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Prolog

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Sie stand inmitten des tosenden Feuermeers. Wie eine griechische Statue. So schön, so kalt, so seelenlos. Die Sprinkleranlage mühte sich vergebens, dem Feuer Herr zu werden. Lediglich eine kleine Gruppe der reichlich im Raum verteilten Sprühköpfe verströmten einen feinen Nebel im Raum. Kaum berührte er Haut und Kleidung der erstarrten Frau, schien er wieder zu verdampften und umhüllte sie wie ein zarter schützender Kokon. Ein schlafender Racheengel, unwirklich und schön.

Der Alarm kam um 23:58 Uhr und tauchte die Frankfurter Feuerwache 1 schlagartig in gleißendes Neonlicht. Aus allen Richtungen eilten die fünfundzwanzig Männer und Frauen der Berufsfeuerwehr in die Fahrzeughalle, schlüpften in Windeseile in ihre Schutzanzüge und überprüften ihre Ausrüstung auf Vollzähligkeit und Funktion. Vereinzelte Flüche gingen im Heulen der Sirene unter.

Feuerwehrhauptmann Jack Kosinski kam als einer der letzten aus dem Fitnessraum gehumpelt. Er war in die Konsole das abrupt zum Stillstand gekommenen Laufbands geschossen. Die Blicke seiner feixenden Kollegen quittierte er mit einem säuerlichen Lächeln, während er seinen Schutzanzug überstreifte und die Ausrüstung kontrollierte. Die Fahrt zur Taunusanlage 11 im Bankenzentrum dauerte keine sieben Minuten. Aus dem kurzen Briefing erfuhr Jack, dass der sechzehnte Stock des Hochhauses in Flammen stand. Die Hochsicherheitstüren zu den betroffenen Büros des Bankhauses Moor & Moor ließen sich nicht ohne Spezialschlüssel öffnen. Die zuständige Sicherheitsfirma war nicht zu erreichen und bis die Sprengstoffexperten vor Ort waren, um die Tür aufzusprengen, konnte es für die eingeschlossenen Personen im Bürokomplex zu spät sein. Laut Concierge, der auch den Brand gemeldet hatte, befanden sich außer den beiden Söhnen des Bankentycoons Moor noch mindestens drei weitere Personen im Bürokomplex.

„Zeit für Helden“, hatte Einsatzleiter Kurt Böhnlein sarkastisch geknurrt und die Höhenretter des Löschzuges aufs Dach des Hochhauses beordert. Ein Beobachtungsposten mit Nachtsichtgerät und Wärmebildkamera war im Gebäude der Deutschen Bank direkt gegenüber schon auf dem Weg nach oben. Der Späher war Jacks Lebensversicherung, sollte er einen Weg in das brennende Stockwerk der Taunusanlage 11 finden.

Jetzt stand Jack am Rand der Hochhausfassade in fünfundsiebzig Metern Höhe. Um ihn herum funkelte die Skyline Mainhattens verschwenderisch in der Nacht. Wovon er allerdings nichts bemerkte. Er war in den Tunnel eingetaucht. Konzentrierte sich ganz auf die nächsten Sekunden. Ging den Ablauf wieder und wieder in Gedanken durch. Hatte er etwas übersehen? Stimmten seine Berechnungen? Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Denn Fehler endeten hier meist tödlich.

Noch konnte er nicht wissen, dass sein größter Fehler schon darin bestanden hatte, heute überhaupt zum Dienst zu erscheinen. Jack hob den Kopf, ging in bester Ronaldo-schießt-gleich-nen-Freistoß Manier einige Schritte rückwärts, gab dem Kollegen am Sicherungsseil das Zeichen, nahm Anlauf und sprang über die Kante des Hochhausdaches. Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt, während er in die bodenlose Nacht stürzte. Eine Welle puren Adrenalins schoss durch seinen Körper, als das Seil sich mit einem scharfen Ruck straffte und Jack für den Bruchteil einer Sekunde knapp achtzig Meter über dem Asphalt schwebte. Die Zeit schien stillzustehen. Als hätte sie ihren Fauxpas bemerkt, bemühte sie sich aber sofort wieder die vertrödelten Sekunden aufzuholen und schleuderte Jack dem Erdboden entgegen. Der zappelte und wand sich wie ein Aal, als der freie Fall in eine Pendelbewegung überging.

