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Kapitel 20

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Fraukes Handy vibrierte in einer der Taschen der Cargo-Hose, die sie zum Putzen trug. Sie stellte den Staubsauger ab, zog es heraus und sah, dass ihre Schwester versuchte, sie zu erreichen.

„Was gibt’s?“ fragte sie knapp.

„Nette Begrüßung! Ich möchte gerne wissen, wie weit du mit der Auflösung der Wohnung bist.“

Frauke lehnte sich gegen den Türrahmen des Arbeitszimmers in Dr. Benders Haus. Sie beschloss, sich nicht zu ärgern. Im Grunde war es ehrlich, dass ihre Schwester nicht fragte, wie es ihr ging. Es interessierte sie nicht. Umgekehrt war es schließlich genauso. Sie hatten sich noch nie nahe gestanden, oder, wie andere Schwestern, Geheimnisse miteinander geteilt.

„Die Kleider und der Inhalt der Schränke sind entsorgt. Die Möbel kann ich nächste Woche zu einem Verein bringen, der sich um Asylsuchende kümmert.“

„Gut, dass Vater das nicht mehr mitkriegt. Der hielt die alle für Schmarotzer oder Kriminelle.“

Jetzt ärgerte Frauke sich doch.

„Du scheinst seine Meinung zu teilen, so wie du von ihnen redest.“

„Na ja, was man so hört, bringen sie jedenfalls nur Ärger. Man hört doch immer wieder von Schlägereien, Diebstählen und so.“

„Quatsch! Das sind Vorurteile. Wenn es bei Asylsuchenden zu Polizei-Einsätzen kommt, dann oft deshalb, weil sie auf zu engem Raum zusammengepfercht sind und sich aus vielen Nationen und Religionen zusammensetzen. Da gibt es halt Streit. Wenn du das hättest erleben müssen, was die alles hinter sich haben, wäre dein Nervenkostüm auch nicht mehr das beste.“

„Jetzt kehrst du wohl die Psychologin raus? Schon gut, spar’ dir die Predigt. Ich wollte nur wissen, wann ungefähr wir die Wohnung an einen Makler geben können.“

„Ich brauche mit den Möbeln Hilfe. Malte will mir beim Transport helfen, aber ich glaube, er hat keinen Führerschein. Und ich bin so lange nicht mehr Auto gefahren - ich traue mir das Transporter-Fahren nicht zu.“

„Hollweg hat keinen Führerschein? Lebt der hinterm Mond?“

Jetzt wurde Frauke richtig sauer. Auf Malte ließ sie nichts kommen.

„Er lebt in Wetzlar und kommt sehr gut mit seinem Fahrrad klar. So viel ich weiß, besitzt du ja einen Führerschein. Und dein Mann auch.“

„Wir waren uns einig, dass du die Wohnung alleine leerräumst. Immerhin wohnst du mietfrei dort. Der Transport, das ist dein Problem. Ich bin mit den Kindern echt angebunden.“

Frauke beschloss, ihre Schwester zu ignorieren.

„Jedenfalls dauert es noch ein paar Wochen, bis alles abgewickelt ist.“

„Ein paar Wochen!“

„Klar. Renovieren muss ich ja schließlich auch“ sagte Frauke gleichgültig. Sie hatte es nicht eilig, die Wohnung leer zu kriegen. Zumal sie nicht wusste, wo sie danach leben sollte.

„Wovon lebst du eigentlich?“ fragte ihre Schwester misstrauisch. „ Nicht von dem Geld, das auf dem Sparkonto war? Was für die Wohnungsauflösung bestimmt ist?“

„Keine Angst, Schwesterherz. Ich sammle alle Belege und werde ordnungsgemäß mit euch abrechnen. Ich trinke keinen einzigen Kaffee auf deine Kosten.“

„Aber du kriegst doch jetzt gar keinen Unterhalt mehr?“

Ach, das war ihrer Schwester auch schon aufgefallen? Nach fünf Wochen, die ihre Eltern jetzt tot waren.

„Ich habe einen Putz-Job. Du kannst also ganz beruhigt sein. Und jetzt muss ich weitermachen.“

Ihre Schwester fuhr unbeeindruckt fort:

„Hast du kein Interesse daran, deinen Anteil am Wohnungsverkauf schnell einzukassieren?“

„Nicht besonders, nein. Ich komme klar. Und jetzt mach’s gut.“

Frauke drückte auf „Beenden“ und stieß ärgerlich die Luft aus. Sie versuchte, das unerfreuliche Gespräch schnell zu vergessen, aber es gelang ihr nicht. Weder Juliane noch Christoph wollten viel mit ihr zu tun haben.

Wenn ich mich wenigstens mit einem von beiden gut verstehen würde. Dann könnten wir mal über Papa und Mama reden.

Am Anfang des Studiums hatte sie eine Entdeckung gemacht, die sie schockierte. Als sie nämlich den Vater nach ein paar Details der Familiengeschichte fragte, hatte er beiläufig erwähnt, dass sie einen älteren Bruder gehabt hatte, der vor der Geburt gestorben war. Jetzt sei sie erwachsen, da könne sie das mal erfahren.

Sie war aus allen Wolken gefallen.

Frauke war gar nicht das älteste Kind der Familie! Es gab einen Bruder, dessen Tod die Eltern den übrigen Kindern verschwiegen hatten. Kein Wunder, dass sie sich als Kind wie ein Junge benommen hatte! Dass sie auf Bäume geklettert war und nicht mit Puppen gespielt hatte. Dass sie von Jungen umgeben gewesen war und an Mädchen ihres Alters kein großes Interesse gehabt hatte.

Ihre Eltern hatten um den Stammhalter getrauert und sie hatte als kleines Kind gespürt, dass sie lieber einen Jungen gehabt hätten. Einen, der ihnen das tote Kind ersetzte.

Sie hatte sich erleichtert gefühlt. Endlich verstand sie das Tabu, das in der Familie gewirkt und das sie gespürt hatte, aber nicht hatte deuten können.

Sie erzählte es den Zwillingen, weil sie glaubte, mit ihnen ins Gespräch kommen zu können. Sie wollte ihnen erklären, dass sie sich nicht um die Verantwortung gerissen hatte. Dass sie gar nicht so streng hatte sein wollen, aber dass sie keine andere Möglichkeit gesehen hatte.

Aber die beiden hatten dichtgemacht. Sie wollten nicht darüber reden. Nicht über den toten Bruder und nicht über die Beziehung zu Frauke.

Sie hatte sich schließlich Malte anvertraut - vielleicht weil sie ahnte, dass er sie verstehen würde. Er erzählte ihr seinerseits, dass er eine Schwester gehabt hatte.

Als sie während der Schulzeit kurz miteinander gegangen waren, hatte sie das nicht gewusst. Es war in seiner Familie ein Tabu. Malte glaubte, dass seine Mutter gerne darüber gesprochen hätte, aber der Vater wollte das nicht. Er wollte nicht immer wieder an den Verlust erinnert werden.

Ist Maltes Mutter nicht auch krank geworden? Eine Depression? Ich muss ihn einmal danach fragen.

Frauke bückte sich und prüfte, ob der Parkettboden im Arbeitszimmer getrocknet war. Jawohl. Sie konnte den kleinen Teppich wieder hinlegen und den Schreibtischstuhl hereinrollen. Das Arbeitszimmer war fertiggeputzt und sie hatte es noch nicht einmal richtig gemerkt, so sehr war sie mit ihrer Familie beschäftigt gewesen.

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