Читать книгу Das Doppelkonzert - Arnulf Meyer-Piening - Страница 5

Der Gladiator

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Er erwartete den Zimmerboy mit dem Aufruf zum Abendessen. Mit lauter Stimme rief er:

- Herein!

Zu seiner Überraschung betrat Isabelle, bereits fertig für den Abendempfang gekleidet, den Raum.

- Er erhob sich: Isabelle, du? Ich dachte, du wärest mit dem Empfang der anderen Gäste beschäftigt. Aber schön, dass du kommst. Vielleicht können wir noch etwas plaudern. Ich wüsste so gerne, wer sonst noch als Gast geladen ist.

- Wir haben noch etwas Zeit. Wir erwarten noch Familie Sämann. Sie haben eben aus dem Auto angerufen. Sie stecken irgendwo im Stau und werden sich verspäten.

- Dann setze dich noch etwas zu mir. Wir könnten vor dem großen Ansturm der Gäste noch in Ruhe ein Glas Champagner leeren.

- Gern.

Sie setzte sich ihm gegenüber und schlug ihre Beine lässig übereinander. Sie hatte wirklich schöne Beine und wusste das. Sie schien vollkommen entspannt und war sich ihrer anziehenden Wirkung durchaus bewusst. Er öffnete die Flasche, die sich in dem silbernen Kühler befand. Vorsichtig schenkte er den perlenden Inhalt in die Gläser. Sie stießen auf einen erfolgreichen Abend an.

Er fand, dass sie an diesem Abend besonders gut aussah. Sie trug ein schwarzes, hautenges, etwas gewagtes Kleid, das ihre Figur vorteilhaft betonte. Obwohl er sie gut kannte, erfreute er sich immer wieder an ihrem Anblick. Er fand sie noch immer sehr sexy und freute sich auf den weiteren Abend. Er spürte, dass sie an diesem Abend noch Bedeutungsvolles erleben würden. Große Chancen und Herausforderungen erwarteten sie, wenn sie sich gemeinsam den Aufgaben stellen würden.

In erster Linie war er begierig zu erfahren, wer zu diesem Abendessen eingeladen war. Er wollte neue, interessante Leute kennenlernen, die für seine beruflichen Ambitionen wichtig sein könnten:

- Zunächst einmal herzlichen Dank für die Einladung, sagte er und blickte ihr lächelnd in die Augen.

Diese strahlenden blauen Augen zogen ihn in seinen Bann. Ganz besonders in diesem Augenblick. Er hätte sie gern in den Arm genommen.

- Du musst dich nicht bei mir, sondern bei unserem Gastgeber bedanken. Graf Ebersbach wird kommen, sobald der letzte Gast eingetroffen ist. Du musst dich beeilen, wenn du ihn sprechen willst, denn er bleibt bei solchen Anlässen nie lange. Er ist sehr beschäftigt.

- Das versteht sich, aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du bei der Auswahl der Gäste ein kräftiges Wort mitgeredet hast. Insoweit gebührt der Dank auch dir.

- Der Graf und ich entscheiden das gemeinsam. An erster Stelle rangieren unsere langjährigen Kunden, denen wir für die Treue zu unserem Hause zu Dank verpflichtet sind.

- Zu diesem erlesenen Kreis der Champagner-Kunden zähle ich nicht, sagte er mit gespielter Bescheidenheit, wobei es die Wahrheit war. Du wirst also ein anderes Motiv für meine Anwesenheit gefunden haben.

- Das stimmt schon. Aber der Graf hat mich auf dich angesprochen. Irgendjemand hat ihm von dir berichtet, dass du ein ausgezeichneter und erfolgreicher Berater seist. Und außerdem möchte er bei geselligen Veranstaltungen immer ledige Herren dabei haben, damit für die Damen etwas zum Flirten anwesend ist. Und da fiel die Wahl auf dich.

- Er zeigte sich an diesem Thema sehr interessiert und ließ den Champagner in seinem Glas kreisen: An welche Damen hätte er dabei in Sonderheit gedacht?

Sie beobachtete ihn aufmerksam, denn sie wusste, dass er Interesse an schönen Frauen hatte:

- An erster Stelle wohl an Julia Sämann. Sie ist die Tochter des Seniorchefs der Sämann Firmengruppe. Chemisch-Pharmazeutische Werke, München.

- Er nickte: Eine charmante und gleichzeitig auch kompetente Frau.

- Du kennst sie? Woher? Isabelle war überrascht.

- Unsere Beratungsfirma hat vor ein paar Jahren einen Start-up-Wettbewerb für junge Biotech-Firmen ausgeschrieben. Sie war Grundlagenforscherin, hat nach dem Studium eine Firma gegründet und sich an dem Wettbewerb beteiligt. Wir haben sie mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Sie war in jeder Hinsicht die Beste von allen Bewerbern: Ihre Geschäftsidee war brillant, ihre Business-Pläne waren sorgfältig durchdacht und ausgefeilt. Ihre Präsentation war einfach super. Während dieser Zeit haben wir oft miteinander gesprochen. Und woher kennst du sie?

- Ich habe ihr junges Unternehmen mit Risikokapital versorgt, sagte Isabelle und strich sich mit der Hand durch ihr langes Haar. Ich kannte ihren Vater, mit dem ich seit vielen Jahren auf dem Gebiet der steuersparenden Kapitalanlagen, wie zum Beispiel Bauherrenmodelle und Hedgefonds zusammengearbeitet habe.

