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Rodgaus Reich

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"Ach", sagte die Maus," die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." "Du musst nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie. Franz Kafka

Nach den turbulenten Ereignissen der letzten Stunden genoss Jack die Ruhe. Dankbar füllte er seine Lungen mit der würzigen, frischen Luft. Einer Mischung aus Kiefernnadeln und einem Potpourri aller möglichen Blumendüfte, die dem Blumenladen Benthaus am Nordeingang des Hauptfriedhofs entströmten.

Es war kaum eine Minute vergangen, seit er den Konferenzraum der Feuer- und Rettungswache 1 verlassen hatte. Es hatte Jack ein diebisches Vergnügen bereitet, an Rodgaus Fahrer in seinem Rüsselsheimer Streifenwagen vorbei zu marschieren. Mit dem Wagen wären sie in 4 Minuten im Polizeipräsidium an der Adickesallee gewesen, wo das BKA ihre Kommandozentrale für die Sonderkommission Nemesis eingerichtet hatte. Für Jacks Geschmack viel zu früh.

Er brauchte Zeit. Er brauchte einen Schlachtplan. Er hatte keine Lust, eine möglicherweise unschuldige Frau mit seinen völlig unkoordinierten „Verhörmethoden“ in Schwierigkeiten zu bringen.

Und was, wenn Sie eine Terroristin ist?

Jack fröstelte, trotz der vor sommerlich warmen Temperatur.

Hatte am Ende Sie dem Rastalöckchen das Gesicht weggeblasen?

Jack blieb für einen Augenblick stehen. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, da in etwas hineingezogen zu werden, das einige Nummern zu groß für ihn war. Wie würde sich Rodgaus verhalten, falls Jack nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte?

Die subtile Folterdrohung konnte nicht wirklich ernst gemeint sein.

Andererseits hatte die Nummer in Frankfurt ja quasi Tradition. Jack dachte an den Entführungsfall Jakob von Metzler.

Was hättest Du getan, wenn es um deine Zwillinge gegangen wäre?, flüsterte die Stimme in seinem Kopf.

Oh Pardon, es geht ja gerade um Deine beiden Hübschen!

Jack brach augenblicklich der kalte Schweiß aus. Er zitterte. Er wusste, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte, wenn es um seine Mädchen ging und dass sein Leben zu Ende wäre, wenn ihnen etwas zustossen sollte. Die Ahnung davor, was er bereit war zu tun, um genau das zu verhindern, machte ihm Angst.

Schwerfällig setzte sich Jack wieder in Bewegung und bog in den Lindenweg ein, der ihn an unzähligen, mit Engelsfiguren verzierten Grabsteinen vorbei führte. Sie strahlten mit ihren zierlichen, alles umfassenden Flügeln einen Frieden von morbider granitener Schönheit aus.

Friedhof der Engel. So nannte er den Hauptfriedhof insgeheim. Hier kannte er jeden Stein und jeden Baum. Und auch die meisten seiner Grabmähler, Mausoleen und Krypten. Jack wurde ruhiger. Der Friedhof war schon immer seine Zuflucht gewesen. Ein Ort um abzuschalten und wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Du hältst Sie für unschuldig?

Wieder blieb Jack für einen kurzen Augenblick stehen.

Warum?

Zwei Menschen sind gestorben und zwei werden vermisst. Sein Blick fiel auf das Grab von Matthias Beltz, dem großen Frankfurter Kabarettisten. Was hätte der wohl dazu gesagt? Aber Tote reden bekanntlich nicht. Jedenfalls nicht mit ihm. Gut, es gab den einen oder anderen Spinner, der an einen Grabstein gelehnt abendfüllende Dialoge hielt. Und insgeheim beneidete er diese esoterischen Freaks ein wenig. Besonders in Augenblicken wie heute. Jetzt hätte er sich zu gerne an die hyperintelligente Astralursuppe da oben gewandt. Vielleicht sprang ja ein kleiner Wink dabei heraus. Eventuell verspürten die beiden Pump Gun Opfer ja das jenseitige Bedürfnis, ihm bei der Mörderjagd zu helfen?

Entschuldigung, wer hat ihnen denn die Birne weggeschossen? Sagen sie jetzt nicht, der große Unbekannte. Oder hat der eine Adresse? Und weil wir gerade dabei sind, könnten Sie eben mal nachsehen, wo meine Mädchen stecken und wer den armen Banker so fies drangsaliert?

Jack seufzte und setzte seinen Weg fort in Richtung Altes Portal gegenüber der Deutschen Bibliothek. Von dort war es nur noch ein Katzensprung die Adickesallee hinunter.

