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Cleopatra war noch außer Atem. Ihre Flanken hoben und senkten sich, ihr Rüssel schwenkte nach Luft schnappend hin und her, sodass ich nicht einmal zu unserem Begrüßungsritual, dem Nasewetzen, kam. Der Duft von Moosröschen lag in der Luft. »Sagst du mir heute nicht guten Tag?«

»Moment.« Meine Freundin japste. »Moment, mon cher. Ich bin fast die ganze Strecke von zu Hause hierher gerannt, einen Moment noch.« Allmählich ging ihr Atem gleichmäßiger. Sie schüttelte sich. »So, jetzt geht's wieder. Komm her, mein Guter.«

Und wir begrüßten uns auf die gewohnte Weise: Zuerst berührten sich unsere beiden Rüssel, mehr ein Tupfen, den Partner schnuppernd und fühlend. Dann umkreisten sich unsere Nasen, erst linksherum, dann rechtsherum, am Ende rieben wir sie mehrmals gegeneinander. Bei Cleopatra war es jedes Mal ein Genuss. Cosi dolce. Eine vertraute, intime Geste. Es gibt nichts Besseres. Wer es nicht kennt, hat etwas versäumt im Leben. Viel besser als das Küssen bei den Menschen. Was all die Leute nur daran gut finden, ihre Lippen gegeneinanderzupressen, um den Mundgeruch des anderen zu inhalieren. Der Mund ist zum Essen da. Zum Sprechen. Zum Kauen. Aber nicht um die Haut des Gegenübers abzuwischen. Dafür sind die menschlichen Lippen viel zu unsensibel. Ihnen fehlen die empfindlichen Geruchs- und Geschmackssensoren der Schweine.

»Warum hast du es denn so eilig?«Ich setzte mich, lehnte den Rücken an die Wand. Cleopatra ließ sich neben mir nieder. Einen Moment genossen wir die Sonnenstrahlen, die den Platz an der Rückseite des Gobetti-Stalls erwärmten und das launische Herbstwetter vergessen ließen.

»Wichtige Neuigkeiten.« Cleopatra hob den Kopf, eine Moosröschenwolke folgte.

»Und?«

»Nur mit der Ruhe.« Es schien ihr Spaß zu machen, ihren Bericht noch etwas hinauszuzögern und mich auf die Folter zu spannen. »Ich weiß was Neues über die Gobetti.«

Ich rümpfte die Nase. »Was willst du schon über uns hier wissen, was ich nicht weiß, du hockst drüben bei den Delvecchio. Weit weg.«

»Warte es ab, du Schlauberger. Du weißt längst nicht alles. Aber wenn es den Herrn Schlauberger nicht interessiert, dann kann ich mit dem Herrn Schlauberger auch übers Wetter reden ... « Sie blinzelte und tat so, als betrachtete sie angestrengt einen Grasfleck am Boden.

Cleopatra spürte, wie sie mich packen konnte. Dafür kannte sie mich zu gut. »In Ordnung. Ich gestehe — ich weiß nicht alles.« Meine Stimme hob sich zu einem Säuseln. »Erzähl. Bitte.«

»Also, ich hab bei den Delvecchio gelauscht. Als Cesare und seine Frau in der Weinhalle arbeiteten, bin ich einfach mit reingeschlichen und hab mich in eine Ecke gedrückt. Der Padrone ist an meine Anwesenheit gewöhnt. Und da hat er es Apollonia erzählt.«

»Was denn nun?«

»Das Erbe. Der Nachlass Matteos. Wer das ganze Vermögen erhält. Ob Eleonora und Maria bedacht wurden. Aber angeblich regelt sich alles ganz einfach: Paolo wird alles erben. Er ist der neue Padrone auf dem Hof der Gobetti.«

»So lautet also Matteos Testament?«

Wind kam auf, strich durch die Bäume, ein Geräusch wie ein Seufzer. Es wurde kühler. Die Wand hinter uns gab die gespeicherte Wärme an unsere Körper ab. Von irgendwoher war ein Auto zu hören. Blätter wirbelten über uns hinweg.

