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Stare down mit Armin Rodgaus

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Endlich hatten sie den Konferenzraum erreicht. Die Tür stand offen und gab den Blick frei auf die spärliche Einrichtung und den in öffentlichen Gebäuden unvermeidbaren grauen Teppich.

Irgendjemand verdiente sich da eine goldene Nase.

An den Wänden hingen verschiedene Karten Frankfurts und der Umgebung. Ein Flipchart stand etwas verlassen in der Ecke. Irgendein Witzbold hatte es mit „Fraport zum Rapport“, in Anspielung auf die ungeliebte Konkurrenzsituation und das mitunter arrogante Auftreten des Frankfurter Flughafenbetreibers verziert. In der Mitte des Raumes standen mehrere sehr einfache Bürotische auf Stahlrohrfüßen, die man zu einer größeren Einheit zusammen geschoben hatte. Unbequeme Designerstühle mit grauen Plastiksitzschalen, das Stück zu irrwitzigen 140.- Euro, komplettierten das Ensemble.

Die gesamte Breite des Raumes nahm eine Fensterfront ein. Die Sonnenstrahlen, von dem ebenfalls obligatorischen Lamellenvorhang akkurat unterteilt, schnitten wie Laserschwerter präzise Dreiecke in den Raum. Vor dieser Wand aus Licht stand Armin Rodgaus wie ein Scherenschnitt mit dem Rücken zum Raum.

Großes Kino, dachte Jack. Wie von Leni Riefenstahl inszeniert. – Das kann ja heiter werden.

Rodgaus lies mit keiner Regung erkennen, ob er die Neuankömmlinge wahrgenommen hatte. Er stand einfach da wie der fleischgewordene „Triumph des Willens“.

Xavier riss Jack abrupt aus seinem Tagtraum.

„Herr Kriminaloberrat, bitte entschuldigen Sie die lange Wartezeit“, flötete Xavier geschmeidig und fuhr mit einem kurzen prüfenden Blick auf Jack fort:

„Aber seit Herr Kosinski unser „Held des Tages“ ist... Wie Sie sicher bereits wissen, hat mir der Innenminister eröffnet, dass er Herrn Kosinski mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen will.“

„Danke, ich bin im Bilde, Xavier“, unterbrach ihn Rodgaus unfreundlich. Aus dem Augenwinkel sah Jack Xaviers zum Gruß ausgestreckte Hand in der Luft verharren. Amüsiert registrierte Jack einerseits Xaviers säuerliche Miene und zum anderen, dass Rodgaus, ganz im Gegensatz zu seiner monumentalen Erscheinung, eine piepsige, dünne Mädchenstimme hatte. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Als hätte er es gespürt, wandte sich Rodgaus zu ihnen um.

„Sie sind also Herr Jacub Kosinski.“ Die Worte rieselten zischend wie Säure auf ein Wellblechdach und Rodgaus streifte Jack flüchtig mit einem Blick. Jack hatte dabei das Gefühl, als streiche etwas Kaltes über sein Gesicht. Unwillkürlich begann er sein rechtes Ohrläppchen zu massieren, erwiderte aber nichts. Auf rhetorische Fragen reagierte er aus Prinzip nicht. Das roch ihm zu sehr nach Statusspielchen.

Da musst du dich ein bisschen mehr anstrengen, Herr Kommissar!

Rodgaus stahlblaue Augen waren klar und kalt. Kein Muskel zuckte in seinem maskenhaften, ebenmäßigen Gesicht.

„Ich werde mich kurz fassen, meine Herren.“ Rodgaus bedeutete Xavier mit einem Nicken, die Tür zu schließen und fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand.

„Erstens:“, setzte Rodgaus an, als Xavier die Tür geschlossen hatte und Rodgaus sicher sein konnte, die ungeteilte Aufmerksam zu haben. „Alle Gesprächsinhalte sind vertraulich und unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe. Entsprechende Papiere liegen zur Gegenzeichnung auf dem Tisch für Sie bereit.“

Erst jetzt bemerkte Jack mehrere akkurat ausgerichtete Papierstapel am Ende des Tisches und noch ein paar andere Gegenstände, die er aber noch nicht eindeutig zuordnen konnte.

„Zweitens: Mit sofortiger Wirkung untersteht der Hauptbrandmeister Jacub Kosinski dem BKA Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität. Offiziell wird er für die Dauer des Einsatzes als Externer Berater geführt.“

Moment mal.

„Drittens: Herr Kosinski handelt ausschließlich weisungsgebunden.“ Der Hauch eines Lächelns umspielte dabei Rodgaus dünne Lippen. „Diese Weisungen wird Herr Kosinski einzig und allein von mir persönlich erhalten. Etwaige anders lautende Anweisungen oder Befehle sind unabhängig vom Dienstgrad für die Zeit des Einsatzes irrelevant.“

Langsam.

„Seine Erkenntnisse hat Herr Kosinski ausschließlich mir, in Form eines täglichen Rapports, mitzuteilen.“

Rodgaus Augen funkelten.

Ruhig Brauner.

