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Karl von Moor

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Karl konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Streifschuss quer über seine rechte Gesichtshälfte blutete stark. Er schob sich die Baseballkappe tiefer ins Gesicht und lauschte. Eine Kakophonie an- und abschwellender Töne hallte durch die Häuserschluchten des Frankfurter Bankenviertels.

In einiger Entfernung heulten Sirenen durch die Nacht.

Er zitterte am ganzen Körper. Lederjacke, T-Shirt und Edeljeans waren von Flammen und Rauch angesengt und klebten rußverschmiert und schweißnass wie alte Lumpen an Karls durchtrainiertem Körper. Zu allem Überfluss stank er erbärmlich nach Müll und Unrat.

Unter der Jacke wurde es unerträglich heiß.

Nicht die Kontrolle verlieren. Langsam weitergehen. Atmen, ruhig atmen. Aber das konnte er sich einreden sooft er wollte. Er hatte gerade die Frau verloren, die er über alles liebte.

Wie sollte es da weitergehen? Tränen liefen über sein vom Ruß geschwärztes Gesicht und überzogen es mit seltsamen Linien.

Warum konntest du dich nicht raushalten? Nur dieses eine Mal? Du... Du…

„Du scheiß-emanzipierte pseudopolitisch korrekte blöde Kuh“, brüllte er verzweifelt in die menschenleere Hochhauswüste. Schluchzend trommelte der gegen das kalte Glas einer Fensterfront und stammelte:

„Ich hasse dich...„ Wieder und wieder. Er sank an der Glasfront herunter und umklammerte seine Beine.

Bilder der sterbenden Freunde drängten an die Oberfläche. Erschossen von seinem eigenen Bruder. Ein heftiges Zittern schüttelte Karl. Er kippte zur Seite. Lag da wie ein unschuldiges Baby.

Ich habe meinen Bruder umgebracht. Hab ihn erschossen. Ich...

Würgend stemmte sich Karl auf alle viere. Aber es gab nichts mehr, was er hätte von sich geben können. Dünne, gallebittere Speichelfäden tropften auf den Boden.

Was hab ich getan? Was hab ich bloß getan?

Dem feinen Brüderchen eine Lektion erteilen. Diesem Gernegroß, der seine Konten sperren ließ. Weiß der Henker wie er den Alten dazu gebracht hatte. Das konnte er Franz doch nicht durchgehen lassen.

Auge um Auge. Zahn um Zahn. - Aber ihn töten?

Karl wurde schwarz vor Augen.

Atmen, ruhig atmen.

Er riss die Augen auf, konnte aber nur verschwommene Umrisse wahrnehmen. Wenigsten war niemand in seiner Nähe, soweit er das feststellen konnte.

Ausruhen.

Sie hatten Franz aus dem Bett seiner Penthousesuite gezogen, ihn in sein Büro im 16ten Stock der Taunusanlage 11 geschleift und von ihm die Zugangscodes für das interne Buchungssystem verlangt. Spiegelberg und die Schweizerin machten sich daran, ein paar Milliönchen umzubuchen. Sie waren gerade dabei den Transaktionsalgorithmus zu installieren, als Amalia plötzlich hereinplatzte.

Sie hatte Wind von der Aktion bekommen und versucht, ihn davon abzubringen.

Er hatte sie außer Gefecht gesetzt. Nicht eben Gentleman like. Amalia litt an einem seltenen Gendefekt. Myotonia congenita. Besser bekannt als Temporäre Muskelstarre.

Auf youtube kursierten lustige kleine Filmchen von den Tennesee Fainting Goats. Einer amerikanischen Ziegenart, die unter demselben Gendefekt leidet und deren Muskulatur sich unter enormem Stress für kurze Zeit völlig versteift.

Karl hatte nicht damit gerechnet, dass Amalia ihnen folgen würde.

Warum musste sie sich nur immer in alles einmischen?

Und dann war das Chaos ausgebrochen. In der allgemeinen Verwirrung hatte Franz eine Pump Gun aus einem verborgenen Fach seines Schreibtisches gezogen und wild um sich geballert.

Spiegelberg erwischte es zu erst. Blut und Gedärm quoll zwischen seinen Händen hervor. Die Schweizerin stürzte sich auf Franz. Doch der schoss ihr einfach das Gesicht weg. Und Karl hielt plötzlich Spiegelbergs Revolver in Händen, als Franz die Pump Gun auf ihn richtete.

Er oder ich. So einfach war das.

Franz ließ mir doch gar keine Wahl. Für eine Wahl braucht man nämlich mindestens zwei Möglichkeiten. Oder? Oder etwa nicht?

Außerdem war es letztendlich keine bewusste Entscheidung mehr gewesen. Nur Instinkt. Purer Überlebenswille.

Er war sprichwörtlich außer sich gewesen und zögerte einen Sekundenbruchteil.

Blut ist dicker als Wasser. - Wie banal.

Franz war da ganz offensichtlich anderer Meinung und feuerte seine Pump Gun ab. Der Beobachter Karl brüllte den realen Karl an, endlich abzudrücken. Oder wenigsten seinen Allerwertsten, bzw. sein weit edleres, weil wertvolleres Körperteil, den Kopf, aus er Schussbahn zu bringen. - Die Schrotkugel streifte seine rechte Schläfe. - Er schaffte es gerade noch den Revolver abzufeuern, sah seinen Bruder getroffen zu Boden gehen, ehe er selbst das Bewusstsein verlor und Amalia wieder zur Salzsäule erstarrte.

Steh auf. Du musst hier weg.

Als er den Kopf hob, konnte er den Wagen an der Ecke der nächsten Querstraße stehen sehen. Er zog den Schlüsselbund aus der Hosentasche und stolperte los. Als er am Wagen ankam, brach er beim Versuch das Fahrzeug aufzusperren vor lauter Zittern beinahe den Schlüssel ab.

Wie konnte man nur so eine alte Schüssel fahren?

Gut, Spiegelbergs Club Ente war zugegebenermaßen ein Klassiker. Allein das Fahrgefühl, wenn sie sich in die Kurve legt. - Sensationell! - Weniger sensationell war dagegen die Ausstattung des Oldies. Eine funkgesteuerte Zentralverrieglung, für die Karl jetzt ein Königreich gegeben hätte, suchte man ebenso vergeblich wie einen elektrischen Scheibenwischer.

Endlich schnappte die Verrieglung mit einem hörbaren „Klack“ auf und Karl schwang sich auf den Fahrersitz. Er rammte den Schlüssel ins Zündschloss, startete den Motor, zog am Knüppel der Lenkradschaltung, schoss halb aus der Parklücke und legte im letzten Augenblick eine Vollbremsung hin.

Ein unbeleuchtetes schwarzes SUV verfehlte die Club-Ente um Haaresbreite. Der Fahrer bekam den heftig schlingernden Zweieinhalbtonner nur mit Mühe unter Kontrolle, beschleunigte sofort wieder und entschwand mit quietschenden Reifen hinter der nächsten Straßenecke.

Karl atmete hektisch, umklammerte das Lenkrad, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Als er wieder etwas ruhiger wurde, vergewisserte er sich mit einem Blick nach hinten, dass diesmal die Fahrspur frei war, fuhr vorsichtig aus der Parklücke heraus und verschwand in die Nacht.

Es ist noch nicht zu Ende.

Occupys Soldaten

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