- Das ist interessant. Ich freue mich, dass ich sie hier wiedersehe. Ich habe schon eine Weile nichts mehr von ihr gehört. Möchte gern wissen, was aus ihr und ihrer Firma geworden ist. Weißt du, was sie jetzt macht?

- Genau weiß ich es nicht. Sie soll noch immer in der Arzneimittel-Forschung tätig sein. Ihr Vater sagte, sie lebe in Nicaragua. Dort habe sie ein Forschungsinstitut.

- Ist sie verheiratet?

- Nicht, dass ich wüsste. Es hat mich auch nicht sonderlich interessiert. Bei dir scheint das anders zu sein.

- Er wehrte ab: Reine Neugier. Ich möchte immer wissen, ob eine schöne Frau gebunden ist oder ob sie sich allein durchs Leben schlägt. Du kennst sie gut?

- Du scheinst noch im vorigen Jahrhundert zu leben. Heute braucht eine Frau keinen Ehemann, um erfolgreich zu sein. Im Gegenteil, ein Mann ist Frauen oft auf der beruflichen Leiter nach oben im Wege.

- Nicht unbedingt: Man könnte sich gegenseitig helfen und sich stützen, wenn einer mal aus der Balance gerät.

- Mag sein, aber selbstbewusste Frauen kommen ganz gut allein zurecht. Zu dieser Gruppe gehört Julia. Ich kenne die Familie Sämann schon seit ein paar Jahren. Am besten den Senior: Wolfgang Sämann hat ein paar Geldanlagen zum Steuersparen mit meiner Hilfe gemacht. Es waren sehr erfolgreiche Investitionen. Er hat dabei gutes Geld verdient.

- Der Berater witterte eine Chance: Das klingt gut. Auf diesem Fundament ließe sich ein solides Gebäude errichten.

- Ich denke, du solltest dich mit Herrn Sämann unterhalten. Er ist ein sehr netter und umgänglicher Mann. Wir kennen uns seit vielen Jahren gut, zumal er mein Patenonkel ist. Mein Vater war mit ihm befreundet. Jahrelang hatten wir kaum Kontakt. In den letzten Jahren habe ich mich verstärkt um ihn gekümmert, denn es geht ihm gesundheitlich nicht gut.

- Was fehlt ihm denn?

- Er leidet unter einer chronischen Nieren-Insuffizienz.

- Das ist eine heimtückische Krankheit. Warum geht er nicht ins Krankenhaus?

- Er fürchtet, dass er sich dort an irgendeiner weiteren Krankheit anstecken könnte.

- Kannst du ihm denn helfen? Dabei meine ich nicht seine medizinische Versorgung. Dafür hat er sicherlich genügend Fachkräfte zur Verfügung

- Ich glaube schon. Er leidet oft unter Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Atemnot, Ödemen und Schmerzen. Ich helfe ihm, so gut ich es kann. Zudem habe ich das Gefühl, dass er auch in seiner Firma Hilfe gebrauchen könnte. Es wäre mir recht, wenn du dort Fußfassen könntest.

- Ich will versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen.

- Du solltest auch seine Schwester Ingrid kennenlernen. Sie ist die graue Eminenz im Hintergrund und hält die Fäden in der Hand.

- Was macht sie?

- Sie leitet das Elisabeth Krankenhaus. Es gehört zu der Sämann-Gruppe. An der Gruppe ist sie mit einem Drittel des Grundkapitals als Kommanditistin beteiligt.

- Dann wäre sie doch in erster Linie die richtige Ansprechpartnerin für ihn.

- Eher nicht. Es misstraut ihr.

- Was ist sie für ein Typ?

- Sie tritt betont jugendlich auf. Des Öfteren trägt sie Netzstrümpfe und ziemlich kurze Kleider. Nicht nur privat, sondern auch in der Klinik.

- Ist die Kleidung in ihrer Position nicht etwas unpassend? Er versuchte sich eine nicht mehr ganz junge Ärztin im Minikleid und Netzstrümpfen vorzustellen. Mit dieser Vorstellung hatte er Schwierigkeiten.

- Man kann es unpassend nennen. Aber ihr gefällt es. Sie liebt die Aufmerksamkeit der anderen, besonders der Männer, und sie hat schöne Beine.

- Ist sie verheiratet?

Das war eigentlich eine belanglose Frage. Und doch musste er sie stellen. Es war fast wie ein Reflex bei ihm. Er wollte seine Chancen erkunden.

- Nein, aber die ist nichts für dich, sagte sie leicht konsterniert.

- Warum? Ist sie gebunden?

- Nein, das ist sie nicht, aber ich kenne dich. Ich weiß, auf welche Art von Frauen du stehst. Du brauchst eine jüngere Frau, sagte sie und blickte ihn herausfordernd an.

- Du meinst, so eine wie Julia?

- Isabelle ging das Thema langsam auf die Nerven: Vielleicht, das könnte durchaus sein, aber auch sie ist nichts für dich.

- Du wirst immer etwas an anderen Frauen auszusetzen haben, die sich in meiner Reichweite befinden, sagte er unwirsch.

- Nicht unbedingt. Es kommt auf die Umstände an.

- Also, was ist mit Julia?, beharrte er. Ist sie in der väterlichen Firma tätig?

