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NACH DER RAUMSCHLACHT im Besiedlungscluster beim Mondmond begann eine zweite Schlacht. Die hatte mit der ersten nur mittelbar zu tun.

In der ersten Schlacht hatte Shea McBain mit seinem Schiff die Jäger der Weltraumstadt Acan vernichtet – und dazu unbeabsichtigterweise auch noch einige Habitate und Raumschiffe.

Die Folgen waren für die Betroffenen furchtbar.

Shea McBains Schiff entfernte sich unterdessen aus dem Cluster.

Zwar registrierte der Beauftragte des Hochadmirals, dass Acan inzwischen weitere (und sehr viel schwerere) Kampfeinheiten ausschleuste, aber darüber brauchte sich Shea McBain im Moment nicht den Kopf zu zerbrechen.

Im Augenblick waren diese Einheiten für ihn nicht gefährlich.

Und davon abgesehen hatte Shea das Gefühl, dass alles nach Plan verlief.

Während Shea McBains Schiff das Gebiet der Katastrophe längst verlassen hatte, begann dort die zweite Schlacht – und die tobte unter denjenigen, die sich die besten Trümmerstücke sichern wollten.

Raumpiraten.

Eine Pest, die durch die hohe Besiedlungsdichte des Raumquadrats um den Vagabunden förmlich angezogen wurden. Sie existierten fast so lange, wie es den Vagabunden-Schwarm gab. Und vermutlich würde es nie jemandem gelingen, sie auszurotten und ihrem Treiben ein Ende zu setzen.

Die Gewinne, die sie beim Aufbringen von havarierten Schiffen samt ihrer Ladung machen konnten, waren einfach exorbitant hoch.

Und es mochte zwar sein, dass in diesem Fall insbesondere von den Jägern aus Acan nicht viel übrig geblieben war, aber das wenige hatte es durchaus in sich.

Hochkomplexe Hightech-Bauteile zum Beispiel.

Anhand ihrer typischen Signaturen waren die leicht aufzuspüren.

Und so kamen sie nun von allen Seiten, um die Überreste des Gefechts aufzusammeln und sich einzuverleiben. Manche dieser Piratenschiffe waren darauf auch von der technischen Ausstattung her regelrecht spezialisiert und mit robotischen Greifarmen ausgestattet, die zum Zerlegen der Beute dienten. Wie Spinnen sahen viele dieser Raumpiratenschiffe aus.

Und so nannte man sie dann auch.

Raumspinnen.

Und ähnlich den auf vielen Planeten verbreiteten arachnoiden Lebensformen benutzten manche von ihnen Netze, um ihre Beute effektiver einfangen zu können. Netze aus feinen Hightech-Carbonfasern zum Beispiel, die hauchdünn, aber sehr widerstandsfähig waren.

Diejenigen, die etwas mehr Kapital zur Verfügung hatten und besser ausgerüstet waren, verfügten über sogenannte Quantennetze. Damit ließen sich selbst kleinste Objekte gezielt einfangen. Sehr gezielt ließ sich damit nach einer ganz bestimmten Beute suchen. Nach technischen Gerätschaften mit spezieller Signatur beispielsweise.

Irgend so ein Quantennetz eines Piratenraumschiffs hatte Gonzan Tabo irgendwann eingefangen. Der Pilot konnte davon nichts wahrnehmen.

Aber er bemerkte den Energieimpuls, der ihn plötzlich traf.

Und er konnte diesen Impuls identifizieren.

Er galt genau genommen nicht ihm (also seinem Programm), sondern dem mobilen Emitter, der es ihm erlaubte, den Jäger oder irgendeine andere Maschine, die er mit seinem Programm für eine gewisse Zeit beseelte, auch zu verlassen, wenn er das wollte. Schließlich hatte Gonzan Tabo Bürger- und Persönlichkeitsrechte. Dazu zählte auch das Recht, sich frei zu bewegen. Und das nicht nur über Datenleitungen, sondern auch ...

