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Berater im Rampenlicht

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Nach dem Essen trafen sich die Damen und Herren auf der Veranda zu einem Glas Cognac oder Champagner. Einige Herren rauchten vorzügliche Zigarren aus Kuba. In kleinen Gruppen standen sie in lockerem Gespräch beisammen. Seltene Perserteppiche aus reiner Seide bedeckten den Boden. Indirektes Licht erhellte den Raum. Die Bilder stellten überwiegend ländliche Szenen am Ufer einer Flusslandschaft mit Ruinen im Hintergrund auf bewaldeten Höhen dar.

Konselmann gesellte sich zum Ehepaar Pauli sowie Wolfgang Sämann, dessen Schwester Ingrid und seiner Tochter Julia. Sie schienen im angeregten Gespräch vertieft zu sein. Kaum wagte er, es zu unterbrechen und wollte nicht unhöflich sein. Etwas zögerlich näherte er sich der Gruppe.

Er wurde von Herrn Pauli lebhaft begrüßt:

- Herr Konselmann, es freut mich, dass wir uns hier in diesem Kreise wiedersehen. Wir haben lange nichts voneinander gehört.

- Ich war zu beschäftigt, aber ich wüsste gern, wie es Ihnen und Ihrer Firma in der Zwischenzeit ergangen ist.

- Danke, wir sind zufrieden. Ihr persönliches Engagement hat uns damals aus der Klemme geholfen. Wir haben die Arbeiten in Ihrem Sinn fortgeführt. Dabei hat uns meine Frau geholfen, die Ihnen mit Sicherheit noch in Erinnerung geblieben ist. Lächelnd legte er seine Hand auf ihren Arm.

- Ja sicher, beeilte sich Konselmann zu sagen. Er wusste stets genau das zu sagen, was der Hörer von ihm erwartete: Sie waren damals unsere Stütze und hießen Angelika Röttgens, wenn ich mich recht entsinne. Ohne Sie hätten wir keine Präsentation rechtzeitig fertiggestellt. Wir standen immer unter extremen Zeitdruck.

Sie lächelte:

- Sie erinnern sich sogar noch an meinen damaligen Mädchennamen. Respekt! Erinnern Sie sich auch noch, dass wir damals eine Marktstudie gemacht haben?

Der Diener trat hinzu:

- Möchten Sie noch etwas trinken? Champagner, Cognac oder Espresso?

Konselmann wählte Espresso und nahm den Gesprächsfaden wieder auf:

- Ich erinnere mich genau, als wenn es gestern gewesen wäre. Wir fuhren von einem Kunden zum anderen, waren viele Tage unterwegs gewesen und hatten fast hundert Gespräche mit den Leitern des Einkaufs und des Verkaufs geführt. Wir wollten wissen, welche Farben, welche Stoffe und welches Design in der nächsten Saison besonders gefragt sein würden.

Frau Pauli legte ihre Stirn in Falten:

- Wir erhielten so viele Meinungen, wie wir Kunden sprachen. Und dennoch waren die Gespräche für uns sehr hilfreich. Es waren nicht nur die Ergebnisse der Befragung, die uns halfen, die richtigen Entscheidungen zu fällen. Es war etwas Anderes: Wir hatten unseren Kunden gezeigt, dass wir uns für sie interessierten, dass sie für uns wichtig waren und dass wir ihre Meinung ernst nahmen.

- Konselmann strich sich nachdenklich über sein Haar. Sein Gesichtsausdruck war entspannt und flößte Vertrauen ein: Zunächst war die Situation für uns schwierig, sagte er. Wir waren wegen der Vielzahl der divergierenden Meinungen, die wir gehört hatten, etwas ratlos und wussten nicht, was wir machen sollten. Da half uns das Glück: Wir hatten unsere Kunden unter anderem nach der Zukunft von Jeans-Stoffen gefragt. Die ziemlich einhellige Meinung war: Jeans ist out!

- Frau Pauli sagte: Wenn wir damals dieser Meinung gefolgt wären, dann hätte es das Aus für unsere Firma bedeutet, denn wir hatten noch große Bestände auf Lager. Was sollten wir tun?

- Wir setzten alles auf eine Karte und brachten eine neue Jeans-Kollektion heraus, sagte Konselmann und fasste Herrn Sämann ins Auge.