»Das ist ja das Seltsame — es gibt kein Testament. Zumindest ist kein Testament auffindbar. Paolo ist zum Gericht gegangen und hat behauptet, es gebe keinen Letzten Willen Matteos«, sagte Cleopatra. »Cesare Delvecchio hat offenbar einen Informanten bei Gericht sitzen, der ihm die Sache gesteckt hat. Du weißt, wie mächtig er ist. Sein Einfluss reicht weit.«

»Und das Gericht schluckt das einfach so? Matteo ist noch nicht mal richtig unter der Erde, da taucht bereits am nächsten Tag Paolo auf und will sein Erbe antreten? Macht das die Behörden nicht misstrauisch?«

»Cesare sagt, wenn das Gericht keinen vernünftigen Zweifel benennen kann, gibt es kein Hindernis. Paolo ist der einzige Nachkomme. Nach dem Gesetz gilt er als der natürliche Erbe. Noch sind die Formalitäten nicht erledigt. Aber die Sache scheint gegessen.«

»Ich dachte immer, Matteo hätte seine Hinterlassenschaft schriftlich geregelt«, sagte ich.

»Nicht unbedingt. Bestimmt hat er noch nicht damit gerechnet, schon jetzt in den Ewigen Bauch überzuwechseln.«

»Das kann sein. Und was sagen die Delvecchio?«

»Apollonia drängt ihren Mann, sich die Ländereien der Gobetti unter den Nagel zu reißen. Die beiden wirken sehr selbstsicher. Sie scheinen irgendetwas auszuhecken.«

»Das hängt ganz von Paolo ab. Ohne den können sie nichts machen. Wir werden bald sehen, was er vorhat.« Ein Habicht flog auf. Der Wind klang nun nach einem Wimmern. Das Gras duckte sich unter dem Sturm.

Unvermittelt legte Cleopatra ihren Huf auf meinen. »Sei still! Hörst du was?«

Wir lauschten gemeinsam. Neben den üblichen Geräuschen des Bauernhofs war zunächst nichts Außergewöhnliches zu vernehmen. Ich wollte gerade zum Reden ansetzen, da hörte ich einen klagenden Ton. Ein Flehen, ein Wimmern. Das kam also doch nicht vom Wind.

Cleopatra stieß mich an. »Da jammert jemand. Wie unter Schmerzen. Ich kann nicht heraushören, ob es ein Mensch oder ein Tier ist.«

»Lass uns nachsehen.«

»Sei bitte vorsichtig.« Cleopatra blickte alarmiert.

Ich stand auf, schüttelte mich und versuchte, Witterung aufzunehmen. Nichts Ungewöhnliches. Dem Ton nach zu urteilen, konnte die Quelle nicht weit entfernt sein. Vielleicht irgendwo auf dem Hof. Wir trabten hinter das Hauptgebäude, blieben stehen, lauschten. Stille. Nur einige Insekten umkreisten mich. Vorsichtig schob ich meinen Kopf um die Ecke, um die Seite von Paolos Wohnflügel zu inspizieren. Auch hier keine verdächtigen Gerüche. Ich schob mich an der Wand entlang, Cleopatra und ihre Moosröschen folgten dicht hinter mir. »Mit deinem Parfum brauchen wir gar nicht vorsichtig zu tun, es ist so auffällig, da könnten wir uns gleich mit einer Trommel ankündigen«, zischte ich.

»Soll ich lieber stinken, mon Général?« Das Flüstern hinter mir klang ungehalten. »Den Duft habe ich mir extra heute Morgen komponiert. Magst du ihn etwa nicht? Stehst du mehr auf Weinaromen?« Ich erhielt einen Stups in meine Hinterbacke. »Pass auf, dass du nicht stolperst!«

Am Ende von Paolos Haus hielten wir inne. Ich sog die Luft ein, etwa so, wie wenn Menschen auf Lunge rauchen. Es war der gewohnte Geruch des Gobetti-Anwesens. Der Vorplatz lag wie ausgestorben da. Keine Spur von Maria, Paolo oder Eleonora.

»Hörst du nichts?« Cleopatra stupste mich wieder an. »Da ist es wieder!«

Tatsächlich — der seltsame Laut wehte zu uns herüber. Er schien aus der Halle zu kommen, in der die Fahrzeuge und die landwirtschaftlichen Geräte standen.

»Sollen wir da wirklich rübergehen?«, fragte meine Begleiterin. »Wer weiß, was da drin ist.«

»Nun hab dich nicht so, ich bin ja bei dir.«

»Mein Held.« Ihre Worte troffen vor Ironie. »Ich befürchte, das nützt mir im Ernstfall auch nichts.«

Statt sie mit einer Antwort zu beehren, marschierte ich einfach los. Nach einer Sekunde des Zögerns lief Cleopatra hinterher. Wir erreichten das Eingangstor ohne Zwischenfälle — was keine Kunst war, da sich sowieso niemand blicken ließ. Der Gestank von Diesel, Motorenöl und Gummi hing im Raum, vom Stall her kamen die Ausdünstungen der Kühe. Ein Deckenbalken ächzte. Ich beschnüffelte den Vespa-Roller, Paolos Wagen, inspizierte den Traktor und die Anhänger — nichts Auffälliges. Alles wie gewohnt.

