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Burning down the house

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Guten morgen Frankfurt, es ist 7:11 Uhr und Sie hören hr3 pop&weck mit Tobias Kämmerer und Anna Lena Dörr“. Wie schafften es diese Radioclowns nur, jeden Morgen so unanständig gutgelaunt zu sein? „Tag 4 im Entführungsfall Dr. Johann Schollenbruch. Das BKA tappt noch immer im Dunkeln. Das Leiden des hochangesehenen Vorstandes der Deutschen Bank geht weiter. Und noch immer gibt es keinen konkreten Hinweis auf die Identität der Entführer.“

Was hatte sich der Kämmerer heute bloß wieder rein gepfiffen, fragte sich Jack verschlafen. Ohne Drogen kann man doch morgens unmöglich schon so gut drauf sein. Und das auch noch bei so einem Thema. Widerlich. Ob diese ganze Moderatorengilde von ihren Sendern mit Koks versorgt wurde? Vielleicht war das ja sogar Bestandteil des Arbeitsvertrags und die Haupteinnahmequelle des Senders? Ganz nach dem Motto: „Kein Moderator darf clean ans Mikro.“

Bei der Terrorzelle, die sich selbst „Occupys Soldaten: Kommando Nemesis“ nennt, scheint es sich nach gesicherten Erkenntnissen um eine gewaltbereite Splittergruppe der weitgehend friedlichen Occupybewegung zu handeln.“

Eigentlich hasste er es, morgens von diesen Quasselstrippen geweckt zu werden. Da wurde mit einer Ignoranz jede quotenversprechende, mediale Sau durchs Dorf getrieben, dass es ihm grauste. Aber Barbara hatte es geliebt. Wie oft hatte sie gesagt:

„Mein Gott, die Dörr klingt heute wieder so frisch vernascht! Ob die weiß, dass Sie so klingt? Ich meine, Jack, Schatz, wie würde dir das denn gefallen, wenn ich morgens so auf dich ein säuseln würde.“, hatte Barbara dann gegurrt und begonnen an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Auf einmal waren ihre Hände überall gewesen und er war wieder einmal zu spät zum Dienst erschienen.

Wie ein Sprecher des Innenministeriums mitteilte, werde man auf keinen Fall auf die Forderungen der Entführer eingehen. Die Bundesrepublik Deutschland werde ohne Ansehen der Person sich von keiner terroristischen Gruppierung erpressen lassen. Man wolle hier keinen Präzedenzfall schaffen.“

Die Kollegen hatten einen diebischen Spaß daran gehabt ihn damit aufzuziehen. Am Anfang hatte ihm das geschmeichelt. Aber im Lauf der Zeit war es ihm immer lächerlicher vorgekommen. Was soll’s. Die Zeiten waren vorbei. Und wenn er ehrlich war, musste er das nicht mehr haben. Es gab andere Dinge in einer Beziehung.

Was denken Sie darüber, liebe Hörer. Halten sie es mit der Bundesregierung, oder sagen sie ein Menschenleben ist mehr wert als dieses populistische Säbelrasseln. Chatten sie mit uns auf unserer Facebookseite hr3.pop&weck@facebook.com. Ich für meinen Teil möchte in keinem Fall in der Haut von Dr. Schollenbruch stecken, der sicher schon herausgefunden hat, dass es sich bei O.S. nicht um das neue Betriebssystem von Apple handelt.“

Sex war nicht alles. Und alles war nichts, wenn das Vertrauen fehlte. Wenn sie nicht bedingungslos hinter ihm stand. Es war das Herz, das zählte. Immer.

Auch in der Haut der einzigen Überlebenden des gestrigen Brands möchte ich jetzt nicht stecken. Sie führt keine Ausweispapiere mit sich und verweigert nach wie vor jegliche Angaben zu Person und Herkunft. Laut Polizeiangaben ist es den Ermittlern bisher nicht gelungen die junge Frau aus der Zentrale des Bankhaus „Moor & Moor“ zu identifizieren.

Das sah ihr ähnlich, diesem durchgeknallten Luder. Jack ertappte sich dabei, dass er genau dasselbe noch vor wenigen Wochen über seine Exfrau gedacht hatte.

Sie ließ ihn sitzen, weil sie seinen fehlenden Ehrgeiz und seine stoische Ruhe nicht mehr ertrug. Weil er weder ihr, noch ihren Töchtern, die Perspektiven bot, die sie sich einbildete. Weil er sie langweilte und sie ihn auch nicht mehr attraktiv fand, mit seinem kleinen Bäuchlein.

Miststück.

Zusammen mit der schwer traumatisierten Frau wurden zwei bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen gefunden.“

War ja klar, dass der Kämmerer nicht auf drei zählen konnte.

Das BKA tappt noch völlig im Dunkeln, geht aber von einem Gewaltverbrechen aus, da beide Leichen nachweislich Schussspuren aufwiesen. Ob dieses neuerliche Kapitalverbrechen im Bankenmilieu in irgendeinem Zusammenhang mit der Entführung des Vorstandes der Deutschen Bank Dr. Johann Schollenbruch steht, ist bis zur Stunde noch unklar.“

Jack fröstelte. War denn die ganze Welt verrückt geworden? Was ging nur in diesen kaputten Köpfen vor? Er kroch unter das Kopfkissen und versuchte angestrengt an etwas Positives zu denken.

Die Zwillinge!

