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1. Wozu Mathematik? 1.1 Geschichtliche Grundlagen

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Mathematik ist wie jede Wissenschaft Teil des kulturellen Schaffens der Menschen und deshalb Teil der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung. Man kann Mathematik, ihre Wege und Umwege, Erfolge und Misserfolge, nicht begreifen, ohne die Anregungen zu kennen, die sie aus anderen Bereichen der Kultur erhalten hat und ohne die Wirkungen zu studieren, die von ihr ausgegangen sind. Wir werden deshalb in diesem Abschnitt in Kürze und zum Teil stichwortartig einige grundlegende Fakten aus der Geschichte der frühen Hochkulturen entfalten und einen ersten Blick auf die mathematikhistorisch relevanten Quellen und Entwicklungen werfen. Selbstverständlich kann es sich dabei nur um einen groben Abriss handeln, der in den einzelnen Kapiteln nach Bedarf ergänzt wird. Die Geschichte der griechischen Antike wird zunächst ausgeklammert und in Teil II behandelt.

Der überwiegende Teil mathematischer Quellen der frühen Hochkulturen stammt aus Mesopotamien. Wir beginnen deshalb hier, im „Land zwischen den Flüssen“, unseren historischen Abriss.

Am Unterlauf von Euphrat und Tigris (im heutigen Irak) siedelten die Sumerer in den fruchtbaren Flussniederungen und organisierten sich in Stadtstaaten. Zu den politisch einflussreichsten Zentren der sumerischen Frühzeit gehörten um die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. die Städte Uruk und Ur. Aus dem Gebiet von Uruk stammen die ältesten schriftlichen Zeugnisse unserer Geschichte.

Die Schrift, die hier etwas früher als in Ägypten erfunden wurde, wandelte sich von einer anfangs reinen Bilderschrift, die man ohne Kenntnis der Sprache verstehen kann, zur Keilschrift (Abb. 4).

Die Schriftzeichen wurden mit einem Griffel in weiche Tontafeln gedrückt, die an der Sonne getrocknet wurden. Der dreieckige Querschnitt des Griffels bewirkte, dass beim Eindrücken in den weichen Ton eine keilförmige Kerbe oder eine Art Winkelhaken (s. Abb. 4) erzeugt wurde, je nachdem ob der Griffel in flacher oder steiler Haltung eingesetzt wurde. Aus diesen beiden Elementen, dem Keil und dem Winkelhaken, wurde die ganze Schrift aufgebaut (daher der heute gebräuchliche Name „Keilschrift“), einschließlich der Zahlzeichen. Auf das derart verzifferte Zahlsystem gehen wir im nächsten Abschnitt ein.


Abb. 4: Zur Entwicklung der Schrift. Von links nach rechts: Archaische Form der Bilderschrift; entsprechende Formen nach der Drehung der Schreibrichtung (oder der Tafel); sumerische Keilschrift; assyrische Keilschrift; Wortbedeutung.

Als Erfinder der Schrift gelten die Verwalter der großen Tempel, da Schrift und Rechentechniken zuerst und über Jahrhunderte hinweg ausschließlich im Dienst der Tempelverwaltung standen.

Um 2500 v. Chr. bildeten sich aus der Priesterschaft spezialisierte Schreiberschulen heraus. Neben den ersten literarischen Texten wurden aus diesem Umfeld Sammlungen mathematischer Aufgaben ohne direkten Anwendungsbezug gefunden, die offensichtlich für Unterrichtszwecke zusammengestellt worden waren.

Gegen die sumerischen Herrscher erhob sich das Reich von Akkad. Sargon I. (ca. 2250–2200 v. Chr.), „Herrscher der vier Weltteile“, begründete den ersten zentralisierten Großstaat mit der Hauptstadt Akkad. Die schriftlosen Akkader übernahmen die sumerische Keilschrift und passten sie ihrer Sprache an.

Doch dieses Reich hatte, wie alle nachfolgenden, keinen langen Bestand. Nach Sargons Tod verfiel das Reich durch Spannungen im Innern und durch Einfälle von Nachbarvölkern aus den östlichen Bergregionen.

Nach einer Übergangszeit, in der die Macht wieder an einzelne Städte fiel, gelangte das Reich von Sumer und Akkad um 2000 v. Chr. für etwa hundert Jahre zu einer letzten Blüte. Neben dem Akkadischen als Verkehrssprache blieb das Sumerische als Kultsprache erhalten. Die Herrschaft wurde von einer hochentwickelten Tempel- und Staatswirtschaft getragen, das Sumerertum erlebte eine letzte politische und kulturelle Blüte.