Da war er wieder, der Klageton. »Hörst du es? Wie unheimlich«, flüsterte Cleopatra hinter mir. »Muss aus dem Stall kommen«, flüsterte ich zurück. Wir tippelten auf Hufspitzen zu dem Durchgang, der diesen Teil der Halle vom Stall trennte. Die Kühe standen in ihren Boxen. Das Heulager, das Wasserbecken, der rückwärtige Ausgang — alles vertraut, wie immer. Nur das Kauen der Kühe war zu hören, die unverdrossen ihre Tagesration in sich hineinschlangen.

»Huhuuh.«

Unwillkürlich zuckten wir zusammen. Der Ton stach wie eine Stahlklinge in meine Knochen und machte mich schaudern. Ich spürte, wie Cleopatra neben mir bebte und sich an mich schmiegte. Das Winseln kam aus dem Heulager. Ich blickte in den Gang, konnte aber niemanden entdecken. »Nur Mut, wird schon nichts Schlimmes sein«, hauchte ich in Cleopatras Ohr und machte einen Schritt. Sie blieb unbeweglich wie eine Marmorstatue. Ich knabberte an ihrem Ohr. »Komm jetzt!« Widerstrebend folgte sie mir, Huf um Huf, als triebe es sie geradewegs zum Schafott. Eine halbe Ewigkeit später waren wir auf Höhe der Balustrade, die das Heudepot abgrenzte. Es war verhext, kein Lebewesen außer den Kühen zu sehen oder zu riechen. Da — wieder zuckte Cleopatra zusammen.

»Es ... es hat sich was bewegt, neben mir, im Heu.« In ihrem Gesicht war das reine Entsetzen.

»Ich sehe nichts. Ich glaube, du ...«

Da sah ich es auch. Es bewegte sich. Das Heu. Etwas war darunter. Etwas Lebendiges. Ich machte mich bereit, mich notfalls auf den unsichtbaren Gegner zu stürzen — oder zu fliehen. Die Halme teilten sich, und das Etwas kam zum Vorschein. Ein Rüssel. Dem Rüssel folgte ein Kopf. Caruso!

»Ha-hallo.«

Caruso kroch aus dem Heu. Er schüttelte sich, stolperte und rutschte auf den Boden. Mit wackeligen Beinen richtete er sich auf, knickte wieder ein und versuchte es noch mal, bis er stand. Er sah aus, als habe ihn jemand gerade aus einer Kiste ausgepackt. Halme hatten sich in seinem Fell verfangen. Die Augen stumpf und trübe. Die Dämpfe, die von ihm ausgingen, eine Beleidigung für jeden zivilisierten Rüssel. Er schüttelte sich nochmals, Heuhalme wirbelten umher. Dabei hielt er den Blick auf den Boden gesenkt, als traue er sich nicht, uns anzuschauen.

»'tschuldigung, Leonardo.« Seine Stimme war kaum zu verstehen, ein Piepsen im Tonfall des reuigen Sünders.

Cleopatras Mund klappte auf und wieder zu. Sie schnupperte, um sicherzugehen, dass das Lebewesen vor ihr kein Gespenst war. »Du! Was hast du uns für einen Schrecken eingejagt! Was denkst du dir eigentlich?«

»Und wo bist du gewesen? Warum hast du mich im Stich gelassen?« Ich spürte Unmut und Ärger in mir aufsteigen. Was hatte ich mir Sorgen gemacht! Und jetzt lag der Bengel hier im Heu. »Am liebsten würde ich dir den Hintern versohlen.« Ich war bereit, ihm einen Schubs als Denkzettel zu verpassen. Cleopatra aber trat dazwischen und drängte mich ab. Sie hatte zu ihrer üblichen Klasse zurückgefunden.

»Lass den Kleinen in Ruhe. Du siehst doch, er hat einiges durchgemacht. Armer Caruso.« Tröstend rieb sie ihre Nase an seiner.

