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Kapitel 16

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„Wollen wir frühstücken gehen?“

Maren hatte gerade den Wasserkocher vorbeigebracht, den Frauke schon schmerzlich vermisst hatte. In der Küche ihrer Eltern war keiner und Frauke startete den Tag am liebsten mit einem Tee. Maren ihrerseits trank keinen Tee. Es reichte, dass ihre Eltern fanatische Teetrinker waren.

Maren sah, dass Frauke sich ihr kleines Zimmer gemütlich gemacht hatte. Eine Yucca-Palme stand auf dem Boden, und am Fenster hingen sonnengelbe Vorhänge.

Frauke machte eine ungeduldige Handbewegung und seufzte.

„Ich habe gar keine Zeit. Zu Dr. Bender muss ich, und außerdem will ich endlich das Schlafzimmer meiner Eltern leer kriegen. Ich habe einen Container auf der Straße stehen.“

Das Teil war ihr riesig vorgekommen, als es angeliefert wurde. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie es über sich bringen sollte, Beistell-Tischchen, Lampen, die alten abgewetzten Stühle und die Leitz-Ordner aus dem Schlafzimmer da hineinfallen zu lassen. Ganz abgesehen von Fotoalben, Reiseandenken, Bilderrahmen und getöpferten Schalen, die sie als Kinder im Werkunterricht angefertigt hatten.

Es war undenkbar. Es war undenkbar und es musste sein. Ob Ohrstöpsel halfen? Am meisten Angst hatte sie vor dem Geräusch, das die Gegenstände verursachen würden, wenn sie auf dem Boden des Containers aufschlugen.

„Wolltest du nicht erst deine Geschwister fragen, was sie behalten möchten?“

„Die haben mir gemailt, dass sie nichts mehr wollen. Dass sie sich alles geholt haben, als wir nach der Beerdigung in der Wohnung waren.“

„Echt? Mehr übernehmen sie nicht?“

Das fand sie erschreckend. Sie erinnerte sich, dass Christoph den Fernseher und Juliane das Radio von Bose mitgenommen hatten. Keine Fotoalben, kein Geschirr, keinen Schmuck - gar nichts.

Sie dachte mit Schaudern an den Tag der Beerdigung zurück. Frauke hatte kein Beruhigungsmittel nehmen wollen und war nervös und hektisch gewesen. Am offenen Grab schien ihr auf einmal klar zu werden, dass ihre Eltern beide tot waren und sie sich jetzt verabschieden musste. Da war sie in Tränen ausgebrochen. Es war das erste Mal, dass Maren Frauke weinen sah.

Sie hatte sich schnell an ihre linke Seite gestellt, Fraukes Freundin Paula, die wegen der Beerdigung eine wichtige Einführungsveranstaltung in Heidelberg schwänzte, an die rechte Seite. Die Zwillinge hatten sich nicht um ihre Schwester gekümmert.

Sie waren im Anschluss zwar beim Kaffeetrinken dabei, schienen aber nicht zu wissen, was sie da sollten. Die Gastgeber-Rolle gegenüber den Nachbarn, ehemaligen Arbeitskollegen und Bekannten ihrer Eltern hatten sie Frauke überlassen. Malte hatte sie sehr gewandt dabei unterstützt.

Maren fand die spürbare Feindschaft unter den Geschwistern erschreckend. Sie selbst brauchte Harmonie, um gut leben zu können.

‚Es gibt für alles Gründe’ hatte sie sich gesagt - und trotzdem war es schwer nachzuvollziehen, warum die drei sich so kalt verhielten. Denn auch Frauke machte keinen Versuch, auf ihre Geschwister zuzugehen.

Es war einfach ein verkorkstes Verhältnis.

Und im Grunde geht es mich nichts an.