In der Folge fanden mehrere Staatenbildungen statt, unter denen Babylon („Babili“ = Gottespforte) hervorragte. Bedeutendster Herrscher dieses sogenannten Altbabylonischen Reiches war Hammurapi, 1792 bis 1750 v. Chr. „König von Sumer und Akkad“. Von der Fürsorge Hammurapis für Leben und Eigentum seiner Untertanen zeugen die Reformgesetze des „Codex Hammurapi“. Hauptwerk der alten mesopotamischen Literatur in babylonischer Gestaltung ist das Gilgamesch-Epos. Monumentale mit Reliefs geschmückte und in Reihen aufgestellte Steinplatten prägten die künstlerischen Ausdrucksformen. Der berühmte Palast von Mari am Oberlauf des Euphrat wurde vollendet, aus seinem Archiv sind an die 20.000 Tontafeln auf uns gekommen.

In dieser Zeit des altbabylonischen Reiches erlebte die Mathematik ihre höchste Blüte; die wichtigsten mathematischen Keilschrifttexte stammen aus dieser Zeit. Heute sind wir im Besitz von mehreren hundert Tabellentext-Tafeln und rund hundert Tafeln mit mathematischen Problemtexten. Aus den folgenden Jahrhunderten gibt es nur noch vereinzelte mathematische Texte, der letzte aus der Zeit um 75 n. Chr.

Etwa gleichzeitig mit dem Beginn der sumerischen Besiedlung des südlichen Zweistromlandes bildet sich die ägyptische Hochkultur im Niltal heraus. Der Nil war Ägyptens Lebensader. Das Land umfasste zwar weit mehr als nur das Niltal, jedoch waren die Wüstengebiete nicht besiedelt. Die Wüsten und die anderen natürlichen Grenzen stellten einen ausgezeichneten (wenngleich, wie die spätere Geschichte zeigt, nicht absoluten) Schutz gegen Eindringlinge dar. Das hat zu der seltenen Statik und konservativen Haltung geführt, die auch auf dem Gebiet der Mathematik so offensichtlich ist.

Die schöpferischste Phase im alten Ägypten ist die frühdynastische Periode, die mit Menes, König von Oberägypten, um 3100 v. Chr. beginnt und bis etwa 2700 v. Chr. dauert. Menes unterwarf Unterägypten und errichtete eine neue Hauptstadt, das spätere Memphis. Viele Grundformen der ägyptischen Kultur, wie sie in den nächsten drei Jahrtausenden vorherrschten, entstanden bereits jetzt. Die Fertigkeiten in Handwerk, Kunst und Technik entfalteten sich rasch. Die Lebensbedingungen verbesserten sich, was zu einem schnellen Bevölkerungswachstum führte.

Um diese Zeit kam bereits die Hieroglyphenschrift (gr. hieros = heilig, glyphe = Skulptur) einschließlich der Zahlzeichen in Gebrauch. Sie entwickelte sich aus den abstrakten Malereien der Mittel- und Jungsteinzeit. Während die Keilschrift in Mesopotamien eine Gebrauchsschrift war, wurde die Hieroglyphenschrift ausschließlich für Inschriften auf Kunstwerken, Monumenten und ähnlichem verwandt. Für den Gebrauch zum Schreiben auf Papyrus entstand eine Kursivschrift, die sogenannte hieratische Schrift (gr. hieratikos = priesterlich); sie war der hieroglyphischen Schrift nachgebildet, ähnelte aber eher einer Schreibschrift. Auch die mathematischen Texte sind in hieratischer Schrift verfasst.

Mit dem Beginn des Alten Reiches um 2700 v. Chr., das etwa 500 Jahre Bestand hatte, waren bereits die nötigen Fertigkeiten und Arbeitskräfte vorhanden, um die berühmte Stufenpyramide von Sakkara für König Djoser zu bauen, das erste ganz aus behauenem Stein errichtete Monument Ägyptens. Die Stufenpyramiden wurden zu geometrisch reinen Pyramiden weiterentwickelt. Markanteste Beispiele dafür sind die große Cheops- und die Chephren-Pyramide von Giseh. Im ausgehenden Alten Reich (bis etwa 2200 v. Chr.) schmückten Könige und Würdenträger ihre Tempel und Gräber weiterhin mit Reliefs und Statuen, deren künstlerische Qualität nie übertroffen wurde. Politisch war es eine Epoche des Niedergangs, die im Zusammenbruch der Zentralregierung gipfelte.

