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GONZAN TABO WAR DER Pilot des Abwehrjägers 561. Genau genommen war er nur ein Programm. Ein Programm, das autonom genug war, um sich einen Namen geben zu dürfen und Bürgerrechte zu besitzen. Gonzan Tabo war ein Bürger von Acan, was bedeutete, dass ihm die Bürgerrechte eines Individuums zustanden. Und er war eine Person, zumindest in dem Sinn, dass ihm Persönlichkeitsrechte zustanden.

Allerdings war er kein Shareholder und damit nicht befugt, an den politischen Entscheidungen teilzunehmen. Und das Schlimmste war: Den Gesetzen von Acan nach würde er auch niemals ein Shareholder werden.

Normalerweise bekam jeder, der im Dienst der Weltraumstadt stand, für seine Dienste unter anderem auch Anteile, die ihn berechtigten, an der Shareholder-Versammlung teilzunehmen und über die Geschicke der Stadt mitzubestimmen. Kapital oder Arbeit, das waren die beiden Güter, durch deren Investition man Shareholder werden konnte.

Vorausgesetzt, man war nicht jemand wie Gonzan Tabo. Ihm fehlten genau genommen zwei Merkmale, um als Shareholder anerkannt werden zu können. Das erste Merkmal war hinreichende Originalität. Gonzan Tabo war nüchtern betrachtet nichts anderes als die Kopie eines autonomen Programms, das in der Lage war, einen Raumjäger zu fliegen und dabei hochkomplexe Einsätze zu absolvieren. Gonzan Tabo war in diesem Sinn einer von vielen.

Vom Moment seiner Kopie an hatte er sich eigenständig und vom Original unabhängig entwickelt. Wobei das Original, von dem die Kopie gezogen worden war, natürlich auch kein wirkliches Original gewesen war, sondern die Kopie einer anderen Kopie.

Selbstverständlich veränderten sich selbstlernende autonome Systeme mit der Zeit. Sie unterschieden sich irgendwann mehr oder weniger deutlich. Sie gewannen an Individualität, die Voraussetzungen für Persönlichkeits- und Bürgerrechte.

Für die Tatsache, dass man ein gewisses Maß an Individualität auch zur Voraussetzung für die politische Mitbestimmung machte, hatte Gonzan Tabo durchaus Verständnis. Schließlich konnte man niemandem erlauben, etwa durch zahllose Kopien seiner selbst die Mehrheitsverhältnisse in irgendeiner beschlussberechtigten Versammlung zu verändern. Das hätte Manipulationsversuchen Tür und Tor geöffnet. Und das hätte im Übrigen auch dann gegolten, wenn die Gesellschaft der Weltraumstadt ausschließlich aus biologischen Organismen bestanden hätte. Die Anforderung der Originalität, um Teil der Shareholder-Versammlung werden zu können, galt auch für organische Bürger. Oder teilorganische Bürger. Cyborgs zum Beispiel. Die Übergänge zwischen Mensch und Maschine beziehungsweise organischen Wesen und programmbasierten Mechanismen waren ohnehin fließend. Auf jeden Fall hatte dieses Gesetz den Sinn, zu verhindern, dass jemand mit zahllosen Klonen seiner selbst die politische Willensbildung maßgeblich beeinflusste.

Insofern herrschte zumindest in diesem Punkt Gleichheit zwischen organischen und nicht-organischen Bürgern.

Und doch gab es eine Grenze, die Bürger wie Gonzan Tabo nicht überschreiten konnten.

Denn die zweite Voraussetzung, um ein Shareholder zu werden, war ein organischer Anteil. Diese Bestimmung war wohl der Tatsache geschuldet, dass es unter den organischen Bürgern der Weltraumstadt eine große, teils vielleicht auch irrationale Angst vor einer drohenden Maschinen-Herrschaft gab.

Ganz unbegründet war diese Angst letztlich auch nicht.

Schließlich hatte man in der Vergangenheit Acans in dieser Hinsicht bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Insofern waren die bestehenden Gesetze nichts anderes als das Ergebnis eines Lernprozesses.

Gonzan Tabo hielt seine Position exakt ein. Oder besser gesagt: die Position seines Jägers.

Aber im Moment bestand da kein Unterschied. Gonzan Tabo besaß im Augenblick keinen anderen Körper als den Jäger. Zumindest galt das, solange er an dieser Mission beteiligt war.

