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1.3 Ausbildung und Berufspraxis

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Um 2000 v. Chr. hat sich in Mesopotamien und Ägypten bereits so viel positives Wissen angesammelt, dass es zu einer irgendwie organisierten Form der Weitergabe kommen musste. Direkte Zeugnisse für einen institutionalisierten Unterricht, insbesondere die Mathematik betreffend, sind zwar spärlich, aber in vielen Quellen finden sich deutliche Hinweise.

Häufig spiegeln die Texte Dialoge zwischen Lehrer und Schüler wider oder Anweisungen des Lehrers an den Schüler. Zum Beispiel, wenn es in einem babylonischen Text heißt:

„Ein Schilfrohr habe ich abgeschnitten. Du bei deinem Verfahren, das Rohr, das du nicht kennst, nimm …“ [VAT 7532].

So oder ähnlich wiederholen sich die Formulierungen. In Ägypten finden wir im Papyrus Rhind ähnliche Hinweise auf einen mündlichen Unterricht, etwa in Aufgabe 30:

„Wenn der Schreiber dir sagt … Lass ihn hören!“ [Vogel I, S. 54]

Auch zahlreiche Aufgaben, die eine Einkleidung aus dem praktischen beruflichen Umfeld aufweisen, deren Daten aber völlig realitätsfern, zum Teil geradezu grotesk sind, weisen auf einen Schulbetrieb hin. Zum Beispiel wenn der Inhalt eines mit Wasser gefüllten Würfels mit der unwahrscheinlichen Kantenlänge von 120 Ellen berechnet werden soll.

Charakteristisch für einen geplanten Unterricht sind Aufgaben, die sich nur erklären lassen, wenn man annimmt, dass sie sozusagen „von hinten“, bei vorgegebenem Ergebnis, konstruiert worden sind (was auch noch für heutige Schulbücher gilt). Dabei sind offenbar Lehrer am Werk, die ihren Unterrichtsstoff aus der Praxis beziehen, ihn aber gelegentlich so weit aufbereiten, dass sein ursprünglicher Zweck kaum noch zu erkennen ist. Ein rechtwinkliges Dreieck etwa durch eine Gerade parallel zu einer Kathete gegebener Länge so zu teilen, dass die Differenzen der Flächeninhalte und die der Höhen der beiden Teilflächen einen vorgegebenen Wert haben [Vogel Teil II, S. 72], ist schon ein recht ausgefallenes Problem der rechnenden Geometrie (mit drei Unbekannten!), von dem man sich kaum vorstellen kann, dass es in der Praxis, etwa der eines Landvermessers, eine Rolle spielen könnte; es handelt sich um reines Übungsmaterial für die Hand des Lehrers. Wer diese recht komplexe Aufgabe bewältigt, wird auch in der Lage sein, verwandte Probleme in der Praxis sachgerecht zu lösen.

Eine positive Konsequenz von all dem ist zweifellos darin zu sehen, dass sich im Umfeld der Schule ein Regelwerk entwickeln konnte, nach dem sich ganze Aufgabengruppen nach einheitlichen Verfahren bearbeiten und lösen ließen.

Die Beispiele zeigen, dass die Aufgabensammlungen nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal vorrangig, der Weitergabe unmittelbar anwendungsbezogenen praktischen Wissens für die Ausbildung bestimmter Berufe dienten, sondern im Sinne einer allgemeinen Bildung eingesetzt wurden, die die Schüler befähigen sollten, gegenwärtige und besonders zukünftige Aufgaben innovativ zu bewältigen.

Diese Aspekte sind auch deutlich in dem Hauptwerk der Mathematik im alten China zu erkennen, den „Neun Büchern“ Chiu Chang Suan Shu aus den „Zehn mathematischen Klassikern“. Pauschal kann man sagen, dass die meisten Aufgaben in diesem Werk von der gleichen Art sind, wie wir sie aus den babylonischen Quellen kennen. Der Inhalt ist gut organisiert. Es gibt natürlich keine Beweise, aber allgemein formulierte Regeln (verbal, nicht symbolisch), die für ganze Aufgabengruppen gelten.

Dieses Werk aus der Han-Zeit (200 v. Chr. bis 200 n. Chr.) ist zwar wesentlich jünger als die Texte aus Babylon und Ägypten, dafür gibt es eindeutige Belege, dass es sich um ein ausgesprochenes Lehrwerk handelt.

Die Mathematik im Altertum

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