die Zügel und führte das Pferd zum Nachbarhaus.

Das Hoftor stand offen. Der Flüchtige führte das Pferd hinein.

Drüben in der oben offenen Stalltür sah er die Silhouette einer jungen Frau.

»Kann ich mein Pferd für eine Nacht hier unterstellen, Madam? Ich schlafe nebenan im Boardinghouse.«

»Ja…«

Die Frau öffnete die Stalltür und winkte ihm.

Als er an der Tür war, hielt er verblüfft inne. Im Schein der Stallaterne sah er ein bildschönes Mädchen mit dunklen Augen und glatt anliegendem schwarzem Haar vor sich.

»Da drüben die Box neben dem Rappen ist frei!«

Walker nickte und führte das Tier an den angewiesenen Platz.

»Kann ich Stroh haben?«

»Sie wollen das Pferd abreiben?« fragte das Mädchen.

»Ja.«

»Gehn Sie nur. Das mache ich.«

»Nein, das muß ich selbst tun, Miß…«

Sie nickte und brachte ihm eine Garbe Stroh, mit der er sich an das Abreiben des Pferdes machte. Das Mädchen blieb abwartend in der Tür stehen.

Endlich war Walker fertig. Er warf die Strohgarbe weg und rieb sich die Hände an den Hosen ab.

»Sie können sich im Hof die Hände waschen«, meinte das Mädchen.

Er blieb vor ihr stehen und sah sie mit halbgesenktem Kopf forschend an. »Wie heißen Sie?«

»Florence.«

Er schrak zusammen. Florence! Himmel, auch das noch! Mußte er ausgerechnet hier an Florence Campbell erinnert werden, die er oben in Hickory so schmählich behandelt hatte!

»Evening, Miß.« Er schob sich an ihr vorbei.

Vor der Tür stand ein Mann und sah ihn aus großen Augen erwartungsvoll an. »Alles in Ordnung, Mister?«

Walker nickte. Dann stampfe er durch den Hof zur Straße.

Immer noch rauschte der Regen aus dem Schwarzgrau des Himmels.

Der Mann vom Westcreek lief dicht an der Hoffront entlang auf den Vorbau des Boardinghouses. Die Tür stand einen Spalt offen.

Walker trat ein, machte zwei Schritte vorwärts und blieb wie angenagelt stehen.

Die Tür war hart hinter ihm ins Schloß geworfen worden.

Langsam drehte der Verbrecher sich um – und sah in das steinerne Gesicht seines Vaters.

John Walker stand hochaufgerichtet da. Von der aufgeweichten Krempe seines Hutes rann der Regen in kleinen Bächen herunter. Seine helle Lederjoppe war dunkel und schwer. Sein Gesicht war tiefrot, fast bläulich von Regen und Kälte. Tiefe Furchen lagen unter seinen Augen von der Anstrengung des langen Rittes.

Nachdem sich bei Jerry der Schreck gelegt hatte, dachte er: Es hat also doch noch einen gegeben, der den Ritt hierher durchgestanden hat!

»Was willst du?« preßte der Bursche heiser durch die Kehle.

»Ich will dich nach Hickory bringen.«

»Nie!«

»Wenn ich dich nicht hinbringe, schießt dich irgendwo in einer dunklen Ecke ein Kopfgeldjäger über den Haufen. Die Andersons werden fünfhundert Bucks auf deinen Kopf aussetzen.«

Der Mörder lachte kalt. »Reite zurück!«

»Nicht ohne dich!«

Da zuckte die Hand Jerrys zum Gurt. Das Messer blitzte auf. Ehe der Rancher es hindern konnte, saß ihm die Klinge in der Brust.

Mit entsetztem Blick stierte er den Sohn an. Dann sackte er in die Knie.

Der unselige Bursche stürmte hinaus.

Vorm Vorbau stand das Pferd des Vaters. Er hatte es vorhin nicht gesehen, weil er von der Seite gekommen war. Er nahm es am Zügel und zog es bis zum anschließenden Hof.

Das Mädchen und der Mann standen noch im Stall. Sie reinigten leere Boxen.

Walker stürmte herein, holte den Weißfuchs, sattelte ihn auf und zog ihn zur namenlosen Verwunderung der beiden Menschen wieder heraus.

Grußlos ritt er davon.

Der Boardinghouse Owner Joel McIntosh kam aus der Küche und blieb mit schreckensweiten Augen stehen.

»Frau!« schrie er dann. »Frau…!«

Die Frau kam in den Korridor und sah den Mann, der vorn an der Tür zusammengesunken war.

»Um Himmels willen! Ein Messer! Da liegt ein Messer am Boden. Er ist niedergestochen worden! Vorwärts, Frau, hol Doc Bisbane!«

Der alte Arzt kam sofort.

John Walker verdankte ganz sicher nur diesem Umstand, daß er nicht verblutete. Und seine zähe Natur erhielt ihn am Leben.

Aber die Verletzung in der Brust war doch so schlimm, daß er wenigstens eine Woche fest liegen mußte.

*

Der Mann, der seinen Vater niedergestochen hatte, war in der Nacht hinausgeflüchtet. Merkte er noch nicht, daß er bereits ein Ahasver war, ein Gejagter, der nirgends Ruhe fand?

Er ritt nach Osten über das Walodja-Plateau auf die Täler des Birnay-Mounts zu.

Es war eine stürmische Nacht. Gegen zwei Uhr setzte der Regen plötzlich aus. Dafür fegte der Sturm von Westen und trieb den Reiter mit den beiden Tieren vor sich her, riß Äste von den Bäumen und ließ die Regenlachen immer wieder aufspritzen.

Der flüchtige Mörder Jerry Walker erreichte bei Grauen des nächsten Tages die ersten Ausläufer des Birnay. An ihren Hängen sah er schon von weitem die Häuser von Dead West.

Es war das berüchtigte Bergnest, in dem sich die Pelztierjäger von ganz Mittel- und Nord-Colorado trafen, wo mehr Spielhöllen und Bars waren als Wohnhäuser, wo mehr Abenteurer sich ein Stelldichein gaben als sonst irgendwo im Lande.

Sechs Uhr war es, als Walker die Stadt nach schwerem Anstieg auf ausgepumptem Pferd erreichte.

Gleich eines der ersten Anwesen auf der linken Seite war ein Mietstall. Walker hielt darauf zu.

Vorn am Tor lehnte ein langer, hagerer Bursche, der den Hut tief in die Stirn geogen und die Daumen in den Waffengurt gehakt hatte.

»Wohin?« krächzte er, als Walker an ihm vorbei wollte.

»Ich möchte das Pferd hier unterstellen.«

»Haben Sie Geld?« kam es kurz und schnarrend zurück.

»Wieviel kostet es?«

»Einen Tag? Das macht acht Dollar.«

Walker hatte eine tiefe Falte zwischen seinen Brauen stehen und sah den Mann verdutzt an. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Acht Dollar?«

»Yeah.«

»Mann, dafür kriege ich ja bald schon einen Gaul.«

»Kann sein, aber nicht bei mir. Morning.«

»Gibt’s hier noch andere Mietställe?«

»Sure.«

»Und wo?«

»Nebenan.«

»Und…? Kostet es da auch so viel?«

»Mehr!«

»Wie kommt denn das?«

»Das ist ein Wucherer.«

»Thanks.«

Walker ritt weiter. Ein Stück weiter oben in der Straße fand er über einem offenen Tor wieder die Aufschrift: Livery Stable (Mietstall). Er führte sein Tier in den Hof.

Ein vierschrötiger Bursche kam ihm von den Ställen her entgegen. Ohne Gruß fragte er: »Wie lange?«

»Bis morgen früh.«

»Neun Dollar.«

Da rutschte Jerry Walker aus dem Sattel und baute sich vor dem Vierschrötigen auf.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mister?«

Der Mann lachte schief und sah sich nach der Stallung um. Dann meinte er grinsend: »Doch, Mister, das ist so.«

Mit einem Fluch machte Walker kehrt und führte das Pferd auf die Straße.

Draußen stand der Mann, mit dem er zuerst gesprochen hatte. Er grinste dem Fremden entgegen und meinte spöttisch:

»Na, Mister, war die Konkurrenz billiger?«

»Lassen Sie mich zufrieden, Mann, und gehen sie aus dem Weg!«

Aber der Lange dachte gar nicht daran, aus dem Weg zu gehen. »Vielleicht machst du einen Bogen um mich, Stranger!«

Walker hielt und und stutzte. »He, bist du vielleicht krank, Langer?«

Der Mann legte die Hand auf dem Coltgriff.

Diese Geste hatte der Westcreek Man gern. Er hatte den Revolver sofort in der Hand.

Aber in diesem Augenblick schwirrte aus dem Hof ein Lasso und legte sich blitzschnell um seinen Oberkörper. Dann gab es einen Ruck, und er lag an der Erde. Die Arme waren ihm fest an den Oberkörper gepreßt worden, und der Revolver lag neben ihm am Boden.

Vor ihm stand der lange Mietstall-Owner und feixte ihn unverschämt an.

Plötzlich bekam der Körper des Niedergerissenen einen Ruck.

Der Lassowerfer hatte auf dem Pferd gesessen und das andere Ende des Seils um den Sattelknauf geschlungen.

Der Braune zog an. Und dann ging’s in den Hof, quer hindurch, an den Stallungen entlang und hinaus zum Eingang.

Da endlich hielt der Reiter inne. Die Lassoleine lockerte sich, und Walker konnte sich befreien.

Sofort riß er seinen zweiten Revolver aus der Tasche. Aber der klatschende Schlag einer Bullpeitsche riß ihm auch diese Waffe aus den Händen.

Er sah zur Seite und blickte in das kantige Gesicht eines großen Mannes, der ihn an einen Bullenbeißer erinnerte.

»He, Stranger, du mußt bedeutend ruhiger werden, wenn du hier bis in die Stadtmitte kommen willst. Dead West ist eine schöne Stadt, aber man kann sich ganz böse darin verlaufen! Stimmt’s, Boys?«

Walker sah die Boys jetzt erst.

Es waren sechs Männer, die hinter dem »Bullenbeißer« am Tor standen. Sie alle waren sauber gekleidet, trugen blanke Stiefel und schwere Revolver in den Halftern. Einige von ihnen hatten Bullpeitschen wie der Mann, der Walker den Colt aus der Hand geschlagen hatte.

Walker bückte sich und hob seinen Revolver auf.

Da klatschte die Peitsche über seinen Rücken. Und der nächste Schlag traf sein Genick.

Der Mörder schrie gellend auf, warf sich auf seinen Colt, wirbelte in einer Fallrolle herum und schoß.

Er traf den Bullpeitschenmann am rechten Oberarm.

Sofort stob die Meute auseinander.

Walker federte hoch. Dann sah er seinen zweiten Colt vorn neben dem Pferd liegen.

Er ging darauf zu und wollte ihn aufheben. Aber es war zu spät, schon zerrte ihn eine Bullpeitsche zur Seite.

Walker sah dem Colt nach und gab dann einen zweiten Schuß auf den Mann ab, der ihm die Waffe wegziehen wollte.

Die Kugel klatschte neben dem Mann ins Holz des Hofzaunes.

Jetzt waren die anderen in Rage.

»He, Ben, willst du dir das gefallen lassen? Er hat Owen am Arm getroffen. Ich denke, daß er darauf eine Antwort von uns allen verdient hat!«

Patsch! Walker war auch seinen zweiten Revolver los.

Und jetzt fetzten die dünnen braunen Lederschlangen zu ihm hinüber, rissen ihm die Hände und das Gesicht auf.

Erst das scharfe Geräusch zweier brüllender Revolverschüsse brachte die Schläger zur Raison.

Einem von ihnen war die Peitsche aus der Hand gerissen worden; ein zweiter hielt nur noch einen kurzen Stumpf in der Hand.

Das rasende Klatschen, das von wilden Schreien begleitet worden war, verstummte jäh.

Die Männer sahen auf. Drüben auf der Straßenmitte hielt ein Reiter. Er hatte in jeder Hand einen Revolver.

Es war ein sehr großer, breitschultriger Mann mit tiefdunklem Gesicht und blauen Augen, aus denen Blitze zu sprühen schienen.

Die Männer am Mietstalltor sahen verblüfft zu ihm hinüber.

Auch Owen Jipp, der Bullenbeißer, der die Linke auf den verletzten rechten Oberarm preßte.

»He!« brüllte Jipp jetzt in rasendem Zorn. »Was fällt Ihnen ein, Mann, sich hier einzumischen!«

Der Fremde blickte auf Walker. »Stehn Sie auf!«

Der Westcreek Man erhob sich. Sein Gesicht war von mehreren blauroten Striemen gezeichnet. Seine Hände waren aufgesprungen. Mit zornfunkelnden Augen stierte er die Bande an.

»Ihr verdammten Hunde, das zahle ich euch heim! Das schwöre ich euch.«

Owen Jipp warf Ben Hilgers einen raschen, bedeutsamen Blick zu.

Hilgers trat zwei Schritte vor. Er sah absichtlich nicht zu dem Reiter hinüber, sondern hatte sich so gestellt, daß er sich genau vor Walker befand.

»Was hast du gesagt, Stranger?«

Walker hob seine Revolver auf.

Da riß Hilgers blitzschnell seine Peitsche hoch.

Aber wieder brüllte der große Revolver in der Faust des Reiters auf.

Und als der kleine Derrick zusammen mit Zeduc einen Ausfall mit den Colts einlegen wollte, fauchte es noch zweimal aus den Händen des Reiters.

Zeduc schrie auf und preßte seine Hände an die Brust, und Derrick starrte auf seine leere Hand, die eben noch die Peitsche gehalten hatte.

»Schluß jetzt!« donnerte die metallene Stimme des Reiters über die Straße.

Die Boys an der Mietstallwand hatten erst einmal genug.

Nur der Bullbeißer-Mann knurrte gallig:

»Das haben Sie nicht umsonst getan, Mister. Wir werden uns Ihr Gesicht merken. Schätze, daß Sie morgen keinen Spiegel mehr brauchen.«

Da rutschte der Fremde aus dem Sattel. Jetzt, wo er auf dem Boden stand, sah man, daß er über sechs Fuß maß und zu seinen breiten muskulösen Schultern schmale Hüften hatte. Mit kraftfederndem Gang kam er auf Owen Jipp zu.

»Was sollte das heißen, Billy?«

»Was – ich heiße nicht Billy!«

»Kann sein. Aber ich will wissen, was du eben gebrüllt hast…«

»Ach, lassen Sie mich zufrieden, Mann.«

Und als der Fremde sich abwandte, knurrte Jipp: »Aber das eine verspreche ich Ihnen…«

Der Fremde wandte sich wieder um, gerade früh genug, um zu sehen, wie der krummbeinige Jack Landers den Revolver aus dem Halfter nahm.

Noch einmal brüllte der große Colt in der Linken des Fremden auf.

Jack Landers sollte nie wieder einen Revolver mit der Rechten anfassen können.

Die anderen sahen betreten drein.

Der Fremde erklärte ruhig: »Wenn diese Stadt einen schlechten Namen hat, so verdankt sie das Leute wie euch.«

Aus einer Seitengasse kam ein mittelgroßer Mann mit einem Stern angelaufen. Er hatte ein Gewehr in der Hand. »Was ist hier los?« zeterte er.

»Dieser Kerl ist plötzlich verrückt geworden und schießt in der Gegend herum!« belferte Hilgers. »Nehmen Sie ihn fest, Sheriff, er ist gemeingefährlich!«

Sheriff Parker sah den Fremden an, warf auch einen forschenden Blick auf Walker und fragte: »Was haben Sie dazu zu sagen?«

Da fegte der Fremde herum. Und noch einmal brüllte sein großer sechskantiger Revolver auf.

Darüber fiel dem Bullenbeißer-Mensch, dem vierschrötigen Owen Jipp, ein Derringer aus der linken Hand, den er hinterlistig hochgenommen hatte.

Jipp schrie röhrend auf vor Wut.

»Hell und devils! Sheriff, Sie alte Schlafeule, machen Sie diesen Schießer doch endlich dingfest. Dieser Hund…«

Der Fremde hatte seinen Colt noch in der Faust. Jetzt nahm er auch den zweiten Revolver aus dem Halfter.

»Noch ein solches Wort, Owen, und du kannst eine Woche lang an der Matratze horchen!«

Der Sheriff stand dabei und hatte Mund und Ohren aufgesperrt, aber er reagierte nicht.

Mac Fenners war ein riesiger Bursche mit Fäusten, die wie mittlere Satteltaschen so groß waren. Er stand dem Fremden am nächsten und stürmte plötzlich mit vorgestrecktem Kopf gegen ihn los.

Der hatte die Colts mit blitzschnellen Handsaltos in die Halfter fliegen lassen und wirbelte einen linken Backhander herum, der den schweren Fenners von den Beinen riß.

Trotzdem ließen Jimmy Duck und Ric Wilson sich nicht dadurch aufhalten. Sie sprangen den Fremden fast gleichzeitig an.

Der aalglatte Jimmy Duck vermochte den rechten Haken des Fremden zu vermeiden, indem er tief abduckte und dann wieder hochsprang.

Wilson fing sich einen linken Haken ein, der ihn auf den Boden schickte.

Und schon war der glatte Duck wieder da und suchte mit Finten anzugriefen.

Aber der Fremde machte den Steps und Täuschern ein grausames Ende, als er mit einem krachenden Uppercut die Deckung Ducks durchbrach und den Hieb an der Kinnspitze des Gegners landete.

Auch der Mann war still.

Sheriff Parker stand immer noch tatenlos dabei.

Bis Hilgers jetzt schrie: »Sheriff! Träumen Sie eigentlich! Sehen Sie nicht, daß dieser Kerl ein ganz gefährlicher…«

Der Fremde hatte Aufstellung vor Hilgers genommen.

Der zog es vor, zu schweigen.

Jerry Walker stand mit weitaufgerissenen Augen dabei. Hell and all damned devils, war dieser Mann ein Kämpfer! Nicht einen Finger mehr hatte er selbst seit dem Eingreifen des Fremden zu rühren brauchen.

Zounds, der Mann nahm es tatsächlich mit vieren und mit fünfen auf.

Aber das würden die Pelztierjäger sich nicht bieten lassen.

Und schon rückten drüben von Hunters Home, einer ganz besonders verrufenen Bar, noch zwei weitere Männer an, denen man die Pelztierfänger von weitem ansah.

Der Sheriff schrie: »Halt! Schluß! Ich werde nicht dulden, daß hier in Dead West diese Schießereien und Schlägereien…«

»Halt’s Maul, Parker!« fuhr ihn der größere der beiden Näherkommenden an. »Merkst du nicht, daß du hier überflüssig bist?«

Der Fremde hatte rasch seine verschossenen Patronen nachgeladen.

Walker folgte seinem Beispiel und hielt sich in seiner Nähe.