Guido konzentrierte sich weiterhin auf sein Anliegen: Er wollte versuchen, in die Interna der Firma einzudringen und wissen, wo er den Hebel anzusetzen hatte. Und deshalb musste er wissen, welchen Wirkungskreis die anwesenden Personen hatten. Er unterschied sorgfältig zwischen Zeitverschwendern und für seine berufliche Karriere wichtigen Persönlichkeiten. Julia könnte in der Zwischenzeit durchaus zu einer wichtigen Persönlichkeit geworden sein, dachte er. Das Potential dazu hatte sie in jedem Fall.

- Nicht direkt, sondern nur mittelbar. Sie hat ihr eigenes Forschungsinstitut in Nicaragua. Die Firmen sind finanziell und rechtlich getrennt, arbeiten aber zusammen. Aber sei vorsichtig. Sie ist keine Frau, die man so einfach im Sturm gewinnen kann. Sie ist wählerisch, selbstbewusst und wird eine steile Karriere machen.

- In der Firma ihres Vaters? Das war nun die für ihn entscheidende Frage: Musste er Julia gewinnen, wenn er für die Sämann Gruppe tätig werden wollte? Oder war sie nur für ihre eigene Firma tätig? Er musste mehr über die Interna der Familie erfahren. Was hielt die Familie zusammen? Wer verfolgte welche Interessen? Waren es nur finanzielle Interessen oder waren es persönliche Bindungen? Es würde nicht leicht sein, an diesem Abend die Antworten zu finden. Also müsste er versuchen, einen ersten Kontakt für weitere Gespräche herzustellen.

- Möglich. Man kann es nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie sich die Firma entwickelt.

- Du sprichst von ihrer eigenen Firma oder von der ihres Vaters? Diese Unterscheidung war für ihn wichtig.

- Von beiden. Wenn ich es recht verstanden habe, dann arbeiten die beiden Firmen auf bestimmten Gebieten zusammen. Sie arbeitet auch beratend für die Klinik seiner Schwester. Sie haben gemeinsame Interessen. Sie entwickelt ein neues Medikament gegen die Niereninsuffizienz. Deshalb ist sie nach Nicaragua gegangen. In den dortigen Zuckerrohr-Plantagen ist diese Krankheit besonders weit verbreitet.

- Sagtest du nicht, dass Herr Sämann einen Sohn hat? Ist auch er in der Firma tätig? Kommt er auch zum Essen?

Isabelle schien etwas ungehalten zu sein und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, als wollte sie einen aufkommenden Ärger hinunterspülen:

- Sein Sohn Hinrich war auch eingeladen, sagte sie, aber er hat ohne Begründung abgesagt. Jedenfalls hat er mir keinen Grund genannt.

- Merkwürdig. Dann muss es etwas sehr Wichtiges gewesen sein. So eine Einladung schlägt man nicht grundlos aus.

- Sie zuckte mit den Schultern: Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn wenig und kann ihn nicht beurteilen.

Für Guido wurde die Situation immer unübersichtlicher: Wenn Julia in Nicaragua gebunden war, dann schied sie aus dem Kreis der Entscheider in der Sämann Gruppe aus. Er musste es herausfinden. Warum war Hinrich nicht gekommen? War er der Juniorchef, die graue Eminenz im Hintergrund? Wer würde die Firma künftig leiten? Lange Zeit würde der Alte die Firmenleitung nicht mehr behalten können. Aber Hinrich wollte nicht kommen.

- Merkwürdig: So ein gesellschaftliches Ereignis sagt man nicht so einfach ab. Vor allem dann nicht, wenn man sich auf eine künftige Führungsaufgabe in einer bedeutenden Firma vorbereitet. Dazu gehören die sozialen Kontakte. Ohne verlässliche Kontakte ist man einsam und verloren.

- Nicht alle schätzen den öffentlichen Auftritt so wie du.

Der kleine Seitenhieb war nicht zu überhören.

- Er gab ihn zurück: In diesem Punkt stehen wir beide uns in nichts nach.

Sie lenkte ab und nahm noch einen kühlen Schluck. Sie wollte keine sinnlose Kontroverse über die Frage, wer von ihnen den stärkeren Hang zur öffentlichen Selbstdarstellung hatte. Besonders an diesem Abend nicht.

- Das Thema wollen wir jetzt nicht erörtern, sagte sie mit Bestimmtheit.

Guido war das nur recht und konzentrierte sich auf sein eigentliches Anliegen: Er wollte die Familie Sämann, die er nur aus der Ferne kannte, genauer kennenlernen. Er wollte wissen, wo er den Hebel ansetzen musste, um seinem Ziel näher zu kommen: Ein Beratungsauftrag. Er wusste, dass der Sämann-Clan eine einflussreiche Unternehmerfamilie war. Er wollte wissen, was aus dem jungen Start-up-Unternehmen von Julia geworden war. Hatte er damals das richtige Gespür für Menschen und ihr Erfolgspotential gehabt? Er wollte sich bestätigt sehen und hatte noch ein anderes Ziel vor Augen:

Er wollte CEO (Chief Executive Officer) in seiner Firma werden. Diese Position versprach ihm Einfluss in seiner Beratungsgesellschaft. Mit dieser Position würde in die ersten Kreise der Gesellschaft aufsteigen. Er könnte sich als Kunstmäzen, als anerkannter Sammler moderner Kunst und als gesuchter Sponsor auf glamourösen Charity-Veranstaltungen präsentieren. Er würde vielleicht auch zum Kanzler- oder Präsidenten-Berater ernannt werden. Und dazu brauchte er noch ein paar weitere Aufträge.

