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Denkt euch ein Mädchen

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Viola wird nach einem Schiffbruch an die Küste Illyriens gespült. Um in dem unbekannten Land nicht so wehrlos zu sein, verkleidet sie sich als Mann und tritt als Page unter dem Namen Cesario in Orsinos Dienste. Sie soll für ihn um Olivia werben, verliebt sich jedoch selbst in Orsino.

ORSINO

Komm näher, Junge. Wenn du jemals liebst,

Gedenke meiner in den süßen Qualen;

Denn so wie ich sind alle Liebenden,

Unstet und launenhaft in jeder Regung,

Das stete Bild des Wesens ausgenommen,

Das ganz geliebt wird. [...]

Mein Leben wett’ ich drauf, jung wie du bist,

Hat schon dein Aug’ um werte Gunst gebuhlt.

Nicht, Kleiner?

VIOLA

Ja, mit eurer Gunst, ein wenig.

ORSINO

Was für ein Mädchen ist’s?

VIOLA

Von eurer Farbe.

ORSINO

So ist sie nicht dein wert. Von welchem Alter?

VIOLA

Von eurem etwa, gnäd’ger Herr.

ORSINO

Zu alt, beim Himmel! Wähle doch das Weib

Sich einen Ält’ren stets! So fügt sie sich ihm an,

So herrscht sie dauernd in des Gatten Brust.

Denn, Knabe, wie wir uns auch preisen mögen,

Sind unsre Neigungen doch wankelmüt’ger,

Unsichrer, schwanker, leichter her und hin,

Als die der Frau’n.

VIOLA

Ich glaub’ es, gnäd’ger Herr.

ORSINO

So wähl dir eine jüngere Geliebte,

Sonst hält unmöglich deine Liebe Stand.

Denn Mädchen sind wie Rosen, kaum entfaltet,

Ist ihre holde Blüte schon veraltet.

VIOLA

So sind sie auch. Ach! Muß ihr Los so sein,

Zu sterben, grad im herrlichsten Gedeih’n? [...]

Denkt euch ein Mädchen, wie’s vielleicht eins gibt,

Fühl’ eben solche Herzenspein um euch,

Als um Olivien ihr; ihr liebt sie nicht,

Ihr sagt’s ihr; muß sie nicht die Antwort nehmen?

ORSINO

Nein, keines Weibes Brust

Erträgt der Liebe Andrang, wie sie klopft

In meinem Herzen; keines Weibes Herz

Umfaßt soviel; sie können nicht beharren.

Ach, deren Liebe kann Gelüst nur heißen,

Nicht Regung ihres Herzens, nur des Gaums,

Die Sattheit, Ekel, Überdruß erleiden.

Doch meine ist so hungrig wie die See,

Und kann gleich viel verdau’n. Vergleiche nimmer

Die Liebe, so ein Weib zu mir kann hegen,

Mit meiner zu Olivien.

VIOLA

Ja, doch ich weiß –

ORSINO

Was weißt du?

VIOLA

Zu gut nur, was ein Weib für Liebe hegen kann.

Fürwahr, sie sind so treuen Sinns wie wir.

Mein Vater hatt’ ’ne Tochter, welche liebte,

Wie ich vielleicht, wär’ ich ein Weib, mein Fürst,

Euch lieben würde.

ORSINO

Was war ihr Lebenslauf?

VIOLA

Ein leeres Blatt,

Mein Fürst. Sie sagte ihre Liebe nie,

Und ließ Verheimlichung, wie in der Knospe

Den Wurm, an ihrer Purpurwange nagen.

Sich härmend, und in bleicher, welker Schwermut,

Saß sie wie die Geduld auf einer Gruft,

Dem Grame lächelnd. Sagt, war das nicht Liebe?

Wir Männer mögen leicht mehr sprechen, schwören,

Doch der Verheißung steht der Wille nach.

Wir sind in Schwüren stark, doch in der Liebe schwach.

(II, 4)

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