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Vorwort
ОглавлениеMathematik, wie wir sie heute kennen und in nahezu allen Lebensbereichen bewusst oder unbewusst anwenden, hat ihre Wurzeln im antiken Griechenland. Diese unbestreitbare Tatsache bedeutet aber keineswegs, dass griechische Mathematiker das imposante Gebäude ihrer Mathematik sozusagen aus dem Nichts heraus geschaffen hätten. Wir wissen, dass die Griechen auf verschiedenen Wegen und auf verschiedenen Gebieten des Geisteslebens Anregungen im Orient gesucht und gefunden haben. Dass dies auch für die Mathematik gilt, wurde eindrucksvoll bestätigt durch archäologische Funde, die im 19. und dem frühen 20. Jahrhundert im Vorderen Orient und in Ägypten gemacht wurden und überwiegend aus dem beginnenden 2. Jahrtausend v. Chr. stammen.
Weniger gut, doch nicht aussichtslos, ist die Quellenlage zur alten, aber wesentlich jüngeren indischen und chinesischen Mathematik. Die Sache wird dadurch erschwert, dass über das Alter der Quellen weitgehend Unklarheit besteht, jedoch dürften sie kaum weiter zurückreichen als bis in die Anfänge der griechischen Antike. Es ist daher nicht verwunderlich, dass man nicht selten auf Parallelen stößt, die Verbindungen mit dem Vorderen Orient und mit Griechenland nahe legen.
In Teil I dieses Buches wird versucht, ein Bild davon zu vermitteln, welches die allgemein- und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und Grundlagen für die Mathematik in den frühen Hochkulturen waren: von wem und zu welchem Zweck Mathematik „gemacht“ wurde, wie die verschiedenen Kulturen gleiche oder ähnliche Probleme gesehen, bearbeitet und – vielleicht – gelöst haben, und unter welchen Bedingungen ähnliche oder ganz verschiedene Strategien entwickelt wurden. Für die frühen Hochkulturen schien eine thematische Gliederung besser geeignet als eine nach Regionen und Zeiten.
Mit Thales und den frühen Pythagoreern begann ein Paradigmenwechsel, wie man ihn sich drastischer kaum vorstellen kann. Deshalb schien es nötig, die griechische Mathematik getrennt von den Themenbereichen der frühen Hochkulturen zu behandeln, was in Teil II geschieht. Das ändert aber nichts daran, dass sich hier die gleichen oder jedenfalls ähnliche Fragen stellen, wenn auch unter sehr verschiedenen Bedingungen: Was waren die historischen, geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, welches waren die Einflüsse, woher kamen die Inspirationen, was ist eigentlich das typisch Griechische an der griechischen Mathematik? Das kann selbstverständlich nicht ohne Bezugnahme auf die Errungenschaften der alten Hochkulturen erhellt werden.
Wir geben deshalb in der Einleitung einen kurzen Abriss dessen, was über die schriftlose Zeit mit einiger Gewissheit gesagt werden kann; wirklich sichere Auskünfte sind hier kaum möglich. Was Karl Jaspers für die Philosophie hervorhebt, gilt ebenso für die Mathematik:
„Der eigenständige Ursprung der Philosophie ist gleichsam geborgen in einem Anderen, aus dem er sich nährt oder dem er sich entgegen-stellt.“ [Jaspers, S. 8]
Bei dem Umfang des Buches konnte das Vorhaben selbstverständlich nur unter wesentlichen Einschränkungen bei der Stoffauswahl ausgeführt werden. Dennoch wurde versucht, die oben angedeuteten Kriterien wenigstens durch eine möglichst charakteristische Auswahl zu erfüllen.
Siegen, im Frühjahr 2012 | Wolfgang Hein |