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Prolog

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Endlich erreichte Guido Konselmann das Schloss des Grafen Ebersbach, bog scharf rechts in die Einfahrt und passierte die mächtigen Säulen mit dem schmiedeeisernen Tor. Die weißen Kieselsteine, die den Neptun-Brunnen mit sorgfältig gepflegten Blumenrabatten einfassten, knirschten unter den Reifen. Sie hinterließen hässliche Bremsspuren, als der schwere BMW vor dem Eingangsportal zum Stehen kam. Es war spät geworden, und er war wie immer in Eile. Ein beständiger Kampf gegen die Zeit.

Ein Diener eilte die Stufen hinunter, öffnete mit leichter Verbeugung die Fahrertür:

- Herr Konselmann, willkommen auf Schloss Ebersbach. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.

Der Fahrer stieg aus, reckte die müden Glieder, als wolle er eine Hantel stemmen, öffnete die hintere Wagentür, zog sein Boss-Jackett über und sagte, ohne sich umzusehen:

- Danke, alles bestens.

- Darf ich um Ihren Wagenschlüssel bitten?

- Steckt, rief der Berater beiläufig über die Schulter, griff seinen Laptop und wandte sich der nach unten breit ausladenden Schlosstreppe zu. Er schien in Eile zu sein als ob er fürchtete, zum Abendessen zu spät zu kommen. Nicht, dass er Hunger verspürt hätte, aber er wollte nichts versäumen, vor allem die offizielle Begrüßung der Gäste durch den Grafen nicht. Er wollte präsent sein und gesehen werden.

Der Diener nahm den Schlüssel. Wie selbstverständlich öffnete er den Kofferraum und nahm die Reisetaschen. Er wollte auch den Laptop nehmen, aber der Berater wehrte ab.

- Danke, den Laptop nehme ich selbst.

Er eilte mit elastischen Schritten die Treppe nach oben.

Eine elegant im eng anliegenden schwarzen Abendkleid gekleidete Dame erwartete ihn an der Eingangstür. Es war Isabelle.

- Hallo Guido, schön, dass du endlich da bist. Wir erwarten dich seit einer Stunde und waren schon etwas beunruhigt, ob dir vielleicht etwas passiert sei.

Mit federnden Schritten eilte er die restlichen Stufen hinauf:

- Ich freue mich, dich zu sehen. Nur eine leicht angedeutete Umarmung, als ob sie niemand sehen sollte. Nein, es ist mir nichts passiert, sagte er noch immer gehetzt, aber der Feierabendverkehr zum Wochenende ist ziemlich heftig. Sonst ist alles in Ordnung. Ich weiß, ich bin etwas spät dran. Viele Staus auf den Autobahnen haben mich behindert. Damit hatte ich nicht gerechnet.

- Jedes Jahr wird es schlimmer – es ist Freitag. Das schöne Wetter lockt viele Menschen zum Ausflug, antwortete sie verbindlich, aber mach dir keine Gedanken, du bist nicht der Letzte. Wir erwarten noch weitere Gäste. Lass dir Zeit. Du wirst eine anstrengende Woche hinter dir haben. Entspann dich und fühl dich bei uns wie Zuhause.

Sie winkte dem Boy, der sich diskret im Hintergrund aufgehalten hatte, gab ihm die Zimmerschlüssel und wies auf das Gepäck, das aus einem Samsonite-Koffer, einer brauen Gabbiano-Aktentasche aus weichem Rindsleder und dem unvermeidlichen Laptop bestand, den der Berater nie aus den Händen gab. Er enthielt wichtige Geschäftsunterlagen, Gesprächsnotizen, Geschäftspläne seiner Klienten, vertrauliche Bilanzen sowie Kapitalanlagen in Liechtenstein und Vaduz. Sie durften keinesfalls in fremde Hände gelangen.

- Der Boy ging voraus: Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich darf Ihnen Ihr Appartement zeigen.