»Jetzt wird es brenzlig, Mister«, flüsterte er dem Fremden zu.

»Keine Sorge«, gab der ebenso leise zurück.

Die beiden Männer nahmen seitlich hinter dem Sheriff Aufstellung.

»Was ist denn los, Owen! He, Ben? Wie seht ihr denn aus? Habt ihr vielleicht eure Gebisse verschluckt?«

»Der Kerl da…!« zischte Hilgers gallig. »Mach ihn fertig, Bill! Schlag ihn zu Brennholz zusammen.«

Der lange Bill Henninger reckte seine Gestalt.

»Was ist denn mit dem Stranger?«

Der Goliath schien Walker überhaupt nicht auf der Liste zu haben.

Der Fremde wandte sich an den Sheriff.

»Mister, vielleicht sagen Sie auch diesen beiden Männern, daß der Krawall jetzt zu Ende ist.«

»Yeah. Bill Henninger, Jonny

White! Ihr habt gehört, was der…«

»Was der Stranger gesagt hat, haben wir gehört!« grölte der lange Henninger. »Aber was soll das denn? Der Spaß fängt doch erst an, Sheriff! Sie werden doch nicht albern genug sein und uns diese kleine Abwechslung verbieten wollen. Was, Parkerboy? Geh, sieh zu, daß du in deinen Laden kommst. Es gibt andere Aufgaben für dich in der Stadt. Vielleicht zählst du mal die Hunde oder siehst nach, ob in der Pelzsammelstelle keine Ratten sitzen!«

Der Sheriff lief rot an vor Ärger.

Jonny White, der mit Henninger gekommen war, hatte ein fahles, blasses, schmales Gesicht und stechende Augen, die tief in den Höhlen lagen. Er war der Typ eines verschlagenen Menschen. Tief über jedem seiner Oberschenkel trug er einen großen Revolver.

Er sagte nichts. Steif angewinkelt hinten die behandschuhten Hände über den Revolverknäufen.

Da rief Hilgers:

»Ich zähle bis drei, Boys! Dann fangt ihr an. Wenn er nicht will, läßt Jonny ihn tanzen. Und Bill soll ihn zusammenstutzen, daß er für alle Zeiten seine dreckigen Finger von einem Pelztierjäger läßt!«

»Yeah! Yeah!« kreischten die anderen, wieder in Rage kommend.

Henninger kam heran. Der Fremde wartete ruhig auf ihn.

Erst auf den letzten vier Yards rannte der Lange los, mit vorgestrecktem Kopf, wie es die Kampfart der meisten verschlagenen Leute und überhaupt eine beliebte Kampfesweise der Menschen aus den Bergen war.

Der Fremde ließ Henninger passieren und hieb ihm dann urplötzlich einen zuckenden Handkantenschlag ins Genick. Henninger sank platt auf den Boden, kam aber wieder hoch, wandte sich um und stand mit glasigen Augen da. Er japste nach Luft und ballte seine riesigen Fäuste.

Mit auf die Seite gelegtem Kopf brüllte er heiser: »So, Sonny, das war dein letzter Trick! Jetzt gibt’s Knödel!«

Aber die Knödel verpufften im Bergwind.

Henninger hieb ein paar wilde Schwinger vorbei und lief in einen knallharten Linkshänder des Fremden, der ihn wie der Hufschlag eines Pferdes traf.

Für einen Augenblick stand er auf den Absatzkanten, dann kippte er hinüber und blieb langausgestreckt liegen.

Sofort setzte Jonny White ein. Er riß beide Revolver hoch, stieß sie vor… und in hellem Stakkato peitschten zwei Schüsse von der Seite heran und stießen ihm die Revolver wirbelnd aus den Fäusten.

Alles blickte zur Seite.

Oben an der Vorbauecke stand ein Mann. Er hatte in jeder seiner vorgestreckten Fäuste einen großen vernickelten Revolver mit elfenbeinernen Knäufen. Es war ein schlanker, sehniger Mensch mit gutgeschnittenem blaßbraunem Gesicht und eisblauen Augen. Er war sehr elegant gekleidet, zu elegant für dieses Bergnest: schwarzer Anzug, giftgrüne Weste, weißes Hemd und schwarze Samtschleife.

Zounds, die Männer von Dead West wußten nicht, wer da in ihre Stadt gekommen war und mit wem sie sich anlegten.

Starr vor Verblüffung und Schreck hingen aller Augen an dem neuen Mann.

Der ließ die beiden Colts um die Mittelfinger rotieren, lud dann die Kammern wieder auf und ließ die Waffen, wie sein Partner vorhin, mit gedankenschnellen Handsaltos zurück in die Halfter fliegen.

»He!« kam es heiser von Whites Lippen. »Was – was war denn das?«

Der Mann oben auf dem Vorbau hatte sich eine Zigarette zwischen die Lippen geschoben und riß am Daumennagel ein Zündholz an.

»Das war eine Gratisvorstellung, Jonny White. Ich hoffe, Sie legen Wert auf weitere Darbietungen!«

Stille.

Endlich knurrte Hilgers: »Wer ist denn das?«

»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle? Mein Name ist Holliday. John Henry Holliday.«

Der Name war noch nicht ganz verklungen, als Jonny White brüllte: »Doc Holliday!«

Der Ruf pflanzte sich über die Lippen der anderen Pelztierjäger wie ein Signal fort.

»Doc Holliday!«

Whites Kopf flog zur Seite. »Heavens, dann ist der da am Ende Wyatt Earp?«

»Das will ich doch hoffen, Gents!« warf der Spieler ein, während er die erste Asche von seiner Zigarette schnippste.

»Wyatt Earp!«

Die Pelztierjäger riefen den Namen des berühmten Marshals beinahe noch lauter.

White starrte Holliday fasziniert an. Dann ging ein dunkler Schatten über sein Gesicht.

Well, der Schießer hatte sich seit langem gewünscht, dem berühmtem Gambler und Revolverschützen einmal zu begegnen. Aber ganz sicher hatte er sich diese Bewegung nicht so gedacht.

Haß funkelte in seinen Augen.

Dieser Doc Holliday hatte sein Ansehen vernichtet. Jawohl, das Ansehen, das er als Revolvermann in Dead West besaß, seit langen Jahren. Mit zwei rasendschnellen Schüssen aus einer Distanz von elf Yards hatte ihm der Georgier punktgenau die Sixguns aus den Händen gefeuert!

Eine ungeheure Leistung. Niemand wußte sie besser zu schätzen als Jonny White selbst.

Immer noch lag die Spannung auf der Straße, die die beiden Namen Wyatt Earp und Doc Holliday hervorgerufen hatten.

Der Sheriff nahm sein Gewehr herunter und trat auf Wyatt Earp zu. »Ist das wirklich wahr, Mister? Sind Sie tatsächlich…«

Hilgers warf den Kopf hoch und schrie: »Nun bete du sie noch an, Dreckskerl! Du solltest lieber in deinen Stall verschwinden und da Ordnung schaffen! Hast genug Dreck am Stecken!«

Der Sheriff machte kehrt.

»Wirf die leeren Whiskyflaschen raus!« höhnte ihm Hilgers nach. »Ich habe gehört, daß der Marshal keinen Whisky trinkt. Und Doc Holliday macht sich nichts aus leeren Flaschen!«

Diese Worte brachen das Eis, die anderen Burschen lachten lauthals los.

Owen Jipp knurrte: »Wyatt Earp und Doc Holliday? Zounds, was suchen die denn hier bei uns? Ich denke, Wyatt Earp ist Marshal unten in Dodge City.«

»Yeah…, was suchen sie hier bei uns?«

»Möchte ich auch wissen!«

»Der Marshal hat hier nichts zu bestimmen!«

»Und Holliday brauchen wir erst recht nicht hier. Hier wird genug geschossen!«

Der Georgier kam langsam auf die Straße.

»Das scheint mir aber ganz und gar nicht, Gents«, entgegnete er ruhig, während er wenige Yards vor dem kläffenden Hilgers stehenblieb. »Wenn nämlich genug hier geschossen würde, könnten doch nicht soviel Luftbohnen dabei herauskommen.«

Hilgers wurde puterrot vor Ärger. Vor allem, da seine Kameraden jetzt noch mitlachten.

Owen Jipp stieß sich von der Wand ab. »Wir hatten ja überhaupt nichts mit dem Marshal zu tun. Es ging ja hier um diesen dreckigen Burschen, dem der Mietpreis bei Lund zu teuer war!«

»Kann schon sein. Aber der Marshal schätzt es nun einmal nicht, wenn sich fünf Burschen an einem einzelnen vergreifen.«

Der lange Henninger hatte sich vom Boden aufgerichtet, wo er seit den Schüssen Hollidays alles mit angehört hatte. Er rieb sich das Kinn und hob drohend die Faust.

»Ich rechne mit beiden ab! Mit beiden! Und wenn sie direkt aus der Hölle kämen!«

»Großmaul!« warf ihm der Missourier zu.

Henninger verzog das Gesicht zu einer scheußlichen Grimasse. »Mich hat noch niemand von den Beinen geschlagen, Mr. Earp…«

»Dann wurde es aber höchste Zeit«, gab Wyatt gelassen zurück. »Sonst können Sie sich gar nicht vorstellen, wie es Leuten zumute ist, die am Boden liegen.«

Wieder lachten die anderen.

Henninger stürzte auf den kleinen Derrick zu und hob ihm die geballte Faust an den Schädel – das heißt, er wollte es, aber der Schlag ging ins Leere, weil der gnomenhafte Mann abgeduckt hatte.

Henninger wurde von der Wucht seines eigenen Schlages zu Boden gerissen, was die anderen wiederum zu einer schadenfrohen Lache veranlaßte.

Walker stand dicht neben dem Marshal. Ganz taub war es in seinen Ohren.

Und doch dröhnte es in seinem Schädel wie von hundert Trompeten. Wyatt Earp!

Wie oft hatte er von dem berühmten Gesetzesmann gehört! Er hatte sich die Gazetten daheim aufgehoben, in denen von Wyatt Earp die Rede war. Jahrelang hatte er davon geträumt, Wyatt Earp und Doc Holliday einmal zu sehen.

Und nun standen sie hier neben ihm, ja, hatten ihn aus einer höllischen Klemme mit einer Bravour ohnegleichen herausgerissen.

Und er – war ein Mörder.

Er war ja nicht mehr der Bursche, der von den beiden geträumt hatte, der sich gewünscht hatte, einmal ein Mann wie der Dodger Marshal Earp zu werden, der davon geträumt hatte, einmal schießen zu können wie Doc Holliday! Dieser Bursche war er ja längst nicht mehr.

Die Zeit, in der er von den beiden großen Männern geträumt hatte, mußte viele Jahre zurückliegen. Inzwischen war er selbst ein Mann geworden.

Ein harter Mann. Ein Mann, der mit dem Revolver umgehen konnte. Der es sich immer wieder bestätigen mußte, daß er es konnte.

Schlimmer noch: Ein Mann, der gedankenlos auf andere Menschen schoß, ja, der oben in Hickory am

Westcreek einen Mann erschossen hatte.

By Gosh! In diesem Augenblick, in dem Jerry Walker neben dem großen Wyatt Earp und dem bekannten Doc Holliday stand, wurde ihm eigentlich zum erstenmal bewußt, daß er Ole Anderson ermordet hatte.

Und er war ein Mörder!

Jerry spürte, daß seine Hände bei den Gedanken, die ihn da plötzlich ansprangen, schweißnaß wurden.

»Ich bin ein Mörder!« Tonlos formten seine Lippen diese Worte.

Und der Vater – hatte er ihn nicht auch niedergestoßen?

Hatte er ihm nicht auch mit dem Messer eine vielleicht tödliche Wunde beigebracht?

Der Mann vom Westcreek schluckte schwer.

By Gosh, vielleicht hatte er seinen eigenen Vater ermordet. Und einen solchen Menschen schlugen und schossen Leute wie Wyatt Earp und Doc Holliday aus der Patsche.

Langsam senkte der Verbrecher den Kopf und starrte auf seine vom Regen aufgeweichten Stiefel.

Da spürte er, daß der Marshal ihn ansah.

»Alles in Ordnung, Mister?«

»Clifford, Mr. Earp, Jerry Clifford. Yeah, es ist alles in Ordnung.«

Die Pelztierjäger standen mit verstockten, verschlossenen Gesichtern da und schwiegen.

Nur einer konnte nicht schweigen: Ben Hilgers, der Fallensteller mit dem verschlagenen Gesicht, den grünen Augen und dem brandroten Haar.

Er hatte das Gefecht mit den beiden Dodgern und Jerry Walker noch am heilsten überstanden und meinte jetzt: »Well, wir haben hier auch Leute, die schießen und schlagen können. So ist das nicht. Oben im Camp ist Jube Norton, der schlägt einen Stier mit einem Faustschlag zu Boden. Und morgen kommt Jonny Whites Freund, ein Mann, den auch Doc Holliday kennen wird: Cass Velo.«

Das Gesicht des Spielers blieb ungerührt.

»Prächtig, Mister«, entgegnete er kühl. »Habt Ihr nicht auch eine Zweizentnerfrau und einen langen Mann hier? Vielleicht auch einen, der noch kleiner ist als der Bursche da, der sich gerade seine Beule reibt? Wäre doch nett. Man soll nie versäumen, die Attraktionen einer Stadt kennenzulernen. Ich für meinen Teil interessiere mich jedenfalls immer dafür.«

Hilgers trat vor Ärger einen halben Schritt zurück. Er spürte, daß seine Freunde anfingen zu lachen.

Gallig stieß er hervor: »Sie können ruhig spotten, Doc. Aber ich werde sie beide holen, Velo und Norten. Und dann sprechen wir beide weiter.«

»Well, Unterhaltung muß sein«, antwortete der Georgier ironisch. »So long, Mr. Hilgers.«

Der Fallensteller suchte das Gesicht des Gamblers zu durchforschen, aber er fand nichts darin, was ihn hätte beruhigen können.

Wyatt Earp wandte sich um und ging zu seinem Pferd. Langsam führte er es über die Straße und band es drüben vor Urbans Boardinghouse an.

Doc Holliday folgte ihm.

Auch Walker nahm sein Pferd und führte es an den Querholm, an den der Missourier sein Tier angebunden hatte.

»Da drinnen gibt es ein großartiges Steak«, sagte der Marshal ohne sonderliche Betonung.

Holliday nickte. »Ich weiß, so lange ist es ja nun auch wieder nicht her, daß wir hier waren.«

Der Salooner trat oben auf den Vorbau.

»Mr. Earp! Doc Holliday! Welche Freude! By Gosh! Wie lange ist das her, zwei oder drei Jahre?«

»Siebzehn Monate«, entgegnete der Spieler gelassen.

Sie begrüßten den Salooner herzlich. Ehe sie mit ihm ins Haus traten, wandte Wyatt sich um und sah Walker unten bei den Pferden stehen.

»Kommen Sie. Wenn Miß Fonda zwei Steaks machen muß, wird es ihr nichts ausmachen, ein drittes zu braten.«

Jerry Walker schluckte. Dann warf er die Zügelleinen seines Tieres um die Halfterstange und folgte dem Marshal.

Schweigend saßen sie um einen kleinen Tisch und verzehrten ihr Mahl. Anschließend brachte der Salooner Bier, das nach deutscher Art zubereitet worden war. Doc Holliday zündete sich eine Zigarette an. Der Marshal nahm eine seiner geliebten schwarzen Zigarren aus seiner Tasche. Er bot auch Walker eine an.

Der Mann vom Westcreek schüttelte den Kopf und gab heiser zurück: »Thanks, Marshal – ich rauche – ich rauche keine Zigarren.«

Heavens! Das hätte ihm noch gefehlt. Nie und nimmer hätte er die Zigarre von dem Marshal angenommen. Er war überzeugt, daß er an ihrem Rauch erstickt wäre.

War es Reue, was er empfand? Oder war es vielleicht nur eine dumpfe Verzweiflung, die in ihm durch die Gegenwart der beiden Männer aufgekommen war?

Er bereute es keineswegs. Was ihn so deprimierte, war lediglich die Tatsache, daß er nicht mehr der Bursche von damals war, der sich für Wyatt Earp begeistert hatte. Das Bewußtsein, das zwischen dem Jerry Walker von damals und dem von heute, der hier mit den beiden Männern an einem Tisch saß, Welten lagen!

Und die Erkenntnis dessen, daß der damalige Jerry Walker ein besserer, glücklicherer Mensch gewesen war.

Zuweilen schoß er unter halbgesenkten Lidern dem Marshal einen forschenden Blick zu. Sah der ihn nicht prüfend an? Musterte er ihn nicht ständig und unauffällig? Hatte er, der ein Verbrechen doch geradezu riechen mußte, hatte er es nicht schon alles herausgefunden?

Schon das Bewußtsein, der Missourier könnte etwas von dem ahnen, was ihn, Jerry Walker, umgab, machte ihn elend.

Ich bin ein Verbrecher – und sitze ausgerechnet mit ihm an einem Tisch.

Wenn sie es drüben am Westcreek wüßten! Was würden sie für Gesichter machen, wenn er ihnen in der Stadt und auch auf der Ranch erzählen könnte, daß er mit Wyatt Earp und Doc Holliday zusammen an einem Tisch gesessen habe, ja, daß er mit ihnen zusammen gegen eine Bande von halbwilden Fallenstellern gekämpft hatte.

Aber Walker dachte auch daran, was Hilgers gesagt hatte, nämlich, daß am nächsten Tag ein berüchtigter Schießer und ein Schläger in die Stadt kommen sollten.

Bis dahin gedachte er zu verschwinden. Den Fight mit diesen beiden Figuren gedachte er den beiden Dodgern allein zu überlassen.

Und er wußte doch genau, daß Wyatt Earp und Doc Holliday dann nicht nur gegen diese beiden Männer zu kämpfen hatten, sondern auch gegen die, die Hilgers aufhetzen würde. Es war doch ganz klar, daß sie sich einfinden würden, nur um die Männer, die ihnen eine Schlappe beigebracht hatten, untergehen sehen zu können.

Und da würde er längst weg sein.

Gegen Abend füllte sich der Schankraum des Boardinghouses mit Neugierigen, die gekommen waren, um die beiden berühmten Westmänner zu sehen.

Doc Holliday saß am Spieltisch.

Wyatt Earp zog sich früh zurück auf sein Zimmer.

Erst war es nur ein fernes Donnergrollen, das über die Täler zog, dann kam das Gewitter rasch näher. Und bald wuchteten die Donnerschläge mit Urgetöse über die Stadt, und der Regen fiel wie aus Kübeln.

Jerry Walker hatte es drinnen im Haus nicht ausgehalten. Er war hinausgegangen und stand unter dem winzigen Vordach des anschließenden Hauses, das einem Geräteschmied gehörte.

Das kleine Haus hatte vorn neben der Tür nur ein Fenster. Dort schien die Werkstatt des Geräteschmiedes zu liegen. Das Licht war erloschen, dafür wurde eines im Obergesoß angezündet.