War er an dieser Begebenheit interessiert oder langweilte er sich? Letztlich ging es um ihn: Ihn wollte er beeindrucken und auch seine Schwester, vielleicht sogar seine Tochter Julia. Im Übrigen handelte es sich um etwas längst Vergangenes.

- Das war unser Glück, setzte Herr Pauli den Bericht fort. Und an seine Frau gewandt fügte er mit einem feinen Lächeln hinzu: Dann hätte ich auch nicht das Glück gehabt, dich zur Frau nehmen zu können. Sie quittierte die freundliche Bemerkung, mit einem vielsagenden Lächeln.

Konselmann legte seine Stirn in Falten:

- Aber die Kollektion war nicht das zentrale Problem: Ihr Vetter hatte damals die Verantwortung für die Firma, und er war – wenn ich das so sagen darf – nicht eben sehr entscheidungsfreudig. Er scheute das Risiko und vertraute nur seinen Statistiken. Er benutzte ein Rechenprogramm, in das er die aktuellen Verkäufe eintrug und sie dann auf das Saisonende hochrechnete. Das führte dazu, dass wir mit allen Dispositionen immer hinten in der Warteschlange rangierten. Wir bestellten die Stoffe zu spät, so dass die Webereien schon ausgebucht waren, wir orderten die Zwischenmeister zu spät, so dass auch sie schon ihre Kapazitäten verplant hatten, wir bestellten die Spediteure zu spät, so dass die Waren schließlich zu unseren Kunden gelangten, wenn die Saison schon gelaufen war. Das war das Kernproblem.

Herr Pauli griff ein und wandte sich direkt an den Berater:

- Ich war nach langer Krankheit gerade von einem Kuraufenthalt zurückgekehrt und wollte mich wieder in das Tagesgeschäft einarbeiten. Ich erinnere mich noch genau an diese Situation. Ich hatte Sie um Ihren Bericht in mein Büro gebeten. Ich fragte Sie, was Sie an meiner Stelle tun würden. Sie antworteten ganz frei: An Ihrer Stelle würde ich mir die Verantwortung für Ihre Firma übertragen.

- Herr Pauli lächelte: Und das habe ich tatsächlich getan. Es bedeutete für mich ein großes Risiko, aber so wie es bisher gelaufen war, konnte es nicht weitergehen. Ich war dabei, meine Firma zu verlieren. Sie waren für mich die einzige Rettungschance.

Konselmann rückte sich seine Fliege zurecht:

- Ich habe Sie damals für Ihre Entscheidung aufrichtig bewundert. Schließlich hatte ich von dem Geschäft der Modebranche nur wenig Ahnung. Aber ich dachte mir, wenn Frau Röttgens mir hilft, dann werden wir es gemeinsam schaffen.

Ingrid Sämann griff in das Gespräch ein:

- Ich wüsste gern, was Sie damals gemacht haben, als sie so unerwartet die Verantwortung hatten, falls diese Frage nicht zu indiskret ist. Sie konnten sich auf Ihre neue Aufgabe nicht vorbereiten. Und dabei blickte sie Herrn Pauli fragend in die Augen, als wolle sie sich für ihre Neugier entschuldigen.

Herr Pauli hatte sie verstanden und lächelte:

- Herr Konselmann, Sie können ruhig erzählen, was damals geschah. Sie werden ja keine unpassenden Details nennen.

Konselmann war froh über die Chance, die sich ihm unerwartet bot, sich ins rechte Licht zu stellen, richtete sich auf und atmete tief durch:

- Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Doktor Pauli, will ich das gern tun, denn es war eine schöne und erfolgreiche Zeit für mich. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich damals noch ein ganz junger Berater war, und ich war heiß, in die Verantwortung zu kommen.

- Pauli nickte: Sie hatten damals noch kein graues Haar auf dem Kopf. Sie hatten den Vorzug der Jugend. Sie waren noch nicht von dem Ballast der negativen Erfahrungen erdrückt, die wir alle irgendwann einmal in unserem Leben machen mussten.