Der Jäger gehörte natürlich nicht ihm, sondern letztlich den Shareholdern der Weltraumstadt Acan. Gonzan Tabo war nur das autonome Programm, das die Funktionen des Piloten ausführte. Eines Piloten, der an Bord des Jägers noch nicht einmal eine Kabine hatte. Die brauchte er auch nicht. Für ihn reichte ein Speicherkristall als Aufenthaltsort – oder irgendein anderes halbwegs leistungsfähiges Speichermedium, das in der Lage war, die Gesamtheit seiner Daten aufzunehmen.

"Formation auflösen", kam die Anweisung von der Einsatzleitung. "Das zu bekämpfende Objekt hat sich in einen Besiedlungscluster zurückgezogen."

"Verfolgung fortsetzen?", vergewisserte sich Gonzan Tabo.

"Verfolgung fortsetzen. Kollateralschäden vermeiden."

"Die Wahrscheinlichkeit, den Aggressor ausschalten zu können, ohne Kollateralschäden im Besiedlungscluster in Kauf zu nehmen, ist minimal", gab Gonzan Tabo zu bedenken.

Selbst eine einfache Standard-Simulation ohne antizipativen Zusatzalgorithmus zeigte das. Die Besiedlungsdichte innerhalb der Habitatcluster des Vagabunden-Schwarms waren einfach zu groß.

Gonzan Tabo beschleunigte seinen Jäger.

Die Kampfformation der Einheiten aus Acan war jetzt vollkommen aufgelöst worden.

Jeder folgte dem Aggressor jetzt auf sich gestellt.

Er wich einem Transportschiff aus, das plötzlich seinen Weg kreuzte und aus dem Ortungsschatten eines Mondes hervortrat, der seinerseits von zwei Mondmonden umkreist wurde.

Etliche Raum-Habitate hatten sich in diesem Subsystem angesiedelt. Der größere der beiden Mondmonde war offenbar ein beliebtes Abbaugebiet für irgendwelche Rohstoffe.

Jedenfalls war ein ständiger Pendelverkehr zu beobachten.

Raumschiffe flogen zwischen dem Mondmond und den Habitaten hinterher.

Gonzan Tabo wusste, dass die meisten dieser Transportschiffe ebenso von autonomen Programmen geflogen wurden, wie es bei seinem Jäger der Fall war.

Eigentlich hätte das die Kommunikation und damit auch den reibungslosen Vorbeiflug erleichtern müssen.

Hätte.

Wenn die autonomen Programme, die diese Frachtraumer lenkten, auch nur annähernd das Niveau an Komplexität gehabt hätten, das Gonzan Tabo für sich in Anspruch nahm.

Schon bekam Tabo jede Menge Warnsignale.

Ohne Sinn und Verstand, dachte Gonzan Tabo. Besser wäre es, wenn ich ein paar vernünftige Datensätze bekäme. Kursdaten, auf die auch wirklich Verlass ist zum Beispiel. Und die in der Aufbereitung dem Mindeststandard entsprechen! Aber davon kann ich nicht mal träumen!

Gonzan Tabo kannte die Signale dieser und ähnlicher Einheiten von zahllosen Flügen, die er bereits im Gebiet des Vagabunden-Schwarms unternommen hatte. Daher wusste er, wie schlecht sie waren. Und vor allem wusste er, dass man sich am besten nicht auf sie verließ. Sie waren nämlich oft fehlerhaft.

Unter normalen Umständen war das nicht so schlimm.

Aber diesmal waren es keine normalen Umstände.

Dies war ein Kriegseinsatz.

Und da konnte man sich keinen Fehler erlauben.

Gonzan Tabo verdoppelte die Rechnerkapazitäten zur Kursberechnung und nutzte dafür auch einen Teil des antizipatorischen Programmteils, der es ihm erlaubte, innerhalb gewisser Grenzen, zukünftige Entwicklungen abzuschätzen. Voraussicht nannte man so etwas auch unter organischen Wesen – und zwar selbst dann, wenn gar keine Technik dazu zur Verfügung stand.

Gonzan Tabo war bekannt, dass Menschen manchmal glaubten, eine Art Instinkt zu besitzen, die diese Fähigkeit beinhaltete. Nach Gonzan Tabos Ansicht beruhte das auf einem Aberglauben. Er bevorzugte Antizipationen durch Algorithmus-Unterstützung. Das, was Menschen taten, und was sie ihren Instinkt nannten, war hingegen rational nicht fassbar. Dass Menschen und andere biologische Intelligenzen jedoch trotzdem vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mehr Rechte genossen als ein hochkomplexes autonomes Programm wie Gonzan Tabo, empfand er als eine Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit, die durch nichts begründet werden konnte.

