Читать книгу Lehrer Loben - Wulf-Michael Kuntze - Страница 17

Komponist des Geistes

Оглавление

Die Übergabe der Abiturzeugnisse stand vor der Tür. Neu an unserer Schule in den 70er Jahren war, dass überhaupt die Frage einer offiziellen Abiturfeier wieder aufkam. Jahrelang wurden die Abiturzeugnisse mit der Post verschickt. Warum sollte es jetzt anders sein? Diese steifen Feiern zur Übergabe der Abiturzeugnisse, be­lehrende Reden über das Leben, wir hatten das schon für uns abgehakt. Den Jahrgängen vor uns fehlte ja ohne Abiturfeier auch nichts Wesentliches für das Leben.

Im Musikkurs sprach unser beliebter junger Lehrer plötzlich von einer Idee, wie man es anders gestalten könnte. Dass es vielleicht auch ohne kammermusikalische Aufführungen von Haydn, Mendelssohn-Bartholdy oder ähnlichen Komponisten ginge, aber wie? Die Hälfte unseres Musikkurses war neugierig geworden. Wie wäre eine Abiturfeier zu gestalten, bei der wir uns wiederfinden und auch so etwas wie Freude erleben könnten über den Ausblick nach vorne.

Wir hielten eine Ideenbörse ab und spürten, es ist nicht einfach Neues zu finden. Unser Blick richtete sich auf das Atrium unserer noch jungen Gesamtschule mit einer guten Medienausstattung. Unser Musiklehrer brachte ein, dass es vielleicht eine Performance werden könnte, ein Kunstereignis, das sozusagen einmalig von uns nur zu diesem Anlass aufgeführt werden würde. Und schon sprudelten die Ideen nur so aus uns heraus. Nur, was war davon durchführbar? Wir wollten etwas mit Klang, Tanz und Bewegung machen. Das Atrium schien uns schon mal eine gute Bühne. Schließlich kam die Idee auf, den wunderschönen Flügel der Schule zu nehmen, ihn zu öffnen, das Pedal für den Nachhall auf Dauer zu stellen und in einer tanzenden Bewegung um den Flügel herum hunderte von Tischtennisbällen auf die Saiten zu werfen.

Bei der ersten Probe staunten wir, welch ein Klang von diesem Flügel ausging durch die Tischtennisbälle, die auf die von den Filzdämpfern befreiten Saiten einschlugen. Es war manchmal nicht ganz fern von den zarten Klängen einer Harfe. Es konnte aber, wenn man die Saiten für die tiefen Töne gut traf, auch den Charakter eines Grollens in der Ferne bei einem nahenden Gewitter entwickeln.

Nun kam die Idee auf, wie man diesen Klang, diesen Sound, noch stärker transportieren konnte. Also montierten wir mit Hilfe eines Bandleaders, den wir in der Schule hatten, Mikrophone, die den Klang der Saiten besser übertrugen. Durch den verstärkten Klang wurden auch unsere Tanzschritte mutiger, und wir entwickelten gemeinsam eine Choreografie. Aber nicht genug, das Springen der Ping-Pong-Bälle im schwarzen Flügel – weiße Bälle in schwarzer Umschließung des Flügels – es musste raus in die Welt. Mit einiger Mühe montierten wir Kameras und Bildschirme und stellten sie im oberen Bereich des Atriums auf. Die Mehrdimensionalität dieser Performance hat uns so angesprochen, dass Zeit kein Thema mehr war. In unseren Tanzschritten gingen wir immer mehr aus uns heraus. Das Ganze bekam Dynamik.

Nun rückte der Tag der Abiturfeier näher. Wir bekamen Lampenfieber. Würden uns die Mitschüler und die Eltern nicht für ein wenig verrückt halten? Wir hatten einige Mühe, die Gruppe für die Performance zusammenzuhalten. Zum Glück wurde unsere Vorführung ganz an den Anfang, nach einer Begrüßung durch den Schulleiter, gesetzt. Wir fingen mutig an, schossen eine Menge Ping-Pong-Bälle auch daneben, aber wurden mit jeder Minute unseres Tanzes um den Flügel mutiger, das Publikum aufmerksamer und immer leiser. Die durch die Zufallstreffer der Ping-Pong-Bälle ausgelösten Klangspektren waren phänomenal. Wie ein Meeresrauschen aus der Ferne, ein Gefühl von Freiheit und Weite – dazu die dynamischen Bilder der springenden Bälle. Kairos – erfüllte Zeit – Freude.

Dann folgte eine Abiturfeier mit Reden, vielen guten Wünschen und Ausblicken in die Vergangenheit und in die Zukunft. Alles war wie verwandelt. Wir konnten zuhören, wir wurden dankbar für die vergangene Schulzeit und wir wurden mutig für die Zukunft – unsere Zukunft.


Andreas von Erdmann

Dezernent im Bischöflichen Ordinariat, Limburg

Lehrer Loben

Подняться наверх