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MAMA

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Unser kleines Beton-Domizil war das Herz der Siedlung und eine großzügige Auffangstation. Alle liebten meine Mama. Ihre Fürsorge reichte für alle Siedlungskinder. Sie schuf die Aura eines überfamiliären Klimas. Mama – Passion und Begabung – die Rolle, die ihr auf den Leib genäht war. Die Übermutter. Liebevoll streng, mehr liebevoll als streng. Verspielt, aber achtsam bei jedem Schritt ihrer geliebten Sprösslinge und Leihkinder. Lebensziel: Familien- und Gesellschaftsmensch.

Ein Sommertag ist tief verankert in meinem Herzen. Wir Kinder spielten unbeschwert in unserem Gemeinschaftsvorgarten Hüpfekästchen. Meine Mama kam mit einem Tablett voll beladen mit Nutellabrötchen zu uns und verteilte sie wie eine Königin, ganz selbstverständlich, unters Kindervolk. Alle stürzten sich auf die Leckereien. Wir liebten Nutella und meine Mama liebte leuchtende Kinderaugen. Win-win. Geben ist seliger denn Nehmen. Meine Mutter wusste um diese Schlaumeierei. Nutella war exquisit. Dank der Pakete unserer Westverwandtschaft war uns diese Delikatesse vergönnt – mir und der großen Kinderschar.

Meine Mutter wurde vergöttert und ich suhlte mich unter ihrem Heiligenschein. Ihre engelsgleichen Energien sind teilweise auf mich übergeschwappt und machten mich zur Geberin, zur Gönnerin. Großzügigkeit liegt in unserer Ahnenkette. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Motivationen. Auf den zweiten Blick sind die Erwartungen dahinter gleich: geliebt zu werden. Liebe geben und dafür Liebe erhalten.

Das Spiel des Lebens.

Jeder spielt es anders.

Mama war großartig. Dazu sah sie liebreizend aus und verströmte immer den Flair einer jugendlichen Unschuld. Ein bunter Schmetterling, der direkt in mein Tochterherz flatterte und dort Seelenbalsam verstrich. Ihre Gegenwart bedeutete Strahlkraft und hinterließ Feenstaub. Das Gegenüber war ihr wichtig. Nächstenliebe und Mitgefühl waren keine Phrasen für sie. Sie lebte beides und besaß die Gabe, andere zu inspirieren. Zu erheben, wenn sie sich niedergeschlagen fühlen. Eine Botschafterin des Himmels. Segensreich. Ätherisch schön, innen wie außen.

Wo ein Engel wirkte, steckte aber auch ein Teufelchen drin. Die Verwandlung geschah oft in aller Kürze. Eben sah ich noch die weißen Flügel am Mutterleib, als plötzlich zwei rote Hörner aus dem Schädel wuchsen. Alles in Deckung! Sie machte keine halben Sachen, fackelte nicht lange, wenn man ihre Großherzigkeit ausnutzte. Wer es dennoch wagte, wurde abgestraft. Ihr eigenes Kind wagte es nicht. Ich war mir der riskanten Stelle bewusst, wo der glänzende Horizont in die finsteren Tiefen stürzte. Mutig war ich, aber nicht dumm.

Mama in Feuerform. Das war nicht weniger beeindruckend als ihre Engelsgestalt. Sie konnte herrlich aufbrausend sein, immer mit dem Zepter fest in der Hand. Eine Frau mit Format. Ich gab ihr wenig Anlass, verärgert zu sein. Artig blitzten meine weißen Zähnchen, mit dem Ziel, ihr Strahlen zu locken. Und ich wurde oft und viel angestrahlt.

Mama.

Sie segnete meine Welt mit anmutiger Bemutterung. Mein Gefühl des Daheim-Seins war allgegenwärtig. Wir waren eine kleine glückliche Familie, entsprechend den Werten unserer demokratischen Republik und im Sinne des unendlich guten Geistes. Ich war der leibhaftige Beweis für die Gunst des Schöpfers. Süßes Leben. Warum hast du mich verlassen?

Aufschrei

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