Eine alte Frau, die sich die Schürze schützend gegen den Regen über den Kopf hielt, humpelte vorüber.

Dann kam ein Mann, der sicher mehr als acht Jahrzehnte auf dem Rücken mit sich schleppte. Er dachte nicht daran, rasch zu gehen. Der Regen rann in Bächen aus seiner breiten Hutkrempe.

Als er an dem Westcreek Man vorbeikam, blieb er stehen und grinste. »Na, Mister, langweilig hier? Yeah, die Leute gehn hier früh schlafen.«

Und nach einem Räuspern erklärte er:

»Jedenfalls die Leute, die hierhergehören.« Hüstelnd ging er weiter, wobei er seinen Stock hart auf den Boden aufstieß.

Walker lauschte dem Geräusch nach, bis es im Rauschen des Regens zerrann.

Dann schlug jäh der erste Blitz drüben in eine Metallkrampe an einem der Mietstalltore ein.

Für den Bruchteil einer Sekunde war die Mainstreet in eine blendende weißblaue Helle getaucht, um sofort darauf wieder in eine ägyptische Finsternis zu versinken.

Von Westen her kam mit polterndem Getöse ein schwerer Planwagen die Straße herauf und wollte vorüber.

Dann blieb es still.

Bis der harte, dumpfe Hufschlag an das Ohr des Mannes drang, der mit wachen Sinnen in die Nacht lauschte.

Ein Reiter! Jetzt bei diesem Unwetter! Bei diesem Regensturz, der mit seiner elementaren Wucht die Vorbaudächer erzittern ließ und ganze Wildbäche die abfallende Straße hinunterjagte.

Ein Reiter. Er kam von Westen. Jerry Walker suchte ihn durch die Filterwand des Wassers zu erkennen.

Jetzt war er heran. Nichts war zu erkennen, außer einem schwarzen Schemen, das vorüberzustampfen schien.

Da! Ein kreidigweißer Blitz zuckte über die Straße und riß die Finsternis für einen kurzen Herzschlag in blendende Tageshelle.

Jerry Walker hatte den Atem angehalten, und mit dem Blitz war ein höllischer Schreck durch seine Brust gefahren.

Der Mann, der dort drüben zusammengekauert auf seinem Gaul in der Regennacht angeritten kam, war niemand anders als Dirk Cirby, der Sheriff von Hickory!

Nur für eine kurze Sekunde war der flüchtige Mörder wie gelähmt, weil er es nicht begreifen, nicht fassen konnte, daß der doch immerhin wenigstens fünfundfünfzigjährige Gesetzesmann den Weg hierher in dieser kurzen Zeit ebenfalls geschafft hatte, auf einem schlechten Pferd, trotz des Regens und des Unwetters.

Dann reagierte der Mörder mechanisch. Er zog seinen Colt – und in den nächsten Donnerschlag jagte er zwei Schüsse auf die Straße.

Nur durch das Aufzucken ferner Blitze sah er, wie der Reiter aus dem Sattel rutschte und in eine riesige Pfütze stürzte.

Walker flüchtete. Er lief durch den Hof ins Haus und verzog sich auf sein Zimmer.

Da stand er am Fenster und starrte auf die Düsternis der Straße hinunter.

Plötzlich gewann ein schauriger Gedanke Besitz von seinem Hirn: Wie nun, wenn er nicht tot ist…?

Walker stahl sich wieder hinaus, blieb einen Augenblick dicht an der Hauswand gepreßt stehen und sah sich um.

Da er niemanden entdecken konnte, sprang er in weiten Sätzen auf die Straße hinaus.

Das Pferd stand noch neben dem Gestürzten und ließ den Kopf hängen.

Walker beugte sich über den reglosen Körper in der Pfütze und wandte ihn zur Seite.

Wieder blitzte es in der Ferne – und diesmal hatte der Verbrecher gesehen, daß der Sheriff tot war.

Mit wilden Sprüngen jagte Walker davon und stahl sich auf einem Umweg ins Haus zurück.

Die Regennacht senkte ihre feuchten düsteren Schleier über den Toten auf der Mainstreet von Dead West. Er hatte den weiten Weg hierher in die Bergtäler umsonst gemacht.

Der Mann, den er hatte jagen wollen, hatte sich einen zweiten Mord aufgeladen.

*

Als der Missourier in der Frühe des nächsten Morgens ans Fenster trat, sah er den dunklen Körper unten auf der regenglänzenden Straße liegen. Auch das Pferd sah er.

Da wachten auch die Bürger von Dead West auf und entdeckten den Toten. Niemand kannte ihn.

Als Wyatt Earp auf die Straße kam, wichen die Menschen zur Seite. Der Marshal bückte sich und blickte dem Toten ins Gesicht. Auch er kannte ihn nicht.

Da trat Holliday heran. Er nahm dem unglücklichen Dick Cirby den Regenumhang ab und fand den Einschuß hinten im Rücken. Er legte den Toten wieder zurück und öffnete seine vor Nässe und Kälte klamme Jacke.

Da blinkte der silberne Fünfzack ihm entgegen. Ein Sheriff!

Der Schrei flog von Mund zu Mund: »Ein Sheriff!«

Wyatt Earp ließ den Toten ins Totenhaus bringen.

Sheriff Parker kam dazu. »Ich habe es schon gehört: Es ist ein Sheriff, nicht wahr?« wandte er sich an den Missourier.

»Yeah.«

Dead-West war schweigsam geworden.

Der Morgen nach der Unwetternacht hatte einen Toten zurückgelassen. Einen Mann, der einen Stern trug.

Und nicht das Unwetter hatte ihm den Tod gebracht, sondern eine Kugel. Eine Kugel, die ihm sein Mörder in den Rücken gefeuert hatte.

Der Tote hatte keinerlei Papiere bei sich. Auch auf seinem Stern stand kein Name. Sonst hielten es die Gesetzesmänner so, daß sie hinten auf der Rückseite des Sterns ihren Namen eingravieren ließen.

Dick Cirby hatte dafür kein Geld gehabt.

Nicht einmal die wenigen Cents hatte er erübrigen können. Die fünf Kinder daheim verboten ihm, auch nur einen Cent für Dinge auszugeben, die nicht unbedingt erforderlich waren. So blieb er für die Stadt Dead West ein Unbekannter.

Die Frage nach seinem Mörder stand unausgesprochen in der Luft. Sie war da, drängte sich den Menschen auf, schrie sie an und forderte sie auf, zu handeln.

Das, was in der Nacht geschehen war, hatte nichts mit dem wilden Leben zu tun, das die Pelztierjäger und Fallensteller in die Stadt gebracht hatten. Es hatte nichts mehr mit ihren gefährlichen Kartenspielen, mit ihren Prügeleien und offenen Gunfights gemein. Es war blanker, heimtückischer Mord an einem Gesetzesmann!

Und der mußte geahndet werden.

Die Pelztierjäger waren sehr still geworden. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ja wußten, wer in der Stadt war: der Dodger Marshal Earp! Der Mann mit den Falkenaugen. Der Sternträger, der alles daransetzen würde, den Tod seines Kameraden zu rächen!

Dabei hätten sie nur um sich zu greifen brauchen. So nah war der Mörder. Er lag noch in seinem Bett oben im Boardinghouse und schlief.

Walker hatte sich eigentlich vorgenommen, früh aufzustehen und aus der Stadt zu reiten. Aber da ihn seine Tat für Stunden keinen Schlaf hatte finden lassen und er dann erst kurz vor Morgengrauen im Schlaf fiel, wachte er jetzt nicht auf. Er hörte nicht das Gemurmel auf der Main-street, sah nicht die Menschen, die umherhuschten und den Mörder des unbekannten Sheriffs suchten.

Als er dann endlich aufwachte, kam er mit bleichem Gesicht ans Fenster und stierte aus glasigen Augen hinunter auf die Straße.

Da erst kam ihm das Geschehen der Nacht zum Bewußtsein. Er hatte Dick Cirby ermordet!

Den Sheriff von Hickory, den Mann, der immer ein Auge und manchmal auch zwei zugedrückt hatte, wenn es um Rüpeleien, Schlägereien oder sogar Schießereien ging, an denen der junge Jerry Walker beteiligt gewesen war.

Er hatte eine siebzehnjährige Tochter, zwei Söhne von fünfzehn und vierzehn und noch zwei kleine Jungen daheim, der tote Dick Cirby.

Der Mörder schob das Kinn vor und spürte, daß seine Zähne klappernd aufeinanderschlugen.

Da sah er drüben aus dem Barbershop den Marshal kommen.

Walker preßte sich die Finger in den Mund. Wyatt Earp ist noch da! Um Himmels willen, ich muß auf dem schnellsten Weg verschwinden!

Aber noch einmal hatte das Schicksal es anders gewollt.

Ben Hilgers, der Fallensteller mit dem rostroten Haar, war am vergangenen Abend von Schenke zu Schenke gegangen. Am Schluß war er in der Kantine des Pelzmagazins hängengeblieben, wo er sich restlos betrank.

Der Quartiersmaster fand ihn am Morgen, als er sich an die Arbeit machen wollte, noch vorn im Kantinenraum. Er setzte ihn an die Luft, da er Ruhe für seine Arbeit brauchte.

Obwohl Hilgers ein zäher Bursche war, der ganz sicher etwas vertragen konnte, war es doch zuviel gewesen, was er sich in der vergangenen Nacht zugemutet hatte.

Immer noch betrunken, stolperte er die Straße hinunter. Als er schließlich die Menschenansammlung vor dem Sheriffsoffice bemerkte, saugte sich sein verschwommener Blick an der Gestalt des Marshals fest, der durch seine Körpergröße die anderen Männer überragte.

»Da ist er ja noch, der verdammte Sternträger. Weg muß er! Weg mit dem Stern. Ausrotten! Vernichten! Zum Teufel mit ihm!«

Die Gespräche der Männer waren verstummt. Es waren merkwürdige Blicke, die auf einmal den Fallensteller trafen.

Hilgers war schwankend stehengeblieben.

Plötzlich hatte er den Revolver in der Hand und krakeelte: »Ausrotten! Sie müssen verschwinden! Alle!«

Zwei Schüsse jagten in das Vorbaudach.

Da kam der Missourier langsam auf den Fallensteller zu. »Haben Sie irgend etwas zu sagen, Hilgers?«

Der Fallensteller schoß dem Missiourier einen wütenden Blick zu. »Irgend etwas? Eine ganze Menge habe ich zu sagen! Du wirst vernichtet werden! Erschlagen! Erschossen…«

Der Marshal sah ihn aus harten Augen an und forderte ihn mit ruhigen Worten auf: »Geben Sie mir Ihren Revolver, Ben Hilgers!«

»Meinen Revolver? Eher knalle ich dich auf der Stelle nieder!«

Der Fallensteller riß den Colt hoch.

Aber gedankenschnell flog die Stiefelspitze des Marshals unter seine Hand. Der Revolver polterte zur Seite und rutschte unter den Vorbau.

Der Betrunkene stierte den Marshal glasig an.

»Das wirst du büßen«, lallte er.

Wyatt nahm ihn rauh am Arm und führte ihn zum Sheriffsoffice.

»Hier, Parker, sperren Sie den Mann ein, bis er nüchtern ist.«

Jerry Walker war mit den anderen Männern dem Marshal gefolgt. Ein mörderischer Gedanke war ihm plötzlich gekommen. Dieser Hilgers kam ihm wie gerufen. Und das, was er gesagt hatte, paßt doch wie der fehlende Stein ins Mosaik.

»Bis er nüchtern ist, Marshal?« rief er von der Officetür her. »Er braucht erst gar nicht nüchtern zu werden, der Mörder. Wir hängen ihn auf.«

Wie ein Sturmwind pflanzte sich der Ruf von Mund zu Mund, weit über die Mainstreet von Dead West fort: »Aufhängen!«

»Sofort aufhängen!«

»An den Ast mit dem Mörder!«

Der Teufel vom Westcreek hatte das Gift gestreut, hatte den Stein ins Rollen gebracht.

Vor der Tür der Grisly Bar standen die Kameraden des Ben Hilgers.

Der kleine Derrick stieß Zeduc in die Seite und wies auf das finstere Gesicht des hünenhaften Ower Jipp.

Der Bullenbeißermensch hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen. Plötzlich stieß er hervor: »Damned! Wenn Ben es getan hat, ist er ein ganz verdammtes Schwein.«

Der kurmmbeinige Jack Landers krächzte: »Wenn…? Hast du denn nicht gehört, was er hier vorhin gebrüllt hat? Dieser Verrückte!«

»Ich wette hundert Bucks, daß er es war«, preßte Jonny White durch die zusammengebissenen Zähne.

Jimmy Duck und Ric Wilson nickten nur, und Bill Henninger fauchte: »Dann sollten wir nicht warten, bis sie ihn fertigmachen. Dann müssen wir ihnen zeigen, wie wir darüber denken.«

»Richtig«, stimmte Landers zu. »Einen Strick her, Männer! Wir selbst werden den Mörder hängen!«

Es war Jonny White, der ein Pferdelasso brachte.

Owen Jipp riß ihn an sich und schwang ihn trotz seines verletzten Armes.

»Auf, Männer, Ben Hilgers muß hängen!« Mit diesem Ruf auf den Lippen stampften die neun Männer dem Sheriffsoffice zu.

Parker sah sie kommen und sah auch den Strick an der Hand Owen Jipps.

»By gosh«, stammelte er. »Jetzt kommen sie und wollen ihn hängen. Und der Marshal ist nicht da.«

Die Pelztierjäger hatten einen Halbkreis draußen auf der Straße gebildet, und Jipp brüllte: »Parker! Gib ihn raus!«

Der Sheriff schwitzte Blut und Wasser. Auf zitternden Beinen stand er hinter der Tür und lauschte hinaus.

Da vernahm er hinter sich in der Zelle ein Geräusch und fuhr herum.

Ben Hilgers war zu sich gekommen. Der Eimer Wasser, den Wyatt Earp, der im Umgang mit Betrunkenen sattsam Erfahrungen besaß, hatte Wunder gewirkt.

Zwar immer noch benommen, aber doch ernüchtert stand der Fallensteller mit grünlichem Gesicht an der Zellentür.

»He, Sheriff, wen wollen sie hängen?«

»Dich, Hilgers«, sagte Parker gallig.

»Mich…?«

»Yeah, dich.«

»Weshalb denn?«

»Weil du den Sternträger ermordet hast.«

»Den Sternträger?« stammelte der Fallensteller völlig entgeistert. »Wyatt Earp – ist tot?«

Der Sheriff blickte mit zuckenden Lippen in Hilgers’ Gesicht.

»Wyatt Earp? Mensch, wer spricht denn davon? Ein fremder Sheriff ist ermordet worden, und du bist es gewesen.«

»Ein fremder Sheriff? Verdammt noch mal! Welcher fremde Sheriff denn? Und weshalb sollte ich ihn denn ermordet haben, und vor allem wann?«

»Heute nacht während des Unwetters. Stell dich nicht dümmer als du bist, Hilgers. Uns könntest du vielleicht noch etwas vormachen, aber Wyatt Earp erzählst du keine Märchen.«

»Wyatt Earp? Hat er gesagt, daß ich diesen Sheriff ermordet hätte?«

Parker, der schon eine rasche Antwort auf den Lippen hatte, hielt plötzlich inne.

Damned, wie war das? Hatte der Marshal das behauptet? Nein, das hatte er nicht. Er hatte Hilgers nur hierhergebracht, weil er in betrunkenem Zustand mit dem Revolver umhergefuchtelt hatte.

Ja, erst jetzt fiel es dem Sheriff auf, daß der Marshal kein Wort von Hilgers’ Schuld gesprochen hatte. Das waren die anderen gewesen. Vor allem der Fremde, dem Wyatt Earp und Doc Holliday gestern aus der Patsche geholfen hatten.

»Parker! Gib ihn endlich raus!«

»Gib den Mörder raus!«

»Ausliefern! Sonst holen wir ihn uns!« So drangen von draußen die Rufe herein.

Benny Hilgers war aschgrau geworden.

»By gosh, das sind doch die Boys! Owen Jipp, Henninger, Jonny White und die anderen!«

»Yeah, es sind deine eigenen Freunde, Ben, die dich da holen kommen, um dir den Garaus zu machen«, erklärte der Sheriff.

Da flog ein großer Stein durch die Scheibe ins Office; Scherben klirrten und splitterten durch den Raum.

»Parker! Das ist unser letztes freundliches Wort!«

Hilgers stieß hastig hervor:

»Wyatt Earp! Sheriff, wo ist Wyatt Earp? Man muß ihn rufen. Die Burschen sind imstande, mich aufzuhängen!«

»Und wenn schon«, entgegnete der Sheriff feige. »Ich kann es nicht ändern.«

»Wo ist denn der Marshal? Er kann mich doch hier nicht dieser Meute ausliefern. Wie kommen Sie überhaupt dazu, mich zu verdächtigen?«

Der Sheriff stieß seinen Kopf vor wie ein Raubvogel.

»Du hast dich doch selbst verraten, Mensch. Als du vorhin die Straße herunterkamst und den Marshal anpöbeltest. Da hast du doch deine Wut auf die Sternträger deutlich zum Ausdruck gebracht. Ausrotten müßte man sie, hast du gesagt.«

»Ich weiß kein Wort davon«, stotterte der Gefangene.

»Es ist auch nicht nötig, die Boys fragen nicht danach. Du hörst es

ja.«

»Die Boys! Sie wollen sich vor dem Marshal der Stadt einen guten Namen machen, das ist alles!«

»Natürlich, das kommt hinzu.«

Da wurde vorn gegen die Tür gestoßen.

»Gib acht, Parker, ich bin gleich drin!« Das war Owen Jipps röhrende Stimme.

Die beiden Männer im Office waren schweißgebadet. Da drehte der Sheriff den Schlüssel um.

Als die Tür aufsprang, wich Parker zurück und hob die Hände.

»Nein, Männer, das dürft ihr nicht!« rief er mit unsicherer Stimme. »Ihr habt kein Recht dazu. Er muß vor ein ordentliches Gericht.«

»Gericht«, dröhnte Jipp, der es tunlichst vermied, dem Mann drüben in der Zelle, mit dem er noch bis gestern befreundet war, ins Gesicht zu sehen.

»Er hat den fremden Sheriff ermordet, Parker. Und dafür muß er sterben! Wir werden nicht darauf warten, bis ihn die Leute hier in der Stadt hängen. Sie sagen ohnehin, daß wir halbe Banditen wären. Mit diesem Gerede kann bei dieser Gelegenheit auch ein für allemal ein Ende gemacht werden. Wir sind keine Banditen. Wir sind ehrliche Pelztierjäger! Stimmt’s, Boys? Und mit Mördern wollen wir nichts zu schaffen haben. Stimmt’s, Boys?«

Johlend hallte dem »Bullbeißermann« Zustimmung entgegen.