Das war wieder typisch. Kaum zeigt sich der Junior reumütig und zerknirscht, schmilzt die Frau dahin wie Erdbeereis auf der Zunge. Keine Rede mehr von Tadel und Bestrafung. So weit zu meinen Bemühungen als Erzieher und Pädagoge. »Nun erzähl schon, was passiert ist.«

»Ich, ich ... Leonardo, ich schäm mich so!« Caruso bot ein Bild des Elends. »Ich hab alles vermasselt.«

Nach und nach brachten wir aus ihm heraus, was vorgefallen war: Er hatte brav vor Paolos Haus Wache gehalten, während ich Marias Zimmer durchsuchte. Nachdem er eine Weile am Eingang gesessen hatte und nichts geschehen war, glaubte er, kurz hinters Haus zum Austreten gehen zu können. Als er wieder seinen Posten beziehen wollte, bemerkte er, wie Maria anmarschierte. Für einen Warnruf war es zu spät. Um nicht ebenfalls entdeckt zu werden, rannte er in Panik in den Stall und versteckte sich hinter den Fahrzeugen.

»Und was ist dann passiert?« Ich sah ihn streng an.

»Ich hab mich zuerst nicht herausgetraut. Weil ich nicht wusste, ob Maria noch mal auftaucht. Nach einer halben Stunde oder so hörte ich ein Auto. Diese Trüffelhändlerin, diese Rebecca wollte anscheinend etwas abliefern, Steinpilze, dem Geruch nach zu urteilen. Sie brachte einen Korb an die Haustür. Aus dem Laderaum roch es so lecker.« Caruso seufzte. »Ich wollte kurz nachsehen, ob da drin was zum Essen zu finden war. Nur ein Moment. Und dann ...«

»Du bist in einen fremden Wagen gesprungen?« Cleopatra blieb der Mund offen. »Grand dieu — hattest du einen Sonnenstich?«

»Ich hatte mich dusselig angestellt. Das weiß ich jetzt. Kannst du mir verzeihen?«

Ich stupste ihn an. »Erzähl weiter.«

»Also, wo war ich stehen geblieben? Ähh, nun, als ich den Wagen wieder verlassen wollte, war es zu spät. Rebecca stand plötzlich vor dem Lieferwagen. Ich konnte mich gerade noch hinter einem Sack verstecken, da fiel auch schon die Tür ins Schloss. Und die Frau fuhr los. Die hat vielleicht einen Fahrstil, sage ich euch. Ich habe jede Menge blauer Flecken.« Er deutete auf seinen Bauch und die Schulter. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken, probierte weiter meinen Strenger-Lehrer-Blick, auch wenn es mir schwerfiel. Nein, ich konnte ihm einfach nicht lange böse sein.

»Irgendwann, eine halbe Ewigkeit später, mir war schon ganz übel, stoppte das Auto. Die Trüffelhändlerin öffnete die Tür zum Laderaum, schnappte sich einen Sack, der halb so groß wie sie selber war, und verschwand. Sie hatte mich nicht bemerkt. Ich nutzte die Gelegenheit und sprang aus dem Wagen. Da war meine Flucht auch schon wieder zu Ende.«

»Mon pauvre petit, du hast einiges durchgemacht«, sagte Cleopatra. »Hat dich diese Frau entdeckt?«

Caruso erzählte die weiteren Ereignisse. Er war in einem Hinterhof gelandet, dem Lärm nach zu urteilen, irgendwo in Alba. Rebecca Monte war nirgends zu sehen gewesen. Mauern grenzten den Hof von der Straße ab, ein Eisentor versperrte den Ausgang, ein zweistöckiges Geschäftsgebäude bildete die Stirnseite. Mülltonen reihten sich entlang der Mauer, vor dem Hintereingang des Hauses stapelten sich Körbe und Holzkisten. Ein Wasserschlauch lag aufgerollt in der Ecke. Kartons, aus denen Holzwolle quoll, Rollen von Sisalschnur, mehrere Eimer. Über allem lag der durchdringende Geruch von Steinpilzen, Pfifferlingen — und Trüffeln.