Der junge Mann stieg die geschwungene Marmortreppe zwischen den goldenen Engeln hinauf und Konselmann folgte ihm. Am Ende des mit einem beigen Teppich belegten Gangs öffnete der Boy die Tür zu einem geräumigen Zimmer, in dessen Mitte ein kleiner Tisch mit Intarsien und bronzenen Beschlägen an den geschwungenen Beinen. Vier Empire-Stühle umstanden den Tisch. Darauf stand zur Begrüßung ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner: Ebersbach Brut. Dazu zwei Sektgläser aus geschliffenem Glas. Von der langen Fahrt ermüdet, konnte er es kaum erwarten, einen erfrischenden Schluck zu nehmen. Etwas erschöpft ließ er sich auf einen Sessel fallen.

Noch weitere Sessel, mit hell rosa gestreifter Seide bespannt, standen locker im Raum gruppiert, als erwarteten sie weitere Gäste. Ein Kamin war mit Holzstücken zum Anzünden vorbereitet, was bei den sommerlichen Temperaturen sicher nicht erforderlich war. Auf der Marmor-Umrandung eine vergoldete Uhr mit einem stolzen Reiter, ein Banner in der Hand. Wahrscheinlich ein siegreicher Heerführer nach gewonnener Schlacht. Ein Kristalllüster mit vielen Prismengläsern und mattleuchtenden Glühlampen, hing von der Stuckdecke. Die Lampen wären nicht nötig gewesen, denn an der Längsseite des Raumes befanden sich zwei Fenster, deren schwere Gardinen die Strahlen der Abendsonne abschirmten. Durch einen Spalt drang weiches, diffuses Licht in den Raum, das die verspielte Anmut des Zimmers unterstrich. Zwischen den Fenstern stand etwas verloren ein kleiner Schreibsekretär mit Einlegearbeiten aus verschiedenfarbigen Hölzern, die eine Schäfer-Szene darstellte: Ein junges Schäferpaar inmitten einer Herde von Schafen. Wie angenehm und heiter das Landleben war. Nicht zu vergleichen mit dem hektischen Leben eines Beraters. Vielleicht sollte er wirklich etwas anderes machen.

Der Diener wartete geduldig an der Tür. Er hatte kein Trinkgeld bekommen, auf das er nicht verzichten wollte. Mit der Hand wies er auf eine Tür: Diese Tür führt zu Ihrem Schlafzimmer, die andere zum Badezimmer. Er ließ den Gast einen Blick hineinwerfen.

- Sehr schön, danke.

- Wenn es Ihnen recht ist, dann erwartet Sie der Graf zum Aperitif um halb acht unten im Salon.

- Danke. Dann kann ich mich noch etwas frisch machen.

Er konnte es kaum erwarten, den Schweiß des anstrengenden Tages abzuduschen und das Hemd zu wechseln. Es war eine lange und heiße Woche gewesen. Endlose Meetings, viele Reisen und kaum zu Hause. Termine jagten sich. Wenig Schlaf. Der reine Wahnsinn! Aber er hatte es so gewollt und beklagte sich nicht.

Der Boy stand noch immer wartend an der Tür:

- Und wenn Sie etwas brauchen, dann ziehen Sie bitte an dieser Schnur. Wir werden bemüht sein, Ihnen den Aufenthalt in unserem Hause so angenehm wie möglich zu gestalten, wobei er auf eine Kordel mit einer angehängten Quaste zeigte, die seitlich an der Tür hing. Damit verbeugte er sich und verließ den Raum, nachdem er ein reichliches Trinkgeld empfangen hatte.