„Viertens: Er hat sich darüber hinaus 24 Stunden am Tag zu meiner Verfügung zu halten.“

„Stopp“, platzte es aus Jack heraus.

Abgesehen davon, dass ihm Rodgaus impertinente Herablassung gegen den Strich ging, gab es kaum etwas, das ihn mehr auf die Palme brachte als auf eine derart respektlose Art und Weise fremdbestimmt zu werden. Und auf die Frotzeleien seiner Kollegen à la: „Jack, fahr schon mal den Wagen vor.“, konnte er getrost verzichten.

„Ihr erstens, zweitens, drittens können Sie gleich vergessen, Herr Kriminaloberrat“, presste Jack mühsam beherrscht heraus.

„Die Geheimhaltungsnummer geht in Ordnung, darüber müssen wir nicht reden, aber solange ich noch nicht einmal weiß, worum es geht, werde ich weder für Sie noch für irgendjemand anderen in Ihrem Verein arbeiten. Und in dieser Form schon gar nicht.“

Xavier hatte es offenbar die Sprache verschlagen, denn von ihm war außer den pfeifenden Atemgeräuschen nichts zu hören. Rodgaus starrte noch immer unverwandt auf den imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Im Gegenlicht sah er aus wie eine Figur in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett.

Zwanzig Jahre Empfangstippse sind mir sicher.

„Sehen Sie, seit vier Tagen halten Occupys Soldaten den Vorstand der Deutschen Bank weiß Gott wo gefangen und foltern ihn medienwirksam zu Tode“, fistelte Rodgau vollkommen emotionslos und verharrte weiter in seiner Puppenstarre.

„Der Innenminister spricht von einem terroristischen Anschlag auf die Demokratie, vergleichbar mit der Bedrohung durch die RAF. Der Generalbundesanwalt, ein Duzfreund von Dr. Schollenbruch und in diesem Szenario mein direkter Vorgesetzter, hat mir in die Hand versprochen, dass er mir persönlich den Kopf abreißen wird, sollten wir Schollenbruch nicht binnen 48 Stunden finden.“

„Was hat das alles mit mir zu tun?“, unterbrach ihn Jack erneut.

„Ich bin Feuerwehrmann und kein Terrorismusexperte.“ Rodgaus zeigte immer noch keine Anzeichen irgendeiner Regung.

„Dessen bin ich mir äußerst bewusst, Herr Kosinski. Und glauben Sie mir, gäbe es nicht die minimale Chance, mit Ihrer Hilfe zu einer Lösung zu kommen, ich würde keine Sekunde meiner Lebenszeit mit ihnen verschwenden.“

Jack war sprachlos. Dieses Maß an emotionsloser, kalter Arroganz wurde ihm langsam unheimlich, milderte aber seine Wut keineswegs. Und Rodgaus setzte noch einen drauf.

„Angesichts der Bedrohungslage sind Ihre persönlichen Befindlichkeiten irrelevant. Ich mache keine Vorschläge, ich treffe Entscheidungen. In Ihrem Fall rate ich Ihnen, diese zu akzeptieren. Nicht mehr und nicht weniger.“

Von wegen nicht mehr und nicht weniger. – Pass auf. Pass auf!

Jack ging auf Rodgaus zu, bis sie nur noch wenige Zentimeter trennten. Er verletzte ganz bewusst Rodgaus Intimsphäre und versuchte Blickkontakt herzustellen, war aber um mindestens einen Kopf zu klein, wie er verärgert feststellen musste.

Geschenkt, Hauptsache Rodgaus zeigt endlich eine Gefühlsregung. – Gefühle machen Fehler.

„Und wenn ich mich weigere? Wollen Sie mich dann mit vorgehaltener Waffe zwingen, oder erschießen Sie mich gleich?“, schleuderte er Rodgaus entgegen, der jetzt tatsächlich den Kopf neigte und Jack direkt in die Augen sah.

„Sie zwingen ja, erschießen werde ich Sie nur, wenn ich damit die Lösung des Problems herbeiführen kann.“ Noch immer zeigte Rodgaus keinerlei emotionale Beteiligung. Von seinen Augen ging eine Kälte aus, die sich wie ein steter Strom kalten Stahls direkt in Jacks Herz bohrte. Er taumelte unwillkürlich einen Schritt zurück und wich Rodgaus Blick für einen Moment aus.

Heilige Scheiße, was haben die Dir denn in die Muttermilch gerührt? Zyklon B?

Als Jack wieder auf sah, visierte Rodgaus schon wieder den imaginären Punkt an der Wand an.

„Die Frau, die Sie aus den Flammen gerettet haben, ist Zeugin oder Mittäterin eines Verbrechens, das einige Parallelen zu der Schollenbruch Entführung aufweist. Da die beiden Anschläge zeitnah aufgetreten sind und die Täter in beiden Fällen aus der selben Ecke kommen, gehen wir von einer konzertierten Aktion verschiedener Terrorzellen der Occupy Soldaten aus.“

Rodgaus machte eine Pause, als müsse er kurz nachdenken. Wobei sich Jack sehr sicher war, dass Rodgaus das auf diesem Level der Gesprächsführung nicht nötig hatte. Das hier war eine Inszenierung.

