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Das Als-ob-Spiel

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KainzKainz, Friedrich spricht von der Symboltüchtigkeit des Menschen, seinem Symbolbewußtsein, seiner »entscheidenden Wendung zum Symbol«.1 Griechisch »symbolon« ist das, was »zusammengefügt« ein Ganzes ergibt. So gilt die Taube als Symbol des Friedens: Das wahrnehmbare Tier und die nichtwahrnehmbare Idee werden zusammengefügt. Oder die Lautung »Apfel« wird mit einer Baumfrucht verknüpft und kann daher stellvertretend auf sie verweisen.

Mit der sprachlichen SymbolfunktionSymbolfunktion hängt nach PiagetPiaget, Jean auch das symbolische Spiel oder Als-ob-SpielAls-ob-Spiel zusammen (das wir im zweiten Kapitel schon Deutungs-, Fiktions-, Illusions- oder Phantasiespiel genannt haben, engl. pretend play). Es tritt im Alter von zwölf oder dreizehn Monaten ziemlich plötzlich und zeitgleich mit den ersten Wörtern auf. Bei verzögerter Sprachentwicklung verspätet sich auch das Symbolspiel.2


Entwicklung der symbolischen Spiele Bubi Scupins: Charlotte BühlerBühler, Charlotte (1967, 134) hat Bubi Scupins Spiele in Funktions-, Fiktions-, Rezeptions- und Konstruktionsspiele aufgeteilt. Die Kurve zeigt den prozentualen Anteil der Fiktionsspiele (= symbolischen Spiele) vom Hundert aller Spiele.

Plötzlich können nun Kinder so tun, als ob: als ob sie schliefen, sich wüschen, sich kämmten. Und danach können sie auch so tun, als ob ein Klötzchen ein Auto wäre. Sie kündigen an, was sie bauen wollen und was ihre Bauklötzchen darstellen. Gisa will z.B. einen Hühnerhof bauen und legt einen Kreis von dicken Klötzchen. Die kleinen Klötzchen in der Mitte sind dann die Hühner usw. »Hildes Spiel lässt sie aus allem alles machen. Eben z.B. hat sie ein viereckiges flaches Stückchen Holz in der Hand, mit dem sie spielt wie mit einem Ball. Plötzlich legt sie sich’s auf den Kopf und zeigt sich mir: ›schönen Hut‹; dann nach einer Weile wiederum: ›is Thaler‹«, notiert Clara SternStern, Clara und William über ihre Zweieinhalbjährige. An Einfällen sind die Kinder nicht verlegen, sie fließen ihnen nur so zu. Wer da mitmacht, dem teilt sich nicht nur die kindliche Daseins- und Betätigungsfreude mit, er bereichert auch das kindliche Sprach- und Alltagswissen.

Zwar wird das Symbolspiel auch von Erwachsenen oder älteren Geschwistern eingeführt, aber es überrascht doch, wie leicht es Kindern fällt, gegen den Augenschein zu handeln und dabei Legosteine als Geldscheine anzusehen oder einen Schemel zum Bus umzufunktionieren. Ist das nicht eigenartig, daß Kinder dazu bereit sind, obwohl sie doch gerade erst lernen, was ein wirklicher Geldschein ist! Müßten nicht sogleich pädagogische Bedenkenträger auftreten, die davor warnen, das Kind zu verwirren, wenn wir nicht täglich vor Augen hätten, wie problemlos das SymbolspielSymbolspiel verläuft? Probleme gibt’s also umgekehrt, wenn das Kind keine Anstalten macht, beim Symbolspiel mitzutun.

Auch in Bubis Augen kann sich bei diesem Spiel praktisch alles in alles verwandeln, und er nimmt sein Spiel sehr ernst: Als er 32 Monate alt ist, zerstören seine Eltern – ausnahmsweise, aus Forscherneugier – Bubis Deutung:

Beim Spiel kommt es immer häufiger vor, daß das Kind etwas zu sehen vorgibt, was nicht da ist, und wünscht, daß wir auf seine Phantasien eingehen. Z.B. tut Bubi so, als lege er uns etwas in den Schoß und sagt: »Ich bin ein Briefträger und hab’ dir viele Karten gebringt, hier!« oder er preßt die Fingerspitzen fest zusammen und bohrt sie in unsere Hand: »So, hier ist viel Gelten!« (Geld). Geben wir uns nun den Anschein, als sähen wir tatsächlich das Geld, und danken ihm dafür, so ist der kleine Kerl glücklich, als wir aber einmal versuchsweise das Spiel durch die Frage störten: »Wo ist Geld? Ich sehe keins!« stritt er weinerlich: »Hier is aber Geld!« und die ganze frohe Spiellaune war ihm verdorben.3

Natürlich weiß das Kind zwischen Illusion und Wirklichkeit zu scheiden: Die Banane, die zeitweilig zum Telefon umfunktioniert wird, wird am Ende aufgegessen. Aber es war doch abgemacht und damit real, könnte Bubi protestieren (wenn auch von ihm ausgehend und bloß vorübergehend), so wie ja alle Wörter zwischen den Menschen abgesprochen sind. Es kann nicht genug erstaunen, daß ein Kind die Dinge in der Vorstellung schon manipulieren kann, die es eben erst ordnend zu benennen beginnt. Bereits im Symbolspiel zeigt das Menschenkind, dass es auf FreiheitDenkenFreiheit des Denkens (durch Sprache) angelegt ist. Was kümmert’s mich, wie die Dinge sind? Ich kann ja so tun, als ob, und die andern müssen nur mitmachen. Und darin steckt viel mehr als ein Kinderspiel. Denn nicht nur das kindliche Legogeld, auch unser »richtiges« Geld ist ein Als-ob-Spiel. Papiergeld, das keinen eigenen Sachwert mehr hat, funktioniert nur, solange wir alle daran glauben und die Fiktion aufrecht erhalten. Fiktionen, unsere Fantasieprodukte, sind nur durch Sprache möglich, »mit der wir uns Dinge vorstellen und beschreiben können, die es in der physischen Realität gar nicht gibt.« Ich kann von Dingen reden, als ob es sie gäbe. Eine ungeheuer folgenreiche Möglichkeit. Nur die Menschen erzählen sich Geschichten, erfinden Mythen und Legenden, und das fängt mit Als-ob-Spielen an. Schon hier zeigt sich die der Sprache innewohnende beispiellose Dynamik.4

Wie Kinder sprechen lernen

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