Dreh dich zur Scheibe hin. – Mach schon! Er schoss jetzt wie eine menschliche Abrissbirne auf das Panoramafenster im sechzehnten Stock zu. Den Glasbrecher hielt er wie eine Lanze weit von sich gestreckt. Was für eine saublöde Idee, dachte Jack noch, dann durchschlug die Spitze des Glasbrechers die Scheibe und Jack flog eingehüllt in einer Scherbenfontaine quer durch das Flammenmeer.

Füße zusammen, Knie zusammen! – Hüfte eindrehen! – Füße zusammen! – Knie zusammen! – Hüfte eindrehen! Die Merksätze für den perfekten Landefall geisterten durch seinen Kopf, während er sich im Bemühen auf den Beinen zu landen, drehte und wand wie eine Katze. Die Ledersitzgruppe direkt am Fenster machte Jacks Anstrengungen mit einem Schlag zunichte. Das Hindernis rammte ihn förmlich von den Beinen und katapultierte ihn weiter in den Raum. Sich überschlagend polterte er über den polierten Designerfußboden und kam stöhnend neben einem Sitzsack zum Liegen. Jack zwang seinen adrenalinüberfluteten Körper zur Ruhe und kontrollierte den Sitz seiner Atemschutzmaske. Gierig sog er den Sauerstoff in die Lungen und löste sich von dem Sack, der ihn vor dem Aufprall auf den Tresen einer Küchenzeile bewahrt hatte. Da gefror ihm das Blut in den Adern. Der Sitzsack war menschlich. Jack starrte fassungslos in das pockennarbige Gesicht eines untersetzen mittelalten Mannes, der wohl zusammengekrümmt am Tresen gelehnt hatte, bevor Jack in ihn hinein gerauscht war. In einer völlig sinnlosen Geste drückte der untersetzte, kahlköpfige Kerl die Hände auf den Bauch, um zu verhindern, dass der sich vollends von innen nach außen stülpte. Jemand hatte ihm in den Magen geschossen.

Was zum Teufel ist hier los?, fragte sich Jack und seine Nackenhaare stellten sich auf, während sein Blick durch den Raum irrte. – Da sah er sie.

Trotz der Hitze lief Jack ein Schauer über den Rücken. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sie für moderne Kunst gehalten. Eine Skulptur. Doch was da reglos keine fünf Schritt von ihm entfernt im flammenden Inferno stand, war tatsächlich eine Frau aus Fleisch und Blut. Mit einer beinahe körperlich spürbaren Gefährlichkeit. Da entdeckte Jack zwei weitere reglose Leiber. Sie lagen in grotesken Verrenkungen im Raum verteilt, als hätte sie ein ihrer überdrüssig gewordener Marionettenspieler achtlos hingeworfen.

„Was ist da oben los, Kos....i? – La...berich...!“, meldete sich Einsatzleiter Böhnleins krächzende Stimme ungeduldig. „Dass ich I... fü... diese Aktio... no... de... A.... auf...eißen we...e is... I... ja ho....... kla...!“

„Ein Toter, zwei leblose Personen und eine ...“, setzte Jack gerade zu einer Antwort an, da explodierte die unbekannte Schöne ansatzlos. Ihre Schnelligkeit überraschte Jack. Wie eine Raubkatze schoss sie mit zwei Sätzen auf einen der Körper zu. Sie stoppte abrupt vor der leblosen Person – einer Frau – die zusammengesunken über einem umgestoßenen Clubsessel lag. Jack reagierte viel zu spät: Im nächsten Augenblick riss der Racheengel schon den Kopf an langen Rastalocken zu sich hoch und brüllte besinnungslos:

„Karl! – Wo ist Karl?“ Dabei schüttelte und drehte Rachel – wie Jack die Furie spontan taufte – den Kopf der Rastafari-Braut wie von Sinnen hin und her.