»Los, Boys, holt ihn raus!«

Sheriff Parker wurde zur Seite gestoßen, und die Pelztierjäger rissen den Schlüssel von der Wand. In wenigen Sekunden wurde der vermeintliche Mörder von der Meute auf die Straße geschoben. Mit wüsten Schreien trieben sie ihn vorwärts.

Dann donnerte der Horde plötzlich ein metallisches »Halt!« entgegen.

Die Pelztierjäger blickten auf und sahen Wyatt Earp mitten auf der Straße stehen.

Hochaufgerichtet stand der Marshal da, mit gespreizten Beinen, und in den vorgestreckten Fäusten seine beiden Revolver.

Links oben auf dem Vorbau stand Doc Holliday in der gleichen Haltung.

»Was wollen Sie, Marshal?« belferte Owen Jipp.

»Der Mann kommt zurück ins Jail!«

»Er ist ein Mörder!« schrie Jonny White, der selbst ganz sicher Menschen genug ins Jenseits befördert hatte.

»Das muß erst bewiesen werden«, entgegnete der Marshal rauh. »Mord ist es, wenn ihr ihn hängt. Und das werde ich nicht zulassen!«

Da sprang Henninger einen Schritt vor und brüllte:

»Was wollen Sie eigentlich, Earp. Sie haben hier nichts zu sagen. Gehen Sie hinunter nach Dodge oder nach Tombstone, wo Sie und Ihre Brüder Sheriff sind.«

»Ich stehe nicht als Sheriff hier«, entgegnete der Missourier mit eisiger Gelassenheit.

»Dann greifen wir also auch keinen Sheriff an, wenn wir Sie angreifen?« fragte White lauernd.

»Das müßt ihr selbst wissen.«

»Die Antwort gefällt uns nicht!« gab Henninger zurück.

»Das kann ich mir denken. Aber ich will euch etwas sagen: Es ist mir völlig einerlei, was ihr in mir sehen wollt und was nicht. Jedenfalls zähle ich jetzt bis drei, und wenn dann noch einer von euch eine Hand an Hilgers hat, gehen meine Revolver los.«

Die Männer standen unentschlossen da.

Jonny White warf einen lauernden Blick zu Doc Holliday hinüber. Nachdem er dessen Gesicht gesehen hatte, gab er auf.

»Es hat keinen Zweck, Männer, ich habe nicht die Absicht, hier auf der Straße für Hilgers zu sterben.«

»Was heißt sterben?« trompetete Hipp. »Wir sind neun Männer, und er ist allein.«

»Erstens ist er nicht allein, und zweitens kannst du ja gern gegen ihn kämpfen, wenn dir nach Sterben zumute ist!«

Der Schießer drehte ab.

Und nach und nach folgten ihm die andern.

Owen Jipp stand schließlich noch allein neben Ben Hilgers. Er sah seinen einstigen Genossen wütend an.

»Aber das sage ich dir, Hilgers! Du kommst nicht mit dem Leben davon. Und wenn der Richter dich zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, besorgen wir das, was er versäumt hat. Du wirst aufgeknüpft! Sheriffsmörder! Elender Dreckskerl! Glaubst du vielleicht, wir ließen uns von dir hier eine dreckige Jacke anhängen? Wir sind Pelztierjäger und haben nichts auf dem Gewissen! Du bist es gewesen, der dem Marshal gestern schon gedroht hat! Und du hast ihm heute morgen wieder gedroht. Du hast den Sternträger in den Rücken geschossen. Dafür wirst du hängen!«

Jipp wandte sich ab und stampfte ostentativ zur anderen Seite davon.

Hilflos stand Ben Hilgers auf der Straßenseite. Sein Gesicht war von einer blutigen Schramme entstellt. Sein Hemd war am Kragen aufgerissen. Auch der linke Ärmel hing aus der Joppe.

Wyatt Earp senkte die Revolver.

Doc Holliday folgte seinem Beispiel.

Langsam ging der Marshal auf Hilgers zu. »Vorwärts, zurück ins Jail.«

*

Richter Benson war ein Mann in den Sechzigern. Er wußte, daß er vor keiner leichten Aufgabe stand. Wenn er den Mann zum Tode verurteilte, mußte er befürchten, die Pelztierjäger damit auch zu verurteilen, obgleich sie so lauthals gegen Hilgers aufgetreten waren.

Verurteilte er ihn nicht zum Tode, hatte er die Bevölkerung der Stadt gegen sich.

Und da war ja noch der Marshal! Was meinte denn der?

Benson beschloß, mit Wyatt Earp zu sprechen.

Der Missourier hörte sich die Bedenken des Richters schweigend an.

Schließlich meinte er: »Was Sie tun sollen? Sie setzen mich in Verwunderung, Richter. Sie sollen Recht sprechen. Nichts weiter.«

»Und was ist Recht?«

»Müssen Sie das nicht wissen?«

»Helfen Sie mir, Mr. Earp. Dieses Dead West ist eine scheußliche Stadt. Vielleicht verbrenne ich mir die Finger mit dem Urteil. Wenn Sie es richtig sehen, kann ich tun und lassen, was ich will: Für eine Partei werde ich es immer falsch machen.«

»Sie wären nicht der erste Richter, der sich in Ihrer Lage befindet.«

»Und…?«

»Was und? Ich denke, daß Sie zunächst einmal beweisen müßten, daß Hilgers der Mörder ist, wenn Sie ihn verurteilen wollen.«

»Beweisen? Wie soll ich das beweisen? Die Sache ist doch so düster wie die vergangene Nacht selbst.«

»Eben.«

»Sie meinen also…?«

Da wandte sich der Marshal um und ging hinaus.

Doc Holliday hatte draußen auf ihn gewartet. Er schob sich eine Zigarette zwischen die Zähne und meinte: »Diese Stadt hat nicht nur einen lauen Sheriff – sie hat auch einen lauen Richter.«

»Haben Sie gehört…?«

»Jedes Wort. Die Tür stand ja offen, und laut genug hat Benson ja gejammert.«

*

Die City Hall lag etwas zurück in der Straßenfront. Davor hatten sich gegen vier Uhr eine Menge Leute eingefunden. Sie waren sogar mit Pferden und Wagen aus der Umgebung gekommen. So rasend schnell hatte sich die Nachricht verbreitet.

Genau um vier brachte Sheriff Parker den Gefangenen hinüber zur City Hall.

Als Hilgers hereingeführt wurde, brüllten die Pelztierjäger wie auf ein stummes Kommando los.

»Er muß hängen! Er muß hängen! Sheriffsmörder!«

»Ruhe!« Der Richter schlug mit seinem kleinen Silberhammer auf den Tisch.

Nur allmählich trat Stille ein.

Wyatt Earp und Doc Holliday standen noch draußen an der Tür.

»Wo ist eigentlich der Cowboy?« fragte Wyatt plötzlich.

Der Georgier nahm die Schultern hoch.

»Keine Ahnung. Sein Pferd war heute mittag nicht mehr im Stall.«

Langsam fuhr der Marshal mit dem Daumennagel über die Unterlippe. »Ach…«

»Auch eine merkwürdige Type, zweifellos. Der Junge hatte so etwas Unstetes in den Augen…«

Wyatt Earp war schon auf dem Weg zum Boardinghouse.

Als er drei Minuten später wieder in der Tür erschien, nickte er Doc Holliday zu.

»Sie hatten recht, Doc, er ist weg.«

Holliday schnippste seine Zigarette in die Luft und nahm die Brauen hoch in die Stirn.

Der Marshal runzelte ebenfalls die Stirn. »Well, ich habe niemals Wert auf ein Dankeswort gelegt. Und auch nicht auf ein Good bye, aber…«

Holliday nickte.

Die beiden betraten die City Hall.

Da ging es bereits hoch her. Es waren die Pelztierjäger, die sich vor allem zu Worte meldeten und dem Beschuldigten erregt ihre Verachtung entgegenschleuderten.

Da trat Wyatt Earp an den Richtertisch und hob die Hand zum Zeichen dafür, daß er sprechen wolle.

Der Richter erteilte ihm das Wort.

»Euer Ehren, ich bedauere, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie die Verhandlung aufschieben müssen.«

»Aufschieben?«

Ein Raunen ging durch den Saal.

»Yeah, Sie müssen die Verhandlung verschieben. Denn Sie brauchen mich ja als Zeugen.«

»Ja, und Sie sind doch hier…«

»Im Augenblick noch. Aber ich muß leider weg.«

Die ersten Tumulte wurden laut, und dann setzte ein wahrer Organ wüstester Beschimpfungen des Beklagten ein.

Der Marshal hob die Hand, und als es trotzdem nicht ruhig werden wollte, übertönte er mit seiner sonoren Stimme den Lärm.

»Männer, der fremde Cowboy, den ich gestern zusammen mit Doc Holliday hier aus einer Keilerei zog, ist plötzlich verschwunden.«

Lange Gesichter, hundert Fragen.

»Wir müssen diesen Mann, von dem wir nicht einmal den Namen kennen, suchen…«

Und dabei blieb es.

Ben Hilgers, der schon auf weichen Knien dem Tode entgegengesehen hatte, wurde wieder abgeführt.

Wyatt Earp und Doc Holliday ritten eine Viertelstunde später nach Osten aus der Stadt.

Als die letzten Häuser außer Sicht waren, nahm der Missourier sein Pferd herum und führte es vom Weg ab den Hang hinunter, in südlicher Richtung.

Der Georgier folgte ihm schweigend.

Nach anderthalb Stunden bog Wyatt weiter nach Westen ab.

Kurz nach sechs Uhr stießen sie auf eine Spur.

»Das ist er«, sagte der Marshal, ohne aus dem Sattel zu steigen.

»Er ist fast sechs Stunden vor uns.«

»Yeah.«

»Wenn die Regenfährte bleibt, ist es gut.«

Aber die durch die starken Regengüsse anfangs sehr deutliche Spur verlor sich bald. Schon auf dem Hochplateau, wo der Boden steindurchsetzt war, hatte der Bergwind ihn schon wieder getrocknet.

Die beiden Männer blieben in westlicher Richtung und hielten auf die ferne Bergkette der Grand Hogburk Hills zu.

*

Der Mörder war geflohen. Er hatte den größten Fehler gemacht, den er machen konnte: Er war davongeritten, ohne seine Zeche zu bezahlen, ohne sich von irgend jemand zu verabschieden.

Er war gleich nach der Festnahme Ben Hilgers hinauf in sein Zimmer gegangen, hatte seine Sachen geholt und war damit zu seinem Pferd in den Stall gegangen.

Niemand hatte bemerkt, daß er davongeritten war. Er mußte das hintere Hoftor zur Quergasse hin benutzt haben, sonst hätte ihn doch irgend jemand sehen müssen.

Nun machte er sofort einen zweiten Fehler: Er ritt nach Westen aus der Stadt. Da er aus Westen gekommen war, in der Stadt aber doch überhaupt nichts erledigt hatte, hätte er nicht nach Westen davonreiten dürfen.

Wyatt Earp brachte den fremden Cowboy sofort, nachdem er sein Verschwinden bemerkt hatte, mit dem Mord an dem Sheriff in Zusammenhang. Sie waren beide aus Westen gekommen. Und der Bursche hatte einen gehetzten, verstörten Eindruck gemacht. Daß der Sheriff von Westen gekommen war, stand für Wyatt fest, denn das Pferd, das leider kein Brandzeichen trug, hätte lehmbespritzte Beine haben müssen, wenn der Reiter von Osten über die Berge gekommen wäre. Bei dem Unwetter waren die Berghänge so aufgespült worden, daß ein Reiter unmöglich ohne diese Spuren von Osten her in die Stadt hätte gelangen können.

Diese Überlegungen hatten den Marshal auf den Trail nach Westen gebracht.

Der Mörder hatte nicht ganz sechs Stunden Vorsprung. Es waren etwas über fünf Stunden. Wenn er das Hochplateau erst erreicht hatte, konnte er in gestrecktem Galopp reiten.

Noch hatte er das steinige Hochplateau nicht erreicht, das ihn endlich aus dem schlammigen Talboden brachte, als er fern im Norden am Horizont zwei Reiter entdeckte.

Er hielt erschrocken an und fixierte die beiden Punkte, die sich rasch näherbewegten und zusehends größer wurden.

Der erste Impuls sagte dem Mörder: Wyatt Earp und Doc Holliday! Sie haben meine Flucht schon früh entdeckt und sind mir gefolgt.

Sie werden zunächst in östlicher Richtung in die Birnayhänge geritten sein und dann schnell festgestellt haben, daß sie auf dem falschen Trail saßen. Dann müssen sie nach Norden abgebogen sein, und als sie da nirgends in einem entsprechenden Umkreis eine Fährte gefunden haben, kehrten sie jetzt ins Tal zurück.

Nur so konnte es sein.

Und diesmal war der Verbrecher klüger und besonnener, als er es bisher gewesen war. Fliehen? Nein, das war völlig sinnlos. Der Cowboy hatte den schwarzen Hengst des Marshals gesehen. Und der Pferdekenner in ihm war groß genug, um zu sehen, daß dieses Pferd ein noch schnellerer und zäherer Läufer war als das seine. Und vor allem war es ein Bergsteiger, was man von dem Weißfuchs des Ranchers nicht behaupten konnte. Nie und nimmer würde er dem Rapp-hengst entkommen.

Und wenn der Marshal so ein hervorragendes Pferd besaß, würde der Doktor todsicher kaum ein sehr viel schlechteres Tier reiten.

Zudem wäre es jetzt direkt auffällig gewesen, zu fliehen. Dann wäre dem Marshal ja alles klar gewesen.

Nein, er mußte warten, so hart und bitter es ihn auch ankam.

Die beiden kamen verhältnismäßig rasch näher.

Sie saßen auf Füchsen. Der eine Mann war mittelgroß, sehr hager, trug graues Tuchzeug und einen schwarzen Chikagohut.

Der andere war sehr groß, breitschultrig, hatte eine massige, ungeschlachte Figur, trug ein schreiendrotes Hemd und eine braune Cordjacke.

Mit zunehmender Erleichterung sah der Mann vom Westcreek ihnen entgegen. Es waren also nicht die beiden höllischen Dodger.

Aber es blieb die felsenfeste Überzeugung des Verbrechers, daß die beiden ihm folgen würden. Wie er Wyatt Earp kannte, würde er nicht zulassen, daß Hilgers so ohne weiteres gehängt wurde.

Die beiden Reiter waren jetzt herangekommen. Als Walker ihre Gesichter sah, erschrak er von neuem.

Welch ein Gesicht hatte der Hagere! Schmal, eingefallen, mit tief in den Höhlen liegenden wasserhellen, scheußlichen Augen. Der Mund war schmallippig wie ein Strich und an den Enden scharf nach unten gezogen, eng und niedrig die Stirn. Ein wahres Galgenvogelgesicht.

Der andere hatte ein volleres

dunkles Gesicht, eine lange fleischige Nase, aber ein Augenpaar, das von seltsam hochwachsenden Fleischwülsten von unten wie von oben eingeengt wurde. Diese Tatsache gab dem Blick dieses Menschen etwas Böses, Gemeines.

Und plötzlich fiel es dem West-creek Man wie Schuppen von den Augen. Er wußte auf einmal, wer diese beiden Männer waren. Hatte doch ausgerechnet Ben Hilgers, der jetzt in Dead West im Jail saß und auf seinen Richter wartete, eindeutig und laut genug von ihnen gesprochen.

So sehr der Gedanke den Sheriffsmörder anfangs erschrak, so gelegen kamen die beiden ihm doch andererseits. Denn er hatte jäh einen Gedanken, den er sofort in die Tat umsetzte.

»Hallo, Gents!« rief er den beiden feixend entgegen. »Ich bin euch entgegengeritten.«

Velo und Norton wechselten einen raschen Blick miteinander.

»Gewartet?« fragte der Holzfäller schließlich.

»Yeah«, log der Verbrecher weiter. »Ich habe auf euch gewartet.«

»Ach, und weshalb, wenn man fragen darf?« wollte Norton weiter wissen, wobei er sich mit dem rechten Ellenbogen auf den Sattelknauf stützte.

»Das will ich euch sagen.« Walker blickte sich vorsorglich um und tischte den beiden dann einen Song auf, der an Gemeinheit nichts mehr zu wünschen übrigließ.

»Ich weiß, daß Sie Jubal Norton sind. Und ich weiß auch, daß Ihr Begleiter Cass Velo ist. Well, ich habe hier auf sie beide gewartet. Mein Name ist Webster, Jerry Webster. Wir Websters stammen aus California. Seit anderthalb Jahrzehnten leben wir aber hier oben in den Bergen Colorados. Mein Großvater war schon Digger…«

Der Köder verfing sofort. »Was heißt schon? Sie sind also auch – Goldgräber?«

»Yeah, das heißt, ich war es, bis vor kurzer Zeit.«

»Was soll das heißen?«

»Nun, ich schuftete in meinen Claims und brachte eigentlich nicht viel zusammen. Bis vor kurzem, da stieß ich eines Abends völlig unvermutet auf eine Ader…«

Die Augen der beiden Tramps wurden groß wie Spiegeleier.

»Sprich weiter!« krächzte Velo mit einer wahren Grabesstimme.

»Well«, suchte der Sheriffsmörder sich umständlich zu geben, »ich stieß also auf die Ader und stellte zu meiner namenlosen Verwunderung fest, daß sie massiv war.«

Norton war rot angelaufen, und auch das bleiche Gesicht des Coltman war dunkel geworden.

»Dieser meiner Entdeckung konnte ich mich allerdings nicht lange freuen. Ich wurde plötzlich von zwei Diggerkids angegriffen.«

»Hatten die beiden denn etwas von deinem Fund bemerkt?« wollte Velo mit einer nicht zu überhörenden Gier in der Stimme wissen.

»Wahrscheinlich. Sie müssen mich beobachtet haben, denn ich kann es mir nicht anders erklären, daß sie sich auf einmal so hartnäckig an einen wildfremden, dreckigen Digger hingen.

Es gab eine fürchterliche Schießerei, bei der ich glücklicherweise unverletzt blieb, aber dann hatte der eine von ihnen eine Bullpeitsche gezogen. Nun – was der Lederriemen mir erzählt hatte, sehen Sie in meinem Gesicht.«

»Devil!« entfuhr es Norton, und er befeuchtete unentwegt mit der Zunge die Oberlippe.

»Und weiter?« krächzte Velo.

»Es kamen Indianer dazu.«

»Indianer?«

»Yeah – Arapahoes.«

Norton stieß einen Pfiff durch seine auseinanderstehenden Schneidezähne. »Ich dachte, diese Brut wäre endlich ausgerottet.«

»Leider noch immer nicht«, log Walker weiter. »Jedenfalls rettete mir das Auftauchen der Indsmen das Leben. Wir flohen alle drei. Und die Arapahoes blieben auf unserer Fährte bis fast hierher.«

»Weshalb bist du nicht nach Dead West geritten?« wollte Norton dann wissen.