In der Ersten Zwischenzeit, etwa von 2200 bis 2000 v. Chr., lag die tatsächliche Macht bei den Gaufürsten. Die nationale Einheit wurde schließlich von den Gaufürsten von Theben wiederhergestellt. Eine starke Zentralregierung mit der neuen Hauptstadt Theben schaffte die Grundlagen für eine neue wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit.

Im Mittleren Reich von etwa 2000 bis 1800 v. Chr., wurde das Land in großem Umfang urbar gemacht und bewässert; vermutlich sollte damit einer Wiederholung der Hungersnöte, wie sie seit dem Ende des Alten Reiches öfters herrschten, vorgebeugt werden. Eine Blüte erlebten Kunst und Literatur.

Aus dieser Zeit stammen, mit einer Ausnahme, alle bedeutenden schriftlichen Quellen zur Mathematik. Unter diesen ist der Papyrus Rhind von größter Bedeutung, benannt nach dem Engländer A. Henry Rhind, der die Rolle 1858 in Ägypten gekauft und dem Britischen Museum überlassen hat, wo sie seitdem aufbewahrt wird. Wichtig sind ferner der Moskauer Papyrus, heute im Puschkin-Museum, Moskau, und eine Lederrolle im Britischen Museum. Weniger bedeutend sind zwei Holztafeln, die um 2000 v. Chr. entstanden sind und jetzt in Kairo aufbewahrt werden, ferner ein Papyrus aus Kahun, jetzt in London, und der sogenannte Berliner Papyrus aus Theben.

Wie bereits in der Einleitung vermerkt, zeigen diese Quellen, ebenso wie die altbabylonischen, die Mathematik bereits auf ihrem höchsten Entwicklungsstand, mit dem wir uns in Kapitel 2 eingehend beschäftigen werden.

Nicht viel später als zur Zeit der Besiedlung des Zweistromlandes und des Niltales hat sich eine indische Hochkultur im Industal herausgebildet. Führende Städte waren Harappa und Mohenjo-Daro, von denen es seit 1925 archäologische Funde gibt. Mohenjo-Daro war demnach eine hochstehende Kultur mit Steinhäusern, Kanalisation und beschrifteten Siegeln, die die Archäologen an den Anfang des dritten vorchristlichen Jahrtausends datieren. Funde deuten darauf hin, dass es regelrechte Handelsbeziehungen mit dem Vorderen Orient gab.

Unter den Funden sind schriftliche Aufzeichnungen, die jedoch bis heute nicht entziffert werden konnten. Einige scheinen Zahlzeichen zu sein, ihre Bedeutung ist aber bis jetzt rätselhaft.

Die alten Indus-Kulturen verschwanden um 1500 vollständig, als im Zuge der indoeuropäischen Wanderungen die sogenannten Arier in die Gebiete von Indus und Ganges eindrangen.

Die „Vedische Zeit“ der folgenden 1000 Jahre bis 500 v. Chr. gab dem indischen Subkontinent sein bis heute gültiges Gepräge. Die „Vedas“ aus dieser Zeit sind die älteste indische Literatur; sie bestehen überwiegend aus Hymnen an die arischen Götter. Ihre Sprache ist das Sanskrit, ein Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie.

Am Ende dieser Zeitspanne um 500 v. Chr., etwa zeitgleich mit Pythagoras und der Entstehung des persischen Weltreiches, lebte Buddha („der Erleuchtete“) und verkündete, dass durch Selbstvervollkommnung die fortschreitende Wiedergeburt beendet werden kann und die durch sittliches Verhalten geläuterte Seele ins Nirwana eingehen lässt.

Aus dieser, der vedischen Zeit, als die Mathematik in Babylon und Ägypten längst ihre schöpferische Kraft verloren hatte und höchstens noch als ein erstarrtes System tradiert wurde, stammen auch die ersten mathematischen Zeugnisse Indiens, die sogenannten „Sulba-Sutras“ oder Schnurregeln. Einige Experten datieren sie auf die Zeit zwischen dem 15. und 12. Jahrhundert, die meisten ordnen sie dem 8. bis 3. Jahrhundert v. Chr. zu.