Konselmann nahm den Gesprächsfaden wieder auf und blickte dabei Frau Pauli an:

- Das Wesentliche war, dass wir Vertrauen zu unserer eigenen Meinung bekamen. Mit der Entscheidung, dass wir eine neue Kollektion von Jeans Hosen, Jacken und Röcken erstellten, lösten wir uns von dem etwas verstaubten Image des Herstellers hochwertiger Damen-Kostüme. Wir stellten junge Modedesignerinnen ein, erstellten eine ganz neue Kollektion jugendlicher Mode mit halblangen Mänteln, Röcken und Hosen.

- Das war noch nicht alles, schwärmte Frau Pauli, und erinnerte sich lebhaft an die vergangenen Zeiten, als sie noch jung und voller Elan war.

- Und wir orderten frühzeitig die Waren, fuhr der Berater fort, wir reservierten bei den Zwischenmeistern in Griechenland und in der Türkei die notwendigen Kapazitäten, und wir bestellten die Spediteure.

- Mit anderen Worten: Sie sind das Risiko eingegangen, dass die Bestellungen nicht so kamen, wie Sie es erwartet hatten?, fragte Julia Sämann.

- Nicht nur das: Wir bauten ein neues Lager, kauften ein paar Lastwagen und brachten unsere Datenverarbeitung auf den neuesten Stand. Wir verkürzten die Kommunikationszeiten und nutzten das Internet zum Datenaustausch mit unseren Lieferanten und Kunden. Es tat sich für uns ein neues Zeitalter der elektronischen Kommunikation auf. Wir mussten auch unsere Geschäftspartner von unseren Ideen überzeugen.

- Ingrid Sämann ergänzte: Nebenbei haben Sie auch auf Berufskleidung umgestellt. Denn wir beziehen seit einigen Jahren unsere gesamte Kleidung für Ärzte, Schwestern und Helferinnen aus Ihrem Haus.

- Frau Pauli korrigierte behutsam: Das war dann später, als Herr Konselmann unser Unternehmen schon verlassen hatte. Zunächst mussten wir erst einmal wieder Geld verdienen. Schließlich hatten wir umfangreiche Investitionen getätigt. Wir besannen uns auf unsere Stärken und hatten eine erfolgreiche Saison. Wir starteten mit vollen Auftragsbüchern und waren zu jeder Zeit lieferbereit. Das war nicht zuletzt Ihr Verdienst gewesen.

Konselmann nippte etwas verlegen an seinem Glas, das er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte:

- Ich darf sagen, dass ich damals manche schlaflose Nacht gehabt habe. Denn ich handelte als Berater ohne schriftliche Vollmacht. Wenn die Sache schief gegangen wäre und wir Verluste gemacht hätten, dann weiß ich nicht, was passiert wäre. Im schlimmsten Fall wäre mein Beratungsunternehmen in die Haftung genommen worden.

Herr Pauli griff in die Unterhaltung ein, die er mit Wohlwollen verfolgt hatte. Sie erinnerten ihn an eine schwierige aber letztlich erfolgreiche Zeit:

- Dazu ist es Gott sei Dank nicht gekommen. Letztlich trug ich das Risiko. Ich hatte Vertrauen zu Ihnen gefasst und mich entschlossen, Ihnen die Verantwortung für die Firma zu übertragen, obwohl ich wusste, dass Sie kein Fachmann waren. Sie hatten eine positive Ausstrahlung und konnten unsere Mitarbeiter motivieren. Das hat uns geholfen, den Turnaround zu schaffen.

Der Berater fühlte sich geschmeichelt.

Die Zeit seiner damals noch am Anfang stehende Karriere stand in klaren Bildern vor seinem Auge, obwohl inzwischen schon mehr als zehn Jahre vergangen waren.

- Es war für mich eine positive Erfahrung. Ich hatte bis dahin immer als Einzelkämpfer gearbeitet, aber ich erkannte, dass ich meine Aufgaben besser schaffen könne, wenn ich im Team mit anderen Menschen zusammenarbeitete.

Julia griff den Gesprächsfaden auf:

- In der Forschung und Entwicklung kann man überhaupt nur als Team erfolgreich sein. Die Zeit der einsamen Erfinder und Tüftler ist schon lange vorbei. Ich möchte nur im Team arbeiten. Die Zusammenarbeit mit Menschen ist mir sehr wichtig.

