Читать книгу Das Doppelkonzert - Arnulf Meyer-Piening - Страница 14

Abgestimmtes Vorgehen

Оглавление

Ein paar Tage darauf rief Frau von Stephano Herrn Konselmann in seinem Büro an:

- Guido, ich muss dich dringend sprechen. Ich habe vor kurzem mit Ingrid Sämann gesprochen. Es geht ihrem Bruder noch nicht gut. Er muss noch ein paar Wochen im Krankenhaus bleiben.

- Der Berater hatte den Anruf erwartet und wusste, worum es ging: Kommen wir also gleich zum Kern der Sache: Die Firma Sämann steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Banken zögern mit der Kreditvergabe, weil die Nachfolge für den Senior nicht geklärt ist. Und ich soll es richten. Ist es so?

- Ja, genau so ist es. Die Sache drängt. Wir dürfen keine Zeit verlieren, sagte sie.

- Wir sollten uns so schnell wie möglich treffen.

- Kannst du morgen Abend bei mir sein?, fragte sie.

- Ja. Ich werde bei dir sein. Dann sprechen wir über alles.

Kurz entschlossen warf er alle Termine über den Haufen und machte sich auf den Weg nach Frankfurt. Sie erwartete ihn in ihrer Wohnung. Er umarmte sie und drückte sie fest an sich. Er spürte ihre Wärme und verspürte ein heftiges Verlangen. Er wollte sie besitzen, nicht nur für einen kurzen Moment sondern für immer. Jetzt aber gab es noch Wichtigeres zu besprechen.

- Schwungvoll warf er seine Aktentasche auf das Sofa und ließ sich daneben nieder: Die Sache ist nur deshalb so schwierig, sagte er, weil die Zeit drängt. Ich kann bei mir nicht alles stehen und liegen lassen.

- Sie setzte sich auf den schwarzen Ledersessel und schlug die Beine übereinander: Die Unsicherheit in der Firmenleitung wird sich noch eine Weile hinziehen, sagte sie. Es muss sich erst herausstellen, ob er seinen Schlaganfall unbeschadet überwinden wird. Die Chancen für eine vollständige Wiederherstellung stehen nicht schlecht. Aber man weiß es nicht.

Sofort war Guido klar, dass sich hier eine große Chance für ihn auftat, wenn sie eng zusammenarbeiteten. Isabelle brauchte ihn, und er brauchte sie. Wenn die Sämanns nicht bald die Führungsfrage klärten, dann trieb die Firma als führerloses Schiff durch die Weltmeere. Das konnte nicht lange gut gehen.

- Ich sehe für uns eine gute Gelegenheit für zusätzliches Geschäft, sagte er. Man wird sehen, was daraus wird. Es kommt darauf an, wie schnell der Senior wieder auf die Beine kommt und ob sich die Familie über die Nachfolgefrage in der Firmenleitung einig werden kann. Hier geht es um Tage, nicht um Wochen. Ich weiß nicht, wie lange die Banken noch stillhalten.

- Sie dachte genau wie er: Das ist die entscheidende Frage. Er liegt noch immer auf der Intensivstation im Elisabeth-Krankenhaus, ist halbseitig leicht gelähmt und wird mit starken Medikamenten behandelt. Keiner weiß, wie es weitergeht. Offenbar sind sich die Gesellschafter nicht einig. Und nun suchen sie ganz gezielt einen Interimsmanager für die ganze Gruppe.

- Die Aufgabe ist durchaus reizvoll. Man muss sehen, mit welchen Vollmachten die Position ausgestattet ist.

- Ich habe dich ins Gespräch gebracht. Wenn du ernsthaftes Interesse hast, dann solltest du dich möglichst bald mit der Schwester des Patriarchen treffen. Sie hält nach ihrem Bruder die meisten Firmenanteile und hat von ihm während der Zeit seiner Abwesenheit eine Vollmacht für die Abwicklung des laufenden Geschäfts erhalten. Wenn du sie auf deine Seite ziehst, dann ist dir die Position so gut wie sicher.

- Kann sie den Anstellungsvertrag mit mir allein unterschreiben oder reicht die Vollmacht dazu nicht?