Er stand kurz vor dem ersehnten Ziel. Er gehörte zu dem engeren Führungskreis, aus dem sich der künftige CEO rekrutieren würde. Es galt, nach weiteren Chancen Ausschau zu halten. Sein besonderes Interesse richtete sich auf die anderen Gäste.

- Wen hast du sonst noch eingeladen? Kenne ich jemand?, erkundigte er sich.

- Gut möglich, aber du solltest möglichst alle Gäste kennen, wenn du in die einflussreichen Kreise unseres Landes eindringen willst. Da ist zum Beispiel Doktor Pauli. Inhaber der Pauli-Gruppe, Maschinenbau, Chemische Erzeugnisse und Bekleidung, mit Sitz in Krefeld. Ein weit gefächertes Konglomerat von einzelnen Firmen.

- Den kenne ich. Zu seinem Firmen-Imperium gehört die Modefirma Kamper. Ich habe vor Jahren einen Beratungsauftrag für seine Firma durchgeführt.

- Interessant, was hast du dort gemacht? War es erfolgreich? Haben sie dich in guter Erinnerung behalten?

- Ich hoffe es. Meine Tätigkeit war sehr erfolgreich. Ich wurde am Ende meiner Beratung zum Generalbevollmächtigten der Kamper Gruppe bestellt. Das kam damals für mich als jungen Berater vollkommen überraschend. Es war eine ungewöhnliche Situation: Im Grunde ließ sich das mit meinen Aufgaben als Berater nur schlecht vereinbaren.

- So etwas kann auch ins Auge gehen.

- Ja, das ist wahr. Es hat mich auch beunruhigt. Damals stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich Entscheidungen träfe, die zu Schadenersatzansprüchen meines Klienten gegen mich führten. Aber mein mir damals vorgesetzter Partner beruhigte mich und riet mir, den Auftrag nach bestem Wissen und Gewissen durchzuziehen. In ganz kritischen Situationen könnte ich ihn zu Rate ziehen, sagte er.

- War es erforderlich?

- Nein, denn es ging alles gut. Ich habe die Firma aus den damals bestehenden finanziellen Schwierigkeiten herausgeführt.

- Dann könnt ihr ja von alten Zeiten plaudern und habt viele Anknüpfungspunkte.

Isabelle war es zufrieden. Auf diese Weise brauchte sie sich keine Gedanken um die Unterhaltung ihrer Gäste zu machen. Nichts fürchtete sie mehr, als eine gelangweilte Gesellschaft, die nichts mit sich selbst anzufangen wusste. Oder wenn es zu Spannungen in der Gruppe käme.

Das Schlimmste war, wenn sich einer der Gäste zum Alleinunterhalter aufspielen würde, um längere Gesprächspausen zu überbrücken und mehr oder weniger halbseidene Witze erzählen. Das kam tatsächlich gelegentlich dann vor wenn Amerikaner anwesend waren. Unweigerlich passierte das, wenn einer aus dem Show-Business anwesend war. Er folgte dann dem unwiderstehlichen Drang, sich selbst zu inszenieren, was die anderen in die Rolle der unfreiwilligen Statisten drängte, die die Situation nicht immer als besonders prickelnd empfanden:

- Kommt Doktor Pauli allein?, erkundigte sich der Berater.

- Nein. Seine Frau Johanna ist auch dabei. Sie soll mal seine Sekretärin gewesen sein. Jetzt leitet sie die Modegruppe.

- Ach, die? Ich kenne sie. Sie war damals unsere Team-Sekretärin. Eine sehr zuverlässige und auch charmante Frau, sagte Guido mit vielsagendem Lächeln. Sie hatte ihm oft geholfen, wenn es um eine Präsentation ging, und die Overheadfolien noch nicht fertig waren. Damals hatte er noch kein Team zu seiner Unterstützung.

- Offensichtlich in jeder Hinsicht eine erfolgreiche Frau, sagte Isabelle und fragte sich, ob er wohl etwas mit ihr gehabt hatte.

- Das wird sich herausstellen. Wer weiß, wie es der Firma heute geht. Jedenfalls bin ich gespannt, sie wiederzusehen. Sie wird sich verändert haben, schließlich sind seit unserem letzten Treffen gut zehn Jahre ins Land gegangen. Damals war sie sehr schlank und trug ihr schulterlanges Haar offen. Das stand ihr gut.

- Hoffentlich hat sie dich in guter Erinnerung behalten. Ihre Haare sind jetzt etwas graumeliert. Aber es steht ihr gut. Du bist auch nicht jünger geworden, sagte sie mit etwas anzüglichem Lächeln.

- Wie charmant du heute bist, sagte Guido. Wir sind immer gut miteinander klargekommen. Sonst hatten wir keine engeren Berührungspunkte.

- Das hoffe ich sehr. Schließlich war sie eine Mitarbeiterin deines Klienten. Da wahrt man gehörigen Abstand, sagte Isabelle und sah ihm forschend in die Augen.

- Es gibt bei uns eine eiserne Regel: Don’t put your pen into your Company’s ink. Wir halten uns daran. Es hat sich in den Jahren nicht geändert. Das gehört zu unseren ethischen Standards. In diesem Punkt verstand er keinen Spaß und konzentrierte sich auf die Gästeliste.

