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Soziale Verantwortung wird zur Gesinnung

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Das darauf folgende 19. Jahrhundert war geprägt durch rasanten technischen Fortschritt und infolgedessen großer sozialer Veränderungen – auf die Revolution des Geistes und der Werte folgte eine industrielle Revolution mit gravierenden sozialen und auch politischen Auswirkungen. Das soziale Elend war in kurzer Zeit unfassbar groß geworden, auch Wien wurde zu einem unrühmlichen Beispiel. Extreme Wohnungsnot durch Zuzug und Landflucht führte zu Phänomenen wie den sogenannten Bettgeher:innen. Kinderarbeit, Ausbeutung und beinahe sklavenähnliche Zustände für die in den Ziegelbrennereien arbeitende Bevölkerung waren an der Tagesordnung. Gleichzeitig ließ sich das wohlhabende Wiener Bürgertum großzügige Palais erbauen und profilierte sich als Förderer der schönen Künste. In hochromantischen Liedern und Dichtungen verklärte man die ländliche Idylle, während die Menschen vom Land in Elendsquartieren ein paar Kilometer weiter weg darben mussten. Die Obrigkeit versagte in diesem Fall, weder Kirche noch Kaiser interessierten sich für die Verelendeten.

Der österreichische Arzt Victor Adler erkannte dieses Unrecht. Obzwar aus bürgerlichem Hause, hatte er beruflich persönlichen Kontakt zu den Ärmsten der Armen. Diese Unrechtserfahrung bewirkte bei ihm den Entschluss, für Menschen, die gar nicht seiner Gesellschaftsschicht angehörten, Verantwortung zu übernehmen und ihnen eine politische Stimme zu geben. Er ermächtigte sich freiwillig und ohne Auftrag von oben, einfach weil er erkannte, dass er gebraucht wurde und sein Gewissen und seine Vernunft ihm dies geboten. Victor Adler schaffte es, zur Jahreswende 1888/89 im niederösterreichischen Hainfeld alle Gesinnungsgenossen trotz Versammlungsverbot und staatlicher Bespitzelung zusammenzubringen und zu einer Bewegung zu einen, die sich später Sozialdemokratische Partei Österreichs nennen sollte.

Ich wohne in der Region. Gemeinsam mit der Historikerin Dr. Margarete Kowall habe ich das Stadtmuseum Hainfeld konzipiert und auch am sogenannten »Einigungsparteitagsraum« mitgearbeitet. Eine unserer Vorarbeiten bestand darin, die komplett erhaltenen Gesprächsprotokolle aus der Frakturschrift zu transkribieren, sie sprachlich behutsam zu modernisieren und auch zu digitalisieren. Wir arbeiteten in drei Teams, meist zu zweit. Die Reden dieser Delegierten, die keine Berufspolitiker waren und vom Leid von Ihresgleichen erzählten, waren zutiefst berührend. Ihr einendes Anliegen war es, endlich das Leid und die Ungerechtigkeit zu lindern. Ihre Sprache war klar und kraftvoll. Diese Männer (es waren damals leider nur Männer zugelassen, auch wenn Frauen sich angeboten hatten) übernahmen Verantwortung und bewiesen Rückgrat. Ihre Haltung wurzelte in der tiefsten Überzeugung, dass diese Art soziales Unrecht großes Leid provoziert und daher bekämpft werden muss. Eine Überzeugung, die zur Gesinnung wurde und in die Gründung einer Partei mündete. Interessanterweise ist das Wort Verantwortung kein einziges Mal im Text zu finden, dafür 26-mal das Wort Pflicht, sogar von heiliger Pflicht ist die Rede:8

»Rissmann (Graz): (…) Aber eines ist unsere Pflicht: dass wir das Volk über seine Verhältnisse und seine Stellung aufklären, alles andere aber ruhig dem Volk überlassen. Wir sind keine Aufwiegler.«

»Hybeš (Brünn): (…) Ich will also nur aufmerksam gemacht haben, dass eine solche Statistik unsere heiligste Pflicht ist, und wir haben in Brünn schon ein derartiges Material gegen viele Fabrikanten, die im heurigen Jahr noch nicht an einem einzigen Tag die Gewerbeordnung respektiert haben.«

Männer wie Victor Adler und seine Genoss:innen kämpften in der ganzen industrialisierten Welt für mehr Gerechtigkeit. Der Kampf, geeint durch eine parteipolitische Vision, lohnte sich, trotz der schweren Rückschläge während der NS-Diktatur und auch schon davor.

Die europäischen Wohlfahrtsstaaten des 20. Jahrhunderts gründen auf dieser Gesinnung. Inzwischen kommt es wieder zu einer schleichenden Erosion der hart erkämpften Rechte, und eine Solidarität unter den Arbeitnehmer:innen, wie sie damals möglich wurde, scheint heute aus den unterschiedlichsten Gründen wieder in das Reich der Utopien zu verschwinden.

Yoga und soziale Verantwortung

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