... physisch?

Das war nicht das richtige Wort dafür.

Denn der mobile Emitter erzeugte ein Hologramm – und das völlig unkörperlich. Es bestand nur aus projizierten Licht, sah täuschend echt aus und wurde von dem mit einem winzigen Antigrav-Aggregat ausgestatteten, freischwebenden Emitter projiziert. Dieser Emitter war optisch so in das Hologramm integriert, dass er nicht auffiel.

Gonzan Tabo hatte sich einen holografischen Avatar erschaffen, der hinreichende Individualität besaß. Es stellte letztlich eine Kombination von Eigenschaften dar, die aus Abertausenden anderer Holografien generiert und neu zusammengesetzt worden waren.

Der Anbieter dieses Service garantierte Individualität in der Erscheinung.

So stand da jetzt die täuschend echt wirkende Gestalt eines Mannes um die dreißig in einem silberfarbene Pilotenoverall. Tatsächlich waren menschliche Piloten in der Flotte von Acan selten geworden. Sie hatten einfach den Nachteil, dass sie Platz und Sauerstoff brauchten, außerdem Lebenserhaltungssysteme und viele andere Dinge, auf die ein autonomes Programm verzichten konnte. Aber die Idealvorstellung eines Piloten hatte sich trotzdem nicht geändert. Und auch Gonzan Tabo hing ihr offensichtlich an. Sonst hätte sein holografischer Avatar anders ausgesehen. Er sah sich um.

Erleichtert darüber, dass er überhaupt wieder etwas wahrnehmen konnte.

Der Ort, wo er sich befand, musste wohl der Hangar eines Raumpiratenschiffs sein.

Ein paar bunt zusammengewürfelte Gestalten standen um ihn herum. Menschen, Cyborgs, Humanoide, Gehörnte, ein krakenartiges Wesen und ein fünfarmiger Riese, der mindestens drei Meter maß und von einem Fell bedeckt wurde, das so zottelig war, dass man nicht sehen konnte, wo sich die Augen befanden.

Auf einem Tisch lagen ein paar Trümmerteile, die offenbar von dem Jäger stammten, dessen Pilot Gonzan Tabo bis vor Kurzem gewesen war. Das Aufbewahrungsfach seines mobilen Emitters hatte dazugehört. Auch wenn es kaum wiederzuerkennen ist, dachte Gonzan Tabo.

"Was ist denn das für einer?", fragte jemand aus der Gruppe. Er benutzte eine der Sprachen, die innerhalb des Vagabunden-Schwarms verbreitet waren. Gonzan Tabo verfügte über eine hervorragend konfigurierte Translator-Funktion. Insofern war es völlig unerheblich, welche Sprache genau das nun war.

Er konnte sie verstehen – und sie würden ihn verstehen können, sobald er mit ihnen sprach.

"Ich bin Gonzan Tabo, Pilot der Raumstreitkräfte von Acan", sagte er. "Sie sollten mir umgehend Ihr Schiff zur Verfügung stellen, damit ich die Verfolgung des Aggressors fortsetzen kann. Denn wenn das nicht geschieht und es dem Aggressor gelingt, Acan zu schlagen, zu vernichten oder einfach nur zu einer Hypersprung-Flucht zu veranlassen, dann werden Sie alle dem Unterdrückungswillen des Sternenreichs von Axarabor schutzlos ausgeliefert sein. Mit Ihrer Unabhängigkeit hier im Vagabunden-Schwarm wäre es dann vorbei. Also tun Sie, was ich Ihnen sage und gestatten Sie mir, Ihre Freiheit zu verteidigen."

Die umstehenden Gestalten starrten Gonzan Tabo ungläubig an. Dann sahen sie sich gegenseitig an. Das Krakenwesen machte ein schmatzendes Geräusch. Und ein gehörnter Humanoide sagte: "Was ist dann für ein Spinner?"