- Du weißt jetzt, wer die wichtigsten Gäste sind, fuhr sie fort, denn das kritische Thema wollte sie nicht weiter vertiefen. Es bleibt noch ein weiterer Gast zu erwähnen: Es ist Horst Grünberg, ein Bekannter meines Ex. Er ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. Du wirst ihn wahrscheinlich kennen.

Das Tischtelefon läutete. Isabelle nahm den Hörer ab, klemmte ihn mit der Schulter ans Ohr und nahm instinktiv Haltung an.

- Eilfertig antwortete sie: Wir kommen sofort.

Auf keinen Fall wollte sie den Grafen warten lassen, denn sie wusste, dass er recht ungehalten reagieren konnte, wenn er nur ein paar Augenblicke auf andere warten musste. Sie erhoben sich aus ihren Sesseln und betrachteten sich noch einmal kritisch im großen Wandspiegel, der mit seinem reich geschnitzten barocken Rahmen das Entree zierte und bis zum Boden reichte.

- Isabelle kontrollierte ihre Frisur und den Sitz ihres Kleides: Wie gefällt dir mein Kleid?

- Er betrachte sie aufmerksam und musste nicht schwindeln, denn sie sah wirklich bezaubernd aus: Es steht dir ausgezeichnet, sagte er.

Er erfreute sich an dem Anblick ihrer tadellosen Figur, die durch das gewagte Abendkleid besonders vorteilhaft zur Wirkung kam. Er fand, dass sie sich im Laufe der letzten Jahre durchaus zu ihrem Vorteil verändert hatte. Sie hatte leicht zugenommen und war weiblicher geworden.

Sie lächelte selbstbewusst, denn sie kannte ihre Wirkung auf Männer, wendete sich ihm zu und rückte die Fliege an seinem Smoking-Hemd, die etwas nachlässig auf halb acht zeigte, noch ein wenig zurecht. Zufrieden wandten sie sich zum Gehen und verschlossen die Tür sorgfältig hinter sich. Niemand sollte sich Zugang zu den persönlichen und vertraulichen Beratungsunterlagen verschaffen können. Das allerdings war eher unwahrscheinlich, denn alle Beschäftigten in dem Schloss waren auf Verschwiegenheit und Loyalität gegenüber dem Gastgeber und seinen Gästen verpflichtet. Eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme, auf die Konselmann nirgends und zu keiner Zeit verzichtete.

Also auf in den Kampf! Ein Kampf? Nein, eher ein Wettstreit um die beste Präsentation der eigenen Stärken. Darum ging es. Zu gewinnen war kein Preis, aber soziale Anerkennung und Prestige.

Isabelle führte den Gast die Treppe hinab in den großen Salon mit der Ahnengalerie, in dem schon fast alle Gäste versammelt waren. Graf Ebersbach, schlank, gepflegt und mit leicht graumelierten Schläfen, begrüßte ihn an der weit geöffneten Flügeltür mit einer leichten Verbeugung.

- Herr Konselmann, willkommen in meinem Haus. Ich betrachte es als eine Ehre, Sie in meiner bescheidenen Hütte als Gast empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Sie werden das Wochenende in guter Erinnerung behalten. Treten Sie ein und lassen Sie sich verwöhnen.

Der Graf sagte es mit einem leichten, fast nicht zu bemerkenden ironischen Lächeln. Er repräsentierte ein alt-ehrwürdiges Adelsgeschlecht, das in diesem Schloss seit vielen Generationen residiert hatte. Er spielte seine Rolle mit unaufdringlicher Herzlichkeit. Man konnte sich seiner Führung kaum entziehen. Fast wirkte er wie ein alter General. Vielfach geübt, seinen Gefolgsleuten Befehle zu erteilen, von denen er erwartete, dass sie unverzüglich und widerspruchslos ausgeführt wurden.

Der Berater beobachtete ihn genau. Er war es gewohnt, Menschen zu beurteilen und sorgfältig zu unterscheiden nach solchen, die ihm von Nutzen sein konnten und solche, die für ihn nur Zeitverschwender waren und um die er sich nicht bemühen musste. Zeit war sein kostbarstes Gut. Und Geld natürlich. Und Ansehen. Und Macht, aber darin unterschied er sich nicht von den anderen, die jetzt im gräflichen Schloss versammelt waren. Der Graf war eindeutig der ersten Kategorie zuzurechnen. Er war eine einflussreiche Persönlichkeit, weit über Deutschlands Grenzen bekannt, und er hatte Geld, viel Geld und vor allem Einfluss in gehobenen Kreisen.

- Konselmann verneigte sich dezent. Vielen Dank. Ich bin Ihrer Einladung sehr gerne gefolgt, entgegnete er verbindlich und begann sich unauffällig nach den anderen Gästen umzusehen. Schließlich war er hier, um möglichst viele einflussreiche Menschen kennenzulernen, mit denen er künftig Geschäfte machen wollte.

Die Gäste standen in kleinen Gruppen beieinander und waren, wie es schien, in angelegentlichen Gesprächen vertieft. Der Berater überlegte, in welche Gruppe er sich einordnen sollte, als Graf Ebersbach sich den neu eintretenden Gästen zuwandte und sie auf gleiche Weise begrüßte, wobei er dieselben Worte benutzte. Fast schien es wie ein perfekt einstudiertes Theaterstück. Hunderte Mal inszeniert: Gleicher Ort, gleicher Auftritt, gleiche Beleuchtung, gleiche Regie, jedoch jedes Mal mit etwas anderen Gästen. Und darauf kam es an: Möglichst viele einflussreiche Menschen zu erreichen, um sie als sichere Multiplikatoren für die gehobenen Konsum-Produkte des Hauses zu gewinnen und sie fest an sich zu binden. Ein gutes Essen, erlesene Getränke und ein paar kleinere Aufmerksamkeiten konnten dabei nur hilfreich sein.

