Читать книгу Wie Kinder sprechen lernen - Wolfgang Butzkamm - Страница 47
SprachhandelnSprachhandeln: Ich will etwas von dir!
ОглавлениеMit diesen nicht nur Gefühle, sondern auch Absichten und Gedanken lesenden Zellen ausgestattet, begreift das Kleinkind seine Partner als Wesen, die auf etwas hinaus wollen, und wird seiner selbst als ein wollendes Wesen gewahr, das etwas bewirken will und kann. Sprechen ist Vorbereitung, Begleitung und Fortsetzung absichtsvollen Handelns mit lautlichen Mitteln. Im zweiten Halbjahr können Kinder melodische Grundmuster einsetzen, um die Eltern zu dirigieren, so als ob sie eine Frage oder eine Forderung stellten oder etwas zurückweisen wollten. Die Eltern hatten ihnen ja in ihren Spielchen solche AbsichtenAbsicht, Redeabsicht, Sprechintention schon suggeriert und ihnen Sprache nicht nur zugeredet, sondern geradezu aufgeredet.
Stellen wir uns also das kleine Kind im Laufställchen vor, das Spieltier ist nach draußen gefallen, unerreichbar. Das Kind streckt die Hand durchs Gitter in Richtung auf das Spieltier und wimmert. Der Erwachsene, der durch das Wimmern veranlaßt seine Aufmerksamkeit der Szene zuwendet, versteht, was das Kind meint: ich möchte mein Spieltier wiederhaben. Er versteht, weil er die Intentionsstruktur der Situation durchschaut. Das Kind tut selbst noch sehr wenig zur aktiven Ausbildung dieser Intentionsstruktur, es steckt lediglich die Hand durchs Gitter zum Tier hin und wimmert dabei. Das Wimmern gibt der Handbewegung eine bestimmte, für den Erwachsenen erkennbare Intention.1
Jenny ist etwas über ein Jahr alt und nennt ihre Tante Inka »ängä«. Die faßt sie an beiden Händen, dreht sich mit ihr im Kreis und singt dabei:
Es war einmal ein kleiner Mann (geht dabei in die Knie)
Hei, jupp hei di,
Der nahm sich eine große Frau (Hände hoch)
Hm-ha-hm
Am nächsten Morgen zieht Jenny ihre Tante am Arm und sagt sehr intensiv: hm, hm. Inka versteht nicht. Jenny wiederholt und dreht sich dabei im Kreis. Jetzt erst hat die Tante verstanden und wiederholt das Tanzliedchen mit ihr.
Ebenso muß sich der einjährige Bubi handelnd und sprachhandelnd zugleich bemühen:
Die Mutter gab dem Kinde Zucker; als er zerbissen und heruntergeschluckt war, sperrte Bubi weit das Mäulchen auf und sah die Mutter erwartungsvoll an. Sie tat aber, als verstände sie ihn nicht; da riß er ungeduldig an ihrem Arm, ergriff einen ihrer Finger und führte ihn gegen das Büfett; als auch das noch keinen Erfolg hatte, wies er selbst mit dem Finger auf den Zucker und rief schon ganz gereizt: »da, da!«2
Was die Kinder in diesen drei Szenen tun, kann auch mein Hund. Wenn Bilbo raus will, rennt er zur Tür, springt dagegen, kratzt vernehmlich an ihr und gibt auch Laut, wenn’s sein muß. Das genügt, es muß ihm genügen. Denn kein Hund kommt über das, was wir analogeAnalog vs. digital Kommunikation nennen, hinaus. Analog heißt: Es gibt eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem, was man tut, und dem, was man mitteilen will. Bilbo führt wie Jenny und Bubi einfach eine Teilhandlung aus, nimmt also ein Stückchen dessen, was er will, vorweg. So sind manche tierische Drohstellungen als abgebremste Anspringbewegungen zu deuten. Die Tierpsychologie spricht von Intentionsbewegungen. Olivia bringt erwartungsvoll ihr Lätzchen an oder schiebt ihr Stühlchen an den Tisch. Das versteht jeder, der das Ganze kennt. Und es ist ja auch ohnehin Essenszeit.
Wie gelangen Jenny, Bubi und Olivia über dieses Stadium hinaus? Indem sie merken, daß sie mit einem lautlichen Akt allein genauso viel und später noch viel mehr erreichen können. Wer spricht, handelt mit Worten.
Eine Entwicklungslinie von der analog-konkreten zur abstrakt-digitalendigital Welt liefern die ZahlwörterZahlwörter, die zunächst durcheinander geworfen werden ohne rechten Begriff von Reihenfolge oder Menge. Dann zählt das Kind die eigenen Finger. Danach lernt es, Dinge zu zählen, benutzt aber die Finger noch mit. Wenn es die sinnliche Stütze des eigenen Körpers aufgibt, ist es noch ein Stück weitergekommen. Erst dem Schulkind gelingen Rechenoperationen im vorgestellten Zahlenraum, in denen die Zahlwörter sich von den Dingen gelöst haben und ganz für sich stehen. Man vergleiche, wie manche Naturvölker beim Zählen auch die eigenen Körperglieder benutzen, die ja immer nur eine begrenzte Anzahl liefern, aber auch schon Stöcke mit Kerben, Knoten in einem Seil oder Muscheln an einer Schnur gebrauchen, dabei aber stehen bleiben.