Читать книгу Tartufo - Wolfgang Zdral - Страница 7
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ОглавлениеZwei Rebstöcke knickten unter meinem Gewicht um. Da stand sie vor mir, Weintrauben kauend. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich sie sah. Die üppigen Rundungen ihres Körpers, ihre anmutigen Beine, der wohlgeformte Rüssel. Cleopatra, meine Aurora. Meine allerliebste Freundin. Ihre Backen bildeten beim Essen zwei reizvolle Grübchen, das Glitzern ihrer Augen konnte einen schwach werden lassen. Sie roch nach Klee und Thymian.
»Neues Parfum?«
Cleopatra hob den Kopf. »Schön, dass du das bemerkst, mein Lieber. Ich habe eine neue Stelle im Wald entdeckt. Ganz junge Pflänzchen. Sehr ergiebig. Magst du es?«
Ich fuhr mit dem Rüssel ihren wohlgeformten Körper entlang, verweilte bei ihren Hängeohren, knabberte zart daran. »Besser als Tiramisu mit Kirschlikör.«
»Lass das, du Ferkel.« Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Weg da. Mir ist nicht zum Flirten zumute. Dass du immer nur an das eine denkst. Außerdem hast du heute wohl deine Morgentoilette vernachlässigt. Du müffelst wie ein Hund.«
»Ich hatte keine Zeit zum Waschen. Es ist was Schlimmes passiert.« Ausführlich berichtete ich ihr von den Ereignissen der vergangenen Stunden. Cleopatra schaute mich eine Weile stumm an. Dann rieb sie ihren Körper an meinem.
»Das muss ein schlimmer Schlag für dich sein. Ich weiß, wie sehr du an ihm gehangen hast. Er war ein ungewöhnlicher Mensch. Sehr sensibel. Wenn auch nicht so einfühlsam wie ein Schwein. Aber daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen.«
»Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Aufwachen, und alles wäre wie immer. Es geht mir nicht in den Kopf, wie das passieren konnte.«
»Unfälle geschehen. Menschen töten. Menschen sterben. C’est la vie.« Ihre Stimme klang tröstend.
»Du hast recht. Ich sollte mir weniger Gedanken machen.«
»Mein Ururgroßvater mütterlicherseits, du weißt schon, der aus Bordeaux, pflegte zu sagen: ›Das Beste, was du von Menschen erwarten kannst, sind drei Mahlzeiten am Tag.‹« Sie setzte wieder ihren Du-erinnerst-dich-doch-Blick auf. Ich ahnte, was jetzt kam – endlose Geschichten von ihren adligen Vorfahren.
»Lass uns schauen, ob wir die anderen finden.« Hoffentlich lenkte sie das ab. Ich war wirklich nicht in der Stimmung, mir schon wieder ihre edle Herkunft unter den Rüssel reiben zu lassen. Sie hieß nämlich mit vollem Namen Cleopatra Contessa de la Rosa. Obwohl das blaue Blut seit Generationen in Italien durch die Adern ihrer Vorfahren floss, bestand sie darauf, in Wahrheit französische Gene zu haben. Ihre Familie legte großen Wert auf Reinrassigkeit. Über Jahrhunderte hatten sie es geschafft, sich nur innerhalb ihrer Rasse fortzupflanzen. Cleopatra führte ihre Wurzeln direkt auf die südfranzösischen Gascon-Schweine zurück, ihr Stammbaum ließ sich bis ins neunte Jahrhundert nachweisen. Im Familienbuch des Grafen Guillaume aus dem Jahr 876 findet sich eine Abbildung von D’Artagnan dem Ersten, genannt der Borstige, dem Begründer der Dynastie, und seinem Wappen mit der stilisierten Rose. Nach dem Großen Schweine-Erbfolgekrieg war der Clan gezwungen gewesen, ins Périgord zu fliehen – zugleich markierte das den Einstieg ins Trüffelgeschäft. Dort lebten sie vierhundert Jahre lang in Frieden und Wohlstand. Bis fanatische Bußprediger mit dem Aufruf zu Keuschheit und Armut und mit dem Schlachtruf »Speckschwarten sind Sünde« eine große Anhängerschar um sich sammelten. Unruhen brachen aus. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Tausende fielen der Nacht der langen Hauer zum Opfer. Die Familie musste erneut ihre Sachen packen. Sie floh über die Grenze nach Italien und blieb schließlich im Piemont hängen.
