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Der Trierarch
ОглавлениеIm Leben eines jungen Atheners gab es in der Regel wenig, das jenseits des Verwandten- und Freundeskreises von Interesse war. So begegnet uns Demosthenes – außerhalb der Gerichtshöfe – erst im Jahre 359 in der Öffentlichkeit. Seit der Schlacht von Mantineia, die das innergriechische Patt herstellte, waren drei Jahre vergangen, in Makedonien begann der Aufstieg Philipps. Athen hatte nach der Gründung des Zweiten Seebundes wieder imperiale Ziele im Blick. Besonders die nördliche Ägäis und speziell der Hellespont standen dabei im Visier äußerer Politik. Athen war auf Getreideimporte aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres angewiesen und brauchte den Zugang zu den Rohstoffen Thrakiens. So galt die Sorge der Sicherung der Schifffahrtsroute in den Norden. Zum Schutz athenischer Handelsplätze war eine Flotte auf Thasos stationiert, doch der Versuch, von dort das im Peloponnesischen Krieg verlorene Amphipolis zurückzugewinnen, das den Zugang zu den Bergwerken des Pangaion-Gebirges beherrschte, scheiterte Ende der sechziger Jahre.
Von wechselndem Erfolg waren die Bemühungen, die 405 verlorene thrakische Halbinsel (Chersones) wieder unter athenische Kontrolle zu bringen. Als sich 359 erneut eine Chance dazu bot, schickten die Athener eine Flotte unter dem Strategen Kephisodotos aus. Demosthenes befehligte (nominell) als Trierarch das Flaggschiff, auf dem der kommandierende Strategos mitfuhr. Bei ihren Vorstößen erlitten die Athener Verluste und mussten schließlich in einen ungünstigen Vertrag mit dem Thrakerkönig Kersobleptes sowie Charidemos, einem Söldnerführer aus Euboia, einwilligen. Charidemos bot seine Dienste alternierend Königen, Fürsten oder Stadtstaaten an. So versprach er zunächst den Athenern, für sie die Chersones wiedergewinnen zu wollen, verdingte sich aber dann dem Thrakerkönig Kotys und nach dessen Tod 360 dem Nachfolger Kersobleptes. Später wechselte er wieder die Seiten, wurde Ehrenbürger Athens und kämpfte als athenischer Strategos gegen Philipp. Mit dem als schmählich empfundenen Vertrag war 359 die Mission des Kephisodotos fehlgeschlagen. Er wurde zurückberufen, seines Amtes enthoben – im 4. Jahrhundert eine Routinemaßnahme der Volksversammlung – und zu einer Geldbuße von fünf Talenten verurteilt.
Das militärische Debakel hatte Demosthenes nicht zu verantworten; er hatte als Trierarch seine Pflicht getan, und die bestand weniger darin, an der Fahrt teilgenommen, als sie mitfinanziert zu haben. Anders als die späte römische Republik kannte die athenische Demokratie, in der die meisten Ämter verlost wurden, keine festgelegte politische Laufbahn, die Schritt für Schritt zu durchlaufen war, doch wer dazu in der Lage war, hatte viele Wege, um auf sich aufmerksam zu machen. Das konnte mittels eines Gesetzesantrages, mittels einer beeindruckenden Rede oder am einfachsten mittels einer Leiturgie sein, also in Form von Geld. 359 übernahm Demosthenes die Hälfte einer Trierarchie, das heißt er rüstete zusammen mit einem anderen Athener eine Triere aus und bezahlte die laufenden Unkosten. Mit solchen Leistungen für den Staat, hier einer Syntrierarchie, konnte ein aufstrebender junger Mann schon früh öffentliches Ansehen erwerben. Der Staatsmann Perikles war vermutlich erst 18 Jahre alt, als er den Chor für das Perserkriegsdrama des Aischylos finanzierte.
Die Trierarchie erforderte einiges an Investition, aber die Ausgaben ließen sich gleichsam als Werbungskosten für eine spätere Rhetorenkarriere absetzen. Fünf Jahre nach den Klagen gegen und über die Vormünder war Demosthenes offenbar wieder liquide. Vielleicht war der Ruin doch nicht so groß, wie vor Gericht behauptet, vielleicht war auch einiges von den veruntreuten Geldern zurückbezahlt worden, vielleicht hatte der Redner zusätzliche Einnahmen als Logograph. Auch lässt sich annehmen, dass er die Geschäfte des Vaters weiterführte, Waffen produzierte und mit ihnen handelte und sein Geld anlegte, wie es reiche Athener taten. Zum Bankhaus Pasion & Nachfolger bestanden jedenfalls auch weiterhin gute Beziehungen.
Nach seiner Rückkehr von der Fahrt erhob Demosthenes Anspruch auf eine Auszeichnung, den sogenannten trierarchischen Kranz, der ohne Ansehen des Erfolgs einer Mission demjenigen „Kapitän“ verliehen wurde, der sein Schiff zuerst als segelfertig melden konnte. Demosthenes besaß Konkurrenten, die ihm diese Ehre streitig machen wollten, und diesem Umstand verdanken wir auch die erste Rede, die er nicht vor Gericht hielt, die Rede um jenen trierarchischen Kranz, gehalten – die Datierungen schwanken von 360 bis 357 – um das Jahr 359, und zwar vor dem Rat der Fünfhundert, dem die Vergabe dieser Auszeichnung oblag. Über dem Persönlichen vergaß Demosthenes aber nicht die Kritik am Grundsätzlichen. Sie zielte auf die gängige Praxis, die Trierarchie sozusagen zu verpachten. Reiche Athener, die wenig Interesse an einer langen und vielleicht auch noch gefahrvollen Flottenfahrt hatten, mieteten sich einen Kapitän, der die Sache für sie besorgte. Das war geduldet, aber gesetzlich offenbar nicht vorgesehen, denn beim Scheitern der Flottenexpedition konnten die (hauptamtlichen) Trierarchen vor Gericht gezogen werden. Demosthenes selbst nennt einen solchen Fall. Offenbar pflegten die Ersatzkapitäne ihr Salär noch durch private Beutezüge aufzubessern, und auch das wurde für Athen ein Problem, wenn es auf dem Gebiet von Bundesgenossen geschah. Über den privaten Anlass hinaus berührte Demosthenes also in seiner Rede ein allgemeines Problem. Vielleicht hatte er wenig zu verlieren, da er nur einen einzigen Fürsprecher für seinen Anspruch auf den Kranz besaß, noch dazu den gescheiterten Strategen, dennoch war die Rede mutig, denn Demosthenes sparte nicht mit Kritik an den anwesenden Ratsherren. Der Ausgang ist ungewiss, in jedem Fall aber hatte der junge Redner auf sich aufmerksam gemacht.12