- Dazu scheint sie nicht zu reichen. Den genauen Wortlaut kenne ich nicht. Aber sie braucht die Zustimmung der anderen beiden Gesellschafter, also Hinrich und Julia, doch hat sie ein gewichtiges Wort in der Gesellschafterversammlung. Aber du müsstest auch den Patriarchen von deiner Kompetenz überzeugen, denn er misstraut seiner Schwester.

- Hat er Grund dazu?

- Offenbar ja. Sie ist ehrgeizig und herrschsüchtig. Und sie braucht Geld. Er fürchtet, dass sie ihn mit Hilfe seiner Kinder aus der Firma drängen will.

- Was ist mit seinen Kindern?

- Seine Kinder kommen als Nachfolger wohl kaum in Betracht: Hinrich ist nur an Musik interessiert, Julia nur an ihrer Forschung. Sie will ihre Aufgabe in Nicaragua behalten. Dort hat sie offenbar einen festen Freund. Ihr selbst traue ich durchaus Ambitionen auf die Firmenleitung zu. Aber sie hält sich noch bedeckt. Vielleicht pokert sie nur, das kann ich nicht beurteilen.

- Guido war von der Idee des Interimsmanagements angetan. Es eröffnete sich eine Chance für ihn persönlich und auch für seine Berater: Man müsste die Management-Aufgabe mit einem Beratungsvertrag koppeln. Das müsste möglich sein. Aber das ist riskant.

- Das musst du selbst entscheiden. Ganz sicher wäre es zweckmäßig, wenn du erst einmal als Berater anfängst. Dann kannst du zeigen, was du für die Firma tun kannst. Du könntest dich bei den Sämanns unentbehrlich machen.

- Es wird eine Gratwanderung werden: Ich kann nach beiden Seiten abstürzen. Zur einen Seite verliere sich meine Glaubwürdigkeit als Manager, und zur anderen Seite verliere ich meinen gut dotierten Job als Partner in meiner Firma. Ich werde zwischen Scylla und Charybdis hindurch lavieren müssen. Keine leichte Aufgabe.

- Du bist clever genug. Du wirst sicher den Spagat schaffen.

- Ich werde es versuchen. Soll ich Frau Sämann gleich jetzt anrufen, um ein Treffen zu verabreden?

- Nein, lass dir Zeit. Sie darf nicht den Eindruck gewinnen, dass du es eilig hast. Lass sie noch etwas im Ungewissen und an der Angel zappeln. Sie muss die Bittstellerin bleiben. Nur so kannst du ihr die Spielregeln diktieren.

- Das ist schon klar. Aber ich muss erst einmal wissen, wie es der Firma geht. Ich weiß nichts über ihre finanzielle Lage. Wie ich höre, scheint die nicht sehr gut zu ein. Ich will nicht in ein Insolvenzverfahren hineingezogen werden.

- Das ist in der Tat der wunde Punkt: Die Firma laviert nahe am Rande des Abgrunds, wie ich aus Bankenkreisen höre. Sie ist praktisch zahlungsunfähig.

- Über was reden wir also? Ich bin an dem Job nicht interessiert.

- Wirf nicht gleich die Flinte ins Korn. So schnell schießen die Preußen nicht. Ich kann der Firma mit einem kurzfristigen Kredit helfen.

- Können sie denn ausreichende Sicherheiten bieten?

- Ich denke schon. Die Geschwister Sämann besitzen eine hochwertige Villa im Park von Saint Tropez. Ich könnte sie beleihen. Dann haben sie für ein paar Monate genügend Geld zur Verfügung, um den Laden wieder flott zu machen. Ich habe Frau Sämann gebeten, vorsorglich schon mal einen persönlichen Schuldschein auszustellen.

- Hast du ihr den Kredit schon zugesagt?

- Nein, ich habe den Kredit an deine Anstellung als Berater und später als Generalbevollmächtigter gebunden.

- Dann ist also alles klar?

