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GEWOGEN UND FÜR ZU LEICHT BEFUNDEN
ОглавлениеJohn Randle – denn von niemand Geringerem berichte ich hier – war in den Neunzigerjahren einer der Superstars der National Football League. Als Jugendlicher musste er sich immer dasselbe anhören: „Für einen Football-Verteidiger bist du zu klein und zu leicht“, meinten die Trainer. „Vergiss es, Junge!“ Nur den guten Beziehungen seines älteren Bruders Ervin, der es bereits zum NFL-Profi gebracht hatte, verdankte es John, dass sich die Spitzenvereine überhaupt mit ihm beschäftigten. Doch das Urteil lautete zunächst immer gleich: zu leichtgewichtig für einen Verteidiger auf der angestrebten Position. Weil Johns großer Bruder aber unbeirrbar an das Talent des jüngeren Bruders glaubte, nutzte er stets aufs Neue seine Kontakte innerhalb der NFL. So kam John Randle schließlich in Kontakt mit Floyd Peters, der zwischen 1986 und 1990 Co-Trainer und „Defensiv-Koordinator“ der Minnesota Vikings war. Die Vikings standen damals in dem Ruf, die schwächste Defensive der NFL zu besitzen. Sie brauchten dringend neue Verteidiger. Peters, ein Football-Urgestein, blieb trotzdem wählerisch. Was nützten ihm auch irgendwelche Verteidiger? Er brauchte die besten, damit eine sichere Defensive die Basis für den erneuten Erfolg der Mannschaft sein konnte.
Als John Randle zum ersten Mal nach Minneapolis reiste und Floyd Peters vorgestellt wurde, wog er 245 amerikanische Pfund. Das sind immerhin 111 Kilogramm, ein stolzes Gewicht für einen Jugendlichen. Zumal, wenn er, wie in diesem Fall, kaum ein Gramm Fett mit sich herumschleppt und es die Muckis sind, welche die Waage nach unten drücken. Doch Floyd Peters hatte für den dunkelhäutigen Jugendlichen nur ein mitleidiges Lächeln übrig. 245 Pfund? Ein Witz! American Football ist schließlich nicht so eine Warmduscher-Sportart wie Fußball. Hier laufen Kleiderschränke von Männern frontal aufeinander zu und versuchen, den Gegner einfach umzurennen. Und das ist vollkommen regelkonform!
„Komm in einem Monat wieder“, sagte Peters. „Wenn du dann 250 Pfund wiegst, bekommst du eine Chance, dich zu bewähren.“
Vier Wochen später war der junge John Randle zurück in Minneapolis und den Tränen nahe. Trotz aller Anstrengungen, noch mehr Muskelmasse aufzubauen, wog er unverändert 245 Pfund. Da kam er am Tag vor dem entscheidenden Training an einem Eisenwarengeschäft vorbei und hatte die Idee mit der Kette.
Zurück zur „Locker Room Scene“: John hat den Bereich mit den Spinden verlassen und steht nun auf der Waage. Er atmet flach. Seine Nerven sind aufs Äußerste angespannt, kleine Schweißperlen treten ihm auf die Stirn. Der für das Wiegen zuständige Assistent des Trainerstabs kennt so etwas. Etliche junge Männer bekommen hier nur eine einzige Chance – und sind vorher fast immer so nervös, dass sie sich fast in die Hosen machen. Dass John ein Faker ist, der gerade panische Angst vor seiner Entlarvung hat, ahnt der Assistenztrainer nicht. Der amerikanische Puritanismus spielt John jetzt übrigens in die Karten: Denn man wiegt sich nicht etwa textilfrei, um das exakte Körpergewicht zu ermitteln. Nein, die Hosen bleiben an, damit niemand sündigen Gedanken verfällt. Unter der locker sitzenden Trikothose übersieht der Assistenztrainer die schwere Kette um Johns Hüften.
Nach dem Wiegen geht John zurück zu seinem Spind, nimmt die Kette wieder ab – gefühlt sicher um weit mehr als drei Kilo erleichtert – und zieht sein Trikot komplett an. Dann geht er hinaus auf den Rasen. Floyd Peters hat ihn sofort im Auge.
„Wie viel wiegt er?“, ruft Peters grantig in Richtung des Assistenztrainers, der John gerade gewogen hat.
Der Assistent lakonisch: „251.“
Floyd Peters geht zu dem jungen John Randle und schaut ihm in die Augen. Der Blick des Defensiv-Trainers ist immer noch voller Misstrauen.
„Okay“, grummelt Peters schließlich, alles andere als begeistert. „Du bekommst eine Chance, dich zu bewähren.“
Noch bevor John grinsen kann, fügt der Trainer hinzu: „Los, ab zum Warmlaufen!“