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25. März 1991

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In Leipzig die größte Montagsdemo seit jenem Herbst 89. Auf dem berliner Alex dito. »Wohlstandslüge, Wahllüge, Hauptstadtlüge«, die Losungen in die drei Farbfelder der bundesdeutschen Fahne geschrieben. Wechseln Symbole die Front? Die Zusammenrottung der Übelstände, deren leicht fassliche Artikulation wird für die Regierung gefährlich. Wie Schaum auf der Woge die rasche Forderung des künftigen SPDVorsitzenden nach Neuwahlen. In Leipzig forderte der IG Metall-Chef Steinkühler den Vorrang der Sanierung vor der Privatisierung. Die Krise in Ostdeutschland noch vor ihrem Tiefpunkt. Zugleich gehen die Auftragsbestände der westdeutschen Industrie zurück, weil die Auslandsbestellungen. Der Dollar auf Rekordstand, man schreibt dies der ostdeutschen Krise zu. Die Börse geht nach unten.

Der Anschluss der DDR hat der alten Bundesrepublik (im letzten Quartal 90) fast 5 Prozent Wachstum gebracht bei einem Beschäftigungsstand, der um 886 000 über dem Vorjahresniveau lag (dass die Arbeitslosen nur um 220 000 abgenommen haben, spiegelt die Zuwanderung). All das bei Rückgang der Auslandsnachfrage. Stärkstes Wachstum bei den »Ausrüstungsinvestitionen« (11,9 Prozent).

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Im ND-Gespräch, das Brigitte Hering mit Harald Neubert und mir heute geführt hat, nutzte Neubert mich zur Selbstrehabilitierung. Dieser Vorruheständler, dessen Persönlichkeit immer unverwechselbare Funktionärsfarbe tragen wird, jenes spezifische DDR-Grau, hat sich mit seiner Treue zur Sache dennoch Umtriebigkeit bewahrt. Ihn rettet, dass er mit Kontakten zur italienischen KP befasst war, daher u.a. auch Gramsci kannte, was alles relativ zur ML-Orthodoxie als ungeheuer ketzerisch galt.

Horizontale Kontakte scheinen im SED-Apparat ein Schattendasein geführt zu haben. Neubert schildert die Wandlitz-Nomenklatura als nicht mit einander kommunizierend: es hätte als Fraktionsbildung verstanden werden können. Noch heute sollen sie isoliert und beleidigt in ihren Wohnungen sitzen und nicht einmal Telefonnummern voneinander haben. Otto Reinhold habe die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED zwar vor unliebsamen Einmischungen abgeschirmt, deren Kader jedoch nie anders denn als seine Unteroffiziere behandelt.

Brigitte Hering erzählte, beim ND sei es erst richtig schlimm geworden, nachdem Günter Schabowski den Usus eingeführt hatte, alle Artikel vorher bei Günter Mittag einzureichen. Sie meint, Kurt Hager sei entmachtet gewesen. Aber Neubert sagt, Hermann Axen habe bis zuletzt Angst vor Hager gehabt. Axen, fett und klein von Statur, war nicht dumm, aber feige.

Jürgen Kuczynski soll eine schlimme Rolle gespielt haben, als die Kybernetik entlarvt und die sich abzeichnende wissenschaftlich-technische Revolution geleugnet wurde. Er soll Ulbricht und später Honecker mit Zahlen beruhigt haben, von einer technologischen Revolution könne noch lange überhaupt keine Rede sein. Obwohl ich den alten ›Kutsch‹ mag, kann ich mir das vorstellen. Erinnere mich, wie FH in ihren ersten Auseinandersetzungen als Automationsforscherin auch auf Kuczynskis Leugnung der Möglichkeit von Automation im faulenden Kapitalismus stieß – und zwar stieß wie gegen eine Rezeptions-Barriere, denn die westlichen Nachplapperer der DDR machten sich derlei sogleich zu eigen und entlarvten alles, was dem widersprach.

Wie aus einem Königsdrama, wenngleich aus der Materie kleiner Leute: Als Honecker seinen Glückstraum erlebte, jenen Fackelzug der Zehntausende, die winkenden Jugendlichen, die am 40. Jahrestag der Republik an ihm vorbeizogen, da erlebte er den Vorabend seines Sturzes. Der Triumph ging mit dem Untergang schwanger. Kann für jeden gelten, mutatis mutandis.

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