»Das bin ich doch, Brother. Aber dann kam der große Regen…«

»Und? Wo sind die Diggerkids geblieben?«

»Sie waren auch in der Stadt. Ich habe sie gestern abend durch die Scheiben einer Bar gesehen. Die Höllenhunde saßen da und warteten den Regen ab – wie ich.«

»Und…?« knurrte Norton ungeduldig.

»Heute vormittag erzählte mir ein Pelztierjägre, Ben Hilgers hieß er…«

»Hilgers?« entfuhr es Norton. »Ist dieses alte Stinktier auch wieder hier? Well, das gibt ja heute abend eine Saufer…« Norton unterbrach sich selbst und sah Velo an.

Der warf den Kopf herrisch vor. »Sprich weiter, Mensch, laß dir doch die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen!«

Walker nickte.

»Yeah, es war also so: Hilgers erzählte mir von euch beiden. Er sagte mir, daß ihr heute in die Stadt kommen würdet. Und daß ihr beide die einzigen Männer wärt, die es mit den Diggerkids aufnehmen könnten.«

Walker nahm den Hut ab und rieb sich über den Schädel. »Sie werden mir wieder auf den Fersen sein, das ist klar. Bei so einer Ader lassen solche Hunde nicht locker.«

»Und was erwartest du nun von uns?« forschte Norton plump heraus.

»Das will ich euch sagen. Ich hoffte, daß ihr mit mir kommen würdet, um mich gegen die Banditen zu schützen.«

»Und was soll uns das einbringen?« fragte Norton, ohne die verzweifelten Blicke seines knochigen Gefährten zu beachten, der sich bereits als steinreicher Mann irgendwo auf einer großen Ranch sitzen sah.

»Nun – ich werde euch mit einem angemessenen Anteil meiner Beute beteiligen.«

»Und was nennst du angemessen?«

»Wenn ihr mich von den beiden Halunken befreit, verdanke ich es im Grunde ja nur euch, wenn ich überhaupt an mein Gold komme. Also müßte ich euch schon gut beteiligen. Ich hatte mir gedacht, daß jeder von euch ein Viertel der Ausbeute bekommen soll, während ich zwei Viertel behalte. Wäre das euch recht?«

Velos Gesicht war eine Studie der Habgier und Gemeinheit.

»Aber ja, das wäre uns recht, denn du schlägst wirklich eine saubere und gerechte Teilung der Ausbeute vor, Webster.«

Der Sheriffmörder hatte die beiden Tramps überlistet. Nicht nur den plumpen Holzfäller Norton, sondern auch den gerissenen, mit allen Wassern gewaschenen Revolvermann Cass Velo.

Im Schutz seiner neuen Gefährten ritt Jerry Walker über das Hochplateau auf die ferne Bergkette zu.

Der Boden war dort, wo die beiden Tramps auf ihn gestoßen waren, schon so felsig gewesen, daß Walker mit Recht darauf hoffen konnte, daß seine und die Spuren seiner beiden Begleiter unkenntlich blieben.

Im gestreckten Galopp sprengten die drei makabren Gestalten vorwärts.

Was hatte Walker vor?

Er wollte die ihm höchstwahrscheinlich folgenden beiden Dodger in einen Hinterhalt locken, um sie dort mit Hilfe seiner neuen Bundesgenossen zu erledigen.

Und dann würde er sich seiner Gefährten entledigen.

Der Sheriffmörder hatte sich ziemlich viel vorgenommen. Aber er sagte sich immer und immer wieder: wenn ich Wyatt Earp und Doc Holliday auf meiner Fährte habe, gibt es keine Ruhe. Sie werden mich jagen bis an die Küste. Ich muß sie abschütteln oder schlagen. Etwas anderes gibt es nicht.

Der Mörder hatte sich für das »Schlagen« entschieden. Und dabei sollten ihm die beiden behilflich sein.

Walker glaubte sicher zu sein, daß der Marshal scharf auf seiner Fährte bleiben würde. Also hatte er weiter nichts zu tun, als ihm rasch einen Hinterhalt zu legen.

Es wurde schnell Abend, und die Nacht deckte trotz des aufgeräumteren Himmels bald ihre Schleier über das Plateau. Von den Bergen kam ein scharfer Wind, der die Männer frieren ließ.

»Wir dürfen unter gar keinen Umständen ein Feuer anzünden«, mahnte Walker die beiden, als er bemerkte, daß Norton nach Holz Ausschau hielt.

Der Mörder hatte dafür gesorgt, daß ihr Lagerplatz nicht auf der Fluchtlinie, sondern ein Stück weiter nördlich in einer Senke lag.

Anderthalb Stunden nach Mitternacht weckte Walker seine Gefährten.

»Wir müssen weiter.«

Schlaftrunken richtete Norton sich auf.

»He, Webster«, knurrte er ungehalten. »Bist du vielleicht irgendwo da oben unter deinem Hut krank? Glaubst du, wir wollten Tag und Nacht reiten? Es sind noch fast vier oder gar fünf Stunden bis zum Sonnenaufgang. Wo willst du denn jetzt schon hin?«

»Wir müssen weiter. Die beiden Halunken können uns in der Dunkelheit leicht ziemlich nah auf den Pelz gerückt sein, so daß wir damit rechnen müßten, bei Sonnenaufgang von einem Kugelhagel begrüßt zu werden.«

Das leuchtete Norton nicht ein.

Walker zog sich in seinen Sattel.

»Well, Gents, dann bleibt hier und schlaft euch aus. Ich jedenfalls reite weiter. Ich habe noch einen weiten Weg und möchte meine Claims schließlich nicht allzulange allein lassen, sonst kommt noch ein anderer Halunke daher und räumt sie aus. Für soviel Gold macht sich mancher einen schweren Weg.«

Das half.

Velo jedenfalls war sofort auf den Beinen. Da blieb dem Holzfäller nichts weiter übrig, als den beiden zu folgen. Sie ritten durch die Nachtkühle westwärts auf die immer noch fernen Berggipfel zu.

Walker hob den Blick nach vorn. Seine Augen saugten sich an den düsteren Gipfelzacken fest.

Irgendwo da oben würde er die beiden gefährlichsten Männer des Westens auslöschen. Er würde sie in eine tödliche Falle locken…

*

Wyatt Earp dachte nicht daran, die Verfolgung über die offene Hochebene aufzunehmen. Zu weit konnte er auf dem Plateau von Westen her gesehen werden.

Wer auf die Berge zuhielt, der wollte auch hinüber. Und Wyatt wurde das Gefühl nicht los, daß der Cowboy aus dem Land hinter den Bergen kam. Da oben in den Grand Hogburk Hills lebte kein Mensch. Also würde der Bursche über die Berge müssen. Da gab es mehrere Pässe. Wyatt selbst kannte schon zwei.

Und da der Cowboy unter Umständen auch die Nacht durchritt, war es wirklich sinnlos, ihm da hinauf zu folgen.

Jerry Walker hatte den Umweg nach Nordwest-West ganz absichtlich gemacht. Unten auf dem südlicherem Kurs kam er natürlich schneller westwärts, aber da war es auch bedeutend schwerer, einen Hinterhalt für die Verfolger zu finden. Jedenfalls für zwei Männer wie die, die er auf seiner Fährte vermutete.

Wyatt Earp war dem Banditen nicht auf den Leim gegangen. Er blieb hart auf dem südlicheren Kurs nach Westen hinüber, überquerte die Hills an ihrer sanftesten Stelle und ritt dann in das Rio Blanco Plateau hinaus auf Sanfor zu.

Die beiden erreichten die Stadt am darauffolgenden Abend.

Doc Holliday wies auf das Boardinghouse an der linken Straßenseite. Nebenan im Tor des Mietstalles stand das Mädchen.

Holliday hielt auf sie zu.

»Können wir unsere Pferde für eine Nacht unterstellen, Miss?«

Florence nickte.

Holliday winkte dem Marshal. Der gab dem Georgier seinen Rappen und ging schon ins Boardinghouse, um die Quartiere zu bestellen.

Die beiden Männer saßen kaum beim Abendbrot, als die Frau des Owners ihnen stark ausgeschmückt die blutige Story schilderte, die sich vor kurzem in ihrem Haus abgespielt hatte.

»Stellen Sie sich vor, Gents, es war ein Sohn, der seinen Vater niedergestochen hat. Ein Cowboy drüben vom Westcreek! Er hat seinen eigenen Vater, der hinter ihm hergeritten war – wir wissen auch nicht weshalb –, den hat er niedergestochen.«

»Tot…?« fragte Holliday, ohne aufzusehen.

»Wer? Der Rancher? Nein, Mister, der liegt zwei Häuser weiter beim Arzt.«

Gleich nach dem Abendbrot machten sich die beiden auf den Weg zu dem Doktor.

Wyatt Earp klopfte an.

Die Frau des Arzes kam an die Tür.

Wyatt nahm den Hut ab. »Pardon, Madam, mein Name ist Earp. Dies hier ist mein Begleiter, Dr. Holliday. Könnten wir Ihren Mann vielleicht…«

»Earp? Und Dr. Holliday?« kam da eine Männerstimme aus dem dunklen Flur. »He, das ist doch wohl ein Scherz, Mister.«

Der Arzt erschien in der Tür. Forschend glitt sein Blick über die beiden Männer.

Wyatt Earp nahm seinen Stern aus der Tasche. »Ich heiße Wyatt Earp, Doktor. Und dies ist Doc Holliday. Wir hätten gern einen Augenblick mit Ihnen…«

»Aber das ist doch – ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!« entfuhr es dem Arzt. »Wyatt Earp und Doc Holliday hier in Sanfor! Allmächtiger, wenn die Leute das wüßten…«

»Die werden’s bald wissen, wenn Sie unsere Namen nun noch einmal wiederholen«, warf Doc Holliday ein.

»Pardon, Gentlemen, bitte, kommen Sie herein. Leider kann ich Sie nicht vorn in meine gute Stube führen, denn ich habe einen Verletzten im Haus, für den ich leider hier in der kleinen Behausung nirgends sonst einen Platz hatte. Ins Behandlungszimmer kann ich ihn nicht gut legen, da dort den ganzen Tag über die Leute aus und ein gehen.«

»Wie geht’s dem Mann?« wollte Wyatt wissen.

»Kennen Sie ihn?«

»Nein, aber wäre es wohl möglich, einen Augenblick mit ihm zu reden?«

»Natürlich. Kommen Sie.«

Nur ein schwaches diffuses Licht fiel vom Fenster ins Zimmer und ließ erkennen, daß rechts ein Bett an der Wand aufgeschlagen wr.

»Mr. Walker, hier sind zwei Gentlemen, die mit Ihnen sprechen möchten. Sie werden staunen, wenn Sie ihre Namen hören. Dies hier ist Marshal Wyatt Earp und dort ist Dr. Holliday.«

Der Verletzte richtete sich leise ächzend auf.

»Bitte, bleiben Sie liegen«, sagte Doc Holliday halblaut.

»Wyatt Earp…?« kam es heiser von den Lippen des Ranchers. »Um Himmels willen, Marshal – was ist denn – ist was mit ihm – mit dem Jungen?«

»Nein, wir kennen Ihren Jungen ja nicht, Mr. Walker; wir hörten nur von Ihrem Mißgeschick und wollten uns nach Ihrem Befinden erkundigen.«

Sie blieben ein paar Minuten, und der alte Mann bedankte sich bei ihnen für ihre Teilnahme.

Dann standen sie im Behandlungszimmer bei dem Doktor.

»Es war sein Sohn«, sagte der düster, »sein eigener Sohn. Ich weiß nicht, weshalb der Rancher ihm nachritt, jedenfalls war es der Bursche!«

»Sonst wissen Sie nichts weiter von der Geschichte?« erkundigte sich der Missourier.

Der Doktor schüttelte den Kopf.

»Nein, mir reicht das schon. Der Bursche muß sich mit ihm gezankt haben. Wer weiß, um was es da ging. Der Alte spricht sich ja nicht aus.«

»Und vom Westcreek, sagten Sie, stammt der Rancher?«

»Yeah, vom Westcreek.«

Ein paar Minuten später ging der Spieler noch einmal hinüber in den Mietstall.

Florence war gerade damit beschäftigt, ein Pferd zu striegeln.

Als sie den Mann kommen sah, richtete sie sich auf und sagte: »Sie haben selten schöne Tiere, Mister…«

»Ja, aber ich hörte, vor Tagen sei ein hübscher Weißfuchs hier gewesen…?«

»Ein Weißfuchs?« Das Mädchen sann nach. Dann nickte sie heftig. »Sie meinen den jungen Walker. Yeah, er ritt ein schönes Tier, aber ich finde, daß der Schecke besser ist und der Rapphengst sogar todsicher.«

Holliday reichte ihr ein Geldstück.

»Wofür?«

»Daß Sie meinem Schecken morgen früh gleich Wasser geben. Das ist er so gewohnt, wissen Sie. Und wenn er das nicht bekommt, ist er den ganzen Tag über mucksig.«

Florence lachte, und ihre perlengleichen Zähne schimmerten aus dem Halbdunkel heraus. »Ja, es gibt eigenartige Tiere.«

Als Doc Holliday anschließend in das Zimmer des Marshals kam, stand der am dunklen Fenster und blickte auf die Straße hinunter.

»Nun haben wir ja mit einem Schlag eine ganze Menge erfahren. Viel mehr sogar, als ich zu hoffen gewagt hatte. Der Bursche ist von der Ranch geflüchtet, und der Alte ist ihm gefolgt. Jetzt wüßte ich nur noch gern, weshalb Jerry Walker vom West-creek weggeritten ist.«

»Ob ihm der Sheriff folgte, weil er den Vater niedergestochen hat?« überlegte Holliday.

»Kaum anzunehmen, da der Mann ja nicht von hier war, der in Dead West getötet wurde.«

»Das wissen Sie auch schon«, meinte der Georgier verdutzt.

»Yeah, ich war gerade einen Augenblick beim Sheriff. Es ist ein blutjunger Kerl ohne Deputies, der seit anderthalb Jahren den Job hat…«

»Und wahrscheinlich sehr stolz darauf ist.«

»Richtig.«

Die Kette um Jerry Walker hatte sich schon zu einer bedenklichen Enge zusammengeschlossen. Zwar kannte Wyatt Earp noch nicht das Motiv, den Grund für all die Geschehnisse, aber auch da tappte er keinesfalls völlig im dunkeln.

»Dieser Bursche hat irgend etwas auf dem Gewissen. Etwas, das den Sheriff und seinen eigenen Vater veranlaßte, ihm zu folgen.«

»Ob es mit dem Weg hier zusammenhing? Ich finde es sonderbar, daß die beiden den Weg des Flüchtlings so sicher verfolgt haben. Vor allem doch der Sheriff…«

»Wohin soll ein Mann reiten, wenn er vom Westcreek kommt? Nach Süden? Da türmen sich in allerkürzester Entfernung schon gewaltige Berge auf. Im Norden ebenfalls. Im Westen liegt die scharfe Grenze Utahs. Da bleibt doch eigentlich nur der Weg nach Osten.«

»Ich möchte wissen, wohin der Bursche jetzt will?«

»Vielleicht war er nur noch vor dem Sheriff auf der Flucht. Er hat ihn ausgelöscht und kehrt ganz einfach wieder um.«

»Um? Wohin?«

»An den Westcreek.«

»Glauben Sie das wirklich?« fragte der Georgier stirnrunzelnd.

»Wer kann das wissen? Jedenfalls hat er in Dead West ganz plötzlich kehrtgemacht. Weshalb? Er ist dorthin gekommen und der Sheriff auch. Und Jerry Walker kehrt um.«

»So glaube ich beispielsweise auch nicht, daß er es riskieren wird, über Sanfor zu reiten.«

»Nein, das glaube ich eigentlich auch nicht. Denn der Gedanke ist ziemlich unverdaulich, daß er erst den Sheriff niederknallt und dann hier nach seinem Vater sieht, dessen elenden Zustand er ja auch verursacht hat.«

»Wie – wenn der Bursche zurück auf die Ranch reitet, um da Dinge anzubringen, an die er nicht herankam, wenn der Rancher auf dem Hof ist.«

»Nicht ausgeschlossen…«

Sie waren ihm in allem dicht auf der Spur, die beiden Dodger. Eines aber wußten sie nicht: daß der Sheriffmörder Jerry Walker zwei Bundesgenossen hatte.

*

Zwei Tage lang hatten die drei Tramps die Berge durchzogen. Immer und immer wieder hatte Walker haltgemacht, sich auf eine erhöhte Stelle postiert und das Land, das hinter ihnen lag, beobachtet.

Nachts hatte er nicht mehr geschlafen, weil er glaubte, die Verfolger müßten schon in der Näher sein.

Er traute es Wyatt Earp durchaus zu, den ganzen Tag über unsichtbar zu bleiben und mitten in der Nacht plötzlich am Lagerplatz aufzutauchen. Und daß sich der Marshal dann auch nichts aus den beiden Gaunergestalten Velo und Norton machen würde, war Jerry völlig klar.

Deshalb mußte er wachen. Er mußte der Angreifer sein. Auf keinen Fall durfte er sich von dem Marshal überrumpeln lassen.

Immer und immer wieder wollte ihn der Schlaf übermannen, aber die Angst vor dem Verfolger war so groß, daß er schließlich doch wach blieb.

Das rächte sich natürlich amTag. Er brauchte Schlaf und brachte es fertig, die beiden goldgierigen Hyänen, die er da mit sich schleppte, als Wachen aufzustellen. Er sah genau in ihren Gesichtern, was in ihnen vorging.

Besonders Velo zeigte deutlich, wie er sich die Teilung der Ausbeute gedacht hatte.

Aber Walker wußte ja, daß es gar keine Goldader und also auch gar keine Ausbeute geben konnte, die geteilt werden müßte.

Noch war er sicher wie in Abrahams Schoß, wenn er tagsüber unter der Obhut der beiden Banditen wachte.

Die beiden waren schon mißtrauisch untereinander geworden. Wenn der eine mit Walker sprach, sah der andere zu, daß er ja jedes Wort mitbekam.

So hatten sie sich schon zwei Tage und zwei Nächte durch die Berge geschleppt.

Nachts wachte Walker und verbrachte neun Stunden voller Angespanntsein und Angst – tagsüber wachten die beiden. Weiter kamen sie auf diese Weise immer nur wenig.

Am Morgen des dritten Tages krächzte Velo, als Walker sich wieder zum Schlafen niederlegen wollte. »He, Webster, wo ist eigentlich die Ader?«

»Drüben am Westcreek.«

»Ach – und wie lange gedenkst du noch hier in diesen verdammten Bergen herumzukriechen? He, ist es nicht vielleicht möglich, daß deine Diggerkids längst auf einem anderen Weg zum Westcreek gezogen sind, um das Nest zu leeren, he?«

Walker, der sich schon niedergelegt hatte, richtete sich auf. Er war so vollkommen erschöpft, trotz der Schlafstunden, die er tagsüber einlegte, daß er über diese Dinge längst nicht mehr nachgedacht hatte.