Isabelle nahm Guido am Arm und führte ihren Gast in den Kreis der anderen Gäste, die mit einem Glas Champagner in freundlich lockerem Gespräch beisammen standen, sichtlich bemüht, mit Geist und Witz die Aufmerksamkeit und die Bewunderung der Umstehenden zu erringen. Nur wer mit lauter Stimme sprach, konnte die anderen zum Zuhören bewegen und sie beeindrucken. Wichtig war, ein spontanes Gelächter zu bewirken, damit sich die anderen nach dem Urheber der ausgelassenen Heiterkeit umdrehten. Und dann dachten sie etwas neidisch, sie wären gerne ein Teil dieser Gruppe, um ebenfalls so heiter und unbeschwert lachen zu können

- Isabelle klopfte an ihr Glas und ergriff das Wort: Meine Damen und Herren. Darf ich Ihre angeregte Unterhaltung kurz unterbrechen, ich möchte Sie mit meinem Studienfreund Guido Konselmann, Partner der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner aus Düsseldorf, bekannt machen.

Der Berater quittierte die Bemerkung mit einem bescheidenen Lächeln und leicht angedeutetem Kopfnicken. Kritische Musterung der Gäste von oben nach unten: Tadellos sitzender Smoking, schwarze Schuhe, gepflegte Erscheinung mit schwarzem Haar. Nicht zu lang und nicht zu kurz: Gerade richtig und dem festlichen Rahmen angepasst. Elegant, erfolgsgewohnt, sicher in seinen geschliffenen Umgangsformen. Keineswegs arrogant, sondern eher bescheiden und sympathisch.

Sie fuhr fort, indem sie sich der Gruppe zu ihrer Rechten mit einer leichten Handbewegung zuwandte:

- Herr Sämann, Inhaber der Firma Sämann in München und seine Schwester Ingrid Sämann. Sie leitet das Elisabeth-Krankenhaus am Tegernsee.

Der Senior mit fast weißem, sorgfältig gescheiteltem Haar war etwas untersetzt und mochte wohl etwa Ende sechzig oder sogar Anfang siebzig sein. Reserviert und jovial Eine anziehende Persönlichkeit, die Aufmerksamkeit und Respekt forderte. Seine Begleitung, eine gut aussehende, ihm auffallend ähnliche, sehr vorteilhaft gekleidete Frau mit leicht ergrautem Haar, sah deutlich jünger aus als er. Offenbar besuchte sie regelmäßig das Fitness-Studio. Sie hielt sich kerzengrade und betont aufrecht. So schien sie größer als ihr Bruder, der etwas gebeugt und unsicher stand.

Konselmann musterte sie eingehend: Sie schien herrisch, unnahbar, abweisend und kalt zu sein. Aber vielleicht war das nur Fassade, um ein weiches Herz zu verdecken. Er würde versuchen, sie in ein Gespräch zu ziehen. Wer weiß, welchen Einfluss sie auf ihren Bruder hat. Es gab verschiedene Anknüpfungspunkte für eine Unterhaltung, denn im Bereich der Krankenhäuser hatte sein Beratungsunternehmen allerlei Erfahrungen gesammelt. Vielleicht wäre von ihr ein Auftrag zu bekommen? Aber sein Interesse konzentrierte sich erster Stelle auf das Stammhaus der Firma Sämann. Hier setzte er den Hebel an. Er musste Prioritäten setzen.

Isabelle fuhr mit der Vorstellung ihrer Gäste fort:

- Diese charmante Dame ist Herrn Sämanns Tochter Julia.

Sie war wirklich sehr attraktiv, wie Konselmann feststellte, vielleicht sogar noch anziehender, als er sie vor Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war deutlich gereift und noch anziehender geworden: Ihr Gesicht war von der Sonne gebräunt, ihre ganze Erscheinung sportlich und offenbar durchtrainiert, schlank. Ihr langes blondes Haar fiel ihr leicht gescheitelt auf die Schultern.

- Der Berater betrachtete sie aufmerksam und sprach sie lächelnd an: Frau Sämann, ich freue mich, Sie in hier aus diesem festlichen Anlass wiederzusehen, sagte er. Ich bin sehr gespannt, wie es Ihnen mit Ihrem jungen Unternehmen in der Zwischenzeit ergangen ist, seitdem wir uns das letzte Mal gesprochen haben.

- Julia lächelte selbstsicher und verbindlich: Ich berichte Ihnen gern, wenn wir mehr Zeit haben, und ich freue mich, auch von Ihnen zu hören, was Sie so machen. Noch immer viel unterwegs?

- Ja, immer auf Achse. Man kann nur vor Ort für die Klienten arbeiten. Man muss mit ihnen zusammenarbeiten. Nur so kann man etwas bewirken. Nur positive Veränderungen bringen unsere Klienten voran. Auch wir brauchen den Erfolg unserer Klienten.