„Wenn du so viel vorhast, ist ein Frühstück umso wichtiger. Wir gehen zum Bäcker. Das geht schnell!“

„Also gut.“ Frauke warf einen Blick auf das Chaos im Wohnzimmer. Alle möglichen Unterlagen lagen auf dem Boden. Die Sessel und der Tisch waren nicht mehr zu sehen unter den vielen Aktenordnern, die Frauke dorthin gelegt hatte.

Sie hatte zu Beginn der Entrümpelung, mit einem großen Müllsack bewaffnet, einen Wandschrank aufgemacht, von dem sie glaubte, dass er Kleidungsstücke beherbergte. Zu ihrem Entsetzen hatte sie feststellen müssen, dass er von oben bis unten mit Leitz-Ordnern voll gewesen war.

Ihre Mutter hatte kontinuierlich Bilder, Aufsätze und Zeichnungen aufbewahrt, die ihre Kinder im Laufe der mehr oder weniger langen Schulkarriere angefertigt hatten. Aber es waren auch Versicherungsunterlagen darunter gewesen. So hatte Frauke jeden Ordner in die Hand nehmen und durchgehen müssen.

Langsam war Land in Sicht. Sie hatte alle Ordner, die weg konnten, in eines der Kinderzimmer gelegt. Was noch durchgesehen werden musste, war im anderen Kinderzimmer. Und die Möbel konnten vorher schon entsorgt werden.

Sie hatte gehofft, für die Einrichtung noch Geld zu bekommen und einiges bei ebay eingestellt. Aber in 10 Tagen hatte kein einziger Mensch reagiert. Jetzt wäre sie einfach nur froh, sie los zu werden, ohne noch etwas dafür bezahlen zu müssen.

Die beiden Frauen setzten sich an einen Fenstertisch und stellten die Teller und Kaffeebecher vom Tablett auf das Holzimitat vor ihnen. Maren schob die Vase mit der künstlichen weißen Tulpe beiseite und beobachtete Frauke aus den Augenwinkeln, während sie ohne besondere Betonung sagte:

„Ich habe jemanden, der deine Möbel nehmen würde.“

„Was? Wer?“

„Die Gemeinde übernimmt eine Art Patenschaft für mehrere Flüchtlingsfamilien, die im Stadtteil einquartiert worden sind. Und die sind dankbar für alles. Sie bekommen zwar die notwendigsten Sachen gestellt, aber … sie können Möbel auf jeden Fall gebrauchen. Und Kleider auch.“

„Mensch, das ist ja großartig! Da bin ich mit einem Schlag zwei Sorgen los!“

Denn für Frauke war der Vorschlag, die Kleider in eine Sammelkiste zu tun, undenkbar gewesen. Alte Handtücher: ja. Aber nicht die Röcke und Pullover ihrer Mutter. Das brachte sie nicht übers Herz.

Frauke war wieder einmal erstaunt, wie viele Kontakte Maren hatte. Das lag natürlich an ihrem Beruf. Trotzdem: Was sie innerhalb kurzer Zeit auf die Beine stellen konnte, war Wahnsinn. Ohne Marens Hilfe wäre sie schon verzweifelt.

Zufrieden schnitt sie ihr Brötchen auf und bestrich es mit Butter und Honig. Dann nahm sie einen großen Schluck Kaffee. Er war heiß und stark, wie sie ihn mochte. Sie fing an sich zu entspannen.

Vielleicht würde der Tag ja doch noch gut werden.

Maren erzählte ihr von Edith Pröll und ihrem Sohn Adam. Und dass Frau Pröll jemanden suchte, der mit Adam ‚Sachen übte’. So hatte Edith Pröll es ausgedrückt, als Maren am Tag nach der Chorprobe bei ihr angerufen und nachgefragt hatte.

„Was für Sachen?“ fragte Frauke kauend. Das mindeste, was sie für Maren tun konnte, war, etwas Interesse zu zeigen für das, was sie ihr erzählte. Maren hatte immer jemanden, der gerade unterstützt werden musste.

Helfer-Syndrom.

Aber sie war trotzdem die beste Freundin, die Frauke in Wetzlar hatte.

