Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 19
ОглавлениеJim Thorpe war ein herkulisch gebauter Bursche mit hartem, ledernem Gesicht und hellen Falkenaugen. Er trug die Tracht eines Cowboys, hatte an jeder Hüftseite einen achtunddreißiger Revolver hängen und ritt einen jener tiefbraunen Sierragäule, die in der südöstlichen Ecke Arizonas zu Hause waren.
Thorpe stammte aus Nogales. Der Vater hatte dort einen Drugstore betrieben. Die Mutter war seit fünf Jahren tot. Das Gelbe Fieber hatte sie dahingerafft.
Jim war als Fünfzehnjähriger von daheim ausgerissen. Der Vater hatte weder eine Möglichkeit gehabt, ihn festzuhalten, noch ihn suchen zu lassen. Well, der Sheriff war ein paar Tage in der Umgebung auf Suche gewesen, aber er wußte wie jeder andere in der Stadt, daß Jim Thorpe weggeritten war.
Er blieb tatsächlich verschwunden.
Bis man eines Tages – nach sieben Jahren – von einem Bandenüberfall auf die Bank von Stafford hörte, bei dem einer der Täter als der dreiundzwanzigjährige Jim Thorpe bezeichnet wurde. Es war nur eine Vermutung des Sheriffs von Stafford, aber eine fürchterliche Vermutung, die schnell die Runde machte.
Das war der Tag, an dem sich der alte Thorpe erhängte.
Sein Sohn, der Bandit, erfuhr nichts davon. Ein Mann, der sich das Leben nahm, war uninteressant.
Interessanter war ein Mann, der eine Bank überfiel – und entkam.
Jim Thorpe war entkommen. Und mit ihm die Lewton-Brüder. Zwei zwergenhafte Kreolen, die eigentlich gar nicht lange auf freiem Fuß bleiben konnten, da ihr gnomenhafter Wuchs sie jedem Sheriff verraten mußte. Dennoch – auch sie waren nicht gefaßt.
Die drei Banditen hatten sich getrennt. Die beiden Lewtons hatten sich weit abgesetzt.
Jim Thorpe ritt nach Westen hinüber; nicht einmal vierzig Meilen nördlich von der Stadt, in der er seinen ersten großen Coup gelandet hatte.
Jim Thorpe war durch das Gelingen dieses Überfalls waghalsig geworden; daß er dabei erkannt worden war, scherte ihn nicht im mindesten. Yeah, er wollte es sogar. Er wollte ein bekannter Räuber werden. Ein berühmter und gefürchteter Mann wie der rote Geronimo oder der weiße Isaac (Ike) Clanton.
Welch ein Ziel für einen Dreiundzwanzigjährigen! Aber der Outlaw Jim Thorpe wollte noch mehr. Der von dem großen Apachenhäuptling Cochise abgefallene wilde Unterchief Geronimo war ein Rebell, der vom Haß gegen die weißen ›Eindringlinge‹ und ›Landesräuber‹ verzehrt wurde, der davon überzeugt war, einen ›Heiligen Kampf‹ zu kämpfen. Und Ike Clanton kämpfte gegen das Gesetz, weil er ein freier Mann sein wollte, wie er behauptete. Weil er allein der König in seinem Land sein wollte.
Jim Thorpe aber wollte in seinem irrsinnigen Ehrgeiz ›berühmter‹ werden als seine beiden ›Vorbilder‹ zusammen. Daß ihm dazu das Format fehlte, wußte er nicht.
Und um gleich auf dem Weg zu bleiben, beschloß er einen neuen Überfall, den er diesmal allein auszuführen gedachte. Der Tramp hielt es für einen gewaltigen Schritt vorwärts auf seinem Weg.
Es war an einem glühenden Sommertag. Flimmernd stand die Hitze in der Mainstreet von Pearce. Schläfrig hockte Sheriff Eddi Kish auf dem Vorbau seines kleinen eingeschossigen Hauses und blinzelte die Straße hinunter.
Im Westen blauten die Gipfel der Dragoon Mountains und schienen über einen See zu schwimmen.
Kish sah den Reiter, der von Osten her in die Mainstreet geritten kam. Mit müden Blicken musterte er den staubigen Burschen, überflog dessen hartes, eckiges Gesicht und seinen Braunen. Es war nichts an diesem Fremden, das den Sheriff hätte aufmerksam werden lassen können.
Nichts? Lag nicht kaum vier Yards hinter Eddi Kish, in der Lade seines Schreibtisches ein Steckbrief, der genau auf diesen Reiter paßte?
Well, aber auf wen paßte dieser Steckbrief nicht? Und wenn man dazu nahm, daß der Staub den Fremden ohnehin wie mit einer dicken Puderschicht bedeckte, dann war wirklich nichts Besonderes an dem Fremden, der vor dem Saloon von Hanc Baldwin abstieg.
Jim Thorpe warf die Zügelleinen über den Querholm, nahm den Hut vom Kopf, schlug ihn am linken Oberschenkel aus, daß der Staub wie von einem Mehlsack aufstob, und ging auf staksigen, leicht gekrümmten Reiterbeinen auf die Schenke zu.
Als die primitiv vernagelten Arme der Pendeltür hinter den breiten Schultern des Fremden zuschlugen, hatte Sheriff Ed Kish den Mann schon vergessen. Vielleicht hätte er ihn überhaupt nie mehr wiedererkannt, wenn nicht Geo Flynn gewesen wäre.
Flynn hatte die alte Schmiede neben der Bar. Um die Mittagszeit, wenn die Hitze fast unerträglich war, hockte der unbeweibte Mann meist hinten in der düsteren Ecke seiner Werkstatt und döste vor sich hin, bis ihn irgend jemand von der Straße her anrief und an eine Arbeit gemahnte
Es gab eigentlich nichts, was den vierschrötigen Flynn ernsthaft interessiert hätte – außer Tieren. Obgleich er selbst kaum genug zu beißen hatte, hausten ein großer Hund und ein gewaltiger schwarzer Kater mit ihm in seiner Kate. Im Hof hielt er neun Kaninchen, Hühner und bunte Südlandvögel.
Flynn hatte den Hufschlag gehört und das Pferd gesehen. Den Reiter hatte er keines Blickes gewürdigt; nur das Tier hatte er wahrgenommen. Dann hatte er, wie sein Freund der Sheriff, die Augen wieder geschlossen. Und im Unterbewußtsein war er dem Geräusch des Hufschlages gefolgt.
Das Geräusch verstummte vor der Bar.
Der Blacksmith hörte die sporenklirrenden Schritte des Fremden auf der Treppe nicht sehr lange, bis die Tatsache ins Bewußtsein des Schmiedes vordrang, daß das Pferd vor der Schenke in der prallen Sonnenhitze stand.
Das war etwas, was Geo Flynn sehr gegen den Strich ging. Er öffnete plinkernd die Augen und brasselte sich aus seiner Ecke von dem alten verschimmelten Sattel hoch, auf dem er selbst einmal vor vielen Jahren hierher gekommen war, als der große Krieg zu Ende war. Mit breiten Schritten ging der untersetzte schwere Mann zum Tor, stieß es auf und stand blinzelnd auf der Straße.
Drüben hockte Ed Kish mit verschränkten Armen in seinem Schaukelstuhl, einem museumsreifen Möbelstück. Flynn krempelte die schon hochgekrempelten Ärmel seines blauen durchgeschwitzten Hemdes auf und ging auf den braunen Wallach zu. Er ließ seine schwielige Linke über den Hals des Pferdes gleiten und löste die Schleife der Zügelleine von der morschen Halfterstange.
»Komm her, ich bring dich in den Schatten, Brownie.«
Er hatte sich eben umgewandt und zwei Schritte vorwärts gemacht, um das Pferd in den schattigen überdachten Eingang seiner Schmiede zu stellen, als oben in der Bar die Schwingarme der Pendeltür auseinanderflogen und der Fremde erschien. Sein Ledergesicht schien zur Maske erstarrt, die hellgrauen Augen hatten etwas Gläsernes.
Der Revolver in seiner linken Faust brüllte zweimal auf. Kleine weißgraue Pulverwolken flogen über den Vorbau auf die Straße hinunter.
Der Blacksmith schien zwei Keulenschläge in den Rücken bekommen zu haben. Er stolperte noch drei Schritte vorwärts, dann brach er in die Knie.
Seine Rechte war noch um die Zügelleinen gekrampft. Mit gesenktem Kopf stand der Braune neben dem Niedergeschossenen.
Eddi Kish starrte mit weitoffenen Augen auf die Szene.
Oben auf dem Vorbau stand der Mann aus Nogales, er hatte den rauchenden Revolver noch in der Hand.
Auf der Mainstreet von Pearce herrschte eisiges Schweigen. Wabernd stand die Hitze zwischen den Häusern.
Die Schüsse hatten eine Reihe von Bürgern an die Türen und Fenster gelockt. Als sie den Blacksmith sahen, der eben mit seinem massigen Schädel voran in den gelben Sand fiel, verstummte jede Frage in fröstelndem Entsetzen.
Ganz langsam erhob sich der Sheriff und kam auf die Straßenmitte.
»Sind – Sie wahnsinnig?« brach es heiser aus seiner Kehle. Und als er in die fast farblosen Augen des Todesschützen sah, spürte er, wie sich ihm die Haare sträubten.
Thorpes Lippen sprangen auf. Ohne die Zähne auseinanderzunehmen, erklärte er:
»Sie sehen, daß ich den Revolver noch in der Hand habe. Mann! Keine weitere Beleidigung! Dieser Bursche da wollte meinen Gaul stehlen. Er hat die Zügelleine noch in der Hand.«
Kish spürte ein brennendes Bohren in seiner Kehle, und ein Dröhnen war in seinem Kopf. Das alles durfte doch nicht wahr sein, nicht wirklich eben hier vor seinen Augen geschehen sein. Oder war er selbst vielleicht verrückt geworden von dieser fürchterlichen Hitze? Er fürchtete das schon seit langem. Am liebsten wäre er jetzt hinüber in die Bar gegangen, um ein großes Glas Whisky zu trinken.
»W a s wollte er…?« fragte er krächzend.
Thorpe ließ den Revolver, nachdem er die verschossenen Patronen nachgeladen hatte, ins Halfter fliegen.
»Meinen Gaul wollte er stehlen!« schnarrend hatte der Bandit es hervorgestoßen.
Kish wischte sich mit seinem überdimensionalen Taschentuch durchs Gesicht und sah sich nach den Männern um, die in den Türen standen. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
Thorpe kam auf die Straße, öffnete die verkrampfte Hand des toten Schmiedes, riß den Zügel heraus und zog sich mit steifen Bewegungen und ohne Hast in den Sattel.
»Noch Fragen, Sheriff?« Seine Augenlider fielen an den Winkeln über die Augen und gaben seinem Gesicht einen lauernden Ausdruck.
»Nein!« Eddi Kish hatte keine Fragen mehr.
Und auch sonst niemand in Pearce.
Was da geschehen war – so ungeheuerlich es auch sein mochte –, war nicht zu ahnden.
Der Mann hatte angenommen, daß Flynn das Pferd stehlen wollte. Jedenfalls war nichts dagegen zu sagen. Der Fremde hatte gehandelt, wie jedermann in diesem Land in seiner Lage gehandelt hätte.
Hätte wirklich jedermann so gehandelt? Ganz sicher nicht. Aber Jim Thorpe war nicht jedermann.
Er ritt weiter und verließ die kleine Stadt.
Heavens! Hier hatte er doch den Coup landen wollen, oder? Aber diese kleine Bank machte einen so kläglichen, armseligen Eindruck, daß ihm der Verzicht nicht schwer fiel.
Die Männer auf den Vorbauten sahen ihm mit harten Augen nach. Aber niemand riskierte ein Wort. Und die Fäuste in den Taschen interessierten den Reiter nicht.
*
Eddie Kish stampfte auf den Niedergeschossenen zu und wandte ihn auf den Rücken.
»Er ist tot«, stammelte er. »Tot…«
Ein paar von den Männern kamen näher heran und starrten in das vom Schmerz des Todeskampfes verzerrte Gesicht jenes Mannes, der viele Jahre in ihrer Mitte gelebt hatte. Den alle als einen hilfsbereiten, netten Menschen gekannt und geschätzt hatten. Jetzt lag er da mit erstarrten Augen, in denen sich der kobaltblaue Himmel Arizonas spiegelte.
Und da hinten ritt der Fremde, den niemand kannte, der vor Minuten in die Stadt gekommen war, der ein Menschenleben ausgelöscht und weiterritt.
Wie der Tod!
Dieser Gedanke drängte sich vor allem dem Sheriff auf, der mit dem Schmied befreundet war.
Und alle wußten sie, daß der Black-smith den Gaul des Fremden nur hatte aus der Sonne führen wollen.
Er lag ja nur zwei Schritte vor dem offenen Eingang seiner Werkstatt. Hätte er da etwa das Pferd verstecken können? Niemals! – Und die Leute von Pearce wußten, daß Flynn ein großer Tierfreund war.
Aber das hatte der Todesschütze ja nicht wissen können…
*
Jim Thorpe ritt nicht weit. Nur sieben Meilen.
Da tauchte hinter einer Bodenwelle ein junger Indianer auf einem gescheckten Pony auf. Als er den Weißen sah, stutzte er einen Augenblick, wandte dann das Pony nach Westen und trabte davon.
Jim Thorpe riß die Winchester aus dem Scabbard, zog sie hoch, und schon brüllte der Schuß über die Senke.
Der siebzehnjährige Atascora vom Stamme der Mescalero Apachen rutschte von seiner buntfarbigen Jacarilladecke in den gelben Staub.
Ein heißer Windstoß, der aus dem Süden kam, ließ den pulverfeinen Flugsand aufwirbeln. Und von einer siebzig Yard hohen roten Felssteinpyarmide stieg ein Savannenadler auf, der mit weitem Flügelschlag nach Osten davonzog.
Jim Thorpe lud aus seinem patronengespickten Waffengurt das Gewehr nach.
Dann hielt er auf den Indianer zu, blieb kurz neben ihm halten, sah, daß er tot war und ritt dann weiter. Er wandte sich nicht ein einziges Mal nach dem Roten um.
Jesse Hilborn hatte den Schuß gehört. Er war einer der Cowboys von der großen Flagger Ranch und hatte unten in Tombstone Draht für den Weidezaun bestellt.
Er kam hinter der roten Steinpyramide hervorgesprengt, sah Thorpe nach Süd-osten reiten, direkt auf den Felsen zu.
Hilborn hielt sein Pferd an.
Er hatte das Indianerpony entdeckt, sprengte näher und stieg ab.
Der Apachenjunge sah ihn aus brechenden Augen an.
Hilborn nahm ihn hoch und sah die große Wunde hinten links in seinem Rücken.
Dicker Schweiß brach dem Weidereiter aus.
»Warte!« stammelte er heiser und in ohnmächtiger Hilflosigkeit. »Warte, Red Boy – ich – ich habe in meiner Satteltasche Whisky…«
Er legte den tödlich Getroffenen wieder nieder, sprang auf und holte eine noch halbvolle Flasche aus seiner Satteltasche. Als er sie dem Indianer an die Lippen setzen wollte, hörte er eine schnarrende Stimme hinter sich:
»Laß die Flasche fallen und heb die Hände hoch!«
Hilborn zuckte zusammen und fuhr herum. Er sah in die scharfen stechenden Augen von Jim Thorpe.
»Was wollen Sie, Mann?« keuchte er erregt. »Er stirbt! Ich will ihm einen Schluck Whisky geben…«
»Du sollst die Flasche loslassen und deine dreckigen Kuhtreiberflossen heben!« fauchte Thorpe ihn gallig an.
Hilborn preßte die Zähne aufeinander und stand langsam auf. Die Flasche hatte er noch in der Linken.
»Weshalb?«
Eine häßliche Lache sprang von den schmalen Lippen des Mörders. »Du fragst zuviel, Cowboy! Er ist eine Rothaut! Eine ganz verdammte Rothaut. Und…«
»Sie schießen jeden Indianer nieder?« fragte Hilborn entgeistert.
»Yeah!« kam es schroff zurück.
»Mann, das wird Ihnen hier teuer zu stehen kommen. Er ist ein Apache…«
»Na und?«
Hilborn knurrte: »Haben Sie noch nie etwas von Cochise gehört?«
»Was geht der Halunke mich an?«
Hilborn wischte sich mit dem rechten Handrücken über die Stirn.
»Mann, wo kommen Sie eigentlich her? Hier ist Cochises Land…«
»Halt’s Maul, Kuhtreiber! Was kümmert mich die dreckige Rothaut!«
»Dreckige Rothaut?« Hilborn wich einen Schritt zurück. »Wer sind Sie bloß?«
Der sterbende Indianer lag mit glimmenden Augen im Sand und starrte zu den beiden Männern auf. Thorpe saß noch immer im Sattel.
Hilborn wandte den Blick auf den Roten. »Damned, sehen Sie nicht, daß er stirbt? Lassen Sie mich ihm doch einen Schluck…«
Wie ein Blitz zuckte es vor Hilborn auf. Die Flasche zersprang, und der Whisky zerrann im heißen Sand.
Der Cowboy hatte den Flaschenstumpf noch in der Hand und starrte auf den Revolver in Thorpes Hand. Bebend stieß er hervor:
»Sie sind wahnsinnig!«
»Vorwärts, Kuhtreiber!« fuhr ihn der Verbrecher an. »Steig auf deinen Gaul und sieh zu, daß du Land gewinnst! Ich könnte es mir sonst anders überlegen!«
Hilborn blieb stehen.
»Nein, ich – ich bleibe hier! Der Junge da…« Er hielt inne, denn er hatte gesehen, daß der Kopf des Indianers zur Seite rollte.
»Er – ist – tot…!« stammelte er heiser.
»Yeah. Und der Fall damit erledigt. Es gibt eine dreckige Rothaut weniger in diesem Land! Und dafür wird mir jeder Weiße dankbar sein! Vorwärts, verschwinde, Cowboy!«
Mit gesenktem Kopf wandte sich Jesse Hilborn ab und stampfte zu seinem Pferd.
Jim Thorpe hatte den Colt noch in der Hand. Spielerisch wog er ihn und ließ ihn dann ins Halfter zurückfliegen.
Sie ritten in verschiedene Richtungen davon.
Und im gelbroten Sand der Sierra Madre lag der tote Apache.
*
Jim Thorpe war nach Südwesten geritten. Nach Tombstone.
Ausgerechnet nach Tombstone!
In Breaktown hatte er gehört, daß Virgil Earp, der US Deputy Marshal von Tombstone, einer der bekanntesten Gesetzesmänner des Westens überhaupt, nach St. Louis geritten sei. Den Grund hatte er nicht erfahren können, aber der war auch bedeutungslos für ihn.
Für ihn war nur eines wichtig: nämlich die Tatsache, daß Virgil Earp nicht in der Stadt war.
Eigentlich hatte Jolly Fonda an allem schuld – der gerissene kleine Jolly Fonda; er hatte Jim den Floh mit der Bank of Tombstone ins Ohr gesetzt.
»Kleines Nest? Wo denkst du hin! Die Stadt ist sogar verhältnismäßig groß. Und vor allem, da liegt Geld! Die Leute? Natürlich, sie sind arm. Das Geld gehört ja auch nicht den Tombstonern, sondern den Ranchern der Umgebung und den Silberminenbesitzern. Du kannst dich darauf verlassen, daß in Tombstone mehr Geld liegt als sonstwo im ganzen Land. Es will nur abgeholt werden…«
Yeah, so hatte der kleine Jolly Fonda gesprochen. Einen Tag bevor Luke Short ihn in Prescott im Gunfight aus den Stiefeln schoß. Fonda war zwar nicht tot, aber er würde zeitlebens ein Invalide bleiben.
Wie konnte ein Mensch auch so dumm sein, sich ausgerechnet mit Luke Short abzugeben. Jim Thorpe wollte es raffinierter anfangen.
Jedenfalls sah er sich vor. Sehr gründlich hatte er sich über alles informiert, was mit dem Tombstone Coup zusammenhing.
Virgil Earp war tatsächlich nicht in der Stadt. Und die Bank of Tombstone war sicher nicht die ärmste Bank des Westens.
Es war später Nachmittag, als Thorpe von Nordosten her in die Freemanstreet einritt. Well, der Bandit hatte natürlich von den Dingen gehört, die sich in der Stadt und ihrer Umgebung abgespielt hatten. Aber das alles hatte ihn nur in seinem Entschluß bestärkt. Tombstone war das richtige Pflaster für ihn. Nicht in den stillen Städten, in denen ein ewiges Lauschen und Wachen war, konnte man einen so großen und riskanten Schlag starten. Es mußte eine Stadt wie dieses blutvolle heiße Tombstone sein. Eine Stadt, die gefährlich war, in der es ständig gärte und brodelte. In der Leute wie Ike Clanton, die Mc-Lowerys, Curly Bill und Indian Charly verkehrten.
Er würde am hellichten Tag den Überfall ausführen. Und zwar morgens, genau in dem Moment, wenn die Bank geöffnet wurde.
Lange hatte er sich über diesen Punkt Gedanken gemacht. Die meisten Banditen, die es auf eine Bank abgesehen hatten, kamen in der Nacht. Da hatten sie jedoch den Nachteil gegen sich, daß es dunkel war. Und kannten sie sich in den Örtlichkeiten nicht haargenau aus, konnten sie leicht in eine Falle laufen.
Die anderen wählten den Mittag, weil da im allgemeinen vor den Schaltern wenig los war. Mittags aßen die Menschen, machten eine kurze Rast, teilten den Arbeitstag; scheinbar eine gute Zeit für einen Mann, der eine Bank überfallen und ausplündern wollte.
Und dennoch war es nach Thorpes Ansicht eine schlechte Zeit. Denn mittags hatten die Kassierer die Banken zuweilen geschlossen. Und wenn sie sie offen hielten, hatten sie die Revolver griffbereit neben sich liegen, eben weil die meisten Banken mittags überfallen wurden.
Einige Banditen, so zum Beispiel die Havelland Brothers, hatten ihre Überfälle immer am späten Nachmittag ausgeführt, kurz bevor die Banken geschlossen wurden. Nach Thorpes Überlegungen war auch das ungünstig, denn er hatte beobachtet, daß viele Leute erst im allerletzten Augenblick kamen, um Geld einzuzahlen oder abzuheben. Und ganz früh morgens, wenn die Bank eben geöffnet wurde? Well, das hatte den Vorteil, daß die Bankleute noch halb schliefen, noch nicht über ihr volles Reaktionsvermögen verfügten. Allerdings konnte man da das Pech haben, daß auch schon Leute anstanden, die den Gang zur Bank rasch und noch vor Arbeitsbeginn hinter sich bringen wollten.
Es gab ganz einfach keinen hundertprozentigen Zeitpunkt. Jim Thorpe hatte sich für den frühen Morgen entschieden.
In Pearce hatte er einen Probeüberfall starten wollen. Vielleicht war es ganz gut, daß die Sache mit dem ›Pferdedieb‹ dazwischengekommen war, denn auf der Bank eines so winzigen Nestes war sicher nicht viel zu holen.
Weshalb hatte er den Blacksmith nun wirklich erschossen? Jim Thorpe hätte niemandem eine Antwort darauf geben können. Etwa weil er den Mann tatsächlich für einen Pferdedieb gehalten hatte? No, das war keine Antwort. Thorpe hätte den Dieb bei seiner schnellen Schußhand immer erreicht, es hätte also genügt, wenn er ihn zum Halten gezwungen oder verwundet hätte.
Aber Jim Thorpe hatte ihn niedergeschossen wie einen räudigen Hund. Weil er an einem Wahn litt, der ihn verzehren würde; er wollte furchterregend und gefährlich wirken. Nur deshalb hatte er den Blacksmith getötet.
Der Blick in die breite Freemontstreet ließ die Zuversicht des Reiters etwas sinken. Was war denn das? War das etwa Tombstone? Die heiße, gefährliche Stadt, in der so viele Schüsse gefallen waren? Wie ausgestorben lag die Straße da. Über dem gelben Sand flimmerte die Hitze. Nur wenige Häuser hatten Vorbauten.
Die Glut der Arizonasonne schien diese Stadt völlig ausgedörrt zu haben.
Thorpes Blick streifte an den Häuserfronten entlang. Saloon neben Saloon – und doch nirgends eine Menschenseele.
An der Ecke zur fünften Straße bog er links ab und kam in die Allenstreet.
Heavens! Das sollte also wirklich die berühmte Allenstreet sein, die jeder Junge im Westen kannte? Auf der mehr Schüsse gefallen waren, als auf irgendeiner Straße sonst im weiten Westen?
Am Crystal Palace ritt er vorbei. Obgleich die Fassade des bekannten Saloons nicht anders aussah, als die der anderen Schenken, war er doch nicht verrückt genug, ausgerechnet da abzusteigen, um einen Drink zu nehmen. Crystal Palace – das war die Bar der Großen, die Schenke jener Männer, zu denen er einmal gehören würde!
Ein paar Häuser weiter, vorm Occidental Saloon, stieg er ab.
Al Doling lehnte mit einem blassen aufgeschwemmten Gesicht hinter der Theke, stocherte mit einem angespitzten Zündholz in seinen Backenzähnen herum und bemühte sich mit zusammengezogenen Brauen und eingekniffenen Augen bei dem Dämmerlicht, das im Schankraum herrschte, seine schon reichlich zerknitterte Zeitung zu lesen. Er sah nur kurz auf, als er die Schritte und das Knarren der Pendeltür hörte.
Thorpe kam an die Theke, setzte einen Fuß auf das Messingrohr, das als Fußleiste diente, und stützte den linken Ellbogen auf das blankgeriebene Holz der Thekenkante.
»Whisky!«
Doling hob den Kopf und musterte den Mann, der da so grußlos hereingekommen war.
»Guten Tag, Mister!«
Thorpe hatte plötzlich eine tiefe Falte in der Stirn.
»Whisky – habe ich gesagt! Sie werden dafür, daß ich ihn bezahle, nicht noch einen Gruß von mir verlangen, Mann!«
Der Keeper richtete sich auf.
»Verlangen? No, Mister, verlangen tue ich gar nichts von Ihnen. Aber Leuten, die nicht einmal die primitivsten Gewohnheiten dieses Landes achten, denen schenke ich auch keinen Whisky aus!«
Thorpe hatte blitzschnell den Revolver gezogen.
»Hör zu, Schnapspanscher, ich habe wenig Lust, mich mit dir anzulegen. Also, zum dritten- und letztenmal: Whisky!«
Da wandte sich der Wirt um und holte die Flasche.
Thorpe trank das halbvolle Glas in einem Zug leer.
Da wurden Schritte auf dem Vorbau laut.
Der Salooner legte den Kopf auf die Seite und lauschte diesen Schritten nach. Die Spannung in seinem Gesicht löste sich jedoch gleich wieder. Er hatte den Mann, der da kam, erkannt: Es war Kid Huberts, der vorn an der Ecke beim Butcher arbeitete.
Huberts kam herein. Es war ein mittelgroßer untersetzter Mann mit einem Affengesicht und glänzender Stirnglatze. Er steuerte auf die Theke zu, grinste den Wirt an und quetschte mundfaul einen Gruß durch die Zähne. Dann sah er Thorpe
an.
»Na, Mister, schmeckt der Whisky? Das Zeug, das Doling ausschenkt…«
Der eisige Blick aus den scharfen Augen des Fremden ließ ihn sofort verstummen.
Thorpe warf ein Geldstück neben das leere Glas und ging mit harten sporen-klirrenden Schritten hinaus.
Die beiden sahen hinter ihm her.
»Komischer Bursche!« fand Huberts.
Doling fuhr sich mit dem Zeigefinger unbehaglich durch den Kragen.
»Hm, ich glaube, daß du es damit noch nicht ganz triffst, Kid«, knurrte der Wirt.
Thorpe machte seinen Gaul los und zog ihn hinter sich her. Mit kalten harten Augen musterte er die Häuser. In seinem Gesicht schien keine Spur von Leben zu sein. Ein Antlitz, das eindrucksvoll und furchterregend wirken sollte – das aber nur starr und leblos aussah.
Als er die vierte Straße erreicht hatte, sah er über einem der nächsten Häuser auf der oberen rechten Straßenseite das Schild:
OK-Corral Office and Stable
Thorpe zog seinen Gaul durch das offenstehende Hoftor.
Ein kleiner Mann mit asiatischen Gesichtszügen kam ihm entgegen.
»Sie wollen Ihr Tier unterstellen, Mister?« fragte er freundlich.
Thorpe blickte an dem kleinen gelb-gesichtigen Mann vorbei in den Hof.
»Was du nicht sagst, Schlitzauge! Dabei hatte ich die Absicht, hier nach Gold zu graben.«
Der Chinamann schluckte den wenig humorvollen Scherz und nickte. Dann ging er voran in den Hof, der sich hinten nach links abwinkelte, wo er dann in einer ziemlich schmalen Flucht als Wagenabstellplatz auf die Freemontstreet auslief.
Thorpes Gesicht zeigte keinerlei Regung, als der Chinese ihm erklärte:
»Hier links ist noch eine gute Box frei. Ich möchte sagen: die beste. Sie gehört dem Boß. Er ist verreist.«
Als er den Mietstall verließ, blieb er einen Augenblick suchend auf der Straße stehen. Drüben vor Heckers Moonlight Bar stand ein Mann und drehte sich eine Zigarette.
Eine dünne struppige Katze schlich unter den Vorbauten dahin und hob die Pfoten ganz langsam an, als sei auch da unten der Sand noch glühend heiß.
Eine Frau schob ein Fenster hoch und goß eine Schüssel mit Wasser aus, das sich in silbernen Perlen im Staub der Mainstreet verlief.
»Tombstone«, flüsterte der Nogalesman tonlos aus seiner Niedergeschlagenheit heraus. »Damned, es sieht aus wie Nogales, wie Richmondtown, wie Stafford und wie Pearce! Es sieht aus wie all die anderen verdammten Städte.«
Thorpe schlenderte unter den Vorbaudächern nach Westen hinunter. Urplötzlich hörte die Straße und mit ihr auch die Stadt auf.
Rechts hinter einigen grauen, verwitterten Schuppen lag der Boot Hill. Der Nogalesman schlenderte auf den Graveyard zu.
Es war ein staubiger Platz, auf einem sanften Hügel, nur anderthalb hundert Yards im Geviert, mit einer Unzahl von Holzkreuzen, die schief durcheinanderstanden, und von grauen und roten Steinen, die die Köpfe gesenkt zu haben schienen.
Jim Thorpe trat an das morsche Gatter heran.
Zum Greifen nah vor ihm war ein frisches Holzkreuz. Billy O’Keefe, erschossen am 29. August, stand darauf.
Daneben ein kaum älteres Kreuz mit der Aufschrift: Jimmy Junewan, erschossen am 16. August.
Rechts dahinter ein weiteres Kreuz, das ganz sicher erst eine Woche alt war.
Und weitere Kreuze standen dahinter, daneben und sogar davor, so dicht am Zaun, daß Thorpe sie zunächst gar nicht gesehen hatte.
Der Outlaw rieb sich das stoppelige Kinn. Dann wandte er sich langsam um und ging in düstere Überlegung versunken zurück in die Stadt.
Er mußte sich ein Quartier suchen. Das war das wichtigste. Forschend glitt sein Blick über die Fassaden der Häuser. Die Schilder, die ihm ein Boardinghouse oder gar ein Hotel verkündeten, waren alle Bauten, die ihm irgendwie einen zu traurigen Eindruck machten.