Guten Tag, ich bin Jacub Kosinski, Ihr Held und Retter. Sagen Sie einfach Jack zu mir. – Sie wollten mit mir sprechen. Glückwunsch, gute Wahl. Ich bin ein prima Zuhörer. Schiessen Sie einfach los. – Ich hoffe, man behandelt Sie gut, sonst muss ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihrem Folterknecht wechseln!“

Jacks Spiegelbild glotze mit einem schiefen Grinsen von der Glasfront des Haupteinganges des Polizeipräsidiums auf ihn herab.

So ging das ja gar nicht.

Jack wurde langsam wieder nervös. Er musste berufsbedingt oft dem Tod ins Auge sehen. Angst hatte er dabei nie empfunden, aber jetzt zitterte er beinahe wie ein Mädchen, weil er einfach nicht wusste, wie er das unweigerlich gleich beginnende Gespräch mit seiner schönen Irren eröffnen sollte. Wobei er sich fragte, was ihn nervöser machte. Ihre Attraktivität oder ihr Geisteszustand.

Er sah auf die Uhr. Noch 10 Minuten bis zum vereinbarten Treffen. Ob man ihn schon erwartete? Jack ließ seinen Blick an dem sechsgeschossigen Solitär entlang gleiten. Gestapelter Beton mit großen Glasflächen in der Form eines liegenden ungefähr zwei Fußballfelder großen Setzkastens. Das ganze mit hässlichen, anthrazitfarbenen Backsteinen verkleidet. Wahrlich kein architektonisches Meisterstück. Ein Zweckbau für knapp zweieinhalbtausend Mitarbeiter. Mit Hubschrauberlandeplatz, Schießstand, Fitnessstudio für die Spezialkräfte, Werkstätten, einer Kantine und einem eigenen Kriminalmuseum. Was man halt so bekam für schlappe 250 Millionen.

Als Jack das Gebäude betrat, musste er feststellen, dass es im Innern summte wie in einem Bienenstock. Im Eingangsbereich hallten emsige Schritte auf glattem Granit. Einige Teams, hauptsächlich privater Fernsehsender, belagerten lautstark die Pressestelle auf der rechten Seite des Eingangs.

Sex and Crime. Ein Quotenhoch auf Occupys Soldaten.

Jack wand sich nach links und wäre beinahe auf dem frisch gewischten, spiegelglatten Fußboden ausgerutscht. Den gelben Warnaufsteller hatte er glatt übersehen. Vorsichtig schlurfte er auf die Kriminalwache zu. Mit einem Luftgewehr auf dem Rücken hätte er sicher wie ein Biathlet ausgesehen. Am Empfangstresen angekommen, drückte er die obligatorische Klingel und wartete bis ein jugendlich dynamischer Kriminalhauptkommissar hinter der Glasscheibe auftauchte und ihn fragend ansah.

„Kosinski. Jack Kosinski, guten Tag. Ich werde von Kriminaloberrat Rodgaus erwartet.“

Jack hatte versucht selbstbewusst zu klingen, musste sich aber eingestehen, dass ihn diese typische Bittstellerposition vor der Glaswand prompt ein wenig eingeschüchtert hatte. Im Kino sah das immer so einfach aus.

„Bitte warten Sie einen Augenblick, Sie werden gleich abgeholt“, erwiderte der Rodgaus-Klon kühl und verschwand wieder in der Tiefe des Raumes.

Worauf hab ich mich da bloß eingelassen?

Da war ja der Sorgerechtsstreit mit seiner Ex ein Kindergeburtstag dagegen. Nach einer Weile, die Jack wie eine Ewigkeit vorkam, erschien sein wortkarger Führer. Ein Rotschopf, der beim Entenhausener Pfadfinderclub „Fähnlein Fieselschweif“ noch locker als Eleve durchgegangen wäre, aber schon jetzt eine Arroganz ausstrahlte, dass es einem schlecht werden konnte.

Nach einem Marsch über endlose Flure, vorbei an Gewahrsamszellen, Koordinationszentralen und Befehlsstellen, landeten sie schließlich im 6. Stock des Westflügels. Freundlicherweise hoben sich die einzelnen Bereiche farblich voneinander ab. Von Gelb im Eingangsbereich, über Rot und Grün bis hin zu Blau im Westflügel. Rodgaus Reich.

Na das passt ja.

„Willkommen im Land der Heiterkeit, Harmonie und Zufriedenheit. Einem Ort zum Seele baumeln lassen und die unbekannten Tiefen ihres Unterbewusstseins zu ergründen.“, brummte Jack leise vor sich hin.

Oder was immer die Farbe Blau sonst noch symbolisieren mochte.

„Warten Sie hier, Herr Kosinski“, raunzte ihn der Rotschopf in gewohntem Befehlston an und verschwand hinter einer Tür.

Jack blickte den eintönigen Flur mit seinen unzähligen immer gleichen Türen entlang.

Ach sagte die Maus...“

Occupys Soldaten

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