„Außerdem ist Franz von Moor, der erst kürzlich die Leitung der Bank von seinem Vater übernommen hat, unauffindbar.“, fuhr Rodgaus fort. „Was den Schluss nahe legt...

„... das er ebenfalls entführt wurde.“, vollendete Jack den Satz und schwieg betroffen.

Es trat eine kurze Pause ein, in der ein jeder der drei Männer seinen Gedanken nachzuhängen schien. Jack sah aus dem Augenwinkel Xavier, der es irgendwie geschafft hatte, den grauen Grundfarbton des Raumes anzunehmen und sich kaum noch vom Hintergrund abhob. Offensichtlich hatte er beschlossen, dass es das Klügste war, sich einfach ganz aus dem Gespräch herauszuhalten.

„Unser eigentliches Problem sind weniger die beiden entführten Bankenvorstände.“, nahm Rodgaus den Faden wieder auf.

„Das sind systemimmanente Kollateralschäden von geringer Bedeutung. – Ihre Nachfolger können es kaum erwarten, zum Zug zu kommen.“

Zynismus pur, dachte Jack angewidert.

„Unsere Hauptsorge gilt den Sympathisanten der Occupy Soldaten und der öffentlichen Meinung, die unseren Experten zu Folge langsam zu kippen droht.“

Reine Panikmache, Herr Kriminaloberrat, schoss es Jack durch den Kopf. Tatsächlich gab es inzwischen kaum eine Talkrunde mit den ewig gleichen Experten, die sich nicht lang und breit über das Phänomen „Occupys Soldaten“ ausließ. Ein besonders geschickter TV-Versimplifizierer sprach gar schon von einem von Islamiten gesteuerten „Europäischen Flächenbrand“.

Eine perfekt getimte Inszenierung.

Die Schamlosigkeit mit der hier Ängste geschürt wurden, war ganz schön dreist. Stellte sich die Frage:

Wem nütz das alles?

„,Der Exekutiven“, fuhr Rodgaus fort, „sind bedauerlicher Weise die Hände gebunden, da der einzige Mensch, der uns weiterhelfen könnte, von seinem Recht zur Zeugnisverweigerung gebrauch macht.“

Was sie sehr verdächtig und extrem interessant macht.

„Hören Sie Rodgaus, es tut mir leid, wenn ich vorhin etwas aufbrausend reagiert habe, aber ich habe eben gerne die Wahl und möchte vorher wissen, worum es geht.“ Es war ein Friedensangebot.

„Ehrlich gesagt hab ich nämlich immer noch keinen blassen Schimmer, wie ich ihnen helfen soll?“

„Indem Sie sich mit unserer Unbekannten unterhalten und versuchen herauszufinden, was Sie gesehen hat, wie Sie in die Geschichte verwickelt ist, oder was Sie vor uns verbergen möchte.“ Rodgaus nickte unmerklich in Richtung der Papiere, trat aus dem Lichtfächer und schickte sich an, den Raum zu verlassen.

„Ich soll...?“ Jack war für einen Moment sprachlos, fing sich aber sofort wieder.

„Ich dachte Sie will mit niemandem reden.“

Rodgaus wand sich in der Tür noch einmal halb um.

„Sie besteht darauf mit Ihnen und nur mit Ihnen zu sprechen, Herr Kosinski.“

War da tatsächlich so etwas wie ein gequälter Ton in Rodgaus Stimme zu hören gewesen, oder hatte er sich das nur eingebildet? Jacks Gedanken überschlugen sich.

Der Folterknecht braucht Dich, Jack. Das änderte natürlich alles. Jack musste grinsen, als ihm bewusst wurde, dass er am längeren Hebel saß.

Rodgaus war von Ihm abhängig. So sah’s aus.

Deshalb hatte der auch die Nummer mit der Weisungsbefugnis und dem Nationalen Notstand abgezogen. Um ihn zu beeindrucken. Und es hatte ja auch geklappt, das musste Jack neidlos anerkennen. Aber der Wunsch der Sirene hatte das Blatt gewendet und zugegebener Maßen Jacks Eitelkeit gekitzelt.

Als habe Rodgaus seine Gedanken gelesen, nahm der das Gespräch wieder auf.

„Erzielen Sie Ergebnisse, Jack. Und zwar schnell. Sonst kann ich nicht für die Würde unserer stummen Freundin garantieren.“

Was hieß das jetzt schon wieder? Wollte Rodgaus ihm etwa weismachen, dass er ernsthaft vorhatte sie zu foltern, falls Jack nicht mitspielte oder versagte?

Jack konnte es nicht glauben. Deutschland war doch nicht China oder Russland. Und Frankfurt war definitiv nicht Guantanamo.

„Ich sehe Sie in einer halben Stunde im Präsidium in der Adickesallee, Herr Kosinski. – Ihr Fahrer wartet bereits vor der Tür“, beendete Rodgaus das Gespräch ungerührt, dann war er beinahe lautlos gegangen.

Make my day.

Occupys Soldaten

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