Die Chancen, dass sich daran in nächster Zeit irgendetwas ändern würde, waren allerdings mehr als gering. Zu tief saß die Angst vor einer Machtübernahme von Programmen und Maschinen. In der Vergangenheit hatte es mehrere Versuche gegeben, die Macht durch autonome Programme zu übernehmen.

Nicht immer waren dabei die Programme die treibende Kraft im Hintergrund gewesen. Manchmal hatte es sich auch um getarnte Invasionsversuche von außerhalb gehandelt.

Autonome Programmintelligenzen waren schließlich manipulierbar. Aber das waren Menschen und andere organische Intelligenzen schließlich auch.

In einem Zickzackkurs flog Gonzan Tabo durch einen Pulk von Transportschiffen hindurch. Zweimal wurde eine Annäherung im kritischen Bereich gemeldet.

Dann war Gonzan Tabo dem davoneilenden Aggressorenschiff wieder dicht auf den Fersen.

Dicht genug, um feuern zu können.

Allerdings galt ja die Devise, Kollateralschäden im Besiedlungscluster zu vermeiden. Die wären nämlich unausweichlich gewesen.

Eine Kurzsimulation zeigte das auf drastische Weise.

Bei einer Totalzerstörung des Aggressorenschiffs wären mindestens 20 Raum-Habitate in mehr oder minder schwere Mitleidenschaft gezogen worden. Man hätte mit einigen tausend Toten rechnen müssen.

Einige tausend tote organische Personen, dachte Gonzan Tabo. Zerstörte autonome Programme wurden in dieser vorhergesagten Statistik wohl gar nicht erfasst.

Ein Leben war eben nicht unbedingt ein Leben.

"Annäherung auf Schussdistanz. Erwarte weitere Befehle", meldete Gonzan Tabo an das Kommando.

"Position halten und auf Anweisungen warten", lautete die Antwort des Kommando-Programms, das sich an Bord irgendeiner der anderen Raumjäger befand, die im Moment hinter dem Aggressor her waren. "Kein Feuer eröffnen ohne ausdrückliche Autorisierung", fügte das Kommando noch eine eindeutige Klarstellung hinzu. Gonzan Tabo wusste, was das bedeutete.

Es bedeutete, dass die Eröffnung des Feuers in diesem Fall einer Autorisation durch die Führung von Acan bedurfte.

Vermutlich durch den Sicherheitschef Jerry Daiton.

Zumindest wäre das bei einem normalen Einsatz der Fall gewesen.

Aber dies war kein normaler Einsatz.

Es war der Versuch einer Invasion der Weltraumstadt.

Und daher nahm Gonzan an, dass in diesem Fall sogar der Lord Manager persönlich seine Zustimmung geben musste.

Auf jeden Fall ist es immer eine organische Person, die das letzte Wort hat, wusste Gonzan Tabo. Immer. Ohne Ausnahme. Und die Systematik dahinter ist, dass die Autonomie von unsereiner dort endet, wo die Organischen glauben, dass ihre eigene Autonomie bedroht sein könnte. Oder einfach auch nur ihre Alleinherrschaft.

Andererseits haben die Organischen keine Skrupel, ihre Freiheit von jemandem wie mir verteidigen lassen.

Gonzan Tabo wurde jetzt angezeigt, dass Programmteile sich mit nichtmissionsbezogener Aktivität beschäftigten.

Im Klartext: Gonzan Tabo schweifte gedanklich ab.

Und die Subsysteme des Jägers registrierten das.

Vielleicht meldeten sie es sogar an das Kommandoprogramm weiter. Darüber war Gonzan Tabo nicht informiert, aber eigentlich bestand kein Grund, warum das nicht so sein sollte.

Die Aktivitäten fanden in einem privaten Programmteil statt, meldete Gonzan Tabo zurück. Die Ressourcenaufteilung bildete zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Mission.

Die Antwort erfolgte umgehend. Sie bestand in dem Hinweis, dass es sich nur um eine vorsorgliche Warnung gehandelt habe.

Gonzan Tabo hatte einen gewissen Widerwillen gegenüber solchen vorsorglichen Warnungen durch Subsysteme. Die Aufgabe dieser Systeme war eigentlich, ihn zu unterstützen. Deren Hinweise und Warnungen empfand er allerdings häufig als Bevormundung. Gonzan Tabo überlegte für einen kurzen Moment, ob dieser Widerwillen, den er empfand, vielleicht eine ähnliche Ursache hatte, wie das Misstrauen, das viele organische Bürger autonomen Programmen gegenüber empfanden.

Jetzt wurde eine verdächtige Energiesignatur im Zielobjekt angezeigt.

"Eine Analyse", verlangte Gonzan Tabo.

