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Lehrjahre Die Anekdoten
ОглавлениеNach dem kurzen Streiflicht, das die Reden auf die Vermögensverhältnisse des Demosthenes werfen, versinkt seine Biographie wieder im Dunkel. Plutarch erhellt es mit Anekdoten, und die bilden, wie gezeigt, die Grundlage seiner Demosthenes-Vita. Er schöpft dabei aus einer langen, in frühhellenistischer Zeit entstandenen Tradition, die Demosthenes neben Perikles zum größten Redner griechischer Zunge stilisierte. Manches davon mag Plutarch geglaubt haben, anderes diente ihm dazu, den Charakter seines Helden herauszuarbeiten. In der Vita des Perikles ist der Aufstieg programmiert, denn dieser kam aus einer angesehenen aristokratischen Familie; hohe Staatsämter lagen gleichsam in seiner Wiege. Demosthenes verdankte seinen Aufstieg seinem eisernen Willen, dem demokratischen System und harter Arbeit, mit der er seine Fähigkeiten ausbildete. Er war ein Außenseiter, da er zwar aus einer reichen, aber letztlich fast ruinierten Familie kam.
Für einen Perikles waren nur die besten Philosophen der Zeit als Lehrer geeignet. Demosthenes liest – bei Plutarch – heimlich Lehrschriften, den Unterricht bei dem berühmten Isokrates kann er nach Vermutungen später Rhetoren als Halbwaise nicht bezahlen. Einige Quellen lassen ihn bei Platon in die Schule gehen; Plutarch selbst ist überzeugt, dass er den Redelehrer Isaios hörte, der als Metöke in Athen lebte und etwa eine knappe Generation älter war.
Der Unterricht trug freilich keine schnellen Früchte, das Debüt auf der politischen Bühne wird – so wiederum Plutarch – zum Fehlschlag: „Das erste Mal freilich, da er vor das Volk trat, erntete er Lärm und Gelächter, weil seine Art zu sprechen aller Gewohnheit widersprach und seine Rede durch verwickelte Periodisierung und verkünstelte Argumentation allzu herb wirkte und Missfallen erregte. Dazu kam, wie es scheint, eine Schwäche der Stimme, eine Undeutlichkeit der Aussprache und eine Knappheit des Atems, die durch das Zerreißen der Perioden den Sinn des Gesagten nicht recht klar werden ließ. Als er sich darum schließlich von der politischen Tätigkeit zurückzog und einmal niedergeschlagen im Piräus herumtrieb, sah ihn der Thriasier Eunomos, ein schon sehr alter Mann, und machte ihm Vorwürfe, dass er, obschon sein rednerischer Stil dem des Perikles sehr ähnlich sei, sich aus Mutlosigkeit und Weichlichkeit aufgebe, sich nicht beherzt der Masse stelle, nicht seinen Körper für die politischen Kämpfe stähle, sondern ihn aus Verzärtelung verkommen lasse.“
Abb. 3: Jean Lecomte du Nouy (1870): Demosthenes übt sich im Reden
Doch die ersten Misserfolge – auch der zweite Auftritt scheitert – werden, wenn wir der Überlieferung vertrauen dürfen, zum Ansporn. Was bei Perikles Talent und Begabung ist, das ersetzt Demosthenes durch Zielstrebigkeit und Zähigkeit. Er baut sich einen unterirdischen Übungsraum, den Plutarch über 400 Jahre später noch gesehen haben will, um sich dort im Vortrag zu üben und seine Stimme auszubilden. Täglich sei er dort hinuntergegangen, berichtet die antike Vita, und um konzentriert üben zu können, habe er sich die eine Hälfte seines Kopfes scheren lassen, damit er, aus Furcht sich lächerlich zu machen, das Haus längere Zeit nicht verlassen konnte.
Hier wurzelt auch die berühmte Legende vom maritimen Kieseltraining. Sie ist eine Verknüpfung zweier Anekdoten und beginnt mit Demetrios von Phaleron, dem Statthalter von Makedoniens Gnaden im nachdemokratischen Athen, dem der greise Demosthenes einst selbst die schwierigen Anfänge gestanden haben soll. „Die Undeutlichkeit und das Anstoßen mit der Zunge habe er weggebracht und eine klare Aussprache erzielt, indem er Steine in den Mund nahm und gleichzeitig lange Dichterstellen vortrug, und die Stimme habe er geübt, indem er bei raschem Lauf und beim Bergansteigen sprach und Reden oder Verse mit aufs äußerste angespanntem Atem vortrug; er habe auch zu Hause einen großen Spiegel gehabt und vor diesen hintretend seine Redeübungen gehalten.“
Abb. 4: Das Lysikrates-Monument: „Die Laterne des Demosthenes“
Einer zweiten Überlieferung zufolge ging Demosthenes bisweilen in den Hafen von Phaleron hinunter und sprach gegen das Brausen des Meeres an, um nicht aus der Fassung zu geraten, wenn es in der Volksversammlung zu einem Tumult käme. Beide Geschichten verdichteten sich dann zu der populär gewordenen Version, Demosthenes habe sich, Kieselsteine im Mund und laut am Meeresufer deklamierend, auf die Reden in der Ekklesia vorbereitet.
Ein anderes Manko, das Demosthenes nachgesagt wurde, war seine angebliche Unfähigkeit, aus dem Stegreif zu reden: Demosthenes’ stets ausgefeilte Reden mit ihren langen Perioden und ausgesuchten Sentenzen bedurften einer langen Vorbereitung. Vermutlich geht der Tadel auf den Aristoteles-Schüler Theophrast zurück, der in dem Athener Demades das größere Talent sah: „Freilich, in Bezug auf Demades waren sich alle darüber einig, dass er, indem er einfach von seiner natürlichen Anlage Gebrauch machte, unüberwindlich wäre und mit seinen Reden aus dem Stand die mühsam erarbeiteten Produkte des Demosthenes aus dem Felde schlug.“
Dem Redner Pytheas wird die spöttische Bemerkung zugeschrieben, Demosthenes’ Argumentation röche nach Lampe, das heißt nach dem Öl, das Demosthenes durch nächtelanges Arbeiten in seinem Studierzimmer verbrannte. Sogar Diebe sollen sich durch das ständige Lichtbrennen in ihrer Tätigkeit gestört gefühlt haben.
Demosthenes selbst störte die Kritik – wenn wir Plutarch glauben wollen – kaum, er verwandelte sie vielmehr in einen demokratischen Topos, der modern anmutet: Ein Mann, der sich auf seine Reden vorbereite, beweise damit demokratische Gesinnung, denn sich vorzubereiten sei ein Akt der Höflichkeit gegen das Volk, und sich nicht darum zu kümmern, wie die Menge die Rede aufnehmen werde, verrate einen überheblichen Aristokraten, der mehr an Gewalt als an Überzeugung denken lasse.
Von den Demosthenes-Anekdoten leuchtete die vom nächtlichen Redenverfasser besonders ein. Die Fama überdauerte die Antike, und seit dem Mittelalter hieß das berühmte Denkmal, das sich der Athener Lysikrates für seinen Sieg im Choregenwettstreit des Jahres 335/34 unterhalb der Akropolis errichtete und das als Anbau an ein Kloster unzerstört blieb, im Volksmund die „Laterne des Demosthenes“, da die Athener vermuteten, Demosthenes habe sich hier eine Studierstube erbauen lassen, um ungestört seine Reden ausarbeiten zu können.1