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"DAS AGGRESSORENSCHIFF bereitet sich auf einen Angriff vor", war Jerry Daiton überzeugt. Er schnippte mit den Fingern. Eine Projektion erschien. Sie zeigte einen Mann mit schwarzem Bart. "Shea McBain, Beauftragter des Hochadmirals – was wissen wir über ihn?"

"So gut wie nichts", erklärte eine Frau mit dunklen Haaren und Augen, die sich silbern färbten, sobald sie sich in das Gespräch einschaltete. Offenbar wollte sie ihre Augenimplantate in bestimmten Situationen optisch hervorheben. Ein Trend, der in letzter Zeit immer häufiger unter den Bewohnern Acans anzutreffen war.

Die Frau mit den Silberaugen war eine Analystin im Team des Lord Managers.

"Sie werden mit Sicherheit selbst in den Datenbanken der Hauptwelten des Sternenreichs nichts oder nur wenig über Shea McBain finden", sagte Arc Wegu. "Und wenn, dann wird diese Information nicht zugänglich, verschlüsselt und gut getarnt sein. Anders wäre es kaum möglich, dass dieser Shea McBain das tut, was er tut: Missionen im Auftrag des Hochadmirals durchführen."

"Es gibt ein paar Daten über ihn auf dem Zentralrechner der Lokalen Hauptwelt des Sternenreichs", erklärte die Frau mit den Silberaugen. "Die Informationen stammen aus der Funkkommunikation zwischen McBains Schiff und der Relaisstation der Lokalen Hauptwelt zum Hyperraumfunknetz."

"Offenbar ist man in der Relaisstation der Lokalen Hauptwelt nicht sehr sorgfältig, was die Verschlüsselung angeht", stellte Jerry Daiton fest.

Die Frau mit den Silberaugen wandte kurz das Gesicht in Richtung des Sicherheitschefs. "Ein Umstand, den wir wiederholt ausgenutzt haben, wenn wir uns Informationen beschaffen mussten", erinnerte sie.

Arc Wegu atmete tief durch.

Die Lokale Hauptwelt war weit weg.

Und Axarabor noch weiter.

Der Vagabunden-Schwarm war so etwas wie die Peripherie der Peripherie des Sternenreichs. Schon auf der Lokalen Hauptwelt interessierte kaum jemanden, was hier geschah.

So zumindest war Arc Wegus bisherige Einschätzung gewesen.

Sollte ich mich da geirrt haben?, ging es ihm durch den Kopf. Tatsache war, dass es jemanden geben musste, der ein großes Interesse daran hatte, dass der Vagabunden-Schwarm wieder unter die Autorität des Sternenreichs geriet. Einer ziemlich lockeren Autorität im Übrigen, die manchmal mehr einem Gewährenlassen der Anarchie glich. Lokale Kräfte balancierten sich aus. Und eine dieser lokalen Kräfte war seit einiger Zeit die Weltraumstadt Acan. Seit sie sich im Vagabunden-Schwarm angesiedelt hatte war dies so.

"Es wäre interessant, ihre Einschätzung zu erfahren, was die weitere Vorgehensweise unseres Feindes angeht", sagte Jerry Daiton.

Arc Wegu wandte das Gesicht in Richtung des Sicherheitschefs.

Sein Gesichtsausdruck blieb ausdruckslos.

Wie eine Maske.

"Sie können telepathisch auf alle Speicher zugreifen", sagte der Sicherheitschef. "Es ist ganz einfach und intuitiv über den telepathischen Adapter des Systems. Ihr Körper und seine DNA-Stränge funktionieren dann als ein einziger großer Datenträger. Die Rechengeschwindigkeit lässt nichts zu wünschen übrig, auch wenn Sie am Anfang vielleicht etwas üben müssen."

"Ja, das haben Sie mir schon erklärt, Jerry", sagte Arc Wegu.

"Wir brauchen Ihre Sicht der Dinge, Lord Manager."

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich. Im ersten Moment hatte Arc Wegu genau das tun wollen. Auf das System zugreifen und sich alles holen, was er brauchte. Aber dann zögerte er. Und das aus zwei Gründen. Zum einen bemerkte er, dass er auf diesen Zugriff offenbar nicht angewiesen war. Anscheinend waren gewaltige Mengen an Daten in den schier unermesslichen Speichern seiner DNA-Stränge abgelegt worden. Ich bin ein wandelndes Archiv, ging es ihm durch den Kopf. Die Datenbanken der Lokalen Hauptwelt können wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise mit der Kapazität meines DNA-Speichers mithalten ...