»Noch nie in meinem Leben habe ich Tartufo-Duft in einer solchen Konzentration geschnuppert«, sagte Caruso. »Ihr könnt euch denken, wie mir der Mund wässerte.«

Er hatte sich hinter den Abfalltonnen verborgen, um abzuwarten, bis Rebecca den Wagen entladen hatte. Eine Weile war nichts geschehen. Dann hörte Caruso, wie jemand herauskam. Rebecca und ein Besucher. Tizio Delvecchio. Er hatte eine Lieferung Wein gebracht, trug die Kisten auf den Hof. Die beiden unterhielten sich über die Traubenernte und das Trüffelgeschäft. Dann kam das Gespräch auf Matteo Gobetti. Tizio wollte mehr über Rebeccas früheres Verhältnis zu dem Toten wissen. Hatten sie sich gut gekannt, standen sie sich näher? So was in der Art. Die Trüffelhändlerin antwortete ausweichend, schien sich dabei unwohl zu fühlen. Tizio behauptete, er habe beide einmal abends in einem Restaurant in Barbaresco gesehen. Sie hätten sich mit so verliebten Augen angeblickt, dass sie ihn nicht bemerkt hätten. Rebecca lachte nur, nannte Tizio einen Schwärmer mit zu großer Fantasie.

Tizio ließ nicht locker, wies darauf hin, dass er Rebecca und Matteo später nochmals in Alba entdeckt hätte, wo sie eingehakt in einer Seitengasse flanierten. Die Trüffelhändlerin entgegnete, sie seien öfter zusammen spazieren gegangen, auch eingehakt, das habe sich manchmal nach einer Trüffellieferung ergeben, wenn sie in guter Laune waren und den Geschäftsabschluss feiern wollten. Daran sei nichts geheimnisvoll, jeder in Alba habe sie sehen können.

»Eine Zeit lang ging es hin und her«, sagte Caruso. »Rebecca konterte mit dem Hinweis, Tizio solle seine Hellseherkünste doch besser auf seine weibüchen Bekanntschaften anwenden. ›Vielleicht bist du damit künftig erfolgreicher‹, meinte sie.« Er solle sich besser bei seiner früheren Freundin entschuldigen, einer Bedienung aus dem Café an der Piazza Risorgimento. Die hatte nämlich herumerzählt, sie habe sich von dem jungen Delvecchio getrennt, nachdem er sie im Zorn eine Balustrade hinuntergestoßen habe. »Nicht gerade die beste Werbung fürs Geschäft«, bemerkte Rebecca mit einem süffisanten Unterton. Daraufhin rastete Tizio aus, nannte seine Ex-Freundin eine Lügnerin, die nur ihren Frust an ihm auslassen wolle. »Ich habe nämlich mit ihr Schluss gemacht, nicht umgekehrt«, sagte er.

Tizio wechselte das Thema, berichtete Caruso, er erzählte von den Ausbauplänen seines Vaters, von der Chance, ein Weingut in Treviso günstig zuzukaufen, dessen Besitzer kurz vor der Pleite stehe. Eine einmalige Gelegenheit, wenn auch die Weinlagen nicht die Klasse der Delvecchio hätten. Tizio hielt einen kurzen Vortrag über die Geschichte des elterlichen Weingutes und bemerkte, dass sein Vater Cesare Rebeccas Mutter gekannt habe. Wie es denn in ihrer Familie aussehe, wollte Tizio wissen. Er habe sich mit ihr darüber noch nie unterhalten.

»Habt ihr gewusst, dass Rebecca aus einer Beamtenfamilie stammt?«, unterbrach Caruso seinen Bericht. »Sie hat es Tizio selbst erzählt. Die ganze Geschichte. Und ich durfte mich hinter meiner Mülltonne nicht bewegen. Mir sind die Füße dabei eingeschlafen.«

Eigentlich hatte ich mir bisher um Rebecca Monte keine besonderen Gedanken gemacht. Sie war regelmäßig auf den Hof der Gobetti gekommen, um Trüffel abzuholen. Oder auf ein Schwätzchen. Sie und Matteo hatten sich wie gute Freunde verhalten, oft zusammen ein Glas getrunken, über Witze gelacht, gemeinsam Verdi-Musik gehört. Aber mehr? Ich konnte es mir nicht vorstellen.

Neugierig lauschte ich Caruso. Nach dem, was der Junior mitgehört hatte, stammten Rebeccas Eltern aus Aosta in den Bergen nahe der Grenze zu Frankreich. Der Vater hatte als Zollbeamter gearbeitet, das Einkommen deckte gerade die monatlichen Ausgaben und den jährlichen Ausflug an den Lago Maggiore. Spaghetti al pomodoro und Gnocchi mit Buttersoße standen mindestens einmal die Woche auf dem Speiseplan, sonntags bekam die kleine Rebecca eine Flasche Zitronenlimonade statt wie sonst Wasser oder Milch. Die Mutter Valeria stopfte die Socken der Tochter, nähte ihr zu Weihnachten ein neues Kleidchen.