Yeah, das war tatsächlich möglich: nämlich daß Wyatt Earp und Doc Holliday ihm bereits voraus waren und ihn seinerseits drüben auf dem Rio Blanco Plateau erwarteten.

Dazu müßten sie allerdings genau wissen, wohin er wollte.

Oder…? War es nicht auch möglich, daß der Marshal mehr wußte? Daß er vielleicht aus der Fluchtrichtung das Ziel erahnte? Man hatte sich ja solche Dinge von ihm erzählt!

Und das war das schlimmste für Walker: daß Wyatt Earp, von dessen Taten er einst geträumt, den er nun kennengelernt hatte, der ihn in bravouröser Manier aus einer Patsche gerissen hatte, jetzt als sein Gegner auf seinen Fersen saß.

Well, und dann dachte er das gleiche, was alle bisherigen Gegner des Missouriers gedacht hatten: Mich jagt er nicht.

Mich stellt er jedenfalls nicht! Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin klüger, geschickter, raffinierter und härter!

Der Gedanke allerdings, daß Wyatt Earp auf dem Rio Blanco Plateau sein könnte, machte ihm doch erheblich zu schaffen. War es nicht das beste, wenn er auf dem schnellsten Weg suchte, weiterzukommen?

Ganz sicher.

Aber wo wollte er eigentlich hin?

Die beiden Banditen hatte er doch nur mitgenommen, um sich mit ihrer Hilfe der etwaigen Verfolger zu entledigen. Wenn sie jetzt nicht mehr hinter ihm waren, dann konnte er ja vielleicht wieder ostwärts…

Aber nein, das war auch sinnlos. Denn ebensowenig, wie er nun wußte, ob der Marshal auf der Rio Blanco Ebene war, wußte er, ob er noch hinter ihm war, oder sonst irgendwo im Osten.

Er mußte nach Westen hinüber.

Und diesen Gedanken hatte er schon in der vergangenen Nacht gehabt: War seine Flucht, seine Fluchtrichtung anfangs auch willkürlich eingeschlagen worden, so hatte sich die Richtung bei ihm doch schon irgendwie festgesetzt.

Yeah, er mußte nach Westen. Zum Westcreek.

Es gab da übrigens wirklich Gold. Aber das steckte nicht in einem Hole, sondern in einer massiven Kiste, die oben in einer Dachkammer des großen Ranchhauses stand.

Und dieses Gold brauchte er. Zumindest einen Teil davon. Denn er mußte sehen, daß er hinauf nach Norden kam.

Im Süden waren die Berge. Im Norden zwar auch. Aber im Süden war das Land nachher dichter besiedelt und also gefährlicher für einen – Mörder.

Nur hin und wieder tauchte vor seinen Augen das Bild Dick Cirbys auf, wie er ihn in jener Nacht aus der Wasserlache angehoben und ihm ins Gesicht gesehen hatte, um festzustellen, ob er tot war.

Yeah, er hatte Dick Cirby ermordet. Einen Sheriff hatte er ermordet!

Norton trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

»He, Webster, hast du nicht gehört, was Velo gefragt hat?« raunzte der Holzfäller.

»Natürlich habe ich es überlegt. Gebt acht: Ich werde jetzt zwei Stunden schlafen, und dann ziehen wir los. Im scharfen Galopp nach Westen. Haltet die Augen offen und macht alles zum Abmarsch bereit. Am Ende beabsichtigen die beiden Schufte tatsächlich, die Ader vor uns auszuschlagen. Aber macht euch keine Sorgen. So leicht ist das nichts für Leute, die nichts davon verstehen.«

»Vielleicht verstehen sie ja eine ganze Menge davon«, gab Velo zu bedenken.

»Nein, gar nichts. Das weiß ich ganz sicher. Schließlich habe ich ja erst mit ihnen gesprochen…«

»Hat er nicht gesagt, sie hätten ihn plötzlich überfallen?« fragte Velo den Woodcutter mißtrauisch, als Walker eingeschlafen war.

»Kann sein. Ist ja auch unwichtig. Er ist schon ziemlich durchgedreht. Interessiert mich alles nicht. Mich interessiert nur eines: das Gold!«

Und das war auch bei dem Schießer nicht anders. Auch ihn hatte der Gedanke an das Gold umnebelt und seine sonstige raubtierhafte Vorsicht vergessen lassen.

Walker tat nur so, als ob er schliefe. In Wirklichkeit beobachtete er die beiden scharf und überlegte, wie er sie am raschesten loswerden könnte.

Dann war er vor Übermüdung doch eingeschlafen.

Velo weckte ihn gegen neun Uhr. »He, Webster, steh auf…!«

Walker fuhr hoch und stand schwankend und schlaftrunken auf den Beinen, den Revolver in der Faust.

Die beiden kannten das schon an ihm und glaubten, daß er sich von den beiden Goldrustlern bedroht fühlte.

»He, Webster!« meinte Norton, als sie längst im Sattel saßen. »Du faselst da immer was von einem Marshal und von einem Arzt. Was haben die mit dir zu tun?«

Jerry Walker erschrak bis ins Mark. Verdammt, verriet er sich also schon im Schlaf!

Da wurde es ja allerhöchste Zeit, daß er sich von den beiden Tramps trennte. Aber wie sollte er das anstellen? Die beiden waren wachsam wie Schießhunde und würden ihn gnadenlos niederknallen, wenn sie sich betrogen glaubten.

Unablässig zermarterte sich Jerry das Hirn, wie er sich der Gefährten entledigen könnte.

Yeah, in den Bergnächten, in denen er gewacht hatte, wäre es eine Kleinigkeit gewesen. Da hatten sie schnarchend in ihren Decken gelegen. Aber da hatte er sie ja auch noch gebraucht, weil er den Marshal hinter sich glaubte.

Jetzt aber zeigten sich die beiden Tramps äußerst mißtrauisch.

Bei Einbruch der Dunkelheit tauchten die Dächer einer Ansiedlung vor ihnen auf.

»Was ist das…?« fragte Walker stirnrunzelnd, denn er wußte tatsächlich nicht, wo er sich hier befand.

»Das ist Sanfor«, krächzte Velo.

Sanfor! Wie ein Paukenschlag hämmerte der Name durchs Hirn des Mörders. War es nicht die Stadt, in der er den Vater niedergestochen hatte?

Es war die gleiche Stadt. Da lebte das Mädchen Florence, da war das Boardinghouse – und da gab es jetzt vielleicht auf dem Graveyard einen Stein oder auch nur ein Holzkreuz, auf dem ein paar Zeilen standen.

Die Daten des Todestages – denn mehr hatten die Leute in Sanfor ja nicht von dem Rancher gewußt.

Norton deutete nach Südwesten auf die dunklen Häuser. »Da werden wir schlafen.«

»In Sanfor?« entfuhr es Walker.

»Yeah!« bestätigte der Coltman.

»Aber…«

»Was aber?« fragten die beiden wie aus einem Mund.

Walker schluckte vor Zorn und Verzweiflung.

»Es ist nur so, die beiden Banditen, die können doch genausogut in der Stadt sein. Ich vermute es sogar sehr stark, denn es ist ja hier in dieser Gegend offenbar die einzige Ansiedlung.«

»Na und? Da können wir wenigstens gleich mit ihnen abrechnen«, brabbelte der Holzfäller.

Walker wollte noch etwas sagen, als Cass Velo plötzlich seinen Revolver in der Hand hielt und langsam mit einem unangenehmen Geräusch den Revolver spannte.

»Wir reiten nach Sanfor«, sagte er mit seiner hohlen, schnarrenden Stimme.

*

Sie ritten nach Sanfor.

Und zwar so, daß Walker voranritt. Velo blieb dicht hinter ihm und Norton machte den Schluß.

Die Lichter der Bars warfen gelbe Strahlenbündel auf die Mainstreet, und der Lärm hämmernder Orchestrionmusik vermischte sich mit dem Grölen angetrunkener Männer.

Als sie die Höhe des Mietstalls erreichten, in dem die hübsche kleine Florence arbeitete, zog der Mörder den Kopf tief zwischen die Schultern.

»Was hast du denn?« krächzte Velo hinter ihm.

»Laß ihn, vielleicht friert er«, antwortete der Holzfäller.

Dann kam das Boardinghouse, in dessen Hauseingang Jerry Walker seinen Vater niedergestochen hatte.

Velo schnarrte: »Halt an. Da ist ein Boardinghouse. Hier werden wir Quartier machen. Ich muß endlich mal wieder in einem Bett liegen.«

Walker schwieg.

Da führte Velo seinen Gaul dicht neben ihn. »He, was ist mit dir los?«

»Ich reite weiter.«

»Ach…?«

»Yeah.«

»Hast du das gehört, Jube?«

»Hab’ ich.«

»Na und? Sollen wir uns das vielleicht bieten lassen?«

»Das mußt du wissen«, wand sich der Woodcutter heraus.

»So, das muß ich also wissen! Well, du hast es gehört, Webster. Ich muß es wissen. Und ich sage: wir bleiben hier.«

Walker nahm die Zügel hoch. Der Weißfuchs setzte sich in Bewegung.

Sofort war Velo heran und fiel dem Westcreek Man in die Zügel.

Der warf den Kopf herum. Und trotz der Dunkelheit sah Cass Velo es in seinen Augen blitzen. Ein Anblick, der ihm bei dem vermeintlichen Goldgräber völlig neu war.

»Was fällt dir ein!« zischte Walker.

Norton war heran.

»Laßt das doch, wozu wollen wir uns hier rumschlagen. Ich habe ganz andere Gedanken im Kopf. Zum Beispiel den: Wie kommt es, daß Webster und die beiden Goldkids nicht in Sanfor gelandet sind, sondern drüben in Dead West, he?«

Walker zuckte zusammen. Damned, jetzt entdeckte ausgerechnet dieser Elefant ein Loch in seinem Lügengewebe.

»Du machst dir unnötige Gedanken«, meinte Velo schleimig. »Wenn der liebe Webster uns aufs Eis zu führen gedenkt, ist er der erste, der sich darauf das Genick bricht, he-he-he-he.«

Die widerliche Lache lag dröhnend in Walkers Ohren.

»Hört zu, Boys, ich werde euch etwas sagen: Ihr braucht ja nicht mit mir zu kommen, wenn ihr plötzlich mißtrauisch werdet. Ich bin vom

Westcreek geflüchtet, ostwärts, immer ostwärts. Ich wollte nach Sulphur und habe es verpaßt. Dieses Nest hier habe ich auch nicht gesehen, ich bin geritten und geritten, durch die Nacht – und dann war ich am Morgen plötzlich in Dead West. Und trotzdem waren die Verfolger hinter mir.«

»Aber du bist doch nicht an einem einzigen Tag vom Westcreek nach Dead West gekommen«, knurrte der Schießer.

»Natürlich nicht, denn Flügel habe ich ja keine. Ich fand in einer verlassenen Berghütte Unterschlupf vor dem Regen.«

Leuchten waren sie beide nicht, sonst hätten sie das allzu Durchsichtige in »Websters« Story doch erkennen müssen. Trotz der Goldblende. Denn daß das Gold ihre Geister bereits stark getrübt hatte, war überdeutlich.

»Weshalb willst du hier keine Rast einlegen?« suchte Norton abzulenken.

»Weil ich weiter muß, und weil ich nicht im Traum daran denke, diesen beiden Schweinehunden meinen…«

Drüben im Boardinghouse wurde die Tür aufgestoßen, und Walker erkannte die Silhouette des Mannes, der ihm neulich in jener Regennacht geöffnet hatte.

Der Sheriffmörder wandte den Kopf zur Seite. »Ich reite jetzt weiter! Und wenn ihr hierbleiben wollt, dann tut das«, zischte er. »Ich jedenfalls denke nicht daran, mir von den beiden die Ader ausräumen zu lassen. Dafür habe ich schließlich nicht jahrelang in den Claims geschuftet, daß eines Tages zwei Halunken daherkommen und mir die fette Beute wegschnappen. Ich will es mir selbst von dem Gold gutgehen lassen. Ich werde mir eine Ranch kaufen. Und wenn ich euch nicht die beiden Viertel abgeben muß, kann ich mir noch einen Saloon und einen Store dazu kaufen, in die ich dann Leute setze, die für mich arbeiten müssen.«

Das genügte.

Norton knurrte: »Er hat recht, Cass. Ich reite mit ihm.«

Cass Velo hätte Norton niemals allein weggehen lassen, und wenn er todmüde sein sollte.

Walker atmete auf, als er im Trab vorwärtsritt.

Links lag das Haus des Arztes. Und der alte Walker, der dort hinter dem verhangenen Fenster mit seinen Schmerzen lag, ahnte nicht, daß der Hufschlag, den er jetzt vernahm, vom Pferd seines Sohnes stammte.

Jerry Walker hatte es geschafft. Das gefährliche Sanfor lag schnell hinter ihm, und im gestreckten Gelopp ging es westwärts.

*

Wyatt Earp und Doc Holliday hatten in Sanfor den Namen des Ranchers Walker erfahren, und das war schon sehr viel.

»Zwar wird es eine ganze Reihe Walkers geben, schätze ich, aber wir werden die Ranch dieser beiden schon finden.«

Doc Holliday war der gleichen Ansicht. Nur war er sich nicht sicher, ob der Bandit tatsächlich zu der Ranch reiten wollte.

»Er kann ja ebensogut etwas anderes vorhaben, vielleicht in der Nähe…«

»Natürlich«, pflichtete der Marshal bei. »Ich gebe zu, daß es keineswegs sicher ist, und er will nun zurückkommen, um das Geld des Alten abzuholen, falls der es nicht auf der Bank liegen hat.«

Damit hatte Holliday es genau getroffen.

Sie ritten hinüber nach Sulphur. Es war Abend, als sie dort ankamen.

Vor Carols Saloon hielt der Georgier das Pferd an. »Es war eine ziemlich lange, durstige Strecke, Marshal. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich hier einen Brandy trinke?«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Doc. Ich würde jetzt auch einen guten Kaffee vertragen.«

»Den gibt’s da sicher auch.«

Sie machten ihre Tiere fest und betraten die Schenke.

Doc Holliday, der voranging, hatte die Tür noch nicht ganz geöffnet, als ihm zwei Schüsse entgegenbrüllten.

Nur ein Mann mit seinem Reaktionsvermögen konnte so gedankenschnell handeln, wie er es jetzt tat. Er hatte sich gleich fallen lassen und im Fallen gezogen.

Im harten Stakkato schlugen seine Schüsse durch den Schankraum und rissen einem grobknochigen Mann, der an der Theke stand, die Beine weg.

Neben dem Grobknochigen stand ein kleiner Mensch mit Zigeunergesicht, scharfem schwarzem Schnurrbart und dunklen Augen. Auch er hatte geschossen.

Und war getroffen worden von dem Spieler.

Die beiden Kugeln der anderen hatten das Türglas zerschlagen.

Der Zigeunertyp hatte einen Schlag gegen den rechten Oberarm bekommen. Sein Genosse lag unten an der Theke.

Und der dritte stand hinter der Tür, um den Spieler anzufallen mit seinen Schüssen.

Da Doc Holliday jedoch nicht kam, wartete er vergebens.

Dafür wurde hinter ihm eine Fensterscheibe zertrümmert, und ein brüllender Schuß stieß ihm den Colt aus der Hand.

Wyatt Earp war der Schütze. Er stieß die Scheibenstücke weiter aus dem Fenster und kletterte in den Schankraum. In der Linken hielt er seinen schweren sechskantigen Buntline Special.

Wyatt wollte einen Blick in den Eingang werfen, aber da tauchte der Georgier auch schon auf. Er hatte den rauchenden Revolver noch in der Rechten und ging auf den Zigeuner zu.

»He, das war ein ziemlich lauter Empfang, Boys. So etwas schätze ich immer!« Mit einem raschen Griff nahm er dem Zigeuner die Waffen weg. Dann bückte er sich und entwaffnete auch den Mann, der an der Theke hinuntergerutscht war.

Wyatt zog dem Burschen, der im Türwinkel stand, die Revolver weg.

Der Mann, der oben auf dem Piano gehämmert hatte, saß wie aus Holz geschnitzt vor seinem Wimmerkasten.

Der Wirt hatte die Hände um die Thekenkante gepreßt. Und die Gäste hatten den Atem angehalten.

Alles war so schnell gegangen, daß niemand recht begriffen hatte, was nun eigentlich geschehen war.

Joe Watson hatte auch an der Theke gestanden. Oben, am Stirnende. Wie alle anderen hatte er sich vor Schreck nicht gerührt.

Jetzt kam er heran und blieb vor Doc Holliday stehen.

»He, was fällt Ihnen ein? Das war – ja – das war ja ein regelrechter Überfall!«

»Banditen!« schrie der Zigeuner.

»Regelrechte Banditen, Sheriff. Ich habe sie gesehen, wie sie oben in Henrickstown eine kleine Bank überfielen. Dann überfielen sie in Grobley einen Saloon. Nehmen Sie die Schurken sofort fest.«

Aber der eisige Blick, der den Sheriff aus den Augen Doc Hollidays traf, ließ den Sheriff zu keinem weiteren Wort kommen.

»Ernest, Larry, Jim! Stampft sie in den Boden!« schrie der Zigeuner. »Männer von Sulphur, es sind die Cornoy Brothers, die die beiden Frauen in Jefferville ermordet hab…«

Es waren nur wenige Augenblicke seit den Worten des Sheriffs und nur Sekunden seit den Schreien des Zigeuners vergangen, als sich die Gäste nahezu geschlossen auf die beiden Fremden stürzten.

Eine Gegenwehr wäre völlig zwecklos gewesen.

Trotzdem hieb Wyatt Earp dem Mann, der mit dem Colt in der Türnische gestanden hatte und der ihn als erster ansprang, einen krachenden Uppercut gegen die Kinnlade, der den Banditen sofort gegen die Tür warf und besinnungslos am Boden liegen ließ.

Dem Zigeuner ging es nicht anders. Er war mit einem heiseren Schrei und einem gezogenen Messer, das er im Ärmel stecken gehabt haben mußte, auf den Gambler zugestürzt. Hollidays Hand zuckte nur hoch – knackend krachte der Revolverlauf auf die ölige Frisur des Zigeuners nieder.

Auch der Mann war zunächst still.

Wyatt Earp und Doc Holliday wurden von der Menge hinausgeführt. Sheriff Watson leitete den grölenden Trupp zum Jail.

Es war den beiden einfach nicht möglich, mit irgend jemand ein vernünftiges Wort zu sprechen.

Plötzlich peitschte ein Schuß über die Straße.