Diese Schriften sind in drei Versionen überliefert, alle drei sind in Versen abgefasst, vermutlich zur Unterstützung der Schüler, die diese „Regeln“ auswendig zu lernen und schematisch anzuwenden hatten. Sie geben Kenntnisse wieder, die vermutlich über Jahrhunderte mündlich tradiert wurden. Die Schnurregeln basieren auf dem pythagoreischen Lehrsatz und der Kenntnis pythagoreischer Zahlentripel (vgl. Abschnitt 3.3). Sie dienten rituellen Zwecken wie dem Abstecken rechter Winkel mit Knotenschnüren und Bambusstäben zur Konstruktion von Altären. [Juschkewitsch, S. 92, 96]

Dies sind Kenntnisse, die bereits 1000 Jahre früher in Mesopotamien bekannt waren, was wegen der regen Handelsbeziehungen Abhängigkeiten von babylonischer Mathematik vermuten lässt. Auch Kenntnisse über griechische Mathematik sind nicht unwahrscheinlich, eindeutige Zusammenhänge sind jedoch nicht nachweisbar.

Allmählich bildete sich ein kulturell vereintes Königreich in Nordindien vom Indus bis zum Ganges heraus, auf das 516 v. Chr. der Perserkönig Darius I. und 327 Alexander der Große traf. Im Gefolge von Alexander kamen Wissenschaftler verschiedenster Diziplinen ins Land. Die Seleukiden, die Nachfolger Alexanders im Osten, verließen bald die indischen Gebiete, man kann aber davon ausgehen, dass weiterhin auf kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet ein Gedankenaustausch stattfand.

Ab 270 v. Chr. bildete sich unter Ashoka das erste indische Großreich, das ganz Indien außer den Süden umfasste. Gegen Ende seiner Regierungszeit zerfiel das Reich. Aus dieser Zeit stammen Texte, die zeigen, dass die Zahlenschreibweise der unseren bereits recht ähnlich ist – weshalb wir unsere Ziffern als „indische“ bezeichnen.

Erst ab 320 n. Chr. erlebte Indien eine neue Blüte. Das Gupta-Reich führte zu großen Fortschritten in den Wissenschaften, darunter besonders der Astronomie und in ihrem Gefolge auch die Mathematik. Die Guptas konnten sich mit wechselndem Erfolg gegen innere Unruhen und Bedrohungen durch Hunneneinfalle bis zum Eindringen der Araber 710 halten.

Während das Alter aller Nachrichten aus vorchristlicher Zeit über mathematische Kenntnisse sehr unbestimmt, und wegen der Neigung aller alten Kulturen, bei Altersangaben verehrter Überlieferungen stark zu übertreiben, äußerst unsicher ist, haben wir es erst seit dem 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. mit zuverlässig datierbaren Quellen indischer Mathematik zu tun. In dieser Zeit wurde das gesamte indische mathematische Wissen im Wesentlichen von zwei Mathematikern zusammengefasst und durch eigene Leistungen ausgebaut: Aryabhata (um 500 n. Chr.) und Brahmagupta (598–665 n. Chr.).

Wenden wir uns weiter nach Osten, so treffen wir auf die letzte von uns zu behandelnde Hochkultur: China. Dörfliche und städtische Ansiedlungen sind seit 7000 v. Chr. in den Flussniederungen des Hoangho in Nordost-China nachweisbar. Erst später verbreiteten sie sich im Flussbecken des Jangtsekiang.

Der Anfang der Bronzezeit um 1600 v. Chr. deckt sich mit dem Beginn der ersten geschichtlichen Dynastie, der Shang-Dynastie (bis 1000 v. Chr.). Es war eine feudale Gesellschaft. Die Städte, in denen sich Tempelanlagen befanden, waren mit Mauern umgeben. Es entwickelte sich eine Zeichenschrift, die von Orakelpriestern benutzt wurde. Im Mittelpunkt des religiösen Lebens stand der Taoismus (Tao als leitendes Prinzip der gesetzmäßigen Ordnung des Kosmos). Daneben gab es Naturreligionen mit Natur- und Ahnengeistern, Opferkult und Orakelwesen.

Über die ältesten Zeiten mathematischer Betätigung sind nur sehr fragmentarische Nachrichten erhalten, und diese haben zumeist legendären Charakter. Obgleich Spuren von Zahlenmystik bis in die heutige Zeit verfolgt werden können, kann man über den Sinn der chinesischen Funde keine zuverlässigeren Aussagen machen als die, dass man sich mit Zahlen beschäftigte, und dass Zahlen nicht nur der Ordnung der Dinge des praktischen Lebens dienten, sondern darüber hinaus eine Art religiöse Bedeutung hatten. Wie in allen Kulturen zu allen Zeiten hatten Zahlen auch im alten China eine allegorische Bedeutung, eine Hilfsfunktion zur Erklärung von rational noch nicht oder prinzipiell nicht erfassbaren, scheinbar oder wirklich übernatürlichen Phänomenen.