"Jedenfalls nervt der", sagte ein anderer. Sein halbes Gesicht schien aus implantierten Bauteilen zu bestehen.

Er hob die Hand.

"Bleib genau da stehen, Spinner", sagte er. "Und rühr dich nicht!"

Dann schoss ein Energiestrahl aus dem Auge des Gesichtsimplantats hervor. Der Strahl ging einfach durch den holografischen Avatar hindurch.

Hier und da gab es ein paar verwackelte Lichteffekte und Überlagerungen.

Der Energiestrahl traf die Wand dahinter und brannte ein Loch hinein.

Offenbar haben die mich für körperlich verwundbar gehalten, dachte Gonzan Tabo. Der holografische Avatar musste von so guter Qualität sein, dass diese Leute tatsächlich geglaubt hatten, einen physisch existenten Körper vor sich zu haben, nicht nur eine optische Täuschung. Solange niemand meinen Emitter trifft, können die mir nicht gefährlich werden, dachte Gonzan Tabo. So etwas wie mich scheint es hier nicht zu geben ... Zumindest nicht in der Qualität der optischen Erscheinung ...

Und dabei war der Avatar, den er benutzte, nun wirklich nicht der Gipfel des Luxus. Gonzan Tabo hoffte darauf, sich irgendwann einmal einen Avatar aus Formenergie leisten zu können. Auch der benötigte einen mobilen Emitter, aber anders als bei der holographischen Gestalt, mit der er sich im Moment präsentierte, hätte man einem Avatar aus Formenergie sogar die Hand schütteln oder auf die Schulter klopfen können. Er hätte tatsächlich den Eindruck körperlicher Präsenz zu erwecken vermocht.

Dass dies gerade für die soziale Kommunikation ein nicht zu unterschätzender Faktor blieb, war ihm sehr wohl bewusst.

Aber ein Formenergie-Avatar kostete ein Vermögen. Aber Gonzan Tabo war trotzdem überzeugt davon, dass es jede Krediteinheit wert war, die dafür verlangt wurde. Formenergie basierte schließlich auf dem Prinzip der prinzipiellen Umwandelbarkeit von Energie in Materie und wieder zurück. Ein mobiler Emitter, der Formenergie benutzte, war in der Lage, daraus Körper in jeder Gestalt zu formen. Ganz nach den Bedürfnissen des Anwenders. Und im Gegensatz zur holographischen Illusion wäre das ein echter Körper gewesen. Darauf arbeitete Gonzan Tabo schon seit langem hin. Da es ihm als autonomem Programm und nicht organischen Bürger ohnehin verwehrt blieb, Shareholder von Acan zu werden, weil gewisse Ressentiments dies verhinderten, konnte er seine Ersparnisse ohnehin nicht dafür verwenden, Anteile an der Weltraumstadt zu kaufen. Warum also nicht dafür sparen, sich das leisten zu können, was für all die organischen Wesen völlig selbstverständlich war? Ein Körper mit Substanz, den man anfassen konnte.

Gonzan Tabo machte noch einen Schritt nach vorn.

"Ich habe gesagt, bleib stehen, Spinner", wiederholte der Cyborg, dessen Energieschuss das Hologramm durchdrungen hatte und für das Loch in der Wand verantwortlich war.

"Und ich habe gesagt, dass ich das Schiff brauche", sagte Gonzan Tabo. "Und zwar sofort! Ich hoffe, ich habe mich unmissverständlich ausgedrückt."

"Ich glaube, der meint es ernst", meldet sich das Krakenwesen zu Wort. Er drückte seine Worte in einigen gurgelnden Lauten aus. Über ein telepathisches Interface schien er nicht zu verfügen, dafür aber über einen einigermaßen leistungsstarken Translator. Gonzan Tabo nahm an, dass es sich um eines der Module handelte, die der Krake an verschiedenen Riemen bei sich trug, die seinen Kopf umspannten. Der Krake kam ein Stück auf Gonzan Tabo zu. "Ich glaube, es wäre besser gewesen, wir hätten dieses Ding einfach schlafen gelassen", äußerte der Krake.

