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Kapitel 3

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Der Job bei Dr. Bender war ideal für Frauke. Er besaß ein altes, teuer saniertes Haus auf dem Deutschherrenberg in Wetzlar. Er lebte als Single, arbeitete viel und brauchte jemanden, der das Haus in Schuss hielt. Jemand, der keine unnötigen Fragen stellte und selbständig Entscheidungen traf.

Frauke wiederum arbeitete gerne alleine. Ihr Schulfreund, Malte Hollweg, hatte sie an Bender vermittelt. Die Männer kannten sich, weil beide Mitglied im Rotary Club waren. Sie hatten als Ärzte denkbar verschiedene Arbeitsgebiete - Malte war Pathologe und Bender Plastischer Chirurg - so dass sie sich im Berufsalltag nicht über den Weg liefen. Zumindest hoffte Frauke, dass von Dr. Benders Patienten normalerweise keiner in der Pathologie landete.

Dr. Benders erste Sätze zu ihr waren gewesen:

„Ich suche eine Fachfrau für Oberflächen, die nicht dauernd etwas von mir wissen will. Sind Sie geeignet für den Job?“

Sie hatte geantwortet: „Ich bin Ordnungsexpertin und ich liebe Sauberkeit. Ein paar Leute finden das schräg.“

Er hatte sie eingestellt. Er war bereit, sie bei der Sozialversicherung anzumelden, sie vereinbarten eine Probezeit und dann bekam sie bereits die beiden Hausschlüssel ausgehändigt. Das hatte ihr gefallen.

Als er am Ende ihres zweiten Arbeitseinsatzes nach Hause kam, erklärte sie ihm, dass er in bessere Ausrüstung investieren müsse.

Was gegen den Wisch-Mopp einzuwenden sei, hatte er gefragt.

„Für das Parkett brauche ich einen Wischer, der mit ganz wenig Wasser auskommt. Wasser schadet dem Holz, auch wenn es versiegelt ist. Für die Fliesen braucht man mehr Wasser und deshalb ein anderes Gerät. Ich …“

Bender winkte ab.

„Keine Details. Wie viel Geld brauchen Sie?“

„Hundertachtzig Euro, mehr oder weniger.“

Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er einen Zweihundert-Euro-Schein aus dem Portemonnaie genommen.

„Restgeld und Quittung auf meinen Schreibtisch, bitte.“

Das war’s. Er ließ sie dreimal die Woche ins Haus kommen. Auch die Erledigung der Wäsche war ihr Job.

Frauke hatte gespült und stellte in Benders Küche mechanisch alles hoch auf den Tisch, was beweglich war. Biomüll, Restmüll, Glasmüll, Barhocker. Sie fing an zu kehren und dachte über ihre Eltern und über ihre Wohnsituation nach.

Als Kurt und Gundula Benning die Kohlenmonoxid-Vergiftung erlitten hatten, waren sie in der Küche gewesen. Das Gas war aus der schadhaften Gastherme ausgetreten. Frauke unterdrückte die Erinnerung daran, wie sie ihre Eltern aufgefunden hatte.

Sie dachte daran, wie sie händeringend vor dem Telefon im Schlafzimmer gestanden hatte, weil sie nicht wusste, ob sie den Notarzt, die Feuerwehr oder die Polizei anrufen sollte. Dann fragte sie sich, ob sie die Fenster öffnen musste, wegen des Gases.

Gleich darauf hatte sie - ohne Fenster zu öffnen - in Panik die Wohnung verlassen, weil ihr eingefallen war, dass sie selbst auch in Gefahr sein könnte.

Dass ihre Eltern eine Gasvergiftung erlitten hatten, das war ihr merkwürdigerweise sofort klar gewesen. Ihr kam der Gedanke, dass sie das Telefon vielleicht nicht benutzen durfte, wegen Funkenschlags und Explosionsgefahr. Sie war panisch weggerannt und hatte von ihrem Handy aus Malte angerufen, der zum Glück erreichbar gewesen war.

Malte hatte mit tiefer, ruhiger Stimme zu ihr gesagt, dass sie vor dem Haus bleiben und die Polizei anrufen solle, die würden alles andere veranlassen. Und er wäre gleich da. Er hatte so viel Sicherheit ausgestrahlt, dass sie sich beruhigte.

Sie hatte dann nicht nur die Polizei, sondern auch ihre Geschwister alarmiert. Sie mussten stundenlang erst in einem Polizeibus und dann in einer nahegelegenen Schule warten. Die Feuerwehr evakuierte vorsichtshalber die anderen Hausbewohner und beorderte einen Spezialisten zum Unglücksort. Ein Arzt kam, füllte die Todesfeststellung aus - Todesursache unbekannt - und verschwand wieder.