Isabelle gesellte sich zu der Gruppe:

- In so ernsten Gesprächen? Dies soll doch ein Tag zur Entspannung und zur Erholung sein. Sie tun gerade so, als sei dies ein normaler Arbeitstag.

- Wolfgang Sämann antwortete: Frau von Stephano, wo immer wir Unternehmer beieinander sind, tauschen wir Erfahrungen und Meinungen aus. Dies war für mich ein wichtiges Gespräch, denn ich habe einige positive Anregungen bekommen. Nicht dass ich mit dem Gedanken spiele, meine mir vom Vater übertragenen Führungsaufgaben auf einen externen Manager zu delegieren, aber es ist doch interessant zu hören, was man in kritischen Situationen tun kann. Man kann nie wissen, was einem so passieren kann.

- Voller Verständnis lächelte Isabelle: Ich drücke Ihnen die Daumen. Aber morgen ist auch noch ein Tag, und wir wollen schon früh den Tag beginnen.

- Was steht denn noch auf dem Programm?, erkundigte sich Julia. Ich dachte, wir hätten schon den Höhepunkt des Festes erreicht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei Ihnen ganz besonders für den gelungenen Abend bedanken. Es hat alles vorzüglich geschmeckt, und die Weine waren ausgezeichnet. Es hat alles sehr gut geklappt. Das ist sicher auch Ihr Verdienst.

- Haben Sie Dank für Ihre Anerkennung. Die kann man immer gebrauchen. Es hat mir viel Freude bereitet, Sie heute bei uns als Gast zu haben.

Ihr Vater schloss sich der kurzen Rede seiner Tochter an:

- Frau von Stephano, ich kann der Bemerkung meiner Tochter nur in vollem Umfang zustimmen. Ich hoffe, Sie demnächst mal wieder in unserem Hause begrüßen zu dürfen. Vielleicht kommen Sie zu meinem Geburtstag?

- Verraten Sie mir, wann das ist? Ich habe den genauen Tag nicht im Kopf. Ich komme sehr gern, wenn ich Zeit habe.

- Das hoffe ich. Sie werden noch rechtzeitig eine schriftliche Einladung erhalten.

Isabelle dankte für die Einladung und wandte sich den anderen Gästen zu:

- Und vergessen Sie nicht morgen Vormittag die Besichtigung unserer Weinkeller. Im Übrigen wünsche ich allseits eine gute Nacht.

Die Gruppe löste sich auf, und jeder zog sich in sein Zimmer zurück.

Am nächsten Tag wurden die Weinkeller besichtigt mit Tausenden von Flaschen und einigen riesigen Eichenfässern, gefüllt mit den edelsten Weinen. Ein paar Fässer standen in der Mitte des Kellers aufrecht zu einem Tisch umfunktioniert. Die Gäste probierten den erst kürzlich auf Flaschen abgefüllten Wein. Allgemeine Zustimmung deutete auf umfangreiche Bestellungen hin. Und tatsächlich wollte sich niemand in seiner Großzügigkeit von anderen übertrumpfen lassen. Es begann eine Art Wettlauf um die größten Bestellungen. Man beobachtete sich verstohlen und schätzte sich gegenseitig ab.

Isabelle ging von Tisch zu Tisch und fragte, wie die Gäste den Wein des neuen Jahrgangs beurteilten. Da es ein sonnenreiches Jahr gewesen war, herrschte einmütige Zustimmung, dass dieser Jahrgang einen besonders fruchtigen und vollmundigen Wein hervorgebracht hatte. Und auch das Cuvée des Champagners fand Anklang. Unter der Wirkung des Alkohols stieg die Stimmung der Gäste. Man fühlte sich wohl und gut betreut.

Zum Abschluss der Weinprobe klopfte Isabelle noch einmal an ihr Glas:

- Meine Damen und Herren, es war uns eine Ehre, Sie in unserem Hause als Gäste bewirten zu dürfen. Ich möchte Sie nicht nach Hause entlassen, ohne Ihnen eine Fahrt mit der Privatyacht des Grafen auf dem Mittelmeer anzukündigen: Es ist inzwischen zur Tradition des unseres Hauses geworden, einmal im Jahr eine Fahrt für besondere Freunde zu unternehmen. Ich werde mir erlauben, Sie bei nächster Gelegenheit auf diese Reise anzusprechen. Es wäre schön, wenn wir uns aus diesem Anlass an Bord der Joy wiedersehen würden. Aber auch sonst würde ich mich über einen weiteren persönlichen Kontakt mit Ihnen freuen. Damit wünsche ich Ihnen eine gute Heimreise.