Die Kugel traf einen Mann, der dicht neben Wyatt Earp ging.

»Hölle und Feuer! Das sind Ihre Freunde!« schrie einer. »Vorwärts, laß sie los!«

Aber die anderen schoben weiter.

Und drei Minuten später standen sie in einer der beiden Zellen des Jails von Sulphur.

Es war dem Sheriff gelungen, die anderen Männer außer dem Mayor und dem greisen Richter Bingham herauszudrängen.

Der Missourier rief dem Sheriff zu: »Lassen Sie unsere Pferde vom Saloon wegholen, Sheriff!«

»Mann, rede nicht!« zischte der Mayor, ein schlanker Mensch von höchstens sechsundvierzig Jahren. »Ihr habt doch hier keine Forderungen mehr zu stellen. Ihr werdet aufgeknüpft, das ist doch klar. Drüben in der Schenke liegt ein Toter…«

»Noch nicht«, entgegnete Holliday eisig. »Sheriff, lassen Sie unsere Pferde herbringen. Wenn die Tiere weg sind, machen wir Sie dafür verantwortlich.«

Draußen schrie und tobte die Menge.

»Aufhängen!«

Damit war man im Westen rasch bei der Hand.

»Da, hören Sie nur, was die Leute rufen!« sagte der Mayor und warf sich in die Brust. »Yeah, Boys, so leicht ist euch das in Sulphur nicht geworden, nicht wahr. Wir kennen euch, die Cornoy Brothers. Wozu sollen wir eigentlich noch warten, Richter, es sind die Cornoy Brothers, und die haben den Tod siebenfach verdient. Geben wir sie doch den Leuten.«

Sheriff Watson, sonst ein gutmütiger und rechtlich denkender Mensch, war völlig aus dem Leim. Er plusterte sich auf und meinte:

»Ich gehe jetzt hinaus und spreche mit den Leuten. Sie, Mayor, müssen den Hintereingang bewachen. Und der Richter kann sich die Halunken ja schon mal vorknöpfen.«

»Die Pferde, he!« rief Wyatt dem aufgeblasenen Mann nach, der das Gesetz in Sulphur vertrat.

Richter Bingham war ein alter, gichtgebeugter Mann. Er hatte schütteres Haar und trug eine goldgeränderte Brille. Trocken und pergamentfarben spannte sich seine Haut über seinen knochigen Schädel. Er trug einen schwarzen Anzug, der auf den Revers und den Unterarmen mit Flecken besät war. Auch sein Hemd war nicht mehr weiß.

Er zog sich einen Hocker heran und ließ sich vor der Gittertür nieder.

Während er den Georgier anblickte, sagte er: »So, Freund, und nun wirst du mir mal erzählen, wie du heißt.«

»Ich bin nicht mit Ihnen in die Schule gegangen, Mister. Also bitte, richten Sie sich danach.«

»Well…« Bingham strich sich mit einem halb verlegenen, halb ärgerlichen Grinsen über seinen kahlen Schädel. »Also, wie heißen Sie?«

»Holliday.«

»Gut. Augenblick, ich muß mir Papier und Schreibzeug holen.«

Der Mayor brachte ihm beides und brachte noch einen Hocker, damit er darauf schreiben konnte.

»So, Sie heißen also Holliday?«

Der Mayor brüllte: »Der Kerl lügt doch, Richter! Merken Sie das denn nicht? Es ist Ed Cornoy, und der andere ist Joe! Lesen Sie doch die Steckbriefe durch, Richter. Ich habe es gerade getan. Ed – groß, schlank, hager, mit blauen Augen und brünettem Haar, Bart auf der Oberlippe. Frech, großmäulig, gefährlicher Revolverschütze…«

Holliday lachte leise in sich hinein. »Stimmt tatsächlich. Findest du nicht auch, Joe?« wandte er sich an den Marshal.

»Da, haben Sie es gehört, Richter! Der Fall liegt doch sonnenklar.«

»Völlig klar«, entgegnete Holliday kühl.

Der Richter klopfte mit seinen Fingerknöcheln auf den Hockerrand.

»Ich muß doch bitten, Mayor, mich nicht ständig zu unterbrechen. Ist das hier mein Amt oder ist es das Ihre? Bitte, also halten Sie sich zurück. Ich weiß schon, was ich zu tun habe. Es ist meine Pflicht, die Festgenommenen zu vernehmen. Also, Sie heißen Holliday?«

»Aber der Kerl lügt doch, Richter!« protestierte der Mayor.

Da sprang der kleine Richter auf, schob sich die Brille auf den Nasenrücken hoch und schrie: »Mayor Hick! Ich fordere Sie auf, das Jail zu verlassen, falls Sie sich noch einmal in meine Amtshandlungen mischen!«

Der Mayor preßte wütend die Lippen aufeinander.

Und Richter Bingham ließ sich wieder auf seinen Hocker nieder.

»Holliday, haben Sie also gesagt, Well, und Ihr Vorname bitte, Mr. Holliday?«

»John. John Henry.«

»John Henry«, wiederholte der Richter. Die Feder kratzte über das Papier.

»Beruf, Mr. Holliday?«

»Zahnarzt.«

Da hob der Richter den Kopf. »Zahnarzt. Sind Sie Doktor?«

»Yeah.«

»Pah!« platzte der Mayor los. »Gemeine Lügen! Nichts als dreckige Lügen, Richter, lassen Sie sich doch um Himmels willen von diesen Brüdern nicht die Zeit nehmen. Merken Sie denn nicht, worauf dieser Kerl hinaus will? Er will nicht mehr und nicht weniger, als Ihnen weismachen, daß er Doc Holliday wäre. Ha! Fehlt jetzt nur noch, daß der andere, der verstockte Bursche da, behauptet, er wäre Wyatt Earp!«

Der Richter sprang auf und wies mit dem ausgestreckten Arm zur Tür. »Mayor…!«

»Ja, ja, schon gut, ich gehe.« Der Bürgermeister verließ mit zornigrotem Kopf das Jail.

Bingham setzte sich wieder.

»Es muß doch schließlich alles seine Ordnung haben. Also, Sie heißen Doc Holliday. Well. Ist aufgeschrieben. Und sie, Mister – Sie heißen also Earp.«

»Genau.«

»Wyatt, vermute ich?«

»Yeah.«

Unbeirrbar schrieb der Richter es auf.

»Wissen Sie, das ist nichts Besonderes. Es wird alles notiert. Wir haben schon die tollsten Figuren gehabt. Oben in Ohama, wo ich siebzehn Jahre lang Richter war, da kam eines Tages Napoleon Bonaparte ins Jail, und George Washington war auch da. Sogar Mohammed und der Kaiser von China. Jedem wird Recht geschehen!« fuhr er pathetisch fort. »Jeder kommt zu Wort und gibt zu Protokoll, was er zu Protokoll zu geben hat, ehe wir ihn -grrt!« Er machte die unverwechselbare Geste des Strangulierens.

Wyatt Earp hatte ihn scharf beobachtet. Dieser alte Richter war sicher kein übler Bursche, aber doch schon ein wenig durchgedreht.

»Hören Sie, Richter, wenn Napoleon zu Ihnen kommt, so müssen Sie Mitleid mit ihm haben, daß er so viele Jahre nach seinem Tod noch in ein Jail kriechen muß, um sich von einem US-Richter verhören zu lassen. Aber was würden Sie sagen, wenn das tatsächlich unsere Namen wären, die Sie da aufgeschrieben haben?«

Der Richter hatte sich erhoben. Ein stilles, überlegenes Lächeln flog über sein verwelktes Gesicht.

»Das sind Ihre Namen, Gentlemen. Ich habe sie ja notiert. Es war auch Napoleons Name.«

Da schoß Hollidays Hand durch die Stäbe und packte den Richter am Revers. Dicht zog er ihn zu sich heran.

»Geben Sie genau acht, was ich Ihnen jetzt sage, Richter. Mein Name ist Holliday. John Henry Holliday. Und dieser Mann heißt Wyatt Earp und ist der Marshal von Dodge. Und die beiden Pferde, die vorhin vor dem Saloon standen, sind unsere Pferde. Und die Kerle, die in der Schenke auf uns geschossen haben, gehören zur Calligher-Bande. Der Marshal hat Jim Calligher niedergeschlagen. Wir sind vor zwei Jahren mit der Bande unten in Telbury schon einmal zusammengestoßen. Um sich aus der Tinte zu ziehen, haben sie jetzt behauptet, wir wären die Cornoys. Dabei weiß doch jeder halbwegs gare Sheriff und Mayor und Richter dieses Landes, daß die beiden Cornoys vor sieben Monaten oben in Sheridan erschossen worden sind. Wyatt Earp und Luke Short haben sie gejagt.«

»Ja, ich – werde das alles – alles notieren, Mr. Cor… Mr. Holliday!«

»Lassen Sie ihn los, Doc«, sagte Wyatt Earp jetzt, »es ist zwecklos. Der Richter ist amtsmüde und hätte längst in den Ruhestand treten müssen, sonst hätte er den Irrtum längst begriffen.«

Holliday ließ Bingham los.

Der war von den Worten des Marshals hart getroffen worden. »Was soll das heißen, Mr. Cor… Mr. Earp?«

»Daß ich dafür sorgen werde, daß Sie des Amtes enthoben werden, Mister!« fuhr ihn der Marshal donnernd an. »Während Sie, Ihr Sheriff und Ihr sauberer Mayor schlafen, stehlen die Callighers unsere Pferde und entkommen mit der Beute. Wenn Sie nämlich noch alle Sinne beieinander hätten, würden Sie mich nach dem Stern fragen, und ferner würden Sie vielleicht mal fragen, ob ich in Sulphur jemanden kenne. Da hätte ich Ihnen gesagt, daß ich den Sattler Richard Zonim kenne und den Holzmühlenbesitzer Corinth und den alten Laughran.«

Bingham wich zurück. »Den Ster…«, stammelte er. »Sie tragen doch aber gar keinen Stern, Mister…«

Wyatt hielt ihm seinen Stern durch die Stäbe.

Bingham nahm ihn mit spitzen Fingern, schob die Brille hoch und rannte hinaus.

Draußen stand der Mayor. Er riß ihm den Stern gleich aus der Hand und schob ihn in die Tasche.

»Lassen Sie sich doch nicht durch einen Stern bluffen, Richter. Der Fall ist klar. Die Leute richten heute noch die Pfähle her.

Morgen früh werden die beiden gehängt. Und nun gehen Sie nach Hause, Richter, und ruhen Sie sich aus. Es war ein bißchen anstrengend für Sie. Lassen Sie die Jüngeren jetzt das Weitere erledigen.« Er schob den Alten weg.

Mit gesenktem Kopf trottete der Richter nach Hause.

Wyatt Earp hatte recht gehabt. Die Callighers wollten sofort, als sie zu sich kamen, hinaus.

Aber Buddy, der von dem Streifschuß am Schädel getroffen worden war und noch immer vor der Theke kauerte, fauchte: »Wartet, holt mir ein Handtuch. Ich muß mir einen Verband anlegen.«

Jim rannte los in die Küche der Schenke, stieß den Wirt zur Seite, nahm drei Handtücher vom Haken und kam damit in den Schankraum zurück.

Der Zigeuner rieb sich ächzend den Schädel, wo ihn der Revolverlauf des Georgiers getroffen hatte.

Jim Calligher rieb sich das Kinn. »Damned, der Marshal hat immer noch einen Schlag wie ein Pferd…«

Der Salooner hatte diese Worte gehört. Die Tramps beobachteten ihn nicht, da sie mit dem Verbinden von Buddys Schädel vollauf zu tun hatten.

Endlich war es soweit, Zoltan richtete sich auf, wobei er sich den Schädel hielt.

»Ich muß meinen Kopf in Wasser stecken. Wenn ich so losreite, könnt ihr mich nach drei Meilen vom Boden auflesen.«

Jim Calligher hob den rechten Arm. »Mensch, die Gäule, die Gäule der beiden!« Er rannte an die Tür – und prallte zurück. »Damned, da kommt gerade der Sheriff!«

»Nichts wie weg!« zischte Buddy. Die drei Tramps machten sich davon.

An der nächsten Straßenecke warteten Ernest, Jim und Larry Calligher auf die drei.

»Verflucht noch mal«, fauchte Boß Ernest, »das war ja ein höllisches Ding. Seid ihr denn wahnsinnig geworden? Ihr hättet versuchen sollen, unauffällig davonzukommen. Abe einen Revolverüberfall auf Wyatt Earp und Doc Holliday – verdammt noch mal, das mußte doch schiefgehen. Ihr Hornochsen!«

Buddy kroch stöhnend in seinen Sattel und suchte sich zu verteidigen. »Du hast gut reden, Boß. Du warst ja weit vom Schuß. Ich stand mit Colt direkt im Blickfeld der Tür. Es blieb uns doch keine Wahl. Jim hat Wyatt Earp erkannt und sprang mit drei Sprüngen in den Türwinkel. Ehe wir uns faßten, flog die Tür auch schon auf, und Doc Holliday kam herein. Ich schoß sofort und Zoltan auch. Und…«

»Was und?« zeterte der Boß.

»Nun ja, du hast schon recht, den Hunden ist eben nicht beizukommen. Der Gambler stand plötzlich gar nicht mehr da, obgleich er noch gerade dagestanden hatte. Eh – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Jedenfalls war er auf einmal unten am Boden und schoß.«

»Zwei Schüsse, zwei Verletzte!« höhnte der Boß. »Vorwärts jetzt!«

Der Zigeuner saß mit schmerzverzerrtem Gesicht im Sattel. Es war ja nicht nur der Schlag auf den Schädel, der ihm zu schaffen machte, auch die Wunde am Arm biß und stach ihn scheußich.

Das war eben tatsächlich idiotisch, Wyatt Earp und Doc Holliday mit dem Revolver überfallen zu wollen. Die waren zu reaktionsschnell, zu kalt, zu gefährlich. –

Die Callighers ritten im raschen Trab nach Norden davon. Sie waren mit knapper Not ihrem Schicksal noch einmal entgangen.

*

Im Jail herrschte Stille.

Doc Holliday saß auf der Kante seines Schemels und rauchte. Wyatt Earp saß auf der Pritsche.

Niemand ließ sich blicken.

Der Spieler sah sich in der Zelle um. »Hm, komfortabel ist es ja nicht hier, aber es läßt sich aushalten und kostet nichts. Schade, ich hatte mich schon so auf den Brandy gefreut!«

»Es wird sich doch noch einer sehen lassen hier.«

»Dessen bin ich nicht sicher, Marshal. Das ist ein ganz sonderbarer Verein hier. Der Richter hat sich verkrümelt. Der Mayor schwingt irgendwo in der Schenke das große Wort, und der Sheriff jagt womöglich schon hinter den Callighers her.«

Es kam tatsächlich niemand mehr.

Die beiden Männer legten sich auf ihre Pritschen und schlossen die Augen.

Sheriff Watson war auf dem Weg vom Jail zur Schenke gestolpert und hatte sich den Fuß verstaucht. Zwei Freunde halfen ihm, nach Hause zu kommen.

So kam es, daß die beiden Männer im Jail den Sheriff an diesem Tag nicht mehr zu sehen bekamen.

Jerry Walker hatte Sulphur vermeiden wollen, kam aber zwangsläufig daran vorbei.

Der Morgen graute schon.

Sie ritten im leichten Trab durch die Mainstreet.

Plötzlich hielt Walker sein Tier an.

Sein Blick war auf zwei Pferde gefallen, die vor Carols Saloon standen.

Es waren Wyatt Earps Rapphengst und Doc Hollidays Schecke. Zwei Pferde, die Walker aus Deadwood West genau kannte und die er noch nach fünf Jahren in der dunkelsten Nacht wiedererkannt hätte.

Ein eisiger Schreck durchzuckte den Sheriffsmörder. Er wollte sein Pferd schon mit den Sporen vorwärtstreiben, als ihm ein verwegener Gedanke kam.

»He, das sind ja die Pferde der beiden Strolche!«

»Was…?« entfuhr es den beiden.

»Yeah! Vorwärts, wir nehmen sie mit. Dann sind wir die Halunken los.«

Er stieg ab, koppelte die beiden Zügelleinen aneinander und nahm den Rappen an seiner rechten Seite.

Im raschen Trab ging’s aus der Stadt.

Velo rief Norton zu: »Unser neuer Freund ist nicht schlecht zu Fuß, was? Jetzt hat er drei Pferde. Er sollte jedem von uns eins abgeben.«

Velo bekam Doc Hollidays Schecken und Norton den Rappen des Marshals. Was würden die Tramps wohl gesagt haben, wenn sie gewußt hätten, wessen Pferde sie da durch die Landschaft führten!

Rasch ging es jetzt nach Westen, dem fernen Westcreek entgegen.

*

Als der Morgen graute, wurde die Tür des Jails geöffnet.

Richter Bingham steckte seinen Kopf herein.

»Kommen Sie nur näher, Alter!« rief ihm Holliday zu.

Bingham kam langsam herein, und ehe er die Tür schloß, saß er sich auf der Straße noch einmal um.

»Ich… ich habe den Stern nicht mehr. Der Mayor hat ihn an sich genommen. Und unten am Tanzplatz haben sie zwei Galgenbäume aufgestellt. Das letztemal hingen die Jonkers-Twins daran. Ist schon Jahre her. Yeah – was ich noch sagen wollte. Ich bin ein alter Mann…«

»Das wissen wir«, unterbrach ihn der Georgier rauh.

»Eben deshalb kann ich nicht mehr eingreifen.«

»Was ist mit unseren Pferden?« fragte der Marshal scharf.

»Deshalb bin ich ja hier. Sie standen die ganze Nacht drüben vor dem Saloon…«

»So eine Lumperei!«

»Ja, die Tiere taten mir auch leid, so daß ich beschloß, sie wegzuholen, um sie in den Stall meines Schwiegersohnes zu bringen. Er hat hier die Schlachterei, müssen Sie wissen. Meine Tochter lernte ihn oben in Chikago kennen. Ach, wir hätten dableiben sollen. Das ist nichts für uns, dieses elende kleine Sulphur, aber Lizzy schwärmte so von den Bergen und…«

»Was ist mit den Gäulen?« unterbrach ihn der Missourier schroff.

