Читать книгу Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt - Yvonne Tschipke - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеEs wurde eine unruhige Nacht für Tara. Irgendwann war ihr Vater vor dem Fernseher wieder aufgewacht und hatte das Gerät lauter gestellt. Und auch ihre Mutter, wie schon so oft am späten Nachmittag für ein längeres Nickerchen im Schlafzimmer verschwunden, war zurück ins Wohnzimmer gegangen. Die beiden sprachen laut miteinander, ja, wahrscheinlich stritten sie sogar. So genau konnte Tara das nicht erkennen.
Das verwaschene Wörter–Knäuel ließ sie einfach mal wieder nicht einschlafen. Selbst wenn sie sich das Kopfkissen auf die Ohren presste – das unangenehme Gemurmel vermochte sie nicht zu dämpfen.
Doch dann – mitten in der Nacht - wurde es wieder still und Taras Gedanken glitten hinüber ins Reich der Träume.
Tara kämpfte sich durch das stachlige Gebüsch. Die Dornen zerkratzten ihr Arme und Gesicht. Doch das machte ihr nichts aus – ganz im Gegenteil. Die Vorfreude auf das, was die dichten Zweige verbargen, ließ sie die Schmerzen ertragen.
Dann sah sie sie. Die Hütte. Sie stand noch immer da, genauso wie am Nachmittag. Aber nun begann der windschiefe Holzhaufen sich zu drehen, solange, bis Tara vor der Tür stand. Sie wollte darauf zugehen, aber sie stolperte und landete auf den Knien. Tara hörte ein Knarren. Sie sah auf. Vor sich erblickte sie die kleine Tür, die im selben Augenblick wie von Geisterhand geöffnet wurde. Und da war auch wieder dieses Rauschen. Es hörte sich fast so an, als ob ein starker Wind durch den Wald peitschte. Tara schoss ein gleißender Lichtstrahl entgegen. Sie musste sich die Augen mit den Händen bedecken, um nicht geblendet zu werden. Gerade in dem Augenblick, als sie die Hütte betreten wollte, hörte sie von irgendwoher ihr Lieblingslied.
Mühsam öffnete Tara die Augen.
Sie rieb sich mit den Händen ein paar Mal kräftig über das Gesicht und sah sich gähnend um. Sie lag in ihrem Bett. Und das stand nach wie vor in ihrem Zimmer.
Ihr Lieblingslied war echt – der Weckton auf ihrem Handy. Alles andere war ein Traum. Tara seufzte.
Ein Sonnenstrahl tanzte durch das Zimmer und machte die kleinen Staubkörnchen sichtbar, die durch die Luft schwebten. Die kleine Uhr über dem Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand sagte ihr, dass es bereits halb sieben war. Höchste Zeit aufzustehen. Tara streckte und reckte sich seufzend. Die Nacht war alles andere als erholsam. Genau wie auch schon die Nächte vorher. Am liebsten wäre sie liegen geblieben. Und noch viel lieber hätte sie den Traum weiter geträumt. Vielleicht hätte er ja auch das Geheimnis der kleinen Hütte preisgegeben.
So ein Quatsch, dachte Tara nur einen Augenblick später und schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Es war und bleibt ein Traum, sagte sie sich in Gedanken und seufzte, während sie schwungvoll die Decke zurückschlug, sich aus dem Bett schob und hinüber ins Bad schlurfte.
Viertel Acht klingelte es unten an der Tür. Tara schnappte sich ihren Rucksack und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Es war wohl besser, wenn Nina nicht bis hier herauf kam. Der scharfe Geruch, den die Armee leerer Bierflaschen im Flur verströmte, zog so langsam aber sicher auch ins Treppenhaus. Das war Tara ziemlich peinlich, denn bei Nina zu Hause duftete es nach Rosen, Veilchen und Lavendel. In jeder Ecke!