Da schoß ein kleiner Junge aus einer Querstraße heraus und wollte an ihm vorbei.
Blitzschnell hatte Thorpe ihn gepackt. Er sah in ein teils erschrocken dreinblickendes, teils zorniges Kinderaugenpaar.
Der Junge riß sich los.
»Hör zu, Jack.«
»Ich heiße nicht Jack!«
»Tut nichts, kann ja noch werden. – Ich suche ein Boardinghouse, in dem es nicht zu teuer ist, verstehst du?«
Der Kleine wischte sich mit dem Handrücken über seine Nase und wies dann über die rechte Schulter.
»Nelli Cashmans Boardinghouse, vorn an der Ecke der Thoughnut – und der Fünften Straße.«
Damit schoß der Bengel davon. Gerade noch früh genug, um nicht von dem Mann erwischt zu werden, der eben keuchend und mit rotglühendem Gesicht aus der Gasse kam und der Länge nach vor Thorpe auf den Boden stürzte.
Es war ein mittelgroßer Mann mit schwarzem Haar, dunklen Augen, ausdruckslosen Gesichtszügen und einem schwarzen, scharf ausrasierten Bart, der von den Ohren her seine ganze untere Gesichtshälfte umrahmte.
Als er sich erhob, sah Jim Thorpe an seiner linken Westentasche einen blankgeputzten metallenen Sechszack. Der Mann war ein Sheriff.
Genauer gesagt: Es war Jonny Behan, der Deputy Sheriff von Tombstone. Er war hier neben dem US-Deputy Marshal Virgil Earp von County Sheriff Shibell als Hilfs-Sheriff eingesetzt. Ein bedeutungsloser Mensch ohne Ambitionen und Fähigkeiten. Ein Mann, der seine Ruhe liebte, der ängstlich war, der völlig allein lebte und der für nichts ungeeigneter war als für den Posten eines Sheriffs in einer solchen Stadt.
Er trug ein verwaschenes weißes Hemd, eine fleckige Weste, eine abgegriffene Samtschleife und eine schwarzgrau gestreifte Hose. Sein Hut war hoch und grau. Vielleicht wollte er dadurch größer erscheinen als er war.
Als er sich jetzt erhoben hatte, wischte er sich die Hände an den Hosen ab und blickte Thorpe aus unruhigen Augen forschend und mit einer Spur von Ärger an.
Dann, als er dem stechenden Blick des Fremden nicht mehr standzuhalten vermochte, wandte er den Kopf und sah hinter dem Jungen her.
»Dieser Bursche! Er hat mir die Scheibe eingeworfen, dieser elende Halunke!«
Über das Ledergesicht des Goliaths aus Nogales flog ein verächtliches Lächeln. Dann schob er den Sheriff zur Seite und ging weiter.
Behan sah ihm verstört nach. Dann schüttelte er den Kopf und setzte die Verfolgung des Jungen fort.
Thorpe sah, daß ein alter Mann, der oben in seiner Haustür stand, die Szene beobachtet hatte. »Wer war das?« fragte er.
Der achtzigjährige Josuah Jefferson hielt die Hand ans Ohr. Er hatte nicht verstanden.
Thorpe winkte gelangweilt ab und wollte weiter, als ihm eine Frauenstimme zurief: »Das war Jonny Behan. Kennen Sie ihn nicht?«
Der Mann aus Nogales wandte den Kopf und sah drüben neben dem Alten im Fenster eine vielleicht zweiundzwanzig-jährige hübsche blonde, junge Frau, die ihn aus hellblauen Augen interessiert musterte.
Von Frauen verstand Thorpe so gut wie gar nichts. Die paar Mädchen, die er gekannt hatte, hatten schon am nächsten Tag einen neuen Freund gehabt, lebten in Bars und in düsteren Cantinas, wo sie mit verheißungsvollen Blicken scharfe Getränke zu den Tischen der Gäste brachten.
Aber diese Frau da hatte irgend etwas Besonderes an sich. Ihr Gesicht war feingeschnitten, die Augenbrauen hoch, der Mund voll und geschwungen. Das Kinn vielleicht ein wenig zu klein.
Es war eine unglückliche Frau. Sie hatte ihr Herz an einen Mann verloren, der selbst keines zu besitzen schien.
Thorpe wandte sich dem Haus zu und blieb unten vor dem Vorbau stehen. Grüßend tippte seine Linke an den Hut-rand.
Damned, dachte er sofort, das muß ich mir abgewöhnen. Ich muß – wenn überhaupt – mit der Rechten grüßen. Die Linke muß immer in der Nähe des Revolvers bleiben.
Währenddessen durchforschte die junge Frau sein Gesicht. »Sie sind Texaner?«
»Nein.«
Thorpe trat auf den Vorbau und kam an das Fenster heran. »Sie wollten mir doch etwas über den Sheriff erzählen, Miß…«
»Fisher.«
»Nur Fisher?«
»Yeah, nur Fisher. Und ich finde, das reicht völlig.«
Thorpe stand mit gespreizten Beinen und nach innen gestellten Füßen da und musterte die Frau mit einer Unverschämtheit, die sie erröten ließ.
Klapp! Das Fenster war geschlossen, und die Gardinen flogen zu.
Thorpe lachte kurz auf und sah dann den Alten an. »Wer ist sie?«
Der Greis schob wieder die Rechte hinters Ohr.
»Ich habe gefragt, wer sie ist?«
»Wer…?«
Grimmig winkte Thorpe ab und ging weiter. Die Frau hatte er schon nach einer Minute vergessen.
Ihn beschäftigte etwas anderes. Jonny Behan! Hatte Virgil Earp also doch noch Deputies?
Da hörte der Nogalesman schlurfende Schritte hinter sich.
Es war der schwerhörige Alte, der ihn einzuholen trachtete. Thorpe blieb stehen.
Der Alte kam heran und meinte kurzatmig: »Jetzt habe ich verstanden. Sie müssen wissen, ich kann die Worte nur von den Lippen ablesen. Sie aber bewegen Ihre Lippen kaum. Trotzdem, jetzt weiß ich, was Sie wollen. Sie haben nach der Frau gefragt. Yeah, sie ist sehr hübsch, nicht wahr? Und wirklich vornehm. Eine Lady…«
»Komm, Alter, versuche nicht mir deine Brut aufzuschwatzen!« Unsanft schob Thorpe den Mann zurück.
Der Greis sah ihn verärgert an.
»Freundlich sind Sie nicht gerade, Mann. Seien Sie vorsichtig in Tombstone. Hier sind wir einen solchen Ton nicht gewohnt.«
Die Hand des Hünen schoß vor und krallte sich in das Hemd des Greises.
»Ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt, Alter!«
»Sie haben nach dem Sheriff gefragt und nach ihr…«, stammelte der Mann.
»Nach dem Sheriff?«
»Yeah!«
Thorpe ließ den Alten los.
»Wieso Sheriff? Ich denke, Virgil Earp ist hier?«
Diesmal hatte der Alte schnell und richtig verstanden, da er die Lippen des Fremden genau vor sich sah.
»Yeah, Earp ist Marshal, und Behan ist Sheriff.«
Thorpe legte den Kopf auf die Seite.
»Hör zu, Sam, wenn du etwas versuchen willst, mich zum Narren zu halten, dann erlebst du was!«
»Es ist wirklich so. Virgil Earp ist der vom Staat eingesetzte Bundesmarshal.«
»Und – reicht das nicht?«
»Ich weiß das nicht, Mister.« Der Alte kraulte sich seinen von wolligem Grauhaar bedeckten Schädel. »Ich weiß es wirklich nicht. Wir haben alle schon häufig darüber nachgedacht. Vielleicht liegt es daran, weil Tombstone so eine gefährliche Stadt ist.«
»Wer war denn zuerst hier?«
»Behan. Aber Mr. Earp wurde kurz darauf hierhergeschickt. Vielleicht trauen sie Jonny nicht genug zu.«
»Er ist also nur Hilfs-Sheriff?«
»Yeah, Shibell sitzt ja nicht hier. Er hat ihn hier nur als Stadt-Sheriff eingesetzt.«
»Und taugt er denn wirklich nicht viel?«
Der Greis zog die Schultern hoch und entfernte sich langsam mit schlurfenden Schritten.
»Yeah, es war offenbar wirklich eine heiße Stadt, dieses Tombstone. Zwei Gesetzesmänner gab es hier. Einen Sheriff; und sogar einen US-Marshal, einen Mann von der Federal Police.
Und Behan? Was war er für ein Mensch, dieser schmächtig gebaute, kaltgesichtige Mann mit dem schlecht nachgeahmten Abe-Lincoln-Bart? Er machte einen unsicheren, fast verschüchter-
ten Eindruck. Aber man konnte sich ja
in den Menschen so fürchterlich täuschen.
Hatte in den dunklen Augen Behans nicht etwas Lauerndes und Verschlagenes gelegen, ganz versteckt in den Winkeln?
Thorpe nahm sich vor, auf der Hut vor diesem Mann zu sein.
Er setzte seinen Weg zu Cashmans
Boardinghouse fort.
Die Besitzerin dieses Logierhauses war sehr groß, überschlank und hatte ein bläßliches Gesicht, in dem ein großes grünliches Augenpaar saß.
Yeah, sie hatte noch ein Zimmer frei für Jim Thorpe.
Es war einer der Vorzüge des Etablissements Cashman, daß sich niemand einzutragen brauchte. Wer es wollte, konnte es tun, aber es war nicht nötig.
Thorpe sah sich kurz in seinem Zimmer um, wusch sich dann und machte anschließend einen Rundgang durch die Stadt.
Es war fast sieben Uhr am Abend.
Die Hitze hatte kaum nachgelassen. Vor allem von den Wänden jener Häuser, die aus Backsteinen errichtet waren, prallte die Glut jetzt zurück auf die Straße.
Genau sieben Uhr und drei Minuten war es, als der Bandit in der Fourth
Street vor der Bank of Tombstone stand.
Das Gebäude machte alles andere als einen guten Eindruck. Es war zwar ein Backsteinhaus, aber niedrig, eingeschossig und reichlich ungepflegt. Die in Gold auf einen schwarzen Untergrund gesetzten Lettern ›Bank of Tombstone‹ waren stark verwittert und kaum noch zu erkennen.
Zwei Frontfenster waren vergittert. Das linke neben der Tür war unvergittert und jetzt hochgeschoben. Die Tür war aus starken Bohlen gefertigt.
Jim Thorpe ging weiter.
Er hatte genug gesehen. Morgen früh kurz vor acht würde er hier sein, um sein Geld zu holen. Er betrachtete es jetzt schon als sein Geld.
Er schlief ruhig und traumlos, stand sehr früh auf, wusch sich und rasierte sich mit einer Sorgfalt, als habe er eine Einladung beim Gouverneur.
Es war eine Viertelstunde vor acht, als er das Boardinghouse verließ.
Die Menschen, die ihn auf seinem Weg gesehen hatten, konnten später genau ermittelt werden.
Der erste war Nellie Cashmans Hofknecht Jonny Mack, ein alter grauhaariger Bursche mit zahnlosem Mund und hochgeschobenem Kinn. Er war vor zweiundzwanzig Jahren zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden, weil er einen Menschen getötet hatte, in der Rage des Goldgräbers, der sich betrogen fühlte. Vor etwa fünf Jahren hatte ihn die Campleitung auf einen Antrag seiner Tochter, die oben in Ohio wohnte, entlassen.
Aber er war nicht in seine Heimat zurückgekehrt. Im Lager hatte er von Tombstone gehört, von der Stadt, in der mehr Banditen leben sollten als sogenannte ›Unbescholtene‹. Nun, er hatte kein Interesse mehr daran gehabt, unter ›Unbescholtenen‹ zu leben. Unter der anderen Gruppe fiel er wenigstens nicht auf.
Es war dann doch etwas anders gekommen. Vor allem war dieses Tombstone anders gewesen als er es sich vorgestellt hatte. Er fand einen Job bei Nellie Cashman und blieb.
Die zweite Person, die Thorpe gesehen hatte, war Nellie Cashman selbst. Sie sah ihm nach, wie er in die Fünfte Straße einbog.
Der dritte Zeuge war Joseph Lefevre, ein französischer Auswanderer, der schon sieben Jahre hier lebte, nachdem Geoffreys Silbermine die Schürfungen eingestellt hatte. Auf den anderen Minen hatte er keine Arbeit gefunden, da war er eben hier geblieben und half im Oriental Saloon aus. Mehr schlecht als recht vermochte er sich davon durchs Dasein zu bringen.
Der vierte Mensch war Owen Saunders, ein sechzehnjähriger Junge, der in der Schieffelin Hall arbeitete; er stand vor dem roten zweigeschossigen Steinhaus von Vogany.
Thorpe überquerte die Straße auf der Höhe von Bob Hatchs Saloon. Das nächste Haus, ein scheußlich schmalbrüstiger Bau, trug vorn auf den schmierigen Scheiben den hochtrabenden Namen Alhambra. Dann passierte er den Eingang des Cosmopolitan Hotels, aus dessen Tür gerade eine ältliche Frau den Schmutz um den Vorbau hinausfegte.
Das nächste Haus war sauber, klein und wirkte irgendwie trutzig.
Jim Thorpe war schon fast daran vorbei, als er plötzlich den Schritt verhielt. Was hatte er da gelesen?
Zwischen Tür und Fenster war ein Schild angebracht, auf dem zu lesen stand:
Virgil Earp, US Deputy Marshal.
Thorpe hatte plötzlich ein ziemlich unangenehmes Gefühl in der Magengegend.
An der Ecke zur Vierten Straße blieb er stehen und kramte sein Tabakszeug hervor. Umständlich drehte er sich eine Zigarette.
Damned, jetzt hatte er keine Zündhölzer bei sich, die lagen im Boardinghouse auf dem Nachtschrank.
Bill Patterson war der fünfte Mensch, der den Fremden auf seinem Gang sah. Patterson arbeitete bei Blixy, dem kleinen kugeligen Barbier in der Fourth
Street, unten neben dem ›Rose Tree‹. Der siebenundvierzigjährige Mann reichte dem Fremden Feuer hin.
Thorpe blieb ein paar Häuser weiter vor Joe Spangenbergs Gun Shop stehen.
Well, es gab da nicht viel zu sehen. Mr. Spangenberg, ein Deutscher, hatte zwei Gewehre und zwei Revolver in seine Stubenfenster gestellt, mit Preisen daran.
Die Waffen interessierten den Nogalesman nicht; aber das, was er sich da in der Scheibe widerspiegeln sah, das interessierte ihn sehr: Es war der Eingang der Bank of Tombstone.
Niemand war zu sehen.
Thorpe warf die Zigarette weg und überquerte die Straße
Da kam von rechts in rascher Fahrt ein Buggy um die Ecke und bremste vor der Bank.
Der Fuchs stemmte sich auf das »Hoiii!« seines Lenkers direkt mit den Hinterhufen gegen den Boden, so daß der Staub in einer gewaltigen Wolke aufstob.
Ein großer schlanker Mann sprang aus dem kleinen Wagen, warf die Zügel über die Radnabe und ging auf die Bank zu.
Jim Thorpe hätte ihn dafür umbringen mögen. Mußte der Kerl ausgerechnet im allerletzten Augenblick dazwischenkommen! Denn buchstäblich hatte er sich mit seinem Gefährt genau zwischen Thorpe und das Bankhaus geschoben.
Unschlüssig stand der Outlaw einen Augenblick neben der Deichsel und blickte über den Pferderücken der hellgekleideten Gestalt des Fremden nach.
Der war in der Tür der Bank verschwunden. Thorpe stand noch auf dem Fleck.
Damned, er würde nicht fortgehen. Auf gar keinen Fall. Koste es was es wolle.
Hell and devils! Hätte er nicht doch besser eine Nachtstunde für seinen Coup wählen sollen?
Jetzt ging hinter ihm die Tür von Spangenbergs Waffenhandlung auf. Ein Mann kam heraus und ging hastig der Hauptstraße zu.
Zwei Frauen näherten sich auf der Seite, auf der die Bank lag, schleppten einen Korb mit Wäsche und verschwanden in einem der angrenzenden Häuser.
Zähflüssig rannen die Sekunden dahin.
Der Mann kam heraus, ging auf seinen Wagen zu und stieg auf.
Thorpe war rasch um das Gefähr herumgegangen und hielt jetzt geradewegs auf die Bank zu.
Das war der Augenblick, in dem oben an der Ecke zur Freemontstreet Ferry Blackwood aus dem Post Office kam. Der bärtige Mann, der lange Jahre in den Silberminen gearbeitet hatte, war früh auf dem Postbüro gewesen, um nachzufragen, ob Post für ihn gekommen war. Er wartete auf einen Brief seines Sohnes, der vor Jahren in den Krieg gezogen und nicht mehr zurückgekommen war. Seit Jahren machte der alte Mann morgens diesen Weg hierher.
Der alte Blackwood war der letzte, der den Verbrecher vor seinem Verschwinden in der Bank gesehen hatte. Und dann hatte die sagenhafte Minute begonnen, eine Minute, die später niemand mehr begriff…
Alles Unbehagen hatte Jim Thorpe mit dem Aufstoßen der Banktür von sich abgetan.
In der Nacht hatte er es sich noch überlegt: Nein, er würde nicht ohne Maske die Bank betreten; man sollte zwar annehmen, munkeln und flüstern, daß es der gefährliche große Tim Thorpe war, der die Bank überfallen hatte, aber beweisen, nein, beweisen sollte es niemand können.
Blitzschnell band er sich das schwarze Tuch vor und schob sich in den Eingang. Seine Augen durchforschten den Vorraum und die schmale Front hinter den Gittern.
Da sah er nur den Grauschädel eines älteren Mannes, der offenbar mit dem Zählen von Goldstücken beschäftigt war.
Sonst war niemand zu sehen, die beiden Pulte hinter dem Alten waren unbesetzt.
Höchstwahrscheinlich waren die anderen Leute, die sonst hier arbeiteten, noch nicht da.
Ich muß handeln, sofort! zuckte es durch den Schädel des Banditen.
Nur etwa drei Sekunden waren seit seinem Eintritt vergangen.
Mit drei weiteren lautlosen Schritten war er an dem Bord, bückte sich und huschte vorwärts, bis er sich genau vor dem Schalter wußte.
Der Kassierer hatte ihn nicht bemerkt, da der alte Mann so stark mit dem Geldhähnen beschäftigt war, daß er nicht auch noch seine Aufmerksamkeit auf den Schalterraum hatte richten können.
Urplötzlich zuckte der Verbrecher vor dem Schalterbrett hoch.
Der Alte hatte den Kopf noch gar nicht gehoben, als der schwere Revolverknauf schon auf seinen Schädel niederkrachte.
Thorpe jumpte über das Schalterbrett und raffte mit einer Behendigkeit, die ihm sicher niemand zugetraut hätte, alles Geld, dessen er habhaft werden konnte, an sich.
Da wurde die Tür geöffnet.
Thorpe hatte sich sofort niederfallen lassen und kauerte neben dem besinnungslos daliegenden Kassierer.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Tür vorn geschlossen wurde.
Thorpe zuckte hoch, mit dem Colt in der Linken, zu allem bereit.
Aber der Besucher hatte die Tür von außen zugeworfen, da er offenbar glaubte, die Leute seien noch nicht bei der Arbeit.
Der Verbrecher setzte wieder über das abgewetzte Schalterbrett und rannte zur Tür.
Ganz langsam, so als habe er das sauberste Gewissen im ganzen County, verließ er die Bank of Tombstone, ging die drei Stufen hinunter und stand auf der Straße.
Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Rechts unten auf der Allenstreet rollte ein Planwagen vorüber.
Thorpe ging gemächlichen Schrittes auf die Hauptstraße zu, überquerte sie, ließ sich vorm Grand Hotel von einem Mann, der einen Sombrero trug, Feuer geben und ging weiter.
Er war aufgeplustert von dem geraubten Geld, von dem Papier, das er natürlich nicht erst hatte glätten können.
Unbeobachtet kam der Räuber in Nellie Cashmanns Boardinghouse. Er nahm sofort das Geld aus den Hosentaschen, aus den beiden Innentaschen seiner Weste und vor allem aus dem Hemd. Vorn ins Hemd hatte er den Hauptteil hineingestopft.
Mit größter Ruhe glättete er die Scheine nacheinander und machte sich ans Zählen.
Fast sechstausendsiebenhundert Dollar!
Stumm stand der Bandit vor dem Geld und starrte darauf nieder.
Dann lauschte er nach draußen. Es war noch alles still.
Noch hatten sie sicher den Alten nicht gefunden.
Ob er tot war?
Thorpe raffte die Geldscheinbündel zusammen und verstaute sie sorgfältig in seine beiden Satteltaschen, die er mit in sein Zimmer genommen hatte.
*
Die Nachricht von dem dreisten Raubüberfall auf die Bank of Tombstone verbreitete sich in Windeseile in der ganzen Stadt.
Und gleichzeitig auch die Tatsache, daß der einundsechzigjährige Kassierer Guy Vaugham noch immer besinnungslos drüben bei Dr. Goodfellow lag.
Thorpe hatte sich aufs Bett gelegt. Als es klopfte, meldete er sich mit matter Stimme.
Nellie Cashman selbst stand in der Tür. »Wollen Sie noch Frühstück haben, Mister?«
»Ja, bitte. Ich bin mal ums Haus gegangen, die Luft ist doch ziemlich stickig nachts in den Räumen hier.«
Die Frau hatte auf einmal eine steile Falte zwischen den Augenbrauen stehen.
»Weshalb öffnen Sie denn nicht das Fenster, wie die anderen Gäste es auch tun?«
»Nein, ich bin kürzlich von einer Mericette gestochen worden.«
Nellie Cashman schüttelte den Kopf, und jetzt trat ein Lachen um ihren herben Mund.
»Wir haben keine Mericetten hier, Mister, die gibt’s viel weiter westlich. In Nogales zum Beispiel schon…«
Thorpe warf den Kopf hoch. Wie ein physischer Schmerz hatte der Name seiner Heimatstadt ihn berührt.
»Yeah, ich weiß«, sagte er gedehnt und richtete sich auf.
Dann fragte er plötzlich: »Kennen Sie viele Leute hier in der Stadt?«
Die junge Frau schob die Lippen vor, dann nickte sie langsam.
»Doch, ich kenne eine ganze Menge. Aber sicher nicht alle. Das wäre schließlich auch ein bißchen viel verlangt.«
»Kennen Sie ein hübsches Mädchen, das Fisher heißt? Es ist blond…«
»… und blauäugig?« fragte die Wirtin rasch.
»Yeah.«
Und nun beschrieb Nellie Cashman ihm die Frau so genau, daß dem Nogalesman die Sprache wegblieb.
»Ja, diese Frau kenne ich genau«, meinte Miß Cashman.
»Es ist Kate Fisher-Elder.«
»Und…?« fragte er erwartungsvoll.
»Was und?« Die Frau wandte sich schon halb ab, als wollte sie die Tür wieder hinter sich zuziehen. »Was soll mit ihr sein?«
»Ich…« Thorpe rieb sich das Kinn heftiger. »Ich finde sie hübsch.«
Ein Lächeln flog über das Gesicht der Wirtin.
»Yeah, alle finden sie hübsch. Jedenfalls alle Männer.«
Obgleich dieser Jim Thorpe nicht gerade mit Verstandesschärfe überladen war, hatte er den seltsamen Ton in der Stimme der Boardinghouse Ownerin doch nicht überhört.
»Sprechen Sie offen, Madam«, sagte er rauh.
»Offen?« gab die Frau zurück, »kann man immer offen sprechen? Außerdem, ich kann Ihnen nichts Nachteiliges über Miß Fisher berichten. – Aber vielleicht sollte ich Ihnen doch sagen, daß sie die Freundin eines Mannes ist – mit dem nicht zu spaßen ist.«
»Den Mann möchte ich sehen!«
»Doc Holliday.«
Die Wirtin ging.
Der Mann aus Nogales starrte wie gebannt auf die gehobelten Türbretter, die nur notdürftig mit einer dünnen braunen Farbe gestrichen worden waren und lauschte den beiden letzten Worten der Frau nach:
Doc Holliday!
Heavens, was hätte er denn da um ein Haar angestellt! Er war nämlich drauf und dran gewesen, die schöne Kate Fisher heute einzuladen.
Aber in dem Garten gerade dieses Mannes gedachte der Bandit Jim Thorpe denn doch nicht spazieren zu gehen…
*
Gegen zehn Uhr wußten sie es auch im Boardinghouse.
Immerhin waren fast zwei Stunden vergangen.
Nellie Cashman hörte gar nicht zu, und als Thorpe, der neben der Theke am Tisch vor seiner leeren Kaffeetasse saß, fragte: »Interessiert Sie so etwas nicht?« erwiderte sie. »Nein, vor allem dann nicht, wenn es mir keine Neuigkeit ist.«
Thorpes Herz drohte einen Augenblick stillzustehen.
»Keine – Neuigkeit? Ja, wußten Sie denn das alles schon?«
»Wissen…? Ted Angerer hat es schon um neun erzählt, nebenan bei der alten Frau Miller. Sie hat es dann Ihrer Tochter erzählt. Und von der habe ich es!«
Thorpe atmete unmerklich auf.
Da meinte der dicke Baker, der vorn an der Tür lehnte und auf seinem Priem herumkaute:
»Es gibt ein paar Leute, die den Räuber gesehen haben wollen.«
Thorpe horchte auf, ließ es sich aber nicht anmerken.
»So eine Unverschämtheit!« meinte der Alte hüstelnd, »da geht dieser Halunke am hellichten Tag hin und nimmt die Bank aus.«
»War viel Geld darauf?« wollte Thorpe wissen.
»Das ist noch nicht raus. Die Sache wird noch untersucht.«
»Und von – wem?« Es fiel dem Nogalesman sichtlich schwer, diese Frage zu stellen.
»Vom Sheriff natürlich. Der Marshal ist ja nicht in der Stadt.«
Thorpe erhob sich, warf mehrere Geldstücke auf den Tisch, tippte an den Hut-rand und wollte zur Tür.
Da stand plötzlich die schlanke, hochgewachsene Nellie Cashman vor ihm.
»Sie wollen schon weg?«
»Ich muß!«
»Well.« Sie sah ihn unverwandt an. »Haben Sie sonst nichts hinterlassen, Mister…«
Thorpe runzelte die Stirn.
»Was wollen Sie noch? Ich habe das Zimmer und auch das Essen bezahlt.«
Baker bohrte sich mit einem angespitzten Zündholz in den Zähnen herum.
»Die Frage ist gar nicht so verrückt, Stranger«, meinte er. »Sie sind gekommmen – Sie gehen wieder. Ganz logisch. Wie all die anderen auch. Aber – gestern sind nur Sie gekommen. Und heute gehen nur Sie!«
Thorpe trat mit drei schnellen harten Schritten an den Greis heran.
»Wie soll ich das verstehen, Mister?«
Der Alte zuckte die Schultern hoch – und ließ sie resigniert wieder fallen.
»Das müssen Sie sich selbst ausrechnen, Mister.«
Da prallte die geballte Linke des Nogalesmannes an den Schädel des Alten.
Der taumelte ein paar Schritte zurück, stand dann breitbeinig und mit gesenktem Kopf da.
Eine Sekunde später rannte er schneller, als man es seinem Alter zugetraut hätte, mit leicht gesenktem Kopf auf Thorpe zu.
Der wich aus, und krachend prallte der Mann gegen die offenstehende Tür.
Er brach ächzend zusammen.
Thorpe lachte roh auf, tippte an den Hutrand und meinte zu der bleich dastehenden Frau gewandt:
»Ich würde doch sehr viel vorsichtiger mit meinen Worten sein, Madam.«
Damit verließ er die Schenke.
Vorn an der Ecke zur Allenstreet prallte er mit Kate Fischer zusammen!
Die Verblüffung war beiderseits in den Gesichtern zu lesen.
Thorpe richtete sich auf und kniff ein Auge ein. »He, Miß Fisher, wie geht’s?«
»Thanks, und Ihnen?«
Thorpe nickte. »Es geht.«
»Haben Sie sich inzwischen über den Sheriff beruhigt?«
»Sheriff? Beruhigt? Ich hatte doch nichts mit ihm.«
Kate Fisher lachte und zeigte dabei eine Doppelreihe Zähne. »Und wenn auch.«
Thorpe sah sie an, als wolle er sie mit den Augen verschlingen.
Sie war eine verführerische Schönheit, diese Kate Fisher. Alles an ihr wirkte sympathisch, anziehend, verlockend.
Mit einer anmutigen Bewegung nahm sie ihren himmelblauen Rock etwas hoch und sagte: »Ich bin auf dem Weg zum Mayor.«
»Ärger gehabt?«
»Ja.« Sie sah ihn offen an. »Ich hatte neunhundert Dollar auf der Bank. Sie sind heute morgen geraubt worden. Von einem Fremden. Von einem einzelnen Mann…« Sie brach plötzlich ab und sah Thorpe genauer an.
»Was machen Sie eigentlich hier?«
»Ich suche einen Job. Oben in Prescott sagte mir ein Trader, daß dieses Tomb-
stone eine aufstrebende Stadt sei, in der es mehr Arbeit gäbe, als man sich wünschen könne.«
»Das stimmt ganz sicher nicht«, entgegnete die Frau, die ihren schnellen Verdacht wieder fallengelassen hatte. »Aber vielleicht kommen Sie heute abend mal drüben in den Saloon, vielleicht kann ich Ihnen helfen. Es gibt immer Leute, die tüchtige Männer brauchen.«
Thorpe blickte auf die andere Straßenseite, in die Richtung, die sie ihm mit dem Kopf angegeben hatte.
Da lag der Crystal Palace!
Thorpe zog die Schultern hoch.
»No, thanks, Miß – ich möchte gern noch eine Weile leben.« Und nun war er dumm genug, das auszusprechen, was er für einen Trumpf hielt: »Schließlich habe ich nicht die Absicht, ausgerechnet Doc Holliday in die Quere zu kommen.«
Das Gesicht der Frau veränderte sich jäh. Die Frische wich daraus, eine grünliche blasse Haut blieb zurück.
»Doc Holliday…?« wiederholte die Frau und senkte den Kopf. Der Name schien all ihr Leid, ihr Elend, ihren Schmerz zu beherbergen.
Dann warf sie plötzlich mit einer wilden Gebärde den Kopf hoch.
»Wo ist er? Haben Sie ihn irgendwo gesehen? Haben Sie etwas von ihm gehört? Ganz sicher nicht!«
Wieder sank ihr Kopf auf die Brust. Sie wandte sich ab und überquerte die Straße.
Thorpe rieb sich das Kinn. Zounds! Der Teufel sollte doch die Weiber holen.
*
Sie hatte kein Abenteuer gesucht, die blonde Kate Fisher. Nur einen Menschen, der sie nicht kannte. Sie und ihr Leben. Sie hatte gehofft, daß dieser Fremde nicht wüßte, wer sie war. Es war das, was sie immer hoffte, wenn sie Fremde kennenlernte.
Es hatte ja niemand eine Chance bei ihr. Er war ihr Abgott, der schlanke, nervige, drahtige hochgewachsene Doktor aus Boston, den die Männer dieses gefährlichen Landes den König der Gunfighter nannten, der einen überlegenen Geist hatte, ständig eine scharf spöttische Entgegnung auf den Lippen, und der so eine unnachahmliche Art hatte, zu gehen.