„Stopp!“, brüllte Jack, stolperte zwei Schritte auf die mit unverminderter Kraft schreienden Verrückten zu. Vielleicht war dem Lockenkopf ja noch zu helfen, hoffte Jack und packte Rachels Handgelenke. Er musste all seine Kraft aufwenden, um das Rütteln und Schütteln zu unterbinden.

„Schluss jetzt!“, herrschte er die Irre durch seine Atemmaske an. „Lassen Sie die Frau los. – Lassen Sie sie...!“ Jack unterdrückte mühsam den aufkommenden Brechreiz, als er unvermittelt in das Gesicht der Rastafari-Braut blickte. Da war kein Gesicht mehr, sondern nur noch dampfende Hirnmasse. Ein einzelnes Auge hing wo in besseren Tagen die Nase gewesen sein musste. Pumpgun-Schrot aus nächster Nähe ins Gesicht. Das krächzend und knackend zum Leben erwachende Intercom in seinem Helm unterbrach glücklicherweise die grausige Bilderflut, die Jack zu lähmen drohte.

„Jack, Flashover auf acht Uhr. Raus hier, sofort!“, bellte der Späher, Jacks hundertachtzig Pfund schwere Lebensversicherung von gegenüber. Jacks Kopf schnellte in die angegebene Richtung und das Blut gefror ihm in den Adern. Hinter einer einen Spalt breit offenen Tür sah er eine tiefschwarz pulsierende Rauchwolke.

Pyrolysegase... Horizontale Flammenausbreitungsgeschwindigkeit 10m/sek... Vollbrand bei 1000 Grad Celsius. Jack vergewisserte sich mit einem schnellen Rundblick, dass sich der dritte Körper – ein Mann? – weder bewegte, noch irgendwelche Lebenszeichen von sich gab. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er froh, dass der es nicht tat. Er fuhr herum und herrschte die immer noch kreischende Verrückte an:

„Kommen Sie, wir müssen hier raus! Gleich fliegt uns der ganze Mist um die Ohren. Kommen Sie, hier ist keiner mehr am Leben.“ Keine Reaktion. Lediglich Rachels Schreien wurde leiser, unterbrochen von immer länger anhaltenden Hustenanfällen. Jack versuchte ihre Hände aus den Locken der Toten zu lösen, an deren Kopf sie noch immer wie wahnsinnig zerrte, als wolle sie eine Antwort aus der leblosen Gliederpuppe herausschütteln.

Wie konnte ein so zarter Körper eine derartig titanische Kraft entwickeln? Die Irre schien mit dem Boden verwachsen zu sein und bewegte sich keinen Millimeter. Langsam wurde es eng.

Keine Zeit mehr für Netiquette. Mit der Stablampe schlug Jack der Verrückten beherzt auf Handrücken und Finger, fasste sie gleichzeitig um die Hüfte und hob sie mit einem Ruck vom Boden. Verwunderung, Schmerz und Wut überzogen Rachels puppenhaftes Gesicht, als ihr Kopf ruckartig zu Jack herumfuhr. Ihre blaugrünen, vom Rauch geröteten Augen funkelten irrsinnig. Aber immerhin ließ sie die grausig verstümmelte Leiche der Rastafari-Braut los. Jack nutzte den Überraschungsmoment, schulterte Rachel in bester Footballspielermanier und stolperte der zerstörten Glasfront entgegen. Es war der pure Wahnsinn. Rachel zappelte, schrie und schlug um sich, während Jack die Sauerstoffflasche abzustreifen versuchte. Er musste unbedingt ihrer beider Gewicht reduzieren. Wie er das zappelnde Bündel auf seiner Schulter rechtzeitig in den Bergegurt bekommen sollte, war ihm allerdings vollkommen schleierhaft.

