Читать книгу Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt - Yvonne Tschipke - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеTara stand wieder mitten im Wald bei den Drachenfelsen. Hinter ihr war die kleine alte Hütte. Es nieselte immer noch.
Verwundert sah sie sich um. Komisch, dachte sie, auf ihrem Weg zurück war der Tunnel alles andere als hell. Je näher sie dem Wald gekommen war, umso dunkler wurde es um sie herum. Und je näher sie dem Wald gekommen war, umso dunkler wurde es auch wieder in ihr.
Es hatte sich für Tara angefühlt, als wäre sie stundenlang unterwegs gewesen. Dabei waren wohl tatsächlich nur einige Sekunden vergangen.
Tara schüttelte sich, fast so als könnte sie dabei all die wunderbaren und doch so seltsamen Eindrücke der kurzen vergangenen Zeit abschütteln. Und all die Angst, die Zweifel, die Trauer, die Wut. Ja, sie war traurig und wütend, weil all das nur ein wunderbarer Traum gewesen sein schien.
„Tara?“ Plötzlich stand Nina neben ihr. „Wo warst du? Ich bin hier vielleicht fünfzehn Mal um die Hütte herum gerannt, aber du warst nirgends zu sehen. Warum hast du nicht geantwortet, als ich dich gerufen habe?“ Tara konnte an Ninas Tonfall hören, dass ihre Freundin ziemlich sauer war.
„Ich ... ich war doch hier“, log Tara. Naja, es war ja nicht ganz gelogen. Obwohl sie es selbst noch gar nicht so richtig glauben konnte, dass sie tatsächlich weg gewesen sein musste.
„Von wegen. Ich hab dich überall gesucht. Ich bin ein paar Mal um diese blöde Hütte gelaufen, aber du bist nirgends gewesenWarum hast du dich vor mir versteckt?“ Nina sah Tara mit ihrem besten Schmollmund an. „Ich denke mal, für`s Versteckspielen sind wir schon ein bisschen zu alt, oder?“
Tara nickte nur. Was hätte sie denn sonst sagen sollen? Dass sie durch die Tür in die Hütte hinein gekommen war? Dass sie plötzlich wie durch ein Wunder in einem großen hellen Raum gestanden und eine Frau sie bei ihrem Namen gerufen hatte? Nina würde sofort einen Krankenwagen bestellen und Tara in die Klapsmühle bringen lassen.
Tara war noch immer recht schweigsam, als die beiden Mädchen kurze Zeit später den Waldweg entlang zurück in die kleine Stadt liefen. Noch zweimal klingelte Ninas Handy. Noch zweimal strich sich Taras Freundin beim Telefonieren das glänzende blonde Haar hinter die Ohren. Und nicht zum ersten Mal in ihrem bisherigen Leben wünschte sich Tara, genauso hübsch auszusehen, wie ihre Freundin. Dann würden die anderen sie vielleicht auch mögen. Oder sie hätte vielleicht auch schon einen Freund. Jemanden, mit dem sie reden könnte, und lachen und ... jemanden außer Nina.
Eigentlich ließ Tara diese Art Gedanken sonst nicht zu, doch heute dachte sie immer wieder darüber nach. Allerdings nur, um den anderen Gedanken aus ihrem Kopf zu spülen. Immer wieder schob sich die Hütte, das Licht, das eigenartige Rauschen und das gemütliche Zimmer hinter der Tür in ihren Kopf. Hatte sie geträumt? Oder war sie vielleicht tatsächlich verrückt geworden?
Als Tara zuhause die Wohnungstür öffnete, schlug ihr eine dichte Mauer Zigarettenqualm und der Klang verwaschener lauter Stimmen entgegen. Leise zog sie die Tür hinter sich zu und schlich auf Zehenspitzen zu ihrem Zimmer.
Sie hoffte, dass wie immer keiner gehört hatte, als sie gekommen war. Was sie jetzt in diesem Moment ganz und gar nicht gebrauchen konnte, waren die betrunkenen Bekannten ihrer Eltern, die ganz sicher nicht weniger benebelt waren als diese. Tara hasste es, wenn die Freunde ihrer Eltern sie vollquatschten und ihr dabei ihren alkoholgetränkten Atem ins Gesicht schleuderten. Deshalb verzog sie sich auch an diesem Abend lieber gleich in ihr Zimmer, trotz des starken Hungergefühls das ihr bereits Bauchschmerzen bescherte.
Es klirrte. Tara blieb stocksteif vor Schreck auf der Stelle stehen. Sie hatte mit dem Fuß einige von den unzähligen Bierflaschen umgestoßen, die im Flur herum standen und darauf warteten, im Supermarkt in Pfandgeld umgetauscht zu werden. Gereizt verdrehte Tara die Augen. Konnten die ihre blöden leeren Flaschen nicht einfach mal woanders hin stellen? Genau das war einer der Gründe, weshalb sie Nina noch nie mit in die Wohnung genommen hatte. Überall stand dieses Zeug im Weg herum. Selbst wenn Tara hin und wieder versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen, es dauerte keinen Tag, bis es wieder genauso aussah, wie vorher.
„Tara. Na, Kleine, wie geht es dir denn? Muss nur mal schnell auf`s Klo.“ Eine Frau kam aus der Küche in den Flur. Es war Bettina, eine Freundin ihrer Mutter. Tolle Freunde konnten die haben. Saßen den lieben langen Tag saufend und rauchend zusammen, anstatt ihnen mal die Meinung zu geigen, von wegen Verantwortung und so weiter. Denn dazu waren doch Freunde da? Oder nicht?
Bettina kam auf Tara zu geschwankt und wollte sie umarmen. „Ach, lass mal lieber, Betti“, quetschte Tara zwischen den Zähnen hervor und schob sich an der Wand entlang bis zu ihrem Zimmer.
„Ich war in der Hütte“, schrieb Tara nur einige Minuten später in ihr Tagebuch, nachdem sie die Tür ihres Zimmers von innen verschlossen hatte. „Aber es war echt krass, denn plötzlich war ich in einem wunderschönen Zimmer. Es war sauber, hell und duftete echt lecker.
Doch etwas war seltsam: Eine Frau ist gekommen und hat mich gerufen - bei meinem Namen. Hallo? Woher wusste sie, dass ich Tara bin? Und überhaupt, woher wusste sie, dass ich dort bin?“