Nachts, wenn sie in ihrem dunklen Zimmer lag und gegen die Decke starrte, sah sie seine eisblauen lang bewimperten ernsten Augen vor sich, in denen eine ungeheure Kraft lag, und die auch einen tiefen Ernst widerspiegelten.
John Henry Holliday, der Mann, der ausgezogen war, um im Westen den Tod zu finden, die Erlösung von seiner unheilbaren Krankheit. So sehr sie sich auch dagegen gewehrt hatte, Doc Holliday war ihr Leben.
Thorpe sah ihr nach, bis drüben die rotgestrichenen Schwingarme der Pendeltür des Crystal Palace hinter ihrem Rücken zusammenschlugen.
Dann ging er weiter die Straße hinunter zum O.K. Corral.
Grinsend stand der kleine Chinese im offenen Tor und sah ihm entgegen.
»Schon wieder wegreiten, Mister?« fragte er.
Thorpe kniff das linke Auge ein.
»No, Brother, die Absicht habe ich nicht. Ich suche mir nur ein besseres Quartier.«
Der Chinese zog beide Brauen hoch.
»Besseres Quartier? Das ist teuer hier in Tombstone.«
»Na und…?«
Damned, hatte der Mann gestern nicht nach einem billigen Quartier gefragt? Der Chinese hatte es von dem Jungen erfahren.
Thorpe sah sich um und entdeckte das gewaltige Schild des Monopol-Hotels schräg gegenüber.
»Ich werde mich da einquartieren«, sagte er, warf sich die prall mit Geldscheinen gefüllte Satteltasche über die mächtige Schulter und stiefelte auf das Haus zu.
*
Nein, er würde noch nicht wegreiten. Das hätte wie Flucht ausgesehen.
Und außerdem gelüstete es ihn, die Menschen in dieser Stadt noch etwas ranzunehmen. Er wollte seinen Triumph auskosten. Deshalb würde er bleiben.
Als er auf das Hotel zuging, schrak er für den Bruchteil einer Sekunde zusammen. Links nebenan vor dem kleinen Holzbau stand ein Mann, der einen silbernen Stern auf der Brust trug.
Ein Sheriff.
Aber sofort fiel dem Verbrecher der Stein vom Herzen: Es war nur Jonny Behan.
Nur! Welch eine Schande für einen Gesetzesmann, so gering geachtet zu werden.
Die Strohpuppe im Tombstoner Sheriffs Office hatte den Blick nach Osten gewandt, obwohl es in dieser Richtung im Augenblick nicht das geringste zu sehen gab.
Thorpe hatte den Vorbau erstiegen und blieb stehen. Herausfordernd sagte er: »Hallo, Sheriff! Suchen Sie mich vielleicht?«
Jonny Behan wandte den Kopf. Seine blassen Augen huschten flüchtig über das grobe Gesicht des Fremden, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder ab.
Das reizte den Nogalesman derart, daß er auf den Sheriff zutrat, ihm seine Rechte schwer auf die schmächtige Schulter fallen ließ und meinte:
»Ich finde, daß Sie sich nicht hier an den Vorbaupfeiler lehnen sollten, wenn in der Stadt ein Bankraub verübt wurde.«
Behan zuckte zusammen. Aus erschrockenen, weit aufgerissenen Augen sah er den Fremden an.
»Bankraub…«, kam es heiser über seine Lippen.
Thorpe starrte ihn verblüfft an. Was denn, sollte dieser Papier-Sheriff tatsächlich noch nichts von dem Überfall auf die Bank wissen? Immer noch nicht, obwohl doch die ganze Stadt bereits darüber munkelte?
Das war denn doch mehr als unwahrscheinlich.
Thorpe schob sich den Hut aus der Stirn und trat in den Eingang des Hotels. Ehe er jedoch völlig verschwand, rief er dem Gesetzesmann noch über die Schulter zu:
»Eine schöne Stadt, dieses Tombstone, das muß ich schon sagen. Und der Sheriff paßt dazu!«
Damit war er schon in der Halle.
Verdutzt blieb er stehen.
Der große Raum, der vor ihm lag, war so pompös eingerichtet, so mit Plüschmöbeln, dicken Teppichen und Vorhängen geschmückt, daß dem Nogalesman die Sprache wegblieb.
Rechts stand hinter einem kunstvoll gearbeiteten Rezeptionspult ein schmalgliedriger Mann von vielleicht zwanzig Jahren mit frischem Gesicht und wachen Augen.
Thorpe steuerte auf ihn zu. »Ein Zimmer, Boy!«
Der Bursche ließ seinen Blick forschend über die Erscheinung des Fremden gleiten.
»Fünf Dollar.«
Thorpe senkte seinen Kopf mit einem Ruck, kniff in der für ihn typischen Art das linke Auge ein und krächzte dabei leise:
»Ich habe doch wohl nicht richtig gehört, Kleiner?«
»Doch, Mister, Sie haben richtig gehört. Und dann möchte ich Ihnen noch sagen, daß ich Bill Hartman heiße. Sie können mich aber Bill nennen.«
Thorpe kam einen Schritt näher und beugte sich über das schmale Pult.
»So, kann ich das? Hm, ich werde dir einmal zeigen, was ich kann, Junge!«
Damit schoß seine Linke vor, packte den Burschen an den Westenaufschlägen und zerrte ihn über das Pult.
Ganz dicht war das Gesicht des Outlaws vor Hartmans Augen.
»Na, Kleiner, wolltest du noch etwas sagen?« höhnte der Bandit.
»Lassen Sie mich los, Mister, oder…«
»Oder?«
»Lassen Sie ihn los!« kam da eine rauhe Stimme von der Eingangstür her.
Thorpe blickte sich um und sah einen vierschrötigen, muskelbepackten Mann vor sich stehen. Er trug einen grauen Stetson, ein graues Hemd, ein blaues Halstuch, eine graue Weste und bräunliche Hosen. Tief über seinem linken Oberschenkel hing ein schwerer fünfundvierziger Revolver.
Thorpe hatte den Kopf herumgenommen.
»Was willst du denn, Jonny, he?«
Der Mann in der Tür verzog das Gesicht. »Mein Name ist Laghran, Harald B. Laghran, Mister. Es wäre gut für Sie, wenn Sie sich das merken würden.«
Thorpe ließ den Burschen los und wandte sich um. Gegen das Rezeptionspult gelehnt, musterte er den Mann im Eingang.
»Du bist also Harold B. Laghran«, spöttelte er. »Tut mir sehr leid – habe noch nichts von dir gehört.«
In diesem Augenblick erschienen oben auf der Treppe zwei Männer, ein älterer Herr und ein jüngerer. Sie blieben auf halber Höhe stehen und starrten auf die Szene.
Laghran knurrte: »Das wird auch nicht nötig sein.«
Thorpe winkte ab.
»Halt mich nicht auf, Mensch!«
Mit dem so phlegmatisch wirkenden Harold Laghran war plötzlich eine rapide Änderung vor sich gegangen. Er winkelte den rechten Arm an, zog die Brauen zu einem scharfen geraden Strich zusammen und spreizte die Beine.
»Zieh, Dreckskerl!« brüllte er.
Der Nogalesman, der sich schon halb abgewandt hatte, fuhr herum – und im gleichen Augenblick brüllte in seiner Linken der schwere Revolver auf.
Laghran bekam einen Stoß und wurde zurück gegen die Eingangstür geschleudert. Dann knickte er langsam auf dem linken Bein zusammen und rutschte auf den Boden.
Thorpe streifte die beiden Männer auf der Treppe mit einem raschen Blick, dann wandte er sich an Bill.
»He, gib mir endlich den Schlüssel, Kleiner, sonst raucht’s hier noch mehr.«
Der Bursche reichte ihm den Schlüssel von Nummer fünf mit zitternder Hand.
Thorpe stieg die Treppe hinauf an den beiden anderen vorbei und ging auf sein Zimmer.
Jerome Richmonte und Irwin Norman stürmten die Treppe hinunter und beugten sich über den Niedergeschossenen.
Norman schickte Bill eilends zu Doc Goodfellow.
Der Arzt kam sofort und stellte fest: »Der braucht keinen Revolver mehr.«
»Ist er tot?« stammelte Norman und wischte sich nervös durchs Gesicht.
Der Arzt sah ihn an.
»Tot? Nein, aber schießen kann er nicht mehr. Es sei denn, er ließe sich auf links umschulen. Die Kugel hat ihm das Ellbogengelenk zerschmettert.«
Norman meinte. »Ist das so schlimm?«
»Sehr schlimm. Ich habe mal einen Burschen gesehen, der hatte zwei Schrotkörner in die Elle bekommen. Noch niemals habe ich einen Menschen so schreien hören und leiden sehen. Wartet nur ab, wenn Laghran wieder zu sich kommt…«
Der Verletzte kam zu sich. Und sofort stieß er einen gellenden, markerschütternden Schrei aus, der das ganze Haus durchzuckte.
Die Mägde in der Küche und die Peons hinten in der Stallung hielten den Atem an. Der Hotel-Owner fuhr aus seinem Schlaf hoch, und auch alle anderen Menschen im Hotel horchten mit entsetzten Gesichtern auf.
Nur einer hielt die Augen seelenruhig geschlossen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Jimmy Thorpe.
Es kam niemand, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Wer hätte das auch wagen sollen? Außerdem, hatte er denn unfair gehandelt? Hatte Laghran ihn etwa nicht herausgefordert? Drei Augenzeugen gab es dafür.
Thorpe gedachte jedoch, diesen Triumph, wie der armselige Mensch es bei sich selbst nannte, noch weiter auszukosten.
Er verließ sein Zimmer, schlenderte sporenklirrend durch den Korridor und stand dann auf der obersten Treppenstufe.
Unten in der Halle hatten sich inzwischen eine Reihe von Leuten eingefunden, die sich von dem jungen Hartman den Hergang des Geschehnisses immer und immer wieder berichten ließen.
Es war ziemlich lange her, daß sich außer Ike Clanton und seinen ›Boys‹ irgend jemand so etwas in Tombstone herausgenommen hätte.
Die Gespräche verstummten jäh, als der Outlaw auf der Treppe erschien.
Langsam, unendlich langsam kam er herunter. Tiefe Genugtuung erfüllte ihn. Er war also schon jemand für die Tombstoner!
Einer der Männer kam auf ihn zu. »Hallo, Mister…«
»Thorpe, Jim Thorpe!« kam es rostig von den Lippen des Desperados.
Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war Sefton Olloway. Er hatte in der Toughnutstreet eine Schuhmacherei und tat sich immer gern wichtig.
»Wissen Sie, wen Sie da fertiggemacht haben, Mr. Thorpe?« fragte er mit einer servilen Verbeugung.
»Nein, aber ich wette, daß Sie es mir sagen werden.«
»Richtig, sehr richtig«, versetzte der Schuhmacher ölig. »Es war Harold Laghran, ein übler Tramp. Es ist ein Jammer, daß solche Elemente nicht aus der Stadt gewiesen werden.«
»Solange Virgel Earp hier war, hat sich diese Brut nicht zwischen den Häusern blicken lassen«, meinte ein Mann, der vorn neben der Tür stand.
»Richtig!« rief der vierkantige Hance Mallemer, der im Occidental Saloon die Whiskyfässer schleppte und den Hof in Ordnung hielt.
Olloway lächelte süßlich. »Nun, wir wollen nicht übertreiben. Virgil Earp hat gar nicht Hände und Augen genug, alle Banditen wegzujagen, die hier in der Stadt herumkriechen.«
Mallemer kam stampfend näher. »Kein Wort gegen Virgil Earp, Schuster!«
Olloway zischte: »Was haben Sie denn? Ich werde doch noch meine Ansicht sagen dürfen.«
»Vielleicht kümmert sich Jonny Behan mal um diese Dinge«, meinte der kleine Barbier Hattaway. »Wozu haben wir den eigentlich?«
Ein dünnes Lächeln kroch um die Lippen des Desperados. Urplötzlich hatte er seine beiden Revolver in den Fäusten. »Raus! Alle!«
Die Männer standen wie versteinert da.
»Raus, ich will meine Ruhe beim Essen haben!«
Die Männer zogen es vor, keine weitere Aufforderung des herkulisch gebauten Fremden, der so rüde Manieren an den Tag legte, abzuwarten. Sie zogen von dannen.
Thorpe ließ die Colts in die Halfter fliegen und wandte den Kopf nicht nach Hartman um, als er diesem gebot:
»Laß mir ein Steak bringen, Kleiner! Aber ein Steak, und keine Wurstscheibe, verstanden! Sechs Eier dazu und was Grünes, wie sich’s gehört! Aber dalli!«
Er steuerte auf einen Fenstertisch zu und ließ sich nieder.
Die beiden älteren Männer, die da noch gesessen hatten und dem Auftritt stumm gefolgt waren, erhoben sich und gingen auf den Eingang zu.
»Yeah, verkriecht euch, ihr Kautabakbärte. Ihr verderbt mir nur den Appetit!«
Die beiden hatten die Tür fast schon erreicht, als der Schrei Thorpes sie auf die Stelle nagelte. »Halt!«
Bill Hartman, der schon an der Küchentür war, blieb abwartend stehen.
»Du kannst weitergehen!« gebot ihm der Bandit.
Bill blieb stehen.
Da fuhr Thorpe wie von einer Feder geschnellt hoch, zog den Mund zusammen und kniff das linke Auge ein.
»Schwerhörig, Kleiner?«
Bill ließ den Kopf sinken, wandte sich um und ging in die Küche.
Thorpe sah auf die gebeugten Rücken der beiden Alten. »Los, verschwindet!«
So schnell waren die beiden noch nie aus dem Hotel herausgekommen, wo sie häufig um diese Zeit ein Spielchen bei einem Glas des sogenannten German Beers machten.
Thorpe angelte sich eine Gazette, die mit einem Stock und einer Drahtklammer haltbar gemacht worden war. Es war der Tombstone Epitaph.
John Clum, der Herausgeber, seit einiger Zeit Mayor von Tombstone, hatte aus dem Blatt etwas gemacht. Es gab Leute, die sich seine Gazette nach New York, Los Angeles, San Franzisco, Chicago, Santa Fé und hinauf nach Dodge schicken ließen.
In der Küchentür erschien Bill. Er sah mißbilligend zu dem Fremden hinüber.
»Finden Sie, daß es nötig ist, so mit den beiden alten Leuten umzugehen, Mr. Thorpe?«
Der Nogalesman erhob sich und durchquerte langsam die Halle.
»Hast du was gesagt, Kleiner?« fragte er mit einem Ton, der den Burschen hätte warnen müssen.
Trotzig erwiderte er: »Yeah, Mr. Thorpe, ich habe gesagt, ob es nötig ist, die beiden alten Leute so zu schikanieren?«
Ganz leise, nur für Bill hörbar, fragte der Outlaw: »Findest du nicht, daß das meine Sache ist, Kleiner?«
»Nein, Mr. Thorpe. Und noch etwas, ich bin nicht Ihr Kleiner. Mein Name ist Hartman, Bill Hartman.«
Rasend schnell klatschte eine Doublette des Desperados ins Gesicht des Burschen. Der erste Hieb traf seinen rechten Kinnwinkel, der zweite detonierte am Jochbein.
»Und mein Name ist Thorpe, Jim Thorpe«, sagte der Rowdy heiser.
Bill torkelte zurück und fiel neben der Küchentür zu Boden.
Thorpe packte ihn, riß ihn hoch und stieß mit dem Fuß die Küchentür auf und schleppte den Burschen am Hemdkragen neben sich her.
Drei Frauen stoben kreischend hinaus in den Hof.
Thorpe brachte den Burschen an den Wassertrog und kippte ihm mit der Kelle mehrmals Wasser über den Kopf.
Bill kam rasch zu sich. Er kniete auf allen vieren am Boden und schüttelte sich wie ein regennasser Hund.
Als er den Blick nach rechts nahm, sah er die Stiefel des Fremden neben sich. Sofort kam ihm der Vorfall zum Bewußtsein.
Und schon war auch Thorpes Stimme da: »Steh auf, Kleiner, und hol die Weiber zurück. Ich habe keine Lust, auf mein Essen zu warten.«
Der Bursche zerrte sich am Tisch hoch und schleppte sich zu der offenen Hoftür.
Inzwischen hatten sich drei Männer vorn in der Halle eingefunden. Der Zimmermann Jesse Ho Coogan, der Schlosser Jow Ramsey und der Schmiedhelfer Anthony Rower.
Als Thorpe in der Küchentür erschien, standen die drei Männer mit finsteren Mienen vorm Eingang.
Der Desperado beachtete sie nicht, sondern ging ruhig zu seinem Tisch am Fenster zurück.
»Hören Sie, Thorpe«, meldete sich Rower. »Wir haben mit Ihnen zu sprechen.«
Der Nogalesman hatte die Gazette aufgenommen und tat so, als habe er die Worte des Schmiedehelfers nicht gehört.
Da rief Jesse Coogan: »Thorpe, stellen Sie sich nicht taub. Wir haben mit Ihnen zu sprechen.«
Da senkte der Bandit die Zeitung ein wenig und blickte über ihren Rand mit schmalen Augen auf die drei bärbeißigen Typen. »Was wollt ihr?« schnarrte er.
Coogan und Rower wechselten einen raschen Blick miteinander.
Da polterte Joe Ramsey los: »Wir sind gekommen, Mister, Ihnen zu sagen, daß Sie verschwinden sollen.«
Jim Thorpe legte die Zeitung langsam auf den Tisch. Und dann griff er in die Tasche, holte sein Rauchzeug hervor und drehte sich eine Zigarette.
Das war den dreien zuviel: sie stampften auf den Fremden los.
Rower hieb mit der Faust auf den Tisch. »Wir haben Ihnen gesagt, daß Sie verschwinden sollen, Mister. Wir können hier keine Rowdies gebrauchen.«
Thorpe drehte seine Zigarette in aller Seelenruhe weiter, bis Coogan heiser durch die Zähne preßte: »Was Sie da mit Laghran aufgestellt haben, Mann, ist eine Schweinerei. Sie haben ihm das Ellbogengelenk zerschossen. Die Frauen hier aus der Hotelküche sind schreiend auf die Straße gelaufen, weil Sie den Hausburschen zusammengeschlagen haben. Das sind Dinge, die wir hier in Tombstone nicht dulden. Ganz davon abgesehen, müssen wir Sie warnen. Es gibt hier eine ganze Reihe von Leuten, die nichts zu tun haben, als auf Burschen wie Sie zu warten. Wir haben aber weder Lust noch sonst irgendein Interesse daran, daß es hier wieder Schießereien gibt.«
Thorpe schob die fertiggedrehte Zigarette zwischen die Zähne und riß unter der Tischplatte ein Zündholz an.
»Bill!«
Mit verquollenem Gesicht und blutunterlaufenen Augen erschien der Hausbursche in der Küchentür.
Ohne den Blick von den dreien zu nehmen, befahl Jim Thorpe: »Bring mir ein Bier, Bill. Aber schnell!«
Das Bier kam, und Jim Thorpe trank das Glas mit einem Zug zur Hälfte leer. Dann wischte er sich mit dem Unterarm über den Mund und schob die reichlich krumm geratene Zigarette zwischen die Zähne.
In den Gesichtern der drei anderen gärte es. Coogan riß sich den Hut vom Kopf und schleuderte ihn auf die Erde.
»Verdammt noch mal! Was bilden Sie sich eigentlich ein, Mann? Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden…«
Thorpe fegte mit dem linken Handrücken das Glas vom Tisch, daß es drüben an der Wand zerschellte. Er war aufgestanden. In seinen Augen glomm ein böses Feuer.
»Verschwindet«, sagte er gefährlich leise.
»Du verschwindest«, brüllte der Schmied und stürzte ihm entgegen.
Blitzschnell hieb ihm Thorpe die Rechte entgegen, und in der Linken hatte er den Colt…
Ramsey und Rower hatten nicht darauf geachtet, daß er die Waffe gezogen hatte. Und so lief denn Rower hart auf die Waffenmündung auf und zuckte zusammen. Ramsey packte den Fremden an der Schulter und wollte ihn herumreißen, da traf ihn die Stiefelspitze des Nogalesman in die Magengrube.
In rasender Wut riß Jesse Coogan den Revolver aus dem Halfter. Ramsey tat das gleiche.
Da bellte der Colt des Outlaws zweimal auf.
Ramsey und Coogan stießen unterdrückte Schreie aus.
Seelenruhig lud der Bandit die verschossene Patrone nach, packte dann Ramsey und Rower, schleppte sie zur Tür und stieß sie auf den Vorbau hinaus.
Einen Augenblick später sahen die Neugierigen auf der Straße, wie der vierschrötige Jesse Coogan durch die Tür hinausgeschleudert wurde.
Jim Thorpe ging auf seinen Platz zurück und rief: »Bill!«
Der Bursche erschien in der Küchentür.
»Ein neues Bier!«
*
Der Mann, der da im Grand-Hotel wie der Boß einer dreiköpfigen Verbrecherbande auftrat, hatte Furore in der Stadt gemacht.
Mrs. Bancroft hob beschwörend die Hände. »Man soll Mr. Earp rufen. Wo ist denn Mr. Earp?«
»Halt den Schnabel, Oma!« rief ein langer Bursche, der auf einem Querholm saß und mit seinen endlosen Beinen in der Luft herumschaukelte. »Virgil ist in Santa Fé.«
Mrs. Bancroft hob ihren Sonnenschirm und drohte dem langen Schlaks: »Was fällt Ihnen ein, so mit mir zu reden? Mr. Flipper, ich bin nicht einer Ihrer Cowboys.«
Jack Flipper winkte ab: »Well, Madam, Virgil ist nicht da. Aber vielleicht machen Sie sich mal auf den Weg zum Sheriff.«
Der kleine Hale Evergan, der eben keuchend herankam, berichtete: »Der Sheriff ist nicht im Office. Die Turner, die alte Fettel, die seinen Laden ausfegt, sagt, daß er zu Nelli Cashman gegangen sei. Aber bei Nellie Cashman ist er nicht. Ich komme gerade von dort.«
Der lange Flipper lachte wiehernd: »Das hätte ich dir vorher sagen können, Hal. Du kannst überall suchen. Ich wette einen Eagle, daß er nirgendwo zu finden ist.«
»Was soll das heißen?« mischte sich der einäugige Jonny Pultoin in das Gespräch. »Was geht den Kuhtreiber die Sache an? Er soll sich um seine Viecher kümmern. Wir haben es nicht gern, wenn hier jemand über den Sheriff meutert. Jonny Behan ist in Ordnung. Stimmt’s, Männer?«
Die Antwort darauf war sehr bescheiden und keineswegs überzeugend.
Und plötzlich flogen oben die Schwingarme der Pendeltür im Hoteleingang wieder auseinander. Diesmal war es Bill Hartman, der über den Vorbau stolpernd auf die Straße stürzte.
Sofort richtete sich der Bursche auf, wischte sich den Sand aus seinem zerschundenen Gesicht und riß ein Messer aus dem Stiefelschaft.
Da sprang ihm der lange Flipper entgegen und hielt ihn auf.
»Bist du verrückt, Bill? Der Mann macht Fadennudeln aus dir. Wenn er drei Revolver nicht fürchtet, dann macht er sich aus einem einzigen Messer sicher nichts.«
Der spindeldürre Larry Anderson, der aussah wie ein Magenkranker, krähte: »Das müssen wir anders anstellen, Männer, ganz anders.«
Er hob mit einer wichtigtuerischen Geste die Hand und fuhr fort, während er auf die Treppe sprang: »Es hat keinen Sinn, wenn wir brave Burschen hineinschicken. Das müssen andere Leute regeln. Drüben bei Bob Hatch sitzt Mike Everett…«
Monatelang hatte der Landstreicher Michael Nathan Everett aus New Orleans versucht, irgend etwas in dieser Stadt zu werden; aber die Tombstoner mochten keine Tramps. Und Virgil Earp mochte keine Burschen,die ihr ganzes Geld vertranken und dann in der Stadt herumkrakeelten.
Deshalb hielt sich Everett meistens unten im Chinaviertel auf, am südlichen Stadtrand, oder wenn Virgil Earp in der Stadt war, in den Quartieren der Minenarbeiter. Jetzt, wo die Luft rein war, konnte er auch oben in die Stadt kommen. Aber niemals hatte er den Tombstonern auch nur das geringste bedeutet. Er war eben ein Tramp.
Aber hatte er nicht immer geprahlt, daß er ein großer Revolverschütze sei? Es gab sicher keinen unter den Männern hier, dem er noch nicht seine Story von dem märchenhaften Three-Point-Schuß am Delaware River erzählt hatte.
Es vergingen nicht zwei Minuten, bis vier Männer mit dem Tramp aus Hatchs Saloon kamen.
Der Tramp machte runde Augen, als er hörte, um was es ging. »Ein Rowdy?« fragte er mit dummem Blick. »Auseinander, Leute, das ist was für meiner Mutter Sohn.«
»Es ist Jim Thorpe. Hast du schon von ihm gehört?« fragte der kleine Evergan.
»Thorpe oder nicht Thorpe«, trompetete der Tramp, der offensichtlich angetrunken war, und stürmte auf den Hoteleingang zu.
Es vergingen keine drei Sekunden, als drinnen zwei Schüsse fielen.
Die Menschen draußen hielten den Atem an.
Dann waren Schritte zu hören, und eine blutige Hand umkrallte den rechten Schwingarm der Pendeltür.
Quälend langsam schob sich der Landstreicher heraus, preßte seine blutende Hand gegen die Brust und blickte die Leute ernüchtert an.
Mit gesenktem Kopf trottete er davon, dem Chinesenviertel entgegen.
Betreten blickten die Männer einander an.
»Na, ihr Helden«, riß die Stimme Kate Fishers sie aus ihrem dumpfen Brüten. »Habt ihr wieder einmal eine Nuß zu knacken? Was für ein Bösewicht ist denn da drüben drin?«
Der dicke Jonny Parker war der einzige, der glaubte, ihr antworten zu müssen.
»Es ist ein Rowdy, Miß Fisher. Er hat ein paar Leute angeschossen und schon ein halbes Dutzend verprügelt. Der Kerl tobt da drinnen wie ein Irrer.«
Da hatte die hübsche Kate Fisher eine Idee. Sie wies mit ihrem Daumen über die Schulter und meinte: »Mike Everett ist dritte Garnitur, Gents. Da wüßte ich euch einen noch besseren Mann. Drüben im Crystel Palace steht Frank Stilwell.«
Der Name des berüchtigten Banditen, der zur Clanton Gang gehörte, hatte den Tombstonern ganz sicher niemals angenehmer in den Ohren geklungen als jetzt.
Kate Fisher hatte die Hände in die Hüften gestemmt und lachte spöttisch, wobei sie ihre schimmernden Zähne zeigte.
»Die Sache kostet natürlich eine Kleinigkeit, Gents. Männer wie Frank Stilwell bewegen sich nur für Geld. Für gute Worte konntet ihr allenfalls euren Marshal bewegen – und der ist ja ziemlich weit weg.«
»Man muß den Sheriff suchen!« rief Mr. Bancroft dazwischen.
Der lange Flipper lachte wiehernd. Und auf dem Gesicht Kate Fishers war ein verächtliches Lächeln zu sehen.
Dann rief sie: »Bringt ihr fünfzig Bucks zusammen?«
»Ja!«
»Sicher!«
»Auf jeden Fall!«
Alle riefen durcheinander.
»Wer soll Franky denn holen?« wollte einer wissen.
Franky! Ganz plötzlich war der berüchtigte Messerwerfer und heimtückische Revolverschütze Frank Stilwell für die Tombstoner Franky!
Kate Fischer winkte ab. »Ich werde ihn holen.«
Es ging nicht ganz so schnell wie bei Mike Everett, aber nach fünf Minuten kam die Frau mit dem krummbeinigen Mann auf die Straße.
Welch ein Geschütz dachten die Tombstoner da gegen den Mann im Grand Hotel aufzufahren! Frank Stilwell. Ein großer hagerer Mann mit spitz hervorstehender Nase, ovalem Gesicht, gelben Augen und brutal vorgeschobenem Kinn.
Wie ein Affenmensch kam der Desperado heran. Und als er nach kurzem Wortwechsel mit den Männern auf das Hotel zuging, hätte niemand mehr auch nur einen roten Cent für das Leben des wilden Burschen gegeben, der sich da drinnen im Hotel breitgemacht hatte.
Stilwell war kein mutiger Mann. Kurz vor der Tür blieb er stehen und sprang dann auf die linke Seite, neben den Eingang.
»Thorpe!« krächzte er. »Komm raus!«
Und dann duckte er sich, nahm seinen Hut vom Kopf und schleuderte ihn rechts hinüber in die Halle, auf den Rezeptionstisch zu.
Jim Thorpe schoß sofort.
Und Frank Stilwell warf sich nach seinem Trick sofort unter die Schwingarme der Pendeltür und feuerte.
Die Kugel des Nogalesmannes riß Stilwell eine blutige Furche über das rechte Jochbein. Wie von einer Natter gebissen, zuckte der Getroffene zurück und brachte sich in Deckung.
Auf der Straße herrschte beklommenes Schweigen.
Aber old Tombstone hatte schließlich noch mehr aufzufahren. Es gab noch andere Leute, die schießen konnten, noch ganz andere.
Jim Thorpe, der da mit einem Riesenschritt, eigentlich ungewollt, eine Bresche in die erste Garnitur der Tombstoner Gangsterelite gerissen hatte, bekam es jetzt noch dicker.
Von Westen her trabten zwei Reiter in die Stadt. Mochte der Teufel wissen, wer gerade die beiden in dieser unseligen Stunde hierhergeschickt hatte.
Es waren Phin und Billy Clanton, die beiden jüngeren Brüder des Bandenchefs Ike Clanton.
Als Phin die Schüsse hörte, hielt er sein Pferd an und lauschte.
Sein siebzehnjähriger Bruder hingegen trieb seinen Weißfuchs mit den Sporen an und preschte die Allenstreet hinunter.
Er kam gerade in dem Augenblick, als Frank Stilwell sich mit blutendem Gesicht eng an die Hauswand neben dem Hoteleingang preßte.
Als alter Tombstoner begriff Billy die Situation sofort, war mit einem Satz aus dem Sattel und rannte auf Stilwell zu.
»Wer ist da drin? Der Marshal?«
Stilwell schüttelte mit verzerrtem Gesicht den Kopf. »Nein, ein Fremder. Er heißt Thorpe. Ich sage dir, der Kerl schießt wie Doc Holliday.«
Und der Mann drinnen, der diese Worte gehört hatte, schloß für einen Moment die Augen.
… schießt wie Doc Holliday! Wie Trompetenstöße hallten die vier Worte in seinem Schädel nach.
Welch eine Stunde! Welch ein Tag. Mit einem Handstreich hatte der kleine unbedeutende Outlaw Jimmy Thorpe aus Nogales das heiße, wilde, gefährliche Tombstone besiegt!
Da gellte die helle Stimme eines Burschen durch die offene Tür. »Komm raus, Thorpe. Ich habe mit dir zu sprechen!«
»Wer hat mit mir zu sprechen? Hast du keinen Namen, Mensch. Antworte!«
Und ob er einen Namen hatte!
»Ich heiße Clanton!«
Jim Thorpe zuckte zusammen. SeineRechte fuhr an die Kehle. Clanton? Der Name elektrisierte ihn.