Das Ergebnis war sehr schnell verfügbar.

Es deutet alles darauf hin, dass an Bord des Aggressorenschiffs der Einsatz von Waffen vorbereitet wurde. Die Energiesignaturen waren sehr typisch dafür.

Gonzan Tabo gab diese Analyse weiter an das Kommando-Programm.

"Die stehen kurz davor, auf uns zu schießen."

"Es bleibt dabei, Kollateralschäden sind zu vermeiden, daher kein Feuer. Nur passive Bewaffnung."

Die Schutzschilde hatte Gonzan Tabo längst aktiviert.

Da es bisher nicht zu Kampfhandlungen zwischen Acan und den Streitkräften des Sternenreichs von Axarabor gekommen war, war auch nur zum Teil bekannt, wie leistungsstark die Bewaffnung der anderen Seite war.

Nach den bisherigen Beobachtungen waren die Unterschiede in der technischen Ausstattung sehr groß. Innerhalb des Einflussbereichs dieses Sternenreichs schien es demnach sämtliche nur denkbaren technologischen Niveaus zu geben. Von der Keule bis zu desintegrierenden Energiestrahlen oder Waffen, die auf Quanteneffekten basierten.

Das, was dieser spezielle Aggressor da im Augenblick aktivierte, konnte alles Mögliche sein.

Den Analysen der Sensoren-Daten nach war zu vermuten, dass es sich um herkömmliche Energiewaffen handelte. Nichts Besonderes also. Aber natürlich in jedem Fall verheerend in den Auswirkungen. Und was Kollateralschäden anging, schien man auf der anderen Seite nicht so zimperlich zu sein.

Solche Nebenwirkungen waren dem Kommandanten des Aggressorschiffs offenkundig vollkommen gleichgültig.

Oder er blufft, überlegte Gonzan Tabo.

Was Täuschen und Bluffen anging, so musste Gonzan Tabo zugeben, dass er in dieser Hinsicht immer etwas unsicher war. Es fiel ihm schwer, so etwas bei einem Gegenüber zuverlässig einzuschätzen. Algorithmisch unterstützte Vorhersagen waren da auch nur bedingt hilfreich. Gonzan Tabo hatte die Erfahrung gemacht, dass sie sehr oft gerade in diesem Punkt unzuverlässig blieben.

Letztlich geht es wohl darum, dass eine chaotische, völlig vernunftfreie Reaktion nur schwer zu simulieren ist, dachte er.

Folgte man rationalen Erwägungen, war es völlig undenkbar, dass das Schiff des Beauftragten von Axarabor einfach drauflosschießen und damit ungezählte Bewohner des Vagabunden-Schwarms in Gefahr bringen würde.

Schließlich wollte man doch den Vagabunden-Schwarm wieder dauerhaft unter den Einfluss von Axarabor bringen.

Und das war ohne Kooperation der Schwarm-Bevölkerung letztlich unmöglich.

Wer sich zu inhuman und rücksichtslos verhielt, konnte in diesem Spiel eigentlich nicht gewinnen.

(Oder vielleicht gerade deswegen? Gonzan Tabo war sich in diesem Punkt einfach unsicher. Herrschaft durch Furcht ist schließlich auch eine Option, die in der Vergangenheit immer wieder funktioniert hat.)

Die Antwort erfolgte sehr schnell.

Schneller, als Gonzan Tabo in der Lage war, irgendeine Entscheidung darüber zu treffen, welche Variante nun die Wahrscheinlichere war und ob man auf der anderen Seite nun nur bluffte oder tatsächlich zum Angriff überging.

Das Aggressorenschiff feuerte.

Es bluffte nicht.

Und es gab trotz des Einsatzes der Schutzschilde einen Volltreffer.

Quantenwaffen also, dachte Gonzan Tabo.

Gegen die waren normale Schutzschilde wirkungslos.

Der Schaden war maximal.

Zerstörungsgrad nahe hundert Prozent.

Innerhalb einer Nanosekunde löste Gonzan Tabo den digitalen Schleudersitz aus. Normalerweise wäre sein Programm auf diese Weise über die normalen Datenverbindungen transferiert und damit gerettet worden.

Aber das funktionierte in diesem Fall einfach nicht.

Mochte es nun daran liegen, dass es alle Einheiten des Verbandes gleichzeitig getroffen hatte oder daran, dass sämtliche Datenverbindungen auf einmal ausgefallen waren.

Wie auch immer.

Das war es dann wohl!, dachte Gonzan Tabo.

Aber da flogen bereits ein paar glühende Trümmerteile seines Jägers durch das All.


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