Der Vater starb überraschend, als Rebecca sechs Jahre alt war. Plötzlich stand die Mutter ohne Ernährer da, angewiesen auf eine schmale Witwenrente. Sie zog mit ihrer Tochter nach Turin um, eröffnete einen Lebensmittelladen. Die Schulden wuchsen, Valeria flüchtete vor ihren Gläubigern nach Bra. Dort lernte sie einen neuen Lebensgefährten kennen, einen Lehrer. Danach den Prokuristen einer Gemüsegroßhandlung. Danach einen Weinhändler. Valeria versuchte es mit einem weiteren Lebensmittelgeschäft. Sieben Jahre hielt sie durch. Bis ihr die Supermarktketten den Garaus machten. Mutter und Tochter packten ihre Sachen wieder zusammen, wechselten nach Alba. Ohne den Weinhändler. Diesmal startete Valeria mit einem Feinkostladen in der Via Vittorio Emanuele. Rebecca half nach der Schule im Geschäft mit, lernte nebenbei alles über Wurst und Käse, Wein und Pilze, wie man Schinken richtig mit dem Messer aufschnitt oder vertrocknetes Gemüse durch Einlegen in Olivenöl für den Verkauf präparierte.

Als Valeria einem Rinderzüchter nach Neuseeland folgte, entschloss sich Rebecca kurz nach ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag, das Geschäft ihrer Mutter weiterzuführen. Über Jahre warf der Laden gerade genug ab, um ohne Schulden leben zu können. Erst als Rebecca sich auf den Handel mit Trüffeln spezialisierte, ging es aufwärts. Ihr Ehrgeiz war geweckt, allen anderen zu zeigen, was für eine Geschäftsfrau in ihr steckte.

»Hat sie nichts über ihre Freunde erzählt? Amouröse Abenteuer?« Cleopatra wirkte enttäuscht.

Caruso schüttelte den Kopf. »Tizio versuchte sie auszufragen, mit wem sie beisammen war, ob sie immer allein gewohnt hat und solche Sachen. Das schien ihr lästig. Sie wollte ihn offenbar schnell loswerden und hat ihn mit einigen Anekdoten aus ihrer Biografie abgefertigt. Der junge Delvecchio verschwand kurz darauf.«

»Und was hast du gemacht?« Ich stellte mir vor, wie der Junior hinter seiner Mülltonne hatte ausharren müssen.

»Rebecca ging ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Ich blieb allein im Hof. Mir knurrte der Magen, kann ich euch sagen. Zuerst suchte ich nach was Essbarem. Sogar im Abfall. Außer zwei angefaulten Bananen war nichts zu finden. Da das Tor verschlossen war, blieb ich die ganze Nacht im Hof eingesperrt. Ich wollte mich in einer Ecke schlafen legen. Auf Beton! Kein Auge hab ich zugetan. Außerdem hatte ich Angst, jemand könnte überraschend auftauchen.«

»Was machte die Hausherrin?«, fragte Cleopatra.

»Noch vor Sonnenaufgang fuhr Rebecca wieder los. Ich habe keinen Schimmer, wohin sie in der Dunkelheit wollte. Jedenfalls nutzte ich die Chance und schlüpfte hinter ihrem Wagen auf die Straße. Ich verbarg mich hinter einem parkenden Auto, bis die Luft rein war. Dann machte ich mich Richtung Süden auf.«

Das sei komplizierter gewesen als gedacht, erzählte Caruso. Denn mehrmals habe er Deckung suchen müssen, um nicht Menschen auf der Straße zu begegnen oder von Fahrzeugen angefahren zu werden. Einmal habe er einen Mann übersehen, der gerade aus einem Haus gekommen war. Der Mann sei ihm nachgelaufen und habe versucht, ihn einzufangen. Nur ein verzweifelter Spurt und ein Loch in einem Gartenzaun retteten ihn vor dem Verderben. Bei Tagesanbruch hatte Caruso erst den Stadtrand von Alba erreicht. In der Helligkeit traute sich der Junior nur langsam voran.

»Ich war total erledigt, als ich endlich hier ankam«, sagte Caruso. »Tot. Alles tat mir weh. Ich fiel einfach ins Heu. Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht.«

»Wir sind froh, dass du wohlauf bist.« Cleopatras Stimme hatte einen warmen Tonfall. »Das wird dir eine Lehre sein.«

Caruso blickte uns an. »Habt ihr was zu essen für mich, irgendwas?«

Tartufo

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