»Bill Clanton, wenn du es genau wissen willst. Und wenn du nicht rauskommst, Thorpe, dann komme ich rein.«
»Yeah, komm nur«, entgegnete der Outlaw heiser.
Inzwischen war Phin bei den Männern angekommen. Da er im Sattel saß, konnte er über die Menge hinweg die Szene beobachten. Er sah gerade, wie sein Bruder Bill sich dem Eingang zuwandte.
»Bill!«
Der jüngste Clanton warf den Kopf herum. Er sah den Revolver in der Hand seines Bruders Phin. Die Mündung
der Waffe war nun genau auf ihn gerichtet.
»Bill, du kommst sofort her. Du weißt, daß Ike uns am Westpoint erwartet.«
Der kleine Clanton, der um alles in der Welt ein großer Clanton gewesen wäre, ballte die Fäuste und stieß mit dem Fuß auf.
»Weshalb muß ich mitkommen, Phin?« schrie er. »Laß mich in Ruhe und reite allein. Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue.«
»Ich sage dir…«
»Du hast mir nichts zu sagen«, schnitt Billy dem Bruder die Rede ab.
»Well, dann wird Ike mit dir reden.«
Ike! Dieses Wort schien eine Zauberwirkung auf den jüngsten Clanton zu haben.
Die beiden Clantons ritten weiter.
Phin, der kein besonders mutiger Mann war, hatte aus lauter Angst vor Ike den temperamentvollen Billy zurückhalten können.
Die Zeit verrann. Und mit ihr auch der Zorn der meisten der Draußenstehenden. Vielleicht wäre nichts weiter geschehen, wenn nicht ausgerechnet Tom, der jüngere der beiden McLowerys dazugekommen wäre.
Das berüchtigte Bruderpaar gehörte zu den Paladinen Ike Clantons. Und während Frank, der ältere, besonnen, kaltschnäuzig und sehr berechnend war, ähnelte das Temperament seines Bruders Tom mehr dem des jüngsten Clanton-Bruders.
Tom war ein Großmaul, hörte sich gern reden, schob sich überall in den Vordergrund, brach nicht selten einen Streit vom Zaun, nur, um von sich reden zu machen, war ein gefährlicher Schießer und rüder Schläger und hatte eigentlich nur vor zwei Menschen auf dieser Welt Respekt: Vor Ike Clanton und seinem Bruder Frank.
Tom schob sich durch die Männer und ließ sich die Situation schildern. Eigentlich war er ein ähnlicher Typ wie Jim Thorpe, hatte diesem aber die größere Erfahrung, die besseren Beziehungen, eindrucksvollere Freunde und eine gewisse Aalglätte voraus.
Aufgeputzt wie immer stand er da mit gespreizten Beinen, hatte die Daumen in den Waffengurt gehakt und wippte auf den Zehenspitzen. Von seinem breitrandigen schwarzen Stetson hing ein Sombre-rorand herunter.
»Willst du etwa zu ihm hinein?« fragte Joel O’Keefe, der Sattler.
»Sehe ich so aus?« entgegnete Tom. »Bin ich vielleicht Frank Stilwell? Mit solchen Leuten fährt man anders Schlitten.«
Er wandte sich ab und ging mit weiten Schritten auf den Vorbau zu, sprang hinauf und duckte sich unter dem Fenster nieder.
Dann hatte er plötzlich einen Smith & Wesson Revolver in der Rechten, zertrümmerte mit dem Lauf eine Fensterscheibe und jagte kurz hintereinander drei Schüsse in die Halle. Dann ließ er eine bellende Lache hören.
»He, Thorps! Nichts für ungut. Das war ein Gruß von Tom McLowerey. Laß dich nicht stören, Boy. Halt die Bagage hier nur in Trab. Hahaha!«
Er schob seinen Revolver zurück, trat an die Vorbaukante und stützte sich breit aufs Geländer. Hämisch feixte er die Menge an.
»Ist mal was anderes, Gents. Schade, daß der Marshal nicht da ist. Der Junge da drinnen sorgt wenigstens mal für eine Abwechslung in dieser Stadt. Hahaha…«
Er schob sich, wie der ›große‹ Ike Clanton, eine lange schwarze Virginia zwischen die Zähne und trollte sich davon, dem Crystal Palace entgegen.
Jim Thorpe hatte wieder einmal gesiegt. Er saß in seiner Festung – und die Tombstoner hatten Angst vor ihm. Er hatte Frank Stilwell blutig abgewiesen, hatte mit einem Clanton gesprochen und nun noch mit Tom McLowery.
Die Menschen standen ratlos auf der Straße.
»Was soll das alles?« meinte der greise James Duncan. »Haben wir es nötig, uns von Leuten wie Tom McLowery einen
Rowdy vom Halse schaffen zu lassen? Das schaffen wir selbst, Männer. Wir gehen hinein und holen ihn raus. Und dann treiben wir ihn mit Prügeln aus der Stadt. Reicht es nicht, wenn die Bank überfallen wird? Müssen wir uns auch noch mit einem Tramp abgeben? Auf, Männer. Ich gehe hinein! Wer kommt mit?«
Sechs aufrechte Tombstoner rafften ihren Mut zusammen und kamen mit.
»Thorpe, wir kommen dich holen«, rief Duncan schon von draußen.
Ein Stuhlbein traf den Alten am Schädel. Mat Rithie bekam die gleiche Waffe auf das rechte Ohr. Die anderen Männer prallten zurück vor den Revolverschüssen, die dicht neben ihren Köpfen in das Holz des Türrahmens schlugen.
Eine Kugel des Outlaws traf eine eiserne Krampe und heulte jaulend als Querschläger über die Straße. Die Männer zogen die Köpfe ein.
Es war etwas nach ein Uhr.
Der Mann, der da von Nordosten in die Stadt einritt, war hochgewachsen und breitschultrig. Er hatte ein ernstes, gutgeschnittenes Gesicht, dessen Haut vor Sonne, Wind und Wetter tief gebräunt war. Zwei dunkelblaue, klare Augen beherrschten dieses männliche Gesicht. Tief saß der schwarze flachkronige Hut in der Stirn des Reiters. Er trug ein hellgraues Kattunhemd und eine schwarze Weste.
An beiden Seiten seines büffelledernen Waffengurts blickten die schwarzen Kolben zweier großer 45er Revolver hervor. Wer genauer hinsah, mußte bemerken, daß der Colt im linken Halfter einen überlangen Lauf hatte. Es war ein Buntline Special. Eine Waffe, die nur ganz wenige Männer im weiten Westen trugen. Der Mann war der Doger Marshal Wyatt Earp.
Seit Ike Clanton ihm unten hinter der mexikanischen Grenze seinen herrlichen Falben erschossen hatte, ritt er einen schwarzen Hengst, dem der Kenner sofort den ausdauernden Steiger und hervorragenden Renner ansah.
Wyatt ritt durch die Freemonstreet in die vierte Straße. Neben Quong Kee’s Bar hielt er an, rutschte aus dem Sattel und machte seinen Rappen an der Halfterstange fest.
Er klopfte sich mit dem Hut den Staub aus den Kleidern, stieg auf den Vorbau, ging um die Ecke der Bar und trat gleich in die Tür des nächsten Hauses, in der Jonny Holden seinen ›Gesichtsverschönerungs-Saloon‹ hatte.
»Hallo, Jonny«, grüßte der Marshal freundlich, während er seinen Hut auf einen Wandhaken warf und sich in einem der Liegesessel niederließ. »Einmal Bart ab.«
Der schmächtige Barbier hatte gerade sein Messer an dem Lederriemen gewetzt. Er schnitt jetzt mit der scharfen Klinge den Lederriemen durch, ohne das jedoch beabsichtigt zu haben.
»By Gosh, Wyatt Earp!«
»Yeah, Jonny. Und nun fang an und sieh zu, daß du dir ein Abendbrot verdienst.«
Da rannte der Haarkünstler auf ihn zu und schüttelte seine Hand.
»Marshal, Mr. Earp! Heiliger Himmel, Sie kommen wie gerufen. Haben Sie die Leute auf der Straße gesehen?«
Wyatt schüttelte den Kopf. Dabei war es ausgeschlossen, daß er die Menschenansammlung vor dem Hotel nicht bemerkt haben sollte.
»Aber ich bitte Sie, Marshal, da drüben ist der Teufel los…«
»Aha«, meinte der Marshal gleichgültig, während er den Kopf zurücklegte. »Und nimm diesmal eine gute Seife, Jonny. Schmier mir nicht wieder diesen Schafstall ins Gesicht.«
»Aber Mr. Earp, wie können Sie hier sitzen und sich rasieren lassen wollen, während in der Stadt der Teufel los ist?« Händeringend ging der Barbier auf und ab. »Heute morgen ist die Bank überfallen worden. Und jetzt das Theater mit diesem Kerl da drüben. Erst hat er Mike Everett mit blauen Augen heimgeschickt, und dann hat er es noch gewagt, Frank Stilwell eine Schneise in den Bart zu schießen.«
»Na und?« meinte der Marshal ruhig, während er sich behaglich ausstreckte. »Er hätte ihm beide Arme abschießen sollen. Dann würden ein paar Leute zwanzig oder dreißig Jahre länger leben.«
Der Barbier blieb vor ihm stehen und fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum.
»Aber er ist ein gemeiner Mensch, Marshal. Er schlägt zu wie ein Pferd und schießt um sich wie Billy the Kid.«
»Werde ich jetzt rasiert oder nicht?«
Kopfschüttelnd und fortwährend murmelnd seifte der Barbier den Marshal ein.
Niemand in dem Wespennest Tombstone hatte die Ankunft des Missouriers bemerkt. Zu sehr beschäftigte der wilde Jim Thorpe die Gemüter der Bürger.
Paul Brown, ein kränklich aussehender Zimmermann, stieß seine weiße Faust hoch. »Männer, die Sache muß anders angefangen werden. Wir stürmen den Laden. Und zwar mit Blei. Mit heißem Blei.«
»Yeah.«
»Poul hat recht!«
»Räuchert ihn aus!«
Das war ein Signal, das man den Tombstonern nicht zweimal zu geben brauchte. Gleich darauf knatterten ihre Revolver los. Wie Stockschläge klatschten ihre Kugeln auf die Holzwand des Hotels.
»Aufhören!« schrie der greise Leslie Hyden, der das Hotel damals aufgebaut hatte. »Ihr zertrümmert mir ja die ganze Fassade. Aufhören!«
»Der Kerl soll rauskommen!« brüllte einer.
»Wir lassen uns doch nicht von diesem Strolch an der Nase herumführen.«
Wieder bellten Schüsse auf.
Tack, tack, tack – schlugen die Kugeln drüben in die Wand. Scheiben wurden zertrümmert.
Und dann schoß Jimmy Thorpe zurück.
Poul Brown, der sich offensichtlich in Eile irgendwo Mut angetrunken hatte, sprang mit dem Revolver auf den Vorbau. Als ihn eine Kugel traf, wirbelte er um die eigene Achse und fiel vom Vorbau.
Ein Wutschrei ging durch die Menge.
Jim Thorpe, der unterm Fenster kniete, jagte einen Schuß quer über die Straße. Es sollte ein Warnschuß sein.
»Hören Sie sich das an, Marshal«, zeterte der Figaro. »Merken Sie herzloser Mensch denn gar nicht, daß ich wenigstens zusehen möchte – wenn Sie schon nicht eingreifen?«
»Aha, daher pfeift der Wind.«
Da zerriß eine Kugel die Fensterscheibe.
Der Barbier stand wie versteinert da. Das Messer war ihm aus der Hand geglitten.
»Weiter rasieren«, meinte der Marshal gelassen.
Holden starrte ihn an wie ein Gespenst. »In Dreiteufelsnamen, was haben Sie bloß für Nerven?«
»Nun hast du mich eingeseift, und jetzt wirst du mir auch die Stoppeln herunterkratzen.«
Draußen krachten wieder Schüsse, und dann zersprang plötzlich dicht neben Wyatts Kopf die Kerosinlampe.
Der Marshal schob den Barbier zurück, wischte sich mit dem weißen Laken den Schaum aus dem Gesicht und trat an die Tür.
»Verdammt noch mal, was ist hier los? Kann man sich in diesem Räubernest denn nicht einmal in Ruhe rasieren lassen?«
Er wollte sich umwenden, als plötzlich Frank McLowery vor ihm stand.
Der Desperado war durch die Schießerei auf die Straße gelockt worden und hatte amüsiert aus sicherer Entfernung zugesehen. Als er so plötzlich die Stimme des Marshals hörte, war er herumgefahren.
»He, wer ist denn da?« rief er laut, um seinen Schrecken zu überspielen. »Na, das ist doch direkt etwas für Sie!«
Wyatt blickte den Banditen von oben bis unten an, wandte sich dann zurück in den Barbershop, als Jim Thorpe den Fehler machte, noch einmal zu schießen. Die Kugel klatschte dicht neben Wyatt in den Türpfosten.
Da warf der Missourier dem albern grinsenden McLowery das Barbierhandtuch ins Gesicht und überquerte mit großen, harten, sporenklirrenden Schritten die Straße.
Die Bürger, die sein plötzliches Erscheinen noch gar nicht recht begriffen hatten und ihm wie einem Geist entgegenstarrten, bildeten sofort eine Gasse für ihn.
Wyatt Earp ging geradewegs auf die Tür des Hoteleinganges zu. Er stieß mit der Rechten die Pendeltür auseinander und trat in die Halle.
Drüben im Fensterwinkel stand Jim Thorpe. Groß, bleich und gefährlich. Er hatte in jeder Hand einen Revolver.
Der Missourier ließ seinen Blick forschend über dessen Gestalt gleiten.
»Nimm die Kanonen runter, Junge«, sagte er ruhig.
Thorpe hatte plötzlich eine steile Falte zwischen den Brauen.
»Ich werde niemandem erlauben, so mit mir zu reden.«
»Und ich werde dich nicht um Erlaubnis fragen, Junge.«
Damit ging der Marshal auf den Banditen zu.
Auf der Straße herrschte Kirchhofstille. Die Menschen hielten den Atem an und lauschten. Die Sekunden rannen dahin.
Plötzlich brüllte drinnen im Haus ein Schuß auf.
Die Männer draußen zuckten zusammen, als seien sie selbst getroffen worden.
»Um Himmels willen!« stammelte Mrs. Bancroft. »Dieses Scheusal wird doch den Marshal nicht…«
Ein dröhendes Poltern drang auf die Straße. Dann war es still.
Und gleich darauf vernahmen die Leute ein schleifendes Geräusch.
Die Pendeltür wurde auseinandergestoßen.
Wyatt Earp erschien. Er hatte den Fremden am Kragen und schleppte ihn auf den Vorbau hinaus. Keinen einzigen Blick warf er auf die stumm gaffende Menge. Mit stampfendem Schritt bog er nach Osten ab und stieß die Tür des übernächsten Hauses mit dem Stiefel auf.
Es war das Office des Jonny Cyril Behan, des Sheriffs von Tombstone.
Die Menge, die wie erstarrt den Vorgang beobachtet hatte, geriet in Bewegung. Die Männer stürmten auf den Vorbau und belagerten den Eingang des Offices.
»Behan ist nicht da!« rief der dicke Fedderson.
»Den haben wir auch schon gesucht!«
»Das ist zwecklos!«
So kamen die Zurufe von der Tür her.
Wyatt, der den leblos scheinenden Körper des Nogalesmannes immer noch am Kragen hielt, ließ seine rechte Faust auf die Tür zum Nebenraum prallen.
»Behan!«
»Glauben Sie uns, Marshal, Mr. Behan ist wirklich nicht da!« krächzte der alte Wagenfield.
Da ließ Wyatt Thorpe los, ging ein paar Schritte zurück und warf sich mit der Schulter gegen die Tür.
Krachend und berstend zersplitterte das Holz. Die Tür flog auf.
Alle, die in der Tür standen, sahen das, was der Missourier sah.
Der Sheriff lag seelenruhig auf seiner Pritsche, mit abgewandtem Gesicht, und schien fest zu schlafen.
Wyatt Earp stieß ihn derb an die Schulter. »Behan!«
Langsam wandte sich der Sheriff um. Er hatte nicht geschlafen. Das sah man sofort. Es wäre ihm auch unmöglich gewesen, bei diesem Lärm zu schlafen.
»Yeah, was ist denn los?« fragte er gähnend. »Kann man denn nicht mal seinen Mittagsschlaf…«
»Hier, Jonny Behan«, unterbrach ihn der Marshal rauh. »Hier bringe ich Ihnen einen Mann, dem offenbar zu wohl in seiner Haut war.«
»He, das ist doch der – der Stranger. Den kenne ich! Haben Sie ihn etwa ermordet?«
Statt einer Antwort wandte sich Wyatt ab, nahm den Zellenschlüssel von der Wand und beförderte den Outlaw in eine der Gitterzellen.
Da kam Jim Thorpe wieder zu sich. Er schüttelte den Kopf, um die Benommenheit loszuwerden, und starrte den Missourier aus weiten Augen an.
»He!« Er sprang hoch und rannte gegen das Gitter. »He, du hast mich – du hast mich niedergeschlagen! Du verdammter Skunk! Ich werde dir ein Loch…«
»Halt’s Maul, Bandit!« fuhr ihn der Marshal schroff an. Und zu dem Sheriff gewandt: »Sie können jetzt weiterschlafen, Behan.«
Damit verließ er das Office.
Die Leute an der Tür bahnten ihm einen Weg.
Der Marshal überquerte die Straße und hielt auf den Barbier Shop zu.
Der Barbier zuckelte kurzatmig hinter ihm her.
»Weiterrasieren«, sagte der Missourier, als er wieder in dem Rasierstuhl saß.
Die große Strähne Jimmy Thorpes schien abgelaufen zu sein. Er war gegen ein Bollwerk gerannt, gegen das er auch in seiner stärksten Stunde keine Chance gehabt hätte.
Immer noch benommen kauerte der Outlaw auf seiner Pritsche und starrte vor sich hin.
Drüben in der zertrümmerten Tür des Schlafraumes stand eine Jammergestalt: Jonny Behan, der Sheriff von Tombstone.
Weshalb sah er eigentlich so armselig aus? Er hatte doch ein recht gut geschnittenes Gesicht, eine gerade Figur und eine klare Stimme. Weshalb sprach er immer so leise und stockend? Weshalb vermittelte er einen so unsicheren Eindruck?
Als Jonny Behan in die Stadt gekommen war, hieß es, daß er ein sehr kluger Bursche sei, und Eingeweihte, die ihn von Tuscacore her kannten, wollten wissen, daß er ein guter Schütze sei.
Von alledem hatte sich jedoch nichts bewahrheitet. Er war eine farblose Gestalt, dieser Jonny Behan. Was beabsichtigte er eigentlich? Ging es ihm nur darum, den Stern in Tombstone zu behalten? Jenen Stern, dem er doch absolut keine Achtung zu verschaffen wußte? Weshalb klammerte der undurchsichtige Mann sich an einen Posten, für den er nicht im geringsten das Zeug mitbrachte?
Auch jetzt stand er da in der Tür, als ob er gar nicht in diesen Raum gehöre. Sein Gesicht war ausdruckslos wie immer; hilflos hatte er die Arme neben seinen Oberschenkeln hängen.
Jim Thorpe hatte den Mund offenstehen. He, war nicht das da drüben der Sheriff? Was tat der denn hier?
Richtig, er steckte ja im Jail, wohin ihn dieser eisenharte Mann gerade gebracht hatte.
Und was war mit Sheriff Behan? Weshalb stand er so niedergeschlagen da?
Thorpe erhob sich ächzend und rieb sich mit dem Handrücken das schmerzende Kinn, wohin der Faustschlag des Missouriers getroffen hatte, nach dem ihm sofort die Besinnung geschwunden war.
»He, Sheriff. Was ist eigentlich los?«
Der Mann drüben in der Tür blickte nicht auf. Immer noch abwesend starrte er auf die Holzsplitter am Boden.
»Sheriff! Wie komme ich hier in das Jail? Wollen Sie mir das vielleicht erklären?«
Da hob Jonny Behan langsam den Kopf an. Aber er sah nicht zu dem großen Zellentrakt hinüber; seine Augen blieben an den Satteltaschen hängen, die der Marshal zusammen mit dem Betäubten gebracht hatte. Sie lagen mitten in den Türtrümmern auf den Dielen.
Zwei prallgefüllte braune Ledertaschen. Behan ging darauf zu und bückte sich.
Ein jäher Schreck zuckte durch die Brust des Gefangenen. »Sheriff!«
Jonny Behan sah auf. Seine Augen tasteten das Gesicht des Fremden ab.
»Was wollen Sie?« fragte er mit seiner trägen, matten Stimme.
»Ich verlange mein Recht«, rief Thorpe. »Wie kommt der Kerl dazu, mich niederzuschlagen und mich hier einzusperren? Ich verlange, freigelassen zu werden. Ferner verlange ich mein Eigentum zurück.«
Behan hatte die Satteltaschen schon an dem Verbindungsgurt hochgenommen.
Thorpe brüllte: »Wissen Sie überhaupt, wer ich bin, Sheriff? Wenn Sie es wüßten, würden Sie es nicht wagen, mein Eigentum anzutasten. Aber das sage ich Ihnen: Meine Freunde werden mit Ihnen abrechnen, Sheriff. Ich wette, daß sie schon morgen hier sind. Es sind lauter harte Jungens, die nur eine unschöne Eigenschaft haben, sie verstehen absolut keinen Spaß.«
Behan hatte diesen Worten nachgelauscht. Sie besagten genau das, wovor ihm graute. Er war kein Kämpfer.
Mit einer hölzernen Bewegung hing er die Satteltaschen an einem Nagel auf. Während er zu seinem Schreibtisch ging, zupfte er mit einer mechanischen Geste seine Krawatte zurecht. Dann blieb er vor seinem Stuhl stehen, stützte sich mit der Linken auf die Schreibtischplatte und blickte durch die rauchgelbe Gardine auf die Straße.
»Wissen Sie etwa nicht, wer der Mann war, der Sie gebracht hat?«
Nein. Jim Thorpe wußte es nicht. Er konnte sich überhaupt nur daran erinnern, daß der Fremde auf ihn zugekommen war und einen Revolver gezogen hatte. Was dann weiter geschehen war, hatte sich aus seiner Erinnerung verflüchtigt.
Jedenfalls mußte der Mann ihn früher getroffen haben. Aber wie war das nur möglich? Thorpe hatte doch den Colt zuerst in der Hand gehabt. Mit einer tausendfach geübten Bewegung war er bisher fünfmal so schnell gewesen wie jeder andere.
Jonny Behan sagte leise in das Halbdunkel des Raumes hinein: »Wissen Sie wirklich nicht, wer er war?«
»Nein!«
»Well, ich werde es Ihnen sagen, und gleichzeitig werde ich Sie bitten, so rasch wie möglich zu vergessen, daß Sie diesen Namen gehört haben.«
»He, machen Sie es nicht so spannend, Sheriff! Wer kann der Kerl schon sein? Ein Revolverschwinger, der hart und schnell zuschlägt.«
Behans Kopf flog herum. Es war die erste rasche Bewegung, die Jim Thorpe beobachtet hatte.
»Haben Sie sich mit ihm geschossen?«
»Yeah – das heißt, ich zog und…« Der Outlaw wischte sich über die Stirn. »Damned, der Kerl muß aber schnell gewesen sein.«
»Wie schnell?« Behan hatte ihm diese Frage zugeschossen. Und in seinen matten Augen schienen plötzlich kleine Lichter zu funkeln.
Thorpe geriet sichtlich in Verlegenheit.
»Yeah – wenn ich das recht bedenke, dann muß der Mann höllisch schnell gezogen haben. Denn als ich den Revolver zog, da hingen seine Hände noch herunter. Ja, jetzt weiß ich es genau: Ich hatte den Colt schon vorgestoßen und gerade den Hahn gespannt, da fauchte mich der Schuß von seiner linken Hüfte her an. Das Geschoß riß mir die Waffe aus der Hand.«
»Und…? Weiter?« forschte Behan. In seiner Stimme war plötzlich ein lauernder Ton.
»Nun ja, ich mußte nun mit den Fäusten kämpfen.«
»Trugen Sie nicht zwei Revolver?«
Thorpe nagte an seiner Unterlippe.
»Yeah, weshalb sollte ich es nicht zugeben. Ich bin kein echter Zweihandman, dafür bin ich aber links doppelt so gut.«
Behan zog eine verächtliche Miene.
»Was wollen Sie!« begehrte der Nogalesman auf. »Der Kerl schoß so schnell, daß ich einfach gezwungen war, mit den Fäusten zu kämpfen. Das große Ding an seiner linken Hüfte fauchte auf, ehe ich überhaupt richtig gezielt hatte.«
Thorpe schlug sich plötzlich mit der flachen Hand gegen den Schädel. »He, der Mann muß ja ein unheimlicher Revolverschütze sein. Wer ist denn so schnell? Nun sagen Sie bloß, es war Doc Holliday?«
Behan schüttelte den Kopf. »Nein, da kann ich Sie beruhigen. Es war nicht Doc Holliday, denn wenn er es gewesen wäre, dann hätten Sie jetzt höchstwahrscheinlich keine Chance mehr, über ihn nachzudenken.«
Wie er sich auszudrücken verstand, dieser Jonny Behan. Mit welcher Begierde er sich die Einzelheiten des Kampfes schildern ließ!
Es hat nur wenige Menschen gegeben, die ihn so gut kannten, daß sie eine Erklärung für diese seine Natur hatten. Er war schon als Junge so etwas wie ein Gernegroß gewesen. Er las Seeräubergeschichten und konnte darüber stundenlang in seiner Kammer hocken. Und vielleicht träumte er sich in die Rollen seiner Helden hinein.
Hier gab es das gefährliche Leben, von dem er als Junge geträumt hatte. Aber es war ein hartes, oft brutales Spiel, bar jeder Romantik; ein Spiel, in dem es für den schmächtigen Jonny Behan keine Rolle gab.
So war denn das, was anfangs eine Art wie Ehrfurcht und Schwärmerei für Männer wie diesen Wyatt Earp gewesen war, in Neid und allmählich sogar in Haß umgeschlagen.
Behans Blick hing am Gesicht des Gefangenen. »Was geschah dann?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt«, erwiderte Thorpe unwillig.
Der Sheriff klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. Es sollte herrisch wirken, erinnerte aber eher an die Geste eines ungehaltenen Lehrers, der auf das Pult klopft, um sich Respekt vor seinen Schülern zu verschaffen.
»Ich muß es genau wissen!«
Der riesige Thorpe knurrte:
»Ich weiß es selbst nicht mehr so genau. Er hat mich eben umgehauen, sonst steckte ich höchstwahrscheinlich hier nicht in dem Loch. Lassen Sie mich in Ruhe, Sie wissen ja, was geschehen ist. Lochen Sie den Kerl ein, und Schluß.«
Der Sheriff kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ging auf die Zelle zu. Er bleib genau so weit vor den Gitterstäben stehen, daß der Gefangene ihn mit einer etwa rasch vorgestreckten Hand nicht zu erreichen vermochte.
»Sie werden mir den Vorgang genau berichten!« sagte er krächzend.
»Was gibt’s denn da zu berichten?« polterte der Nogalesman. »Ich rannte auf ihn zu und hieb meinen Spezialschlag, einen linken Haken, auf seine Leber. Das heißt, ich muß nicht ganz hingekommen sein. Denn er war plötzlich wie ein Phantom von dem Platz verschwunden, wo er gerade noch gestanden hatte, und hieb selbst eine Linke nach mir.«
Thorpe rieb seine rechte Kinnseite.
»Yeah, es ist ganz klar, es muß seine Linke gewesen sein! Verdammt noch mal! Das war ein Schlag wie der Huftritt eines Pferdes. Er riß mir sofort die Beine weg.«
Jonny Behan wandte sich um und ging langsam zum Fenster. Er war wieder in seinen Träumen.
»He, Sheriff, was ist los? Wollen Sie die Sache nicht aufschreiben? Weshalb lassen Sie sie denn von mir so genau erzählen?«
Jonny Behan wandte sich um. Und sein Blick saugte sich an dem Gesicht des Verbrechers fest, als dürfe er keine Nuance des Eindrucks versäumen, den seine Antwort jetzt auf den Gefangenen machen würde.
»Wyatt Earp.«
Er hatte die beiden Worte ruhig gesagt. Seine Nasenflügel blähten sich etwas.
Mit dem Gefangenen war eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Thorpe hatte seine Hände vom Gitter genommen und war einen Schritt zurückgewichen. Sein Unterkiefer hing herunter. Die Augen waren weit aufgerissen.
»Wyatt – Earp?«
»Yeah, Wyatt Earp!« sagte Behan mit einer unangenehmen Schärfe im Ton. »Und was wollten Sie, das ich mit ihm aufstelle, Mister?«
Jim Thorpe stand immer noch auf dem gleichen Fleck, in der gleichen Haltung.
»Wyatt Earp«, brach es heiser aus seiner Kehle.
Jetzt wußte er, daß er dieses Tomb-
stone nicht besiegt hatte, daß er zuviel gewagt hatte. Welch ein Wahnsinniger war er doch gewesen, daß er geglaubt hatte, diese Stadt niederrennen zu können!
Aber war denn nicht alles gutgegangen? Bis zu dem Augenblick, wo er dazugekommen war? Der große Wyatt Earp! In dieser Minute wuchs in der finsteren Seele des Jim Thorpe aus Nogales das, was in dem zwiespältigen Herzen des Jonny Behan schon viele Jahre wucherte: der Haß. Der Haß auf Männer wie dieser Wyatt Earp.
Und mit dem wachen Instinkt des geborenen Verbrechers spürte er auch sofort etwas von dem, was im Hirn dieses Jonny Behan vor sich ging.
Dieser farblose, unbedeutende kleine Sheriff Behan haßte den starken, großen, berühmten Marshal Earp! – Und diesen Haß gedachte der Bandit für sich auszunutzen.
»Sheriff«, sagte er lauernd, »es ist nicht gerade ein Ruhmesblatt für Sie, was da passiert ist. Dieser Wyatt Earp hat Sie ganz schön dumm aussehen lassen. Er hat mich eingesperrt. Wie wär’s, wenn Sie mich wieder laufen ließen?«
Mit dieser naiven Frage hatte der Nogalesmann den Sheriff von Tombstone allerdings gewaltig unterschätzt.
»Damit ich dann anschließend noch dümmer aussehe, he?« höhnte Behan. »Lassen Sie sich nur keine Kunststücke einfallen, Mann! Ich weiß schon, was ich tue. Ich werde zunächst einmal feststellen, was Sie eigentlich auf dem Kerbholz haben. Schließlich bin ich immer noch Sheriff hier…«
»Weshalb hat mich der Marshal hierher zu Ihnen gebracht?« holte der Outlaw weiter und etwas geschickter aus. »Das große Office seines Bruders ist doch schräg gegenüber. Und ich kann mir denken, daß er einen Schlüssel dazu hat.«
»Yeah – den hat er.«
»Also, weshalb hat er mich nicht da eingelocht, sondern hier bei Ihnen?«
Behan hatte den Köder bemerkt. Er winkte ab und log: »Er hat Sie hier abgeliefert, weil das seine Pflicht war. Weil ein Fall wie Sie in mein…«
»Phi!« machte Thorpe. »Reden Sie doch keinen Schafskäse daher, Behan. Sie wissen so gut wie ich, weshalb er mich hierhergebracht hat. Er wollte Sie bloßstellen. Und das ist natürlich besonders gemein von ihm. Wo Sie doch einen Mittagsschlaf nach all den Anstrengungen so nötig hatten.«
Behan wurde puterrot vor Wut.