Der Berater hatte schon in vielen Spitzenhotels der Welt übernachtet, aber so einen Luxus hatte er noch nicht erlebt. Mit Interesse betrachtete er das Sideboard etwas genauer. Ganz sicher von Charles Boule vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Er kannte sich mit Antiquitäten aus: Schildpatt, Elfenbein und Metalle aus Zinn und vergoldeten Bronzeapplikationen, aufs Sorgfältigste mit Edelhölzern kombiniert. Kostet ein Vermögen, dachte er, für solche Möbel hatte sich der Adel damals immens verschuldet, aber Graf Ebersbach sicher nicht. Ja, so reich müsste ich sein, dann könnte ich mir auch solche Möbel leisten und jeden Abend Champagner trinken. Mit derartigen Gedanken öffnete er die Flasche, füllte sein Glas, nahm einen kräftigen Schluck, genoss das leichte Prickeln auf der Zunge. Fast etwas zu hastig leerte er das Glas und stellte es auf den gleichfalls mit Intarsien belegten Tisch zurück. Der gut gekühlte Champagner tat ihm gut, belebte seine Sinne und ließ ihn den Tag vergessen.

Die Brokatvorhänge schob er vorsichtig auf die Seite. Ein letzter Abendgruß der Sonne zwängte sich durch den Spalt herein und gab den Blick auf den kunstvoll gestalteten und sorgfältig gepflegten Garten mit filigranen Blumenrabatten frei. Einige Statuen zierten die Ecken. Wahrscheinlich handelte es sich um griechische Götter und Göttinnen. Sicher waren auch Helden dabei, die sich ihren festen Patz in der Geschichte erobert hatten. So einen Platz an der Sonne wollte er auch gewinnen durch Stärke, Entschlossenheit und Klugheit.

Seine Gedanken schweiften zurück in die Zeit seines Studiums, als er finanziell in sehr beengten Verhältnissen gelebt hatte. Nie reichte das Geld für das Benzin seines ziemlich betagten Motorrollers. Es war eine Vespa, die er liebevoll pflegte.

Eines Tages hatte er Isabelle von Stephano kennengelernt, die ihn gelegentlich als Sozia auf dem Rücksitz begleitete. Sie hatten gemeinsam den Grundlagenkurs für Finanzmathematik belegt. Verstohlen hatte er sie in den Vorlesungen angesehen und das nicht zuletzt, weil sie mit ihrem langen schwarzen Haar sehr attraktiv und dabei so unnahbar schien. Er wagte nicht, sie direkt anzusprechen, denn sie schien wohlhabend zu sein, weil sie stets sehr gepflegt, aber schwarz gekleidet war, während er ausnahmslos in seinen alten Jeans zu den Vorlesungen kam. Er litt unter dem Mangel seiner bescheidenen Herkunft und an Geld. Er hätte seine Kommilitonin gern zum Essen eingeladen oder wenigstens zu einem Drink. Aber er konnte sich keine Einladung in den angesagten Lokalen leisten. Der Besitz von Geld schien ihm ein nicht zu unterschätzender Vorzug. Er schwor sich, künftig viel Geld zu verdienen und vor allem nicht mehr arm zu sein. Darauf war vor allem sein Studium ausgerichtet, nur deshalb hatte er Betriebswirtschaft gewählt, während er am liebsten Chemie studiert hätte, doch das hätte zu lange gedauert.

Gelegentlich traf er Isabelle in der Mensa. Sie tranken Kaffee aus einem Pappbecher. Er wollte sie kennenlernen, mehr über sie erfahren, und auch sie schien nicht abgeneigt zu sein, denn er war sportlich und gut durchtrainiert. Jedenfalls war er eine auffallende Erscheinung. Zudem zählte er zu den besten des Jahrgangs. So fanden sie schnell eine persönliche Basis. Isabelle hatte vor kurzem ihren Mann bei einem Autounfall während eines Rennens mit historischen Autos verloren. Das Fahrzeug gehörte dem Grafen Ebersbach. Die Untersuchung des Unfallfahrzeugs hatte ergeben, dass die Bremsen ihre hydraulische Flüssigkeit verloren hatten. Deshalb war er in einer Kurve ungebremst in den Abgrund gerast. Er war sofort tot. Isabelle trauerte mehrere Wochen. In dieser Zeit kleidete sie sich ausschließlich in schwarz, fand dann aber allmählich wieder zu einem normalen Leben zurück. Sie suchte neue Bekanntschaften, schien aber unnahbar.