»Komm, gehen wir.« Ich stupste Cleopatra an. »Vielleicht haben wir Glück, und die beiden Freibeuter sind am Treffpunkt.«
Wir trabten eine Zeit lang nebeneinander her, ohne ein Wort zu wechseln. Der Himmel zwängte sein Blau durch die Wolken. Der Wind hatte an Kraft verloren. Langsam erwärmte sich die Luft. Wir erreichten den Wald südlich der Weinberge. Es dauerte, bis wir uns an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Schließlich tauchte unser Ziel vor uns auf: eine Senke, umrahmt von Fichtenschösslingen. Von außen war das Versteck wegen des dichten Bewuchses nicht zu entdecken. Wir drängten uns zwischen den Bäumen durch. Nichts. Der Platz, fast kreisförmig, vier Meter im Durchmesser, war leer. Der Moosteppich lud zum Rasten ein.
»Niemand da.«
»Wahrscheinlich machen sie irgendwo ein Nickerchen«, sagte Cleopatra.
Gerade hatte ich eine Stelle erschnuppert, wo ich mich niederlassen wollte, als das Geräusch herunterfallender Zweige und das Knacken von Ästen zu uns drang. Der Boden vibrierte leicht. Eine Lokomotive schien durch den Wald zu rauschen.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht trödeln«, tönte es vor uns.
»Nun hetz mich nicht. Ich war mit meinen philosophischen Meditationsübungen noch nicht fertig.«
»Keine Ausreden, langsam könntest du Schöngeist mal aufwachen.«
»Ich übe Nachsicht mit dir, mein Guter. Wie ich kürzlich in ›Der Wille zur Pracht‹ gelesen habe, neigen manche Schweinecharaktere mehr zu Äußerlichkeiten. Du denkst ja bloß...«
»Pass auf, was du sagst, sonst verarbeite ich deinen Rüssel zu Frikadellen – Freundschaft hin oder her.«
»Genau was ich meine. Du, du ...« Ein Rumpeln, gefolgt von einem Quieken. Zwei graue Leiber auf Verfolgungsjagd. Sie schossen direkt auf uns zu.
Hannibal und Diogenes im Anmarsch. Vor mir stoppten zwei Prachtexemplare der Gattung Sus Scrofa, des gemeinen Wildschweins. Hannibal war der Größere der beiden, seine Borsten zeigten in verschiedene Richtungen, die Eckzähne standen bedrohlich weit ab. Eine kahle Stelle an der Schulter und ein fehlendes Stück am linken Ohr zeugten von alten Kämpfen mit Nebenbuhlern. Die Gegner hatten es nicht überlebt. In seinem Hinterbein steckte knapp unter der Haut ein Stück Blei, das sich erfühlen ließ, wenn man mit der Schnauze darüberfuhr – ein Andenken an das Gewehr eines Jägers, das Hannibal wie einen Orden trug. Sein Gefährte Diogenes hatte einen schmalen, keilförmig zulaufenden Kopf. Vom Scheitel über den Rücken zog sich ein schwarzer Streifen durch das Fell. Die breite Stirn verlieh ihm den Ausdruck eines Denkers, was er regelmäßig durch geistreiche Sprüche zu unterstreichen suchte. Beide waren im wahrsten Sinne des Wortes wild, lebten frei im Wald, mieden Menschen und hatten mit Trüffeln nichts im Sinn.
