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Die Kasse der Schaugelder Strategen, Rhetoren, Demos
ОглавлениеDie Geschichte der attischen Demokratie ist in der Überlieferung meist eine Geschichte von Einzelpersonen. Es gab, wie schon gesagt, keine Parteien, die bestimmte Interessen vertraten und durchzusetzen versuchten. So stehen Einzelpersonen oft repräsentativ für eine bestimmte Politik zum Nutzen einer bestimmten Gruppe. Aristoteles sieht die innere Geschichte Athens des 6. und 5. Jahrhunderts von zwei Kräften geprägt, vom Volk und von den Adligen, und konstruiert dazu eine Liste von Führern oder besser „Oberhäuptern“, die dem Demos beziehungsweise den Aristokraten „vorstanden“. Seine Liste reicht auf der einen Seite von Solon und Peisistratos über Kleisthenes, Themistokles und Ephialtes bis zu Perikles, Kleon und Kleophon, auf der anderen von Lykurg und Isagoras über Miltiades und Kimon bis Thukydides (Melesiou), Nikias und Theramenes. Hier schließt die Aufzählung, für das 4. Jahrhundert kennt der Autor bereits keine adligen Führer mehr, und diejenigen des Volkes werden – wohl nach oligarchischen Quellen – in Bausch und Bogen verdammt: „Endlich, von Kleophon an, übernahmen in ununterbrochener Reihenfolge diejenigen die Führung des Volkes, die vor allem ihre Unverfrorenheit hervorkehren und dem Volke nach dem Munde reden wollten, wobei sie (in Wirklichkeit nur) ihren augenblicklichen Erfolg im Auge hatten.“10
Adlige traten im 4. Jahrhundert vor der Volksversammlung kaum noch auf, doch wer das tat, war in der Regel nicht unvermögend. Im Prinzip konnte jeder attische Bürger initiativ werden. Wer Anträge stellte, musste weder reich sein noch für dieses Unterfangen gewählt werden. Jeder idiótes (Privatbürger) konnte das tun, doch war es schließlich nur eine Minderheit, die von diesem Recht aktiven Gebrauch machte. Wer erfolgreich agieren wollte, brauchte eine rhetorische Ausbildung, und die kostete Geld. Angeblich konnte sich Demosthenes die besten, ergo teuersten Redelehrer nicht leisten.
Die meisten Bürger blieben Zuhörer. Sie gingen oft auch der Tagegelder wegen auf die Pnyx. Nicht wenige fungierten als Geschworene, da auch hierfür ein Sold ausbezahlt wurde. An den Debatten der Volksversammlung beteiligten sich die meisten Bürger mit den Händen, teils, dass sie sie hoben, um sie zählen zu lassen, teils, dass sie sie zum Applaus rührten. Sicher konnten sie auch über die Redner lachen oder sie auspfeifen – beklagt werden von den Rhetoren regelrechte akustische Krawalle11 –, selbst aber blieben sie ansonsten stumm. Sehr wenige nur brachten Anträge und Argumente ein, noch weniger taten dies – wie ein Demosthenes – regelmäßig.12
Gegenüber der großen Zeit des Ersten Seebundes hatte sich vieles verändert. Wer im 5. Jahrhundert militärische Expeditionen beantragte, stand auch für deren Exekutierung ein. Der auf ein Jahr gewählte Strategos sprach vor dem Volk und führte das Heer zu Wasser oder zu Land. Das galt für Miltiades, Themistokles oder Perikles. Diese Personaleinheit driftete nach dem Peloponnesischen Krieg auseinander. Das Amt spaltete sich gleichsam auf. Die Kriegführung wurde komplizierter, die Redekunst artifizieller. Es gab technische Neuerungen auf dem Militärsektor, Söldnerarmeen ergänzten zunehmend die Bürgertruppen, und um erstere effizient zu führen, bedurfte es des Berufsoffiziers. Die Strategen, die nun die auswärtigen Kriege im Namen Athens führten – ein Charidemos, Chares oder Chabrias –, hielten sich selten in Athen auf und sprachen noch seltener zum Volk.
Die Rednerbühne beherrschten Männer, die bei den Feldzügen allenfalls als Soldaten dienten.13 Lediglich mit Kallistratos von Aphidna findet sich in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts noch ein Athener, der als Redner und Stratege – er wirkte maßgeblich bei der Reorganisation des Attischen Seebundes mit – kurzfristig zu Erfolgen kam. Da es an großen Kriegen im 4. Jahrhundert mangelte, und der einzige, der eine solche Bezeichnung verdiente, mit einer Niederlage endete, waren ohnehin kaum Siegeslorbeeren zu erwerben. Das Interesse der Bürger am wirtschaftlichen Bereich stieg, weil die Einnahmen sanken und Einkünfte, die im 5. Jahrhundert selbstverständlich waren, fehlten. Es entstanden neue Ämter für Finanzen, und auf diese und ihre Verwalter richtete sich der Blick der Bürger. Wer in diese Ämter gewählt wurde, kam zu Popularität und Einfluss.