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Ein aufklärerischer Appell an die Eigenverantwortung

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Eine bedeutende moralische Zeitenwende in Europa war die Epoche der Aufklärung, als deren berühmtester deutschsprachiger Philosoph, Immanuel Kant, in die Geschichte eingegangen ist. 1785 veröffentlichte er in Riga ein Buch mit dem Titel »Kritik der praktischen Vernunft«. Ich habe es mir aus Interesse gekauft, weil ich diesen Meilenstein an Denkkraft und Vernunft selbst in Händen halten wollte. Lesen kann ich den Text ehrlich gesagt nicht. Das ist etwas für Spezialist:innen. Aber diesen einen, so berühmt gewordenen Leitsatz, den möchte ich hier doch anführen:

»§ 7. Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Und Kant erklärt: »Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend.«6

Ich erkläre mir diesen Appell an die Ratio so: »Denk mal nach! Willst du wirklich, dass das, was du dir jetzt gerade für dich herausnimmst, zum allgemeingültigen Gesetz wird, und dass alle anderen auch so handeln können?« Es ist ein erster, großer Appell an die Eigenverantwortung, die wir heute, mehr denn je, aufgeregt diskutieren, ob es nun um Corona-Selbstbeschränkungen oder um richtiges Handeln zum Schutz der Umwelt geht. Denn es dämmert uns langsam, dass wir uns nicht nur auf staatliche Gesetze oder religiöse Gebote bzw. Verbote berufen, verlassen oder herausreden können, sondern endlich beginnen müssen, situativ und eigenverantwortlich zu entscheiden – allerdings im Bewusstsein, dass unser individuelles Verhalten auch dem Wohl der Gemeinschaft förderlich sein sollte. Kant stellte das schon vor über zweihundert Jahren zur Diskussion.

Die Philosophin Bettina Stagneth ist ausgewiesene Kant-Expertin und betont: »Es ist nicht so, dass Kant nicht auch gern ein Idealist gewesen wäre. Er hatte nur erkannt, dass uns dafür jede Voraussetzung fehlt. Das einzig Eindeutige, das alle Menschen jederzeit in sich vorfinden und auf das wir uns deshalb auch einigen können, ist unser Sinn für Stimmigkeit und Widerspruch unserer Vorstellungen, also die Vernunft in einfachster Bedeutung als Bewusstsein, das einfach immer da ist, bevor wir es auf unterschiedliche Weise gebrauchen, also mit anderen Erkenntnisvermögen verknüpfen.«7

Wie kann sich dieser Sinn für Stimmigkeit schärfen? Heute wissen wir, dass Gefühle Gedanken auslösen und steuern. Will die Vernunft alleine ganz praktisch entscheiden, so müssen zumindest vorher die Gefühle geklärt und beruhigt sein, damit wir zur selbstkritischen Reflexion fähig sind.

Die Zeiten Kants waren aufregend. 1789 wurde in Paris die Bastille gestürmt, und die Parolen der Revolutionäre faszinierten und verschreckten gleichermaßen das restliche Europa mit drei neuen Werten: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Yoga und soziale Verantwortung

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