»Sie bleiben im Jail, Mann. Und jetzt werde ich mit dem Protokoll beginnen.«
Er setzte sich hin und nahm Tinte, Feder und Papier und fragte brüsk: »Wie heißen Sie?«
»Mein Name ist Thorpe. Jimmy Thorpe. Ich bin Cowboy und wollte hier einen neuen Job suchen.«
»Wo kommen Sie her?«
»Ziemlich weit aus dem Westen. Aus Ladyskie. Sie kennen die Ansiedlung sicher nicht. Sie liegt fast an der kalifornischen Grenze. Und weil ich da nur fünfundzwanzig Bucks den Monat zusammenscharren konnte, bin ich nach Osten geritten. Hier soll’s dreißig oder gar fünf-unddreißig Grüne für einen Weidereiter geben.«
»Für einen guten Mann gibt’s vierzig«, entgegnete Jonny Behan.
»Vierzig! Welch ein Zufall! Für einen so armseligen Burschen wie mich. Und Sie, haben Sie etwas mehr? Dafür, daß Sie die Gefangenen, die Wyatt Earp gemacht hat, bewachen dürfen, müßten Sie doch mindestens…«
Der Sheriff zog den Revolver und legte ihn neben sich auf den Tisch.
»Ich bin kein Freund von Gewaltmaßnahmen, Thorpe. Aber wenn Sie mich dazu zwingen, werde ich von der Waffe Gebrauch machen! Unnachsichtig.«
»Und das alles für vierzig Greenbacks?« höhnte der Bandit.
Jonny Behan war verlegen, niedergeschlagen und wütend zugleich.
Jim Thorpe spannte seine äußerst klobigen Fäuste wieder um die Gitterstäbe.
»Ich hätte da eine Idee, wie man den ganzen Jammer ändern könnte. Yeah, das verstehen Sie jetzt natürlich nicht. Ich kann Ihnen auch nur soviel sagen, daß ich eine Stelle weiß, an der soviel Geld liegt, daß wir beide für alle Zeiten ausgesorgt hätten.«
Behan winkte ab.
»Lassen Sie diesen Blödsinn, Thorpe. Ich bin kein Schuljunge. Wenn Sie eine Stelle wüßten, an der auch nur fünf Dollar zu finden wären, hätten Sie das Geld längst geholt.«
»Das wollte ich ja gerade, als mich der Marshal niederschlug, dieser Halunke! Ich wollte das Geld holen. Tja, da staunen Sie…«
»Wer sagt, daß ich staune? Ich bin doch kein Idiot, Thorpe. Hören Sie endlich auf mit diesem Gewäsch. Ich muß den Fall aufnehmen.«
»Es sind viele hundert Dollar!« Der Desperado suchte sein Gesicht zwischen zwei Stäbe zu pressen. »Der Mann, der mir das verriet, lag im Sterben. Er war uralt und – hatte eine rote Haut. Ich gab ihm Wasser, weil er danach schmachtete. Da verriet er mir sein…«
»Was glauben Sie wohl, Thorpe, wie oft ich solche Spinnereien schon gehört habe.«
»So…? Sie glauben mir also nicht?«
Behan wandte ihm das Gesicht zu. Ein verächtliches Lächeln stand darin.
»Schluß jetzt. Sie stammen also…« Er unterbrach sich und meinte dann: »Thorpe? Zounds, wo habe ich den Namen nur schon gehört?«
»Es gibt mindestens tausend Familien mit diesem Namen in den Staaten«, meinte der Desperado.
»Und jetzt hören Sie mir zu, Sheriff. Sie werden Ihr Leben lang ein armer Wurm bleiben und den Dreck von anderer Leute Schuhe kratzen müssen. Um ein Kerl wie Wyatt Earp zu werden – dazu taugen Sie nicht, das wissen Sie selbst…«
»Diese Unverschämtheit verbitte ich mir!« schrie der Sheriff mit kreidebleichem Gesicht.
»Sie müßten ja auch hirnverbrannt sein, wenn Sie sich um einen solchen Job, um einen solchen Posten reißen würden«, fuhr Thorpe rasch fort. »Aber ich wollte Ihnen ja die Story mit dem alten Indianer erzählen…«
»Ihre Stories interessieren mich nicht!«
»Er lag im Sterben, drüben bei Onix City. Eine ganze Ecke weg von hier.
Ich hatte den Plan in der Tasche, auf dem das Gold-placer eingezeichnet war. Genauer gesagt; es war ein kleines Lederstück…«
»Wo ist es?« fragte der Sheriff schnell.
»Ich habe es verbrannt.«
Jonny Behan lachte. »Schluß jetzt. Erzählen Sie diese Märchen, wem Sie wollen, nur nicht mir.«
»Langsam, hören Sie doch weiter. Ich wollte ohnehin nach Osten, und stellte bald fest, daß die angekreuzte Stelle nicht einmal weit von meinem Weg lag…«
»Schluß jetzt!« zeterte der Sheriff. »Es gibt keine Goldlöcher mehr! Und vielleicht hat es sie nie gegeben. Möglicherweise hat der Indsman Ihnen auch nur einen Bären aufbinden wollen!«
»Nein!« tat Thorpe triumphierend, »ich kann es Ihnen sogar beweisen.«
»Was…?«
»Daß er die Wahrheit gesagt hat. Ich bin nämlich an die bezeichnete Stelle geritten.«
»Schon?« stieß Bahan hervor. »Und dann?«
»Ich fand das Placer.«
Jetzt hatte der Sheriff den Mund offenstehen.
Thorpe lachte. Der Schweiß stand ihm vor Erregung auf der Stirn. Er spielte ein gewagtes, ein verdammt gewagtes Spiel.
»Und es war natürlich leer?« krächzte Behan.
Thorpe feixte. Er hatte die Gier in den Augen des anderen erkannt.
»Nein, Jonny Behan. Es war voll. So voll sogar, daß ich nicht einmal annähernd feststellen konnte, wie pfündig das Placer ist.«
Behan schluckte. Er war dem Galgenvogel trotz seiner sonstigen Gerissenheit tatsächlich auf den Leim gegangen.
»Ich kann es Ihnen beweisen, Behan. Nur drei Stücke von Kieselgröße habe ich herausgenommen. Stücke, die in der Größe nicht einmal die Hälfte eines Brötchens ausmachten. Ich habe fünf Dollar dafür bekommen.«
Jonny Behan legte den Federkiel aus der Hand.
»Wer hat Ihnen das Geld gegeben?«
»Ein Mann in Phoenix.«
»Ich denke, Sie kommen aus dem Westen?« fragte Behan rasch.
»Stimmt. Aber ich habe absichtlich den Weg über Phoenix gemacht, weil ich gehört habe, daß dort die reichsten Goldaufkäufer wohnen.«
»Und…? Das Geld haben Sie natürlich inzwischen vertan?«
Der Outlaw grinste. »Sehe ich so aus?«
»Sie wollen sagen, Sie hätten das Geld noch?« Jonny Behans Blick flog wie unbeabsichtigt über die Satteltaschen, die drüben an der Wand hingen.
»Richtig, Jonny Behan, genau das will ich sagen, und die Bucks befinden sich genau an der Stelle, die Sie eben so scharf gemustert haben.«
Alle Trägheit schien plötzlich von Behan abgefallen zu sein. Er schnellte hoch, wie von der Tarantel gebissen, und riß eine der Taschen auf.
»All devils!« entfuhr es ihm.
Thorpe hatte das Gesicht des Sheriffs mit größter Anspannung beobachtet.
»Na, was sagen Sie jetzt? Und davon gibt’s noch mehr. Ich meine, von dem Gold. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir werden teilen. Vorwärts, lassen Sie mich hier aus dem Käfig und…«
Plötzlich entglitten die beiden Taschen Behans Händen. Mit geweiteten Augen starrte er den Mann in der Zelle an.
»Das ist – das Geld aus der Bank – yeah! Ich Trottel! Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin! Sie elender Lump! Bandit! Verbrecher. Ich werde sofort…«
Thorpe war eine Spur blasser geworden, als er krächzte:
»Was werden Sie, Behan? He? Wollten Sie vielleicht Wyatt Earp alarmieren? Bitte, tun Sie es. Aber eines lassen Sie sich gesagt sein. Ich werde dem Marshal dann erklären, daß Sie das Geld sofort gefunden hätten und die Absicht hätten, es zu behalten.«
»Bandit«, fauchte Behan. »Das wagst du nicht!«
»Das wage ich nicht?« höhnte der
Outlaw. »Sie werden sich wundern, Sheriff. Und ob ich es wage! Ich werde dem Marshal sogar sagen, daß Sie mich nur freilassen wollten, wenn ich Ihnen den ganzen Raub überlassen würde. Und nur, weil ich gedroht habe, laut um Hilfe zu schreien, seien Sie auf den Gedanken gekommen, ihn herzuholen, um ihm Ihr Märchen aufzutischen. Und dann, Jonny Behan, dann können Sie sich denken, was passiert: Er wird Ihnen ganz bestimmt nicht glauben.«
»Aber dir, he?«
»Weshalb nicht?«
Der Sheriff versetzte den Satteltaschen einen Fußtritt.
»Wer sagt dir denn, daß ich Wyatt Earp holen will, Bandit, he?«
»Eben!« grinste Thorpe. »Sie werden nicht ernstlich so wahnsinnig sein und ausgerechnet Ihren größten Feind in diese Sache hineinziehen.«
»Wer sagt, daß er mein Feind ist?« krächzte Behan mit abgewandtem Gesicht. »Hat er Ihnen das vielleicht gesagt? Oder sonst jemand?«
Thorpe spürte wieder genau, daß er die schwache Stelle des anderen getroffen hatte.
»Ah, er ist also Ihr Freund? Nun, danach sah die Weckerei vorhin nicht aus. Ich war zwar noch ziemlich benommen, aber soviel habe ich doch noch mitbekommen, daß es zumindest eine sonderbare Art war, einen guten Freund zu wecken.«
»Sie sollen Ihr Schandmaul halten, Thorpe!«
»Ich werde nicht schweigen, Behan! Was wollen Sie denn? Sind Sie denn blind? Haben Sie nicht gemerkt, wie er Sie behandelt hat? Wie das letzte Stück Dreck! Wie einen räudigen Hund, dem man nur Fußtritte gibt! Sie sind ein armer, kleiner verschlafener Junge für ihn, Jonny Behan.«
Die Hände des Sheriffs zitterten vor innerer Erregung. Plötzlich warf er sich herum und riß ein Schrotgewehr aus dem Ständer, lud es durch und richtete die Mündung auf die Zelle.
In seinen dunklen Augen irrlichterte es. Hektische Röte brannte unter seinen Wangenknochen auf der weißlichen Haut.
Jim Thorpe erschrak nun doch. Mit starrem Blick stierte er in das wutverzerrte Gesicht Behans. »Was – soll das?« keuchte er.
»Ich knalle dich nieder, du verdammter Skunk!« stieß der Sheriff mit belegter Stimme hervor. »Ich mache dich fertig!«
Da wurde vorn die Tür aufgestoßen. Wyatt Earp stand in ihrem Rahmen.
Die beiden starrten ihn entgeistert an.
Der Marshal hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte langsam von einem zum anderen.
»Alles in Ordnung, Behan?« fragte er nach einer schier endlosen Zeit.
Jonny Behan war blutrot geworden und ließ das Gewehr sinken. Dann nickte er. »Yeah, thanks, es ist alles in Ordnung.«
Der Marshal warf noch einen kurzen Blick über den Raum – und Jonny Behan hatte das fürchterliche Gefühl, daß die scharfen Augen des Marshals einen Sekundenbruchteil zu lang an den Satteltaschen hängengeblieben wären.
Wyatt Earp ging.
Im Office herrschte Stille.
Jim Thorpe hatte schwere Schweißperlen auf der Stirn. Schließlich brach eine befreiende Lache aus seiner Kehle.
»Menschenskind, das war eine heiße Minute! – Bravo, Sheriff, Sie haben sich großartig gehalten!«
Behan schleuderte die Schrotbüchse von sich und stürmte durch die Hoftür hinaus.
Der Verbrecher schickte ihm nur einen kurzen Blick nach. Dann hafteten seine Augen wieder auf den Satteltaschen.
Es war Abend, als der Sheriff ins Bureau zurückkam.
Jim Thorpe stand noch vorn an den Stäben, und die Satteltaschen lagen noch mitten im Raum. Immer noch war die eine geöffnet, aber so, daß Wyatt Earp die Geldscheine nicht hatte sehen können.
Behan hob die Taschen auf und brachte sie in den Nebenraum.
Thorpe folgte ihm mit engen Augen und stieß dann einen scharfen Pfiff aus.
»He, Sie wollen wohl mit dem Zaster über den Berg, Sheriff, wie?«
Behan kam zurück. Ohne die Taschen. Er sah bleich und niedergeschlagen aus. Mit zittriger Hand zündete er eine Kerosinlampe an und stellte sie auf seinen Schreibtisch.
Thorpe folgte jeder seiner Bewegungen mit hellwachen Blicken.
Es blieb eine Weile still, dann meinte der Outlaw: »Sie wissen doch, daß wir jetzt Komplicen sind, Behan!«
Der Sheriff fuhr hoch. »Ich warne dich, Tramp. Bring mich nicht zum äußersten.«
»Ich weiß, Jonny, du brächtest es fertig und würdest mich niederschießen. Wer weiß, was heute nachmittag passiert wäre, wenn der Marshal nicht wie zufällig in der Tür gestanden hätte.«
»Was wäre passiert?« fragte der Sheriff. »Bildest du dir etwa ein, daß ich deinetwegen zum Mörder werden könnte! Du bist ziemlich eingebildet, Thorpe.«
Nach diesem Gespräch war es wieder eine Weile still.
Bis der Nogalesman auf einmal fragte: »Was fangen wir mit dem Zaster an, Jonny?«
Das war Behan zuviel. Er sprang von seinem Sitz auf und riß das Gewehr vom Boden hoch.
»Wenn du diese idiotischen Reden nicht einstellst, Thorpe, erlebst du den Morgen nicht mehr.«
»Schwätzer!« gab Thorpe ungerührt zurück. »Armseliger kleiner Schwätzer!«
Jonny Behan kochte vor Zorn. Ich sollte ihn erschießen! Yeah, das sollte ich.
Er fand keinen Ausweg. In welch eine Situation hatte ihn dieser Mensch da hineinmanövriert?
Thorpe feixte.
»So ist’s richtig, Jonny, häng die Knarre an den Nagel, setz dich hin und überlege mit mir zusammen, was wir mit dem Zaster anstellen. Und wenn Mitternacht vorüber ist, läßt du mich aus dem Käfig raus, und wir verschwinden beide.«
Der Sheriff stand da wie ein begossener Pudel. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf.
»Nur nicht verzagen, Behan, Jim Thorpe macht das schon. Ich habe mir längst einen Sheriff als Partner gewünscht, da sieht doch alles gleich ganz anders aus. Die Leute behandeln einen anständiger und…«
»Schweig!« schrie Behan mit sich überschlagender Stimme.
Aber Jim Thorpe dachte gar nicht daran, zu schweigen. »Wir können natürlich hinüber nach Mexiko reiten, aber das ist gar nicht nötig. Niemand wird uns folgen. Oder? Glaubst du, daß Wyatt Earp hinter uns herreiten wird?«
Behan schwieg.
Thorpe spann seinen Faden weiter:
»Ich würde vorschlagen, daß wir hinauf nach Colorado ziehen. Da soll es schön sein. Nicht so heiß wie in diesem verdammten Arizona. Yeah…« Er lehnte sich zurück gegen die Seitenwand der Zelle und fuhr fort: »Ich werde nach Colorado reiten.«
»Halt endlich dein Schandmaul!« zeterte der Sheriff.
Thorpe lachte dröhnend.
»Du machst mir wirklich Spaß, Jonny! Komm, laß den Unsinn, gib mir eine Zigarette.«
Da waren plötzlich harte, dröhnende Schritte auf dem Vorbau. Die beiden horchten auf.
Und Jonny Behan hatte den Schritt erkannt. »Ike Clanton!« entfuhr es ihm halblaut.
Thorpe zuckte zusammen. »Bist du verrückt?!« zischte er zurück.
»Ruhe!« gebot der Sheriff.
Die Tür wurde geöffnet. In ihrem Rahmen stand ein großer, breitgebauter Mann mit olivfarbenem Gesicht und einem Augenpaar, das in der Dunkelheit gelblich flimmerte. Er trug ein braunes Hemd, ein verwaschenes rotes Halstuch, eine helle Weste und bräunliche Levishosen. Sein Melbahut war an der linken Seite hochgeschlagen. Tief über dem rechten Oberschenkel hing ein großer vierundvierziger Revolver. Seine hochhackigen Stiefel waren vom gelben Sandstaub gepudert.
Jim Thorpe blickte weitoffenen Auges zur Tür. Allmächtiger! Das sollte der große Ike Clanton sein? Dieser Mann da, der aussah wie ein Cowboy?
Well, er hatte irgend etwas Wildes, vielleicht auch etwas Stolzes im Gesicht, in den Augen und in seiner Haltung. Aber wie wenig entsprach er doch dem Bild, das sich der Nogalesman von dem ›König von Arizona‹ gemacht hatte.
Der Bandenführer trat ins Office und warf die Tür hinter sich zu. »Hallo, Sheriff!«
»Hallo, Mr. Clanton.«
»Gibt’s was Neues?« Der berüchtigte Desperado lehnte sich neben der Tür an die Wand und zündete sich eine lange braune Virginia an.
Dann fiel sein Blick plötzlich auf den Mann in der Zelle. »Ist’n das?« fragte er in seiner kurzen, abgehackten, herrischen Art.
Behan wies mit der Linken auf Jim Thorpe. »Der da? Das ist ein Radaubruder. Wyatt Earp hat ihn hergebracht…«
Ike Clanton stieß sich von der Wand ab und stand ganz dicht vor dem Sheriff. »Haben Sie Wyatt Earp gesagt, Jonny?«
»Yeah…«
»Seit wann ist er denn in der Stadt?«
»Keine Ahnung. Draußen hatte es irgendeine Schießerei gegeben…«
»… aus der Sie sich natürlich herausgehalten haben?«
Behan nickte. »Natürlich, ich werde mich doch nicht in jede dieser ständigen Knallereien mischen. –?Ja, und dann war er plötzlich da…«
»Wo?« forschte der Bandenboß.
»Er stand hier mitten in der Tür und hatte diesen Burschen da am Kragen.«
Ike saugte hastig an dem Strohhalm, um den die schwarzen Tabakblätter gewickelt waren, und paffte dicke weißblaue Wolken über die Lampe.
»Er ist also wieder da.«
Der Sheriff nickte. »Yeah – es läßt sich nicht leugnen. Virgil ist kaum fort, und schon kreuzt Wyatt auf. Der eine geht, der andere kommt. Ob das so abgemacht war?«
Ike hatte sich auf die Tischkante gesetzt, und ohne die Frage des Sheriffs zu beachten, wiederholte er seine letzten Worte: »Er ist also wieder da.«
Voller Unbehagen beobachtete Behan den Gangsterchief. Er hatte sich in seiner Nähe nie wohl gefühlt. Zweifellos war dieser Ike Clanton trotz seiner betonten Cowboyaufmachung ein eindrucksvoller Mensch. Dieses Eindrucksvolle jedoch war eindeutig negativ; er wirkte wie eine lebendige Bedrohung.
Es war still geworden im Office. Da der Bandenchief nichts sagte, wagte auch Behan nichts zu sagen, geschweige denn der Gefangene.
Endlich rutschte Ike von der Tischkante und ging zur Tür. Da blieb er mit einem Ruck stehen und deutete auf den Zellentrakt. »Was ist mit ihm?«
»Wie ich schon sagte«, beeilte sich Behan in fast serviler Haltung zu beteuern. »Wyatt Earp hat ihn gebracht, weil er im Hotel Krawall geschlagen haben soll.«
»War einer unserer Leute dabei?«
»Nein, nicht, daß ich wüßte. Das heißt, ich habe Billy vorhin auf dem Vorbau gesehen…«
Ikes Kopf flog herum. »Billy…?«
»Yeah, Ihr Bruder.«
Der große Ike Clanton sagte plötzlich mit völlig veränderter Stimme: »Wieso – Billy? War er allein?«
»Ich weiß es nicht genau. Vielleicht war Phinja bei ihm!«
»Vielleicht? Das wissen Sie nicht? Mann, weshalb tragen Sie eigentlich hier den Stern?«
Jonny Behan hätte am liebsten herausgebrüllt: »Jedenfalls nicht, um auf Ihre Brüder achtzugeben, Ike Clanton!« Aber nie und nimmer hätte er so etwas gewagt. Zu groß war sein Respekt und vor allem seine Furcht vor dem ›König von Arizona‹.
Ike ging mit raschen Schritten zum Schlüsselbord, nahm den großen Bund mit den Zellenschlüsseln an sich und näherte sich dem Gitter, hinter dem Jim Thorpe immer noch wie gebannt stand.
Der Schlüssel knarrte im Schloß, quietschend flog die Tür auf.
»Verschwinde!« herrschte der Bandenführer den Nogalesman an.
Thorpe stand in der offenen Zellentür. Mit einer linkischen Geste schob er den Handrücken der Rechten über den Mund.
»Vorwärts!« gebot Ike.
Da setzte sich Thorpe erst zögernd und schließlich schnell in Bewegung. Mit einem raschen Griff nahm er seinen Waffengurt von der Wand und ging zur Tür.
Da blieb er stehen. Er hatte ja noch etwas vergessen.
Sheriff Behan wußte genau, was der Bursche vergessen hatte! Dicke Schweißperlen krochen unter seinem schwarzen öligglatt gekämmten Haarschopf hervor.
Thorpe sah ihn an, dann hob er leicht grüßend die Hand. »So long, Sheriff. Thanks, Mr. Clanton!«
Die beiden erwiderten seinen Gruß nicht.
Thorpe ging hinaus.
Aber er dachte nicht daran, so sang- und klanglos zu verschwinden. Da drinnen im Schlafraum des Sheriffs lag seine Beute aus dem Überfall auf die Bank of Tombstone. Darauf würde er unter gar keinen Umständen verzichten.
Überhaupt – Jim Thorpe dachte nicht daran, dieses Thombstone schon zu verlassen. Im Gegenteil, das war eine Stadt nach seinem Sinn.
Dieser furiose Wyatt Earp! Wie ein Hurrican war er über ihn gekommen und hatte ihn gleich zweimal geschlagen: Erst mit dem Revolver und dann mit der Faust. Und wie war er mit Jonny Behan umgegangen!
Jim Thorpe empfand einen grenzenlosen Haß gegen den Missourier – aber auch etwas wie Bewunderung für ihn.
Sheriff Behan…? Well, das war ein Sonntagssheriff, eine Pappfigur. War er ein Gesetzesmann oder ein Bandit? Einmal tobte er, als der Outlaw ihn als Komplicen anredete, dann hatte er das Geld genommen und versteckt. Er hatte es vor dem Marshal verheimlicht und vor Ike Clanton, mit dem er doch auf eine laue Art befreundet zu sein schien.
Und Ike Clanton? Zunächst war sein Anblick für Thorpe enttäuschend gewesen. Aber als er dann gehört hatte, wie Clanton mit dem Sheriff sprach, und als er beobachten konnte, wie selbstherrlich der Bandenführer ihn aus dem Jail holte, da war sein Herz dem großen Desperado entgegengeflogen.
Heavens, er würde bleiben in der Stadt, die diesem Ike Clanton gehörte! Er würde bleiben und von ihm lernen.
Jim Thorpe blieb an der Wand des Sheriff Office stehen und lauschte in die Dunkelheit hinein.
Es war ziemlich still, dieses Tomb-
stone. Well, drüben in den Bars waren Männerstimmen zu hören, aber sonst machte das nächtliche Tombstone einen ruhigen Eindruck.
Der Bandit schlich sich in eine Häuserspalte und kauerte sich nieder. Hier wollte er warten, bis Ike Clanton das Office Jonny Behans verlassen hatte. Dann würde er seine Satteltaschen holen.
Der Sheriff schien ihm dabei absolut kein Hindernis; er zählte für Jim Thorpe einfach nicht.
Aber es dauerte ihm schließlich zu lange, und er ging wieder vorn auf den Vorbau, um einen Blick durch das Fenster in Behans Bureau zu werfen.
Da legte sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter. Er fuhr herum und blickte in das Gesicht Wyatt Earps.
»Damned!« entfuhr es ihm.
»Wer hat Sie herausgelassen…?« fragte ihn der Marshal rauh.
»Mich…« Thorpe brauchte Sekunden, um sich von dem Schrecken zu erholen. Und dann tat er das dümmste, was er überhaupt tun konnte: er holte zum Schlag gegen den Marshal aus.
Kurz, punktgenau und knallhart donnerte der linke Uppercut des Missouriers gegen die Kinnlade des Verbrechers.
Wyatt packte ihn wie schon vor Stunden am Kragen und schleppte ihn vorwärts und stieß die Officetür auf.
Ike Clanton starrte den Marshal an.
Jonny Behan, der mit dem Rücken zur Tür gestanden hatte, fuhr herum. »Der Marshal…!«
Wyatt blitzte ihn an. »Wer hat diesen Mann freigelassen?«
Da warf sich der Bandenführer in die Brust. »Ich«, sagte er dumpf. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, Wyatt.«
»Doch, Ike, ich habe etwas dagegen. Ich hatte diesen Burschen hergebracht, weil er wie ein Verrückter mit dem Colt durch die Gegend ballerte. Jonny Behan hätte es an meiner Stelle tun sollen, aber er hat geschlafen.«
»Wie kann er geschlafen haben?« warf Ike Clanton ein. »Er sagte mir eben noch, daß er meinen Bruder bei dem Krawall auf dem Vorbau gesehen habe…«
Der Sheriff wurde blutrot im Gesicht.
Und sein »Freund«, der Ranchersohn und weitbekannte Outlaw Ike Clanton, lachte dröhnend, während er ihm auf die Schulter hieb.
»Sehen Sie, Jonny, man kann gar nicht vorsichtig genug mit dem sein, was man sagt.« Damit schob er an Wyatt vorbei hinaus.
Das heißt; er wollte es. Der Marshal hielt ihn auf.
»Augenblick, Ike.«
Der Desperado wandte den Kopf. »Was wollen Sie? Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen.«
»Das möchte ich Ihnen auch raten, Isaac Clanton. Immerhin, Leute, die hier im Jail sitzen, haben Sie nicht freizulassen. Sie sind weder Sheriff noch Deputy, noch haben Sie sonst ein Amt in der Stadt, das Sie zu solchen Handlungen berechtigen würde. So long, Ike!«
Der Bandit starrte noch einen Augenblick in das harte Gesicht des Marshals und wandte sich dann mit einem Ruck ab.
Seine Schritte dröhnten auf dem Vorplatz.
Jim Thorpe war zu sich gekommen und hatte die letzten Worte Wyatt Earps gehört. Ächzend und benommen richtete er sich auf.
Damned, er hat mich zum zweitenmal niedergeschlagen! zuckte es durch seinen Schädel. Das wird er büßen!
Jonny Behan blickte mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin.
»Sperren Sie ihn wieder ein, Behan!« gebot der Marshal.
Der Sheriff nahm die Zellenschlüssel und wollte Thorpe zur Gittertür führen.
Da riß sich der Nogalesman los.
»Da haben Sie es doch, Sheriff! Habe ich es Ihnen nicht gesagt: Dieser Mann schiebt sie hin und her wie einen Topf auf dem Ofen. Und Sie lassen es sich gefallen, wie ein Topf es sich gefallen lassen muß. Was sind Sie doch für ein jämmerlicher Kerl! Da – ich spucke aus vor Ihnen, Jonny Behan! Sie haben Angst vor ihm, weil er Wyatt Earp heißt, weil er der große Marshal ist, vor dem alle kleinen Gauner Angst haben, nicht wahr? Ich verachte Sie, Behan. Sie sind die traurigste Gestalt, die ich je gesehen habe.«
Und dann federte er plötzlich zur Seite und riß dem Sheriff die Schlüssel aus der Hand.
Mit zwei blitzschnellen Sprüngen hatte der Missourier ihn schon erreicht, packte ihn am Arm und riß ihm die Schlüssel aus der Hand.
Jim Thorpe hatte immer noch nicht ausgelernt. Wieder machte er den Wahnsinnsversuch, sich mit den Fäusten gegen den Marshal zu wehren.
Ein rechter Haken warf ihn krachend gegen die Zellentür.
Thorpe ging wieder in die Knie. Hinter den Schlägen des eisenharten Mannes aus Missouri saß ein unwiderstehlicher Dampf.
Wyatt packte den Verbrecher, riß ihn hoch, entwaffnete ihn und schüttelte ihn derb hin und her.
»Hör zu, Thorpe. Wir sind einander nun schon zweimal begegnet. Beim dritten Mal gibt’s eine böse Feier!« Dann stieß er ihn in die Zelle und warf die Gittertür zu.
Hart und klirrend fielen die Schlüssel vor dem Sheriff auf die Tischplatte.
»Good night, Mr. Behan!«
Donnernd krachte die Tür ins Schloß.
Jonny Behan blickte auf die Tür. Er hatte die Schultern hochgezogen und die Fäuste geballt. Es zuckte in seinem blassen Gesicht.
Jim Thorpe hockte auf der Pritsche und rieb sich den Schädel.
»He, Sheriff!« meldete er sich und riß Behan aus seinen finsteren Gedanken. »Ich hätte eine…«
Jonny Behan fuhr herum und schrie mit überschnappender Stimme: »Sie sollen Ihr verdammtes Maul halten, Thorpe. Haben Sie verstanden?«
»All right, Sheriff. Ich kann Ihren Ärger ja verstehen. Aber deswegen wollte ich Sie ja eben etwas fragen. Nämlich weshalb geben Sie den Stern eigentlich nicht ab? Das Ding paßt doch gar nicht zu Ihnen, Behan. Sie sind so ein schlechter Sheriff, wie ich ein Prediger wäre.«
Das war genau das, was Jonny Behan nicht hören konnte. Er hatte es vor Jahren mit einer gewaltigen Energieleistung geschafft, sich in Sheriff Shibells Gunst einzuschleichen, um den Stern genau in der Stadt zu bekommen, in der er ihn haben wollte. Das war für ihn die Erfüllung seiner Träume gewesen.
Und nun kam dieser verdammte Rowdy daher und glaubte, ihm so etwas sagen zu können!
Wütend kam er auf die Zelle zu. Zischend kam es durch seine zusammengepreßten Zähne: »Was fällt dir ein, verdammter Bandit! Ich werde dir das Genick brechen. Du hast die Bank of Tombstone beraubt, und wer weiß, wieviel Dreck du sonst noch am Stecken hast. Der Raubüberfall auf die Bank reicht aus für den Strick, Amigo. Und diesen Strick werde ich dir drehen. Ich, Jonny Behan, der Sheriff von Tombstone.«
Jim Thorpe hob seinen brummenden Schädel.
