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Vermögenstausch
ОглавлениеDas war eine Finanzoperette, der Kläger, die Beklagten und die (Laien)Richter wussten das. Tatsächlich kam dann auch nur der Prozess gegen Aphobos zustande, mit den beiden anderen wurde offenbar ein Vergleich geschlossen. Nach Ausweis der dritten Rede gegen Aphobos, deren Echtheit freilich umstritten ist, wurde der Beklagte zu einem Schadenersatz in Höhe der genannten zehn Talente verurteilt, eine fiktive Summe, die nicht auch nur annähernd einzutreiben war.9
Aphobos war in der Lage, sich im attischen Rechtsdschungel zu behaupten, und dies hatte er schon vor Prozessbeginn bewiesen. Er nutzte dazu eine der ungewöhnlichsten Einrichtungen, welche die Demokratie reichen Bürgern bot. In Athen wurde die Hauptlast des Steueraufkommens von den Reichsten getragen. Die ärmeren waren gar nicht in der Lage, auch nur eine Obole an Steuern zu entrichten. Im Gegenteil, sie mussten von der Demokratie alimentiert werden. Seit deren Wiedereinrichtung im Jahre 403 wurde der Besuch der Volksversammlung zuerst mit einer, dann mit zwei und bald danach mit drei Obolen vergütet. Später bekam ein Besucher der Volksversammlung, ein ekklesiastés, eine Drachme für eine Normalsitzung und eineinhalb für die einmal pro Prytanie stattfindende Hauptsitzung. Diäten erhielten schon seit Perikles die Ratsherren und die jährlich erlosten 6000 Richter. Ab der Mitte des Jahrhunderts wurden auch noch die Theorika (Schaugelder) zunächst für den Besuch der Dramenaufführungen, danach für den aller Feste gewährt. Wer von den Reichen zu einer Leiturgie herangezogen worden war, die in der Übernahme der Kosten für die Ausstattung eines Festes oder der Ausrüstung einer Triere bestand, konnte einen Bürger benennen, den er für reicher hielt und für diesmal an einer Verpflichtung vorbeigekommen war. Dieser musste dann statt seiner die Leiturgie übernehmen oder in einen Vermögenstausch, Antidosis genannt, einwilligen. Psychologisch geschickt lenkte dies den Unwillen vom Staat ab, öffnete gleichzeitig aber Denunziation und Betrug Tür und Tor. Freilich gab es auch Athener, welche die Übernahme einer Leiturgie als Ehre ansahen und damit um öffentliche Anerkennung buhlten.10
Ein gewisser Thrasylochos forderte nun zusammen mit seinem Bruder Meidias, der später zu den wirkmächtigen Feinden des Demosthenes zählen sollte, diesen auf, seine Trierachie zu übernehmen oder eben das Vermögen zu tauschen. Die Sache war unzweifelhaft mit Aphobos abgesprochen. Demosthenes aber befand sich in einem Dilemma. Willigte er in den Tausch ein, ging sein aktuelles Vermögen zusammen mit den Forderungen, die er gegen Aphobos hatte, an Thrasylochos über und war damit verloren. Verweigerte er den Vermögenstausch, musste er die Kosten der Trierarchie übernehmen und zwangsläufig seine ohnehin zerrütteten Finanzen weiter schmälern. Der Versuch, die Sache durch ein gerichtliches Verfahren, die sogenannte Diadikasía, im Vorfeld zu klären und die Sache abzuwenden, scheiterte. Demosthenes musste, da er auf das (falsche) Angebot nicht einging, den Anteil des Thrasylochos an der Trierarchie in Höhe von 20 Minen übernehmen. Er konnte dies schon nicht mehr aus eigener Kasse tun und musste dazu einen Kredit aufnehmen.11
Demosthenes ging das Risiko wohl aus zwei Gründen ein. Zunächst versprach er sich von einem erfolgreichen Prozess einen finanziellen Gewinn, der weit über den Kosten der Trierarchie lag, zum anderen beförderte die Trierachie seine Chancen, den Prozess auch zu gewinnen.