Die Beamten forderten sie schließlich auf, einen Bestatter zu benachrichtigen, der die Leichen in die Gerichtsmedizin bringen musste.

Als sie endlich wieder in die Wohnung hineindurften, waren alle drei Geschwister mit den Nerven fertig. Frauke hatte Kopf- und Gliederschmerzen. Juliane hatte sie plötzlich in den Arm genommen, und Christoph hatte beiden die Hand auf die Schulter gelegt.

Weder vorher noch danach hatten sich die Geschwister jemals so viel Nähe gezeigt. Warum hatte es nicht immer so zwischen ihnen sein können?

Am liebsten hätte sie die Küche der Eltern danach nie wieder betreten. Aber das ging nicht; schon gar nicht, nachdem feststand, dass sie für ein paar Monate dort leben würde.

Also hatte sie einen Tag später alles weggeschmissen, was dort an Lebensmitteln gelagert war. Dann hatte sie die Küche umgeräumt.

Den hässlichen Schrank hatte sie auseinandergeschraubt und in den Flur befördert, das Geschirr mit dem furchtbaren Muster in einen Wäschekorb gelegt. Nach und nach bemerkte sie, in welchem Zustand die Küche - ja, die ganze Wohnung - war. Alle Pfannen waren völlig verkratzt, die Beschichtung nicht mehr zu sehen. Die Schubladen waren voller Krimkrams.

Normalerweise hätte sie alles ungesehen in den Mülleimer gekippt, aber es waren auch Quittungen dabei, die wichtig zu sein schienen. Sie fand einen Schal ihres Vaters in der Backofenschublade, Schuhputzcreme im Kühlschrank. Ihr ging auf, dass die Demenz der Mutter weiter fortgeschritten gewesen war, als sie geglaubt hatte.

Als sie einmal auf die Uhr schaute, war es 5 Uhr morgens gewesen. Sie hatte die ganze Nacht durchgearbeitet. Sie erlaubte sich ein paar Stunden Schlaf und reinigte dann die Küche: die Schränke innen und außen, den Boden und sogar die Fenster.

Danach ging es ihr etwas besser. Trotzdem brauchte sie in dieser staubigen Wohnung wenigstens einen Raum, in den sie sich zurückziehen konnte. Der nicht vollgestellt war mit Möbeln und Kram.

Malte und Maren hatten ihr geholfen, das kleinste Zimmer komplett zu leeren. Die Möbel wurden auf die anderen Zimmer verteilt und Malte verpasste dem kleinen Raum einen frischen Anstrich. So ruhig und unaufdringlich er war, aber er konnte organisieren. Das war am Tag vor der Beerdigung gewesen.

Ihre Schwester hatte den Kopf geschüttelt, als sie das leere Zimmer sah. „Du spinnst! Das lohnt sich doch überhaupt nicht. Warum machst du dir soviel Arbeit - mit einem Raum, in dem du sowieso nur schläfst?“

Christoph hatte zu seiner Zwillingsschwester bemerkt: „Du kennst sie doch. Frauke und ihr Ordnungsfimmel.“

Das war ihr allerdings egal. Es war ihr schon immer egal gewesen, wenn ihre Geschwister sie stur fanden, oder ihr vorwarfen, sie sei eine Spielverderberin. Sie hatte es sich schließlich nicht ausgesucht, die Verantwortung für die Zwillinge zu haben. Sie hätte lieber mit ihren Klassenkameraden rumgehangen, statt auf die Teenager aufzupassen, ihnen Essen zu kochen und darauf zu achten, dass sie ihre Hausaufgaben machten.

Die Mutter kam gegen Christoph und Juliane nicht an. Als die beiden in der Pubertät waren, schob sie ihr schwaches Herz vor und kümmerte sich um nichts mehr.

Frauke ließ warmes Wasser in den Eimer ein. Sie betätigte den Hebel, der den Wischer auswrang, mit mehr Druck, als nötig gewesen wäre und begann systematisch, den gefliesten Bereich des Erdgeschosses zu wischen. Bahn für Bahn glänzte von der Feuchtigkeit des Wischwassers und lag anschließend makellos vor ihr. Gut.

Etwas sauber zu machen, eine Ordnung herzustellen - das war ihr persönlicher Beitrag im Kampf gegen das Chaos im Universum. Sie wusste, dass es der Versuch war, Kontrolle zu haben über die Dinge, über das Leben selbst. Sie wusste auch, dass es in Wirklichkeit keine Kontrolle gab. Es konnte jederzeit etwas geschehen, was einem den Boden unter den Füßen wegzog. Sie hatte es ja erlebt.