»Ach ja, ich wollte Ihnen ja berichten, wie sie verschwunden sind…«

»Sie sind verschwunden?«

»Ja, leider.«

»Seit wann?«

»Warten Sie ab, ich werde Ihnen alles der Reihe nach erzählen. Es mochte etwa fünf Uhr gewesen sein, als ich unten die Tür geöffnet hatte. Da hörte ich von Osten her Reiter in die

Mainstreet kommen. Vorsichtig wie ich bin, öffnete ich die Tür nicht weiter, zog sie aber auch nicht zu, um die Leute nicht aufmerksam zu machen. Vielleicht hätte ich mir in Chikago gar nichts daraus gemacht, aber hier ist man doch ängstlicher. Es ist ein so scheußliches, gefährliches Land. Wenn ich noch daran denke, wie die beiden Jonkers hier in die Stadt kamen, wie sie gewütet haben. Dagegen war die Schießerei gestern in der Schenke direkt ein Gebet. Kurz und eindrucksvoll. Die beiden Jonkers…«

»Erzählen Sie endlich weiter!« unterbrach ihn der Marshal, indem er dicht an die Eisentrallen trat. »Es kamen Reiter?«

»Ja, drei Reiter. Sie wollten erst weiter, aber da hielt einer von ihnen seinen Weißfuchs an und…«

»Er ritt einen Weißfuchs?«

»Yeah. Kennen Sie ihn?« fragte Bingham mit runden Kinderaugen.

Holliday knurrte:

»Und dieser Kerl hat die Pferde mitgenommen, he?«

»Wie kommen Sie denn darauf? Das stimmt. Es stimmt genau! Er hielt an, stieg ab und holte die Tiere vom Querholm weg. Dann ritt er mit ihnen weiter.«

»Richter!« sagte der Marshal frostig. »Ich trag Ihnen jetzt in Ihrem eigenen Interesse etwas auf: Holen Sie mir sofort den Sheriff her! Ich muß mit ihm sprechen!«

Und da der Alte noch etwas sagen wollte, zischte der Gambler ihn an:

»Vorwärts!«

Bingham wich zurück. Er sah in der Rechten des Spielers einen zweischüssigen Derringer schimmern.

Trippelnd und mit hocherhobenen Händen rannte er hinaus.

Es dauerte noch zwei volle Stunden, bis sich etwas rührte. Und das geschah auch nur, weil Doc Holliday mit einem sicheren Schuß ein Fenster zerschmetterte.

Wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet.

Der Sheriff lugte herein.

»Nicht schießen, ich bin es, Watson!«

Bingham trippelte, erschrocken von dem Blick, den ihm der Gambler zuschoß, hinaus.

Es dauerte lange, bis die Tür wieder geöffnet wurde.

Es war der Sheriff. Er kam humpelnd herein, warf die Tür hinter sich zu und stellte sich breitbeinig vor die Zelle.

»So, Gents, jetzt geht’s bald los. Es ist schon alles bereit. Und wenn die Kinder in der Schule sind, passiert’s. Geht ganz schnell. Ruckzuck. Die Gäule werden weggetrieben, und es macht knickknack. Dann ist’s vorbei. Mit den Jonkers ging’s auch ganz rasch. Sie haben fast nichts gespürt. Und wir haben Erfahrung darin. Ich besonders. Ehe ich hierherkam, war ich in Abilene Sheriff…«

»Lügner!« fuhr ihn Doc Holliday an. »In Abilene ist seit sieben Jahren ein Marshal. Und der sieht anders aus als du.«

»Trotzdem, ich habe Erfahrung mit dem Strick. Und…« Plötzlich brach die Stimme des Sheriffs ab. Er starrte entgeistert auf die rechte Hand des Georgiers, in der ein zweischüssiger kurzläufiger Derringer blinkte.

»Ganz ruhig, Sheriff. Und damit Sie nicht glauben, ich spaße…« Er hob die Linke und öffnete sie. Eine Derringerpatrone lag darin. »Zwei Kugeln sind in der Waffe, und zwei weitere führe ich immer in der Westentasche bei mir.«

»Was – haben Sie vor, Cornoy? Denken Sie doch…«

»Woran – an Ihren Strick? Seien Sie nur vorsichtig, und geben Sie acht, daß Ihnen niemand einen Strick dreht. – Und jetzt aufgepaßt. Da drüben hängt der Schlüssel für die Zelle. Sie drehen sich jetzt langsam um und humpeln hinüber, um ihn zu holen. Dann kommen Sie zurück und schließen uns hier den Laden auf.«

Watson war bleich geworden und stammelte:

»Das – das glauben Sie doch selbst nicht, Cornoy.«

Holliday fauchte: »Vorwärts, Mister, es ist mein bitterer Ernst. Und Sie wissen ja, wir haben nichts zu verlieren!«

Watson wandte sich um.

»Und seien Sie sehr vorsichtig mit irgendwelchen Bewegungen ihrer rechten Hand«, mahnte ihn Holliday. »Ich bin sehr nervös, und wenn Sie die Hand in Revolvernähe bringen, kann es sein, daß mir der Colt hier losgeht, ohne daß ich es will.«

Der Sheriff erinnerte sich noch zu deutlich an die Schüsse des vergangenen Abends. Er hatte schließlich gesehen, wie dieser Mann reagierte und wie rasendschnell er schoß. Also würde er sich hüten, irgendeine Dummheit zu machen.

Er holte die Schlüssel und öffnete.

Holliday nahm ihm die Waffe aus dem Halfter.

»So, Sheriff. Und jetzt brauchen wir auf dem schnellsten Weg drei Pferde!« befahl der Marshal.

Watson starrte ihn verblüfft an. »Drei?«

»Yeah, drei.«

Es war gar nicht so einfach, die drei Pferde aus dem Stall des Schmiedes zu holen.

»Ein Glück, daß Ihr Vater gerade drei Gäule hat«, meinte der Marshal. »So, und jetzt legen Sie hier den Zettel hin.«

Wyatt hatte ihm aufgetragen zu schreiben: »Ich bin bald wieder zurück.«

Dann ging’s in gestrecktem Galopp aus der Stadt.

Richter Bingham stand an seinem Fenster und sah ihnen nach.

Kaum waren sie weg, als der Mayor ins Office gestürzt kam.

Leer!

Der Mayor rannte hinaus und lief zum Richter.

»Mr. Bingham! Mr. Bingham!« Atemlos stolperte er in die Stube des Richters.

»Ich weiß, die beiden sind weg.«

»Schlimmer…«

»Sie haben den Sheriff mitgenommen, ich weiß.«

»Viel schlimmer!« Der Mayor nestelte den Stern aus seiner Tasche. »Hier sehen Sie, was da hinten eingraviert ist.«

Der Richter schob die Brille hoch und buchstabierte: »Wyatt Earp. Nein – by gosh! Es steht da! Aber – das kann doch nicht sein. Wie kommt

dieser Joe Cornoy an den Stern des…«

»Eben, das habe ich mich auch gefragt. Nie und nimmer wird es einem Menschen gelingen, ausgerechnet Wyatt Earp den Stern zu stehlen. Mir, der ich ihn ja von Ihnen bekommen habe, brannte er schon in der Tasche. Um Himmels willen! Richter, Sie haben die größte Dummheit Ihres Lebens gemacht!«

»Ich…?« Der Alte wich entgeistert zurück.

»Wer sonst?«

»Sie, bester Mann, Sie!« triumphierte Bingham jetzt in schneller Parade. »Wer war es denn, der mich immer unterbrochen hat gestern, als ich diese wirklich einmaligen und ehrenwerten Namen notieren wollte, he? Und wer hat es mir ausgeredet, als ich schon fast überzeugt war, he? Dafür habe ich ja zwei Kronzeugen, gegen die Sie nicht ankönnen, Mayor! Ich gebe Ihnen einen guten Rat, verreisen Sie für ein paar Wochen. Die beiden kommen bestimmt zurück, weil der Marshal den Stern zurückhaben will, und natürlich, weil er hier abrechnen wird!«

Der Mayor schwankte zur Tür. »Und Sie?« fragte er da.

Bingham wies auf seine Tochter.

»Sehen Sie denn nicht, daß Lizzy schon die Koffer packt? Uns gefällt es schon lange nicht mehr hier in Ihrem Nest, und wenn mein Schwiegersohn nicht nach Chikago kommen will, wo mein Bruder eine riesige Schmiede hat, in der er als Partner arbeiten könnte, dann soll er hier in diesem Revolver- und Banditennest, wo man einen großen Marshal wie den letzten Strolch behandelt, verenden!«

*

Diesmal betrug der Vorsprung des Sheriffmörders nur knappe zwei Stunden. Dafür aber hatte er erstklassige Pferde.

Wyatt Earp hoffte nur inständig, daß Hollidays Schecke, der sehr widerborstig werden konnte, den dreien hart zu schaffen machen möge.

Wer mochten die beiden anderen sein, die bei Walker waren!

Watson ritt mit aschgrauem Gesicht zwischen den beiden. Es wurde scharf westwärts gehalten, und erst gegen Mittag legte der Marshal eine Pause ein.

Watson hatte in der Eile natürlich nicht viel Proviant an sich nehmen können. Trotzdem wurde ein Mahl zubereitet. Dann ging’s weiter.

Am Nachmittag schrak plötzlich aus den Büschen links vom Weg ein Berghahn hoch.

Der Missurier riß die Winchester aus dem Scabbard, nahm sie mit dem Durchladen hoch, und schon röhrte der Schuß auf.

Joe Watson hatte vor Schreck den Atem angehalten. Als er den getroffenen Vogel heruntertrudeln sah, hatte er dicke Schweißperlen auf der Stirn stehen.

»Eine gefährliche Bande, mit der Sie zu reiten gezwungen sind, nicht wahr?« meinte Holliday spöttisch.

Der Berghahn wurde am späten Nachmittag verzehrt. Er war groß und kräftig gewesen und gab für die drei Männer eine anständige Mahlzeit her. Zwar knabberte Watson nur zaghaft an seinem Teil herum, aber schließlich trieb’s der Hunger doch hinein.

Weiter ging der Ritt auf der hier deutlichen Fährte der Banditen.

»Irgendwo da drüben in der Talsenke muß der Westcreek fließen«, rief Wyatt dem Spieler zu.

»Er ist weiter links«, meldete sich der Sheriff. »Wir halten hier direkt auf Hickory zu.

»Hickory?« fragte Wyatt Earp. »Damned, da bin ich doch schon gewesen. Eine Frage: Kennen Sie zufällig den Sheriff von Hickory?«

»Yeah, ganz zufällig. Es ist Dick Cirby.«

»Wie alt ist er ungefähr?«

»Cirby muß schon die Fünfzig hinter sich haben.«

Und als der Missourier den toten Sternträger von Dead West noch näher beschrieb und Watson zustimmend nickte, wußten die beiden Dodger, daß Jerry Walker also den Sheriff von Hickory erschossen hatte.

Plötzlich hielt Holliday sein Pferd an und blickte auf den Boden.

»Hallo, hier ist Migo störrisch geworden. Und dann hat er sich losgerissen…«

Der Marshal hatte nämlich gerade eine Hufspur beobachtet, die sich von dem Pulk der anderen getrennt hatte und nach Norden abzweigte.

»Sie sind ihm nicht gefolgt«, sagte Holliday.

»Leider wird das nicht viel helfen«, fand der Marshal. »Wie ich den Schecken kenne, wird er schließlich doch dem Rappen folgen.«

Und tatsächlich schienen auch die Tramps so kalkuliert zu haben.

Es zeigte sich, daß diese Rechnung aufging. Das Pferd des Gamblers war nach einer Meile wieder auf die Fährte der anderen Tiere gestoßen und ihnen gefolgt.

*

Jerry Walker hatte seine Gefährten in Richtung Hickory geführt. Nicht, um sie etwa in diese Stadt zu bringen, sondern weil er sie auf jeden Fall von der Ranch weghalten wollte, wo er still und ganz allein »einpacken« wollte.

Er hatte einen bösen Plan.

Kurz vor der Stadt standen drei einzelne Häuser, das Loban-Quartier. Da wohnten drei Familien, die alle Loban hießen und Quäker waren. Sie hatten zu ihren Häusern Ställe und Schuppen gebaut, so daß es eine regelrechte kleine Ansiedlung geworden war.

Die Lobans waren verschrien, obgleich sie höchstwahrscheinlich gute Menschen waren. Aber die anderen mochten sie nicht, weil sie sich immer abgesondert hatten.

Diesen Lobans wollte Jerry den Tod an Velo und Norton aufhalsen. Kurz vor der Ansiedlung würde er die beiden, die jetzt zwei, drei Yards vor ihm sprengten, aus den Sätteln knallen.

Dann war aber das mit dem Schekken dazwischengekommen und hatte den Schießer Velo veranlaßt, langsamer zu reiten. Er wollte das schöne Tier um jeden Preis zurückhaben und hing immer mehr hinter den anderen zurück.

Walker rann der Schweiß aus allen Poren.

Am Horizont tauchten schon die Dächer der Lobans auf.

»He, Velo, kommt endlich, wir haben es eilig. Ich denke…«

Jerry Walker brach ab. In der Ferne hatte er drei Punkte gesehen, die sich rasendschnell näherten.

Wyatt Earp! schoß es ihm durchs Hirn.

In seiner Panik nahm er den Weißfuchs plötzlich herum und schwenkte nach Südwesten ab.

Velo riß den Colt hoch und jagte ihm einen Schuß hinterher.

Die Kugel stieß Walker den Hut vom Schädel.

Aber der Verbrecher jagte weiter und jetzt zeigte es sich, daß er das bessere Pferd hatte.

Norton hatte einen Fluch ausgestoßen, hielt an und wollte sich auf den Rappen setzen.

Der Hengst ließ ihn aufsitzen, und dann schleuderte er ihn mit einem gewaltigen Bocksprung ab und sprengte nach Osten davon.

Schon nach wenigen hundert Yards traf er auf den Schecken, der sich ihm sofort anschloß und in wildem Galopp neben ihm her ostwärts preschte.

*

Wyatt Earp deutete nach vorn.

»He, Doc, was kommt denn da?«

Der Gambler feixte. »Kenne ich meinen Migo nicht? Der weiß, wo er hingehört. So, Sheriff, jetzt haben Sie zwei Zügelpferde!«

Die beiden fingen ihre Tiere ein, schwangen sich in die Sättel.

Und dann bekam Joe Watson etwas zu sehen: Wyatt Earp drehte sofort nach Südwesten ab, während Doc Holliday noch ein Stück nach Westen jagte.

Watson blieb mechanisch im »Rennen«. Er wagte es einfach nicht, auszusteigen. Mit weitoffenen Augen beobachtete er, wie der Rappenreiter, hoch in die Bügel gestellt und nach vorn geneigt, davonschoß. Und wie der Scheckenreiter in gleicher Weise immer kleiner und kleiner wurde.

Aber sie hatten beide einen ellipsenförmigen Weg zu durchreiten, da sie offensichtlich den Fliehenden den Weg abzuschneiden trachten. Watson blieb auf der geraden Strecke und behielt sie so trotz seiner bedeutend geringeren Geschwindigkeit gut im Blickfeld.

Vorn hatte Jerry Walker jetzt die Savanne vor sich. Vierhundert Yards vor ihm lag der Westcreek.

Norton und Velo waren ihm auf den Fersen, vermochten aber diese Geschwindigkeit nicht zu halten.

Hütten tauchten am Ufer auf. Es waren die Notquartiere der Einwanderer, die aus dem Osten gekommen waren und dem Rancher, auf dessen Land die Jagd jetzt stattfand, schon vor einem Jahr versprochen hatten, ganz bestimmt bald weiterzuziehen.

Als Walker die erste Hütte erreicht hatte, sprang er vom Pferd und riß seinen Revolver hoch.

Norton und Velo kamen heran, rissen die Pferde hoch und sprangen ebenfalls aus den Sätteln.

Schüsse peitschten los. Ihr Echo brach sich über den Wassern des blauen Westcreek.

Die Männer hatten sich hinter Hüttenecken verschanzt.

Plötzlich brüllte Norton: »He, Webster, hör auf. Da hinten kommen deine Freunde!«

Walker starrte um die Ecke und sah Wyatt Earp vorn auf der Savanne heranpreschen. Und unten am Fluß jagte Doc Holliday über den weißen Ufersand heran.

Walker wurde fahl im Gesicht und ließ die Hand mit dem Colt sinken.

Velo sprang auf ihn zu.

»Mensch, vorwärts, die fangen wir ab! Los, Norton, auf die andere Seite! He, da unten kommt ja noch einer!«

Sheriff Watson kam ebenfalls näher.

Doc Holliday war schon vom Pferd gesprungen. Die Uferböschung verbarg ihn jetzt vor den Blicken der Tramps.

Wyatt Earp hatte einen Sprung aus dem Sattel des Rappen gemacht und lag in einer Bodensenke.

Jerry Walker hatte genau gesehen, daß er das Gewehr in der Linken hatte.

»He!« Velo stieß ihn an. »Nur nicht in die Hosen machen, Webster. Die Hunde machen wir kalt. Ich habe schon ganz andere Boys ausgepustet!«

»Walker!« kam da die dröhnende Stimme des Marshals über den Hang.

Der Ranchersohn blickte über den Fluß und senkte den Kopf.

Derb stieß Velo ihn an.

»He, Mensch, denk an das Gold. Du bist ja ein elender Angsthase. Sollst mal sehen, wie Jube und ich die Jungs mit Kugeln jetzt auseinandersägen!«

Pientsch! Die Kugel kam von der Uferböschung und riß Cass Velo den Hut vom Schädel.

»Hölle! Mensch, dich zerhacke ich!«

»Nichts wirst du!« brüllte Walker plötzlich los. »Es ist aus! Velo! Aus, Norton!«

»Er ist übergeschnappt!«

Norton rief hinter seinemVersteck hervor: »Mann, binde die Hosen zu, diese Burschen zerfetzen wir leicht. Da hat es schon schwerere Sachen gegeben. Ist nur Augenblickssache. Denk an das Gold…«

Da trat Jerry Walker zum Schrekken seiner Kumpane hinter der Dekkung hervor.

»Yeah, Jube, ich habe Gold. Oben in meiner Ranch. In der Ranch meines Vaters. Ich will dir alles geben, wenn du die beiden Männer da aufhalten kannst.« Und mit weithin schallender Stimme rief er: »Aber vorher will ich dir sagen, mit wem du dich da einläßt. Es sind Wyatt Earp und Doc Holliday!«

Sheriff Watson hatte sein Pferd angehalten.

»Wyatt Earp und Doc…« Die Stimme versagte ihm.

Norton war der Unterkiefer heruntergefallen, und plötzlich bekam er einen harten Stoß in die Rippen. Als er sich umblickte, sah er in die eisblauen, harten Augen des Gamblers.

»Nimm die Hände hoch, Langer!«

Und drüben war der Missourier längst aus seiner Mulde verschwunden. Er war im Halbkreis hinter die Deckung Walkers und Velos gerobbt.

»Hands up!«

Velo warf sich herum und schoß.

Aber die Kugel des Marshals riß ihn um. Oben rechts in der Brust getroffen, lag er am Boden, nicht lebensgefährlich verletzt, aber total kampfunfähig.

Norton wurde von dem Georgier entwaffnet.

Und Jerry Walker warf seinen Revolver dem Marshal vor die Füße.

Wyatt sah sich nach Watson um. »Hallo, Sheriff, Sie könnten die drei nach Hickory ins Jail bringen.«

Wyatt Earp Paket 2 – Western

Подняться наверх