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Gras strich um meine Füße. Der Morgentau heftete sich an die Borsten. Nebel hüllte die Hügel in Watte, Stare kreisten, die Mücken wagten sich langsam aus ihren Verstecken. Über allem lag die Ruhe der frühen Stunde, die Stille, in der die Natur ganz sich selbst genügt, ohne die Geräusche der Zivilisation, das Tukkern der Traktoren, die Rufe der Bauern, das Hämmern und Sägen der Handwerker. Ich überquerte die Wiese, tauchte zwischen die Weinstöcke ein, folgte den Spalieren nach Westen. Im Rüssel kitzelte der Geruch vergorener Beeren. Der Boden stieg steiler an, ich befand mich bereits auf dem Grund der Delvecchio. Ich schlug einen Weg nach links ein, der unterhalb des Hanges verlief. Auf der Spitze des Hügels erstreckte sich das Anwesen der Familie. Eine Reihe von Pinienbäumen säumte die Zufahrtsstraße, am Ende erhob sich ein zweistöckiges Haupthaus mit mehreren Nebengebäuden zu beiden Seiten. Es Haus zu nennen, war eine Untertreibung, es handelte sich um ein ehemaliges Castello mit Türmchen und fein bearbeiteter Fassade, seit Jahrhunderten im Besitz der Delvecchio. Eine Demonstration der Macht, das monumentale Selbstverständnis einer Winzerdynastie. Die Nebengebäude bargen die Ställe, die Unterkünfte für die Angestellten und, etwas abseits, die Keller für das Keltern und Lagern des Weins. Die Familie beherrschte mit ihren Ländereien und Weinbergen den Weinhandel in der Umgebung, nur wenige konnten sich mit den Delvecchio messen. Ihr Barolo schmeckte mehr als ordentlich, gelegentlich kaufte Matteo bei seinem Nachbarn ein. Wenn auch ungern. Warum, weiß ich nicht. Bei den Gobetti sprach niemand darüber, die ganze Geschichte musste lange zurückliegen. Selbst Maria, die mit Besuchern gern ein Schwätzchen hielt, steuerte keinen Klatsch bei. Zumindest habe ich nie etwas mitbekommen.

Da ich schon in Riechweite des Anwesens war, verließ ich den Weinberg und nahm einen Umweg durch die Gemüsegärten. Nebenbei naschte ich ein wenig von den Fleischtomaten, die mich unterwegs zu einem Imbiss einluden. Ich steuerte die Senke unterhalb der Ställe an, die durch Ginsterbüsche vor den Blicken aus dem Haupthaus geschützt war. Ein leises Begrüßungsgrunzen zeigte mir an, dass Cleopatra mich an unserem üblichen Platz empfing. »Bienvenu. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs? Eine Weinprobe?« Sie grinste. »Oder bist du hier, um ein wenig nach Trüffeln zu suchen?« Der Duft von Thymian und Löwenzahn umgab sie. »Du weißt, mon ami, Konkurrenten lasse ich in meinem Revier nicht zu.«

Ich verzog mein Gesicht zu einer Miene scheinbarer Verzweiflung und stupste sie an: »Bitte, wenigstens ein klitzekleines Trüffelchen. Einen Babytrüffel.«

»Nichts da, du Wilderer. Du erinnerst mich an meinen Ururgroßonkel väterlicherseits, der anno 1789 während der Französischen Revolution guillotiniert wurde, weil er mit einem entwendeten Steinpilz in der Schnauze gefasst wurde. Dabei wollte er nur ...«

Ich ahnte, dass wieder einmal ein längerer Ausflug in die Geschichte bevorstand. Deshalb sagte ich, während meine Freundin Luft holte: »Es gibt Neuigkeiten.« Das wirkte immer. In allen Einzelheiten erzählte ich ihr von dem Gespräch zwischen Paolo und Eleonora und von meiner misslungenen Durchsuchung von Marias Zimmer. Den Teil mit dem Schlafzimmer ließ ich aus, jetzt bloß keinen falschen Zungenschlag ins Spiel bringen. Und, na ja, ein bisschen peinlich war es mir auch. Warum hatte ich mich nur so gehen lassen? Bei einem Menschen! Wir überlegten, was bei den jungen Gobetti vorgefallen sein mochte. Es blieb rätselhaft. »Und woher hat Maria den Wanderstock?«, fragte Cleopatra. »Glaubst du, sie hat ihn gefunden? Oder gar ...«, ihr stockte einen Moment der Atem, »... gestohlen?« Es sah Maria nicht ähnlich, Sachen zu entwenden. Irgendetwas daran war verdächtig. Warum war der Stock unter ihrem Bett verborgen? Oder hatte jemand anders ein Versteck gesucht und in der Eile das erstbeste gewählt, das er fand? Vielleicht war der Stock sogar absichtlich dort deponiert worden, um den Verdacht auf Maria zu lenken.