Sie waren im Moment eindeutig das Schönste in seinem Leben. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das Sorgerecht für sie zu bekommen. Er seufzte. Die beiden Prinzessinnen fehlten ihm. Und Barbara, trotz allem.

„Geschenkt!“ grummelte Jack unter seinem Kissen nicht ganz glaubwürdig.

Erst mal Kaffee machen.

Ächzend stemmte sich Jack aus dem mittlerweile viel zu großen Bett. Barbaras Seite war verwaist. Auf Ihrem Kopfkissen lagen Kra der Rabe und die beiden Bären Opa-Bär und Kleiner-Bär. Irgendwann würde er sie in eine Kiste setzen und ganz tief unter den anderen Kisten im Keller vergraben. Irgendwann. Wenn er über die selbstquälerische Phase hinaus wäre. Irgendwann einmal.

Er erhob sich und bereute es sofort. Sein Schienbein erinnerte ihn schmerzhaft an den Clubsessel, mit dem er gestern in der Zentrale der Moorschen Bank Bekanntschaft gemacht hatte. Vorsichtig wuchtete er sich erneut hoch. Wenn er sein ganzes Gewicht auf sein gesundes Bein verlagerte, waren die Schmerzen einigermaßen erträglich. Er humpelte ins Bad, riss mit einem Ruck die riesige Kompresse, die man ihm im Krankenhaus verpasst hatte, herunter und betrachtete sich die Wunde genauer.

„Halb so schlimm, bin ja nicht aus Zucker.“, brummte er, versorgte die Wunde mit Salbe und einem weniger martialischen Pflaster. Eigentlich war er jetzt wach, aber trotzdem hielt er seinen Kopf unters eiskalte Wasser bis ihn fröstelte.

Rituale halten dich am Leben. Eigentlich war sein Leben, seit er allein war, ein einziges Ritual geworden. Er fuhr sich einmal mit der nassen Hand durchs Haar, sah in den Spiegel und zog eine Grimasse. Er sah wirklich bescheiden aus.

Tiefe Augenringe, die ihm auf dem Revier den Spitznamen Jacub „Tappertsohn“ Kosinski eingebracht hatten. Früher hatte er ernsthaft darüber nachgedacht zum Schönheitschirurgen zu gehen und war dann aufrichtig erleichtert, als das Kürzel „Jack“ das abendfüllende Jacub „Tappertsohn“ Kosinski abgelöst hatte.

Soweit der Crimereport am Morgen. Wir halten Sie natürlich auf dem Laufenden und melden ihnen sofort die neuesten Entwicklungen im Fall Schollenbruch und Moor. Jetzt aber erstmal etwas Musik für unseren heldenhaften Feuerwehrmann Jacub „Tappertsohn“ Kosinski, der die schöne Unbekannte aus den Flammen gerettet hat! Talking Head und „Burning down the house“!“

Wenn er den Kollegen erwischte, der da sein Schandmaul nicht hatte halten können. Jack sah schon die feixende Meute vor sich. Kindsköpfe, alle miteinander. Er musste grinsen. Ja das waren sie. Große Jungs. Aber Jack wusste beim besten Willen nicht, wem auf der Welt er mehr vertrauen könnte. Jeder von ihnen ging für den anderen buchstäblich durchs Feuer.

Jack gähnte herzhaft und nahm einen großen Schluck Milchkaffee. – Der Pieper riss ihn aus seinen Gedanken. Das Revier, die Nummer vom Leiter der Branddirektion Frankfurt am Main, Hugo Xavier. Was wollte denn der alte Wichtigtuer. Er hatte heute seinen freien Tag. Jack hatte wirklich wenig Lust, sich von diesem schleimigen Opportunisten das Ohr abkauen zu lassen.

„Kosinski“ knurrte Jack in den Hörer.

„Mein lieber Jack, wir sind alle mächtig stolz auf Sie!“

Er hasste es von Xavier auf diese Art geduzt zu werden. Zudem konnte er sich nicht erinnern, dem deutlich Jüngeren jemals das Du angeboten zu haben.

„Jack ich weiß, Sie haben heute ihren freien Tag, aber im Fall Moor gibt es eine Entwicklung, die ihre Anwesenheit im Revier notwendig macht!“

“Wann?“ knurrte er einsilbig.

„Passt es ihnen so gegen 7:45 Uhr?“

Jack sah auf die Uhr, es war 7:15 Uhr. Bis heute hatte er nicht herausgefunden, ob Xaviers übertriebene Wortwahl und seine aalglatte Kaltschnäuzigkeit seiner Schweizer Herkunft geschuldet waren.

„Ich kann in einer dreiviertel Stunde da sein, Herr Direktor.“

Er bemühte sich freundlich zu klingen, wohl wissend, dass der andere es verabscheute, intern als „Direktor“ der Branddirektion angesprochen zu werden. Öffentliche Auftritte natürlich ausgenommen.

Wir sind alle eine große Familie“, hatte er bei seiner Antrittsrede immer wieder betont.

„Was gibt’s denn so wichtiges, dass mir „die Familie“ meinen freien Tag versaut?“

schob Jack nach.

„Das werden Sie noch früh genug erfahren, Kosinski“, kam es frostig zurück.

„Also dann um Null Achthundert in meinem Büro“.

„Geht klar, Chef“ schmunzelte Jack und legte auf.

War doch gar nicht so schwer.

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