„Morgen“, nuschelte Nina, bevor sie weiter in ihr Handy schmachtete. „Ja, ich dich auch. Bis gleich.“ Alles klar, dachte Tara genervt, am anderen Ende hing Titus. Sie verdrehte die Augen. „Oh, Mann, Nina. Ihr seht euch doch gleich.“ Nina stopfte das Handy in die eine Hosentasche und zog aus der anderen zwei Müsliriegel hervor. Einen hielt sie Tara unter die Nase. „Hier, Frühstück.“
„Danke“, meinte Tara leicht verlegen, griff nach dem Müsliriegel und riss die bunte Verpackung auf. Gut, dass Nina an sie dachte. Fast so, als hätte sie längst geahnt, dass in Taras Wohnung nicht ein Kanten Brot mehr zu finden war.
Nina war Taras beste und einzige Freundin, schon seit die beiden gemeinsam in den Kindergarten gegangen waren. Und eigentlich immer am Telefonieren. Meistens mit ihrem neuen Schwarm Titus. Seit drei Wochen war sie mit ihm zusammen – absoluter Rekord!
„Ja, ich weiß, meine Süße, wir sehen uns gleich“, meinte Nina mit verliebtem Glanz in den Augen, „aber wir sind eben so ... “ Tara winkte ab. Sie wollte gar nicht näher wissen, w a s Nina und Titus waren.
Die beiden Mädchen gingen schweigend nebeneinander her. Nina dachte an Titus. Tara überlegte, ob sie ihrer Freundin von der Hütte erzählen sollte. Aber wem sonst, wenn nicht ihr? Tara hatte doch sonst niemanden, der ihr zuhörte und den es in irgendeiner Weise auch wirklich interessiert hätte, was sie entdeckt hatte.
„Hast du die Hütte an den Drachenfelsen schon mal gesehen?“, fragte sie schließlich fast wie nebenbei. So als hätte sie ihre beste Freundin nach dem Wetterbericht gefragt. Nina kannte Taras geheimen Ort. Wie sollte es auch anders sein? Beste Freundinnen teilen alles miteinander, selbst die größten Geheimnisse.
„Welche Hütte?“, wollte Nina wissen. „Hab keine gesehen, als ich vor zwei Tagen mit Ti ... .“ Sie verschluckte den Rest des Satzes, den sie eigentlich hatte sagen wollen, als sie Taras entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte.
„Du warst mit Titus dort? Hast du sie nicht mehr alle?“ Tara war stehen geblieben und sah Nina wütend an. Sie konnte es nicht glauben, dass ihre Freundin das getan hatte!
Nina schaute erst ziemlich betroffen; sie hatte Tara versprechen müssen, niemandem von der geheimen Stelle zu erzählen, geschweige denn sie jemandem zu zeigen. Doch dann zuckte sie mit den Schultern. „Was hast du denn? Der Wald gehört dir doch nicht allein. Und dort konnten wir wenigstens mal richtig ungestört ...“ „Hör auf“, unterbrach Tara sie, „Ich will gar nicht wissen, w a s ihr da ungestört tun konntet!“ Mit großen Schritten lief Tara weiter. Hinter sich hörte sie Ninas eilige Schritte und ihr leises Keuchen. Sie war noch nie gut im Ausdauerlauf.
„Tara, warte. Nun bleib doch mal stehen“, japste Nina und wäre fast auf Tara geprallt, die urplötzlich anhielt. „Was ist denn nun mit der Hütte?“ Tara drehte sich betont langsam um und überlegte einen kurzen Augenblick, ob sie Nina wirklich von ihrer Entdeckung erzählen sollte. „Naja, also, die stand plötzlich da. Eine kleine alte windschiefe Hütte.
Mit einer winzigen Tür. Zugeschlossen, aber kein Schloss und auch kein Schlüsselloch“, sagte Tara dann doch. Sie sah Nina prüfend an. Konnte sie ihr trauen? Würde die Freundin sie für verrückt halten?
„Versteh ich nicht. Bist du sicher?“, fragte Nina. Tara nickte.
Die Kirchturmuhr schlug halb acht. Die beiden Mädchen sahen sich erschrocken an und liefen los. In der ersten Stunde hatten sie Mathe bei Fräulein Hauke. Und sie kamen schon wieder zu spät, zum dritten Mal in dieser Woche.