»Was ist mit Caruso passiert?«

»Keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich habe ihn seither nicht mehr gesehen.«

Cleopatra lud mich in ihre Kate auf einen Happen ein. Sie bewohnte einen hölzernen Anbau hinter dem Stall. Nichts Überwältigendes, Holzboden, Stroh, aber immerhin ein Raum für sie allein. Für die Contessa war es ein ständiger Dorn im Fleisch, dass sie nicht wie ich mit einer eleganten Einrichtung glänzen konnte, die ihrer Herkunft angemessen war. Cesare Delvecchio, der Chef der Familie, Alleinherrscher über das Vermögen des Clans, gönnte ihr wenigstens einige Privilegien wie die eigene Behausung, ausgezeichnetes Essen, wenn auch nicht so exquisit, wie Matteo es für mich zubereitet hatte, und das Recht, nach Lust und Laune frei herumzulaufen. Meine Freundin garantierte dafür den Delvecchio ein hübsches Zusatzeinkommen durch Trüffelsuche, beruhend auf alten Sonderrechten wie bei den Gobetti. Wenn auch ihre Ausbeute – das muss ich der Ordnung halber sagen – nicht mit meinen Erfolgen vergleichbar war. Das Haupteinkommen der Delvecchio floss aus der Weinproduktion. Sie lieferten alles, vom Vino da tavola bis zu Raritäten, für die Sammler horrende Preise zahlten. Schon der Name Delvecchio auf dem Etikett eines seltenen Jahrgangs ließ Kenner mit der Zunge schnalzen. Die Familie hätte viel mehr verkaufen können, aber ihrem Expansionsdrang standen die Ländereien der Gobetti im Weg. Matteo hatte sich immer geweigert, Grund an seine Nachbarn zu verkaufen, selbst Verpachten kam für ihn nicht in Frage, was Cesare besonders ärgerte, weil sich die Hügel der Gobetti als Standort für erstklassige Reben vorzüglich eigneten. Aber Matteo wollte seine Ruhe und war mit den Einnahmen aus dem Trüffelgeschäft völlig zufrieden.

Cleopatra servierte gedämpfte Kartoffeln, dazu in Stücke geschnittene Salatgurken. Wir aßen aus Edelstahleimern, nicht das, was ich von zu Hause gewöhnt war. Wenigstens gab das Metall keinen störenden Beigeschmack ab. Der Nachtisch bestand aus zermanschten Nebbiolo-Trauben. Wohl die Reste eines Pressdurchgangs aus der Kelterei. Ich schloss das Mahl gerade mit einem Verdauungsrülpser ab, als wir Stimmen aus dem Stall hörten. Laute Stimmen, die selbst durch die Mauer zu uns drangen. Es klang wie Streit.

»Du änderst dich wohl nie!« Eine Frauenstimme.

»Pia«, Cleopatra stieß mich an. »Das ist Pia, die DelvecchioTochter. Die ist seit ein paar Tagen wieder da.«

»Liebes Schwesterchen, von dir brauche ich keine Belehrungen. Absolut nicht. Hältst dich wohl für besonders gescheit. Nur weil du an der Universität studierst.« Den Tonfall kannte ich. Tizio Delvecchio.

»Darum geht es gar nicht, das weißt du genau. Du brauchst mir nicht dauernd aufs Brot zu schmieren, dass ich studiere. Du hättest es genauso machen können. Selber schuld. Keiner hat dich daran gehindert, mehr aus deinem Leben zu machen.«

»Verschon mich mit deinem Geschwätz.« Tizio klang ungehalten. »Du musst ja nicht jeden Tag Papa und seine Launen ertragen. Du hockst weit weg in Mailand, kommst alle paar Monate zu Besuch. Wenn ich mir mal eine Freiheit rausnehme, machst du Theater.«

»Aber Tizio, eine verheiratete Frau! Bist du wirklich so blöd? Wenn das ihr Mann rauskriegt. Der wird dich ...« Pias Stimme senkte sich zu einem Flüstern. Der Rest des Satzes war nicht zu verstehen.

»Schwesterchen, du machst dir zu viele Gedanken. Noch ist nichts passiert. Ich habe ...« Dummerweise sprachen die beiden noch leiser, sodass nichts mehr zu hören war. Wir warteten noch eine Weile, aber es blieb still. »Komm, gehen wir Caruso suchen«, sagte ich zu Cleopatra.

Wir liefen die vertrauten Pfade ab, steuerten die gewohnten Plätze an, schauten an den üblichen Treffpunkten vorbei. Caruso war nirgends zu entdecken. Seine Lieblingsstelle am Wasserfall. Kein Caruso. Das Mooslager bei den drei Eichen, wo er heimlich seine Nickerchen hielt. Nichts. Die Wiese mit dem Streuobst. Fehlanzeige. Wir strichen durch die beiden Gemüsegärten der Gobetti. Vielleicht naschte er gerade von den Zucchini. Wieder nichts. Wir tappten hinüber zu Matteos Haus.

