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2 | DER BALLSPORTLER

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Sie ist Bestandteil so ziemlich jeden Sportfilms, den Hollywood je gedreht hat: die „Locker Room Scene“. Mindestens eine dieser Szenen im Umkleideraum gehört einfach dazu, sobald es in einem amerikanischen Streifen um Sport geht. Ganz gleich, ob um Profisport oder Collegesport. Das Klischee ist dermaßen etabliert, dass es auf YouTube mittlerweile sogar Playlisten der 10 besten oder witzigsten „Locker Room Scenes“ gibt. Den besonderen Reiz dieser Art von Szene versteht man als Europäer wahrscheinlich nur, wenn man sich Amerikas puritanische Doppelmoral vor Augen hält: Einerseits gilt kinematografische Nacktheit jenseits des Atlantiks als Teufelszeug. Deshalb achtet Hollywood strengstens darauf, dass die Kamera den entblößten männlichen Körper in einer „Locker Room Scene“ niemals zur Gänze zeigt. Entweder endet also der Bildausschnitt in Höhe des Bauchnabels oder man sieht ein um die Hüften geschwungenes Handtuch. Andererseits gehören verbale Anzüglichkeiten und zweideutige Bemerkungen so fest zu einer Szene im Umkleideraum wie Pompons zu tanzenden Cheerleadern. Manchmal ist das lustig. Meistens ist es – zumindest für Nichtpuritaner aus der Alten Welt – nur platt und peinlich.

Eine der schönsten – und gleichzeitig folgenreichsten – „Locker Room Scenes“ aller Zeiten schrieb allerdings nicht Hollywood, sondern das Leben. Diese reale Begebenheit ist frei von jeder Schlüpfrigkeit. Dafür zeigt sie einen geradezu meisterhaften Fake. Schauplatz ist ein Umkleideraum der Football-Mannschaft Minnesota Vikings in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre. Die Minnesota Vikings aus Minneapolis gehören seit 1961 ununterbrochen zur amerikanischen National Football League (NFL) und damit zur höchsten Spielklasse im American Football. Unzählige junge Männer zwischen New York und San Francisco träumen bis heute davon, in dieser oder einer anderen NFL-Mannschaft spielen zu dürfen. Doch nur wenige von ihnen haben die Chance auf eine Berufung in die Teams der ersten Liga. Junge Spieler aus den Mannschaften der Colleges werden nämlich von Scouts für die NFL-Teams ausgewählt und dann berufen.

Auch John, ein schwarzer Teenager aus dem ländlichen Texas, träumte bisher vergeblich von einer solchen Berufung, einem „Draft“. Immerhin hat er es jetzt schon einmal ins Frühjahrs-Trainingslager der Minnesota Vikings und in den dortigen Umkleideraum geschafft. Die kurzen, meist nur dreitägigen Trainingslager im Frühjahr, in der NFL „Mini-Camps“ genannt, dienen hauptsächlich dazu, neu berufene Spieler in die jeweilige Mannschaft zu integrieren. Ab und zu sehen sich die Trainer bei dieser Gelegenheit auch junge Talente an, bei denen sie noch nicht sicher sind, ob es für einen „Draft“ reicht. So ist es auch bei John.

Der schüchterne, nicht besonders groß gewachsene, aber muskulöse Jugendliche steht also im Umkleideraum seines persönlichen Dream Teams, der Minnesota Vikings. Nichts erinnert an die „Locker Room Scenes“ aus den Hollywoodfilmen: keine Mannschaftskameraden mit Handtüchern um den Hüften, keine Schwaden von Wasserdampf aus den Duschen, keine schlüpfrigen Witze. John ist allein im Umkleideraum. Als er sich komplett ausgezogen hat, greift er in seine Sporttasche. Er holt eine fast drei Kilogramm schwere, verchromte Eisenkette und ein Vorhängeschloss hervor. Beides hat er am Tag zuvor bei einem örtlichen Eisenwarenhändler erstanden. John legt sich die schwere Kette um die Hüften und zieht sie so fest wie möglich zu. Dann fixiert er die Kette mit dem Vorhängeschloss. Anschließend zieht er seine Unterhose und seine Trikothose darüber. Ein banger Kontrollblick vor dem Spiegel: Sieht man etwas? Nein, man sieht nichts. John kann sich auf den Weg zur Waage machen.

Art of Fake.

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