»Habt ihr euch wieder beruhigt?« Cleopatra machte es sich auf dem Moos bequem und lud uns mit einer Kopfbewegung ein, ebenfalls Platz zu nehmen. Hannibal krachte neben ihr auf den Boden. »Diogenes ist und bleibt ein Neunmalklug«, sagte Hannibal. Sein Freund ließ sich auf der anderen Seite nieder, um Cleopatra zwischen sich und Hannibal zu wissen. »Er gönnt mir meine Mußestunden nicht«, sagte Diogenes. »Wo doch jedes vernünftige Tier weiß: Im Schlaf und beim Essen kommen die besten Ideen.«
Ich gesellte mich zu ihnen auf den Boden. »Wie geht’s deiner Frau?«
»Ach, hör bloß auf damit!« Hannibal sah missmutig in die Runde. Seine Stimme klang zerknirscht. »Messalina liegt mir ständig in den Ohren, ich solle nach einer neuen Behausung Ausschau halten, tiefer im Wald. Wo wir jetzt leben, ist es ihr zu unruhig. Zu viele Menschen unterwegs. Außerdem will sie immer, dass ich auf die Kleinen aufpasse. Stellt euch vor: ich! Wo ich doch sonst genug zu tun habe.«
»Ja, fressen und Streit suchen«, warf Diogenes ein. »Bei ihm fragt man sich, wozu sich Philosophen so viele Gedanken über die Weisheit der Schweine gemacht haben.«
»Du als Junggeselle kannst da gar nicht mitreden«, antwortete Hannibal, »nur in deiner Kuhle zu liegen und über die Welt nachzudenken, macht den Magen nicht voll.«
»Nun hört endlich auf zu streiten!« Cleopatra schüttelte sich. »Habt ihr schon gehört, was dem armen Matteo widerfahren ist?«
»Deinem Partner? Ist eure Ehe am Ende? Liebt er dich nicht mehr? Hast du ihm den Laufpass gegeben?« Hannibal bebte vor Kichern.
Mir war gar nicht nach Witzen zumute. Noch immer verursachte der Gedanke an Matteo stechenden Schmerz in meiner Brust. Ich berichtete von den Vorgängen und dem Fundort der Leiche. Es blieb eine Zeit lang still. Diogenes legte seine Stirn in Falten. »Ich mag mich täuschen, aber ich glaube, ich habe Matteo heute Nacht gesehen – besser gesagt, gerochen.«
Ich sprang auf. »Du bist ihm begegnet? Wann war das?«
»Es mag gegen ein oder zwei Uhr nachts gewesen sein. Ich war gerade auf dem Heimweg, hatte nämlich ein wenig die Zeit vergessen ...«
»Typisch!«, warf Hannibal ein.
»Lass ihn doch mal weitererzählen!«
»Also, ich kam gerade am Birkenwäldchen vorbei, als ich am Bach eine menschliche Stimme hörte. Zuerst dachte ich mir nichts dabei und wollte schon einen großen Bogen machen, schließlich wollte ich mir nicht den Pelz verbrennen, da wurde die Stimme lauter. Sie klang nach Ärger. Ich pirschte mich heran. Meiner Witterung nach war es Matteo. Ich hatte ihn ja schon öfter mit Leonardo zusammen gesehen.«
»Und was hat er gesagt?«
»Das habe ich nicht verstanden. Dazu stand er zu weit weg. Aber eines war klar: Er sprach mit jemand.«
»Da war noch ein anderer Mensch?«
»Natürlich. Den oder die konnte ich aber nicht erschnuppern. Matteos Alkoholfahne hat alles überdeckt. In der Dunkelheit war nichts zu erkennen. Die beiden stritten miteinander. Die andere Person wollte offenbar etwas von Matteo haben. Daraufhin folgte wieder ein erbitterter Wortwechsel. Plötzlich fing Matteo zu schreien an. Ich glaube, er stieß eine Drohung aus.«
»Und dann? Was passierte dann?«
»Die Diskussion schwelte in erregtem Tonfall noch eine Weile weiter. Dann war es still. Ich habe mir nichts weiter gedacht und bin meiner Wege gezogen. Menschen streiten nun mal gern über alles Mögliche.«
»Dann warst du der Letzte, der Matteo lebend geschnuppert hat. Kurz darauf muss er auf dem Weg unglücklich ausgerutscht und den Hang hinuntergestürzt sein.« Der Bericht von Diogenes hatte mich munter gemacht.
»Meinst du wirklich, es war ein Unfall?« Hannibal schaute mich an, Zweifel schimmerte in seinen Augen.
»Was ... was meinst du damit?«
Cleopatra stand ebenfalls auf und reckte sich. »Ist doch klar!«