Arc Wegu begann vorsichtig den Umfang des gespeicherten Materials zu erforschen.

Es ist eine Art überdimensionierter Gedächtnispalast, erkannte er. Sämtliche Datenbanken von Acan sind dort gespeichert. Alles, was ich jemals brauchen könnte, um eine Entscheidung zu treffen. Alles, was an Information nötig sein könnte, um fundierte Vorhersagen zu treffen und algorithmisch unterstützte Präkognition zu betreiben ... Arc Wegu fühlte sich für einen Moment durch die Fülle und schiere Größe dieses inneren Datenpalastes wie berauscht.

Eine Sache fehlte ihm natürlich.

Aktuelle Informationen.

Daten, die erst nach meiner Wiederherstellung vorgelegen haben.

Aber darauf, so dachte er, konnte er getrost verzichten.

Denn es genügte voll und ganz, wenn diese Daten denjenigen vorlagen, die die konkreten Operationen durchzuführen hatten.

Dass irgendetwas eingetreten war, von dem er nichts wusste, dass einen so gewaltigen Einfluss auf zukünftige Entwicklungen haben würde, war einfach nicht anzunehmen.

Es gab noch einen zweiten Grund, der Arc Wegu zögern ließ, dem Rat seines Sicherheitschefs zu folgen.

Was, wenn es einen zweiten Angriff auf mich gibt? Ist es nicht prinzipiell möglich, meinen DNA-Computer genauso zu hacken wie jedes andere System auch?, ging es ihm durch den Kopf.

Die Antwort fand er in seinem inneren Datenpalast.

Es war prinzipiell möglich.

Die Betonung lag auf prinzipiell.

In der Praxis war das kaum möglich, da jeder Angreifer über ein nichtbiologisches System eindringen würde. Die Barriere war groß. Außerdem war die Frage, ob eine telepathische Verbindung mit den Computersystemen der Weltraumstadt in diesem Fall überhaupt ausreichte, damit der Lord Manager Opfer einer solchen Attacke werden konnte.

Die Frage ist nicht eindeutig zu entscheiden, erkannte Arc Wegu. Jerry Daiton scheint da keinerlei Sicherheitsbedenken zu haben ... Vielleicht geht er davon aus, dass er mich in jedem Fall rechtzeitig erschießen könnte. Auch bei einer zweiten Attacke ... Oder er vertraut denjenigen, die meinen neuen Körper erschaffen haben, so sehr, dass er glaubt, dass da nichts passieren könnte.

Und dann gab es da noch eine Möglichkeit, an die Arc Wegu kaum zu denken wagte.

Nein, das kann nicht sein, dachte Arc Wegu.

Aber die algorithmische Präkognition sprach eine eindeutige Sprache.

Die kalte Sprache mathematischer Wahrscheinlichkeiten.

Für einen kurzen Moment schloss Arc Wegu die Augen.

"Ist Ihnen nicht gut, Lord Manager?", fragte die Frau mit den Silberaugen. "Ich könnte einen medizinischen Scan durchführen ..."

"Unterstehen Sie sich", fuhr Jerry Daiton dazwischen. Er sah die Frau mit den Silberaugen scharf an. "In diesem Fall müsste ich Sie umgehend erschießen."

"Aber ..."

"Ein medizinischer Scan des Lord Managers würde unweigerlich Spuren in unserem Datensystem hinterlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die andere Seite dies nicht bemerken würde. Und das wiederum bedeutet, dass unser Gegner erfährt, dass der Lord Manager noch existiert – oder besser gesagt, dass er WIEDER existiert." Jerry Daiton wandte sich an Arc Wegu. "Ich denke, dem Lord Manager fehlt nichts. Er muss sich vielleicht nur ein wenig an die neuen Möglichkeiten gewöhnen, die ihm nun zur Verfügung stehen."

"Da, ja das trifft durchaus zu", musste Arc Wegu eingestehen.

Unterdessen meldete jemand: "Das Aggressorenschiff beschleunigt weiter. Eintritt in den Hyperraum steht kurz bevor. Die Signaturen sind eindeutig."

"Wenn wir ihn jetzt abschießen, gibt es eine Hyperraumwelle, die den halben Vagabunden-Schwarm zerstören wird", gab die Frau mit den Silberaugen zu bedenken.

"Das werden wir vielleicht in Kauf nehmen müssen. Der Commander des Aggressorenschiffs ist offenbar verrückt genug, um sich selbst und sein Schiff zu opfern, um uns zu zerstören."