- Isabelle wandte sich dem nächsten Herren, der etwas abseits stand, zu: Horst Grünberg, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Hessischen Landtag. Gleichzeitig ist er Vorsitzender der hiesigen Arzneimittelbehörde und in dieser Eigenschaft zuständig für die Prüfung und Zulassung von Arzneimitteln. Sie werden ihn bestimmt kennen. Fast jeden Tag ist sein Bild in der Zeitung.

Etwas ungelenke Verbeugung des noch ziemlich jungen Mannes mit schwarzem Kraushaar und stechenden, fast fanatisch wirkenden Augen. Offenbar schien er sich im lässigen weißen Rollkragenpullover unter dem karierten Jackett in diesem Kreis nicht richtig wohlzufühlen, wie man an seiner leicht nach vorne gebeugten Haltung erkennen konnte.

Im Übrigen waren die Herren sämtlich im Smoking erschienen. Die Damen teilweise im langen Abendkleidern,. Sehr elegant. Die Begrüßung zwischen Grünberg und Konselmann fiel etwas knapp und förmlich aus, als ob man sich gegenseitig taxiert hätte und zu einer abwartend zurückhaltenden Beurteilung gekommen sei.

Die restliche Gruppe wandte sich belanglosen Themen über das aktuelle Wetter und die letzte Reise in weit entfernte und noch weitgehend unbekannte Gegenden der Dritten Welt zu und tauschte Höflichkeiten aus. Eine Fahrt mit einem Forschungsschiff in die Antarktis erweckte Aufmerksamkeit. Es ging um die Beobachtung von Vögeln, Pinguinen, Robben und Eisbären. Nur mit knapper Not sei man einer gefährlichen Berührung mit einem Eisberg entkommen wurde mit Enthusiasmus berichtet. Die Zuhörer waren sich nicht sicher, wo Phantasie oder Erlebtes endeten oder begannen. Gleichviel: Die Aufmerksamkeit war ihm sicher. Ein belangloses Abenteuer, eine beliebige Erzählung, aber lebhaft vorgetragen.

Julia berichtete von Ihrer Forschungsarbeit in Nicaragua. Konselmann versuchte, sie ins Gespräch zu ziehen, um mehr von ihr über Land und Leute zu erfahren. Vor allem wollte er ihre Stellung in der Firma Sämann und ihre persönlichen Lebensumstände wissen. Zum Beispiel, ob sie fest liiert sei. Aber dazu kam es nicht, denn sie war ständig von anderen Gästen umlagert. Also konnte er seinen Wissensdurst nicht stillen. Er musste auf eine andere Gelegenheit hoffen.

Es wurden Aperitifs gereicht. Jeder nur erdenkliche Getränkewunsch wurde erfüllt. Meistens wählten die Gäste höflicherweise den Champagner des Hauses, aber auch Sherry und alter Portwein wurden geboten. Alles vom Besten und Feinsten, auf silbernen Tabletts mit leichter Verbeugung vollendet serviert. Dazu leichtes Gebäck aus der Gegend, passend zu dem jeweiligen Getränk.

Ein angeregtes Lachen aus der anderen Gruppe, die im lockeren Gespräch am Fenster stand, wurde unterbrochen, als Graf Ebersbach mit einem kleinen Löffel gegen sein Glas schlug und das Wort ergriff:

- Meine Damen und Herren, ich darf Sie zu Tisch bitten und hoffe, dass wir jeden von Ihnen mit unserem Angebot zufrieden stellen können. Ich darf Ihnen versichern, unsere Köche haben sich für Sie ganz besondere Mühe gegeben. Im Übrigen finden Sie auf dem Tisch kleine Tischkarten. Wir haben uns erlaubt, Ihr freundliches Einverständnis vorausgesetzt, die Paare getrennt voneinander zu platzieren, damit Sie sich gegenseitig besser kennenlernen können, neue Freundschaften knüpfen und alte vertiefen können.

Beifälliges Murmeln der Gäste.

Der Graf fuhr fort:

- Sie werden es mir nachsehen, dass ich an dem Essen selbst nicht teilnehmen kann, da ich noch heute Abend nach Berlin zu einem Empfang beim Bundespräsidenten fahren muss. Unvermeidliche Verpflichtungen, Sie verstehen. Ich bedaure dies ausdrücklich, denn ich hätte mich lieber mit Ihnen als den besonderen Freunden unseres Hauses unterhalten. Dennoch wünsche ich Ihnen gute Gespräche und vor allem guten Appetit.

Mit leichter Verbeugung verließ er den Raum. Isabelle kannte die Rede in- und auswendig. Noch nie hatte der Graf an einem solchen Routine-Dinner teilgenommen, denn jedes Mal hatte er beim Präsidenten – wer es auch immer war – einen unaufschiebbaren Termin gehabt. Man bedauerte dies pflichtschuldigst und studierte mit Interesse die Tischordnung, die auf einem separaten Tisch gleich neben der Tür ausgelegt war.

Isabelle hatte Guido als ihren Tischherren ausgewählt, was ihm einerseits sehr recht war, denn sie hatten viel zu besprechen. Andererseits saß er zu weit von Julia entfernt, um auch nur ein kleines, persönliches Gespräch anzufangen. Immer befand sich irgendjemand zwischen ihnen. Er hatte sogar den leisen Verdacht, dass Isabelle ihn absichtlich von Julia entfernt platziert hatte. Er wusste aus früheren Begegnungen, dass sie eifersüchtig sein konnte. Außerdem vertrug sie keine attraktiven Frauen neben sich, zumal wenn interessante Männer in ihrer Nähe waren.

