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DIE KORREKTUR DES SCHICKSALS
ОглавлениеIm Französischen gibt es die schöne Redewendung corriger la fortune. Sie lässt sich mit der deutschen Entsprechung „dem Glück auf die Sprünge helfen“ nur unzureichend übersetzen. Denn im Deutschen fehlt das Element der „Korrektur“ – und das ist in meinen Augen das entscheidende. Corriger la fortune taucht als Wendung zum ersten Mal in einer Satire des französischen Schriftstellers Nicolas Boileau aus dem Jahr 1665 auf. Es geht darin um einen heruntergekommenen Adeligen, der heimlich die Porträts seiner Ahnen verhökert, damit man ihm den finanziellen Niedergang nicht anmerkt. Berühmt gemacht hat den Ausdruck dann Gotthold Ephraim Lessing in seinem Lustspiel „Minna von Barnhelm“. Auch hier geht es um eine finanziell abgebrannte Existenz, die ihr scheinbar schon besiegeltes Schicksal mit Minnas Hilfe noch einmal zu „korrigieren“ versucht. Für die kleine Täuschung, die John Randle in seiner Jugend begangen hat, um Defensivspieler in der National Football League werden zu können, finde ich den Ausdruck „das Schicksal korrigieren“ sogar noch treffender als angesichts eines drohenden finanziellen Ruins. Solch eine kleine „Korrektur“ bei den Voraussetzungen für eine Karriere vorzunehmen, die einem geradezu schicksalhaft vorbestimmt erscheint, ist auch das prototypische Verhalten eines Fakers.
Der jugendliche John Randle wusste, dass er das Zeug zu einem Spitzenverteidiger hatte. Mehr noch: dass er nur auf einer ganz bestimmten Position – „Defensive Tackle“ genannt – sein größtes Leistungspotenzial abrufen konnte. Ein ungeschriebenes Gesetz des American Football wollte es aber, dass diese Position ausschließlich mit hünenhaften Muskelpaketen besetzt wurde. John Randle war zwar kräftig, aber eher klein und brachte entsprechend weniger Gewicht auf die Waage. Eine andere Position kam für den jungen Mann aus Texas jedoch nicht infrage. Wie alle meisterhaften Faker war er zutiefst von seinem Potenzial überzeugt. Er wusste auch genau, wo er es am besten einbringen konnte. So war der Jugendliche zu seinem Fake geradezu gezwungen. Der Fake eröffnete ihm einen Weg, eine aus seiner Perspektive unsinnige Regel zu umgehen, damit Wirklichkeit werden konnte, was seine Bestimmung schien. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, was den Faker vom Betrüger und vom Hochstapler unterscheidet: Auf den ersten Blick wirkt die Sache mit der Kette wie ein Betrug. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich: Der Faker räumt lediglich ein Hindernis aus dem Weg, das ihn davon abhält, sein Können unter Beweis zu stellen. Im Gegensatz zum Betrüger und zum Hochstapler strebt der Faker etwas an, das ihm moralisch zusteht.
Wie alle Faker gab auch der jugendliche John Randle ein Versprechen an sich selbst und an den Markt ab. Nachdem er sich seine Chance erschummelt hatte, musste er liefern, und zwar schnell. Wörtlich sagte sein Trainer Floyd Peters zu ihm: „We’ll give you a shot.“ Diese amerikanische Redewendung bedeutet nicht, dass man es geschafft hat. Sondern dass man eine – kleine – Chance bekommt, sich zu bewähren. Man hat „einen Schuss frei“. Was tat Randle, um diese Chance zu nutzen und sein Versprechen möglichst bald einlösen zu können? Er suchte sich als Erstes einen Mentor. Vor Selbstsicherheit strotzend klopfte der Jugendliche an die Tür von John Teerlinck, einem weiteren Co-Trainer der Minnesota Vikings. Randle stellte sich vor den erfahrenen Coach und sagte: „Ich will ein richtig guter Spieler werden. Können Sie mir dabei helfen, ein richtig guter Spieler zu werden?“ Beeindruckt von so viel Ambition und Selbstvertrauen bei einem eher klein gewachsenen Jugendlichen schlug John Teerlinck ein. Er wurde und blieb Randles Mentor. Randle lernte schnell. Schon nach kurzer Zeit zweifelte bei den Minnesota Vikings niemand mehr daran, dass dieses kleine Kraftpaket auf der Position des „Defensive Tackle“ genau richtig war.