Die Gobetti hatten Besuch. Auf dem Hof parkte ein Kleinlaster. Ein Rest von Trüffelaroma klebte an den Ladeflächen, auf den seitlichen Reklametafeln prangte eine Schale mit Trüffeln, darunter eine Telefonnummer. Wir nahmen den Hintereingang durch den Stall und schlichen uns von dort zum vorderen Eingang. Zwei Kühe ließen ein Protestmuhen hören, als wir ihre Ruhe störten. Paolo kam nach einer Weile aus dem Haus. Ihm folgte eine Frau mit flammend rotem Haar, das mit Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Ihr Holzfällerhemd steckte in Jeans. Die gelben Gummistiefel bildeten einen starken Kontrast zum Blau der Hose. Paolo sagte etwas zu ihr. Sie ließ ein Lachen ertönen, hell und andauernd, ein Lachen, an dem man sie unter Tausenden herausgehört hätte: Rebecca Monte. Matteos bevorzugte Trüffelhändlerin aus Alba. Sie war alleinstehend, so viel wusste ich, ihre Vergangenheit lag für mich im Dunkeln. Sie hatte Charme, das sah ich, aber dass ihre Gerissenheit ihre körperlichen Vorzüge noch übertraf, war mir auch nicht entgangen. Ein Wiesel, immer hungrig, immer auf der Lauer.

Sie spazierte mit Paolo über den Platz, den Arm bei ihrem Begleiter untergehakt. »Also, mein Angebot steht«, sagte Rebecca, »ich bin bereit, das Dokument zu erwerben.«

»Was willst du mit der Karte? Du hast doch deine Zulieferer, bist doch nicht selbst Trüffelsucherin«, antwortete Paolo.

»Expansion, Expansion, mein Guter. Wenn ich mehr frische Ware exklusiv anbiete, ohne Zwischenhändler, bringt das mein Geschäft gewaltig voran. Dann schaff ich’s unter die Top drei der Region, wenn’s gut läuft sogar zur Nummer eins. Rebecca Monte: Numero uno. Na, wie klingt das?«

Paolo blieb stehen und legte seine Hand auf ihren Arm. »Du glaubst, ein einfaches Stück Pergament genügt – und du wirst zur Trüffelgroßmacht? Du träumst. Das ist lächerlich.«

»Ich hatte mit Matteo darüber geredet. Er hat mir anvertraut, dass seine riesige Ausbeute einzig auf die alte Trüffelkarte zurückzuführen ist.«

Mir blieb die Luft weg. Was war mit meinen Leistungen? Und wenn die Karte in Gold gegossen wäre – kein Leonardo, keine Trüffel. So einfach war das. Das hatte diese, diese .... Dame aus Alba wohl vergessen.

»Tatsächlich? Das war mir bisher nicht so bewusst gewesen.« Paolo überlegte. Sein Gesicht zeigte keine Regungen. »Warum hast du dann Matteo diese wertvolle Schatzkarte nicht längst abgekauft?«

»Ich hab’s probiert. Mehrmals. Aber er wollte sie selber nutzen«, sagte Rebecca. »In letzter Zeit allerdings hatte er sich ein wenig zögerlich gezeigt. Vielleicht wollte er sich zur Ruhe setzen. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, es fehlte nicht mehr viel, und er hätte die Karte hergegeben, mir zuliebe. Ich hatte mich mit ihm bereits verabredet, um das Ganze nochmals durchzusprechen, und da passierte dieser ...«

»Was ist dir denn die Karte wert? In Euro, meine ich.« Rebecca drehte sich zu Paolo um und fasste ihn an der Schulter.

»Paolo, verkauf mir das Stück. Du hast sowieso keine Verwendung dafür. Du verfolgst andere Pläne. Bei mir ist das Erbe der Gobetti in guten Händen. Ich werde das Andenken Matteos immer bewahren und mit der Karte die Familientradition fortführen.« Ihre Stimme hatte einen beschwörenden Ton angenommen. »Verkauf mir die Karte. Mir – und keinem anderen. Denk an die Familie!«

»Ich überleg’s mir«, sagte Paolo. »Lass uns die Beerdigung abwarten, dann können wir noch mal reden.«

»Ja, die Beerdigung. Da hast du recht.«

Cleopatra schüttelte ihr Vorderbein. »Mir ist der Fuß eingeschlafen«, grunzte sie.

»Wer ist denn da im Stall? Da ist ja Matteos Trüffelschweinchen!« Rebecca hatte mich entdeckt. Offenbar waren wir zu laut gewesen. »Jetzt nichts wie weg«, zischte mir Cleopatra ins Ohr. »Ich hau ab!« Sie verschwand. Für mich war es zu spät. Rebecca hatte mich mit ihrem scharfen Blick festgenagelt und hielt geradewegs auf mich zu. »Ist das nicht ein süßer Eber«, flötete sie. »Und der weiße Ring um die Brust. Wie hübsch.« Sie stand jetzt direkt neben mir und tätschelte meinen Rücken, als wäre ich ein Plüschtier. »Matteos erfolgreicher Minensucher.« Sie wandte sich an Paolo. »Wenn du willst, befreie ich dich von diesem Tier. Ich kaufe das Schwein gleich mit. Wenn ich die Karte habe, brauche ich schließlich eine Detektornase. Es hat mit Matteo geklappt, warum sollte es mit mir nicht klappen?« Wieder tätschelte sie meinen Rücken. »Was meinst du, mein Schweinchen? Wir werden sicher gute Partner.«

Tartufo

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