Das Essen war vorzüglich und bestand aus mehreren Gängen, begleitet von erlesenen Weinen. Die kleinen Pausen boten genügend Gelegenheit, sich miteinander zu unterhalten. Aber wie es bei solchen Gelegenheiten zumeist der Fall ist, wurden nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. Im Wesentlichen ging es nur darum, sich selbst richtig ins Bild zu setzen.

Die eine oder andere wohlklingende Rede wurde gehalten. Am Schluss folgte die unvermeidliche Damenrede. Isabelle hatte Konselmann als Redner ausgewählt, weil er der jüngste, unverheiratete Mann im Raum war. Er erhob sich, straffte sich und blickte der Reihe nach jeder Frau mit einem leichten Lächeln ins Angesicht. In eleganten Anspielungen auf die Schönheit der anwesenden Damen zeigte sich Geist und klassische Bildung des Redners. Im Grunde war es gleichgültig, was gesagt wurde; es kam nur darauf an, wie es gesagt wurde. In feinsinnigen Redewendungen bemühte er klassische Schönheiten vom göttlichen Olymp wie Aphrodite, Athene und Hera und war zufrieden, dass er sich nicht in der Rolle des Paris befand, der die Schönste der anwesenden Damen zu beurteilen hatte. Als er geendet hatte, fand seine blumenreiche Rede allgemeinen Beifall und Zustimmung besonders der Damen. Er hatte einen glänzenden Eindruck hinterlassen.

Man erhob sich und ging in den Salon. Nun wandte er sich den Herren zu, von denen er Ansätze zu künftigen Aufträgen erhoffte.

Der Berater ging von Gruppe zu Gruppe und erwies sich als gewandter Gesprächspartner. Unglaublich, dachte Isabelle, während auch sie von Gruppe zu Gruppe wechselte, wie er die Leute einzuwickeln versteht. Mit seinen Andeutungen, mit seinem Gehabe, mit seiner Körpersprache, die er wirkungsvoll einzusetzen versteht, erregt er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Wenn die wüssten, dachte sie, wie wenig hinter der Fassade steht. Er hat Ähnlichkeit mit meinem Ex-Mann, dachte sie, aber sie würde sich nicht noch einmal von einem Mann vor seinen Karren spannen lassen. Sie würde es allen zeigen, wer der Intelligenteste unter ihren Mitmenschen war: Wer letztlich der Triumphator sein würde. Aber Konselmann wäre ein härterer Brocken, den zu knacken nicht leicht sein würde. Jedenfalls war Vorsicht geboten, denn sie könnte sich die Zähne an ihm ausbeißen.

Der Berater war ein Profi seines Fachs. Er spielte souverän auf dem Klavier der harmonischen Beziehungen. Vorerst ging es um Isabelle. Sie galt es zu gewinnen. Mit ihr würde er berufliche Informationen teilen und die ihren nutzen. Sie würde das Wissen für sich behalten, nützte ihr doch sein elegantes Auftreten, denn sie würde sich an ihn binden, würde mit ihm gemeinsam an ihrem eigenen Erfolgskonzept arbeiten. Auch er könnte ihr von Nutzen sein. Nur gemeinsam würden sie es schaffen. Sie würde ihm helfen, und er würde ihr helfen. Sie würden sich die Bälle gegenseitig zuspielen und müssten nur aufpassen, dass keiner zu Boden fiel. Sie glichen einem Jongleur-Paar, das mit vielen Bällen spielte und sie zur gleichen Zeit mit wechselnder Höhe in der Luft hielt.

Was suchte sie? Wohlstand, Reichtum, Macht? Nicht nur. Sie wollte sich an ihrem Mann rächen, der sie mit seiner Sekretärin betrogen und sie anschließend verlassen hatte. Dabei hatte sie ihn beruflich unterstützt, was auch immer er tat. Sie hatte sich im Hintergrund gehalten, wie er es von ihr verlangt hatte. Das war der Preis für den Adelstitel, den er ihr durch die Heirat verschafft hatte. Dabei hatte sie ihm oft aus finanziellen Schwierigkeiten geholfen, wenn er wieder einmal Geld bei dubiosen Geschäften verloren hatte. Jahrelang hatte sie die Zeche gezahlt und geschwiegen. Das war nun ein für alle Mal vorbei. Sie suchte das Vergessen, den Neubeginn, die Herausforderung, das Unbekannte. Sie suchte ihren eigenen Weg, der ihr bisher verborgen geblieben war. Sie suchte die Nähe zu einflussreichen Männern, die sie für ihre Zwecke nutzen würde.

Dafür schien Graf Ebersbach genau der richtige Mann zu sein. Aber sie wollte nicht mehr von ihm herumgestoßen und gegängelt werden, wollte nicht nur die elegante Begrüßungsdame des Grafen sein, sondern wollte ihren Einsatz selbst bestimmen. Und für den großen Geschäftserfolg brauchte sie einen Partner: Guido Konselmann. Das war der Mann, der ihr helfen und der das fehlende Wissen über betriebliche Details liefern konnte. Wenn sie ihm half, würde er ihr helfen: Ein fairer Deal, davon war sie überzeugt. Ein Bündnis auf Gegenseitigkeit. Doch so einfach schien die Rechnung nicht aufzugehen. Sie hatte etwas Wichtiges übersehen.

Das Doppelkonzert

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