Diese Ankündigung einer exklusiven Schiffsreise fand allgemeinen Beifall und führte dazu, dass von jedem der Anwesenden die Bestellungen noch einmal nach oben korrigiert wurden. Man wusste, was sich gehörte und wollte nicht knauserig erscheinen.

Die Gruppe löste sich auf, und jeder strebte die Heimreise an. Sie verabschiedeten sich mit großem Hallo und in der Gewissheit, sich bald wieder an Bord der „Joy“ zu treffen.

- Auch Konselmann machte sich zur Abreise bereit. Er suchte Isabelle und fand sie im Gespräch mit dem Küchenchef: Ich werde mich jetzt so langsam auf den Weg machen, sagte er und fügte seinen besonderen Dank für die Einladung, die Betreuung und das vorzügliche Essen hinzu. Wie kommst du nach Hause?

- Ich weiß noch nicht. Ich denke, ich nehme die Bahn.

- Soll ich dich mitnehmen?

- Wenn es dir nichts ausmacht, dann wäre mir das sehr recht. Wir könnten noch etwas miteinander reden.

Sie packten ihre Sachen und ließen sich Konselmanns Wagen vorfahren.

Während der Fahrt gingen sie noch einmal das Wichtigste des Abends durch.

Zunächst bedauerte Guido, dass er keine Gelegenheit gehabt habe, sich beim Grafen zu bedanken. Sie meinte, das sei nicht von Bedeutung, es genüge ihm, wenn er wüsste, dass du dich bei ihm wohlgefühlt hast, dass du mit den Gesprächen und den Getränken zufrieden warst, und ein guter Kunde werden wirst. Er erkundigte sich nach dem Graf, seinen Geschäften und fragte, was sie von ihm hielte. Sie schilderte ihn als einen umgänglichen Mann, der stark auf Abstand hielt und der sich nicht in die Karten gucken lässt.

Guido erwähnte die geplante Fahrt mit seiner Privatyacht Joy. Er sagte, dass der Graf offensichtlich viel Geld verdienen müsse und erkundigte sich worin sein Geschäft bestünde. Sie sagte, er sei im Grunde nichts anderes als ein Kreditvermittler und Investor. Seine Hobbys seien seine historischen Sportwagen, mit denen er des Öfteren Rallye führe. Im Übrigen beschäftigte er sich mit seinen Rennpferden, um die er sich persönlich kümmere. Er wollte noch wissen, was genau sie für ihn täte. Sie berichtete, dass sie für ihn Champagner verkaufe, für die Distribution in Deutschland zuständig sei und in der letzten Zeit des Öfteren mit Akquisitionsaufgaben für sein Anlagengeschäft betraut worden sei.

Als sie die Autobahn erreicht hatten, wechselte er das Thema, obwohl er eigentlich noch mehr Details über den Grafen und sein Geschäft wissen wollte, aber er spürte, dass seine Fragen zu direkt und zu indiskret waren. Er lenkte deshalb das Gespräch auf den vergangenen Abend und wollte wissen, ob sie mit dem Verlauf zufrieden sei.

Isabelle meinte, dass es in jeder Hinsicht ein erfolgreicher Abend gewesen sei, und dass er als Gesprächspartner und Berater einen vorzüglichen Eindruck bei den Gästen und vor allem bei der Familie Sämann hinterlassen habe.

- Das höre ich gern.

- Ich glaube, fuhr sie fort, du hast den Patriarch auf deine Seite gezogen. Bei seiner Schwester bin ich mir nicht so sicher. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit werden. Und Julia scheint sowieso sehr von dir eingenommen zu sein. Mit ihr hast du leichtes Spiel.

Sie bedauerte, dass Hinrich nicht anwesend gewesen sei und sie leider nicht wisse, aus welchem Grund.

Guido erkundigte sich, in welcher Weise Ingrid Einfluss auf die Entscheidungen ihres Bruders nähme.