Immerhin funktionierte die Strategie, wenn sie sich selbst beruhigen wollte. Andere hörten laute Musik oder bewegten stundenlang ihre Daumen über das Handy-Display, sie putzte eben. Es gelang ihr meistens, diese Eigenart als Ressource anzusehen, auch wenn manche Kommilitonen es schräg fanden und so taten, als hätte sie ein Handicap, nur weil ihre Küche aufgeräumt war.

Was wirkliche Handicaps waren, das hatte Frauke in dem zwölfwöchigen Praktikum mitbekommen, das sie in der Psychiatrie absolviert hatte. Sie hätte auch in eine Psychologische Praxis gehen können, aber die Psychiatrie hatte sie mehr interessiert.

Die Patienten hatten sie tief beeindruckt. Vor allem die Schicksale zweier Patienten mit einer Psychose waren ihr noch lange nachgegangen.

Was sie leisteten, um mit ihrem Schicksal fertig zu werden! Wie schwer es für sie war, Einsicht in die Erkrankung zu haben und die Medikamente kontinuierlich zu nehmen. Wie begabt einer von ihnen gewesen war, der sich aber damit abfinden musste, in einer Werkstatt für Behinderte zu arbeiten, weil er nicht belastbar war.

Sie hatte festgestellt, dass die Patienten sie nicht verunsicherten. Sie machten ihr keine Angst, auch wenn sie noch so durch den Wind waren. Im Gegenteil, Frauke war gerne mit ihnen zusammen.

Das Behandlungsteam hatte ihr bescheinigt, dass sie eine Begabung hatte, auf Patienten einzugehen.

Die Sache mit ihren Eltern war ausgerechnet am Ende des fünften Semesters passiert. Gerade, als sie die Gewissheit erlangt hatte, dass Psychologie das richtige Fach war. Gerade, als sie anfing, Ideen für das Thema der Bachelor-Arbeit zu sammeln!

Frauke goss das Putzwasser in die Küchenspüle. Sie haderte mit ihrem Schicksal. Sie wusste, dass sie sich in Selbstmitleid erging. Aber wie sollte sie die kommenden Wochen überstehen, wenn sie sich nicht einmal selbst Leid tun durfte?

Ein Prof an der Uni hatte vor vier Wochen zu ihr gesagt: „Eine Katastrophe kommt immer unpassend. Sie können sich nicht aussuchen, ob Sie sich dem stellen - das müssen Sie. Sie können nur steuern, wie Sie damit umgehen.“ Er hatte ihr Hilfe angeboten. Bei der Erinnerung daran wurden ihre Augen feucht. Sie hatte nicht vor, das Angebot anzunehmen, aber alleine die Möglichkeit, ihn anzurufen, hatte ihr über die ersten Wochen geholfen.

Während die Fliesen trockneten, begann sie im ersten Stock das Bad zu putzen. Am Waschbecken konnte man ablesen, dass Bender Arzt war. Es war selbst im benutzten Zustand sauberer, als es das Waschbecken in der Marburger WG jemals gewesen war.

Marburg. Das Theologiestudium.

Wenn sie wenigstens gleich mit Psychologie angefangen hätte! Aber sie hatte zwei Jahre verloren. Eine Erfahrung des Scheiterns, auf die sie gerne verzichtet hätte. Ihre Eltern hatten ihr auch nicht gerade auf die Schulter geklopft.

Das einzig Gute daran war, dass sie im Theologiestudium Maren kennengelernt hatte. Auch Maren hatte abgebrochen, aber sie konnte wenigstens ein paar Scheine anrechnen lassen, als sie mit Gemeindepädagogik weiter machte.

Sie musste, wenn sie hier fertig war, zurück in die Wohnung ihrer Eltern. Alles in ihr sträubte sich dagegen, die vier Zimmer mit den Möbeln aus den 60iger Jahren, dem Nippes und den Akten, die durchgesehen werden mussten, zu betreten. Aber es half nichts. Sie suchte immer noch nach einem Hinweis, wo das Geld hergekommen war.

Immer, wenn es ihr zu viel wurde, dann legte sie sich in dem kleinen, frisch renovierten Zimmer auf ihr Bett und hörte Vincent McMorrow. Sie hatte außer dem Bett nur ein Bücheregal, einen Tisch, ihren Schreibtischstuhl sowie einen kleinen roten Teppich in das Zimmer gebracht. Dort war ihre Zuflucht.

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