»Sie armseliger Kerl! Ich lache über Sie, Jonny Behan. Sie sind kein Sheriff, auch wenn Sie den Stern tragen.«
»Ich weiß ganz genau, was Sie wurmt. Ich habe Sie beobachtet, Behan. Es ist Wyatt Earp, der Ihnen zu schaffen macht. Jawohl, geben Sie es doch zu! Es ist der große Marshal, neben dem Sie nichts zu bestellen haben. Yeah, Sie haben Freunde, mächtige Freunde sogar, aber es sind Banditen, und darauf können Sie nicht stolz sein. Auch das wurmt Sie!«
Jonny Behan taumelte zurück. Seine Unterlippe zitterte. Wieder beschlich Jim Thorpe das Gefühl, dieser Mann wolle ihn niederschießen. Aber dann wußte er, daß Jonny Behan dazu nicht imstande war.
Behan wandte sich plötzlich ab und rannte in die Nebenkammer, aus der er gleich darauf mit Thorpes Satteltaschen zurückkam.
Was wohl Jonny Behan in diesem Augenblick wirklich vorhatte? Wollte er etwa zu Wyatt Earp? Oder vielleicht zu John Clumb, dem Mayor? Oder wollte er mit dem Geld verschwinden?
Er war auf dem Weg zur Tür, als plötzlich vorn geöffnet wurde und ein Mann hereinsah. Es war ein großer, breitschultriger Mensch mit romanischen Gesichtszügen und einem scharf ausrasierten Kinnbart. Er trug Cowboykleidung, machte aber einen äußerst gepflegten Eindruck. Er mochte etwas über dreißig Jahre alt sein.
»Hallo, Sheriff!« rief er. »Wohin so eilig?«
»Frank? Sie?«Der Mann in der Tür war Frank McLowery, der ältere des berüchtigten Banditenpaares, das zu den Paladinen der Clantons zählte. Er war der geheime Kopf der ganzen Gang.
Jetzt stand der Bandit mit einem diabolischen Lächeln einen Schritt vor Jonny Behan. McLowery streckte seine schlanke, langfingrige linke Hand aus und hielt sie dem Sheriff geöffnet entgegen. Den Kopf hatte er dabei hochgenommen und sah Jonny Behan, den er um halbe Haupteslänge überragte, mokant von oben herab an.
Der Sheriff sah ihn ziemlich hilflos an. Er sah so aus, als wollte er den Kopf schütteln, aber dann hob er doch die Rechte, in der er die Satteltaschen hielt, und reichte sie Frank McLowery entgegen.
Mit ruhigen Bewegungen, als handle es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt, nahm der Desperado die Taschen an und öffnete sie. Dann flog sein Blick zu den Zellen hinüber.
»Aha«, meinte er mit nasaler Stimme. »Der fremde Dreckskerl da hat also die Bank erleichtert.«
Mit langsamen Schritten ging er auf die Zelle zu.
»Hör zu, Junge. Das hättest du nicht tun sollen. Wenn hier einer Geld holt, dann sind wir das. Und wir holen es nicht in Tombstone. Das verstehst du natürlich nicht. Woher kommst du?«
Thorpe schluckte: »Aus Nogales.«
»Aha. Ich bin Frank McLowery.«
Thorpe schluckte wieder.
»Yeah, ich habe es mir schon gedacht. Ich habe schon von Ihnen gehört, Mr. McLowery.«
McLowery tastete mit der Linken den Rand seines Kinnbartes ab. »So, du hast von mir gehört. Und was hast du gehört?«
Die Frage hatte den Mann, der ausgezogen war ein zweiter Ike Clanton zu werden, in tödliche Verlegenheit gebracht. Er sagte auch nichts.
Frank McLowery nahm eine Zigarette aus der Tasche und wartete ostentativ darauf, daß der Sheriff ihm Feuer reichte. Und das geschah prompt.
Der berüchtigte Bandit stieß den Tabaksrauch durch die Nase aus und bleckte dann seine Zähne.
»Du bist ein ziemlich grüner Bursche. Als ich von dem Überfall auf die Bank hörte, hätte ich auf einen alten Hasen getippt. Auf Leslie Patton vielleicht, oder auf Jonny Ducnac. Haha.« Eine kurze, widerliche Lache fiel von den Lippen des Banditen. »So ein grüner Bursche, es ist nicht zu fassen.«
Jim Thorpe glaubte sich verteidigen zu müssen. »Ich verstehe Sie nicht, Mr. McLowery«, knurrte er. »Wenn ich nicht ausgerechnet Wyatt Earp in die Hände gefallen wäre, hätte die Sache mit dem Geld niemand entdeckt.«
Die Satteltaschen mit den Dollars entglitten den Händen des Banditen. Er legte den Kopf auf die Seite und fragte lauernd:
»Wyatt Earp? Soll das etwa ein Trick sein, Junge?«
Jonny Behan hielt es für richtig, einzuwerfen: »Nein, Frank, es stimmt. Wyatt ist in der Stadt.«
Er hatte etwas Schlangenhaftes an sich, dieser Frank McLowery, etwas Ruckhaftes, Zuckendes. So bewegte sich auch jetzt sein Kopf rasch zur Seite.
»Was sagen Sie da, Jonny? Wyatt Earp ist in der Stadt?«
»Yeah, er kam plötzlich nach einer Schießerei herein und brachte Jim Thorpe hierher.«
»Aha.« McLowery ließ seine Zigarette fallen und zertrat sie mit seiner Stiefelspitze.
»War – Ike hier?«
»Ja.«
»Weiß er, daß Wyatt in der Stadt ist?«
Jonny Behan nickte. Ein unbehagliches Gefühl kroch in ihm hoch. Damned, wenn sich da nicht wieder etwas anbahnte. Sie waren ja schon mehrmals aufeinandergestoßen, die Männer um Ike Clanton gegen die Earps.
Jonny Behan bückte sich und hob die Satteltaschen auf. Langsam ging er zur Tür.
»Wo wollen Sie denn hin?« Näselnd folgte ihm die Stimme des Desperados.
»Ich werde das Geld zur Bank zurückbringen.«
*
Wyatt Earp hatte sich bei Nellie Cashman ein Zimmer gemietet. Es war schon gegen halb elf in der Nacht, als plötzlich an die Tür des Marshals geklopft wurde. Wyatt hatte am Tisch gesessen und seine beiden Revolver gereinigt.
»Wer ist da?« fragte er.
»Ich bin es«, hörte er die Stimme Nellie Cashmans.
Er ging an die Tür und öffnete. Draußen stand die große schlanke Frau und sah ihn aus ihren immer etwas traurigen Augen an.
»Mr. Behan ist vorn und fragt, ob er Sie sprechen kann. – Und hier ist eine Depesche für Sie gekommen.«
Wyatt bedankte sich und öffnete die Eilnachricht sofort.
Wenn Sie mich brauchen, ich bin in Santa Fé.
Holliday
Ein stilles Lächeln stand in den Augen des Marshals, als er das Telegramm in die Tasche schob und in die Rezeption ging.
Der Sheriff stand vorn neben der Tür und blickte Wyatt finster entgegen. Er hatte den Hut in der Hand und kam jetzt auf ihn zu.
»Mr. Earp – ich weiß nicht, ob es Sie interessiert, aber Thorpe ist verschwunden.«
»Aha.«
Behan wunderte sich, wie gleichgültig der Marshal es aufnahm.
»Ja – ich war weg. Ich hatte nämlich das Geld zur Bank gebracht. Thorpe war ein Dieb.«
»Ich weiß.«
»Was…?« stammelte Behan verblüfft.
»Er hat die Bank überfallen, und das Geld steckte in den Satteltaschen, die bei Ihnen im Office vorhin auf dem Boden lagen.«
Der Schweiß brach dem Sheriff aus allen Poren. Hell and devils, da hatte er also alles gewußt, der höllische Earp! Und er hatte kein Wort verlauten lassen.
Wie nun, wenn er, Behan, das Geld nicht zur Bank zurückgebracht hätte? By Gosh, er war heilfroh, daß er es doch getan hatte.
»Er ist also verschwunden?« Wyatt zündete sich eine seiner großen schwarzen Zigarren an und verschränkte dann die Arme vor der Brust.
Wie ein Schuljunge stand Jonny Behan vor ihm.
»Sonst noch irgend etwas?«
Der Sheriff schüttelte den Kopf, warf einen unsicheren Blick zu Nellie Cashman hinüber, die an dem Rezeptionstisch stand. Dann murmelte er etwas, das man bei allerbestem Willen vielleicht als »Goodnight« deuten konnte, und verließ das Boardinghouse.
Miß Cashman trat an den Missourier heran.
»Ich möchte Ihnen etwas sagen, Mr. Earp.«
»Ja…?«
»Ike Clanton ist in der Stadt.«
»Ich weiß.«
Sie sah ihn verdutzt aus ihren großen Augen an und lächelte dann ein wenig. »Sie scheinen immer alles zu wissen.«
»Leider nicht, Miß Cashman.«
»Wußten Sie denn, daß auch Frank McLowery in Tombstone ist?«
»Ich wußte es nicht, aber ich kann es mir denken. Ike war bei Behan im Office. Es war ein Kontrollbesuch. Behan steht unter dem Einfluß der Clantons. Und wenn Ike in der Stadt ist, werden auch die anderen nicht weit sein.«
Die Frau druckste herum, und endlich kam sie damit heraus: »Immer, wenn sie in der Stadt sind, geschieht irgend etwas. Die Leute haben Angst.«
»Den Eindruck habe ich allerdings nicht. Ich glaube im Gegenteil, daß die Clantons, einmal ganz abgesehen von ihren vielen Verwandten, auch zahlreiche Freunde in der Stadt haben.«
»Das scheint nur so, Mr. Earp. Die Leute haben trotzdem Angst. Ich weiß es.«
Wyatt, der die Frau noch um Haupteslänge überragte, neigte seinen Kopf ein wenig und sagte leise: »Die Leute sind feige, Miß Cashman. Sie schlagen sich immer auf die Seite dessen, bei dem sie die größere Kraft vermuten.
Es wird der Tag kommen, wo Tomb-
stone zeigen muß, was es eigentlich will. Will es unter dem Gesetz leben, will es in die Zukunft blicken, die ganz sicher nicht mehr den Clantons gehören wird – oder will es sich weiter von einer Bande halbwilder Burschen knechten lassen, die sich aus Viehdieben, Posträubern, Mördern und Gesindel aller Art zusammensetzt?«
»Weshalb unternimmt denn der Staat nichts gegen dieses Unwesen?« wollte die Frau wissen.
»Dieser Staat ist noch zu jung und zu kraftlos, Miß Nellie. Aber eines Tages wird er groß und stark sein und mit diesem Gesindel aufräumen. Leider vergeht bis dahin noch viel Zeit. Und deshalb muß vorher etwas geschehen.«
Die Frau nickte. »Ja, das müßte es. Aber ich halte es leider für ausgeschlossen, daß es jemals gelingen wird, diese Menschen zu vertreiben oder gar an das Gesetz zu gewöhnen.«
Wyatt zog die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken.
»Dazu muß man eben kämpfen, Miß…«
Er ging zur Tür.
Nellie Cashman folgte ihm.
»Sie sind bei Binger.«
»Ich weiß.«
»Das wissen Sie auch?«
»Yeah, ich kam vorhin bei Binger vorbei und sah Tom McLowerys Pferd vor dem Querholm stehen. Und wo der ist, muß auch Frank sein, und wo Frank McLowery ist, sind auch die anderen.«
Wyatt ging hinaus.
Die Frau blickte hinter seiner hochgewachsenen Gestalt drein, die schon nach wenigen Schritten von der Dunkelheit verschluckt wurde.
*
Als Jonny Behan das Jail verlassen hatte, wandte sich Frank McLowery an Thorpe.
»Die Sache mit der Bank war natürlich Wahnsinn, Boy. Kein Mann, der Verstand im Kopf hat, wird ausgerechnet die Bank of Tombstore ausrauben wollen.«
Thorpe kam nahe an das Gitter heran. »Weshalb eigentlich nicht?«
»Weil es Unsinn ist. Erstens leben die Earps hier…«
»Virgil Earp.«
»Laß mich ausreden, Junge. Virgil Earp hat Brüder wie Ike Clanton Brüder hat, und wer Brüder hat, der ist nicht allein.«
»Aber Wyatt Earp ist doch Marshal oben in Dodge City.«
»Das ist schon richtig, aber wenn Virgil ihn ruft, dann läßt Wyatt nicht auf sich warten. Er ist in letzter Zeit öfter hier unten als uns lieb sein kann. Dieser Wyatt Earp ist der gefährlichste Wolf, den es im Westen gibt. Schon allein deswegen ist bis heute noch kein vernünftiger Mensch auf die Idee gekommen, ausgerechnet hier eine Bank ausrauben zu wollen.
Und dann noch etwas: du hast Ike Clanton gesehen, und höchstwahrscheinlich hast du schon vorher von ihm gehört. Er ist der Herrscher von Tombstone und vom ganzen Cochise County. Er schätzt es ganz sicher nicht, wenn sich irgendein lausiger Strolch herausnimmt, ausgerechnet in Tombstone eine Bank zu überfallen. Wer sagt dir, daß die Clantons kein Geld auf dieser Bank haben?«
»Die Clantons…?« brachte Thorpe verstört hervor.
»Yeah, die Clantons. Du wirst sie doch nicht für Bettler halten? Ike Clanton hat zwanzig Meilen vor der Stadt eine große Ranch; das heißt, noch gehört sie seinem Vater.
Auch mein Bruder Tom und ich stammen von einer Ranch in der Umgebung. Und die anderen, die zu uns gehören, sind ganz sicher keine Hungerleider. Curly Bill zum Beispiel, Bete Spence, Joe Henninger und Lary Artys, sie alle haben Geld. Billy Clayborne und Jeff Hunter sind Spieler. Ebenso Frank Stilwell und Harry Lamp. Und die anderen, die noch zu uns gehören, sind ebenfalls Männer, die ohne weiteres Geld auf einer Bank deponiert haben können.
An so etwas denkt ein Bursche mit Verstand. Du hast also bewiesen, daß du von dem Zeug nicht allzu viel unter deinem Hut hast. Trotzdem«, Frank McLowery schob seine Zigarette von einem Mundwinkel in den anderen und sah den Mann aus Nogales fast wohlwollend an, »trotzdem hast du Mut bewiesen. Aber es war ein sinnloser Mut.
Ich will dir was sagen, Thorpe, du paßt nicht nach Tombstone! Ranze Dillinger hat mir erzählt, daß du in Pearce einen Mann erschossen hast…«
Thorpe schrak zusammen und mußte sich Mühe geben, seinen Schrecken vor den anderen zu verbergen.
Pearce?! Wie lange war das schon her! Es schien ihm Monate zurückzuliegen. Und doch war es erst gestern gewesen.
»Wer ist dieser Ranze Dillinger?«
»Das geht dich einen Dreck an, Thorpe«, entgegnete der Desperado schroff. »Ich wollte dir nur sagen, daß wir alles wissen. Und jetzt hör zu.«
Frank McLowery nahm den Schlüssel und öffnete die Zelle. Er hielt die Linke mit dem Handrücken vor Thorpes Brust und sprach den Nogalesman über die Schulter in seiner herablassenden Art näselnd an:
»Du wirst aus der Stadt verschwinden, Thorpe. Leute wie dich können wir hier in Tombstone nicht brauchen. Vielleicht wirst du einmal ein Rebell. Ein freier Mann, den wir brauchen können. Aber dazu mußt du noch viel lernen. Du mußt eine Weile auf dem großen Trail bleiben, um zu lernen. Wenn du hinüber nach River Hill reitest, wirst du Boys finden, die besser zu dir passen als die Clantons. So, und jetzt hau ab!«
Jim Thorpe nahm seinen Waffengurt wieder an sich und ging zur Tür. Er war wütend. Die Art, wie dieser Frank McLowery glaubte mit ihm reden zu dürfen, mißfiel ihm so sehr, daß er die Zähne knirschend aufeinanderbiß. Noch in der Tür blieb er stehen und wandte sich um.
»Sie führen eine stolze Sprache, Frank McLowery. Ich bin nicht gewohnt, daß man so mit mir redet. Um es deutlicher zu sagen, ich spreche mit Männern, die glauben, so mit mir reden zu dürfen, sonst nur mit dem Revolver.«
Eine ölige Lache kam von den Lippen McLowerys.
»Mit diesen Worten hast du erneut bewiesen, daß du noch ein blutiger Anfänger bist. Verschwinde jetzt, sonst könnte es dir passieren, daß ich deiner Aufforderung zum Kugeltanz noch Folge leiste. Und daß ich das nicht tue, liegt nicht zuletzt daran, daß wir auf dem Graveyard nur noch wenig Platz haben. Eigentlich nur drei, vier richtige Plätze. Und die sind für andere Leute reserviert.«
»Für wen?« fragte der Nogalesman.
»Für Männer, Jim Thorpe. Nicht für grüne Jungen.«
Wieder kam die Lache von den Lippen des Desperados.
»Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, es dir zu sagen. Ich sollte es eigentlich auch nicht tun, aber offenbar habe ich heute meinen milden Tag.« Er richtete sich auf und hakte die Daumen in die Ausschnitte seiner Weste.
»Diese vier Männer sind: »Wyatt Earp, Doc Holliday, Virgil Earp und Morgan Earp.«
Frank McLowery fletschte die Zähne.
»Yeah, und wenn es ein guter Tag ist, müßte auf einem Wegende auf dem Graveyard ein sieben halb Fuß großes Loch ausgeschachtet werden. Und da würde dann Luke Short verscharrt.«
Es war auf einmal Stille im Office.
Der berühmt-berüchtigte Frank McLowery hatte den von ihm selbst als grün bezeichneten Jim Thorpe aus Nogales einen Blick in seine Seele tun lassen.
Auf dem Vorbau waren Schritte zu hören. Thorpe fuhr zusammen und zog seinen Revolver.
McLowery schüttelte den Kopf. »Steck das Eisen weg. Wen glaubst du hier erschießen zu können?«
»Vielleicht ist es Wyatt Earp«, stieß Thorpe flüsternd hervor.
Da lachte Frank Lowery schrill los. »Ich habe es ja gesagt, Jim Thorpe, du bist noch zu grün hinter den Ohren – Wyatt Earp! Bildest du dir allen Ernstes ein, daß du Wyatt Earp mit dem Revolver schlagen kannst? Oder daß es dir auch nur gelingen könnte, ihn zu überraschen?«
Thorpe wollte etwas erwidern, aber Frank schnitt ihm mit einer herrischen Geste die Rede ab.
»Sei still, Thorpe. Einen Mann wie Wyatt Earp schlägst du nie. Und nie wird ihn ein einzelner Mann schlagen. Es müssen viele sein. Starke, große und schnelle Männer. Und sie müssen einen Kopf haben, Junge, und eiskalt müssen sie sein. Alles das sind Dinge, die dir fehlen.«
Die Schritte draußen waren verhallt.
»Verschwinde jetzt«, gebot Frank.
Wie ein geprügelter Hund schlich der Mann aus Nogales hinaus.
Drüben vorm Marshal Office schaukelte ein Windlicht im leisen Nachtwind, der singend über den Sand strich und pfeifend an den Häuserwänden entlangfuhr.
Frank McLowery trat hinter Thorpe auf den Vorbau.
»He, da bist du ja immer noch. Habe ich dir nicht gesagt, daß du verduften sollst? Und falls du es noch nicht begreifst: Ike Clanton bereitet sich auf einen großen Kampf vor. Dazu brauchen wir Ruhe in der Stadt, verstehst du?«
Jim Thorpe verstand nicht.
»Da drüben im Windlicht, wer hat es angezündet?«
»Ach, das wird Virgils Frau getan haben. Seit Virgil gehört hat, daß sein großer Bruder oben in Dodge bei Einbruch der Dunkelheit ständig ein Licht vor seiner Office-Tür anzündet, hält er es auch so. Eine Marotte von ihm.«
Der Outlaw Jim Thorpe schlich sich davon. Er lief zum Office des O.K. Corrals hinüber, und auf sein Trommeln an der Tür erschien der kleine Chinese.
»Sie wollen weg?« fragte er mit einer leichten Verbeugung.
»Ja, hol meinen Gaul. Ich habe einen kleinen Ritt vor.«
»Sie kommen wieder?«
»Yeah«, sagte Jim Thorpe. »Du hast wohl Angst um deine armseligen Kröten?«
Der Chinaman zog den Kopf ein.
»Der Mietstall gehört nicht mir, Mister. Und Sie wären nicht der erste, der davonreitet, ohne zu zahlen.«
Der kleine gelbe Mann hatte sich umgewandt, um auf den Stall zuzugehen. Im gleichen Moment erhielt er einen so fürchterlichen Fußtritt, daß er mehrere Yards nach vorn stolperte und mit dem Gesicht voran auf den Boden stürzte. Er blieb einen Augenblick liegen und raffte sich dann auf. Hinter ihm war das harte Klicken eines Revolverhahns zu hören.
»Das war für die Beleidigung, Schlitzauge. Und jetzt beeile dich mit dem Gaul, sonst wird die Luft für dich hier verdammt bleihaltig.«
Der Chinese trippelte auf den Stall zu und holte das Pferd heraus. Dann schleppte er den Sattel herbei.
Thorpe sattelte seinen Sierragaul auf und führte ihn auf die Straße.
Mit zuckendem Gesicht schloß der kleine Chinese das Tor. Er war es gewohnt, derartige Grobheiten von den weißen Männern hier einstecken zu müssen.
*
Jim Thorpe war nicht sehr weit geritten.
Mit jedem Yard, den der Braune ihn die Allenstreet westwärts gebracht hatte, war der Zorn auf diese Stadt in ihm größer geworden. Er war an Wyatt Earp gescheitert. Zweimal hatte der Marshal ihn niedergeschlagen – das konnte er nicht verdauen.
Er würde sich rächen. An Wyatt Earp und an den anderen. An dem stolzen Ike Clanton, an dem hochnäsigen Frank McLowery und an dem käsigen Sheriff Behan.
Und vor allem wollte er sein Geld wiederhaben.
Am Boot Hill wandte er den Braunen und ritt zurück. Sein Gesicht war jetzt härter denn je. Jim Thorpe war zu allem entschlossen. Was hatte er schließlich zu verlieren? Nun kannte er sie ja, die großen von Tombstone.
Er ritt hinunter bis zum Crystal Palace und stieg vom Pferd, warf die Zügelleine über die Halfterstange und trat auf den Vorbau.
Über die Schwingarme der Pendeltür hinweg warf er einen Blick in den Schankraum.
Vor der Theke standen nur wenige Menschen. Und links an den Spieltischen entdeckte er plötzlich Kate Fisher.
Jim Thorpe stieß die Tür auf und trat ein. Die Männer vorn im Schankraum wandten sich nach ihm um.
Und da stieß sich ein kleiner, untersetzter Bursche mit verschlagenem Gesicht und spitzer Nase von der Theke ab. Er war krummbeinig und trug Reiterkleidung. Sein hohlwangiges Gesicht verriet die Krankheit, die in seiner Lunge fraß.
Hüstelnd blieb er drei Yards vor Jim Thorpe stehen. »Ich bin Jerry Cochan. Ich finde, du solltest das wissen, ehe du ausgepustet wirst, Thorpe.«
Der riesige Bursche aus Nogales richtete sich auf. Ein spöttisches Lachen flog für einen Augenblick über sein Gesicht. Dann wandte er sich ab und ging auf die Kante der Theke zu.
Jerry Cochan kläffte hinter ihm her. »He, Langer, du kneifst wohl? Glaubst du eigentlich, daß wir verrückt sind? Erst verschanzt du dich im Hotel und knallst in der Gegend herum. Dann rennst du mit Wyatt Earp zusammen. Und wenn dir Frank McLowery sagt, daß du verschwinden sollst, kommst du zurück. Du sitzt im falschen Sattel, Tramp. Wir sind hier in Tombstone.«
Es war Thorpe nicht allzu wohl in seiner Haut, aber er konnte nicht mehr zurück. Er wollte auch gar nicht mehr.
»Keeper«, sagte er so gelassen, wie es ihm möglich war, »gib dem Kleinen noch einen Drink, damit er sich beruhigt.«
Jerry Cochan wurde dunkelrot vor Zorn. Steif angewinkelt war sein rechter Arm, und die geöffnete Hand hing über den Revolverknauf.
Da stand plötzlich Kate Fisher neben ihm und zog ihm den Colt blitzschnell aus dem Halfter. Der Hahn knackte.
Wie erstarrt stand der kleine Mann da.
»Geh an die Theke, Jerry!«
Langsam setzte Cohan sich in Bewegung.
Kate Fisher, die sich seit Jahren in diesem Milieu bewegte, behielt ihn scharf im Auge.
»Und jetzt nimmst du den Drink, Jerry!«
Langsam nahm der Kleine das Glas, das der Keeper ihm hinschob, und setzte es an die Lippen. Ehe er trank, sah er den Nogalesman an.
»Du brauchst dir nichts darauf einzubilden, Thorpe. Sie tut es nicht deinetwegen. Sie mag Schießereien nicht. Und sie kann ein Lied davon singen. Ihr Freund ist Doc Holliday.«
Jim Thorpe trank sein eigenes Glas leer, warf ein Geldstück auf das Thekenblech und ging hinaus.
Kate Fisher trat an das Orchestrion und steckte ein Geldstück in den Münzenschlitz.
Während der alte Musikkasten hämmernd und ziemlich unmelodisch den Arizonasong in den Raum jaulte, warf sie dem kleinen Cochan den Revolver zu.
Jim Thorpe stand auf der Straße und sah sich um. Es war ziemlich still draußen.
Jetzt würde er den Sheriff aufsuchen und von ihm sein Geld zurückverlangen.
Er ging hinüber und stieg den Vorbau hinauf. Ehe er noch an das schwacherleuchtete Fenster trat, sah er sich nach allen Seiten um.
Irgendwo drüben beim O.K. Corral zankten sich zwei Katzen, und in einem Hof kläffte ein Hund.
Thorpe trat an die Tür und wollte sie öffnen. Sie war verschlossen. Er klopfte an die Scheibe.
Bald darauf wurde die Tür geöffnet. Thorpe stieß sie weit auf.
Jonny Behan fuhr zurück. »Was wollen Sie denn hier?«
Der Bandit warf die Tür hinter sich zu.
»Mein Geld, Sheriff.«
Jonny Behan ging bis an den Tisch zurück.
»Das Geld gehört der Bank. Ich habe es zurückgebracht.«
Das Gesicht Jim Thorpes war wie aus Holz geschnitten. »Wo hast du mein Geld, Behan?«
Der Sheriff wich immer weiter zurück, an dem Tisch vorbei in den Hintergrund des Raumes.
Bei dem schwachen Schein der Kerosinlampe vermochte Thorpe die Hoftür in der dunklen Wand nicht zu erkennen.
Und schon hatte der wendige Behan sie aufgerissen und hinter sich zugeworfen. Klirrend fiel draußen der Riegel vor.
Jetzt erst kam Leben in die Gestalt des Banditen. Er rannte vorwärts und warf sich mit voller Wucht gegen die Tür. Aber sie gab nicht nach.
Thorpe stieß die Tür zur Straße auf und rannte hinaus.
Als er auf dem Vorbau war, blieb er wie versteinert stehen. Drüben auf der Straße, etwa vier Yards vom Vorbau entfernt, stand schemenhaft vorm Windlicht des Marshals Offices der Missourier.
Jim Thorpes Linke spreizte sich.
Ich werde ihn niederknallen. Mit einem gedankenschnellen Schuß werde ich ihn niederknallen!
Dann hörte er plötzlich die Worte Frank McLowerys in seinen Ohren. Er ist nicht mit dem Colt zu schlagen. Er ist auch nicht zu überraschen. Schon gar nicht von einem einzelnen Mann.
War nicht auch Bill Hickock mit dem Revolver geschlagen worden, der schnelle Marshal von Abilene. War es nicht ein ganz unbedeutender Mann gewesen, der ihn besiegt hatte?
Well, Wyatt Earp sollte schneller sein, wer wußte denn, ob nicht gerade er, der blutjunge Jim Thorpe, der Mann aus Nogales, ein noch besserer Mann war? Der Schütze, der den großen Marshal von Dodge fällen konnte?
Er war jung und stark und voller Zuversicht. Und dieser Wyatt Earp da mußte in den vielen Kämpfen, in denen er schon gestanden hatte, schon einen großen Teil seiner Kraft gelassen haben. Vielleicht ist dies der große Augenblick in meinem Leben, suchte sich Jim Thorpe einzureden.
Und was hatte er denn schon zu verlieren? Nichts, gar nichts. Er hatte die Bank überfallen und Sheriff Behan würde das kaum für sich behalten haben. Und andererseits hatte er alles zu gewinnen, wenn er diesen Mann da, diesen höllischen Earp, schlagen würde.
Well, er würde das Schicksal herausfordern. Er würde jetzt in dieser Minute auf der nächtlichen Hauptstraße von Tombstone den Gunfight mit Wyatt Earp aufnehmen.
Vorwärts! Was gab es noch zu zögern? Mit einem weiten Satz sprang er auf die Straße und stand breitbeinig da.
Jonny Behan war von seinem Hof in die Häuserlücke geflüchtet, die zur Mainstreet führte. Er kam genau in dem Augenblick in die Mündung der Häuser-
spalte, als Jim Thorpe auf die Straße sprang.
Jonny Behan warf den Kopf nach rechts und sah Wyatt Earp drüben stehen. Es war nicht etwa Mut, der ihn plötzlich mit einem Schrei aus dem Spalt stürzen und auf die Straße rennen ließ.
»Nein, Wyatt!« schrie er. »Das können Sie nicht tun. Er hat keine Chance! Er hat doch gar keine Chance gegen Sie!«
»Gehen Sie aus dem Weg, Behan«, schlug ihm die schneidende Stimme des Marshals entgegen.
Der Sheriff fuhr herum.
»Thorpe! Was bilden Sie sich ein! Sie können die Bank von Tombstone überfallen. Sie können die Unverschämtheit haben, mich in meinem eigenen Office zu bedrohen. Aber was wollen Sie gegen diesen Mann ausrichten? Ich sage Ihnen, es gibt keinen Menschen, der mit dem Revolver eine Chance gegen ihn hat. Verschwinden Sie!«
»Gehen Sie aus dem Weg, Jonny Behan«, unterbrach ihn die metallische Stimme des Missouriers.
Da endlich wich der Sheriff zur Seite und stand auf weichen Knien neben seinem Vorbau.
Zu seiner namenlosen Verwunderung gewahrte er, daß sich der Marshal plötzlich in Bewegung gesetzt hatte und langsam auf Jim Thorpe zukam.
Jonny Behan wollte schreien. Aber die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Wenn er es bis jetzt nicht gewußt hatte, in dieser Minute hätte er es wissen müssen, daß er kein Mann für den Stern war.
Da drüben ging der nervenlose Wyatt Earp mit festem sporenklirrendem Schritt auf den Banditen zu.
Jim Thorpe, der noch vor einer knappen Minute tödlich entschlossen war, den Revolver gegen den Marshal zu ziehen, stand wie angenagelt auf dem Fleck und starrte dem Missourier entgegen.
Als Wyatt Earp auf fünf Yards herangekommen war, sprangen die Lippen Thorpes wie Gesteinsbrocken auseinander, und heiser brach es aus seiner Kehle: »Bleiben Sie stehen, Earp!«
Aber der Marshal ging weiter.
»Stehenbleiben!« brüllte Thorpe. Aber auch dieser wilde Schrei vermochte Wyatt Earp nicht aufzuhalten.