- Nein, der Alte muss zuvor aus dem Krankenhaus entlassen werden, weil sie zu einem Notar gehen müssen, um den Schuldschein beglaubigen zu lassen. Später müssten sie eine Hypothek auf das Haus aufnehmen, aber sie kann nicht für ihren Bruder unterschreiben. Für Grundstücksgeschäfte reicht ihre Vollmacht nicht.

- Das braucht seine Zeit. Dann hat das alles keine Eile. Ich werde mal sehen, welche Berater zur Verfügung stehen.

- Das wird ja nicht eine Ewigkeit dauern.

- Nur ein paar Tage.

- Leg dich nicht zu weit aus dem Fenster, noch hast du den Auftrag nicht. Und vergiss nicht, sie muss dem Deal zustimmen. Ohne ihre Unterschrift unter den Kreditvertrag geht nichts, denn ihr gehört die Hälfte der Villa.

- Ich sollte mal mit ihr sprechen.

- Ja, das solltest du möglichst bald tun. Aber tritt nicht zu forsch auf. Sei höflich und freundlich zu ihr. Sie ist empfänglich für Schmeicheleien. Ich kenne solche Frauen: Sie ist ein herrschsüchtiges Weib und gleicht einer Amazone. Aber das ist nur äußerlich. Im Kern ist sie weich. Lass deinen Charme spielen. Zwar ist sie nicht mehr die Jüngste, aber sie ist kein Neutrum. Also nutze deine Chance. Du kannst sie gewinnen.

- Ich bin nicht an ihr als Frau interessiert.

- Isabelle zögerte einen Augenblick. Guido, sei nicht so abweisend. Da ist noch etwas: Vielleicht führt der Weg zur Tante über die Tochter. Julia hat in der Familie eine Schlüsselposition inne. Sie käme durchaus für die Nachfolge in Frage. Ihr Institut hält eine Anzahl von Patenten, die für die Firmengruppe von großer Bedeutung sind.

- Wie du weißt, kenne ich Julia schon seit einigen Jahren, als wir den Innovations-Preis ausgeschrieben haben. Ich bin mir nicht so sicher, ob sie die geeignete Führungskraft ist, für die ich sie damals gehalten habe. Sie hat viele unterschiedliche Facetten. Sie kann sehr lieb, aber auch intrigant sein.

- Das hast du richtig erkannt. Sie ist nicht das liebe und brave Mädchen, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Schließlich war sie es, die das Konzert vermasselt hat. Hinrich hatte sich ihrer Führung anvertraut und fühlte sich mit Recht alleingelassen, als sie das Tempo abrupt wechselte. Sie hat ihn absichtlich in diese peinliche Situation gebracht. Wahrscheinlich wollte sie ihrem Vater zeigen, dass ihr Bruder als Führungskraft nicht taugt. Damit hat sie sich selbst in eine sichere Position gebracht. Ich teile deine Zweifel an ihren Führungsfähigkeiten. Sie hat ihr Forschungsinstitut nicht richtig im Griff.

- Das habe ich schon damals bei der Vorbereitung des Wettkampfes für die Start-up-Firmen bemerkt. Sie ist auf ihrem Gebiet genial, kann aber nicht systematisch vorgehen und erreichbare Ziele setzen. Und sie kann keine Menschen führen. Das ist ihre größte Schwäche. Ich habe damals gedacht, sie würde das Fehlende schnell lernen.

- Das hat sie aber nicht. Ich begleite ihre Firma schon von Anfang an, als die Verhandlungen mit den Risiko-Kapitalgebern begannen. Wenn du den Job kriegst, wirst du ihr helfen müssen, ihren Laden zielgerichtet zu führen. Wir brauchen sie als Know-how-Trägerin. Sie besitzt die Patente. Ihr Wert hängt von den laufenden Tests ab. Wenn die positiv sind, dann winkt ihr das große Geld.

- Ich habe verstanden. Wenn ich die Firma leite, dann werden wir weitere Kredite brauchen. Da bin ich mir sicher. Dann bist du wieder gefragt.

- Wenn du weitere Sicherheiten bieten kannst, können wir darüber reden. Du weißt, ohne Sicherheiten gibt es keinen Kredit. Du kennst die Spielregeln.