Vor Gericht stritten meist Reiche um ihren Reichtum, die Geschworenen dagegen gehörten in ihrer übergroßen Mehrzahl zu den ärmeren Bürgern, für die das heliastikón, der Richtersold, einen wichtigen Teil ihres Unterhalts darstellte. Für Reiche hatten sie kein Mitleid.12 Es galt daher, sich als arm, den Gegner als reich darzustellen. Wer eigenen Besitz nicht verbergen konnte, musste betonen, mit diesem vor allem seine finanziellen Verpflichtungen für den Staat bereitwillig und großzügig zu erfüllen. So wird Demosthenes auch nie müde zu betonen, dass das, was er tue, der Gemeinschaft nütze, das Tun seiner Gegner aber dieser schade. Dass dies auch oft auf plumpe Weise geschehen konnte, zeigt der Schlussappell der zweiten Rede, mit der er den Zuhörern versichert, sich unweigerlich jeder öffentlichen Leistung zu unterziehen, wenn er nur wieder in den Besitz seines Eigentums gelange.13 Aphobos aber werde das, was er sich angeeignet habe, verhehlen, zum Schaden des Staates und – das braucht Demosthenes nicht zu sagen – zu dem der hier anwesenden Geschworenen.
Demosthenes überzeugte die Richter, entweder von seiner Sache oder von ihrer oder von beiden. Aphobos’ Angebot, ein Talent rückzuerstatten, nahm er nicht an, und der Ausgang des Verfahrens gab ihm recht, denn Aphobos musste, wenn auch nur auf dem Papier, zehn Talente bezahlen. Dies freilich überschritt seine Möglichkeiten und für Demosthenes begannen neue Schwierigkeiten. Er musste die Pfändung des Schuldners selbst einleiten und versuchen, die Summe irgendwie einzutreiben. Aphobos aber hatte bis zum Abschluss des Prozesses genügend Zeit, Bargeld und Gerätschaften zur Seite zu schaffen. Für die Immobilien fand er noch eine andere Lösung.
Wir wissen um die Machenschaften des Aphobos und seiner Freunde, weil der Ausgang des Prozesses den nächsten zeitigte. Einen Prozesskrieg nennt das die Moderne, und eine Art Krieg herrschte tatsächlich zwischen den Reichen und den Armen, aber auch unter den Reichen. Demosthenes’ Gegner, von dem zwei erhaltene Reden kundtun, hieß nun Onetor und war – zumindest für zwei Jahre – der Schwager des Aphobos. Im Jahre 366, dem Jahr, in dem Demosthenes mündig wurde, hatte Aphobos die Schwester des Onetor geheiratet. Sie brachte mehr Mitgift als Demosthenes’ Mutter Kleobule, und außerdem hatte er deren Mitgift bereits ausgegeben. Onetors Schwester war zuvor mit einem Mann namens Timokrates verheiratet, der bald danach Archon wurde. Dieser konnte sich verbessern, als er eine lukrative Erbtochter fand. Die 80 Minen Mitgift, die er von Onetor erhalten hatte, gingen daher zurück an den Absender, und dieser konnte sie jetzt an Aphobos als seinen neuen Schwager weiterreichen. Da aber inzwischen bereits ein unglücklicher Ausgang des Verfahrens drohte, fanden beide mit Timokrates als Dritten eine erstaunliche Lösung. Timokrates behielt die Mitgift, die ja nun Aphobos zustand, und verzinste sie mit zehn Prozent. Gleichzeitig ließ sich Aphobos 364 zum Schein wieder scheiden, sodass sie wieder an Onetor zurückfiel. Als Demosthenes Güter des Aphobos beschlagnahmen wollte, tauchte wie der Igel im Märchen vom Wettlauf mit dem Hasen Onetor auf und behauptete, er habe Ansprüche auf Haus und Grundstück, weil die Mitgift nicht zurückerstattet worden sei. Nach längeren Auseinandersetzungen nahm Demosthenes Haus und Inventar, sprich Sklaven, im Wert von 20 Minen in Besitz, das große Grundstück im Wert von einem Talent verwehrte ihm Onetor weiterhin, und so begann 362 das nächste Verfahren.
Mit jedem Vermögensstreit stieg die Zahl der Feinde des Demosthenes, und manche blieben es ein ganzes Leben lang. Demosthenes verklagte jetzt Onetor auf Herausgabe des Grundstückes, indem er nachzuweisen versuchte, dass Entzweiung, Scheidung und Mitgiftrückforderung nur den schlechten Schein eines weiterhin bestehenden Einvernehmens zwischen Aphobos und Onetor bildeten. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt.14