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Zauberlehrlingsmeister im Hunsrück

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Ende der 60er Jahre


Ein Gymnasium in der tiefsten Provinz, eine Anstalt, die langsam in Bewegung gerät, weil ein Hauch von großer Veränderung auch nach Simmern dringt. Jedes Buch, auch das Schulbuch, ist ein Tor zu Welt, so empfinde ich es. Eine Schulbibliothek wird eingerichtet, das Schulgeld abgeschafft, die Zugfahrkarte aus der noch tieferen dörflichen Provinz zahlen die Eltern selbst, auch wenn es dann „für mehr nicht reicht“. Die notwendige Bildungsrevolution wird auch im Hunsrück eingeläutet, auch für Mädchen.

Jede persönliche Ansprache im Schulbetrieb ist ein Geschenk, schließlich sind noch weitere fünfzig Kinder in meiner Sexta. Im Abitur sind es achtzehn, das war 1970. Was dazwischen passierte? Vieles, viele sind vergessen, insbesondere die Gleichgültigen, die Gefährlichen und die Gefälligen.

Prägend war das Kauzige, besser gesagt, prägend war „Schorsch“ (Georg) Windhäuser. An guten Tagen war unser Deutschlehrer genialer Schauspieler, der uns deutsche Lyrik von Gryphius bis Benn auswendig vortrug, der launisch herausfordernde Anmerkungen am Rande unserer Besinnungsaufsätze hinterließ und im besten Sinne selbst antithetisch wirkte. An seinen schlechten Tagen ließ er uns machen, nicht ohne Sinn und Verstand, vielmehr als Hilfstruppe in Sachen intellektuelle Suchbewegung, die er auch gegen Ende seiner Dienstzeit selbst begeistert pflegte. Dafür stellte er literarische und philosophische Werke bereit, Sartre, Camus, Andersch, Benn, Eich, Böll, Dürrenmatt… „Schorsch“ erteilte Arbeitsaufträge, die verzweifeln ließen und zugleich zu geistigen Höhenflügen einluden. Da war nichts Vorgekautes, Abgepacktes, es war eine Lernzieltaxonomie der ganz anderen, der ganz persönlichen Art. Der Grundstoff: Leidenschaft für das Fach und Freude an der Vermittlung derselben. Die Klaviatur der Motivation durch Fordern und Fördern spielte er so hervorragend, jedenfalls für mich. Und unvergessen bleiben seine großen Gesten beim Auftritt des „Meisters“ im „Zauberlehrling“!

Er brachte uns das Theater nahe, lud ein zu szenischen Lesungen, forderte zum Probehandeln im Spiel heraus, fuhr uns auch mal aufs Dorf zurück, wenn es keinen Zug mehr gab. Das waren Sternstunden, alles andere lief nebenher, die Kreidechemie, die Lehrbuchphysik, die neue Mengenlehre - oder gewann überraschende Präsenz durch neue Verknüpfungen. Die Frage nach dem, was warum nach `33 geschah, obwohl der Geschichtsunterricht kurz davor endete. Die Antwort auf die Frage, warum Demokratie auch in Schule unverzichtbar ist. Die Freude an der Logik, an der Literatur, die Leidenschaft für Kunst, der lange Atem für den Alltag. Und die nachhaltig wirkende Erkenntnis, dass es sich lohnt, seinen eigenen Weg zu suchen.


Dr. Frida Bordon

Leiterin des Staatlichen Schulamtes in Heppenheim

Lehrer Loben

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