"Nein, das wird er nicht tun", sagte Arc Wegu mit Bestimmtheit. "Vielleicht will er uns das glauben machen, aber tut es nicht ..." Arc Wegu rief das Bild von Shea McBain, dem Beauftragten des Hochadmirals, aus seinem Datenpalast auf. Er überprüfte ein paar Daten. Es war über Shea McBain nichts in Erfahrung zu bringen, aber das machte nichts. Arc Wegu glaubte, ihn trotzdem einschätzen zu können. Es gab schließlich noch einige andere Parameter, anhand derer sein Verhalten vielleicht vorhersehbarer war, als er glaubte. Shea McBain blufft, dachte Arc Wegu. Und den Daten nach, die ich zur Verfügung habe, ist er vollkommen allein an Bord seines Schiffes. Gehen wir davon aus, dass er zu ähnlichen Dingen fähig ist wie ich. Gehen wir davon aus, dass er in der Lage wäre, die Systeme des Schiffs durch eine entsprechendes Interface einfach zu übernehmen ... Und gehen wir davon aus, dass er denkt, mich in seine Berechnungen der Zukunft nicht mehr einbeziehen zu müssen, weil er glaubt, dass ich nicht mehr existiere! Arc Wegu überprüfte weitere Daten. Er interessierte sich insbesondere für die technischen Möglichkeiten des Aggressorenschiffs. Und vor allem interessierte ihn dabei das, was über den Überlichtantrieb von Shea McBains Schiff bekannt war.

Aus den bisher gesammelten Daten ließ sich darüber einiges erfahren. Und der Rest ergab sich aus Rückschlüssen.

"Unternehmen wir nichts gegen das Schiff", sagte Arc Wegu. "Shea McBain wird nicht einen direkten Hyperraumsprung in das Innere Acans wagen."

"Was glauben Sie, wird er stattdessen tun?", fragte die Frau mit den Silberaugen. "Aus meiner Sicht ergibt sich da kaum eine Alternative, wenn man sich die Sensorendaten ansieht ..."

"Er wird sein Schiff nicht in den Hyperraum eintreten lassen, sondern mit moderater Geschwindigkeit an der Grenze der Kontinuen entlangsurfen. Dadurch entsteht eine Hyperraumblase, die das Schiff umschließt und ihm gestattet, feste Materie zu durchdringen. Anschließend kann er innerhalb von Acan materialisieren, ohne den Wuchtgeschoss-Effekt zu bewirken und eine Explosion zu verursachen."

"Aber sind die physikalischen Gegebenheiten nicht dieselben?", fragte die Frau mit den Silberaugen. "Ein plötzlich aus einem anderen Kontinuum materialisierender Körper verdrängt innerhalb eines Sekundenbruchteils die vor Ort bereits vorhandene Materie – explosionsartig!"

"Nein", widersprach Arc Wegu. "In diesem Fall würde Shea McBains Schiff nicht wirklich in den Hyperraum eintreten und damit auch das Einsteinuniversum nicht wirklich verlassen. Er surft zwischen den Dimensionen und das bedeutet, dass die Masse des Schiffs immer noch vorhanden wäre, auch wenn sie nicht mit Materie interagiert und sie auf diese Weise zu durchdringen vermag."

"Also – wie wir es von Dunkler Materie kennen", schloss jemand anderes.

"Richtig", gab Arc Wegu zurück.

"Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?", fragte Jerry Daiton.

"Wir werden ihn erwarten. Hier, innerhalb Acans. Und dann werden wir genau das tun, was er mit uns vorhatte: sein System übernehmen. Er hat mindestens so viele Implantate, wie ich – in meinem letzten Körper."

"Sie wollen ihn zurückschicken? Mit einem Schadprogramm im Hirn?", fragte Jerry Daiton. "Wäre es nicht besser, ihn einfach zu vernichten, bevor er in unsere Weltraumstadt einzudringen vermag?"

"Wenn wir ihn vernichten, wird das nur dazu führen, dass man früher oder später jemanden schicken wird, der genauso ist wie er. Das Sternenreich wird immer wieder jemanden schicken, vielleicht jemanden, der noch besser ausgerüstet ist und in der Lage ist, die Fehler des Vorgängers zu vermeiden."

"Aber das würde auch geschehen, wenn wir Shea McBain zurückschicken", gab die Frau mit den Silberaugen zu bedenken. "Egal, ob er nun ein Schadprogramm in seinen Implantaten hat oder nicht."

Arc Wegu lächelte.