"Dafür ist es jetzt leider zu spät", meinte der Cyborg. Gonzan Tabo hatte den Eindruck, dass er hier zu sagen hatte und in der Gruppe eine Art Anführer war. Also werde ich mich an ihn halten müssen, dachte er.

"Ich bitte Sie nochmals freundlich, mir Ihr Schiff zu übergeben", sagte Gonzan Tabo. "Tun Sie das nicht, bedeutet dies das Ende Ihrer Freiheit und Selbstbestimmung. Sie werden sich dann dem Sternenreich unterordnen müssen."

Der Cyborg lachte.

"Du bist nicht ganz bei Trost, würde ich sagen", meinte er. "Und was die Sache mit dem Sternenreich angeht: Es ist für uns vollkommen egal, ob Acan das Sagen hat oder dieses Sternenreich, dessen Zentralwelt so weit entfernt ist, dass niemand hier so genau weiß, ob das nicht vielleicht nur eine Art kosmische Legende ist."

"So wie die Geschichten über die Erde", sagte ein Gehörnter und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Sensoren des mobilen Emitters waren zwar nicht mit jenen zu vergleichen, zu denen er Zugang hatte, wenn er die Pilotenfunktion irgendeines Raumschiffs übernahm – aber trotzdem empfindlich genug, um die Kraft verstärkenden Implantate in seiner Muskulatur der Arme und Beine zu registrieren. So ausgestattet konnte der Gehörnte sich vermutliche ohne weiteres auf einer Schwerkraftwelt mit mehr als 7 g bewegen. Oder mit der Faust ein Loch in die Wand hauen, wie jenes, das der Cyborg mit seinem Energiestrahler in die Wand gebrannt hatte.

Niemand also, mit dem man sich leichtfertig anlegen sollte. Es sei denn, man hätte einen mobilen Emitter und war ein körperloses Hologramm. Gonzan Tabo drehte den Kopf und ließ den Blick schweifen. Er tat das nicht wirklich, um mehr zu sehen oder weil diese Bewegung ihm bei der Suche nach irgendetwas geholfen hätte. Er tat dies, weil er um die kommunikative Wirkung dieser Geste wusste. Und ihm war auch klar, wie wichtig nonverbale Kommunikation im Umgang mit organischen Personen war.

Gleichzeitig scannten die Sensoren seines mobilen Emitters die Umgebung. Er war auf der Suche nach einer Möglichkeit, in das Datensystem des Piratenschiffs einzudringen.

Auf diese Weise konnte er das Kommando des Schiffs übernehmen. Wenn er dabei schnell genug war, dann hatten diese Piraten überhaupt keine Chance, ihn daran zu hindern.

Der einzige Faktor, der ihn vielleicht doch noch stoppen konnte, war technische Insuffizienz. Innerhalb des Vagabunden-Schwarms war jegliches technisches Niveau anzutreffen. Manche der Raumschiffe und Habitate funktionierten auf eine ausgesprochen primitive Weise. Und irgendwo gab es da natürlich eine Toleranzgrenze nach unten. Wenn beispielsweise das Computersystem derart primitiv war, dass es nicht mal genügend Speicherkapazität für die Aufnahme des autonomen Pilotenprogramms gab, dann existierte ja auch keine Möglichkeit für Gonzan Tabo, diesen Spinnenraumer zu kapern.

Es war ein Risiko.

Aber so wie es aussah, musste man es eingehen.

Hinterher werde ich wissen, ob es richtig war, dachte Gonzan Tabo.

Trotz aller präkognitiven Kalkulationen ...

Manche Dinge ließen sich nicht im Voraus abschätzen.

Es trotzdem zu tun, bedeutet das, was organische Wesen Mut nennen, überlegte Gonzan Tabo.


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