Guido bemühte sich um ihre Nähe, indem er ihr seine Mitschriften der Vorlesungen gab. Sie verabredeten sich zum gemeinsamen Lernen, aber das studentische Leben lockte. So legten sie die Bücher zur Seite. Die Wissenschaft konnte warten. Voller Tatendrang streiften sie durch die angesagten Lokale in Schwabing. Oft waren ihre Studien-Kollegen dabei. Insbesondere Bernd, Heinz und Günther, die nach dem Examen den Börsenzirkel: Börsengurus gegründet hatten.

Nach wenigen Wochen traf er sich mit Isabelle zu gemeinsamen Ausflügen in die Umgebung: Sie besaß einen blauen VW-Käfer, ein unerhörter Luxus. Sie besuchten die Königsschlösser des menschenscheuen, romantischen König Ludwig II., machten Wanderungen in den Bergen oder mieteten sich ein Segelboot am Starnberger See. Sie verstanden sich gut und sie kamen sich näher. So nach und nach überwand sie ihre Trauer. Guido kaufte ihr in Mittenwald einen weiten bunten Rock und eine weiße Bluse. Sie gewann ihre natürliche Fröhlichkeit und ihr bezauberndes Lächeln zurück. Sie hatte eine Eigentumswohnung in München, während er nur eine bescheidene Studentenbude bewohnte. So ergab es sich, dass er den einen oder anderen Abendbummel in ihrer Wohnung beendete.

Gemeinsam bereiteten sie sich auf das Examen vor. Da sie beide ehrgeizig waren, setzten sie alles daran, ein Prädikatsexamen zu erreichen. Sie schafften es. Beide bestanden ihr Examen mit einer Eins vor dem Komma. Damit gelang ihnen der Start ins Berufsleben ohne größere Probleme. Sie konnten sich die Firma aussuchen, für die sie arbeiten wollten. Ihre Wege trennten sich.

Er begann seine Karriere als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens in einem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen in Niederbayern. Ein paar Jahre verbrachte er mit der Erstellung von Bilanzen und Budgets. Er langweilte sich angesichts der ständig gleichbleibenden Aufgabenstellung, suchte eine echte Herausforderung in einem anspruchsvollen Aufgabengebiet und wollte Verantwortung übernehmen. Als er für sich in der Firma keine Aufstiegschancen sah, wechselte er zu der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner mit Sitz in Düsseldorf.

Isabelle wurde Mitarbeiterin der Hauses Graf Ebersbach und übernahm nach kurzer Zeit die Vertriebsleitung für Weine, Champagner und Spirituosen. Sie war sehr erfolgreich. Aufgrund ihres gewinnenden Charmes bezauberte sie die Menschen, schaffte Vertrauen und nahm sie für sich ein. Sehr bald erkannte der Graf ihre Stärke in der Akquisition. Er übertrug ihr die Leitung des Champagner-Vertriebs. Die Aufgabe war ihr förmlich auf den Leib geschnitten. Die Männer suchten ihre Nähe und hofften, sie eines Tages zu besitzen. Sie aber wahrte die gebotene Distanz. Nie gestattete sie zweideutige Anzüglichkeiten in ihrer Nähe. Ihre positive Ausstrahlung hatte viel von dem elitären Produkt, das sie vertrieb. Das köstliche Prickeln des Champagners, das prickelnde Gefühl des Geldes sowie die elitäre Welt des Hochadels, der Schönen und der Reichen. Das war ihr Leben. Hier fühlte sie sich Zuhause.