Sie verbrachten den Abend im lockeren Gespräch. Sie leerten eine Flasche Lafitte-Rothschild, verstanden sich gut und träumten von einem gemeinsamen Leben. Sie befanden sich auf der gleichen Wellenlänge, wollten vorwärts stürmen und ihre schwierige Jugend vergessen. Sie wussten, dass sie es nur gemeinsam schaffen könnten. Isabelle träumte von einer glamourösen Zukunft fernab in der Karibik.

- Wir könnten uns eine verlassene Finca kaufen mit einem alten Herrenhaus aus der Zeit der großen Zuckerbarone, folgte er ihren Träumen.

- Klingt gut, sagte sie und blickte ihn voller Verlangen an. Wir könnten gemeinsam Bäume ausreißen und das Leben genießen. Dort könnten wir erleben, wie sich die Natur ungestört von dem Eingreifen des Menschen entwickelt. Wir könnten uns ohne Stress treiben lassen.

- Lass es uns versuchen. Aber erst brauche ich den Job, sagte er, denn ich bin noch nicht auf dem Gipfel angekommen, wo ich hingehöre.

Sie waren mit sich im Reinen, fühlten sich miteinander im inneren Gleichklang. Das Ziel war klar, aber der richtige Weg dorthin musste erst gefunden werden. Sie waren sich nicht sicher, ob sie nicht einige Umwege machen müssten: Die größte Unsicherheit bildete der Gesundheitszustand von Wolfgang Sämann. Er könnte vorzeitig sterben, im schlimmsten Fall für immer geistig behindert bleiben. Oder er könnte vollständig genesen und dann die Zügel selbst wieder in die Hand nehmen. Man wird es erst nach einigen Wochen wissen. Alle Möglichkeiten waren gleich wahrscheinlich.

Außerdem war da noch seine Schwester Ingrid. Auch sie war eine unberechenbare Größe. Was hatte sie vor? Was trieb sie an? Es war nicht ausgeschlossen, dass sie nach der Firmenleitung greifen würde. Nicht zuletzt bildete Hinrich eine Unbekannte: Würde man ihn in das Konzept einbinden können? Würde er nach der Macht streben? Und schließlich Julia: Würde sie in die Karibik zurückkehren oder würde sie eine Führungsposition in der Firmengruppe anstreben? Das würde die gemeinsamen Pläne behindern. Sie müssten sich Klarheit über den richtigen Weg verschaffen und mit allen Beteiligten sprechen.

Sie verbrachten eine wundervolle Nacht miteinander und liebten sich voller Hingabe. Weit nach Mitternacht versanken sie in einen tiefen Schlaf. Als die Sonne hoch am Himmel stand, genossen sie ein reichliches Frühstück mit Spiegelei, Müsli, Obst und Kaffee. Die Arbeit konnte beginnen.

Später rief Guido von seinem Handy in der Elisabeth-Klinik an:

- Guten Tag, Frau Sämann. Hoffentlich störe ich Sie nicht. Ich möchte mich nur nach dem Gesundheitszustand Ihres Bruders erkundigen. Ist die OP gut verlaufen? Hat er eine ruhige Nacht verbracht?

- Zunächst war alles gut gegangen, erklärte die Ärztin. Aber er ist aus der Narkose nicht richtig aufgewacht. Er hat anschließend einen Reinfarkt bekommen. Über die Gründe tappen wir noch im Dunklen. Wir wissen nicht, was genau geschehen ist. Plötzlich hat er Fieber bekommen, vielleicht eine normale Reaktion auf dem Eingriff, doch es kann auch eine Hirnhaut-Entzündung sein. Das wäre gravierend. Deshalb haben wir ihn vorsorglich auf die Intensivstation verlegt.

- Bei Ihnen befindet er sich in besten Händen, davon bin ich überzeugt, sagte er.

- Er bekommt hier alles, was er braucht.

- Das glaube ich gern. Noch etwas Anderes: Ich habe gestern mit Frau von Stephano telefoniert. Sie hat mir angedeutet, dass Sie einen Interims-Manager für die Sämann-Gruppe suchen. Ich hätte an dieser Position Interesse. Am besten wäre es wohl, wenn wir uns so bald wie möglich treffen würden. Dann könnten wir die Einzelheiten besprechen.