„Hilfestellung geben, sich zurechtzufinden. Zum Beispiel kann Adam nicht telefonieren. Und seit der Supermarkt sein Sortiment anders einsortiert hat, will er dort auf keinen Fall mehr einkaufen.“

„Der Supermarkt?“

Frauke unterbrach das Aufklopfen ihres Frühstückeis und sah Maren interessiert an.

„Was hast du nochmal gesagt, hat dieser Adam für eine Diagnose?“

„Ich habe gar nichts gesagt. Aber wenn es dich interessiert: Asperger. Das bedeutet …“

„Ich weiß, was das bedeutet, Maren!“ sagte Frauke halb entrüstet, halb fasziniert. „Es ist eine Autismusspektrumsstörung. Ich habe mal Psychologie studiert, erinnerst du dich?“

„Äh - entschuldige. Genau.“

„Ich glaube, ich kenne Adam.“

„Ja? Hast du ihn schon einmal in der Kirche gesehen?“

Frauke war keine große Kirchgängerin mehr, im Gegensatz zu früher. Es war Maren noch nicht gelungen, das zu ändern.

„Nein, im Supermarkt. Ist er groß, mit dunklen kurzen Haaren?“

„Ja“ antwortete Maren überrascht. „Erzähl!“

Frauke schilderte die Begegnung mit Adam Pröll und gab sich Mühe, nicht respektlos von ihm zu sprechen. Seit ihrem Praktikum in der Psychiatrie sah sie Menschen mit Handicap mit anderen Augen.

Maren sah Frauke anerkennend an. „Das war eine gute Idee, mit dem Einkaufswagen.“

„Ja, da hat mir die Erinnerung an das Psychiatriepraktikum geholfen. Ich wusste auf einmal, wie ich reagieren könnte.“

„Klasse! Und es hat funktioniert. Meinst du nicht, es wäre interessant, sich mal mit Adam und seiner Mutter zu treffen?“

Frauke dachte darüber nach. Falls Adam sie akzeptierte, wäre es mit einem Treffen nicht getan. Dann ginge sie eine Verpflichtung ein. Wollte sie das? Wollte sie Verantwortung für jemand anderen übernehmen?

Es war nicht dasselbe, wie gezwungenermaßen Verantwortung für Geschwister zu haben. Sie konnte auch ‚Nein’ sagen. Sie konnte Bedingungen aushandeln, die ihr die Freiheit ließen, auch wieder zu gehen. Und schließlich hatte sie ja Psychologie studiert mit dem Ziel, Therapeutin zu werden, oder?

Das Studium war allerdings weit weg und ein Abschluss unsicher. Im Moment fühlte es sich so an, als hätte sie das Studium abgebrochen. Wenn sie so einen Integrationsjob hätte, dann wäre sie wenigstens mit einem Fuß noch drin in einem Bereich, der mit ihrem Studium zu tun hatte. Vielleicht konnte sie sich später sogar etwas davon anrechnen lassen.

Sie blickte auf. „Ich weiß nicht, Maren. Es müsste total unverbindlich sein.“

Maren ging darauf sofort ein. „Natürlich! Das ist doch klar. Die Edith - ich meine: die Frau Pröll - ist eine sehr realistische Frau. Mit der kannst du Klartext reden.“

Sie zögerte. Dann stellte sie doch die Frage.

„Darf ich ihr deine Handynummer geben?“

„Nein, aber du kannst mir ihre Nummer geben. Ich rufe sie an. Aber erst, wenn du ihr das angekündigt hast.“

„Klar, kein Problem.“ Maren war erleichtert. Das war besser gegangen, als sie zu hoffen gewagt hatte. Sie hatte so ein Gefühl, als ob Frauke und die Prölls gut zusammenpassen würden. Und seine Brötchen nur mit Putzen verdienen - das ging doch nicht. Nicht auf Dauer. Und nicht bei jemandem, der so klug war wie Frauke.

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