Die Shang-Dynastie wurde um 1000 v. Chr. durch die Chou-Dynastie abgelöst. Unter ihr verfiel allmählich die Zentralgewalt. Die Fürsten und Lehnsherren gewannen an Macht, fortwährende Kriege gegeneinander zerrütteten das Land. Die Städte gewannen an Bedeutung und entfalteten eine ausgedehnte Handelstätigkeit.

In den Jahren 551–479(?) v. Chr. lebte Konfuzius, Schöpfer einer einflussreichen religiös begründeten sozial-ethischen Philosophie. Weitere wichtige Philosophen im 6. bzw. 5. Jahrhundert waren Lao-tse, der dem Taoismus eine philosophische Prägung gab, und Mo-ti, der einen religiösen Sozialismus begründete. (Der Buddhismus erreichte China erst zu Beginn unserer Zeitrechnung von Indien her.)

Mo-ti war vorwiegend – ähnlich wie Sokrates, der etwa zur gleichen Zeit lebte – Sozialethiker. Aufgrund seines Einflusses erschienen in den folgenden Jahrhunderten aber auch logische und erkenntnistheoretische Schriften. Im sogenannten „Kanon der Mohisten“ finden sich Definitionen von geometrischen Grundbegriffen, die an die Elemente von Euklid erinnern; es wird aber keine deduktive Geometrie auf ihnen aufgebaut. Vielleicht sind es nur Lehrbeispiele für das Definieren von Begriffen im Rahmen philosophischen Denkens.

Die für die Mathematik wichtigste Zeit war die Han-Epoche. Unter der Han-Dynastie erfolgte ab 200 v. Chr. (bis etwa 200 n. Chr.) eine erneute Festigung des Staates. Das Reich dehnte sich aus, der Handel über die Seidenstraße nach Persien bis ins Mittelmeergebiet florierte. Ein ausgedehnter Beamtenapparat kontrollierte die Verwaltung. Die Beamten wurden in Schulen auf ihre Tätigkeit durch Unterweisung in Staats- und Gesellschaftsphilosophie (beeinflusst durch die Lehren des Konfuzius), aber auch in Mathematik und Astronomie vorbereitet.

In dieser Zeit entstanden die ersten Schriften der später sogenannten „Zehn mathematischen Klassiker“, eine Sammlung von Büchern, deren letztes im 6. Jahrhundert n. Chr. entstanden ist. Bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. dienten sie in den kaiserlichen Akademien als Lehrbücher und als Prüfungsgrundlage. Das mathematikgeschichtlich bedeutendste unter ihnen ist ein Buch in neun Kapiteln (Büchern), die „Neun Bücher arithmetischer Technik“ oder „Mathematik in neun Büchern“, chinesisch „Chiu Chang Suan Shu“ (im Folgenden kurz „Neun Bücher“ genannt). Es handelt sich um ein Lehrbuch für Verwaltungsbeamte. Der älteste bekannte Text ist eine kommentierte Ausgabe von Liu Hui aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., der die Abfassung des Buches einem hohen Beamten der Han-Zeit zuschreibt. Noch einige andere mathematische Texte waren im Umlauf.

Es zeigen sich Ähnlichkeiten mit babylonischer und ägyptischer Mathematik. Ob Beziehungen zwischen China und Babylon bestanden – was wegen der Handelsbeziehungen nicht ganz abwegig ist –, ist nicht klar. Im Ganzen ergibt sich jedenfalls ein Bild von einer Mathematik ganz eigener Art.

In der späten Han-Zeit (3. Jahrhundert n. Chr.) erreichte die Mathematik eine gewisse theoretische Phase. Zu dieser Zeit wurden auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel der Astronomie, Geographie und Technologie beachtliche Fortschritte gemacht (darunter die Erfindung des Papiers). Enge Beziehungen zwischen diesen Wissenschaften und der Mathematik sind aber nicht nachzuweisen.

Nach der Han-Periode zerfiel das Reich. Sowohl politisch als auch kulturell erlebte es eine neue Blüte nach ca. 300 Jahren in der Anfangszeit der Tang-Dynastie (618–907). In den kaiserlichen Akademien florierte der schon erwähnte mathematische Unterricht auf der Grundlage der klassischen Texte, insbesondere den „Zehn mathematischen Klassikern“.

Die Mathematik im Altertum

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