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Was sind Yamas und Niyamas?

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Die Yamas und Niyamas werden auf Stufe 1 und 2 des Achtfachen Pfades beschrieben, der die Kapitel 2 und 3 der Yoga-Sutren miteinander verbindet. Dieser Pfad ist ein didaktischer Stufenplan, beginnend bei den moralischen Verhaltensregeln bis hin zum Ziel des Yogaweges, einem Zustand von großer Tiefe und Ruhe (Samadhi).

Die Yamas sind moralische Verhaltensregeln gegenüber anderen Personen. Sie sind aber weit mehr als das: Es sind grundlegende Baupläne davon, wie wir die Welt ein Stückchen besser gestalten könnten. In diesem Sinne sind sie visionär.

Für P. Y. Deshpande sind Yamas grundlegende existenzielle Imperative, harte Tatsachen, die verstanden werden müssen.29 Mahatma Gandhi nutzte sie als ein Mahavrata, ein großes Gelübde. Ein Gelübde ist ein feierliches Bekenntnis, privat oder öffentlich, jedenfalls ein ganz starkes moralisches Versprechen in der Hoffnung auf ein geglücktes Ende der Verantwortungsübernahme, auf die man sich einschwört. Ich persönlich empfinde die Yamas wie innere Leuchttürme, die oft in starkem Nebel verschwinden und mir dann wieder, so unvermutet wie eben Licht im Nebel auftaucht, Orientierung und Klarheit geben.

Vielleicht werden sie ein wenig unterschätzt, weil sie am Anfang des Stufenweges liegen und weil alle Übenden dazu tendieren, sich auf die lichtvollen Prozesse beim Hinaufsteigen, in Richtung Erkenntnis, Erleuchtung, Samadhi auszurichten. Damit fokussiert sich ganz automatisch das Interesse am Yoga auf Fragen der spirituellen und nicht der ethischen Praxis. Vielleicht liegt es auch daran, dass uns einige der Yamas sehr bekannt vorkommen: nicht lügen, nicht stehlen, immer die Wahrheit sagen … Drei von fünf Yamas sind zumindest auf den ersten Blick identisch mit drei von zehn christlichen Geboten. Ist das nicht nur eine Wiederholung von altbekannten, sittenstrengen Vorschriften, mit moralinsaurem Beigeschmack, ohnehin nicht einlösbar und einfach nicht zeitgemäß? Wozu halten wir uns mit sozialen Verhaltensregeln auf, wenn der Yoga doch ein Weg der Verinnerlichung ist, wo ich ganz alleine für Erfolg und Tempo maßgeblich bin?

Die Antwort ist simpel: Weil wir die moralische Basis brauchen – inhaltlich und auch methodisch.

Die Niyamas sind heilsame Verhaltensempfehlungen für die eigene Selbstentfaltung im Hier und Jetzt. Es sind Verhaltensempfehlungen, die uns innerlich bestärken, unsere Selbsterforschung unterstützen und uns so im sozialen Engagement auch vor dem Ausbrennen schützen können. Denn eine Vision kann uns leiten und zum Aufbruch motivieren, ist aber kein Schutz vor Überforderung. Die Moral (Yama) bestärkt uns, lässt uns achtsamer in Beziehungen agieren, ist aber auch keine ganzheitliche Methode, um uns selbst zu erforschen und heilsame Ressourcen aufzubauen. Die fünf Niyamas hingegen wirken wie Selbstfürsorgetipps. Sie können uns helfen, unbeschadet durch einen Verantwortungsprozess zu kommen.

Gerade bei der Übernahme von Verantwortung ist es wichtig, gut bei sich zu bleiben und auf die eigenen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Burnout ist besonders bei helfenden Berufen und in Bereichen mit großem Engagement häufig zu finden. Denn je begeisterter und idealistischer man an eine Sache herangeht, desto eher verdrängt man die eigenen Bedürfnisse. Unser Körper und unser Geist brauchen aber auch Ruhe, äußere und innere Pflege als Ausgleich. Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Im Gegenteil: Im Sinne des Yoga sind wir dazu sogar moralisch verpflichtet!

Für den Soziologen Emile Durkheim, dessen Kriterien von Moralität ich an späterer Stelle vertiefend zitieren werde, hatten solche Regeln im Jahre 1903 keinen moralischen Wert: »Es hat nichts Moralisches, auf meine Gesundheit und meine Bildung zu achten; meine Tat wechselt aber die Natur, wenn ich auf die Gesundheit meiner Mitmenschen achte, wenn ich ihr Glück oder ihre Bildung im Auge habe.«30 Vielleicht würde Durkheim das heute auch etwas differenzierter sehen. Für mich als Yogapraktizierende sind Gesundheitsbewusstsein und Selbsterforschung jedenfalls zutiefst moralisch. Denn die spirituelle Entwicklung ist im Yoga ebenso wichtig wie die Entwicklung im Außen. Wir rechnen das nicht gegeneinander auf, sondern schätzen die sich gegenseitig fördernden Wirkungen.

Im Unterschied zu den Yamas, wo ich die Möglichkeit erkenne, mich auf eines von fünf zu spezialisieren und mein soziales Engagement ganz einem Thema zu widmen (zum Beispiel Einsatz gegen Gewalt, Einsatz für Pressefreiheit, Engagement für achtsamen Konsum) verstehe ich die Niyamas viel mehr als ineinandergreifende Prinzipien, die einen Weg bzw. einen Prozess der Selbsterkenntnis beschreiben – vom Abstandnehmen und Ankommen im Yoga bis zur Hingabe aller Gedanken und Anspannungen. Es ist jedenfalls sinnvoll, sie der Reihe nach zu erforschen und sich allen fünf zu stellen. Die Abfolge ist nicht zwingend, auch wenn Saucha zum Start im Sinne von Abstandgewinnen sicher am meisten Sinn ergibt. Jedenfalls braucht es alle fünf Niyamas, um sich auf dem Übungsweg Yoga weiterzuentwickeln.

Yoga und soziale Verantwortung

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