- Genau weiß ich es nicht, sagte sie, aber die Geschwister sind durchaus nicht immer der gleichen Meinung. Sie wirft ihm vor, dass er bei der Erbschaft bevorzugt worden sei. Und er sei der Ansicht, dass sie ihr Erbe nicht richtig verwalte.

- Und entspricht das der Wahrheit?

- In gewisser Weise schon, denn er hat von seinem Vater die Majorität der Firmenanteile erhalten, während sie sich mit einem Drittel der Kommanditanteile begnügen musste. Zum Ausgleich hat sie aber die Klinik bekommen.

- Dann wäre das Erbe in etwa wohl ausgeglichen?, vermutete er.

- Nicht ganz, denn die Klinik hat jahrelang Verluste gemacht, die durch die auf sie entfallenden Gewinnanteile als Kommanditistin der Sämann-Gruppe nicht ausgeglichen werden konnten. Sie brauchte immer mehr Geld, als sie verdiente, während er ein stolzes Gehalt bezog. Das führte zu Spannungen zwischen den beiden.

- Und wie wirkte sich das auf die Geschäftsführung aus? Greift sie in seine unternehmerischen Entscheidungen ein?

- Nicht direkt, soweit ich weiß, aber so genau weiß ich das natürlich auch nicht.

- Du hattest, wie es scheint, eine ungewöhnlich bevorzugte Vertrauensstellung bei ihm. Hat das zu Konflikten innerhalb der Familie geführt?

- In gewisser Weise schon. Wir haben manche Kapitalanlagen miteinander besprochen. Ingrid misstraute mir, denn sie fürchtete, dass ich ihren Bruder in seinen finanziellen Entscheidungen negativ beeinflussen könnte und nur eigene Interessen verfolge. Bei Firmenangelegenheiten hat er mir vieles anvertraut, aber alle Interna hat er mir auch nicht gesagt.

- Und wie war dein Verhältnis zu den Kindern, vor allem zu Hinrich?

- Zu ihm hatte ich wenig Kontakt. Er war mir gegenüber immer sehr zurückhaltend, manchmal sogar ziemlich abweisend. Ich weiß auch nicht, warum. Er ist für die Produktion verantwortlich. Davon verstehe ich nicht viel. Mit Julia hatte ich wenig Berührung, weil sie meistens in Nicaragua war.

Sie verließen die Autobahn und fuhren die Schnellstraße nach Frankfurt. Er musste sich auf den dichten Stadtverkehr konzentrieren, so dass er die Unterhaltung unterbrach Aber er hing weiter seinen Gedanken nach und fragte sich, wie er nun weiter vorgehen sollte.

Er nahm sich vor, jede Gelegenheit zu nutzen, mehr über Hinrich zu erfahren. Am besten direkt von Julia. Er kannte sie als offen und mitteilsam. Aber wie sollte das möglich sein? Er könnte sie unter dem Vorwand anrufen, dass sie eine Studie über die weitere Entwicklung der Start-up-Firmen planten. Und da sie damals bei dem Wettbewerb zu den großen Hoffnungsträgern gezählt hatte, möchte er weitere Einzelheiten über die Erfolgsgeschichte ihrer Firma erfahren. Das schien ihm hinreichend plausibel und unverfänglich zu sein. Sie würde ihm sicher seine Fragen beantworten. Vor allem wollte er wissen, ob sie künftig eine Karriere in der väterlichen Firma anstrebte. Offenbar hatte sie andere Pläne, obwohl sie seiner Meinung nach das Zeug für eine Firmenchefin hatte.

Vor allem bewegte ihn die Frage, was mit Hinrich los sei. Er war auf der Einladung des Grafen nicht anwesend gewesen. Das wunderte ihn. Schließlich würde er wahrscheinlich eines Tages der Nachfolger seines Vaters werden. Es musste einen triftigen Grund dafür geben. Vielleicht ein Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn? Oder Zwistigkeiten zwischen den Geschwistern? Auch Reibereien mit seiner Tante Ingrid waren denkbar. Nicht ganz auszuschließen war auch ein persönlicher Konflikt mit dem Grafen, weshalb Hinrich seine Nähe mied. Guido würde versuchen, eine Antwort auf seine Fragen zu finden, denn davon hing sein weiteres Vorgehen ab.