Jim Thorpe wich einen Schritt zurück, und dabei spürte er ein Zittern in seinen Kniegelenken. Das Zittern ging durch seinen ganzen Körper bis hinauf in seine Kiefer.
In dieser Sekunde wußte er, daß er den Kampf verloren hatte, noch ehe er begann.
Wyatt Earp kam jetzt nahe an ihn heran und blieb einen Yard vor ihm stehen. Jimmy Thorpe spürte den Blick des Marshals bis ins Mark.
Da streckte Wyatt ihm seine Rechte entgegen. »Geben Sie mir Ihren Revolver, Thorpe.«
Anstatt in dieser schon so verfahrenen Situation kühl zu bleiben und das einzige zu tun, was zu tun war, nämlich aufzugeben, sprang Thorpe zurück und röhrte rostig:
»Nein! Ich werde Ihnen meinen Revolver nicht freiwillig geben, Earp. Wenn Sie ihn haben wollen, müssen Sie ihn sich schon holen!«
Jonny Behan stand immer noch wie gebannt am Vorbau und starrte auf die gespenstische Szene.
Wyatt Earp stand wie eine Statue da. Immer noch hatte er die Rechte ausgestreckt. »Ihren Revolver, Thorpe«, wiederholte er.
Da zuckte die Linke des Banditen nach unten.
Er hatte ihn Hunderte von Male geübt, den Hüftschuß, jenen gefährlichen Schuß, bei dem die heruntergestoßene Hand den Revolverkolben nach unten zu drücken und die Mündung, die unten aus dem Waffenschuh kam, nach vorn zu bringen hatte. Gleichzeitig mußte die Hand den Hahn spannen und den Abzug betätigen.
Aber in dieser bitteren Sekunde mußte der Bursche aus Nogales erfahren, daß er längst noch nicht schnell genug für die Elite der Revolverkämpfer war.
Von der linken Hüfte des Missouriers blitzte es auf, und der Schuß sprang Jim Thorpe an. Die Kugel hieb ihm den Revolver zur Seite. Ein stechender Schmerz brannte in seiner Hand.
Er war nicht verwundet, aber der Schlag des Geschosses auf den Colt hatte sich in seiner Hand fortgesetzt.
Und in dieser Schrecksekunde des Banditen hinein flog die Rechte des Marshals vor und traf ihn in die kurzen Rippen.
Genau auf die Herzspitze getroffen, kippte der Bandit langsam wie ein gefällter Baum über die Absatzkanten nach hinten, wo er hart auf die Straße aufschlug.
Jonny Behan hatte den Atem angehalten. Die Stimme des Marshals ließ ihn zusammenfahren.
»Nehmen Sie ihm die Waffen weg, Behan. Und bringen Sie ihn ins Jail. Richter O’Neil wird sich morgen mit ihm befassen.«
*
Im Obergeschoß eines alten Hauses, oben in der Freemontstreet, saßen acht Männer um einen großen Tisch. Frank und Tom McLowery, Phin und Billy Clanton, Frank Stilwell, Billy Clayborne und Indian Charly. Neben der Tür lehnte Ike Clanton. Der Raum war mit Tabakrauch so vernebelt, daß den Männern das Atmen schwer fiel. Der kleine Billy Clanton stand auf und öffnete das Fenster.
»Was soll das?« näselte Frank McLowery. »Vielleicht fragst du erst deinen Bruder, wenn du hier irgend etwas tust, Bill.«
Der kleine Clanton riß seinen Hut vom Kopf, warf ihn auf die Erde und trat mit den Füßen darauf.
»Wegen jedem Dreck muß ich Ike fragen! Aber für Betonritte durch die Wüste, durch das Apachengebiet, da bin ich euch nicht dumm genug. Die Bude ist so verräuchert hier, daß man kaum noch atmen kann. Aber kein Mensch wagt, das Fenster aufzumachen.«
Ohne den Boß anzusehen, sagte Frank McLowery: »Ike, vielleicht erklärst du deinem kleinen Bruder, daß wir uns dann gleich auf die Allenstreet oder in die City Hall stellen können, wenn wir uns bei offenem Fenster unterhalten.«
Der Bandenführer, der mit einem angespitzten Zündholz in den Zähnen herumgebohrt hatte, schob Billy beiseite und riß auch das andere Fenster auf.
Obgleich er wußte, daß Frank recht hatte, erklärte er gereizt: »Billy hat recht. Hier kann man ja wirklich nicht mehr atmen.«
Frank stand auf. »Well, dann können wir uns ja ein andermal wieder treffen. Ich habe keine Lust, daß Wyatt Earp in einer Viertelstunde weiß, was hier besprochen worden ist.«
»Das wird er nicht wissen«, entgegnete Ike, wobei er Indian Charly einen Wink gab. »Geh hinunter, Charly, und bewache das Tor. Wenn sich irgendwas rührt, meldest du dich mit dem Pfiff.«
Der Mestize erhob sich und ging wortlos hinaus.
Verärgert zündete sich Frank McLowery eine Zigarette an. »Ich weiß nicht, ob wir so vorwärtskommen, Ike. Wenn hier jeder macht, was er will…«
»Wer ist jeder?« fragte Ike.
Frank schob seinen Hut aus der Stirn. »Also, weshalb wollten wir uns hier treffen?«
»Weil Virgil nicht in der Stadt ist«, meinte Tom McLowery dumm.
»Unsinn«, unterbrach ihn sein Bruder grob. »Ich rede mit Ike, und du redest nur, wenn du gefragt wirst, ist das klar?«
Der Bandenboß nahm sich einen Stuhl und setzte sich rittlings darauf.
»Wenn wir die Stadt völlig auf unsere Seite bringen wollen, können wir das nur, wenn die Earps nicht hier sind. Das ist doch wohl sonnenklar.«
»Wollten wir das nicht schon dreimal?« meinte Frank McLowery.
»Doch, aber jedesmal tauchte dann Wyatt Earp in der Stadt auf.«
»Er wird jedesmal hier auftauchen, wenn Virgil aus irgendeinem Grunde hier weg muß. Worauf wollen wir denn noch warten?«
»Eben«, entgegnete Ike. »Es ist völlig sinnlos, darauf zu warten, daß einmal keiner der Earps hier ist.«
Frank beugte sich vor. »Und obgleich Wyatt bedeutend gefährlicher ist als Virgil, bin ich dafür, daß wir jetzt handeln, denn er hat keine amtliche Funktion in Tombstone. Wenn er auch Marshal ist, für Tombstone hat er keine Bestallung. Er hat kein Recht, hier allein irgend etwas zu unternehmen.«
»Die Sache sieht viel schlechter aus, wenn Virgil auch hier ist. Dann kann er behaupten, den Marshal Earp zu seiner Unterstützung gerufen zu haben. Überhaupt ist es sein Recht, jeden x-beliebigen Menschen zu seiner Unterstützung aufzufordern.«
»So könnte ihn also auch niemand hindern, etwa Doc Holliday als seinen Helfer auftreten zu lassen?« wollte Ike wissen.
Die Frage war an Frank McLowery gerichtet, der sich offenbar in diesen Dingen am besten auskannte.
»Ganz recht, Ike. Virgil ist Federal Deputy Marshal und kann seine beiden Brüder und genauso Doc Holliday als seine Helfer bestellen. Dagegen ist nichts zu machen.«
Ike Clanton stützte sein kantiges Kinn in seine prankenartigen Hände. »Hm, wie sieht es dann mit Jonny Behan aus?« fragte er lauernd.
In Frank McLowerys Gesicht stand wieder sein diabolisches Lachen.
»Diesen Gedanken hatte ich längst schon, Ike, aber leider steht es mit Behan nicht genauso. Er ist kein Bundesmarshal, sondern nur ein kleiner Stadtsheriff. Eigentlich nicht einmal das, denn Shibel hat ihn schließlich nur zum Hilfssheriff von Tombstone bestellt. Wenn er Leute einstellen will, braucht er erstens Shibells Zustimmung und zweitens die des Bürgerrates.
In der Runde herrschte Schweigen.
Da erhob sich Ike Clanton geräuschvoll und schob den Stuhl mit dem Fuß zurück.
»Also ist mit dem verdammten Gesetz nichts zu machen.«
Frank senkte den Kopf. »Nein, für uns nicht, Ike.«
»Well«, sagte der Bandenchief gepreßt, »es kommt also auf das heraus, was ich immer gesagt habe: der Kampf, der offene Kampf gegen die Earps. Wenn wir diese Bande mit dem Stern aus Tomb-
stone vertreiben wollen, müssen wir ganz einfach kämpfen. Wir müssen den Revolver dazu benutzen. Das ist unsere einzige Chance.«
Es wurde an die Tür geklopft, und auf Ikes Herein schob sich in die Tür eine massige untersetzte Gestalt, die durch die fast bis zu den Knien herunterhängenden Hände etwas Affenartiges an sich hatte.
Das schreiend rote Hemd stand über der Brust offen. Der Mann trug einen Melbaschlapphut, einen ungepflegten Schnauzbart, enge Lewishosen und über beiden Oberschenkeln je einen 45er Revolver. Es war der Bandit Curly William Brosius, der unter dem Namen Curly Bill eine düstere Popularität im County genoß.
»Es ist gut, daß du kommst«, sagte Ike. »Eigentlich müßte Pete Spence und Henniger auch kommen. Ich habe sie benachrichtigen lassen.«
Der Affenmensch stellte sich breitbeinig vor die Tür, schob sich den Hut aus der Stirn und hakte die Daumen hinter den Waffengurt.
»Wyatt Earp ist in der Stadt«, sagte er mit kehliger Stimme.
»Was du nicht sagst?« höhnte Frank McLowery.
»Er hatte eine Schießerei auf der Allenstreet mit einem fremden Burschen.«
»Thorpe«, entfuhr es McLowery. »Verdammt, dieser Idiot. Habe ich ihm nicht gesagt, daß er verschwinden soll?«
»Ist das der Bursche, der die Bank überfallen hat?« wollte Ike wissen.
»Ja.«
Ike zündete sich eine Virginia an.
»Stilwell«, gebot er dem Messerwerfer. »Du hast ja ohnehin noch eine Nuß mit ihm zu knacken. Du sorgst mir dafür, daß der Junge ausgelöscht wird.«
»Vielleicht können wir ihn brauchen«, meinte Tom McLowery.
»Wir können ihn nicht brauchen«, meinte sein Bruder kühl.
»Verschwinde, Stilwell, und du, Clayborne, gibst ihm Rückendeckung.«
Der alte Heckenschütze Billy Clayborne nickte, erhob sich und stakste zur Tür.
Da fing ihn Ike Clanton ab.
»Und vergiß nicht, Bill, dein spezieller Freund Wyatt Earp ist in der Stadt. Wenn du wieder mit ihm zusammengerätst, wird er kaum noch ein Pardon kennen.«
Clayborne spie einen Priem aus, nickte gleichmütig und ging hinaus.
Frank Stilwell blieb neben Ike stehen.
»Was ist mit Behan? Gehört der zu uns oder nicht?«
»Behan?« kam es verächtlich von den Lippen des Bandenführers. »Ich weiß gar nicht, ob ich stolz darauf wäre, wenn dieser Laffe zu uns gehörte.«
»Dazu besteht auch sicherlich nicht der geringste Grund«, setzte der ältere McLowery hinzu. »Aber trotzdem werden wir den Laffen brauchen. Schon um in der Stadt nicht völlig auf der verkehrten Seite zu stehen.
Die Earps tragen den Stern. Und dahinter können sie sich verschanzen. Sie – und der schnelle Holliday. Und wir? Wyatt hat weiß Gott intensiv dafür gesorgt, daß jeder über uns Bescheid weiß. Die Sache wird entschieden undurchsichtiger, wenn auch wir einen Mann mit einem Stern bei uns haben.«
»Einen Mann mit dem Stern«, spöttelte der kleine Clanton. »Ihr müßt alle miteinander verrückt sein, wenn ihr glaubt, daß irgend jemand Jonny Behan ernst nehmen wird. Wenn Wyatt Earp will, braucht er ihn nur einmal laut anzusprechen, und der Sheriff würde die nächste Postkutsche nehmen.«
»Das wäre vielleicht auch das beste für ihn«, meinte Frank. »Für ihn, aber nicht für uns. Wir brauchen Jonny Behan. Auch wenn er nicht gutwillig auf unserer Seite stehen will, brauchen wir ihn trotzdem.«
»Er wird schon auf eurer Seite stehen«, meinte Billy. »Er hat ja Angst vor dir, Frank, und vor allem vor Ike. Mit so einer Pappfigur könnt ihr doch machen, was ihr wollt.«
Während oben in dem Hinterhof Ike Clanton und seine engsten Freunde berieten, wie sie die lästigen Earps ausschalten könnten, ging der Mann, um den sich die Banditen den Kopf zerbrachen, gerade vom Vorbau des San Jose Houses in Richtung auf das Stage Theater zu.
Plötzlich blieb Wyatt stehen. Er hatte gegen die weiße hervortretende Wand des Theaters die Silhouette eines Mannes gesehen.
Indian Charly!
Wyatt ging langsam weiter. Er hielt sich vornübergebeugt und ging mit schleppendem Schritt wie ein bedeutend älterer Mensch.
Der Mestize ließ sich auch prompt täuschen.
Wyatt war schon fast an ihn herangekommen, als der Indianer plötzlich zusammenzuckte. Es war wohl mehr sein Instinkt, der ihn hatte ahnen lassen, wer da herankam.
»Der Marshal«, entfuhr es ihm.
»Hallo, Charly. Wie geht’s?«
Der Mestize schluckte. »Thanks, Mr. Earp. Ich warte hier auf den Sheriff.«
»Aha.«
Er hat einen Auftrag für mich.«
»Aha. Hoffentlich lohnt es sich zu warten.«
Zum Schrecken des Halbbluts wandte sich der Missourier in den Hof.
Indian Charly sah die mächtigen Schultern des Marshals, die in einem weißen Hemd steckten und aus der kurzen schwarzen Weste hervorsahen. Da fuhr seine Hand zum Messer.
Wie ein Phantom wirbelte der Mann aus Missouri herum, und ein linker Backhander detonierte am Jochbein des heimtückischen Mestizen.
Wyatt nahm den federleichten Mann auf die Arme und trug ihn in den Hof. Er stieß die Tür auf und ging die Treppe hinauf.
Ike Clantons dröhnende Stimme erfüllte den ganzen Hausflur.
Dann klopfte der Marshal oben an, stieß gleich die Tür auf, trat ein und warf den betäubten Wächter dem Bandenführer vor die Füße.
»Hallo, Gents«, grüßte er. »Ich weiß, daß ich zu dieser Party nicht geladen bin, aber unten am Tor stand ein Bursche, der mit dem Messer spielte. Ike, wenn du keine besseren Wächter hast, ist das ein ziemlich trübes Spiel, das du hier mit uns spielst.«
Donnernd fiel die Tür hinter dem Missourier zu.
Die Banditen verharrten wie erstarrt auf ihren Plätzen.
Ike Clanton war dunkelrot vor Wut geworden. Frank McLowery saß aschfahl am Tisch und hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen.
Nur der kleine Billy Clanton lehnte lässig am Fenster und lachte leise in sich hinein.
»Halt’s Maul!« glaubte sein Bruder Phin ihn anfahren zu müssen.
Billy ging zur Tür. »Und gegen den Mann wollt ihr die Gipsfigur Behan aufstellen? Ich glaube, Ike, daß du dir da noch etwas anderes einfallen lassen mußt.«
Billy ging hinaus.
Und während Indian Charly sich ächzend aufrichtete, schleuderte Ike seine Virginia wütend aus dem Fenster.
»Also Kampf! Blutigen Kampf!«
Frank McLowery erhob sich und stützte die Hände in den Rücken.
»Trotzdem, Ike, wir brauchen Jonny Behan auf jeden Fall. Selbst wenn es uns jetzt gelänge, den Marshal zu überfahren und die Leute dazu schweigen, würden sie doch nicht vergessen, daß er ein Gesetzesmann war und wir also gegen das Gesetz gehandelt hätten. Eines Tages bekämen wir es dann zu spüren. Es ist einerlei, wann das ist, aber dann ist es gefährlich. Und um das zu vermeiden, brauchen wir Jonny Behan.«
In rasendem Zorn versetzte Ike Clanton einem Sessel einen Fußtritt, der dann krachend an der Wand zerbarst.
»Behan!« schrie er. »Ich kann diesen Namen nicht mehr hören. Bei wem sollen wir denn mit diesem Kerl Eindruck schinden? Beim Mayor vielleicht? Glaubt ihr vielleicht, daß es uns einer abnimmt, daß unsere Sache die Sache des Gesetzes ist, nur weil wir diesen lausigen Jonny Behan auf unserer Seite haben?«
»Vielleicht genügt es schon, wenn er nicht gegen uns ist«, suchte Frank einzulenken. »Ich meine damit natürlich, daß wir dafür sorgen müssen, daß er weiterhin gegen die Earps steht.«
»Dafür kann man ja sorgen«, meinte Churly Bill knurrend. »Ich werde diesem Burschen schon einheizen. Wenn er nicht gefügig ist, dann mache ich ihm Dampf.« Bei diesen Worten schlug er bedeutungsvoll mit seiner geballten behaarten Rechten in seine offene Linke.
»Nichts da«, zischte Ike. »Du wirst gefälligst deine dreckigen Pfoten von ihm lassen, sonst läuft er uns noch weg, ehe es noch soweit ist. Und wir haben es ja gehört, daß Frank sagt: »Wir brauchen ihn.«
Es war eine Weile still.
Dann fragte Tom McLowery: »Und was soll nun passieren? Glaubt ihr vielleicht, daß ihr Behan mit in den Fight schleppen könnt?«
»Das muß ja eben beraten werden«, entgegnete sein Bruder.
Es ließ sich nicht leugnen, daß die Banditenversammlung durch das Auftreten des Marshals für diesen Abend so gut wie aufgeflogen war.
Als Ike Clanton die Treppe hinunterstampfte, fluchte er laut vor sich hin.
Sie hatten sich am nächsten Tag im Crystal Palace verabredet. Da sollten dann auch die anderen dabei sein, die heute nicht kommen konnten.
*
Frank Stilwell und Billy Clayborne standen in der Allenstreet zwischen dem O.K. Corral und Quong Kee’s Can-Can Restaurant.
»Er ist also ganz sicher im Jail?« fragte Stilwell krächzend.
Clayborne nickte. »Yeah, ich habe es doch gesehen.«
Jonny Behan hockte am Tisch und polierte seinen Waffengurt.
Es war Billy Clayborne offensichtlich unwohl bei diesem Auftrag zumute. Noch steckte ihm der harte Zusammenprall mit Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short in Harderyke in den Knochen. Ganz sicher würde der Marshal diesmal, wenn er wieder mit ihm zusammengeriet, keine Gnade kennen. Deshalb hatte Clayborne sich vorgenommen, bei der befohlenen Aktion möglichst im Dunkeln zu bleiben.
Und je länger sie hier herumstanden, desto größer wurde die Gefahr, daß der Marshal hier aufkreuzte.
»Vorwärts, Frank. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Worauf wartest du noch? Geh rüber und mach ihn fertig!«
»Und Behan?« krächzte der Messerwerfer. »Was ist mit ihm?«
»Schick ihn raus.«
»Bist du verrückt?« empörte sich Stilwell. »Dann weiß er doch, daß ich den Jungen kaltgemacht habe.«
»Das wird sich ja wohl nicht vermeiden lassen.«
»Ich bin doch nicht wahnsinnig. Jonny Behan ist glatt imstande und sagt dem Marshal, was er weiß. Bei dem Kerl bist du dir doch nie im klaren darüber, was er tun wird.«
»Du mußt ihn hinauslocken, Bill.«
»Ich?« verwahrte sich Clayborne erschrocken. »Damit er nachher mich in Verdacht hat, den Tramp ausgelöscht zu haben!«
»Aha«, zischte Stilwell, »damit gibst du also zu, daß er denjenigen, den er sieht, mit dem Tod Thorpes in Verbindung bringen und gleich an Wyatt Earp verraten wird.«
Unschlüssig standen die beiden Verbrecher in der Mauernische und zerbrachen sich die Köpfe nach einem Ausweg.
Diesen Ausweg schien der Nachtwind plötzlich in der Gestalt des sechzigjährigen Minenarbeiters Henry Clooster in die Allenstreet getrieben zu haben.
Der Alte hatte heute seinen Lohn ausgezahlt bekommen, und da er wegen seiner schwarzen Haut von den weißen jungen Miners unten in den verräucherten Schenken der Toughnut Street bei den Minencamps gemieden wurde, hatte er seine Dollars hier oben im Oriental Saloon in Whisky umgesetzt.
Da hatten sie ihn gewaltig ausgenommen, und stark angetrunken und laut krachend torkelte der Alte durch die Allen-street am Sheriffs Office vorbei.
»Damned«, meinte Stilwell zischend. »Jetzt hat Behan, dieser feige Hund, seine Lampe ausgemacht, anstatt den Kerl da zur Ruhe zu bringen.«
Da rannte Bill Clayborne los und hämmerte gegen die Tür des Offices.
»He, Behan!« schrie er mit verstellter Stimme. »Wollen Sie diesen Lärm nicht abstellen?«
Er hämmerte mit beiden Fäusten so lange gegen die Tür, bis der in die Enge getriebene Sheriff das Licht wieder anzündete und endlich die Tür öffnete.
Stilwell hatte sofort begriffen und war in die Türnische des Offices gesprungen. Clayborne selbst hatte sich in den nächsten Häuserspalt verkrochen.
Jonny Behan erschien in der Tür. Er hatte eine Winchester in der Hand und kam auf den Vorbau.
»He, Alter. Wollen Sie endlich Ruhe geben!« rief er mit unsicher krächzender Stimme.
»Was ist denn los, Sheriff?« belferte der Neger. »Wenn eine Schießerei ist – lassen Sie sich nicht sehen. Und wenn ein alter armer Nigger mal einen über den Durst getrunken hat – kommen Sie gleich mit der Flinte an die Tür. Sie können mir gestohlen bleiben – Jonny Behan!«
Wütend hatte sich der Sheriff bis an die Vorbautreppe herangeschoben.
»Was fällt Ihnen ein, Mann. Ich kann Sie einsperren.«
»Hahahahaha«, lachte der Neger dröhnend.
Und in diesem Lärm sprang der Messerwerfer Stilwell aus der Türnische heraus und huschte ins Büro.
Böse flackerte es in seinem verschlagenen Banditengesicht auf, als er Jim Thorpe auf der Pritsche in seiner Zelle liegen sah.
»He, Thorpe«, rief er, weil er den Mann aus seiner liegenden Stellung, in der er ein schlechtes Ziel für das Messer bot, hochlocken wollte.
Der Nogalesmann fuhr hoch.
Da blitzte das Messer in der Hand Frank Stilwells auf.
Aber die Sicherheit, die den Verbrecher sonst bei seinen Würfen auszeichnete, hatte ihn verlassen. Die Klinge streifte eine Eisenstange der Gittertür und wurde abgefälscht. Sie landete in der Zelle.
Stilwell wußte, daß er jetzt blitzschnell handeln mußte, denn der Sheriff konnte jeden Augenblick zurückkommen.
Er riß sein zweites Messer aus dem Gurt, sprang näher an die Gittertür – und ein brüllender Schuß fauchte durch das zersprungene Hoffenster in den Raum und ließ den Messerwerfer laut aufbrüllen.
Jonny Behan draußen auf dem Vorbau erschrak bis ins Mark, fuhr herum und kam auf zitternden Beinen ins Office gestürzt, wo er Frank Stilwell entdeckte, der seine blutende Rechte mit verzerrtem Gesicht an die Brust preßte.
Die Hoftür wurde aufgestoßen, und die riesige Gestalt Wyatt Earps schien ihren Rahmen auszufüllen. In der linken Hand hielt der Marshal noch seinen rauchenden Buntline Special.
»Er wollte mich erstechen!« schrie Jim Thorpe, während er sich auf das Messer stürzte, das bei ihm in der Zelle lag. »Ich werde den Hund bestrafen!«
Wyatt Earp stieß den Revolver auf den Nogalesman vor. In seine rechte Hand flog der schwarzkolbige Fünfundvierziger, dessen Mündung dann auf Frank Stilwell gerichtet war.
»Behan, nehmen Sie diesem Banditen den Waffengurt ab und sperren Sie ihn in eine Zelle.«
Der Sheriff tat, was ihm gesagt wurde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und weißer Nasenspitze ließ sich der Messerwerfer Stilwell in die Zelle führen.
Wyatt Earp ließ den Fünfundvierziger mit einem Handsalto ins Halfter fliegen und trat an Thorpes Zelle heran.
»Das Messer!«
Mit zuckenden Lippen kam der Bandit näher und reichte ihm das Messer heraus.
»Was soll das, Marshal?« zeterte er dann los. »Weshalb wollte mich dieser Kerl da umbringen? Was habe ich mit ihm zu schaffen? Was ist das für eine Stadt, dieses Tombstone, wo Leute, die im Jail stecken, von Messerhelden bedroht werden?«
Wyatt lud die verschossene Patrone nach und schob den großen sechskantigen Revolver ins Halfter zurück.
»Es ist nicht meine Stadt, Jim Thorpe. Und nun halten Sie Ihren Rand, sonst hole ich Sie raus, und dann unterhalten wir uns noch einmal über alles.«
Jonny Behan hatte die Winchester noch in der Hand, als er den Schlüsselbund wieder an den Wandhaken hängte.
Er hatte den Schrecken, den der ganze Vorgang ihm verursacht hatte, noch nicht überwunden. Und es war ihm deutlich anzusehen, daß ihm die zwei Gefangenen bedeutend unwillkommener waren, als es schon der eine gewesen war.
»Was soll ich jetzt mit dem anfangen?« knurrte er vor sich hin.
»Thorpe kommt wegen Raubes vor den Richter, und Frank Stilwell wegen versuchten Mordes.«
Ohne den Marshal anzusehen, knurrte Behan: »Weshalb nehmen Sie nicht wenigstens Stilwell hinüber in Virgils Office? Da gibt’s doch auch Zellen.«
»Wofür werden Sie eigentlich bezahlt, Mr. Behan? Etwa dafür, daß ich hier die Banditen in das Jail meines abwesenden Bruders sperren soll? Sie haben ein fatales Talent, immer das Falsche zu tun, Jonny Behan. Wer den Stern nimmt, muß für den Stern kämpfen. Und wem er zu schwer geworden ist, der muß ihn abgeben.«
Da sprang Thorpe an die Gittertür. »Da haben Sie es, Sheriff«, hetzte er. »Was habe ich gesagt? Der Marshal will Sie fertigmachen, nichts anderes. Wozu haben Sie Freunde wie Ike Clanton und Frank McLowery, wenn Sie sich von Wyatt Earp wie ein kleiner Schuljunge behandeln lassen?«
Der Marshal wandte den Kopf.
»Er wird wie ein Schuljunge behandelt, weil er sich wie ein Schuljunge benimmt. Und Ihnen habe ich gesagt, Thorpe, daß Sie Ihr Maul halten sollen. Ich habe heute abend zwei Depeschen bekommen. Eine war aus Santa Fé. Die andere vom Sheriff von Pearce. Hoffentlich sagt Ihnen das was, Thorpe.«
*
Die heiße Nacht von Tombstone war vorüber. Flammendrot wie jeden Morgen stieg die Sonne im Osten auf und warf gleißende Strahlenbündel in die Straßen.
In seinem kleinen Haus unten in der Toughnutstreet, gleich neben dem Court House, wo er seines Amtes zu walten hatte, war Richter O’Neil eben aufgestanden, hatte sich rasiert, gewaschen und in ein frisches Hemd gesteckt, als hinten im Hof die Tür ging.
Verblüfft sah sich der Mann um und blickte aus dem Fenster.
Auf dem Hof stand ein gesatteltes Pferd.
O’Neil zog rasch seine Hose an und stürmte die Treppe hinunter.
Im halbdunklen Hausflur sah er einen Mann. Er war staubbedeckt, trug einen Stetson, ein grünes Hemd und eine kurze Weste, wie sie die Cowboys trugen. Auch die ledernen Chapperals und die Bullpeitsche, die er am Waffengurt hängen hatte, wiesen ihn als Weidereiter aus.
»Sie sind Richter O’Neil?« fragte er rauh.
Der Richter nickte. »Yeah, und wer sind Sie?«
»Mein Name tut nichts zur Sache, O‘Neil. Ich habe Ihnen lediglich eine Botschaft zu übermitteln.«
»Ja?«
»Frank Stilwell ist im Jail.«
»Ja, Wyatt Earp hat ihn wegen Mordversuchs festgenommen.«
»Das geht mich nichts an«, entgegnete der Reiter schroff. »Ich habe Ihnen nur mitzuteilen, daß Frank Stilwell auf jeden Fall freigesprochen werden muß.«
Der Richter zog die Stirn in harte Falten.
»Was soll das heißen? Wenn Wyatt Earp ihn wegen Mordversuchs festgenommen hat, und wenn Jonny Behan Zeuge ist, dann kann ich doch nicht…«
»Behan ist nicht Zeuge!«
»Wie wollen Sie das wissen? Es ist bei ihm durchaus möglich, daß er…«
»Es ist nicht möglich!«
»Und, was verlangen Sie von mir? Soll ich etwa im Angesichts des Marshals einen Mann freisprechen, der schuldig ist?«
»Wyatt Earp wird bei der Verhandlung auch nicht dabei sein.«
»Aber ich verstehe Sie nicht. Wie denken Sie sich das denn, Mann? Ich kann doch nicht…«
»Sie können, was Sie müssen, Richter«, schnitt der Reiter ihm schroff die Rede ab.
Der Mann verließ den Flur und trat in den Hof. Wortlos setzte er sich auf seinen Gaul und trabte davon.
Richter O’Neil rieb sich verzweifelt über die Stirn.
So stand das also wieder. Ike Clanton hatte einen Boten geschickt. Nein, natürlich hatte der Mann kein Wort von Ike Clanton gesagt, und niemand würde beweisen können, daß der etwas mit der Sache zu tun hatte, aber andererseits gab es keinen Menschen in der Stadt, der daran zweifelte, daß die Clantons dahinter steckten.
O’Neil machte sich sofort und ohne Morgenkaffee auf den Weg zum Marshals Office.
Wyatt Earp war nicht da.
Ein Hausknecht aus dem Occidental Saloon sagte, während er den Tabakpriem in seinem zahnlosen Mund hin und her schob: »Der Marshal wohnt bei Nellie Cashman.«
Nellie Cashman machte große Augen, als der Richter sie nach dem Marshal fragte.
»Ja, er hat hier ein Zimmer, aber er wurde heute im Morgengrauen von einem Cowboy der Hattaway Ranch abgeholt. Da oben sind Rinder gestohlen worden, und auch noch andere Dinge passierten, soviel ich erfuhr.«
Richter O‘Neil zerknautschte seinen Hut vor Wut und knirschte: »Verdammte Schweinerei.«
Der Richter stampfte vor sich hin murmelnd hinaus.
Nellie Cashman hatte den Zeigefinger an ihre Nasenspitze gelegt und stieß einen kleinen Pfiff aus.
»Bill!«
Ein etwa fünfzehnjähriger Bursche, der im Hof mit einer Arbeit beschäftigt gewesen war, kam herein.