Und doch fehlte ihr etwas: Man könnte es wohl am besten mit Geborgenheit beschreiben. Darin zeigte sich ein gewisser Widerspruch in ihrer Persönlichkeit: Während sie auf der einen Seite dominant – zuweilen auch herrisch – wirkte, war sie im Innersten weich, anpassungsfähig und liebebedürftig. Diese Seite blieb weitgehend im Verborgenen, als fürchtete sie, ihre harte Schutzschicht könnte zerbrechen. Wohl auch aus diesem Grunde hatte sie niemanden, der zu ihr gehörte. Das fehlte ihr, gab ihr aber auch gleichzeitig Unabhängigkeit. Sie kannte, weil sie gut aussah und sexy war, viele Männer. Es fiel ihr leicht, Kontakt zu anderen Menschen vor allem zu Männern, aufzubauen,. Mit Frauen verhielt es sich anders, denn sie betrachteten sie in gewisser Weise als Konkurrentin; in mancher Hinsicht sogar als Bedrohung.

Der Graf kannte und schätzte ihre unbestreitbaren Vorzüge. Er unterwies sie in der schwierigen Materie der Investmentfonds, der Steuersparmodelle und der Hedgefonds. Sie lernte schnell, und er betraute sie mit dem Verkauf von Aktienfonds, Schiffsfonds und Steuersparmodellen, die er finanzierte. Die Verbindung zwischen Champagnerverkauf und dem Verkauf von Investment-Zertifikaten war durchaus sinnvoll, denn sie bediente die gleichen oder wenigstens miteinander verwandten Kundenkreise.

Einige Jahre arbeitete sie für den Grafen und verkaufte Schiffsfonds und Steuersparmodelle. Das Geschäft entwickelte sich zufriedenstellend, das heißt, sie verdiente gut, kaufte sich schnelle Sportwagen und extravagante Kleidung. Aber sie fühlte sich abhängig und litt unter einem beruflichen Defizit: Sie hatte nie ein größeres Unternehmen von innen kennengelernt, sie wusste nichts über die internen Mechanismen der Macht, der Organisation und der Abläufe. Im Großen und Ganzen konnte sie Bilanzen lesen, und sie wusste, dass der Gewinn auf der Passivseite der Bilanz stand, wusste aber nicht so genau warum, und wie die Zahlen zustande gekommen waren.

Im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit wurde sie von ihren Kunden und Investoren immer wieder um Rat gefragt, den sie nicht wirklich fundiert geben konnte. Dieses Defizit versuchte sie auszugleichen. Daraus entstand die Gewohnheit, ihren langjährigen Freund Guido Konselmann, von dem sie wusste, dass er Unternehmensberater war, um Rat zu fragen. Daraus entwickelte sich eine Art Partnerschaft, allerdings ohne irgendwelche festen Bindungen. Dauerhafte Vereinbarungen und Bindungen wollte sie nicht eingehen, jedenfalls jetzt noch nicht. Das widersprach ihrem Wesen. Sie wollte selbständig sein und unabhängig agieren. Sie wollte niemandem Rechenschaft schuldig sein, wenn sie abends ausging oder auf Reisen ging. Und doch konnte es für sie nur von Vorteil sein, eine lose Verbindung einzugehen, in der sie in irgendeiner Form zum beiderseitigen Vorteil mit einem geeigneten Partner zusammenarbeiten würde.

Und gerade jetzt war ein Ereignis eingetreten, das sie veranlasst hatte, über ihre berufliche und private Situation noch einmal nachzudenken: Der Graf hatte ihr angeboten, sich als Finanzmaklerin selbstständig zu machen. Das schien ihr vielversprechend zu sein. So wurde sie weitgehend unabhängig und arbeitete in ihre eigene Tasche. Sie zog nach Frankfurt um und kaufte sich eine große Eigentumswohnung.