Zunächst ging es darum, den bereits lose bestehenden Kontakt zu dem Sämann-Clan zu intensivieren. Dazu müsste er das Vertrauen aller Familienmitglieder gewinnen. Bei Julia konnte er sich sicher sein: Sie war ihm zu Dank verpflichtet. Schließlich hatte ihr der Start-up-Wettbewerb den Einstieg in ihr erfolgreiches Berufsleben ermöglicht. Aber sie war wohl nur eine Randfigur in dem Geschehen. Dann folgte Hinrich, der große Unbekannte: Eine unkalkulierbare Größe. Immerhin war er in leitender Funktion in der Firma tätig.

Schließlich noch die Schwester des Patriarchen. Als Chefin des Elisabeth-Krankenhauses war sie eine durchaus ernst zu nehmende Person. Außerdem war sie maßgeblich an der Gruppe beteiligt. An erster Stelle rangierte aber der Firmenchef Wolfgang Sämann.

Wie könnte die weitere Kontaktaufnahme geschehen? Es musste diskret und professionell ablaufen. Zunächst ging es um einen Beratungsauftrag. Alles Weitere würde sich zu späterer Zeit entscheiden. Er würde sich der Unterstützung von Isabelle bedienen müssen. Sie hatte den Kontakt, den er brauchte, um als Berater tätig zu werden. Aber der Patriarch hatte sich bereits positioniert, als er auf seiner uneingeschränkten Funktion als alleiniger Firmenlenker beharrt hatte. Aber das musste nicht das letzte Wort gewesen sein. Den Patriarch zu überzeugen, das würde die konkrete Aufgabe sein. An ihm führte kein Weg vorbei.

Sie erreichten Isabelles Wohnung in Sachsenhausen, in der er schon des Öfteren gewesen war. Kaum, dass sie ihr Gepäck abgestellt hatten, umfasste er ihre Hüfte und drückte sie fest an sich: Er spürte ihre festen Brüste durch das dünne Sweatshirt.

- Ich begehre dich, flüsterte er ihr ins Ohr.

- Auf diesen Moment habe ich schon lange gewartet. Ich kann es kaum mehr aushalten. Ich bin schon ganz feucht.

- Lass uns einen Augenblick entspannen.

Sie holte die Flasche aus dem Kühlschrank, nahm zwei Gläser aus dem Schrank und ging wortlos in ihr Schlafzimmer, schloss die Fenster und zog die Vorhänge vor. Er folgte ihr und küsste sie voller Leidenschaft.

Schnell hatten sie sich ihrer Kleidung entledigt, legten sich auf das Bett und genossen, worauf sie so lange gewartet hatten. Er küsste ihre Brüste und drang in sie ein. Von mir aus könnte das den ganzen Tag so bleiben, sagte sie und lächelte.

- Wir wollen uns Zeit lassen, heute sind wir beide nur für uns da.

Wieder und wieder liebten sie sich, als sei es das letzte Mal. Kaum konnten sie voneinander lassen. Endlich fielen sie erschöpft in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Als er erwachte, lag sie in seinem Arm, blickte ihn an und sagte:

- Es war wunderbar. Wir sollten es viel öfter tun.

- Ja, wenigstens einmal in der Woche.

Er erhob sich, griff sich den Bademantel, der immer für ihn bereit lag. Sie verließ den Raum und ging ins Badezimmer.

Er schenkte den Wein in die bereitgestellten Gläser. Als sie zurückkam, hatte sie ihre zerwühlten Haare geordnet, trug einen leichten Morgenmantel aus grauer Seide, küsste ihn und setzte sich an den kleinen Tisch. Sie lächelte glücklich und prostete ihm zu:

- Es war ein schöner Tag.

- Besonders der Abend. Ich hoffe, es werden noch viele weitere folgen. Wenn wir beiden uns weiterhin gut verstehen, dann gehört uns die ganze Welt.

- Das scheint mir doch etwas zu groß gegriffen zu sein, sagte sie lächelnd und sah dabei bezaubernd aus. Mir würde es genügen, wenn wir unser eigenes Geschäft richtig in den Griff bekämen.

- Darum werden wir uns bemühen und uns dabei gegenseitig nach besten Kräften unterstützen.

Es war mehr als ein bloßer Wunsch – es war ein gegenseitiges Versprechen.

Das Doppelkonzert

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