„Umdrehen, Jack! Sofort! – Die Safeknacker sind da! – Zur Tür, lauf!", dröhnte der Späher in seinem Ohr. Jack drehte sich taumelnd um einhundertachtzig Grad und hastete der immer noch verriegelten Tür entgegen. Blindes Vertrauen, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Blind war er mittlerweile wirklich beinahe, denn die vor Anstrengung beschlagene Atemschutzmaske nahm ihm zunehmend die Sicht. Durch den milchigen Nebel schielte Jack in Richtung der pulsierenden Rauchwolke an der Decke des angrenzenden Raumes. Sie streckte bereits ihre ersten krakenhaften Arme in Richtung des flammenden Infernos.

„Kontakt in fünf Sekunden!, schrie der Späher mit sich überschlagender Stimme. Jack war noch mindestens drei Meter von der rettenden Tür entfernt. Die zu allem Überfluss immer noch fest verschlossen war. Das schaffst du nie, durchfuhr es Jack. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Sein Atem rasselte. Die Muskeln waren müde und schwer. Sein Körper war kurz davor, ihm den Dienst zu versagen. Nur noch reine Willenskraft trieb ihn an, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Lass los, Jack. – Das schaffst du nicht mehr. – Lass einfach los“, flüsterte die Schlange in seinem Kopf. Es lohnt die Mühe nicht.

„Nein!“, schrie Jack wütend. „Nein! Es ist erst zu Ende wenn ich es sage!“ Verzweifelt mobilisierte er seine letzten Kraftreserven. – Da überschlugen sich die Ereignisse.

Die beiden Flügel der schweren Bürotür flogen genau in dem Augenblick auf, als sich das Rauchgasgemisch hinter Jack und seinem Bündel entzündete. Starke Männerarme rissen ihn und die Wahnsinnige hinaus in den Flur und beidseits der Eingangstür zu Boden. Schwere Löschdecken wurden blitzschnell über das Menschenknäuel geworfen, während die tausend Grad heißen Flammen der Rauchgasexplosion über sie hinweg schossen. Dunkelheit legte sich über Jacks Bewusstsein und gönnte ihm eine kurze Auszeit.

Auf einer Krankenbahre kam Jack langsam wieder zu sich. Neben ihm lag die unbekannte Schöne. – Sie lebt, dachte Jack erleichtert. Sie lebt, Gott sei Dank. Erst jetzt registrierte er, dass die Sanitäter Rachel fixiert hatten. Jack wollte sprechen, sie fragen, was da oben eigentlich passiert war, aber dafür war es schon zu spät. Rachels Augenlider flatterten ein letztes Mal, dann schossen sie sich und ihr Kopf sank matt zur Seite.

Ruhig gestellt, die haben sie ruhig gestellt, schoss es Jack durch den Kopf. So ein Schwachsinn. Er brauchte Antworten. - Wer war diese Frau? Und wer waren die Toten? Wer war dieser Karl? War er immer noch im 16ten Stock? War er der Pump Gun Killer?

Jack musste dringend mit dem Einsatzleiter reden. Ihn warnen... Er kämpfte sich mühsam hoch. Sein Schädel pochte und dröhnte als wolle er platzen. Gerade wollte er die Beine von der Bahre schwingen, da drückte ihn ein Rettungssanitäter sanft aber bestimmt wieder auf die Bahre zurück.

„So junger Mann, wir bleiben hübsch liegen und lassen uns erstmal wieder schön zusammenflicken. Alles andere kann warten.“

„Aber...“, versuchte Jack mühsam.

„Kein aber! Das pikst jetzt kurz ein bisschen und dann werden Sie erst mal schön schlafen.“

Jack bäumte sich mit letzter Kraft auf. „Aber Karl...“

„Ich heiße Rüdiger, Schätzchen“, lächelte der Sanitäter süffisant.

„Doch nicht Du... da oben ist noch ein...“ tröpfelte es immer unzusammenhängender aus Jack heraus.

„Sweet dreams, mein Großer“, war das letzte was Jack im Wegdämmern noch hörte, ehe ihn das Schlafmittel von seinen wirren Gedanken erlöste.

Occupys Soldaten

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