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Eine Tür fiel krachend ins Schloss.

Gerhard Klug hörte es nicht.

Während rockige Fusion-Rhythmen aus den Lautsprechern drangen, stand er nackt im Badezimmer; betrachtete sich im beschlagenen Spiegel. Er sprühte einen herben Männerduft unter seine Achseln. Die Kühle des Sprays kitzelte und ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen.

Er betrat das angrenzende Schlafzimmer, das ein King-Size-Bett dominierte. Das Kopfende zierte ein von der Decke bis zum Boden reichender Spiegel; eingefasst von einem goldfarbenen Aluminiumrahmen, der den Eindruck entstehen ließ, in einem Bild zu schlafen.

Wieder übertönte die Musik das Zuschlagen einer Tür.

Er stakste auf die bodentiefe Fensterfront zu. Die schwüle Luft, die hinter ihm herkroch, heftete sich an die Glasfläche. Klug wischte den Beschlag mit dem Unterarm ab und schaute aus dem ersten Stock auf die großflächige Loggia, die ein ausladender Dachgiebel überspannte.

Mit einem Ruck zog er die schwere Schiebetür zur Seite, um ins Freie zu treten. Dünnschichtige Nebelschwaden, die die Parklandschaft in gespenstisches Grau hüllten, schoben sich zwischen den Bäumen herauf zum Haus. Die Burgruine Sonnenberg war schemenhaft hinter den Schleiern zu erahnen. In Kürze würde die Sonne den Dunst aufgefressen haben und die Sicht auf Wiesbaden freigeben.

Hatte er etwas gehört?

Er ließ seinen Blick über den Park gleiten. Was könnte das Geräusch verursacht haben?

Sicher eine Täuschung, dachte er.

Der Sommer neigte sich endgültig seinem Ende zu. Die ersten farbenprächtigen Blätter segelten gemächlich auf den Rasen und zeichneten abstrakte Muster auf das Grün.

Er stand an der Brüstung und genoss die bizarre Herbststimmung. Die feuchte Morgenkälte schmiegte sich wie eine Eisdusche an seine Haut. Er sog die Luft tief in seine Lunge. Es roch nach nasser, modriger Erde. Klug rieb mit den Händen über sein Gesicht und atmete mit einem leisen Pfeifen aus. Ein kalter Schauer überkam ihn, während sich die Morgenfrische ihren Weg in seine Knochen bahnte.

Fröstelnd griff er nach der Tür, als er ein Geräusch vernahm: das Klick-Klack von Stöckelschuhen auf Granitplatten. Er hielt inne. Instinktiv trat er zwei Schritte zurück, um nicht entdeckt zu werden.

Mathilde trippelte schnurstracks auf seinen Wagen zu.

Sie blieb kurz stehen, öffnete ihren mit Flausch verbrämten Bademantel und schlug ihn enger um ihren Körper, was ihr Hüftgold zusätzlich betonte. Den Unterkiefer vorreckend, klemmte sie sich eine Strähne hinter das Ohr. Eine rote Haarklammer hielt ihren Dutt, der einem zerfledderten Vogelnest glich, zusammen. Ihre nackten Füße steckten in strassbesetzten Sandaletten.

Klugs Ehefrau zog eine Fernbedienung aus dem rosafarbenen Morgenmantel. Sie drückte auf den Entriegelungsknopf, als wollte sie den letzten Rest aus einer Tube pressen. Die Blinker des Audi A8 blitzten auf. Sie riss die Fahrertür auf. Ihre Hände stützte sie an der Dachkante ab, trommelte mit den Fingern auf das Blech und steckte den Kopf ins Innere. Ihre Augen zuckten unruhig hin und her, inspizierten mit wirren Blicken den Innenraum.

Gerhard Klug war gestern Abend nach einer einwöchigen Geschäftsreise zurückgekehrt. Sein Wagen war die ganze Woche am Flughafen geparkt: Sie konnte nichts im Fahrzeug vergessen haben.

Ob sie ihm nachspionierte? Wonach suchte sie?