- Das sehe ich auch so. Wir benötigen dringend einen Profi für die Leitung der Unternehmensgruppe, bis mein Bruder wieder fit ist..

- Machen Sie einen Vorschlag, wo und wann wir uns treffen können.

- Wie wäre es morgen hier bei uns in München im Bayerischen Hof?

- Ausgezeichnet. Dort sitzt man gut, isst hervorragend und kann sich ungestört unterhalten. Wann passt es Ihnen? Ich richte mich nach Ihnen.

- Ich könnte mich gegen sieben Uhr arrangieren.

- Das würde mir passen. Also um sieben Uhr im Bayerischen Hof.

- Einverstanden.

- Ich freue mich auf den Abend mit Ihnen. Ich denke, wir werden uns einig werden.

- Wir werden sehen, wie alles zusammen passt.

Er legte auf und sah Isabelle erwartungsvoll an:

- Nun, was sagst du? Klingt nicht schlecht, oder?

- Warten wir es ab. Der erste Schritt wäre getan, die weiteren Schritte müssen noch folgen. Die Toten werden erst nach der Schlacht gezählt und wir stehen erst am Beginn der Schlacht. Die Sache wird nicht leicht sein: Die Firma ist ziemlich am Ende und braucht dringend Hilfe. Ich bin mir sicher, dass du den Job bekommst, wenn du Ingrid auf deine Seite bringst. Sie besitzt die größten Firmenanteile nach ihrem Bruder. Sprich sie als Frau an. Fordere für den Anfang kein zu hohes Honorar. Vielleicht hunderttausend, aber nicht mehr. Die haben nicht viel Geld, brauchen aber deine Hilfe.

Er setzte sich ihr gegenüber und nahm einen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee:

- Für diesen lächerlichen Betrag sollten sie sich einen anderen Partner suchen. Vielleicht sollten sie lieber beim Arbeitsamt anfragen.

- Sei nicht so hochnäsig!

- Sprechen wir von einem Beratungsauftrag oder von der Nachfolge des Patriarchen?

- Zunächst handelt es sich nur um einen Beratungsauftrag. Erst später, wenn du dich in der Firma etabliert hast, geht es um die Nachfolge.

-Seien wir realistisch: Für diesen lächerlichen Betrag bekommen sie keinen Profi. Warum soll jemand auf sein normales Gehalt verzichten, und das für eine äußerst unsichere Sache?

- Du könntest dir für den Gehaltsverzicht ein Aktienpaket von fünfundzwanzig Prozent zusichern lassen. Damit hättest du die Sperrminorität und würdest die Zügel in der Hand halten. Die Aktien würden spätestens nach drei Jahren bei deinem Ausscheiden – ganz gleich aus welchem Grund – an dich übertragen.

Damit hatte sich ein gangbarer Weg durch das dichte Gestrüpp der Unwägbarkeiten aufgetan, aber es bestanden Zweifel, ob dies wirklich der richtige Weg sei. Man konnte das Ende des Tunnels noch nicht erkennen:

- Werden die Gesellschafter dem Vorschlag zustimmen?, fragte er besorgt.

- Isabelle war zuversichtlich. Sie haben keine andere Wahl: Sie brauchen den Millionen-Kredit, den nur ich besorgen kann. Das wissen sie genau. Keine Bank wird ihnen einen weiteren Kredit geben.

- Du könntest die Immobilie selbst übernehmen. Eine Villa in Saint Tropez wäre doch eine gute Investition. Dann brauchen sie keinen Kredit, wenn du sie ihnen abkaufst.

- Das wäre für mich ein ziemlich dicker Brocken. Ich schwimme nicht im Geld. Auch ich müsste dafür einen Kredit aufnehmen. Aber wenn wir es geschickt anstellen, dann fällt uns die Villa eines Tages viel billiger zu.

- Erstaunt blickte er sie an: Ich bin gespannt, wie du das anstellen willst.

