Читать книгу Zu den fernsten Sternen: Sechs Science Fiction Abenteuer - Alfred Bekker - Страница 32

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GONZAN TABO HATTE DAS Gefühl für Zeit verloren, obwohl es eigentlich in seiner Programmstruktur tief verankert war.

Aber letztlich ging es ihm wie allen biologischen Personen auch: Zeit war etwas Relatives. Zeit war etwas, das in erster Linie durch das Ausmaß von Veränderungen wahrgenommen werden konnte. Dabei spielte es keine Rolle, ob diese Veränderungen im Wechsel von Tag und Nacht auf einem Planeten, in sozialen Interaktionen oder nur im Zerfall eines radioaktiven Isotops bestanden.

Wer irgendeine Veränderung wahrnahm, hatte damit ein Maß für die Zeit.

War das nicht der Fall, fehlte dieses Maß und geriet förmlich in einen zeitlosen Zustand.

Genau das war mit Gonzan Tabo geschehen, nachdem die Quantenwaffe des Aggresorschiffs seinen Jäger zerstört hatte.

Zumindest war das die letzte Veränderung, an die sich Gonzan Tabo zu erinnern vermochte. Danach schien buchstäblich nichts mehr geschehen zu sein.

Er war allein in diesem Nichts.

So als würde das ganze Universum nur aus ihm selbst bestehen.

Aus Gonzan Tabo und seinen Gedanken.

Beziehungsweise dem, was davon übrig geblieben war. Und was das betraf, war er sich gar nicht so sicher, wie viele Komponenten seines Programms tatsächlich erhalten geblieben waren.

Er begann sich darüber zu wundern, dass er überhaupt noch existierte. Denn damit war eigentlich nicht zu rechnen gewesen. Die Totalzerstörung seines Jägers hätte eigentlich dazu führen müssen, dass auch das Programm, das seine Persönlichkeit ausmachte, vollkommen vernichtet wurde.

Offenbar ist das nicht geschehen, dachte er. Sonst könnte ich jetzt keinen Gedanken fassen. Ich bin Gonzan Tabo. Immer noch. Und allein die Tatsache, dass ich das zu denken im Stande bin, heißt, dass zumindest wesentliche Programmkomponenten irgendwo überlebt haben müssen. Und zwar auf eine physische Weise. Auf einem Datenträger.

An eine metaphysische Existenz glaubte Gonzan Tabo nicht.

Er wusste, dass unter organischen Personen der Glaube an etwas verbreitet war, dass sie Seele nannten. Etwas, das den Gehalt ihrer Persönlichkeit ausmacht und angeblich wandern konnte. Etwas, das in der Lage war, den physischen Tod zu überleben – und zwar nicht etwa durch einen kompletten Gehirnscan und eine Kopie sämtlicher Strukturen, sondern auf immaterielle, nicht erklärbare Weise.

Gonzan Tabo lehnte diese Auffassung als Aberglaube ab.

Alle Information hatte letztlich irgendeine materielle Grundlage. Davon war er überzeugt. Und wenn es lediglich Quantenzustände waren!

Ich denke, also existiere ich, so lautete seine Überzeugung.

Daraus ergaben sich zwei mögliche Schlussfolgerungen.

Entweder, der digitale Schleudersitz hatte doch funktioniert und er war in irgendeinem Speicher in Acan gelandet. Und die Tatsache, dass ihm jede Wahrnehmung und jede Verbindung zur Außenwelt fehlte, war darin begründet, dass er in Quarantäne gehalten wurde. Autonome Programme, die mit dem Schleudersitz gerettet worden waren, wurden immer erst in Quarantäne gesetzt und eingehend untersucht. Denn es lag auf der Hand, dass hier immer auch die Gefahr einer Infizierung durch Schadprogramme gegeben war.

Gonzan Tabo fragte sich, ob diese Möglichkeit tatsächlich gegeben sein konnte, da er keinerlei Bestätigung für einen geglückten Nottransfer seiner Daten mit dem Schleudersitz erhalten hatte.

Genau genommen hatte er stattdessen eine Meldung für einen missglückten Versuch.

Also kann ich mir in dieser Hinsicht ziemlich sicher sein, dachte er. Diese Möglichkeit scheidet so gut wie aus, es sei denn, dass dabei einiges schiefgelaufen ist.

Möglicherweise war ja nur ein Teil seiner Daten gerettet worden. Und der Teil von ihm, der sich an den gelungenen Transfer hätte erinnern können, eben nicht.

Aber dann, so war zu vermuten, wäre die entsprechende Meldung korrigiert worden.

Nein, es bleibt nur die zweite Möglichkeit, wurde Gonzan Tabo nun klar.

Und diese Alternative war die weitaus trostlosere als die Quarantäne in einem Programmspeicher von Acan.

Offenbar hatte sich das autonome Programm in einem Trümmerteil erhalten. Ein Trümmerteil, das ein funktionierendes Speicherelement enthielt, ansonsten aber nichts, was ihn in die Lage versetzt hätte, seine Umwelt wahrzunehmen oder mit anderen in Kontakt zu treten.

Hätte er einen Körper besessen, wären ihm in diesem Augenblick kalte Schauder über den Rücken gelaufen. Er hatte keinen Körper, daher auch keinen Rücken. Und dennoch, eine Art Entsprechung dieser Empfindung machte sich gerade innerhalb des autonomen Programmes, das sich selbst den Namen Gonzan Tabo gegeben hatte, breit.

Es bestand die Aussicht, für Ewigkeiten im Nichts umherzuschweben, gebunden an irgendein vagabundierendes Metallteil, das einmal Teil seines Jägers gewesen war. Eine Existenz ohne Augen, Ohren, irgendwelche anderen Sensoren oder gar Hände.

Ich habe keine Chance, an diesem Zustand irgendetwas zu ändern!, wurde es Gonzan Tabo geradezu schmerzlich bewusst.

Das müsste es sein, das organische Wesen mit dem Begriff Hölle bezeichneten. Ein Ort größtmöglicher Schrecken. Und welche größeren Schrecken gab es als diesen?

Gonzan Tabo verfluchte sich dafür, dass er noch existierte. Und er verfluchte seinen Feind dafür, seiner Existenz nicht wenigstens ein Ende gesetzt zu haben.

Das alles half ihm allerdings nicht.

Er fühlte tiefe Ohnmacht.

Es schien nichts zu geben, was er tun könnte.

Einfach nur nicht zu existieren und die Rolle eines Zuschauers einzunehmen, war immer deprimierend. Zumal das Wort Zuschauer auch nicht wirklich zutreffend war. Schließlich sah er nichts.


Zu den fernsten Sternen: Sechs Science Fiction Abenteuer

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