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1.2 Technische und wirtschaftliche Erfordernisse

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Dass weite Teile unserer Gesellschaft durch Mathematik geprägt sind, braucht kaum erwähnt zu werden. Umgekehrt haben Anforderungen der Gesellschaft die Mathematik nicht nur geprägt, sie dürfen wohl, wenn man in die Geschichte blickt, geradezu als Ursprung und entscheidende Triebfeder mathematischer Tätigkeit und Erfindungsgabe angesehen werden. Freilich gab es Gesellschaften und Epochen – etwa die Römer und das europäische Mittelalter –, in denen bewundernswerte technische Leistungen weitgehend ohne Mathematik hervorgebracht wurden, und es gab (und gibt) Gesellschaften, in denen Mathematik so gut wie gar keine Rolle spielt. Anders verhielt es sich in den frühen Hochkulturen.

Diese entstanden, wie erwähnt, in den Flusstälern an Euphrat und Tigris in Mesopotamien, in Ägypten am Nil, in Indien am Indus, in China am Hwangho. Hier sahen sich die Menschen, soweit sie sich nicht vollständig den Unwägbarkeiten der Naturgewalten aussetzen wollten, mit einer Vielfalt technischer Probleme konfrontiert. Die anfallenden Aufgaben waren aufwendig und komplex und erforderten deshalb das Zusammenwirken der Menschen. Organisation der Wirtschaft durch Arbeitsteilung – Versorgung der Menschen, Auferlegung von Steuern und Abgaben – gehörte ebenso dazu wie eine planvolle Verwaltung und Bereitstellung von erwirtschafteten Überschüssen.

Eine Verwaltung, die diesen Anforderungen gewachsen sein wollte, ist für uns ohne Schrift und Mathematik schwer vorstellbar. Die mathematischen Quellen geben ein beredtes Zeugnis dieser Entwicklungen. Für Mesopotamien wird das dadurch belegt, dass die überwiegende Zahl der gefundenen Tontafeln Wirtschaftstexte mit dem Zweck der Buchführung sind. Auch die Praxis, versiegelte Gefäße mit Steinchen als eine Art Beleg oder Rechnung zu nutzen, oder die bis in moderne Zeiten verbreiteten Kerbhölzer sowie die Quipus der Inkas (siehe Einleitung) machen den ursprünglichen Zweck der Mathematik – wenn auch nur einen Randbereich – deutlich.

Buchführung benötigt zwar kaum mehr als Addition und Subtraktion, andere Aufgaben wie Verteilungen im Haushalt oder an der Arbeitsstelle erfordern dagegen diffizilere Rechenverfahren. Besonders wichtig ist dabei ein zweckmäßiges Maßsystem mit sinnvollen und leicht zu handhabenden Unterteilungen.

Unumgängliche Aufgaben der frühen Hochkulturen in den Flusstälern waren groß angelegte Vorbereitungsarbeiten zum Zwecke der Bewässerung sowie Schutzarbeiten zur Lenkung der Überschwemmungen: Bau von Dämmen, Gräben und Kanälen, von Aquädukten und Staubecken für Trinkwasser, die Ermittlung des Bedarfs an Material und Arbeitskräften für den Bau einer Rampe, für den Transport eines Obelisken und ähnliches.

Für „Beweise“ gab es auf diesen Feldern der Mathematik keinen Bedarf und konnte es auch nicht geben. Numerische Regeln sind solange hinreichend, wie sie plausible Ergebnisse liefern. Die angewandte, oder besser die praktische Mathematik, ist nicht das Feld für Beweise, sondern für Näherungsverfahren. Die alten Kulturen haben hierfür erstaunliche Methoden entwickelt, die wir zum Teil noch heute verwenden.

Wenn man von der Mathematik der Griechen spricht, meint man im Allgemeinen diejenige Mathematik, die ihre charakteristische Ausprägung unter dem Einfluss der Philosophen erhalten hat. Davor und daneben gab es aber auch in Griechenland eine „praktische“ Mathematik, die in den Anforderungen der Alltagsgeschäfte ihre Wurzeln hatte und zu ihrer Fortentwicklung beitrug. In Griechenland wurde solche Mathematik Logistik genannt und – wenn überhaupt – von der „wissenschaftlichen“ Mathematik getrennt behandelt. Über diesen Zweig der Mathematik gibt es gelegentliche Erwähnungen, aber fast keine direkten Quellen; wir kommen darauf in Abschnitt 4.5 zurück.

Die Mathematik im Altertum

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