- Sie ergriff seine Hand und blinzelte ihm vertraulich zu: Also hör zu. Wenn du die Verantwortung für die Firma übernimmst, dann bist du auch für die Rückzahlung des Kredits zuständig. Da könnte es doch in der Folge zu Schwierigkeiten kommen, meinst du nicht auch?

- Klar, das könnte passieren. Aber was willst du damit erreichen?

- Die Villa würde an den Kreditgeber verfallen, wenn die Firma mit den Ratenzahlungen in Rückstand gerät.

- Das wäre möglich. Aber was haben wir davon, wenn das Objekt an die Banken geht?

- Ich denke, der Graf wird der Kreditgeber sein. Dann überlässt er sie mir zur Nutzung.

- Da sei mal nicht so sicher. Der Graf hat seinen eigenen Kopf. Und wenn er sie dir gibt, dann will er etwas von dir haben. Außerdem, was willst du mit dem Haus anfangen?

- Mal sehen, antwortete sie unbestimmt. Vielleicht verbringe ich dort meinen Lebensabend.

- Allein?

- Nein, das sicher nicht. Aber vielleicht könnten wir beide einige Zeit gemeinsam in Saint Tropez leben. Es ist nicht so weit weg. Wir könnten an jedem verlängerten Wochenende dorthin fahren. Was meinst du?

Der Gedanke gefiel ihm. Ein Leben mit Isabelle, warum eigentlich nicht? Sie entsprach zwar nicht seinem Ideal einer Ehefrau, aber sie sah gut aus und war erfolgreich. Außerdem hatte er bisher noch keinen Gedanken an eine engere Verbindung verwendet. Eine Ehe lag nicht in seiner augenblicklichen Lebensplanung. Aber warum eigentlich nicht?

- Das wäre eine echte Perspektive. Aber machen wir einen Schritt nach dem anderen, sagte er. Erst der Auftrag und dann das Vergnügen. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche: Ohne Kredit müssen sie sofort Konkurs anmelden.

- Das ist richtig. Es besteht keine Chance auf Besserung der finanziellen Situation, solange die Nachfolgefrage in der Konzernleitung ungeklärt ist.

- Ich würde das machen, wenn du mir bei der Finanzierung hilfst.

Sie überblickte die Situation:

- Du machst den Job nur, wenn sie deine Bedingungen akzeptieren: Sobald du Bevollmächtigter bist, schließen wir den Kreditvertrag.

- Wir brauchen die verbindliche Kreditzusage schon vor meinem Eintritt in die Firma, beharrte er. Wenn wir den Kredit nicht bekommen, dann kann ich gleich den Weg zum Konkursrichter antreten. Das ist mir zu unsicher.

Sie versuchte ihn zu beruhigen:

- Du kannst dich auf mich verlassen, ich bekomme das schon irgendwie hin. Graf Ebersbach vertraut mir. Wenn ich ihm sage, dass ich die Firma geprüft und für gut befinde habe, und du daraufhin Generalbevollmächtigter wirst, dann gewährt er den Kredit.

- Ich weiß gar nicht, ob die Firma in der Lage ist, die Zinsen und die Rückzahlungen zu leisten. Ich habe die Bilanz nicht gesehen, sagte er verunsichert.

- Der Kredit wird so lange zinslos gegeben, wie in der Firma Verluste anfallen, versuchte sie ihn zu beruhigen. Erst wenn Gewinne ausgewiesen werden, dann wird ein hoher Zinssatz fällig. Ich vertraue dir, dass du es schaffst, die Firma rentabel zu gestalten.

- Das hört sich gut an.

- Der Graf wird aber sauer, wenn er mehrere Jahre einen Kredit ohne Zinsen gewähren muss. Dann machen wir beide nie wieder ein Geschäft mit ihm. Das können wir nicht riskieren. Wir brauchen eine dauerhafte Geschäftsbeziehung mit ihm. Nur er kann uns aus der finanziellen Klemme helfen, wenn wir weitere Kredite brauchen.

