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Brigitte Beer: Hochreck

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Ich habe in meinem Leben viele Begegnungen mit hervorragenden und motivierenden Lehrerinnen und Lehrern gehabt. Besondere Persönlichkeiten, die in mir die Liebe zu Sprachen und Literatur ebenso verankerten wie die Freude an moderner Musik und Kunst. Die mir die Welt von Naturwissenschaft und technologischem Fortschritt eröffneten. Die mich im logischen Denken schulten, meinen Widerspruch in Diskussionen herausforderten und dabei geschickt meine Neugier auf unbetretene Pfade lenkten, neue Ideen weckten. Denen ich in meinem Leben sehr viel zu verdanken habe.

Am meisten geprägt hat mich jedoch meine Mutter, die mich stets durch Ihren Einsatz für und die Hinwendung zu ihren Schülerinnen und Schülern beeindruckte. Oft durfte ich sie in meinen Kindertagen in ihren nachmittäglichen Sportunterricht an der Musterschule in Frankfurt am Main begleiten (Horte oder Ganztagsangebote in Schulen gab es damals so gut wie gar nicht). Im Geräteraum "ihrer Sporthalle" auf einem Sprungkasten oder Seitpferd über meine Hausaufgaben gebeugt, erlebte ich live vor Ort, wie sie trotz ihrer eher zierlichen Statur augenscheinlich mühelos ganze Heerscharen großgewachsener Jugendlicher mit wenigen Anweisungen und Handbewegungen zwei Schulstunden lang in permanenter Bewegung hielt. Die stets mitgeführte Trillerpfeife kam eigentlich nur zum Einsatz, wenn sich einer der Schüler zum Ausruhen auf die Bank verirrte oder bei den Mannschaftsspielen ein Foul gepfiffen werden musste.

Ich will nicht behaupten, dass sie gleichermaßen von allen Ihren Schülerinnen und Schülern verehrt wurde. Nicht selten habe ich auch mehr als nur verhaltenes Maulen erlebt, wenn sie darauf bestand, dass nach der offenbar schon schweißtreibenden Aufwärmgymnastik Geräteturnen oder Leichtathletikübungen statt Fuß- oder Volleyball auf dem Programm standen. „Sklaventreiber“ wurde gelegentlich gezischelt. Aber die ihr stets entgegenbrachte Wertschätzung selbst von solchen Schülern, die sich bei den Übungen nicht leicht taten, resultierte wohl daraus, dass sie von niemanden mehr verlangte, als er selbst zu leisten vermochte und als sie selbst auf der Stelle und jederzeit unter Beweis zu stellen bereit war. "Geht nicht" gab es nicht in ihrem Unterricht. So blickte man immer wieder in Gesichter mit offen staunenden Mündern, wenn sie sich bis zu ihrer Pensionierung mit zwei gekonnten Schwüngen am Hochreck emporschwang und elegante Riesenfelgen vorführte, wo Minuten zuvor muskelbepackte Burschen oder sportliche Mädchen hilflos gegen die Schwerkraft gekämpft hatten. Der wahre Erfolg war aber, dass sie bis zum Ende des jeweiligen Halbjahres nahezu jeden ihrer Schüler in die Lage versetzte, es ihr nachzutun oder sich zumindest entscheidend zu verbessern. Ihr Unterricht beruhte auf dem individuellen Eingehen auf jeden einzelnen bei den verschiedensten Übungen - lange bevor individuelle Förderung zum gefragten Konferenzthema avancierte.

Sie stärkte das Selbstvertrauen ihrer Schüler, denen sie vorlebte, dass Können - im allgemeinen und selbst im Sport im speziellen - mit Wollen im Kopf und der Bereitschaft zu Anstrengung beginnt. Und sie bestellte solche Eltern zum Gespräch ein, die in ihren Augen das Selbstbewusstsein ihrer Kinder unterminierten. Nie habe ich erlebt, dass sie jemanden dafür gescholten hat, dass er eine Übung nicht beherrschte, solange er sich ernsthaft bemühte, seine Leistung zu verbessern. Ärgerlich wurde sie allenfalls dann, wenn ein Schüler hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurückblieb. Auch großmäulige Sportskanonen hatten einen schweren Stand bei ihr und fanden sich schnell mit einer mäßigen Note bzw. Punktzahl im Zeugnis wieder, wenn sie Teamgeist und die Unterstützung sportlich schwächerer Mitschüler vermissen ließen. So musste mancher der Jugendlichen erst akzeptieren lernen, dass die in einem Schulhalbjahr gezeigte Bereitschaft zur Anstrengung und der persönliche Fortschritt in den Unterrichtsinhalten einen erheblichen Teil der Notengebung meiner Mutter ausmachte - und eben nicht allein die auch auf körperlicher Disposition basierende Sportlichkeit. Mit diesen Prinzipien wurde sie sowohl den schwächeren Schülern als auch den Spitzensportlern gerecht, zumal sie jedem von ihnen gleichermaßen in und außerhalb des Unterrichts mit Rat und Tat zur Seite stand. Unzählige Preise bei "Jugend trainiert für Olympia" und ihr Training im Leistungszentrum für die Geräteturner sind hier ebenso beredte Beweise wie die unzähligen mittlerweile erwachsenen Ex-Schüler, die sie bei zufälligen Begegnungen stets frenetisch begrüßen.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie mit ihren Anforderungen auch an ihre Kollegen zu den beliebtesten Lehrkräften im Lehrerzimmer gehörte; in ihrer Sporthalle, auf ihrem Sportplatz war sie unangefochten. Ein stetes Kraftzentrum zum Wohle

derer, die ihr anvertraut waren. Auch in der Schule.


Nicola Beer, Frankfurt

Hessische Kultusministerin 2012-2014 Landtagsabgeordnete Generalsekretärin der FDP

Lehrer Loben

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