"Nicht, wenn er an seine oberen Stellen etwas anderes meldet. Wenn er davon überzeugt ist, eine erfolgreiche Mission beendet zu haben. Das Sternenreich ist ungeheuer groß. Es könnten Standardjahrzehnte vergehen, ehe sich wieder jemand um den Vagabunden-Schwarm kümmert. Wir hätten Ruhe. Und wer weiß, ob Acan sich bis dahin überhaupt noch im Bereich des Vagabunden-Orbits befindet. Es wäre durchaus denkbar, dass die Shareholder-Versammlung entscheidet, dass wir uns anderen operativen Zielen zuwenden, die besser in der Lage sind, unsere Zukunft zu sichern als die Helium-3-Vorräte dieses sternenlosen Wander-Gasriesen."

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.

Dann sagte Jerry Daiton: "Auf jeden Fall ist dieser Plan so beschaffen, dass Shea McBain mit Sicherheit nicht damit rechnen wird!"

Die Blicke des Lord Manager und des Sicherheitschefs trafen sich.

"Nein", sagte Arc Wegu, "damit wird er mit Sicherheit nicht rechnen."

"Sie haben anscheinend gelernt, mit dem telepathischen Systemzugriff umzugehen."

"Ja", antwortete Arc Wegu schlicht.

Aber das war eine Lüge.

Denn in Wahrheit hatte er diesen telepathischen Systemzugriff ja gar nicht benutzt. Der Plan, den er entwickelt hatte, war vollkommen auf Grund jener Datenbasis entstanden, die in seinen DNA-Speichern abgelegt worden waren. Er hatte keine zusätzlichen Informationen benötigt. Keine einzige.

Wie gut, dass ich gezögert habe, ging es Arc Wegu durch den Kopf. Denn sonst wäre ich in die Falle gegangen. Und nicht nur ich, sondern ganz Acan ...

Er machte einen Schritt auf Jerry Daiton zu.

Der Sicherheitschef trug im Moment keine sichtbare Waffe. Das war auch nicht notwendig. Er verfügte über implantierte Strahler. Genau solche Selbstverteidigungsimplantate, wie ich auch hatte – vor meinem letzten Tod, überlegte Arc Wegu. "Machen Sie sich keine Sorgen, Jerry", beruhigte er sein Gegenüber.

"Worum sollte ich mir Sorgen machen?"

"Um das Gelingen unseres Plans zum Beispiel."

"Ich vertraue voll und ganz der operativen Urteilsfähigkeit des Lord Managers", bekräftigte Jerry Daiton.

"Das ist gut", erklärte Arc Wegu.

Dann folgte eine blitzschnelle Bewegung. Arc Wegus neuer Körper war gegenüber seinen Vorgängern in vieler Hinsicht optimiert worden. Auch, was die Reaktionszeiten und die Schnelligkeit der Bewegung anging.

Ein wohl gezielter Schlag traf Jerry Daiton am Hals und unterbrach die Luftzufuhr zu seinem Gehirn.

Er fiel wie ein gefällter Baum zu Boden.

"Musste leider auf diese primitive Weise geschehen", sagte Arc Wegu. "Manchmal wären Implantate schon praktisch ..."

"Warum haben Sie das getan?", fragte die Frau mit den Silberaugen.

Arc Wegu ignorierte sie.

Stattdessen sprach er zu allen Anwesenden.

"Man wird in den Implantaten des Sicherheitschefs Komponenten des Schadprogramms finden, mit denen auch meine Implantate infiziert wurden", erklärte Arc Wegu. "Deshalb wollte er mich dazu bewegen, das telepathische Interface zu benutzen. Dann wäre ein Angriff auf meine DNA-Speicher möglich gewesen. Und außerdem wäre Shea McBain vermutlich über die Tatsache informiert worden, dass ich noch existiere." Arc Wegu blickte auf Jerry Daitons erstarrtes Gesicht herab. Deswegen hast du die letzte Sequenz meiner Erinnerungen vor meinem Tod löschen lassen, Jerry. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil ich dann gewusst hätte, dass es kurz davor noch einen Kontakt unser beider Implantate gegeben hat, bei der die Programmkomponenten übertragen wurden. Eine bessere Tarnung hätte es gar nicht gegeben ... Dann wandte sich Arc Wegu an die Frau mit den Silberaugen. "Setzen Sie meine Entscheidungen in die Tat um. Sofort!"

Sie neigte den Kopf.

Ihre Silberaugen zeigten irgendeine Lichtreaktion.

Ob es eine Spiegelung des Raumlichts oder ein interner Vorgang in ihren Augenimplantaten war, konnte man nicht erkennen.

"Sehr wohl, Lord Manager", bestätigte sie.


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