Mit Isabelle an seiner Seite schöpfte er Hoffnung:

- Ich werde mein Bestes geben, beteuerte er. Du kennst mich: Ich habe solche Aufgaben schon oft erfolgreich gemeistert. Lass mich das machen, ich weiß, was ich in tun muss: Kosten senken, die Geschäftsprozesse reorganisieren, neue Leute in Führungspositionen bringen und eine strategische Reorganisation durchführen.

- Ich weiß, das ist Routine für dich. Deshalb habe ich dich für diese Aufgabe ausgewählt.

- Leicht wird es nicht werden, und Zeit wird es brauchen, denn neue Produkte mit guten Margen müssen her. Die neuen Produkte brauchen wir für die Auslastung der Fabrik. Und dann ist da noch die Klinik. Für die Klinik brauchen wir ein neues Leistungsprofil. Ich vermute, dass sie Verluste macht.

- Das gilt auch für das Forschungsinstitut von Julia. Auch dieses Unternehmen muss endlich Gewinne abwerfen, denn die Investoren werden langsam unruhig. Und ich muss mir immer wieder neue Begründungen einfallen lassen, warum das neue Medikament noch nicht auf dem Markt ist. Das bedeutet, die Testserie muss endlich erfolgreich abgeschlossen werden. Julia darf sich nicht von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken lassen. Sie tanzt auf zu vielen Hochzeiten.

- Ich werde mich um das Institut persönlich kümmern.

- Geh die Sache behutsam an. Du darfst Julia nicht verprellen. Sie hat ein gewichtiges Wort in der Gesellschafterversammlung und, besonders bei ihrem Vater. Später, wenn du in Amt und Würden bist, dann kannst du machen, was du für richtig hältst. Ich gehe davon aus, dass wir beide uns bei allen wichtigen Entscheidungen vorher abstimmen werden. Kann ich mich auf dich verlassen?

- Klar. Wir werden gemeinsam für das Wohl der Firma – und für unser eigenes – sorgen. Ich werde dich über alles Wichtige informieren, und wenn du nicht einverstanden bist, dann werde ich die Sache noch einmal überdenken und deine Argumente bewerten.

- Ich kann mich auf dich verlassen?, fragte sie etwas misstrauisch.

- Ja, das kannst du. Ich werde nichts ohne deine Zustimmung tun.

- Dann bin ich mit deiner Anstellung als Generalmanager einverstanden.

Sie setzten sich an den kleinen Tisch im Erker ihrer Wohnung in Sachsenhausen. Sie planten ihre Zukunft, aber sie machten die Rechnung ohne den Wirt. Es waren noch manche Hindernisse zu überwinden. Vor allem musste er das Vertrauen möglichst aller Familienmitglieder gewinnen. Sonst bekäme er den Auftrag nicht.

- Du solltest mit jedem einzelnen ein Gespräch führen, damit du ihre Pläne kennst und damit sie dir ihre Stimme geben.

- Wie du weißt, habe ich schon einen Termin mit Ingrid Sämann vereinbart. Wir gehen in ein gepflegtes Restaurant zum Essen.

Er verbrachte die Nacht bei ihr und fuhr früh am nächsten Morgen zurück in sein Büro in Düsseldorf. Auf der Fahrt ging ihm das gemeinsame Vorhaben noch einmal durch den Kopf: Genau das war es, was er wollte. Er wollte den Aufstieg auf den Gipfel, und wenn es mit Hilfe dieser ungewöhnlichen Frau war. Und gleichsam als Belohnung winkte eine Villa am Mittelmeer. Sicher, man musste das Risiko bedenken. Die Sache könnte durchaus schief gehen. Sein Einsatz könnte erfolglos sein, die Firma könnte in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Auch ein Konkurs war nicht auszuschließen. Dann wäre auch seine Karriere in seiner Firma in Gefahr. Aber das wollte er jetzt nicht bedenken. Er spielte ein gewagtes Spiel, das war ihm klar, aber er wollte die Chance ergreifen, die sich ihm plötzlich bot. Zwar war der Einsatz hoch, aber das Ziel war verlockend. Er wollte die Herausforderung annehmen. Und schließlich galt es, Isabelle zu gewinnen. Er wollte sie an sich binden. Dafür lohnte sich der riskante Einsatz.

Das Doppelkonzert

Подняться наверх