Seitdem waren sich Isabelle und Guido näher gekommen. Soweit es ihre Zeit erlaubte, trafen sie sich entweder in Frankfurt oder bei ihm in Düsseldorf. Isabelle kannte in Frankfurt und in den umliegenden Dörfern fast alle Bars und gehobenen Restaurants, in denen Champagner aus ihrem Hause getrunken wurde, und sie hatten den Konsum aktiv und nach besten Kräften und zum Nutzen des Hauses Ebersbach unterstützt.

Eines Tages hatte er eine Einladung zum Dinner ins Schloss des Grafen Ebersbach bekommen. Eine Auszeichnung, die nur wenigen Menschen zuteil wurde. Man musste schon einiges Geld für Champagner oder andere gehobene Events ausgegeben haben, um in dieses elitäre Anwesen eingeladen zu werden. Er gehörte zu dieser Gruppe der Multiplikatoren, leerte ein weiteres Glas Champagner und genoss auf dem bequemen Sessel mit wuchtigen Bronzebeschlägen den ungewohnten Augenblick der Ruhe. Was würde der Abend bringen? Neue Kontakte, um neues Geschäft zu generieren? Das war seine Hoffnung, und er würde alles tun, um dies Ziel zu erreichen. Wenn darüber hinaus noch eine schöne Frau – sozusagen als Zugabe – dabei wäre, umso besser. Er mochte schöne Frauen und schätzte die Abwechslung. Vielleicht gerade deshalb war er nicht verheiratet. Die Frauen machten es ihm leicht, suchten seine Nähe, gingen mit ihm in die Oper, ließen sich von ihm aushalten, gewährten ihm, was er sonst noch suchte, und er brauchte sich nicht zu binden. Keine langfristigen Bindungen war seine Devise. Er liebte die Herausforderung, liebte die Chancen und vielleicht sogar auch das Spiel mit dem Feuer. Eine neue Beziehung brachte neue Reize und neue Erfahrungen. Nichts verabscheute er mehr als Routine. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Das Neue und Unbekannte reizte ihn. Vor allem aber suchte er den Erfolg: Weiter, höher, unaufhaltsam vorwärts streben, nie anhalten und nie zurückschauen. Macht, Einfluss, Anerkennung, sicher auch Geld, das zum gehobenen Lebensgefühl dazugehörte. Geld war für ihn nicht Selbstzweck, sondern es war Mittel zum Zweck. Er suchte Vollkommenheit, Perfektion und die Herausforderung, an der er seine Kräfte erproben konnte. Um diese Ziele zu erreichen, wurde er von beständiger Arbeitswut getrieben. Das spielerische Genießen und fröhliche Feiern lag ihm fern. So würde es auch an diesem Abend sein, an dem das Feiern als Mittel zum Zweck angesehen werden konnte.

Es wurde Zeit, sich für den Abend zurechtzumachen: Duschen, frische Wäsche, Smoking, weißes Hemd, schwarze Fliege, weißes Tuch in der Brusttasche, etwas locker, wie zufällig gesteckt, schwarze Lacklederschuhe. Ein kurzer Blick in den Spiegel, der seitlich in der Ecke stand und den Raum optisch vergrößerte. Er betrachtete sich nicht ohne Eitelkeit. Der Smoking saß perfekt – er hatte ihn kurz zuvor von seinem Londoner Schneider anfertigen lassen – das leicht gewellte dunkle Haar, welches an den Schläfen fast unmerklich grau zu werden begann, sorgfältig zurückgekämmt. Er straffte sich, zog den sich leicht andeutenden Bauch ein, und fand, dass er noch immer recht passabel aussah, obwohl ihm ein paar zusätzliche Trainingsstunden im Fitness-Center gut bekommen würden. Er war, wie man sagt, eine gute Erscheinung, durchaus auf Wirkung bedacht und sich seiner zwingenden Ausstrahlung bewusst. Er war zum Empfang bereit. Erwartungsvoll blickte er auf die Standuhr.

Kurz nach halb acht Uhr klopfte jemand an seine Tür.

Das Doppelkonzert

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