Читать книгу Wie Kinder sprechen lernen - Wolfgang Butzkamm - Страница 21
Was Babys uns lehren
ОглавлениеKinder brauchen die Nestwärme einer beständigen Kleingruppe. Zu dieser Nestwärme gehört die Vertrautheit, die durch fortwährende Kommunikation von der Stunde der Geburt an entsteht und in die – zunächst nur auf Seiten der Eltern – Sprache untrennbar verwoben ist.
Der Bettelmönch und Geschichtsschreiber Salimbene von ParmaSalimbene von Parma berichtet über ein Experiment seines Kaisers, des Hohenstaufen Friedrich II.Friedrich II (der Staufer):
Und deshalb befahl er den Ammen und Pflegerinnen, sie sollten den Kindern Milch geben, daß sie an den Brüsten saugen möchten, sie baden und waschen, aber in keiner Weise mit ihnen schön tun und zu ihnen sprechen. Er wollte nämlich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprächen, als die älteste, oder griechisch oder latein oder arabisch, oder aber die Sprache ihrer Eltern, die sie geboren hatten. Aber er mühte sich vergebens, weil die Knaben und (andern) Kinder alle starben. Denn sie vermöchten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen und Näherinnen.Salimbene von Parma1
Der Mensch lebt eben nicht von Brot allein. Die auf kaiserliches Geheiß gewiß gut umsorgten Babys starben, wie Salimbene wohl richtig vermutet, weil es ihnen an liebevollem Zuspruch fehlte. Seelische Leiden – so wissen wir heute – können das Immunsystem schwächen, und auf diese Weise könnten die Kinder für allerlei Infektionen anfällig geworden sein. So zeigen uns die Kleinkinder, was wir auch später noch brauchen, wenn wir an Körper und Psyche gesund bleiben wollen. Wir brauchen Beständigkeit. Häufiger Wechsel kann uns auf die Dauer nicht zufriedenstellen. Wir brauchen einige wenige, aber echte Freunde. In der Not sorgen wir für sie und sie für uns. Unmittelbarer Ausdruck solcher Freundschaft und Fürsorge ist – ähnlich wie beim Baby – der Körperkontakt: Händedruck und Umarmungen, aus Freude oder um zu trösten. Erst die Geborgenheit der Kleingruppe macht weitere wechselnde Kontakte, die auch der geistigen Erneuerung dienen, lohnend und sinnvoll.
Nach BowlbyBowlby, John, dem Londoner Kinderarzt und Senior der Bindungsforschung, sind enge BindungenBindung, personale B. an andere Menschen der Angelpunkt unseres Lebens bis ins Greisenalter.2 Aus ihnen gewinnen wir die Stärke, das Leben zu meistern und zu genießen.
Harry und Margaret HarlowHarlow, Harry und Margaret unterscheiden fünf Arten von Liebe bei Affen und Menschen: die Liebe der Mutter zum Kind (1), die Anhänglichkeit des Kindes an die Mutter (2), die Zuneigung des Vaters zum Kind (3) und umgekehrt (4), und, nicht zu vergessen, die Freundschaft der Geschwister und Spielkumpane untereinander (5). Fehlt in der Kindheit eine von ihnen, so ist mit Entwicklungsstörungen zu rechnen.3
Später ermöglichen diese frühen Liebeserfahrungen auch die geschlechtliche Liebe.4 In kulturvergleichendenKulturvergleich Untersuchungen hat sich herausgestellt, daß es vor allem auf die Responsivität der Mutter ankommt.5 Wenn wir geliebt werden, halten wir uns auch für wert, geliebt zu werden. Daraus fließt unser Selbstwertgefühl und die Sicherheit, die uns befähigt, die Welt zu erkunden.