Die Boardinghouse Ownerin flüsterte ihm etwas zu, und der Junge rannte gleich darauf hinaus, um den Auftrag seiner Patronin auszuführen.
*
Jonny Behan hatte sich für diesen Tag umgekleidet. Er trug einen braunen Anzug, eine braune Weste mit Aufschlägen, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte. Dazu hatte er seinen schmalrandigen steifen Californiahut aufgesetzt.
Als Frank Stilwell ihn in diesem Aufzug ins Office kommen sah, brach er in eine dröhnende Lache aus.
»He, Thorpe!« rief er dem Mann zu, den er noch vor wenigsten Stunden hatte ermorden wollen. »Sieh dir den Pfingst-ochsen an! Hat er sich nicht toll herausgeputzt?«
Thorpe erwiderte nichts. Er hätte Stilwell am liebsten zwischen seinen prankenartigen Händen erwürgt.
Der Messerwerfer feixte.
»Weißt du auch, weshalb sich der Sheriff so fein gemacht hat, Thorpe? Wegen uns. Yeah, das kennst du noch nicht. Wenn Mr. Behan einen Gefangenen in die Verhandlung unten im Court House führt, einen Burschen, der todsicher an den Strick kommt, dann maskiert er sich so. Haha! Vielleicht bildet er sich ein, daß er dann würdiger aussieht.
Gib dir keine Mühe, Behan, auch mit diesem Plunder wirkst du nicht. So etwas steht vielleicht Doc Holliday – aber nicht einer solchen Vogelscheuche wie dir.«
Der Sheriff nahm die Winchester aus dem Gewehrständer und lud sie durch.
Stilwell zog die Brauen für einen Augenblick zusammen und brüllte dann in einer widerlichen Lache los.
»Jetzt will er uns mit der Flinte einschüchtern! Wie findest du das, Thorpe?«
Auch dazu schwieg der Nogalesman.
Stilwell schob sein Galgenvogelgesicht zwischen zwei Gitterstäbe und krächzte:
»Ich würde mich nicht so aufplustern, Jonny Behan. Ich kann dir nämlich was verraten: Der liebe Frankyboy wird weder verurteilt noch aufgebummelt. Wie findest du das? Yeah, da sagst du gar nichts mehr. Aber bist du denn tatsächlich so irrsinnig gewesen zu glauben, daß so etwas hier durchläuft? Dachtest du denn, Ike Clanton würde mich so vor die Hunde gehen lassen. Du bist wirklich ein armer Tropf, Behan, wenn du das geträumt hast. Und die Winchester stellst du besser wieder in den Ständer. Könnte sein, daß meine Freunde böse werden, wenn sie dich mit der Kanone sehen…«
Es blieb eine Weile still.
Der Sheriff hatte sich in Türnähe postiert und umkrampfte das Gewehr mit beiden Händen.
Da setzte der Messerwerfer seine Hetze weiter fort:
»Auf wen wartest du eigentlich, Sheriff? Etwa auf die Boys, die uns zum Court House bringen sollen? Da wirst du lange warten. Und wenn du etwa davon träumst, daß Wyatt Earp eingreift, hast du einen Alptraum gehabt, Junge.
Stell dir das vor, Thorpe, dieser saubere Sheriff, der uns an den Galgen liefern will, hofft auf Wyatt Earp. Er hofft auf den Marshal, der ihm beistehen soll, wenn wir zum Court House gebracht werden.«
Thorpe schwieg weiterhin.
Und der Mann an der Tür spürte, wie ihm der Schweiß unter dem Hutrand hervor in die Augenbrauen rann.
Jonny Behan öffnete die Tür und ging hinaus. Vielleicht gerade eben noch früh genug, um sich keinen großen Ärger einzuhandeln.
*
Sie kamen von Westen.
Und sie ritten nebeneinander, mit erhobenen Köpfen, staubgepudert, mit harten, rauhen, verwegenen Gesichtern und farblosen Augen. Einer glich dem anderen, wie weiße Billardkugeln einander glichen.
Sie trugen graue Hüte, blaue Halstücher, graue Hemden, braune kurze Lederwesten und braungraue Hosen, die über die hochhackigen Stiefel ausliefen. Jeder von ihnen trug zwei vierundvierziger Revolver an den Hüften.
Sogar ihre Pferde waren kaum voneinander zu unterscheiden.
Es waren die Harper Brothers. Jeff, Kid und Hale Harper, drei Männer, die man in Tombstone lieber auf dem Mond als in der Stadt gewußt hätte.
Mit erschrockenen Mienen musterten die Bürger die drei Reiter, die langsam und irgendwie unheilverkündend in die Allenstreet einritten, ehe sie vor dem Crystal Palace von den Gäulen stiegen. Sie machten die Zügelleinen an den Querholmen fest und betraten den niedrigen Vorbau. Auch hier blieben sie nebeneinander.
Und ehe Jeff die Pendeltür aufstieß, sah er noch einmal westwärts die Straße hinunter.
Ebenso hielten es die beiden anderen.
Der dicke Foster Gennan wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah sich nach allen Seiten um. »He, Bird, hast du das gesehen…?«
Der kleine Bird Vielliers, dessen Gesicht mit Warzen bedeckt war, nickte nur kurz, rannte in seinen Laden, schloß die Tür ab und zog die Papierläden herunter. Dann hing er ein Schild hinter das Türglas: Geschlossen wegen Trauerfall.
Foster Gennan hatte es beobachtet und sah sich nach seiner Schneiderin um. Dann rannte auch er heim und verschloß alle Türen.
Aber bald darauf erschien er wieder auf der Straße und stürmte auf das Marshal Office zu.
Es war verschlossen.
»Verdammt noch mal!« keuchte der Dicke und rüttelte sinnloserweise an dem Drücker hin und her.
»Virgil ist in Santa Fé!« rief ihm der zahnlose Alte aus dem Occidental Saloon zu.
»Und Wyatt?« fragte Gennan keuchend. »Ich denke, Wyatt Earp ist in der Stadt?«
Der Alte zog die Schultern hoch und schnäuzte sich umständlich. Dann schob er in den Hof des Saloons davon.
Gennan sah sich mit angstgeweiteten Augen auf der Straße um.
Sie war plötzlich menschenleer.
»Keiner mehr da!« stieß er tonlos hervor. »Sie haben sich wieder alle verkrochen, diese feigen Hunde.«
Und dann fiel ihm der Sheriff ein. Hell and devils, zu was hatte man denn einen Sheriff in der Stadt?«
Er stampfte hinüber und riß die Tür auf.
»Sheriff! Sie müssen sofort kommen! Die Harper Brothers sind in der Stadt! Behan…! Wo stecken Sie denn?«
Eine diabolische Lache ließ den Schneider zusammenfahren. Er wandte sich zur Seite und sah aus dem Halbdunkel des Zellentraktes das pockennarbige Gesicht Frank Stilwells hervorschimmern.
Der Bandit hatte die Zähne gebleckt und die Augen zu schmalen Strichen zusammengezogen.
»Was sagst du da, Fleischkloß? Die Harper Brothers? Aber das ist ja eine interessante Neuigkeit!
He, Thorpe, hast du das mitbekommen? Die Harper Brothers sind in der Stadt! Das wird ja einen Spaß geben, wenn der liebe Jonny uns nachher zum Court House bringen soll.«
Thorpe war von seiner Pritsche aufgestanden und kam an die Gittertür. »Wieso…?«
»Ach, das kannst du ja nicht wissen, Junge. Die Harpers sind Freunde von mir. Sie werden entschieden dagegen sein, daß der kleine Behan mich zum Court House bringt.«
Wo war der Sheriff? Suchte er etwa Wyatt Earp? Der dicke Gennan machte wieselflink kehrt und rannte davon.
Stilwells schrille Lache gellte hinter ihm her.
Sie waren nicht zufällig in die Stadt gekommen, die drei Harpers.
Die berüchtigten Revolverschwinger aus dem Graham County lehnten an der Theke des leeren Crystal Palaces und kippten sich den Whisky in die Kehlen.
Von der Clanton Gang war niemand zu sehen.
Da wurde die Pendeltür auseinandergestoßen, und Mayor Clum trat in den Schankraum. Mit kühlem Blick musterte der alte Herr die drei Tramps.
Kid Harper hatte sich umgedreht. Es geschah alles nach einem lange einstudierten Rezept bei den drei Brüdern. Sie drehten sich nie alle zusammen um. Das tat nur Kid.
Jeff hielt den Thekenspiegel im Auge, und Hale starrte in sein Glas. Aber das schien nur so, denn er sah zu den Fenstern hinüber.
Das Brüdertrio war wirklich mit allen Wassern gewaschen.
John Clum trat unerschrocken näher. »Wie war das doch, Gents, hat Virgel Earp euch drei nicht aufgefordert, aus Tombstone wegzubleiben?«
Kid feixte und warf einen Blick zu seinem Bruder Hale hinüber.
»Sieh dir den an, Hale, haben wir den alten Gaul nicht schon mal irgendwo wiehern hören?«
Hale feixte mit.
Und dann wirbelte Jeff plötzlich herum. Er hatte einen Revolver in der Hand.
Verschwinden Sie, Clum. Wir haben in der Stadt etwas zu erledigen.«
»Und was wäre das?« forschte der Mayor beharrlich.
»Das geht Sie nichts an!«
»Ich schätze doch!«
Der Revolverhahn knackte. »Ich habe gesagt, Sie sollen verschwinden!«
John Clum blickte in die grünen Augen des Banditen und nickte. »Well, ich werde gehen. Aber ich habe euch darauf aufmerksam gemacht, daß der Marshal euch die Stadt verboten hat!« Damit ging er hinaus.
Die drei wandten sich wieder um und beschäftigten sich mit ihrem Whisky.
Der Mayor stand mit sorgenvollem Gesicht auf dem Vorbau.
Drüben kam eben der Richter aus der Fifth Street. Als er den Mayor gewahrte, lief er mit erhitztem Gesicht auf ihn zu und berichtete, was geschehen war.
Clum rieb sich den grauhaarigen Kopf. »Damned, so soll die Geschichte also rollen? Hm, das haben sie sich nicht schlecht ausgedacht.«
»Wer…?«
»Wer? Das fragen Sie noch? Die Clantons natürlich. Sie selbst sind nicht so dumm, in Erscheinung zu treten. Ike plant seit langem einen Schlag gegen Virgil. Und höchstwahrscheinlich sieht er jetzt den Zeitpunkt gekommen. Frank Stilwell sollte den Burschen umbringen, der die Bank überfallen hat. Wyatt Earp hat es verhindert – und Stilwell festgesetzt. Wahrscheinlich störte dieser Jim Thorpe die Bande. Und nun ist alles schiefgelaufen, weil Wyatt Stilwell eingelocht hat.
Mit irgendeinem gemeinen Trick haben sie den Marshal aus der Stadt gelockt. Und nun kommen die drei Harpers.«
»Wer?« stammelte der Richter, der plötzlich glaubte, der Boden müsse unter seinen Füßen nachgeben.
Glasklar stand auf einmal jener Novembertag vor ihm, an dem Wyatt Earp die drei Harpers oben in der Freemont-street nach dem Überfall auf den Inhaber des Aztec Houses gestellt hatte. Er, Richter O’Neil, hatte die drei Banditen zu einem Jahr Straflager verurteilt, das sie drüben in Fort Worth abgebüßt hatten.
Und nun sollten ausgerechnet diese Männer wieder in Tombstone sein? – Und der Marshal war nicht da?
O’Neil blickte den Mayor verzweifelt an. »Das kann doch nicht wahr sein, John!« stammelte er.
»Doch, leider.«
»Und – wo sind sie?« In diesem Augenblick hatte der Richter aber schon die drei Füchse drüben vorm Crystal Palace gesehen.
Er wurde plötzlich aschgrau, und seine Linke tastete nach dem Herzen. Er wandte sich grußlos um und zuckelte mit kurzen, trippelnden Schritten davon.
Jonny Behan wußte, daß er die Gefangenen um neun Uhr ins Court House zu bringen hatte.
Es war zehn Minuten vor neun, als die drei Harpers den Crystal Palace verließen und auf die Straße traten. Sie bauten sich nebeneinander auf und gingen langsam vorwärts. Als sie die Höhe des Sheriffs Offices erreicht hatten, bleiben sie stehen.
Aber sie warteten vergeblich.
Jonny Behan kam nicht mit den Gefangenen heraus. Er kam überhaupt nicht.
Und Frank Stilwell und Jim Thorpe steckten noch in ihren Zellen. Da gab Hale Harper seinem Bruder Kid einen Wink.
Der ging mit staksigen steifen Reiterschritten auf Behans Bureau zu und öffnete die Tür.
Stilwell stieß einen heiseren Freudenschrei aus, als er den Genossen bemerkte.
»Kid…!« Er kannte die drei so gut, daß er zu den wenigen Menschen gehörte, die die Brüder unterscheiden konnten.
Kid Harper trat vor die Zellen und stemmte die Fäuste in die Hüften.
Stilwell sah ihn fragend an. »Kid! Hallo, old boy! Komm, schließ den Käfig auf und laß mich raus!«
»Wo ist der Sheriff?«
»Weiß der Teufel, wo sich dieser Kerl wieder verkrochen hat! Komm, schließ endlich auf.«
Mit einer Langsamkeit, die gewaltig an den Nerven des Messerwerfers zerrte, ging Kid zur Wand und holte den Schlüssel.
Ehe er öffnete, fragte er mit tückischem Blick: »Was gibst du denn aus, Frank?«
»Was – ich…?«
»Ja, was ist dir die Freiheit wert?«
»Bist du verrückt?« stammelte Stilwell entgeistert. »Vorwärts, schließ den Kasten endlich auf!«
In einer hämischen Lache öffnete Kid Harper endlich die Zelle.
Stilwell nahm sofort seine Waffen an sich und rannte auf die Straße.
Kid Harper sah in Thorpes Zelle. »He, was ist mit dir?«
Thorpe war aufgestanden. »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie mich auch rauslassen würden, Harper.«
»Wer hat dich denn eingelocht?« fragte der Tramp zögernd.
»Wyatt Earp!«
Diese beiden Worte schienen eine Blitzreaktion bei dem Verbrecher auszulösen. Er nahm den Schlüssel und stieß ihn in das Schloß.
Jim Thorpe trat heraus, reckte seine Glieder und nahm ebenfalls seine Waffen an sich.
Frank Stilwell hatte draußen seine beiden Freunde begrüßt, als ihm plötzlich der Auftrag einfiel, den ihm Ike Clanton gestern gegeben hatte.
»Augenblick noch, Boys, ich habe noch etwas zu erledigen, bin gleich wieder da!« Er rannte ins Office hinauf, blieb mitten im Raum stehen und starrte auf die offene Zellentür.
»Suchst du mich?« hörte er da hinter sich die Stimme des Hünen aus Nogales.
Ganz langsam wendete sich Stilwell um.
Jim Thorpe stand neben Kid Harper und hatte die Hände auf seine Revolverkolben gestützt.
Da kroch eine unechte Lache in Stilwells Gesicht. »Yeah, ich habe dich gesucht. Eben erst fiel mir ein, daß du ja noch in der Zelle steckst. Ich wollte dich herausholen.«
»Wenn du nur nichts anderes wolltest«, gab Thorpe bissig zurück.
Kid Harper knurrte. »Komm, wir haben keine Zeit, uns zu unterhalten.«
Frank Stilwell war gerissen genug, sich gleich aus dem Staub zu machen.
Thorpe blieb. Er hatte sich vorgenommen, auf den Sheriff zu warten, um von ihm ›sein‹ Geld zurückzufordern.
Die Harpers ließen sich auf den Vorbauten nieder und hielten das Sheriffs Office im Auge.
Der Nogalesman ging hinüber in den Crystal Place und stärkte sich erst einmal.
Der Keeper sah ihn forschend an.
»Was starren Sie mich so an, Mensch?«
»Ich – ich dachte nur, daß ich an Ihrer Stelle auf dem schnellsten Wege Reißaus nehmen würde.«
»Weshalb denn? Die Stadt ist doch frei. Hier kann jeder tun und lassen, was er will. Oder glauben Sie ernsthaft, daß irgend jemand Angst vor Jonny Behan hat?«
»Ganz sicher nicht. Aber Wyatt Earp wird wiederkommen.«
»He, das wird er sich gewaltig überlegen. Die drei Harpers sind schließlich in der Stadt.«
Ein verächtliches Lächeln huschte über das Gesicht des Barmannes. »Glauben Sie wirklich, daß der Marshal sich etwas aus drei Männer macht?«
»Es sind die Harpers! Und sie haben mit ihm abzurechnen.«
Der Keeper nickte. »Ja, so wird’s wohl sein.«
Und Jim Thorpe hatte nicht begriffen. Er baute auf die drei Verbrecher, deren Ruf so übel war, daß es selbst vor Jahren schon in Nogales keinen Menschen gegeben hatte, der noch nichts von ihnen gehört hatte.
»Und außerdem…«, sagte Thorpe, während er sein Glas austrank, »die Clantons sind da.«
»Jaja, das waren sie schon immer, Mister.«
Thorpe stieß sein Glas so hart auf die Theke auf, daß es zersprang. »Was wollen Sie eigentlich, Mensch? Wer sind Sie, he? Ein dreckiger Whiskypanscher, der sein Maul ziemlich weit aufreißt. Sie wissen anscheinend noch nicht, was es hier in der Stadt geschlagen hat, he? Der Boot Hill ist besetzt, bis auf vier Plätze, die hat Ike Clanton noch freigelassen für seine Freunde…«
Der Keeper riß die Augen auf. »Was sagen Sie da?«
»Vier Gräber sind noch leer!« stieß Thorpe scharf hervor. »Und Ike Clanton wird dafür sorgen, daß die vier Männer da hineinkommen, die in Tombstone zu laut geworden sind.«
»Und wer sollen diese vier Männer sein?« wollte der kleine Keeper nun wissen.
Jim Thorpe beugte sich über die Theke, als habe er dem Keeper ein Geheimnis mitzuteilen. Und dann wiederholte er die Worte Frank McLowerys:
»In Tombstone sind vier Männer zuviel: Wyatt Earp, Doc Holliday, Virgil Earp und Morgan Earp.«
Danach ging er hinaus, ohne zu zahlen.
Billy Clayborne hatte sich in der Nacht nicht zu den anderen zurückgetraut. Er war zu seinem Onkel Nat Lester in die Toughnutstreet gegangen und hatte dort geschlafen. Gegen neun Uhr hatte er sich dann in die Allenstreet gewagt – und zu seiner größten Verwunderung die drei Harpers mit Frank Stilwell da stehen sehen.
Mit raschen Schritten lief er auf die Männer zu.
Die Harpers begrüßten ihn.
Doch Stilwell blickte ihn finster an. »Hattest du nicht einen Auftrag von Ike bekommen?« krächzte der Messerwerfer den Komplicen an.
Clayborne legte den Kopf auf die Seite und entgegnete mit zynischem Lächeln: »Mir scheint, daß der Boß dir den Auftrag gegeben hat, Frank.«
Stilwell fühlte, daß der Zorn in ihm aufstieg. Aber ehe er etwas unternehmen konnte, sagte Hale Harper knurrig: »Schluß, wir haben andere Dinge zu bedenken, als euren persönlichen Streit! Ike hat gesagt, daß wir eine Chance hätten, mit Wyatt Earp abzurechnen. Er soll allein hier sein.«
»Ist er auch!« sagte Billy Clayborne schnell, denn ihm war keineswegs daran gelegen, sich mit Stilwell herumzuschlagen.
Drüben im Häuserspalt hinter einem wildwuchernden Gestrüpp stand der Sheriff. Er hatte das Gewehr in den heißen Händen und lauschte auf die Straße hinaus.
Well, er hätte jetzt hinausgehen müssen, um Stilwell und Thorpe festzunehmen. Aber dazu fehlte ihm einfach die Kraft.
Und plötzlich hörte er Hufschlag.
Auch Stilwell, Clayborne und die Harpers hatten den Hufschlag gehört. Ebenso Jim Thorpe, der gerade den Crystal Palace verlassen hatte.
Ein Mann war von Westen her in die Allenstreet eingeritten. Er war mittelgroß, untersetzt und hatte ein wahres Affengesicht.
Curly Bill!
Stilwell rannte ihm schreiend entgegen. »Bill! Mensch, gut, daß du kommst!«
Der Desperado rutschte bei den Männern aus dem Sattel. »Was ist denn eigentlich los?«
Billy Clayborne sah ihn finster an.
»Hat Ike dich etwa in die Stadt geschickt?«
Brozius stieß einen Fluch aus. »Was heißt geschickt! Ich habe etwas zu erledigen hier. Ike ist mit den anderen draußen auf der Ranch. Ich habe nur noch gehört, wie er Asse Diderichs gestern abend nach den Harpers wegschickte, dann bin ich gegangen.«
Clayborne, der offenbar den meisten Grips in dieser Runde hatte, meinte: »Ike hat die Harpers bestimmt nicht bestellt, daß wir uns hier mit ihnen herumtreiben, Bill.«
Brozius stieß einen Fluch aus.
»Ich will dir was sagen, Clayborne, ich bin kein Schuljunge. Ich tue, was ich will, verstehst du. – Ich bin nach Tombstone geritten, um mit Wyatt Earp abzurechnen. Yeah, da seht ihr mich dumm an, ihr Ochsen. Ich habe nämlich eine Rechnung mit ihm…«
»Und wir?« fauchte Hale Harper. »Wir etwa nicht?«
Stilwell ballte die Fäuste. »All right, ich habe auch eine alte Sache mit ihm zu begleichen. Ich bleibe auch.«
Billy Clayborne schlug sich gegen die Stirn und machte, daß er wegkam. Er wußte genau, daß Stilwell den Burschen aus Nogales nicht erledigt hatte…
Es war eine knappe Viertelstunde vergangen, als aus der Fünften Straße ein Reiter in die Allenstreet sprengte.
Wyatt Earp!
Die Banditen fuhren hoch.
Frank Stilwell war so nervös, daß er sofort schoß.
Der Marshal hämmerte in einer Blitzreaktion einen Schuß zurück.
Während Stilwell sein Ziel verfehlt hatte, traf Wyatts Kugel den Messerwerfer wie ein Donnerschlag am Schädel, riß ihn herum und warf ihn in den Straßenstaub.
Die Harpers, Thorpe und Bill Brozius standen steif vor Verblüffung da.
Der Marshal stieg vom Pferd, schritt mitten durch die Banditen hindurch und packte den völlig überraschten Jim Thorpe am Arm. Während er ihm die Revolver aus den Halftern riß und über die Straße schleuderte, gebot er ihm mit eiskalter Stimme:
»Heben Sie den Kerl auf und bringen Sie ihn ins Jail.«
Thorpe gehorchte mechanisch.
Wyatt Earp tat, als habe er weder Curly Bill noch die drei Harpers bemerkt. Er folgte Thorpe, der Stilwell schleppte, ins Office.
Kaum fiel die Tür hinter dem Missourier zu, als Kid Harper den Revolver zog und drei brüllende Schüsse über die Straße schickte, die in die Officetür einschlugen.
Es vergingen nur Sekunden, dann hörte man eine Zellentür schlagen, die Tür des Offices flog auf, und der Marshal stand da. Seine Revolver in beiden Fäusten.
Kid Harper stierte in die harten Augen des Marshals und senkte schließlich seine Waffe.
»Ist hier jemand, der nach mir gerufen hat?« fragte der Missourier mit metallischer Stimme.
Die Harpers schwiegen.
Und auch Curly Bill hatte keine Antwort bereit.
Wyatt ging bis an die Ecke des Vorbaus und rief: »Behan!«
Zur größten Verwunderung der Banditen quetschte sich tatsächlich ein Mann aus dem Häuserspalt. Es war der Sheriff; er hatte seine Winchester noch in beiden Händen.
Der Marshal sah auf ihn herab.
»Es ist neun Uhr durch, Behan. Sie wissen, daß im Court House der Richter wartet.«
Jonny Behan warf einen scheuen Blick über die Straße in die finsteren Gesichter der Banditen und verschwand im Office.
Wyatt Earp überquerte die Straße und klopfte an das Haus von Doc Goodfellow.
Der Arzt kam an die Tür.
»Wie steht es mit dem Kassierer?« erkundigte sich Wyatt nach kurzem Gruß.
Der Arzt sah sich unbehaglich auf der Straße um und antwortete: »Er hat einen härteren Schädel, als ich annahm. Es geht ihm viel besser heute.«
»All right, dann muß ich Sie bitten, nach Frank Stilwell zu sehen. Ich habe ihn mit einem Streifschuß am Schädel verletzt.«
Wenige Minuten später führte der Sheriff den Nogalesman an den Händen gefesselt auf die Straße.
Drüben standen die Harpers.
Curly Bill hatte es vorgezogen, zu verschwinden. Vielleicht war ihm der Wind hier doch etwas zu rauh.
Dafür hatte sich der lange Jeffries eingefunden, ein Bursche, der immer auftauchte, wenn einer der Earps in Schwierigkeiten geriet. Er war einäugig und hatte seine Vogelflinte mitgebracht. Herausfordernd lehnte er an einem Vorbaupfeiler.
Als er den Marshal hinter Thorpe aus dem Office kommen sah, grölte der ständig angetrunkene Nichtstuer: »Heute wird mit euch aufgeräumt – dafür werde ich sorgen!«
Wyatt warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Verschwinde, Jeffries, sonst kommst du heute blind zu deinem Stammtisch!«
Der Landstreicher packte zornbebend seine Flinte und nahm sie hoch.
Auch die Harpers näherten ihre Fäuste den Revolverkolben. Sie hatten Order – und sie waren fest entschlossen – die Verhandlung auf jeden Fall aufzuhalten und Wyatt Earp auszulöschen.
Da sirrte es aus einem Gassenwinkel zischend durch die Luft. Plopp! machte es nur.
Und der Mörder Jim Thorpe schrie gellend auf. Links in seiner Brust steckte ein langer Pfeil.
Wyatt sprang vor und zerrte ihm das Indianergeschoß aus der Brust.
Die Harpers standen versteinert da.
Jonny Behan sprang zurück ins Office.
Und der Getroffene brach in die Knie.
Mit Riesensprüngen setzte der Marshal über die Straße. Er rannte in die Gasse, stürmte in den nächsten Hof und durchsuchte jeden Winkel.
Vergebens. Als er nach einer Viertelstunde zurückkam, lag Jim Thorpe oben auf dem Vorbau und hatte sein sinnloses Leben ausgehaucht.
Sein Mörder war wie der Wind der Savanne davongeflogen. Es gab für niemanden einen Zweifel daran, daß es ein roter Mann gewesen war, der den tödlichen Pfeil geschickt und den von Thorpe ermordeten Apachen gerächt hatte.
Aber noch standen die Harpers da und blickten mit harten Gesichtern dem Marshal entgegen.
Hale, der Sprecher des Trios, trat vor.
»Earp, wir sind deinetwegen in die Stadt gekommen. Mit Richter O’Neil rechnen wir nachher ab.«
Wyatt stand mitten auf der Straße, breitbeinig und mit verschränkten Armen, so wie die Tombstoner ihn vor zahlreichen Kämpfen in dieser unruhigen Stadt gesehen hatten.
»Wann nachher, Harper?«
»Wenn du da vor uns im Straßenstaub liegst.«
»Dazu seid ihr zu dritt gekommen?«
Hale sah sich nach seinen Brüdern um. »Yeah, zu dritt. Wir haben schließlich alle drei in Fort Worth gesessen…«
»Und zwar zu Recht!« unterbrach ihn der Marshal.
Da flog Kids Hand zum Colt.
»Nicht doch!« schnitt da hinter den Tramps eine klirrende Stimme über die Straße. »Immer der Reihe nach. Erst stirbt Hale, dann kannst du dran kommen, Kid, wenn dein Bruder dir den Vortritt läßt!«Das Blut in den Adern der Banditen schien zu Eis erstarren zu wollen. Sie kannten diese Stimme genau.
Langsam nahm Hale den Kopf herum. Auch Kid und Jeff wandten sich um.
Nur etwa sieben Yards hinter ihnen stand ein Mann oben auf dem Vorbau. Er hatte sich an einen Pfeiler gelehnt und die Hände in die Hosentaschen geschoben.
Es war ein großer, schlanker, drahtiger Mann mit gutgeschnittenem blaßbraunem Gesicht und eisblauen Augen. Er trug einen eleganten schwarzen Anzug, auf dem nicht die mindeste Spur von Staub zu sehen war. Sein Hemd war blütenweiß, und die schwarze Samtschleife war korrekt gebunden.
Tief über seinen beiden Oberschenkeln steckten in schwarzen, bodenlosen Lederhalftern zwei große fünfundvierziger Revolver mit vernickelten Läufen und elfenbeinbeschlagenen Knäufen.
Die Tramps stierten den Mann an wie ein Gespenst. Dann flog sein Name wie ein Schrei von ihren Lippen: »Doc Holliday!«
Der Spieler veränderte seine Haltung nicht im geringsten. In seinem linken Mundwinkel steckte eine Zigarette.
Wie Holzfiguren verharrten die Harpers auf ihren Plätzen.
Da sprang Holliday plötzlich auf die Straße.
»Vorwärts, Boys. Worauf warten wir noch? – Ach, es gefällt euch nicht, daß ihr mal einen Mann im Rücken habt. All right, das können wir gleich ändern.«
Er ging mitten durch sie hindurch und stellte sich neben den Marshal.
»So, gefällt euch das besser?«
Hale hatte den Unterkiefer vorgeschoben.
»Denkt an die Bucks, die Onkel Ike euch versprochen hatte!« mahnte der Gambler spöttisch.
»John!« schrie da eine Frauenstimme.
Kate Fisher war auf der Straße erschienen.
Doc Holliday dachte nicht daran, sich umzudrehen. »Geh in den Saloon, Sweety, hier wird noch etwas ausgewürfelt!«
»Nichts wird…!« belferte Hale Harper da. »Ich bin doch nicht wahnsinnig! Sollen die Clantons ihre Suppe doch selbst auslöffeln!«
Sie wandten sich um und rannten davon.
Holliday rief ihnen nach: »Eure Gäulen stehen noch hier, Boys!«
Aber das überhörten die Banditen. Sie rannten wie vom Teufel gejagt davon.
Doc Holliday blickte zum Sheriffs Office hinauf, wo Jonny Behan eben in der Tür erschien.
»Ah, da kommt ja auch der Sheriff. Immer pünktlich, Mr. Behan, das muß man Ihnen lassen.«
Holliday wandte sich ab und reichte dem Missourier die Hand. »Hallo, Marshal!«
»Hallo, Doc.«
Der Georgier spie seine Zigarette aus. »Damned, ich war noch nicht ganz wach, als Nellie Cashmans Boy mich rief.«
»Wo waren Sie denn?«
»Drüben im San Jose House. Bin gestern abend gekommen. Nellie Cashmans Schwester hat unten im Boardinghouse Bescheid gesagt. Aber Sie waren schon unterwegs. – So, jetzt wird gefrühstückt. Ich glaube, Jonny Norton hat den besten Brandy…«
*
Noch einmal war die blutige Auseinandersetzung zwischen den Earps und der Clanton Gang ausgeblieben.
Aber sie lag in der Luft wie eine Pulverladung, die zur Entladung drängte.
Es sollte nur noch wenige Wochen dauern, bis drüben zwischen den engen Mauern des O.K. Corral die neunundzwanzig Schüsse losdonnern würden, deren Echo durch ganz Amerika hallte.