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Stimmungen: Das Ungeborene hört mit
ОглавлениеDas Innenohr, die Hörschnecke, ist mit dem Vestibularapparat und seinen Bogengängen verbunden, die uns Raumlageveränderungen rückmelden. Gleichzeitig sind diese Bogengänge sensible Rezeptoren für Rhythmik und Schwingungen, so daß wohl rhythmische Sprachelemente auch mit Hilfe dieses Vestibularapparates analysiert werden. Bei Menschen mit schwersten Behinderungen sind vestibuläre Anregungen (Schüttelbett, beschallte Wasserbetten) Entwicklungsanstöße dafür, den eigenen Körper in seiner Gesamtheit zu erfahren, sich selber aufzurichten (Auseinandersetzung mit der Schwerkraft), und ein Anreiz zum Hören und zur Sprachentwicklung.1
So kann die Mutter durchaus schon einmal mit dem kleinen Wesen in ihrem Leib Zwiesprache halten oder ein Liedchen anstimmen. Die im Takt mitschwingenden Körperbewegungen gehören unmittelbar dazu und helfen, die Reizzufuhr zu gliedern.
Zudem steht das Ungeborene physiologisch in engster Verbindung zur Mutter. Es spürt ihre Stimmungsschwankungen nicht nur über die StimmeStimme, sondern auch über die Veränderungen im Hormonspiegel. Die mütterliche Wärme hält auch das Kind warm. Ihr Blutzucker versorgt das Blut des Fötus. Was sie ißt, trinkt und einatmet, gelangt in irgendeiner Form auch in den Körper des Kindes. Wenn sie raucht und trinkt, gibt sie Nikotin und Alkohol auch an das Kind weiter. Müßten nicht die Mütter mit ihrer Leibesfrucht seelisch ebenso innig verschmolzen sein, wie sie es körperlich sind? Eine Mutter berichtet:
Ein einziges Mal in zwanzig Jahren als Lehrerin habe ich mich zu einer Ohrfeige hinreißen lassen. Das Kind hatte mich dermaßen gereizt, und die Hand ist mir ausgerutscht. Danach war ich so erschrocken, daß mir das passieren konnte. Ich war damals schwanger. Noch am Nachmittag spürte ich, wie auch mein Kind erschrocken war. Nie zuvor und nie danach hat es so in meinem Leib rumort.
Medizinisch gesprochen: Die Streßhormone, die ihr Körper ausgeschüttet hat, sind auch in den kindlichen Blutkreislauf gelangt.
So spüren wir auch ohne gelehrte Untersuchungen, daß es für Mutter und Kind gleichermaßen sinnvoll ist, wenn sich die Mutter immer wieder Momente der Ruhe gönnt, in denen sie sich dem Kind nahe fühlt, in ihren Gedanken Raum schafft für das ungeborene Leben und ihre Gelöstheit und Heiterkeit an ihr Kind weitergeben kann. Momente, in denen sie sich vielleicht heller und heiterer Musik hingibt, etwa den Verspieltheiten und Arabesken der Violinkonzerte von MozartMozart, Wolfgang Amadeus. Momente, in denen sie ihr Kind teilhaben läßt am Wohlklang und Rhythmus ihrer Stimme und Sprache.
Wer sich bewußt ist, daß sein Kind stets mithört, hat guten Grund, Streit zu vermeiden. Die Härte und der schneidende Tonfall kränken den Partner. Könnten sie nicht auch das Ungeborene krankmachen? Die Mutter kann nicht einfach die Tür zum Kinderzimmer zumachen und eine Meinungsverschiedenheit mit ihrem Partner ausfechten. Zwar ist man unter vier Augen, doch sechs Ohren sind dabei.