Seine Gemahlin ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen. Sie durchwühlte die Mittelkonsole, streckte sich hinüber zum Handschuhfach und zog einen Stapel Papiere hervor. Sorgsam begutachtete sie jeden Zettel. Wiederholt hob sie den Kopf, um durch die weit vorgeschobene Brille zu blicken, und verglich das Gelesene mit einer Information auf ihrem Smartphone. Ihre grimmige Miene wich einem Lächeln.

Hatte sie gefunden, wonach sie suchte?

Ein flaues Gefühl breitete sich in Klugs Magengrube aus. Im Handschuhfach bewahrte er Tankrechnungen, Flugtickets und Parkscheine der letzten Wochen auf. Seine Gedanken rasten. Was hatte sie entdeckt? Was zauberte dieses hämische Grinsen in ihr Gesicht?

Die Zeichen standen auf Sturm. Die nächste Auseinandersetzung würde sich nicht vermeiden lassen. Mit welchen Vorwürfen würde sie ihn heute konfrontieren?

Es verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht zankten.

Seit über zwei Jahren schliefen sie in getrennten Schlafzimmern. Auch keine Lösung auf Dauer. Die Scheidung war unausweichlich. ›Besser früher als später‹, dachte er.

Klug beschloss, ihr aus dem Weg zu gehen. In der Stadt gab es genug Lokale, die ihm ein ungestörtes Frühstück versprachen.

Er zog Boxershorts aus der Lade und schlüpfte hinein. Aus dem Abteil daneben entschied er sich für ein dunkles Hemd. Die passende Hose hing am ›Stummen Diener‹.

Nachdem er den Gürtel vor seinem flachen Bauch geschlossen hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Die modische Kleidung ließ ihn jünger erscheinen. Keine 52; höchstens 45. Er reckte das Kinn nach oben.

Als er die Hände in die Hosentaschen schob, ertastete er ein zerknülltes Stück Papier. Langsam zog er es hervor.

Den Zettel hatte er vor über zwei Monaten hinter dem Scheibenwischer vorgefunden. Er war mit dem letzten Flieger aus Paris gekommen, als er in der Tiefgarage die Nachricht entdeckte. Ein Organmandat konnte es nicht sein, war sein erster Gedanke. Vielleicht hatte jemand sein Fahrzeug beim Ausparken beschädigt? Er griff nach dem A6-großen Computerausdruck und las:

Letzte Warnung!

Spenden Sie sofort die geforderten zwei Millionen!

Wer war mit ›Sie‹ gemeint? Er selbst? Oder der Konzern? ›Sie‹ war auf dem Zettel großgeschrieben, was bedeutete, dass man ihn meinte. Warum spenden? Aber an wen? In welcher Währung? Euro? Pfund? Dollar? Bitcoin?

Im Laufe der Jahre hatten ihn wiederholt Bettel- und Erpresserbriefe erreicht, deren Forderungen stets konsequenzlos verhallt waren.

›Schon wieder so ein idiotisches Pamphlet‹, dachte er damals und zerknüllte die Nachricht. Aber er warf sie nicht weg, sondern ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden, wie ihm eine innere Stimme befahl.

Was ihn bewogen hatte, den Vorfall nicht dem Sicherheitsdienst seines Konzerns zu melden, wusste er nicht mehr. Es wäre auch seine Pflicht gewesen, seine Freunde des ›Economy-Clubs‹ zu informieren.

Beides hatte er unterlassen.

Die schwere Eingangstür fiel ins Schloss.

Erneut las er die Zeilen. Bei nächster Gelegenheit würde er seiner Sekretärin eine Kopie zukommen zu lassen. Sie würde die nötigen Maßnahmen in die Wege leiten. Kommende Woche auf Sardinien, würde er seinen Freunden davon berichten.

Mathildes schwere Schritte drangen an sein Ohr. Die Wendeltreppe knarrte kaum vernehmlich unter ihrem Gewicht. Klug konnte sich nicht erinnern, wann seine Gemahlin das letzte Mal in seinem Schlafzimmer gewesen war. Dass sie in diesem Augenblick die Stufen zu ihm herauf stapfte, bedeutete nichts Gutes.

Der nächste Streit war unausweichlich – einer von vielen.

COLLEGIUM.

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